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Band 110

Rideryon-Zyklus

Protector Dorgonis

Eine uralte dorgonische Legende gewinnt an Bedeutung

Jürgen Freier

Cover

Die Legende vom Protector Dorgonis

»Sayonara«, grüßte Sato Ambush den Dorgonen und nickte ihm höflich zu. Sein Gegenüber war von schmächtiger Statur und nicht größer als der japanische Terraner selbst. Er trug eine Brille, dessen breites Band bis zum Nacken verlief. Das Haar war braun, die Haut recht hell, zog man in Betracht, dass auf den bekanntesten Welten der Dorgonen stets viel die Sonne schien und sie von Natur aus gebräunter waren als Terraner.

»Prost!«

Der Dorgone hob seinen Kelch.

»Das ist doch terranisch, oder?«

Sato nickte freundlich. Sein Gegenüber trug den Namen Osbarus und war der Adjutant von Kruppus, dem engsten Vertrauten des dorgonischen Konsuls Volcus. Jenes Mannes also, der sich Protector Dorgonis nannte. Vor seiner militärischen Laufbahn war er Vizekanzler der Academia Scientia auf Dom gewesen, also eigentlich ein Mann des Geistes und der Wissenschaft. Weshalb er nun in die Dienste Volcus’ trat, wusste Ambush nicht. Vielleicht war die Anstellung ein Zeichen, dass der ehrgeizige Konsul tatsächlich Frieden wollte?

Sato Ambush nutzte die Verhandlungen, um mehr über den Mythos des Protector Dorgonis zu erfahren. Er war ihm bereits in der Vergangenheit begegnet, doch nicht mehr als eine Legende gewesen, vergleichbar mit der Artus-Sage oder dem Garten Eden.

Osbarus nahm einen kräftigen Schluck.

»Ich bedanke mich für das Convivium«, sagte er und blickte mit großen Augen auf Speis und Trank, zu dem Ambush ihn eingeladen hatte. Convivium war die dorgonische Bezeichnung für ein Gastmahl. Es schmeckte ihm.

Nicht ohne Hintergedanken hatte Ambush Osbarus eingeladen. Nicht ohne eben jene Absichten hatte auch Roi Danton ein Treffen vorgeschlagen. Osbarus war ein durchschnittlicher Dorgone, sicher nicht dumm, aber auch kein Politiker wie Volcus. Also war er weniger gerissen und weniger auf der Hut.

Nach einem belanglosen Gespräch über terranische und dorgonische Delikatessen lenkte Ambush das Gespräch auf sein wahres Interesse. Das als Protector Dorgonis oder auch nur als Protector bezeichnete Artefakt spielte mehrmals innerhalb der dorgonischen Geschichte eine herausragende Rolle. Sein Ursprung verlor sich in der mythischen Frühzeit Dorgons, über die außer dem sogenannten Codex Ocassus keine geschichtlichen Quellen existierten. Das erste, geschichtlich durch Quellen verbürgte Erscheinen fiel in die Zeit der Gründung des Kaisertums durch Domulus. Davon sollte ihm Osbarus erzählen.

»Volcus könnte die Wende in einem zermürbenden Krieg bringen«, stellte Ambush fest und wartete auf eine Reaktion seines Gegenübers. Der nickte, während er verträumt in seinen Kelch starrte. Dann nahm er noch einen kräftigen Schluck und gab ein fröhliches Ächzen von sich.

»Deshalb steht er auch in Verhandlungen mit der Föderation Estartischer Separatisten. Diese Bande um Elgalar, Carilla und den Quarterialen muss zerschlagen werden. Dorgon einfach ins Quarterium einverleiben? Nicht mit uns!«

»Deshalb ist Volcus der Protector Dorgonis?«

Wieder nickte Osbarus heftig. Er hatte Feuer gefangen.

»Dorgon befand sich vor 95.000 Jahren bereits am Tiefpunkt. Dabei hatten die Dorgonen sich planetarisch vereint, doch dann fielen die arachnoiden Charkos über uns her. Die Geißel der Galaxie. Sie errichteten ein Reich des Terrors. Sie versklavten die Dorgon und fraßen sie buchstäblich auf.«

»Der Teil ist mir bekannt. Das Vermächtnis der Charkos wirkt bis heute.«

Ambush schenkte seinem Gast nach. Der bedankte sich, ehe er weitererzählte.

»Was du nicht weißt, Terraner, ist, dass Domulus Hilfe hatte, als er die ersten Charkos erschlug. Jahrtausende vergingen und die dorgonische Menschheit stand vor der Vernichtung. Nur noch wenige Hunderttausende vegetierten in den Zuchtlagern der Charkos, die endgültige Ausrottung stand bevor. Da erschien dem jungen Ägonen Domulus, der gerade zwei Charkos erschlagen hatte und in den Dschungel geflohen war, ein Wesen aus Licht mit der Macht eines Gottes, er wurde in den Himmel entrückt und dort ausgebildet.

Als Domulus schließlich zurückkehrte, waren auf Dorgon nur wenige Tage vergangen, obwohl er Jahre in der Welt jenseits des Himmels verbracht hatte. Domulus wurde wiedergeboren, er pflanzte den Keim des Aufstandes in die dahinvegetierenden Massen und führte die Dorgonen innerhalb weniger Jahre zum Sieg.«

Osbarus’ begeisterter Gesichtsausdruck zeigte, was er empfand. Dann stieß er auf. Ambush reichte ihm ein kleines Glas mit Sake.

»Eine Spezialität meines Volkes aus der terranischen Region Japan. Reiswein«, erläuterte er.

Dankend nahm der Dorgone das Geschenk an, kippte die Flüssigkeit hinunter und schnalzte anerkennend mit der Zunge. Mit der linken Hand griff er auf seinen Sushiteller und stopfte sich den Fisch in den Mund. Er brauchte sichtlich eine Grundlage für sein Besäufnis und die Geschichten, die er noch zu berichten hatte.

»Als sichtbares Zeichen der Gunst der Götter trug er ein machtvolles Schwert, das die Feinde Dorgons tötet wie eine Sense, die Grashalme schneidet. Als Protector wurde dieses Schwert zur Legitimation des dorgonischen Kaisertums, wobei der Träger des Schwertes den Ehrennamen Protector Dorgonis führen durfte.«

»Das Schwert ist also das Symbol des Protector Dorgonis«, stellte Ambush fest und nickte bedächtig.

»In der Tat. Unter Domulus begann der kometenhafte Aufstieg der Dorgonen. Ein einheitliches Reich entstand und der Kaiser wurde zum Lehrer des Volkes. Doch bereits unter seinem Nachfolger Romanus ging der Protector wieder verloren.«

In Verbindung mit dem Codex Ocassus vermutete Sato, dass es sich bei dem geheimnisvollen Lichtwesen um einen alten Dorgonen handelte, der den Bruderkrieg überlebt hatte. Die Quellen waren sich uneins. Vielleicht war es auch der Kosmotarch DORGON gewesen.

Jedenfalls stand fest, dass die Dorgonen in der Folgezeit M 100 kolonisiert hatten. Die Charkos waren ausgerottet worden, die Reiche der Zarketos und Tutsamen gefallen. Nach Jahrzehntausenden war das dorgonische Sternenreich in viele kleine Fürstentümer zerfallen. Dorgon wurde zu einer Republik und trat vor 28.000 Jahren in die Dienste der Kosmokraten. 10.000 Jahre lang dienten sie den Mächten der Ordnung, doch dann war es zu einem Bruch gekommen.

»Wann kehrte der Titel wieder zurück?«, fragte Ambush schließlich. Er hatte sich die Sakeflasche geholt und schenkte sich selbst nach.

»Dazu wollte ich gerade kommen. Das dorgonische Volk war der vielen Kriege in Diensten der Kosmokraten müde. Nachdem der dorgonische Senat die Allianz mit den Ordnungsmächten aufgekündigt hatte, drohte der Kosmokrat Sipustov mit der Vernichtung. Strafexpeditionen der Ordnungsmächte drängten die Dorgonen bis auf ihre Heimatwelt zurück, die Kosmokraten rüsteten die verschiedenen Fremdrassen mit moderner Technik aus, Milliarden Dorgonen wurden ermordet. In dieser Situation tauchte das geheimnisvolle Schwert wieder auf. Konsul Scullinus gelang es, das Heimatsystem zu schützen und mit der neuen Hypertron-Technik die Hilfsflotten der Kosmokraten zurückzuschlagen.«

Erneut pausierte der Dorgone und musste aufstoßen. Der Reiswein schien stärker zu wirken, als Ambush recht war. Dass jemand ihn wie Wasser trinken würde, hatte er nicht vorhergesehen. Osbarus kicherte.

»Wir haben den Kosmokraten richtig den Hintern versohlt. Darauf ein Prost, so heißt das ja bei euch, richtig?«

Sato nickte. Sein Lächeln blieb undurchdringlich.

»Prost«, rief Osbarus und erhob den Weinkelch, den er nun auch in einem Zug leerte. Er stellte ihn so ungeschickt ab, dass Ambush Sorge trug, er würde zerbrechen. Schnell füllte er nach.

Osbarus erzählte weiter: »Fast schien es nun so, dass damit eine neue Blüte Dorgons bevorstand, doch Scullinus wurde von einer unbekannten Krankheit befallen, die zum Wahnsinn führt, und der Protector verschwand wieder. Daraufhin wurde Scullinus auf Befehl des Senats entmachtet und verhaftet, doch seine Nachfolger waren völlig korrupt und unfähig, sie verspielten endgültig die Einheit der Republik.«

»Und weiter?«

Ambush nahm einen Schluck von seinem Ginseng-Tee.

»Erneut versank Dorgon in einem Bürgerkrieg, der zum endgültigen Verfall der Republik führte. Die folgende Zeit ging unter der Bezeichnung »Dunkle Jahrhunderte« in die Geschichte ein. Dorgone kämpfte gegen Dorgone, die nichtmenschlichen Völker erhoben sich und griffen nach der Herrschaft in der Heimatgalaxie, eine starke Zentralmacht, die Frieden und Sicherheit garantieren konnte, war nicht mehr vorhanden. Das dorgonische Reich zerfiel in unzählige kleine und kleinste Staaten, die sich gegenseitig bekämpften. Der Senat auf Dorgon war ohne Macht.«

Osbarus seufzte. Er wirkte nun grüblerisch, stocherte mit dem Finger zwischen Reis und Fisch herum.

»Noch etwas zu trinken?«, erkundigte sich der Japaner.

»Immer«, sagte Osbarus und schob den Becher nach vorn. Sato schenkte ein, während der Dorgone seine Spielerei mit dem Essen beendete. Er nahm den Kelch und lehnte sich zurück.

»Dorgon lag in Trümmern, die Raumfahrt war weitgehend eingestellt, selbst die Verbindung mit den verschiedenen Kolonialvölkern wie Jerrer, Jarvaren oder Tasumen war abgebrochen. Auf dem Heimatplaneten selbst herrschte ein Klima der Dekadenz und des Verfalls. Durch die Plebistribune hatte der Abschaum der dorgonischen Gesellschaft die Macht ergriffen und die Republik in den Abgrund geführt. Orgastische Feste und blutige Massenhinrichtungen waren an der Tagesordnung, die öffentliche Moral verkam.«

Osbarus nahm wieder einen kräftigen Schluck. Und stieß wieder auf, diesmal noch ungehemmter als vorher.

»In dieser Situation wurde der junge Helsuki Jusilus zum Senator des sechsten Planeten gewählt. Jusilus nahm die erste Gelegenheit wahr, an Bord einer Planetenfähre von Helsuk nach Dorgon zu reisen. Dort schuf er sich innerhalb des dorgonischen Plebs eine Massenbasis und wurde schließlich zum Plebistribun ernannt. Jetzt tauchte der Protector wieder auf und verhalf Jusilus zu einem kometenhaften Aufstieg. Er einte Dorgon, schlug die nichtmenschlichen Völker und beendete die Zeit der Republik. Schließlich krönte er sich selbst zum Kaiser und ordnete das Kaiserreich in vier Protektorate, die durch vier Konsuln regiert werden. Der Senat wurde weitgehend entmachtet und die Macht auf den Kaiser und die Konsuln konzentriert.«

Mit einem letzten großen Schluck leerte er den Kelch und warf ihn hinter sich. Der Versuch, die Arme zu heben, endete schnell. Er hielt sich fest. Dann seufzte er.

»Jusilus sollte den Aufstieg Dorgons nicht mehr erleben. Bei der Krönungsfeier fiel er unbekannten Meuchelmördern zum Opfer. Dabei verschwand der Protector wieder und blieb verschollen.«

»Bis heute?«, fragte Ambush.

Osbarus lächelte. Seine Wangen waren rot. Er wirkte aufrichtig glücklich.

»Bis jetzt …«

Dann kippte er auf die Liege und schloss die Augen.

Ungebetener Besuch aus Dorgon

Gedankenverloren blickte der ehemalige Chef der Prettosgarde und jetzige Verteidigungsminister Dorgons auf die Aufzeichnung des Berichtes, den Tribun Regus Novus vor Kurzem im Zentralkommando auf Ijarkor abgegeben hatte.

Seit der Machtübernahme durch das Quarterium hatte sich die dorgonische Flotte, sofern sie nicht zu Vesus übergelaufen war, auf die Kontrolle Siom Soms konzentriert. Dabei hatte sich nach dem Patt bei der Schlacht um den Dunklen Himmel, das eigentlich eine Niederlage war, eine Aufteilung der Interessensphären ergeben. Beinahe wäre die letzte Bastion der Separatisten gefallen, doch dann waren diese fremden Entropen aufgetaucht und hatten der dorgonischen Übermacht getrotzt.

Leticron und das Quarterium bauten Erendyra zu einer galaktischen Festung aus, wobei sie eine Politik der verbrannten Planeten betrieben. Die quarterialen Flottenverbände und CIP-Einsatzkommandos brachen jeden Widerstand und ermordeten dabei ganze Planetenbevölkerungen. Überlebende wurden im Zuge der Artenbestandsregulierung auf speziellen Planeten interniert, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen Rohstoffe abbauen mussten, die das Quarterium für eine beispiellose Aufrüstungspolitik benötigte.

Es war ersichtlich, dass Leticron einen weiteren Schlag gegen den Dunklen Himmel plante, für den er sich die notwendigen Reserven aus den Ressourcen Erendyras schaffen wollte. In Siom Som dagegen musste er auf Anweisung des neu gebildeten dorgonischen Senats eine zurückhaltende Politik gegenüber der estartischen Urbevölkerung führen.

Es war geradezu ein Witz der Geschichte, aber Despair hatte mit der Auslöschung des dorgonischen Senats dafür gesorgt, dass viele neue und unabhängige Senatoren gewählt wurden, die ihr Amt zumindest solange ernst nahmen, bis sie durch entsprechende Zuwendungen von der Richtigkeit der Politik der dorgonischen Krone überzeugt waren.

*

Carilla nahm den Datenkristall aus dem Lesegerät und warf ihn in den Desintegrator. Der Inhalt war bereits während des Lesevorgangs auf den zentralen syntro-positronischen Verbundrechner übertragen, chiffriert und archiviert worden. Die Analyse des Berichts hatte klar ergeben, dass Regus Novus unfähig und ein Feigling war. Was konnte er auch von einem Patriziersöhnchen erwarten, das sein Kommando ausschließlich seinen Beziehungen zu verdanken hatte. Nun, er würde dem Tribun Gelegenheit geben, seine Tapferkeit zu beweisen.

Ein böses Lächeln umspielte die Lippen des Dorgonen, während er einen anderen Kristall in das Lesegerät einlegte. Mit einem Handgriff schaltete er das Dämpfungsfeld ein, das seine Zentrale gegen jede Art von Spionagemitteln abschirmte. Dann aktivierte er erneut das Lesegerät.

Das Gesicht eines asketisch wirkenden Dorgonen entstand innerhalb des Holoprojektionskubus. Endlich erhielt er Nachrichten aus dem Dunklen Himmel. Tribun Jullisus Pompaesus musste gewichtige Informationen erhalten haben, dass er das Risiko auf sich nahm, eine auf einem Datenkristall verschlüsselte Nachricht an ihn zu senden.

»Hail Carilla, Protektor Dorgonis, ich grüße dich!«

Das strenge Gesicht in der Projektion verzog sich zu einer Grimasse, die wohl Ehrerbietung ausdrücken sollte. Der »Schlächter Dorgons« lächelte freudlos. Wie würden all die Höflinge und Schranzen reagieren, wenn sie über seine wahre Herkunft Bescheid wüssten? Er, Carilla, war ein namenloser Bastard, der Sohn einer Palasthure gewesen. Auf seinem Weg nach oben hatte er die gesamte Familie seines Erzeugers ausgelöscht und schließlich, mit der Unterstützung des Kaisers Thesasian, dessen Erbe angetreten.

Namenlose Wut erfüllte ihn. Wie er dieses Arschgekrieche verachtete! All die verweichlichten Patriziersöhnchen, deren einziger Lebensinhalt darin bestand, sich Sorgen zu machen, ob sie zur nächsten Orgie eingeladen wurden, hingen wie Parasiten am verwelkenden Leib der Ernährerin Dorgon. Sie erachteten es als ihr natürliches Geburtsrecht, dass ihr Lebenswandel durch das dorgonische Reich garantiert und erhalten wurde.

Viel lieber waren ihm da die Patriziertöchterchen, die von ihm geradezu fasziniert waren. Sein Flair als brutaler Machtmensch schien auf die verwöhnte Weiblichkeit des dorgonischen Adels eine geradezu magische Anziehungskraft auszuüben. Auf jeden Fall hatte er keine Probleme, sich immer, wenn ihm danach war, mit entsprechender weiblicher Gesellschaft zu versorgen.

Seine Hand griff nach dem Glas mit schwerem Rotwein von seiner neuen Heimatwelt Mesoph. Nachdem er das Glas mit einem Zug geleert hatte, bekam er sich wieder unter Kontrolle. Mit einem kurzen Sprachbefehl ließ er die Nachricht nochmals von vorn ablaufen …

Er bekam Besuch aus Dorgon, ungebetenen Besuch, der sich zudem noch nicht einmal bei ihm angemeldet hatte!

Jagdsaison

Die schwarze Walze mit den goldfarbenen Intarsien ging über dem zweiten Planeten einer orangefarbenen Sonne der Spektralklasse K in einen engen Orbit. Aus den erbeuteten Sternkarten und Datenbanken wussten sie, dass der Planet exakt ihren Anforderungen entsprach. Es war Zeit, mit der versprochenen Ernte zu beginnen, hier und jetzt!

In der Zentrale machten sich die Jäger und Jägerinnen bereit, mit einem Beiboot auf dem Planeten zu landen, der laut den Karten und Datenbanken den Namen Gavvr trug. Seine humanoiden Bewohner wurden als Gavvrons bezeichnet, nicht dass das für die Jäger eine besondere Rolle gespielt hätte. Wichtig war allein, dass Gavvr abseits der Handelsrouten lag und seit Jahrhunderten anscheinend von den Völkern Siom Soms vergessen wurde, niemand würde sie also bei der Ernte stören.

Medvecâ betrachtete seine Bräute und verzog das Gesicht zu einem lüsternen Grinsen. Zumindest eine entsprach voll und ganz seinen Vorstellungen. Mit einem raschen Schritt trat er hinter sie und umfasste ihre Brüste besitzergreifend. Natalia lehnte sich in seinen Arm und begann, verlangend zu stöhnen, während Katherina wütend seine Hand zur Seite schlug.

»Kommt, meine Hübschen, die Jagd ist eröffnet!«

*

Etwa dreißig Ylors hatten das Dorf umstellt. Ihre hohlen Augen leuchteten. Endlich würde ihr unwürdiges Dasein beendet sein! Blut, menschliches Blut würde den untoten Alyskern ihre vollen Kräfte wieder zurückgeben.

Blut und Fleisch aus dem Riff sicherten zwar ihr Überleben, aber nur menschliches Blut machte aus ihnen wieder denkende Wesen, die zu zielgerichtetem Handeln fähig waren. Neben dem Reiz der Jagd diente die heutige Ernte dazu, genügend Blutreserven zu erbeuten, um weitere Ylors aus der geistigen Dämmerung befreien zu können.

In den Burgen der ewigen Nacht vegetierten Millionen und Abermillionen von ihnen vor sich hin als reißende Bestien, die nur von ihrer Gier zu fressen beherrscht wurden. Sie waren unfähig zu sterben, Opfer der Grausamkeit der Kosmokraten. Doch menschliches Blut würde sie aus der ewigen Nacht reißen und zum Instrument der Rache machen.

Medvecâ hielt seine Artgenossen nur mit Mühe unter Kontrolle. Der Blutdurst machte sie rasend, obwohl er sorgfältig unter den vernünftig Denkenden seiner Untertanen gewählt hatte. Schließlich gab er es auf und entließ sie aus seinem mentalen Bann. Lautlos wie der Wind kam der Tod über das kleine Dorf. Dreißig blutdürstende Bestien begannen zu rasen.

Katherina wusste nicht, was sie dazu bewog, den rasenden Ylors in das Dorf zu folgen. Das grausame Schlachten stieß sie einerseits ab und übte jedoch gleichzeitig eine Faszination auf sie aus, die sie sich nicht eingestehen wollte.

Gebannt beobachtete sie eine der völlig entstellten Gestalten, die dabei war, einem jungen Gavvron Fleischstücke aus dem Körper zu reißen. Der Humanoide schrie furchtbar, bis der Ylors ihm die Kehle durchbiss und gierig das in einer hohen Fontäne aus der Halsschlagader sprudelnde Blut trank.

Das Blut hatte einen eigenartigen Effekt auf den Untoten: Die entstellte Gestalt begann, sich zu verändern. Pergamentartige Haut wurde glatt und seidig, die vereinzelten struppigen Haarsträhnen wurden lang und länger und umrahmten plötzlich ein junges Gesicht von eigenartiger Schönheit.

Wie in Trance trat Katherina näher. In diesem Moment richtete sich die Gestalt auf. Aus dem Zerrbild eines Menschen war eine attraktive Frau geworden. Bevor Katherina reagieren konnte, hatte die Ylors sie angesprungen und bohrte ihre Reißzähne in die linke Brust. Laut schrie sie um Hilfe, doch es schien sie niemand zu hören.

Trotz der Schmerzen registrierte sie voller Abscheu, wie sich eine Hand zwischen ihre Schenkel bohrte. Wieder schrie sie auf. Eine Hand riss die Ylors von ihr herunter und warf sie an eine Hüttenwand. Sie blickte in das zynische Lächeln Medvecâs.

»Katherina, meine Braut. Du musst wissen, dass du noch nicht vollkommen gewandelt bist. Erst durch die Blutgeburt wird das Geschenk der Kosmokraten vollends aktiv, das dich zu einer vollwertigen Ylors und meiner würdig macht. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, die Geburt zu vollziehen.«

Dann wandte sich der Fürst der Ylors ab und sprang einen Jugendlichen an, der versuchte, in den nahen Wald zu fliehen. Er zog den Schreienden zu ihr.

»Hier, meine Fürstin. Junges Blut, das noch nicht bei der Braut gelegen hat, schmeckt wie süßer Wein, koste!«

Mit diesen Worten hielt er ihr die Kehle des Jungen vor den Mund. Unwillkürlich zog sie den Geruch, den der Junge verströmte, durch die Nüstern.

Süß, lieblich und verlockend.

Ohne ihr Zutun öffnete sie den Mund und leckte mit der Zunge über die Lippen.

Warum eigentlich nicht? Es war ihre Natur, ihr Bedürfnis, ihr Leben!

Plötzlich spürte sie, wie ihre Eckzähne zu wachsen begannen.

Spitz, lang, länger!

Ein kehliges Knurren entstieg ihrer Kehle. Sie öffnete die Augen, die sie bisher geschlossen hatte, und blickte genau in die vor Schreck aufgerissenen Augen des Jungen.

Grauen, Entsetzen, Angst, Todesangst!

Nein!

»Nein, nicht, ich werde nicht zur Bestie. Lieber sterbe ich!«

Sie versuchte, Medvecâ wegzustoßen, doch der lachte nur.

»Na dann nicht, meine Geliebte. Warten wir also, bis die Gier deine Skrupel überwindet.«

Mit diesen Worten warf er den Jungen zu der Ylors, die noch immer an der Hüttenwand kauerte. Momente später kündeten entsetzliche Schreie davon, dass der Junge seinem Schicksal nicht entkommen würde. Medvecâ hielt ihren Kopf und zwang sie, seinem Todeskampf zuzusehen.

»Siehst du, Katherina, meine geliebte Braut, deine Skrupel haben sein Leben nicht gerettet. Im Gegenteil! Du hättest ihm einen schnellen Tod geben können, doch Semtrayn wird mit ihm spielen. Er wird langsam, sehr langsam und sehr schmerzvoll sterben. Schau dir sein Sterben genau an, und genieße es!«

Sie versuchte wieder, ihn wegzustoßen, was er diesmal zuließ. Taumelnd kam sie auf die Füße und begann wegzulaufen.

Weg, nur weg von den Schreien, weg von den Augen, irgendwohin!

Um sie herum waren plötzlich Bäume. Blind lief sie weiter.

Weg, weg von der Gier nach Blut, weg!

Hinter sich hörte sie das Gelächter der Ylors. Dann spürte sie, wie zwei Arme sie umschlangen und zu Fall brachten.

»Endlich, ich habe eines der Ungeheuer gefangen.«

Sie versuchte, sich loszureißen, was mit einem Tritt in den Magen beantwortet wurde. Der Schmerz fraß sich in ihre Sinne und spülte alle Hemmungen beiseite. Wut, Angst und Schmerz vermischten sich und ließen ihren Instinkten freien Raum.

Mit einem Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte, sprang sie den Gavvron an und brach mit einem Griff sein Genick. Ihre Hand bekam den Jagdspieß zu fassen, der neben ihm am Boden lag, und rammte ihn dem anderen Gavvron in die Brust.

Lautes Klatschen riss sie aus ihrem Rausch. Als sich ihr Blick klärte, erkannte sie Medvecâ und Natalia, die sie amüsiert beobachteten. Natalia griff ihr ins Haar und zog sie auf die Füße.

»Komm mit, wir sind fertig und können gehen, unsere Jagd war erfolgreich.«

Katherina stolperte neben ihrer ehemaligen Freundin her, während sie versuchte, die wilde Gier nach Blut unter Kontrolle zu bringen, die sie in dem Handgemenge überkommen hatte. Während sie zurück zum Beiboot gingen, fiel ihr Blick auf die klägliche Reihe von Jammergestalten, die von den Ylors mit Neuropeitschen vor sich her getrieben wurden. Es waren noch Dorfbewohner übrig.

Die Jagd der Ylors war erfolgreich gewesen …

Ränkespiele zwischen Paxus, Dom und Siom Som

Diese Welt ist der Wille zur Macht — und nichts außerdem!
Und auch ihr seid dieser Wille zur Macht — und nichts außerdem!

Friedrich Nietzsche, Wille zur Macht

Dom (Dorgon) und Chanukah (Absantha-Gom)
bis Mitte November 1307 NGZ

Volcus, der neu gewählte Konsul des Protektorats Mesaphan, ließ seinen Blick über die endlose Menschenmenge schweifen, die das weite Feld des Decrusian-Platzes im Zentrum von Dom bevölkerte.

Stolz auf die kulturellen Leistungen seines Volkes erfüllte ihn, als er die vollkommene Harmonie zwischen Altertum und Moderne auf seine Sinne wirken ließ. Der Dom und besonders der Decrusian-Platz spiegelte die Kultur Dorgons in vollendeter Weise wider.

Im Unterschied zu vielen anderen Dorgonen hatte er die Heimat verlassen und sich in anderen Galaxien umgesehen. Seine Studienreisen hatten ihn sowohl nach Paxus und Mankind als auch auf einige Planeten der neuen Provinz Estartu geführt und nur seine Überzeugung gestärkt, dass die Kultur des dorgonischen Kaiserreiches allen anderen Mächten des Universums weit überlegen war.

Es war für ihn geradezu ein Schock gewesen, als die Barbaren aus Cartwheel es gewagt hatten, sich an der Person des Kaisers und der Kaiserin zu vergreifen, und das heilige Kaisertum Dorgons mit der Okkupation des Thrones durch den Herrscher Cartwheels besudelten. Das war der Moment gewesen, als er von DORGON berufen wurde. Er änderte sein Leben als zielloser Bonvivant und setzte nun die enormen finanziellen Mittel aus seinem Erbe ein, um politischen Einfluss zu erlangen, anstatt sie sinnlos in endlosen Gelagen und Orgien zu verschleudern.

Nach einem kurzen Blickkontakt mit seiner rechten Hand Kruppus und seinem Berater Osbarus setzte er sich in Bewegung. Ihre kleine Gruppe durchpflügte die riesige Menschenmenge, die sich wie auf Kommando vor ihnen teilte. Die von ihm angeworbenen Söldner leisteten gute Arbeit und schufen ausreichend Platz.

Mit geübtem Auge registrierte Volcus, dass eine der beweglichen Antigravkameras auf ihn aufmerksam geworden war und sich über ihm postierte. Das war der Moment, auf den sie alle gewartet hatten. Elenia, die Tochter von Falcus, schritt auf ihn zu.

Gekleidet war sie wie eine antike Priesterin DORGONS, also in eine lange, fast durchsichtige Toga, die die Brüste freiließ und ihre sinnliche Gestalt umspielte. Um die Hüften wurde sie durch einen goldenen Gürtel gerafft, dessen Schnalle eine stilisierte Vulva als Fruchtbarkeitssymbol trug. Das lange Haar wurde durch das klassische Sternendiadem aus dem Gesicht gehalten, das sie als eine geweihte Priesterin DORGONS auswies.

Mit aufreizenden Schritten bewegte sich Elenia auf ihn zu, um ihm den zeremoniellen Kniefall darzubieten. Spätestens jetzt, das wusste er genau, würden Millionen und Abermillionen Dorgonen sabbernd vor den Holoprojektoren sitzen, Elenia im Gedanken nackt ausziehen und sich die Zeiten zurücksehnen, zu denen die Priesterinnen DORGONS in den Tempeln gegen Opfergaben ihre Liebesdienste anboten.

Volcus hatte im Moment jedoch sein Ziel erreicht: Die Aufmerksamkeit des männlichen Teils des dorgonischen Volkes war ihm sicher. Elenia beugte nun auch den Kopf und küsste seinen vorgestreckten linken Fuß, während Osbarus ebenfalls den zeremoniellen Kniefall vollzog und ihm dabei eine geöffnete schwarze Schatulle darbot, um die sich als plastisches Relief der Sonnendrache DORGONS zog.

Innerlich triumphierte er. Bis zuletzt hatte er befürchtet, dass die etwas aufmüpfige Tochter seines Vorgängers die Zeremonie torpedieren würde, indem sie ihm den Fußkuss verweigerte. Doch alles schien glatt zu gehen, die Aussicht auf das Amt der Hohen Priesterin DORGONS schien ihre Aufsässigkeit zum Erliegen gebracht und ihren Ehrgeiz angestachelt zu haben.

Nun war es soweit, die Provokation des unwürdigen Zerrbildes eines Mannes auf dem Thron der Väter und seines in Schande geborenen Schlächters konnte beginnen. Der Augenblick war genau geplant, Dorgonia stand genau über dem Kaiserpalast und badete die Statuen der drei gottgleichen Kaiser Dorgons in geheimnisvolles Licht:

Domulus, der Gründer des dorgonischen Kaiserreiches, Sulvetius, der die Herrschaft über die gesamte Galaxie ausdehnte und schließlich Jusilus, der die Jahre der Zwietracht und der Republik beendete und das Kaisertum neu begründete.

Für einen Moment schien es ihm, als würde neben den erhabenen Statuen der gottgleichen Kaiser ein weiteres Standbild sichtbar werden, das ihm zu Ehren errichtet werden würde.

Mit beiden Händen hob er das Langschwert aus dem geheimnisvollen Metallkasten, der von der Sonnenschlange DORGONS behütet wurde, hielt es hoch. Dann zog er die Klinge blank und küsste sie. Danach ergriff er das Schwert mit beiden Händen und stieß es triumphierend in den Abendhimmel.

Auf diesen Moment hatten seine Begleitung und ganze Kohorten von gekauften Schaulustigen, die sich rings um ihn gruppiert hatten, gewartet. Sie alle begannen den Ruf zu skandieren, der ihn nahezu unangreifbar machen würde.

Salus, Protector Dorgonis, Salus!

Hiermit hatte er dem Schandfleck auf dem Thron Dorgons den Fehdehandschuh hingeworfen. Die Gruppe um ihn hatte sich wieder erhoben und strebte quer über den gewaltigen Platz zum Portal des Kaiserpalastes, dessen gewaltiges Säulentor auch optisch den Bereich des Kaisers und seiner Berater gegenüber dem profanen Lebensbereich der gewöhnlichen Bürger Dorgons abgrenzte.

Sein Weg würde ihn bis vor das Tor führen, um sich den wartenden Senatoren anzuschließen. Danach würden sie jedoch nicht den Kaiserpalast betreten, sondern zusammen am Rand des Decrusian-Platzes entlang zum wiedererrichteten Senat gehen. Dort würde Elgalar, der Schandfleck auf dem Thron von Domulus, die neu gewählten Senatoren und Konsuln als Co-Kaiser auf das Reich vereidigen müssen.

*

Die JUSILUS trat aus dem Sternentor, das die Entfernung zwischen Dorgon und den Galaxien seiner neuen Provinz Estartu auf die Zeit eines Wimpernschlages verkürzte. Um das riesige Adlerschiff des Dorgon-Typs tobte ein hyperphysikalisches Chaos, das in den äußeren Staffeln des Hypertronschirms ein Feuerwerk normalenergetischer und hyperenergetischer Effekte entfachte.

Von allen bekannten Sternentoren DORGONS war das Tor der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTU bei Som-Ussad physikalisch am auffälligsten. Durch die nahe Kalmenzone griff das Zentrums-Black Hole Siom Soms über die Entfernung von dreitausend Lichtjahren gierig nach jedem übergeordneten Energiequant, das im Bereich um die ehemalige Kalmenzone freigesetzt wurde.

Durch die Normalisierung der Psi-Konstante und den anschließenden DORIFER-Schock während der Jahre 447 und 448 NGZ stabilisierten sich zwar die Verhältnisse innerhalb der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS, die Kalmenzone um das Zentrum Siom Soms wurde jedoch unberechenbar.

Nach wie vor unterbanden die hier herrschenden hyperphysikalischen Gegebenheiten sowohl die Hypertropzapfung aus energetisch übergeordneten Universen als auch die direkte Sonnenzapfung durch das Hypertron-Prinzip. Warum DORGON das Sternentor ausgerechnet hier positioniert hatte, blieb unverständlich, die Standorte der anderen Sternentore zeigten, dass anscheinend keinerlei physikalische Voraussetzungen für den Standort vorgegeben waren.

Da die Schiffe der Dorgon-Klasse über genügend Energiereserven verfügten, um von der permanenten Hypertropzapfung unabhängig zu sein, hatte sich Volcus entschlossen, den Weg durch die Sternentore zu nehmen. Bei kleineren Einheiten oder auch Frachtschiffen hatte sich dagegen der Hypertaktflug als wesentlich sicherer erwiesen, was angesichts der relativ geringen Entfernung von etwa elf Millionen Lichtjahren zwischen Dorgon und Siom Som auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu vertreten war.

Für seine Mission hatten die hyperphysikalischen Verhältnisse um das Sternentor zudem den Vorteil, dass Carilla und Leticron keine Flottenverbände im direkten Umfeld der Singularität stationieren konnten, sodass eine direkte Kontrolle des Sternentores unmöglich war.

Die JUSILUS ließ Som-Ussad hinter sich, durchquerte Siom Som und nahm Kurs auf Absantha-Gom. Hier, im Randgebiet der Überlappungszone mit Absantha-Shad lag ihr Ziel, die Welt Chanukah, wo er sich mit Vesus treffen wollte. Der Adler brauchte für die Entfernung zwischen den beiden Galaxien etwa zwei Tage, was einem Überlichtfaktor von zweihundert Millionen Lichtjahren entsprach.

Volcus war gespannt, den legendären Admiral persönlich kennenzulernen. Auf Dom hatte er Informationen erhalten. Nach diesen hatte sich der ehemalige Oberbefehlshaber der dorgonischen Flotte mit etwa 25.000 Schiffen nach Absantha-Gom zurückgezogen und die Galaxie zu seinem persönlichen Protektorat erklärt. Außerdem hatte er mit den Kräften der FES im Dunklen Himmel ein Verteidigungsbündnis geschlossen, das die gegenseitige Unterstützung im Falle eines direkten Angriffes durch Leticron oder Carilla vorsah.

Für seine weiteren Pläne war es unerlässlich, dass er die Unterstützung des Admirals gewann. Sein Blick suchte seine neue Verbündete, die ihm zufrieden zulächelte. Kurz dachte er an die vergangene Nacht zurück – auch er musste Opfer bringen, um sein großes Ziel zu erreichen. Und eines dieses Opfer war dieser Bauerntölpel Saraah gewesen, die sich nun wohl einbildete, er würde sich ernsthaft für sie interessieren.

Unwillkürlich schüttelte es ihn. Er selbst war das Opfer! Die Nacht mit ihr war so gewöhnlich, so ganz ohne jede Raffinesse gewesen. Wenn er sein Ziel erreicht hatte, musste er sie so schnell wie möglich loswerden, das war er seiner Selbstachtung schuldig. Doch noch war es nicht soweit. Deshalb beugte er sich über sie und küsste verlangend ihren Mund.

»Hoffentlich kommt Vesus nicht auf die Idee, uns abzuschießen, Liebling.«

Lachend entgegnete sie, nachdem sie seinen Kuss mit einem dicken Schmatzer erwidert hatte:

»Keine Angst, solange ich dich unterstütze, wird Vesus loyal zu dir stehen, großer Protector Dorgonis!«

Einen Moment stutzte er. Hatte sie etwa Verdacht geschöpft? Ihre spielerische Entgegnung konnte auch als Drohung ausgelegt werden. Er musste vorsichtig sein und vor allem die Treffen mit Elenia zumindest vorläufig beenden.

Die JUSILUS war inzwischen in einen hohen Parkorbit um Chanukah gegangen. Vesus hatte zuvor bewiesen, dass er zu Recht der Oberbefehlshaber der dorgonischen Flotte geworden war. Bereits beim Eindringen in die äußeren Schichten von Absantha-Gom hatten Wachschiffe seiner Flotte den Adler abgefangen. Saraah hatte aber schnell die Situation geklärt und Verbindung mit dem Admiral aufgenommen.

*

Die kleine Flotte aus den fünf Adlerschiffen verließ Absantha-Gom und nahm Kurs auf den Dunklen Himmel. Volcus konnte die erste Etappe seines Planes abhaken: Vesus hatte angebissen und sich seinem Kommando unterstellt. Die Zeit war gekommen, zur Phase Zwei überzugehen …

Boldar, Einsatzzentrale der Neuen USO Cartwheel
17. November 1307 NGZ

Die JUSILUS war zusammen mit der DOMULUS auf Boldar gelandet, nachdem Vesus Verbindung mit der Führung der FES aufgenommen hatte. Sam als Sprecher der FES stimmte einem Gespräch mit der Delegation um Volcus zu und lud den Dorgonen nach Boldar ein.

Die Schleuse am Schwanz der JUSILUS lag etwa 50 Parsus über dem Niveau des Landefeldes. Ein Parsus war ein dorgonisches Längenmaß und entsprach 6,14 Metern. Die Höhe von umgerechnet 307 Metern gestattete Volcus einen grandiosen Rundblick über den Raumhafen und bestärkte den dorgonischen Konsul im Gefühl der Überlegenheit seiner Kultur über alle anderen Völker, wenn er die machtvolle Eleganz der Adlerschiffe mit den einfallslosen Kugelraumern der Terraner und ihrer Verbündeten verglich.

Sein Blick suchte die DOMULUS, die neben der JUSILUS gelandet war. Vesus hatte das dorgonische Flaggschiff bereits verlassen und flog in einem offenen Kampfgleiter mit seiner Leibwache aus Prettosgardisten in Richtung des Verwaltungstowers, vor dem eine Militäreinheit angetreten war. Es war an der Zeit, den eigenen Auftritt zu zelebrieren. Das Antigravfeld trug ihn sanft nach unten, wo ein reich verzierter Prunkgleiter schon auf ihn wartete.

Da zu erwarten war, dass seine Ankunft durch unzählige Feldoptiken genau verfolgt wurde, hatte er mit Osbarus und Kruppus ein entsprechendes Schauspiel abgesprochen, um seine Rolle als Protector Dorgonis zu unterstreichen.

Innerlich gratulierte er sich, den Hinweis von Osbarus aufgegriffen und die uralte Legende des Protector Dorgonis wiederbelebt zu haben. Was er zuerst nur als reine Propagandamöglichkeit angesehen hatte, entwickelte zunehmend ein Eigenleben. Auch Vesus war beeindruckt gewesen. Sogar er selbst bekam so langsam Zweifel, ob es sich nur um reinen Aberglauben aus den Wirren der dorgonischen Geschichte handelte. Die Medien sahen in ihm, seit er sich des Mythos bediente, die Hoffnung auf eine Wiedergeburt der alten Macht und Glorie des dorgonischen Reiches. Sei es wie es sei, die uralte Legende erwies sich geradezu als Garant für seinen weiteren Aufstieg.

Nachdem er von seinen Vertrauten entsprechend begrüßt wurde, stieg er, gefolgt von Kruppus, Osbarus, Elenia, Saraah und vier Prettosgardisten, in den Gleiter. Wenig später hatte der Gleiter den Tower erreicht und landete neben dem Gleiter des Admirals.

Der Konsul wartete, bis seine Begleitung vor dem Gleiter Aufstellung genommen hatte, um dann seinen Auftritt zu zelebrieren. Gemessenen Schrittes ging er an der Spitze seiner Delegation, zu der sich inzwischen auch Vesus und seine Begleitung gesellt hatten, auf die wartenden Vertreter der FES zu.

Das von Saraah organisierte Treffen mit der FES hatte sich als eine zwanglose Zusammenkunft herausgestellt, das nach ihrer Aussage dazu dienen sollte, bestehende Ressentiments abzubauen. Ihre Naivität langweilte ihn immer mehr. Die ehemalige Senatorin machte es ihm einfach zu leicht, sie in seinem Sinne zu manipulieren.

Was sollte man auch von der ehemaligen Sklavin vom Planeten Jerrer erwarten? Einzig ihre Ehe zu diesem terranischen Astronauten Mathew Wallace hatte sie doch populär werden lassen in der Heimat. Das »befreite« Volk der Jerrer hatte nach dem Ende von Kaiser Nersonos eine Ikone, eine Symbolfigur gebraucht. So war Saraah von der Sklavin zur Preconsus aufgestiegen.

Politisch hatte sie Dorgon nie Stabilität geben können, doch sie war im Gegensatz zu ihrer Freundin Arimad noch am Leben. Sie war neben Vesus die letzte bekannte Persönlichkeit aus der Rebellengarde, welche die kurze Ära des Uleman eingeleitet hatte. Und – er seufzte – sie langweilte ihn zu Tode.

*

Volcus biss herzhaft in die Keule irgendeines großen Vogels und wischte sich den Bratensaft, der ihm aus den Mundwinkeln rann, mit einer affektierten Geste aus dem Gesicht. Für einen kurzen Moment war er in Gefahr, die Beherrschung zu verlieren, als ihm der Fauxpas bei der Zusammenstellung des Menüs bewusst wurde:

Ein intelligenter Vogel ließ seinen Gästen Geflügel servieren.

Diese Gedankenlosigkeit zeigte nur zu deutlich, dass die Zeit der estartischen Völker abgelaufen war. Kein Dorgone mit Kultur wäre zum Beispiel auf die Idee gekommen, seinen Gästen gegrillte Affenschenkel aufzutischen. Diese Völker waren einfach ohne Kultur und überfordert damit, ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen.

Immer mehr fühlte Volcus die Bürde des Amts auf sich lasten. DORGON selbst hatte ihn zum Protector Dorgonis berufen, um in seinem Auftrag das Reich zu reformieren und Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden zu sichern. Die estartischen Galaxien, das fühlte er genau, waren der Testfall, mit dem die Gottheit ihn prüfen wollte. Es war die Aufgabe der dorgonischen Kultur, die barbarischen Völker und Rassen der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS durch die gütige und helfende Hand Dorgons auf den richtigen Weg zu führen.

Sein Blick wanderte zu den Verbündeten der Estarten, diesen Terranern, die ihm noch immer völlig rätselhaft geblieben waren. Wie konnte ein Volk mit dieser Naivität und Leichtgläubigkeit sich so lange erfolgreich auf der kosmischen Bühne halten? Gut, im Vergleich mit ihrer glorreichen Vergangenheit waren sie nur Kinder und begannen, die ersten zaghaften Schritte auf dem Parkett des Universums zu wagen, und doch schienen sie geradezu unverwundbar. Immer wieder gelang es ihnen, eine sich bereits abzeichnende Niederlage in einen Sieg zu verwandeln.

Doch auch Terra und die übrigen von Menschen besiedelten Welten würden sich schließlich der Herrschaft der dorgonischen Krone unterordnen müssen. DORGONS Wille konnte und durfte sich niemand widersetzen, dafür würde er notfalls zu sorgen haben. Aber noch war es nicht soweit, das waren Zukunftsvisionen. Zuerst, und das war das Allerwichtigste, musste diese Schande vom dorgonischen Thron getilgt und die Souveränität des Reiches wiederhergestellt werden.

Noch interessanter aber waren die Dritten im Bunde, diese ominösen Entropen. Eine Gesellschaft, die anscheinend nur durch Frauen regiert wurde, welche Blasphemie. Aber, und das musste Volcus zugeben, ihre Anführerin, diese Niada, war schon ein richtig appetitlicher Happen, den er, da war er sich gewiss, bei Gelegenheit vernaschen würde.

Ein Räuspern riss ihn aus seinen Fantasien. Sam, dieser komische Vogel, der als Anführer der FES fungierte, hatte sich erhoben und wollte anscheinend eine Rede halten. Nicht dass Volcus das Gezwitscher im Geringsten interessierte, aber solange das Bündnis mit den Estarten noch nicht zum Ziel geführt hatte, galt es, mit den Wölfen zu heulen, wie das bei den Terranern so treffend hieß. Oder mit den Vögeln – Niada hätte er jetzt lieber vor sich gesehen. Er nahm noch einen Schluck Wein.

Aber die Redewendungen des Gefiederten, das musste Volcus ihm zugestehen, waren einmalig. Er ließ also den Vogel auf seinem Teller Vogel sein und lauschte andächtig den schrägen Weisheiten, die ein anderer Vogel von sich gab. Dieser redete und redete über Plattheiten wie universeller Friede, Verständigung und Gleichberechtigung, gegenseitige Hilfe und Achtung der Völker untereinander.

Das Ganze langweilte Volcus. All diese hohlen Worthülsen würden erst durch die Idee der Pax Dorgona mit Inhalt gefüllt. Im Schutze des Kaiserreiches würden all die vielen nichtmenschlichen Völker in Frieden und Sicherheit leben können, sofern sie sich an die Gesetze des Reiches halten würden.

Sam beendete seine Rede, und nicht enden wollender Beifall brauste auf. Es war an der Zeit, dem etwas entgegenzusetzen. Volcus biss noch einmal in die Vogelkeule und spülte mit einem anständigen Schluck Wein nach. Dann erhob sich der hochgewachsene Dorgone. In den vergangenen Minuten hatte er sich geistig einige Notizen gemacht, wie er diese Versammlung von Rebellen, Idealisten und Aufrührern von seiner Friedfertigkeit und Wesensliebe überzeugen würde. Man bemerkte, dass er Sam antworten wollte, und eine erwartungsvolle Stille verdrängte das geschäftige Gemurmel.

»Meine lieben Freunde!«

Volcus machte eine Kunstpause und ließ seinen Blick über die Versammlung unterschiedlichster Wesen streifen. Aus den Augen blickte ihm Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen, aber auch Desinteresse, Misstrauen und kalte Ablehnung entgegen. Da wusste Volcus, dass es nicht leicht sein würde, diese Plebejer von der Ehrlichkeit seiner Politik zu überzeugen. Aber hatte er es nicht immer genossen, wenn die Früchte seiner Arbeit ihm nicht sofort in den Schoß fielen? Mit einer affektierten Geste warf er das Ende seiner Toga über die linke Schulter und fuhr fort:

»Verzeihen Sie mir, dass ich Sie als meine Freunde bezeichne, aber eint uns nicht alle ein großes, gemeinsames Ziel, nämlich Gerechtigkeit und Frieden überall zwischen den Sternen zu verwirklichen? Und in diesem großen und hehren Ziel sind wir doch Freunde, Brüder und Schwestern, die aufeinander angewiesen sind und sich gegenseitig vertrauen müssen. Deshalb gestatten Sie mir, einige Worte über die gemeinsame Vergangenheit unserer Völker zu verlieren.«

Wieder machte der Dorgone eine kurze Pause. Er bemerkte, dass sich seine Zuhörer in zwei Gruppen zu spalten schienen. Egal, die überwältigende Mehrheit schien an seinen einleitenden Worten Gefallen zu finden.

»Die Geschichte des Kaiserreiches Dorgon reicht Jahrhunderttausende zurück und wurde durch den Kosmotarchen DORGON wesentlich geprägt. In den langen Jahren unserer Geschichte haben wir unsere Galaxie geeint und, gemäß den Lehren unseres Vaters DORGON, alle nichtmenschlichen Völker unter den Schutz des Reiches gestellt. Sie alle sind Teil des Reiches und leben in Frieden unter dem Schutz des dorgonischen Kaiserreiches.«

Bevor Volcus weiterreden konnte, war ein fast kahlköpfiger, primitiv wirkender Terraner aufgesprungen, der ihn rüde unterbrach.

»Bullshit, nichts als gequirlter Bullsh…«

»Mister Tyler, das ist unerhört, Ihr Benehmen ist nicht zu tolerieren. Ich erwarte, dass Sie sich bei dem ehrenwerten Konsul für Ihren Fauxpas entschuldigen!«

Innerlich amüsierte sich Volcus köstlich. Das lief ja viel besser, als er es erwarten konnte. Dieser Somer, der als Anführer der Rebellen fungierte, war aufgesprungen und seine aufgeplusterten Federenden bewiesen, dass er sich in höchster Erregung befand.

Und noch jemand war aufgesprungen, wie er befriedigt registrierte. Vesus! Der alte Admiral umklammerte seine Waffe und schien mit der Beherrschung zu ringen. Gut, das zeigte, dass er ihn anscheinend bereits als seinen Kaiser ansah.

Inzwischen entwickelte sich ein wahres Durcheinander, jeder schrie seine Meinung heraus. Dabei zeigte sich rasch, dass die Gruppe um diesen unverschämten Terraner weitgehend isoliert war. Interessiert begann Volcus, diese Leute näher in Augenschein zu nehmen. Es handelte sich ausschließlich um Menschen. Besonders fielen ihm zwei Exemplare ins Auge, Männlein und Weiblein, die eine Aura aus Gewalt und Macht umgab. Neugierig ließ er seinen Blick über ihre seidig glänzenden, bis auf die Augenbrauen haarlosen Gesichter wandern.

Die musste er haben, den männlichen Hünen für die Arena und das Weibchen, nun, für dieses fiel ihm bestimmt noch eine weitaus interessantere Verwendung ein. Die schwarze Uniform, die sie wie eine zweite Haut umhüllte, modellierte jede Einzelheit ihres prächtigen Körpers.

Warum nur steckten die Terraner ihre Frauen in Uniformen? Die Wirkung dieser schäbigen Kleidungsstücke war der Schönheit einer Frau einfach nicht angemessen! Doch wer konnte schon Esprit und Kultur von den terranischen Barbaren verlangen? Eine sanft fallende Toga dagegen, die die Früchte der Araphaedia mehr erahnen ließ, als sie marktschreierisch zu präsentieren, würde die Fantasie beschäftigen. Doch überall auf den Welten dieser Barbaren hatte sich die Zweckmäßigkeit durchgesetzt, Geist und Kultur war auf der Strecke geblieben.

Was war auch von einem Volk anderes zu erwarten, das sich der primitiven Aequalitatis verschrieben hatte. Doch dann riss ihn die Entgegnung des etwas verschlampt wirkenden Terraners aus seinen Gedanken.

»Entschuldigen? Ich soll mich entschuldigen? Wofür? Warum? Vielleicht, weil euch einmal jemand die Wahrheit ins Gesicht schlägt, oder vielleicht dafür, dass ich nicht so naiv bin wie ihr leichtgläubigen Gutmenschen? Was wisst ihr eigentlich über diesen Dorgonen? Nichts, absolut nichts! Aber nein, der Herr Sruel Allok Mok, Entschuldigung, ich meine natürlich der ehrenwerte ehemalige Generalsekretär des Paxus-Rates, der weiß alles natürlich ganz genau.

Jawohl, der hoch angesehene Präsident der FES kann jedem Wesen, und natürlich jedem Menschen, tief in die Seele sehen und ist in seinem Urteil unfehlbar, geradezu allwissend, wie ja seine frühere Wertschätzung für den von mir völlig verkannten und total verleumdeten, von ihm aber hoch geachteten Emperador de la Siniestro zweifelsfrei bewiesen hat.«

Der Terraner machte eine Pause, um nach seinem Glas zu greifen. Ein weiterer Terraner schien die Gelegenheit nutzen zu wollen, um den Redeschwall zu stoppen. Volcus’ Selbstbeherrschung wurde inzwischen auf eine immer schwerere Probe gestellt, nur mit äußerster Mühe konnte er das in sich aufsteigende Gelächter unterdrücken – diese Terraner, einfach zu köstlich in ihrer primitiven Direktheit.

In der Gruppe um den Sprecher war inzwischen das Durcheinander noch größer geworden. Doch schließlich schien sich dieser Terraner wieder zu beruhigen. Der Somer nutzte die Gelegenheit, um nochmals das Wort zu ergreifen.

»Ich bitte den hochgeehrten Konsul des Protektorats Mesaphan vielmals um Entschuldigung für die Entgleisungen eines Mitgliedes meiner Delegation. Sam Tyler spricht nicht für die FES und auch nicht für die Neue USO Cartwheel, wie mir Jan Scorbit versichert hat. Sein unentschuldbares Verhalten wird noch diszipl…«

Weiter kam er nicht. Der Angesprochene stürmte einige Schritte auf den Somer zu, der unwillkürlich die Federenden spreizte und einen schrillen Schreckensschrei ausstieß. Es war lachhaft, geradezu surreal.

»So, ich gehöre also nicht mehr zu euch?«

Dabei stieß er mit dem ausgestreckten Finger in Richtung des Avoiden und fuhr fort:

»Ach, und der Herr Scorbit meint auch, dass ich für die vornehme Gesellschaft der Gutmenschen hier ungeeignet bin? Wisst ihr was, ich gehe jetzt, ihr könnt mich mal alle, ihr wisst schon … kreuzweise!«

Damit drehte er sich um und stampfte auf die Gruppe der schwarz Uniformierten zu. Nachdem er einen tiefen Schluck aus einer Flasche genommen hatte, drehte er sich nochmals um und verkündete:

»Übrigens, wenn ihr das nächste Mal einen Idioten braucht, der für euch die Kastanien aus dem Feuer holt, wenn die Kacke mal wieder am Dampfen ist, dann würde ich euch empfehlen, einen von euren Moralaposteln zu schicken.«

Damit drehte er sich endgültig um und ließ sich in einen in der Nähe aktivierten Kontursessel fallen, um seiner Lieblingsbeschäftigung zu frönen: der Vernichtung des Alkohols.

Der Somer schien von den Worten des Terraners überrumpelt. Er begann hektisch auf seinen zwei Laufzehen umher zu stolzieren.

Volcus beschloss, wieder die Initiative zu ergreifen, da es nicht in seinem Interesse liegen konnte, wenn es hier schon zum endgültigen Bruch kam. Für den Moment reichte es völlig aus, Zwietracht gesät zu haben, denn es mussten die Fremdherrschaft beendet und die Schande vom Thron der Väter vertrieben werden, ehe die Saat aufgehen sollte.

»Ich danke Ihnen für die freundschaftlichen Worte und nehme Ihre Entschuldigung gern an. Auch in meiner Heimat sind die Krieger nicht gerade dafür bekannt, Geist und Kultur zu repräsentieren. Und das ist, gestatten Sie mir diese kleine Anmerkung, wohl auch nicht ihre Aufgabe. Deshalb wurde die Macht innerhalb des Kaiserreiches Dorgon immer durch herausragende Mitglieder des dorgonischen Volkes, die Patrizier, ausgeübt, die über die entsprechende Erziehung und Ausbildung verfügten.

Unserer Erfahrung nach, und ich weiß, dass Sie in der LFT und auch innerhalb der FES da anderer Meinung sind, haben nur die wenigsten Mitglieder einer Gesellschaft die Kenntnisse und Fähigkeiten, über den weiteren Weg zu entscheiden und, auch das ist unsere unbedingte Überzeugung, noch viel weniger haben die Moral, sich selbstlos in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Deshalb, und das ist unsere in den Jahrtausenden der Republik bitter gewonnene Erfahrung, darf der breiten Masse eines Volkes niemals das Recht eingeräumt werden, über Wohl und Wehe des Staatswesens zu entscheiden, denn die Masse ist und bleibt unfähig, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen.«

Hier machte Volcus eine kleine Pause, um seinen Worten Gelegenheit zu geben, in das Denken meiner Zuhörer einzusickern. Dann fuhr er fort:

»An der Spitze unseres Staatswesens steht der Kaiser, der, so sollte es zumindest nach dem Willen DORGONS sein, Moral, Kenntnisse und Fähigkeiten in einzigartiger Weise in seiner Person vereinigt, – kurz gesagt: Der Kaiser verkörpert Dorgon und Dorgon wird verkörpert durch den Kaiser. Leider, und auch das will ich hier klar zum Ausdruck bringen, gelang es dem gemeinsamen Feind, dessen Namen ich hier nicht nennen muss, die dorgonische Gesellschaft zu unterwandern und selbst die Kaiser in seinem Sinne zu manipulieren. Diese Entwicklung gipfelte in der verwerflichen Übernahme der Macht durch das Quarterium und der Inthronisierung der unwürdigen Schande, die gegenwärtig den heiligen Thron Dorgons okkupiert hat. Deshalb wird es meine Aufgabe sein, dieser Missachtung aller Traditionen des glorreichen dorgonischen Kaiserreiches Einhalt zu gebieten. DORGON hat mich berufen, um als sein Stellvertreter die Schande vom Thron der Väter zu fegen und die Souveränität des Reiches wiederherzustellen.«

Wieder machte Volcus eine kurze Pause und ließ seinen Blick über die Versammlung unterschiedlichster Wesen schweifen. Während er in den Gesichtern der Terraner sowohl Zustimmung, Skepsis und auch offene Ablehnung lesen konnte, blieb ihm die Physiognomie der Fremdrassen ein Rätsel. Wenn er allerdings seine zweifellos überlegene Intelligenz in seine Beurteilung mit einbezog, war er sich gewiss, dass er ihr Misstrauen längst abgebaut hatte. Jetzt galt es, in einem grandiosen Finale sie ganz auf seine Seite zu ziehen.

»Sie werden sich nun vielleicht fragen, welchen Vorteil die FES oder auch die Neue USO von einem Bündnis haben soll. Lassen Sie mich die Antwort auf diese berechtigte Frage wie folgt zusammenfassen …«

Erneut unterbrach Volcus seinen Redefluss, um einen Schluck Wasser zu nehmen, bevor er fortfuhr.

»Durch die Rückkehr zu den Idealen der Väter wird das Kaiserreich Dorgon seine schützende Hand über die Völker Estartus halten und sie vor der Barbarei des Quarteriums schützen, genau wie die ermordete Kaiserin Arimad es uns in ihrem Vermächtnis hinterlassen hat. Darüber hinaus wird sich das Kaiserreich, ganz im Sinne seines Schöpfers DORGON, aktiv an der Allianz gegen die Verkörperung der Dunkelheit und Missachtung allen Lebens beteiligen. Deshalb, meine Freunde, lasst uns gemeinsam die Zwietracht zwischen unseren Völkern überwinden, dann werden wir auch die Bedrohung durch die Finsternis, die sich MODROR nennt, bezwingen und der ewigen Herrschaft von Frieden und Gerechtigkeit zwischen den Galaxien zum Durchbruch verhelfen.«

Einen Moment war jeder Laut verstummt, dann, zuerst etwas zaghaft, brauste unbeschreiblicher Jubel auf. Volcus hatte gewonnen.

Dass die kleine Gruppe der schwarz Uniformierten mit diesem unverschämten Terraner, die noch etwas Zulauf durch zwei Weibchen bekommen hatten, nach wie vor sich nicht an der Huldigung seiner Person beteiligten, hatte er erwartet. Später, wenn die Zeit gekommen sein würde, würde er ihnen die Missachtung seiner Person hundertfach zurückzahlen.

*

Sam Tyler und seine neuen Freunde der Gruppen Zero waren eine willkommene Abwechslung für Mathew Wallace. Der Erste Offizier der IVANHOE II war nach dem Auftritt des affektierten Dorgonen Volcus in schlechter Laune. Schirmherrin dieses Treffens war Saraah. Sie hatte Mathew unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie und Volcus vieles verband. Geistig und physisch wie auch die gleiche Volkszugehörigkeit. Mathew hatte kapiert, dass sie mit Volcus schlief. Das war also nun das endgültige Ende ihrer langen Beziehung.

Immerhin waren sie verheiratet gewesen. Er hatte einst Kopf und Kragen für sie riskiert. Und das war der Dank. Der Lohn der Gerechten war oftmals nichts weiter als Enttäuschung und Einsamkeit.

Doch Mathew war kein Mann, der den Kopf in den Sand steckte. Es gab noch viele hübsche Töchter von schönen Müttern. Allein auf der IVANHOE II gab es doch diverse Damen, mit denen er sich erst einmal hinwegtrösten konnte. Jenny Taylor und Tania Walerty waren natürlich die besten Bettpartnerinnen. Auch die Mutantin Myrielle Gatto war eine Wucht. Ein sehr wildes Kätzchen zwischen den Kissen. Im Grunde genommen brauchte er Saraah nicht, wäre da nicht das Gefühl, dass Liebe dauerhaft nicht durch reinen Sex zu ersetzen war.

»Der ist hier nicht willkommen«, stellte Tyler fest. Der ehemalige Söldner saß bei einem Humpen Bier. Shan Mogul, Feline Mowac und der gegen die beiden Oxtorner zierlich wirkende Corph de Trajn leisteten Tyler Gesellschaft. Eigentlich hatte sich Wallace vorgenommen, allein ein paar Bierchen zu zischen, aber kaum war er aufgetaucht, hatten sich die Kämpfer an ihn gewandt.

Wallace traute Volcus natürlich nicht über den Weg. Was sollte er auch von einem Typen halten, der es mit seiner Ex-Frau trieb? Außerdem war Mathew kein Politiker. Er war Raumpilot, Navigator. Ein Raumfahrer durch und durch. Politik interessierte ihn herzlich wenig. Er war glücklich, wenn er irgendein Raumschiff flog oder daran herumschraubte. Dennoch teilte er nicht die Euphorie von Sam und den anderen. Die Dorgonen hatten oft bewiesen, dass sie hinterlistig waren. Wieso sollte Volcus eine Ausnahme machen?

Die Zukunft würde zeigen, was die Unterstützung durch Volcus einbrachte. Mathew wandte sich lieber dem Bier und der Besitzerin der Bar zu, Detra, einer blondlockigen Schönheit, die Spaß am Leben hatte, und an ihm.

Som, Residenz des Militium-Magisters
18. November 1307 NGZ

Der Reinigungsdroide beseitigte die Spuren des Wutanfalls, den der Bericht des Tribuns bei Carilla hervorgerufen hatte. Es war wie immer: Dorgon stand sich selbst im Weg. Nicht nur, dass Vesus noch immer einen nicht zu vernachlässigenden Machtfaktor innerhalb des Kaiserreiches darstellte, die dorgonischen Patrizier garantierten geradezu, dass immer wieder neue Emporkömmlinge auftauchten, die sich berufen fühlten, die Macht über das Kaiserreich an sich zu reißen.

Die Zäsur, die die Eingliederung in das Quarterium darstellte, hatte daran nichts geändert – im Gegenteil!

Das Machtvakuum, das durch die Ausschaltung der gesamten Führungsschicht entstanden war, bot vielen jungen Patriziern die Bühne, um ihre eigenen kleinen Machtkämpfe und Intrigen auszutragen. Und so wie es aussah, würde Som und die gesamte Provinz Estartu zum Schauplatz eines solchen Machtkampfes werden, denn der neue Hoffnungsträger der dorgonischen Oberschicht beabsichtigte, die Provinz zu besuchen.

Carilla schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch, dann fegte er den Pokal voll teurem Wein zur Seite. Volcus war, in Abwesenheit von Falcus, zum Konsul des Protektorats Mesaphan gewählt worden und hatte sich sogleich an die Spitze der Opposition im Senat gesetzt.

Es war bezeichnend, dass er seinen Besuch nicht bei ihm, dem Statthalter Dorgons in der Provinz Estartu, ankündigte, sondern zuerst Kontakt mit Vesus und den verdammten Rebellen der FES suchte. Vesus hatte dann sofort die Gelegenheit ergriffen und seine Flotte von 25.000 Schiffen dem Senator unterstellt.

Knurrend sah Carilla zu, wie der Droide den Pokal aufhob. Das Problem des ehrgeizigen Senators würde er nicht allein lösen. Leticron war vor kurzem aus Cartwheel nach Erendyra zurückgekehrt, denn dieses Problem betraf auch den Überschweren. In weiser Voraussicht hatten sie zwischen Som und Topthor eine Hyperfunkverbindung über mehrere Relaisstationen aufgebaut, sodass eine direkte Kommunikation zwischen den beiden Galaxien möglich war.

Leticron hatte sich, im Gegensatz zu ihm, dazu entschlossen, sein Hauptquartier außerhalb der besiedelten Bereiche Erendyras einzurichten und dazu eine Extremwelt im Halo der Galaxie gewählt, die er Topthor nannte. Innerhalb der Galaxie begann die Besiedelung durch Überschwere und Terraner, wobei, schenkte man den Gerüchten glauben, bisher geächtete Biotechniken eingesetzt wurden, um einen raschen Anstieg der Bevölkerung zu sichern.

Der ehemalige Erste Hetran der Milchstraße und jetzige Quarteriumsfürst kündigte seinen Besuch auf Som an, nachdem er von Carilla über die neueste Entwicklung informiert worden war, und riet diesem, gegenüber Volcus diplomatisch vorzugehen, da er durch die Unterstützung von Vesus über ein nicht zu verachtendes Machtpotenzial verfüge. Außerdem habe er Paxus informiert und erwarte diplomatische Unterstützung durch die Führung des Quarteriums.

Paxus, 21. November 1307 NGZ

Männer sind fügsam und einfach zu lenken, sie unterwerfen sich leicht der Herrschaft der Frau, die über sie bestimmen will.

Valerie Solanas, Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer

*

Kaum auf Paxus angekommen, musste Stephanie die Welt wieder verlassen. Während die EL CID mit ihrem Vater und ihrem Bruder Perry Rhodan in der Lokalen Gruppe nachjagte, war sie kurzzeitig mit einem SUPREMO-Kreuzer zum Sternenportal geflogen, um nach Paxus zurückzukehren. Jemand musste an der Heimatfront nach dem Rechten schauen. Die Tochter des Emperadors plante ihre baldige Rückkehr in die Lokale Gruppe, doch eine andere Nachricht hatte sie aufhorchen lassen.

Stephanie de la Siniestro verließ den Paxus-Tower durch einen versteckten Geheimgang, der sie direkt zu ihrem im Hochsicherheitsbereich geparkten Gleiter brachte. Der CIP-Agent, der das Wachkommando befehligte, nahm unverzüglich Haltung an, als sie die Personenkontrollschleuse passierte.

Installierte Scanner hatten bereits ihr ID-Muster registriert und mit den gespeicherten Werten der Führung des Quarteriums verglichen. Wären hierbei Abweichungen aufgetreten, so wäre die Schleuse zur Todesfalle für sie geworden. Doch die ganzen Sicherheitsmaßnahmen, die auf entsprechende Vorschläge des CIP-Chefs Werner Niesewitz zurückgingen, registrierte sie im Moment nur am Rande.

Die Nachrichten aus Siom Som, die ein persönlicher Kurier Leticrons überbracht hatte, waren alarmierend. So wie es aussah, bestand die Gefahr, dass die innenpolitischen Unruhen des dorgonischen Kaiserreiches zu einem Staatsstreich führen könnten, der in einem Bürgerkrieg enden würde. Und ein Bürgerkrieg in Dorgon, der dann wohl auch nach den estartischen Galaxien greifen würde, war das Letzte, was die quarteriale Führung im Moment brauchen konnte.

Nach der Niederlage am Sternentor der Lokalen Gruppe war die militärische Macht angeschlagen, selbst eine direkte Invasion der LFT und ihrer Verbündeten in Cartwheel war nicht mehr auszuschließen. In dieser Situation war es für Paxus lebenswichtig, dass innerhalb der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS keine neuen Konfliktherde aufflammten, sondern der im Moment herrschende Status quo bestehen blieb. Stephanie war klar, dass nur das Bündnis mit dem dorgonischen Kaiserreich die Gewähr dafür bot, dass das Quarterium seine Position in den estartischen Galaxien bewahren und sichern konnte.

Die als Hinrichtung verkaufte Ermordung von Commanus und Arimad durch Cauthon Despair erwies sich als Bumerang, da die Legitimität der neuen Führung unter Elgalar und Carilla durch die dorgonischen Patrizier nie anerkannt wurde, die ihren Vater als neuen Kaiser ablehnten und als Fremdherrscher bekämpften. Elgalar war gezwungen, um die brodelnde Volksseele einigermaßen zu beruhigen, einen neuen Senat wählen zu lassen. Dabei setzten sich in der Regel Patrizier durch, die der gegenwärtigen Regierung kritisch gegenüberstanden.

In der Person von Volcus, so schien es wenigstens, hatten sie einen charismatischen Anführer gefunden, der das Regime Elgalars zunehmend destabilisierte. Damit erschöpften sich ihre Kenntnisse. Sie hatte bisher keinen Anlass gesehen, sich mit der Lage innerhalb des Kaiserreiches näher zu beschäftigen, da sowohl ihr Vater als auch sie und Despair geglaubt hatten, dass es Elgalar und Carilla gelingen würde, ihre Macht zu stabilisieren – eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, wie sich jetzt herausstellte.

Inzwischen war der Gleiter der Prinzessin in der Tiefgarage eines Wohnturms gelandet, wo die Elite des Quarteriums unter sich blieb. Die ganze Siedlung war hermetisch von den umliegenden Stadtteilen von Paxus-Stadt abgetrennt und durch Einsatztruppen der CIP geschützt. Wer hier das Wohnrecht in einem der sündhaft teuren Appartements erhielt, gehörte zur neuen Elite Cartwheels und verfügte vor allem über Macht, Einfluss und Beziehungen. Daneben boten diese Luxuswohneinheiten den Schnüfflern der CIP die willkommene Gelegenheit, unter dem Deckmantel der Sicherheit, ein umfassendes Überwachungssystem aufzubauen, das die lückenlose Kontrolle der gesamten Führungsschicht des Quarteriums ermöglichte.

Der Turbo-Lift brachte sie direkt von der Parkbucht in ihr luxuriöses Penthouse. Bevor sie nach Siom Som aufbrach, musste sie versuchen, neue Informationen über die aktuelle Lage in Dorgon und den estartischen Galaxien zu bekommen. Mit ruhiger Hand aktivierte sie die abgeschirmte Interkomverbindung, die sie direkt mit der Einsatzzentrale der CIP auf Paxus verband. Auf dem Holokubus wurde der Oberkörper einer jüngeren Frau sichtbar, die die dunkelgraue Uniform des CIP-Innendienstes trug.

»Was wolle…«, kam die unfreundliche Nachfrage, die aber sofort korrigiert wurde, nachdem sie die Kennung der Außenministerin des Quarteriums registriert hatte.

»Entschuldigung, Prinzessin, was kann ich für Sie tun?«

»Ich brauche sofort eine Verbindung mit Marschall-Kommandeur Niesewitz, es ist äußerst dringend.«

»Einen Moment bitte, ich verbinde Sie!«

Das Hologramm löste sich auf und machte dem Symbol der CIP Platz, das wenig später durch den charakteristischen Kopf des allmächtigen Chefs des Geheimdienstes ersetzt wurde. Seine graublauen Augen, die in tiefe Tränensäcke eingebettet waren, musterten sie durchdringend. Mit einem leichten Kopfnicken begrüßte er sie.

»Prinzessin, was verschafft mir die Ehre?«

Dabei schienen sich seine Augen regelrecht an ihrem ziemlich freizügigen Dekolleté festzusaugen.

»Niesewitz, hören Sie auf zu sabbern, ich brauche dringend einige Informationen von Ihnen!«

Der Chef der CIP zeigte sich von der Entwicklung nicht überrascht und erklärte ihr, dass er so etwas schon lange befürchtet hätte. Die durch Despair verkündete Doppelregentschaft des Emperadors über Dorgon und Cartwheel sei nichts Halbes und nichts Ganzes gewesen. Das Quarterium hätte konsequent die Macht in ganz Dorgon übernehmen und die herrschende Patrizierschicht ausschalten müssen.

Insgeheim gab Stephanie ihm recht, aber sie war sich bewusst, wer da sprach, und ihre einzige Reaktion gegenüber der unverschämten Impertinenz dieses Lakaien war ein arrogantes Verziehen der Mundwinkel.

Wenig später meldete ein akustisches Signal den Eingang des angeforderten Datendossiers. Nachdem sie die Verbindung getrennt und es sich auf der Adaptiv-Liege bequem gemacht hatte, genoss sie die Massage durch fein abgestimmte Gravo-Felder und vertiefte sich in das übermittelte Dossier.

*

Noch am Abend des gleichen Tages verließ die Außenministerin des Quarteriums in einem Regierungsgleiter das Wohnviertel, um an Bord ihrer Luxusjacht zu gehen. Nach kurzer Überlegung hatte sie sich dagegen entschieden, das Angebot einer Passage auf einem Flottenschiff anzunehmen. An Bord ihrer Jacht war sie beweglicher und vor allem von niemandem abhängig oder kontrolliert. Der Datenkristall mit den Dossiers der CIP war in einem kleinen Strahlungstresor gut geschützt und würde Stephanie innerhalb des dorgonischen Hoheitsgebietes gute Dienste leisten.

Gegen ihren Willen bewunderte sie Werner Niesewitz in gewisser Hinsicht: Obwohl er als Person absolut indiskutabel war, so war er in seiner Funktion als Geheimdienstchef geradezu genial. Auf dem Kristall befanden sich genügend Informationen, um die gesamte dorgonische Oberschicht zu kompromittieren. Wenn sie es darauf anlegen wollte, konnte sie durch gezielte Veröffentlichungen und Indiskretionen eine Revolution initiieren, die das ganze morsche System des dorgonischen Kaisertums hinwegfegen würde. Ihr Gesicht verzog sich zu einem zynischen Lächeln, das sie jedoch noch anziehender machte. Niemand ahnte, dass die Lieblingstochter des Emperadors dann am gefährlichsten war, wenn sie äußerlich einem Engel glich.

Nachdem der Gleiter den Raumhafen erreicht hatte und im Privatbereich der Siniestros gelandet war, ging sie sofort an Bord der MANDO, die wie eine schnittige, flache Dreiecksklinge vor ihr aufragte, flach und mit drei Spitzen. Das Schiff war eine Spezialkonstruktion, die es hinsichtlich der Kampfkraft mit jedem Schlachtkreuzer aufnehmen konnte.

Dazu kam, dass die MANDO an Beschleunigungsvermögen und Überlichtfaktor jedem anderen quarterialen Schiff überlegen war. Beim Bau der Jacht hatte sie aus dem Vollen schöpfen können, kein Galax, Quarter oder Credit war zu viel gewesen, um das Beste aus allen Teilen des bekannten Universums zusammenzukaufen.

Mit einem raschen Schritt trat de Siniestros Tochter in das Wirkungsfeld des Antigrav-Projektors, der sie in die offene Schleuse beförderte. Ohne Zögern verließ sie das Feld auch wieder und verharrte einen Moment innerhalb der Schleuse. Kurz registrierte sie das bekannte Ziehen, das davon zeugte, dass wieder ihr ID-Muster gescannt wurde. Ohne aufgehalten zu werden, betrat sie ihr Schiff.

*

Alles war wie gewohnt, die Besatzung funktionierte tadellos. Wohlwollend musterte Stephanie den Andro, der für die Funktion des Kommandanten konditioniert worden war. Das »Androidenfleisch«, wie sie die bedauernswerten Wesen zynisch nannte, unterschied sich äußerlich in keiner Weise von normalen Menschen. Es hatte Mund, Nase, Augen und selbst der kleine Unterschied zwischen den Beinen war voll funktionsfähig, wie sie sich selbst überzeugt hatte. Nach dieser Verwendung hatte sie allerdings dafür gesorgt, dass dieses »Ding« wieder in den Urzustand zurückversetzt wurde, aus dem es entstanden war.

Die Gelegenheit hatten sie gleich genutzt, mit der Belastungsfähigkeit des »Dings« zu experimentieren, auch hier ein voller Erfolg. Die Menge der Wunden und der Blutverlust, die das künstliche Leben wegstecken konnte, waren enorm und gaben zu berechtigten Hoffnungen Anlass. Sobald die Weiterentwicklung angegangen werden konnte.

Bald, da war sie sich sicher, würde Rhodan und seine Verräterclique an der lemurischen Rasse endgültig auf die Verliererstraße geraten. Alles, was sie dazu brauchten, war Zeit. Mit jedem Tag, an dem die erwartete Invasion der LFT ausblieb, wurden sie stärker. Und … bei diesem Gedanken gestattete sie sich wieder ein zynisches Grinsen, der Resident der LFT war der beste Garant dafür, dass sie genügend Zeit haben würden. Als im November die entropische Flotte versuchte, durch das Sternentor zu kommen, hatte sie geglaubt, dass alles verloren wäre, doch Rhodan hatte seine Verbündeten ins offene Messer laufen lassen.

Dieser Gedanke brachte ihr wieder den Anlass ihrer Reise nach Siom Som in Erinnerung. Unwillkürlich stieß sie mit zusammengepressten Lippen einen Fluch aus, der gar nicht zu der sonst so betont damenhaften Tochter des Emperadors passen wollte, sondern eher zu einer Gossendirne auf Mankind oder Paxus, die für ein paar Quarter für jeden, der zahlte, zu haben war.

Der Verlust von Erendyra und der Kontrolle über das Sternentor musste zu einer Katastrophe führen, durch die die Chance ungenutzt bleiben würde, die sie durch das Zögern Rhodans erhalten hatten. Doch noch war es nicht soweit, es würde ihre Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass das Bündnis zwischen Dorgon und dem Quarterium noch solange bestand, bis Shorne-Industries die Grundlagenforschung auf den geheimen Versuchsplaneten in Erendyra abgeschlossen und das Schöpfungsprogramm zur Serienreife entwickelt hatte.

Bisher war es leider noch so, dass die »Ausschussquote« exorbitant hoch und an einen kriegsmäßigen Einsatz der Androiden nicht zu denken war. Shorne-Industries hatte die biosynthetische Forschung auf abgelegene Lager der Artenbestandsregulierung in Erendyra verlegt, da die quarteriale Führung es nicht mehr gewagt hatte, das Schöpfungsprogramm innerhalb Cartwheels zu entwickeln.

Das Beispiel Objurshas hatte gezeigt, dass es nicht möglich war, innerhalb von Cartwheel eine vollkommene Informationskontrolle zu gewährleisten. Es lag in der Natur der Sache begründet, dass teilweise sehr unappetitliche Experimente nötig waren, um das Programm zur Produktionsreife zu entwickeln, und es würde zu einer Katastrophe für das Reich führen, wenn nur die geringste Information darüber nach draußen dringen würde.

Leticron hatte in Erendyra ganz andere Möglichkeiten, und zum Glück hatten die humanitären Sensibelchen um Rhodan und Aurec bisher noch keine Ahnung, welche Gefahr ihnen aus den ABR-Lagern Erendyras drohte. Dazu kamen noch die Werften in der Doppelgalaxie Barym, wo auf MODRORS Werftplaneten SUPREMO um SUPREMO auf den »Kiel« gelegt wurde.

In der kurzen Zeit, die seit der Katastrophe in der Lokalen Gruppe vergangen war, hatte ein steter Nachschubstrom durch die Sternentore Cartwheels und Siom Soms die Verluste bereits weitgehend ausgeglichen.

Cauthon Despair hatte darüber hinaus aus den Erfahrungen der Schlachten um Andromeda und die Draco-Kleingalaxie die Konsequenzen gezogen und die Werften in Cartwheel auf die Produktion von SUPREMO A-Schlachtschiffen und des neuen Raumjägertyps MANTODEA umgestellt, um ein Gegengewicht zu den Posbis und der Überlegenheit der von der LFT eingesetzten Raumjäger zu schaffen. Dabei wurden die SUPREMOS der A-Klasse dahingehend modifiziert, dass sie ausschließlich als Träger für 250-Meter-Fregatten und die neuen Raumjäger des MANTODEA-Typs dienen sollten.

Der Verzicht auf die immer noch nicht von ihnen beherrschbare dorgonische Technik, nämlich die Hypertron-Technologie und den zerstörerischen Hypertron-Impulser, und die Beschränkung auf die taktische Einsatzkonzeption als reine Omniträgerschlachtschiffe für den Raumkampf hatte dabei zu einer wesentlichen Steigerung der Kampfkraft geführt, da die vorhandenen Raum- und Energieressourcen wesentlich wirtschaftlicher eingesetzt werden konnten.

Wenn Rhodan und Aurec glaubten, dass das Quarterium schon geschlagen wäre, so konnte es ihnen nur recht sein. Das Erwachen würde für die Verräter an der Mission der lemurischen Rasse umso furchtbarer werden.

Stephanies engelsgleiches Gesicht verzerrte sich in grenzenloser Wut, bevor es der Lieblingstochter des Emperadors gelang, ihre Züge wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Mit der Routine einer erfahrenen Pilotin übernahm sie die Position der Kommandantin und startete nach der Freigabe durch die Raumkontrolle Paxus. Dass dabei mehrere bereits angemeldete Flüge umgeleitet oder abgebrochen werden mussten, scherte sie wenig. Hier, an Bord ihrer Jacht war sie endlich allein und unbeobachtet. Sie konnte ihre Maske ablegen und sie selbst sein. Das Androidenfleisch zählte nicht.

Alles Weiche, Frauliche fiel wie eine Schale von ihr ab, was zählte, war Härte, war allein der Wille zur Macht. Sie lehnte sich im Sessel zurück und dehnte die Schultern. Es gab viel zu tun.

Der Traum vom Frieden

Wenn ein Mensch stirbt, übergibt man ihn zum Opfer dem Feuer. Das Feuer wird sein Feuer, der Brennstoff sein Brennstoff, der Rauch sein Rauch, die Flamme seine Flamme, die Schlacken seine Schlacken, die Funken seine Funken. In diesem Feuer opfern die Götter den Menschen. Aus dieser Opfergabe ersteht in strahlendem Glanz der neue Mensch.

Brhadãranyaka Upanischad (VI, ii, 14)

Zur Ehre Dorgons
Som, 28. November 1307 NGZ

Volcus blickte über die nicht enden wollende Menschenmenge, die sich vor der Residenz des Militium-Magisters eingefunden hatte. Carilla hatte das Gebiet des ehemaligen Königstores eingeebnet und am Rand der künstlichen Ebene einen prunkvollen Palast nach dem Vorbild des Kaiserpalastes auf Dom geschaffen.

Die installierte Übertragungstechnik stammte aus dem verbündeten Quarterium und garantierte, dass seine Stimme auch in der letzten Ecke des gigantischen Areals in allen Nuancen hörbar war. Carilla hatte sich zwar anfangs dagegen gesträubt, ihm die Möglichkeit einer Rede vor den Abordnungen der dorgonischen Streitkräfte einzuräumen, hatte aber letztendlich eine direkte Konfrontation vermieden. Nun war es soweit, von seinen Worten würde seine Zukunft abhängen: Entweder würde er in den Kaiserpalast in Dom einziehen oder sein Leben in einem Kerker verlieren.

Die Blicke auf sich ziehend, schritt er nach vorn und trat hinter das pompöse Rednerpult. Vor diesem begannen die in antiken Rüstungen angetretenen Trommler einen dumpfen Rhythmus zu schlagen, der sich zu einem wilden Stakkato steigerte. Auf dem Höhepunkt des Trommelwirbels hob er die Hände, und sofortige Stille umgab ihn.

»Dorgonen, die Heimat grüßt euch und ist stolz auf ihre glorreichen Söhne und Töchter!«

Jubel wallte ihm entgegen, während die Trommeln ihren monotonen Rhythmus wieder aufnahmen, diesmal durch ein Pfeiferkorps unterstützt. Beschwörend hob Volcus die Hände.

»Unsere Heimat steht vor einem Wendepunkt der Geschichte. Es besteht die Gefahr, dass unsere Kultur den Interessen einer fremden Macht, die uns nicht versteht, geopfert wird.«

Wieder machte er eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.

»Der Thron Dorgons darf nicht als Spielball fremder Mächte dienen, auch wenn diese unsere Verbündeten sind. Deshalb muss es unser Ziel sein, wieder ein unabhängiges Reich zu errichten und die Regierung in würdige Hände zu legen. Ich rufe euch dazu auf, ihr tapferen Söhne Dorgons: Lasst uns gemeinsam einen Neubeginn im Geist unserer tapferen Vorfahren wagen, die einst gegen alle Widerstände eine ganze Galaxie erobert und befriedet haben!

Es ist nicht die Gier nach Macht und Reichtum, die uns treibt, unser Herrschaftsgebiet immer weiter auszudehnen, sondern das Bewusstsein, dass wir dem Universum etwas zurückzugeben haben, nämlich Sicherheit, Wohlstand und Kultur in einer friedlichen Gemeinschaft der Völker.

An dieser Stelle möchte ich auch ein Wort an unsere estartischen Untertanen richten und mich im Namen des dorgonischen Volkes für die Missachtung der Wesensrechte durch eine verblendete Clique von Usurpatoren entschuldigen. Es war nie das Ziel Dorgons, andere Völker zu erobern, zu unterdrücken und auszubeuten. Wir wollten immer als auserwähltes Werkzeug des Kosmotarchen DORGON den eingegliederten Völkern kulturellen Fortschritt bringen und sie durch die gütige und helfende Hand Dorgons auf den richtigen Weg bringen.

Deshalb rufen wir die estartischen Völker dazu auf: Arbeitet in unserem gemeinsamen Haus des Friedens, des Wohlstands und der Kultur mit, erfüllt es mit Leben! Das dorgonische Volk, und das kann ich hier an dieser Stelle versprechen, wird euch mit offenen Armen empfangen und seine schützenden Hände über euch halten!«

Wieder machte er eine Pause, um sich in dem aufbrausenden Beifall zu baden. Nachdem sich die Menge etwas beruhigt hatte, fuhr er fort:

»Ich danke Ihnen allen für Ihre Zustimmung und versichere Ihnen, dass ich mich bemühen werde, Ihr Vertrauen nicht zu enttäuschen. Aber ich stehe hier nicht allein. Lassen Sie mich meine wichtigsten Verbündeten vorstellen, die wie ich die Garanten für Freiheit, Frieden und Wohlstand Dorgons sein werden.

In allen Fragen, die die Flotte und das Militär betreffen, wird mich zukünftig ein Held unzähliger Schlachten beraten. Begrüßen Sie mit mir den Konsul des Protektorates Jusilus, Großadmiral Vesus!«

Volcus ergriff den hinter ihm stehenden Admiral am Arm und zog ihn nach vorn ins Rampenlicht. Dann fuhr er fort:

»Als Garantie für die Einhaltung der Freiheit und die Selbstbestimmung der einzelnen Protektorate wird die ehemalige Senatorin des Protektorats Rosza, die ehrenwerte Saraah, meinem Stab angehören!«

Wieder brauste unbeschreiblicher Jubel auf, während Saraah nach vorn neben Vesus trat. Volcus trat nun zwischen beide und ergriff ihre Hände.

»Lassen Sie uns hier, vor dem Volk Dorgons, das durch die Flotte repräsentiert wird, einen heiligen Eid ablegen. Nicht Eigennutz und selbstsüchtige Eitelkeit wird unser Handeln bestimmen, sondern einzig und allein der Dienst an unserer gemeinsamen Heimat Dorgon!«

Nachdem der nicht enden wollende Jubel abgeflaut war, zog der Konsul drei weitere Personen nach vorn, die bisher still im Hintergrund gewartet hatten.

»Weiter möchte ich noch drei weitere Bürgerinnen und Bürger Dorgons in unseren Bund einschließen, die mich von Anfang an begleitet und an mich geglaubt haben. Da wäre zuerst Kruppus, der Gefährte meiner Jugendtage und heute der Garant, dass unserer Sache das Geld nicht ausgeht. Neben ihm Osbarus, der seinen Lehrstuhl am ehrwürdigen Rhetoricum Scientia in Dom aufgab, um mich in allen Fragen von Forschung und Wissenschaft zu beraten. Und schließlich die ehrbare Tochter unseres hochgeehrten ehemaligen Senators Falcus, Elenia, die mit ihren Idealen für die Jugend Dorgons und gleichzeitig für die Wiederbelebung unserer heiligsten Traditionen steht. Sie alle werden mit mir für ein besseres Dorgon kämpfen, auf das wir alle stolz sein können.«

Erneut machte er eine Pause, um sich in den frenetischen Beifallsstürmen zu baden. Jetzt, da war er sich als erfahrener Redner sicher, war der geeignete Zeitpunkt gekommen, um den endgültigen Griff nach der Macht vorzubereiten. Er würde das Gesetz des Handelns diktieren. Carilla, das Quarterium und die Schande auf dem Thron Dorgons würden wie Marionetten in seinen Händen sein, sie würden tanzen, aber nach seiner Musik.

Genau wie vorher mit Vesus abgesprochen, traten beide wieder hinter das pompöse Rednerpult, während das vor der Tribüne angetretene Pfeiferkorps die ersten Akkorde des Imperialster erklingen ließ. Ab diesem Moment war das Spiel eröffnet, es ging um alles: Sieg oder Tod!

Ein schicksalhafter Marsch erklang. Der Imperialster war allein dem Kaiser vorbehalten, seine Herkunft verlor sich in den Wirren der dorgonischen Frühzeit. Als er begann, trat eine Kohorte Raumgardisten, die traditionelle antike Rüstungen angelegt hatten, neben die Pfeifer und nahm den Rhythmus des Marsches auf, indem sie mit den zeremoniellen Kurzschwertern gegen die Schilde schlugen.

Der dumpfe Schlag der Trommeln fiel ein und steigerte den Rhythmus zu einem wilden Stakkato, das den heldenhaften Kampf der dorgonischen Völker der Frühzeit gegen die spinnenartigen Charkos heraufbeschwor. Schließlich verkündeten die triumphierenden Posaunen den Sieg der dorgonischen Krieger über ihren Erzfeind.

Genau diesen symbolträchtigen Augenblick nutzte der alte Admiral, um ihm die schwarze Schatulle mit dem im Licht Sioms glänzenden Relief des Sonnendrachens DORGONS zu reichen, die das Langschwert des legendären Helden des Überlebenskampfes gegen die Charkos über den Lauf der Jahrtausende bewahrte, der nur unter seinem Ehrentitel Protector Dorgonis bekannt war.

Wieder tasteten seine Finger nach dem Öffnungsmechanismus und spürten, wie bereits auf Dom, das sanfte Vibrieren des Metalls unter seinen Fingerkuppen. Wenig später begann das Ziehen im Hinterkopf, das sich anfühlte, als ob sein Innerstes nach außen gezerrt würde.

Einen kurzen Moment der Klarheit lang empfand er unsägliches Grauen, bevor der Cocktail aus Machtgier und Egoismus die Herrschaft über sein Denken ergriff. Es war soweit, heute, in dieser Hora, würde er nach der Macht greifen und endgültig dem Pfad DORGONS folgen … der Thron der Väter wartete auf ihn. Seine Finger fanden die Kontakte, und ein rätselhafter Mechanismus, dessen Funktionsweise seinen fähigsten Wissenschaftlern noch immer verborgen blieb, trat in Aktion.

Genau in diesem Moment verstummten die Trommeln, die Pfeifer und Posaunisten schwiegen und eine erwartungsvolle Stille lag über dem weiten Areal. Unter dem gleißenden Licht der Sonne Siom, fern der Heimat Dorgon, vollzog sich die Weltenwende, das Zeitalter der Exsuscitatio hatte begonnen, der Geist DORGONS würde wiederkehren.

Volcus ließ seinen Blick erneut über die versammelte Menge schweifen, wissend, dass seine Stimme, sein Bild bis in die entlegensten Winkel Siom Soms und der Heimatgalaxie übertragen wurde. Geld, Beziehungen und kleine Gefälligkeiten hatten bereits in dieser Phase seines Aufstieges das morsche System der Fremdherrschaft mit der unaussprechlichen Schande auf dem Thron der Väter zum Wanken gebracht. Was nun folgen würde, war der Todesstoß.

Welch ein Moment! Der Griff der Waffe schmiegte sich geradezu in seine Finger. Er hatte sich bereits daran gewöhnt, kaltes Metall zu fühlen, doch stattdessen floss nun geheimnisvolle Wärme durch seinen Körper und schien jede Zelle mit Energie zu tränken.

Triumphierend hob er das Schwert und stieß es in den Himmel Soms. Die Klinge brach das Licht des Muttersterns und ein in allen Farben des Spektrums schimmernder Lichtstrahl zuckte über den Paradeplatz. Einen zeitlosen Augenblick lang empfand er Ewigkeit. Es war, als würde jeder Laut, jeder Atemzug des Lebens durch eine unbegreifliche Macht erstickt, verschlungen, um dann neu geboren zu werden.

Das Leben ging weiter. Wieder nahmen die Trommeln ihren dumpfen Rhythmus auf. Jeder Ton der fellbezogenen Kesselpauken zeugte von der Macht DORGONS. Und dann begann es: Zuerst war es wie das ferne Rauschen der Brandung, wenn die Wellenberge des Südmeeres sich an den Felsklippen Ägols brachen. Doch es wurde mächtiger und mächtiger, wurde zum Sturm, zum Orkan, der alles Morsche, alles Verdorbene hinwegfegen würde. Vieltausendfach erscholl der Ruf aus heiseren Soldatenkehlen, der ihn zum Sieg, auf den Thron der Väter tragen würde:

Hail, Volcus, Protector Dorgonis, Hail!

Immer und immer wieder peitschte der Ruf nach dem Erlöser Dorgons über die gewaltige Menge, durch bezahlte Einpeitscher angetrieben. Nach langer Zeit hatte er genug. Mit beiden Händen hob er den Protector in den Himmel Soms. Er senkte das Schwert des Namenlosen Königs, der die Knechtschaft der spinnenartigen Charkos für immer gebrochen und Dorgon den Weg ins All geöffnet hatte, und hob die Hand. Das sorgte augenblicklich für Ruhe. Einen kurzen Moment genoss er die Aufmerksamkeit und badete im Gefühl des Triumphs, bevor er mit seiner Rede fortfuhr:

»Ehrenhafte Kämpfer Dorgons! Nun gilt es, noch einen letzten Makel von unserer Bestimmung zu waschen. DORGON gab unseren Vätern einst den Auftrag, Geist und Kultur überall im Kosmos zu verbreiten und alle Völker, die allein für sich zu schwach sind, um im gnadenlosen Daseinskampf der Völker zu bestehen, unter unsere schützende Hand zu nehmen, aber auch jene zu strafen, die die Pax Dorgona, den Frieden Dorgons, brechen.«

Wieder machte er eine Pause, um der Menge die Gelegenheit zu geben, ihre Zustimmung herauszubrüllen. Dann brachte er sie mit einer Geste zum Schweigen. Siegesgewiss fuhr er fort:

»Doch die Väter haben, und das muss ich hier klar und deutlich aussprechen, uns nicht den Auftrag erteilt, fremde Galaxien aus schnöder Machtgier zu erobern und die hilflosen und unterentwickelten Völker auszubeuten und auszurotten.

In den vergangenen Jahren ist viel geschehen, was einer hochstehenden Kultur unwürdig ist. Die Schande unserer Politik in den Galaxien der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS droht das Erbe der Väter für immer zu beschmutzen. Das wird und darf nicht geschehen! Deshalb rufe ich alle Konfliktparteien auf, den Krieg und das gegenseitige Gemetzel zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Kraft meiner Autorität als Protector Dorgonis lade ich die Freien Estartischen Separatisten mitsamt ihren terranischen Verbündeten von der Neuen USO Cartwheel, die Vertreter der gegenwärtigen dorgonischen Regierung und auch die Vertreter des Quarteriums zu einer Friedenskonferenz nach Som ein, um hier, im Zentrum der alten Kultur der Somer, die Grundlagen für eine friedliche Zukunft zu legen.«

*

Abseits der gewaltigen Kundgebung verfolgte eine kleine Gruppe vornehm gekleideter Dorgonen die Inszenierung. Die Rede des neu gewählten Konsuls des Protektorats Mesaphan stieß hier allerdings auf wenig Gegenliebe, sondern wurde immer wieder durch höhnische Zwischenrufe und unflätige Bemerkungen begleitet. Das Ganze steigerte sich zu einem furiosen Finale, als Volcus seinen Vorschlag einer Friedenskonferenz zwischen dem Kaiserreich, den Rebellen und dem Quarterium äußerte. Es war, als hätten sich die ehrbaren Togaträger in eine Horde Mercantusschreier verwandelt – ein einziges Bild der Schande.

Der hünenhafte Dorgone, der allein an einem prunkvollen Tisch saß, erhob sich und registrierte zufrieden die öffentlich geäußerte Empörung. Er wartete noch einen Augenblick, bevor er die zur Faust geballte rechte Hand mit ganzer Kraft auf den Tisch schlug. Der dumpfe Schlag der Faust wurde durch das helle Klirren zerbrechender Gläser und Flaschen begleitet, die durch den Gewaltausbruch vom Tisch gewischt wurden.

»Ruhe, verdammt nochmal! Seid ihr dorgonische Männer oder ein Haufen verschreckter Waschweiber?«

Mit einem zufriedenen Grinsen registrierte der Militium-Magister der Provinz Estartu, dass seine lautstarke Äußerung Wirkung zeigte. Schlagartig verstummten die Senatoren und hohen Offiziere, die durch ihre Anwesenheit bezeugten, dass sie im politischen Ränkespiel um die Macht im Kaiserreich auf den Verteidigungsminister Dorgons setzten.

Carilla trug zum aktuellen Anlass seine alte Galauniform und den Stab Kaiser Thesasians, um dadurch seinen Anspruch auf die Herrschaft über das Reich auszudrücken. Der ehemalige Präfekt der Prettosgarde wusste dabei genau, dass nur die Hoffnung auf Macht und Einfluss und die Verachtung gegenüber Elgalar der Kitt seiner Koalition war.

All diese Schranzen, die sich katzbuckelnd um ihn scharrten, würden beim geringsten Gegenwind versuchen, ihm den Dolch in den Rücken zu stoßen. In ihren Augen war er nach wie vor ein Bastard, ein Schlächter, den man zwar im Augenblick brauchte, um ihn jedoch nach der Erringung der Macht so schnell wie möglich loszuwerden.

Nun, die Herren Senatoren, diese ganzen verweichlichten Parasiten würden sich noch wundern. Dorgon würde eine Blutnacht erleben, wie es sie im Laufe seiner langen, blutigen Geschichte noch nie gegeben hatte. Sein Amt als Verteidigungsminister gab ihm die Gelegenheit, den großen Schlag gegen die verkommene Clique aus Geld und Adel vorzubereiten, die Dorgon seit Jahrtausenden beherrschte. Sein großes Ziel war die Wiedererrichtung der Republik, in der er als Tribunus Plebis die Macht ausüben würde.

Um dieses Ziel zu erreichen, brauchte er das absolute Chaos, den Kampf Jedes gegen Jeden.

Dieser aufgeblasene Konsul, der sich schon als der Retter Dorgons feiern ließ, hatte ihn mit seiner Friedenskonferenz auf eine geniale Idee gebracht, wie er die Zeitenwende einleiten würde.

Dorgon würde unter seiner Führung aus den Trümmern eines intergalaktischen Massakers ohnegleichen auferstehen: stark, machtvoll und unbesiegbar!

Freunde unter sich
Boldar, 2. Dezember 1307 NGZ

Die IVANHOE II war in den Dunklen Himmel zurückgekehrt und auf Boldar gelandet. Die verlassene Upanishad-Schule hatte man zur Einsatzzentrale ausgebaut und diente gleichzeitig als zentraler Stützpunkt für die nichtestartischen Verbündeten der FES.

In den vergangenen Monaten hatten sich Somer, Elfahder, Duaras, Ophaler und die sonstigen Völker der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS vor allem auf Etustar, dem ehemaligen Sitz der Superintelligenz, konzentriert und die vorhandenen Einrichtungen der Singuva übernommen. Die Pterus hatten ebenfalls Boldar als Stützpunkt gewählt, bevor sie sich nach dem missglückten Attentat von Floryn Antoniak wieder nach Muun zurückzogen.

Allein eine kleine Gruppe um Panisha Soradan Mog Aro und seine Shada Ranrib war zurückgeblieben, um die Upanishad-Lehre weiterzuentwickeln und am Leben zu erhalten. Dem Panisha hatten sich vor allem Nachkommen der ehemaligen Vironauten angeschlossen, die nach der Deflagration des von den Kartanin gelagerten Parataus auf den Welten ESTARTUS gestrandet waren.

Es hatte sich gezeigt, dass alle nicht in der ehemaligen Mächtigkeitsballung der Superintelligenz beheimateten Wesen ein merkwürdiges Gefühl der Fremdheit empfanden, wenn sie sich länger auf Etustar aufhielten. Jan Scorbit und Niada als die Führer der nichtestartischen Verbündeten der FES hatten deshalb beschlossen, Boldar als zentralen Stützpunkt der Entropen und der Neuen USO Cartwheel auszubauen.

Xavier Jeamour blickte aus der Bodenschleuse der IVANHOE II auf das weite Rund des provisorischen Raumhafens. Auf dem künstlich eingeebneten und molekular verdichteten Gelände reihten sich die typischen Kugelraumer der LFT und die eiförmigen Schiffe der Entropen in endlosen Reihen aneinander.

Schon auf den ersten Blick war das Hauptproblem der Neuen USO erkennbar: Die großen Schiffe fehlten fast vollständig. Vorherrschend waren die 100-Meter-Einheiten der CERES- und VESTA-Klasse, während sich die geringe Zahl von Schlachtschiffen und Schlachtkreuzern der NOVA- und ODIN-Klasse innerhalb des weiten Geländes geradezu verlor.

Auch die wenigen 3000-Meter-BOXEN der Posbis, die den Weg in den Dunklen Himmel gefunden hatten, konnten die strukturelle Schwäche der Neuen USO nicht ausgleichen. Ohne die Unterstützung durch die Expeditionsflotte der Entropen wäre der Dunkle Himmel bei der letzten Offensive der verbündeten Dorgonen und Quarterialen gefallen.

Als einzige große Einheiten neben der IVANHOE II standen noch die FLASH OF GLORY und das reaktivierte Superschlachtschiff PRIDE OF PAST zur Verfügung. Der tausendfünfhundert Meter durchmessende Gigant der alten IMPERIUMS-Klasse war das Flaggschiff von Jan Scorbit, während der endgültige Status der FLASH OF GLORY noch immer vakant war. Das erbeutete Raumschiff wurde bisher von der USO verwaltet, die jedoch nicht genügend Besatzungsmitglieder für das Schiff hatte. Dadurch waren auch Saggittonen und Estarten Teil der Crew.

Roi Danton stolzierte mit seiner Begleiterin, der Buuralerin Pyla, am Kommandanten der IVANHOE II vorbei. Pyla versuchte, vor Jeamour seriös zu wirken, und grüßte mit aufgesetzter Stimme.

Zweifellos war die blutjunge Riffanerin eine Schönheit und verstand es, mit ihrem charmanten Lächeln die Männerherzen schnell höher schlagen zu lassen. Jeamour hingegen war zwar auch ein Mann und keineswegs unempfindlich gegenüber weiblichen Reizen, doch als Kommandant eines Schlachtschiffes wusste er sehr gut, so etwas unter Kontrolle zu halten. Schließlich hatte er gerade mit der lasziven Tania Walerty eine sehr attraktive Frau in seinen Reihen.

Der Belgier sah sich mehr als väterlichen Freund seiner Besatzungsmitglieder. Für andere Beziehungen war eher Mathew Wallace bekannt, was Jeamour manchmal arg störte.

»Bonjour, Monsieur Jeamour!«, sagte Danton gedehnt und wandte sich seiner Begleitung zu. »Wollen wir zum Konferenzgebäude spazieren, mon chérie?«

»Oui, mon Roi Roi«, erwiderte Pyla und kicherte über ihr Wortspiel. Jeamour war überrascht, dass sie die alte französische Sprache schon so gut beherrschte. Sicherlich hatte sie in Danton einen guten Lehrmeister. Pyla nahm natürlich nicht an der Konferenz teil. Sie zog es vor, sich die Geschäfte auf Boldar anzusehen.

Nach ein paar Minuten erreichten sie das Konferenzgebäude. Als Sam und ein Elfahder namens Mouhul aus Etustar eintrafen, waren sie endlich komplett, aber ihre Begrüßung war alles andere als überschwänglich. Innerhalb des Dashid-Saales herrschte eine eigenartige Atmosphäre, die aus Misstrauen und Feindseligkeit genährt wurde.

Die Führungscrew der IVANHOE II, mit Danton und Jeamour an der Spitze, bildete sozusagen die neutrale Zone zwischen der Gruppe um Sam und Jan Scorbit, während Sam Tyler und die ehemalige Gruppe Zero auch optisch einen klaren Gegenpart formten. Zu ihnen gehörten auch die beiden Mutantinnen Jeanne Blanc und Myrielle Gatto. Dazu kamen die Entropen mit Niada an der Spitze, die sich abgesondert hielten.

Nachdem sich die allgemeine Unruhe gelegt hatte, berichteten Sam und Jan Scorbit über die mit den Dorgonen um Volcus getroffenen Vereinbarungen. Sam war geradezu euphorisch, als er von der auf seiner Heimatwelt Som geplanten Friedenskonferenz berichtete.

An diesem Punkt wurde für die Crew der IVANHOE II deutlich, was zur gespannten Situation auf Boldar geführt hatte. Sam Tyler widersprach Sam leidenschaftlich, wobei er sich, wie so oft, völlig im Ton vergriff. Er vermutete hinter der geplanten Konferenz auf Som eine Falle, um die Führung der FES und der Neuen USO auszuschalten. Hiermit schien er genau die Ansicht der Gruppe Zero auszudrücken, die ihn mehrmals lautstark unterstützte.

Einen Moment schien es, als würden die Meinungsverschiedenheiten eskalieren und es sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen der beiden Gruppen kommen. Genau diesen Moment nutzte Roi Danton, um seinen Auftritt zu zelebrieren.

»Mesdames, Messieurs, je vous demande égards!«

Mit diesen Worten trat Perrys Sohn nach vorn, zog ein schneeweißes Taschentuch aus seiner Fantasieuniform und wischte sich mit einer affektierten Geste den imaginären Schweiß von der Stirn. Dieser Auftritt beruhigte für einen Moment die erregten Auseinandersetzungen, doch die gespannte Atmosphäre zwischen den beiden Gruppen blieb bestehen. Nachdem er kurz die Aufmerksamkeit genossen hatte, fuhr der ehemalige König der Freihändler fort:

»Ich biete an, meine langjährige Erfahrung in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen. Ich glaube, ganz im Sinne meines Vaters zu handeln, wenn ich Sam die bedingungslose Unterstützung der LFT und der USO zusichere. Um den geplanten Verhandlungen einen offiziellen Charakter zu geben, bin ich bereit, den Vorsitz zu übernehmen. Ich schlage daher vor, dass wir eine gemeinsame Delegation aller Gruppen aufstellen, die dann die Verhandlungen mit den Dorgonen und dem Quarterium auf Som führt. Ich denke, dass wir …«

Weiter kam er nicht, denn Shan Mogul, der während der Abwesenheit von Roland Meyers das Kommando über die ehemalige Spezialeinheit der CIP übernommen hatte, unterbrach ihn lautstark.

»Bevor wir hier irgendetwas beschließen, hätte ich einige Fragen. Zum Beispiel würde mich brennend interessieren, was aus der VIPER und ihrer Besatzung geworden ist. Um es genauer zu formulieren: Wo sind Maya und unser Kommandeur geblieben?«

Mit diesen Worten trat er einige Schritte auf Roi zu. Dieser wich unwillkürlich etwas zurück, denn der hünenhafte Oxtorner, dessen Gesicht von den Narben unzähliger Kämpfe gezeichnet war, wirkte selbst auf einen Unsterblichen einschüchternd, dazu kam, dass ihn Monkey bei der Einsatzbesprechung über die Person des ehemaligen Einsatzleiters der Abteilung Null des Ligadienstes genau informiert hatte. Ihm war völlig klar, dass er einem der gefährlichsten Kämpfer der Milchstraße gegenüberstand. So war es nicht verwunderlich, dass er mehrmals zu einer Antwort ansetzen musste.

»Es … es … tut mir leid, aber die VIPER wurde während des Einsatzes im Riff mehr oder minder vernichtet. Es gab außer Maya keine Überlebenden, und die ist im Riff verschollen!«

»Soll das bedeuten, dass Roland gefallen ist?«

»Ja, leider!«

»Interessant, und wann gedachte der Herr uns darüber zu informieren?«

Wieder zauderte Roi einen Moment, bevor er dem Oxtorner eine Antwort gab.

»Nun … hm, ich habe einfach nicht mehr daran gedacht, da ich die Aussicht auf eine Friedenskonferenz für äußerst wichtig gehalten habe. Aber ich hätte euch spätestens dann informiert, wenn ich wieder an Bord der FOG gekommen wäre.«

Schließlich einigte man sich darauf, dass eine Delegation mit Vertretern der Neuen USO und der FES die Verhandlungen mit dem dorgonischen Kaiserreich und dem Quarterium auf Som führen sollte. Sam Tyler und die Gruppe Zero hielten an ihrer Beurteilung fest, dass es sich bei der geplanten Konferenz nur um eine Falle handeln konnte.

Auch die Entropen waren nicht zu einer Teilnahme zu bewegen. So kam es, dass nur eine kleine Gruppe, mit Sam, Roi Danton und Jan Scorbit an der Spitze, mit einem Schiff der FES nach Som aufbrach. Die IVANHOE II blieb auf Boldar zurück, wobei das Oberkommando an Admiral Xavier Jeamour übertragen wurde.

Doch zuvor wäre es noch fast zum endgültigen Bruch mit der Gruppe Zero gekommen. Ausgelöst wurde diese Krise durch den Anspruch Roi Dantons, das Kommando über die FOG zu übernehmen und mit dem ehemaligen quarterialen Trägerkreuzer nach Som zu fliegen. Mit dieser Absicht stieß er auf den erbitterten Widerstand der Gruppe Zero, die erklärte, dass sie niemals mehr die Kommandogewalt des ehemaligen Königs der Freihändler akzeptieren würde. Außerdem wollte die Gruppe sofort zum Riff aufbrechen, um ihren Kommandeur zu rächen und Maya ki Toushi zu suchen.

Xavier Jeamour gelang es schließlich, eine Lösung zu finden, indem er, als ranghöchster Offizier des ehemaligen Terrablocks, Shan Mogul zum neuen Kommandanten der FOG ernannte und diesem zusicherte, dass man, nach Abschluss der Friedenskonferenz, gemeinsam eine Expedition zum Riff durchführen würde. Nach einer internen Abstimmung stimmte die Gruppe Zero dem zu und blieb weiterhin auf Boldar.

Zwei auf gleichem Weg

Die brünette Frau zog das Negligé über den Schultern zusammen, um dem kühlen Wind etwas Wärme entgegenzusetzen. Gedankenverloren nippte sie an dem langstieligen Kelch, den sie in der linken Hand hielt. Prickelnd rann der Champagner durch ihre Kehle, während ihr Blick die ferne Linie des Horizontes musterte.

Siom, die Sonne Soms stand tief und blutigrot über der Skyline und kündete an, dass auf der Hauptwelt der Somer die Nacht hereinbrach. Vor ihr lag eine Landschaft, die durch hoch aufragende, bizarr geformte Gebäude gekennzeichnet wurde, Gebäude, die keinerlei architektonischen Gesetzen zu gehorchen schienen und von jeglicher Schwerkraft befreit wirkten.

Über allem lag ein geheimnisvoller Hauch vergangener Größe, der die fröstelnde Frau an die aktuelle Lage in ihrer Heimat erinnerte. Die Menschen, die vor etwa tausend Jahren hierhergekommen waren, hatten für die Baukunst der Somer den Begriff Schlackearchitektur geprägt. Sie hatten Magma des ersten Planeten Allus, einer Gluthölle, mithilfe des Königstores nach Som transportiert und durch Antigrav-Felder, Vakuumtechnik und Überdruck zu einem einmaligen Baumaterial weiterverarbeitet.

Aber all dies war Vergangenheit und hatte nichts mehr mit der heutigen Situation zu tun. Die Völker der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS hatten sich seit dem Niedergang der Ewigen Krieger von der kosmischen Bühne verabschiedet, die Morgenröte eines neuen Zeitalters dämmerte herauf, der Mensch war dabei, sein Erbe anzutreten.

Die Frau setzte das Glas auf der Balustrade der Dachterrasse ab und ließ sich in den altertümlichen Sessel fallen, der noch aus natürlichen Materialien hergestellt war. Auch das zeugte ihrer Meinung nach vom Niedergang einer einst hochstehenden Kultur. Gebrauchsgegenstände aus Formenergie waren inzwischen auf den ehemaligen Welten ESTARTUS zu absoluten Luxusgütern geworden.

Mit geschlossenen Augen zündete sie eine der langen, dunklen Zigaretten an, die achtlos über dem kleinen Beistelltisch verteilt waren, und inhalierte den würzigen Rauch. Nach einigen Zügen bemerkte sie, wie sich ihr Geist zu klären begann. Gedankenverloren aktivierte sie nochmal den winzigen Holoprojektor, den ein persönlicher Bote des mesaphanischen Konsuls kurz nach ihrer Ankunft abgegeben hatte. Vor ihr entstand das Abbild eines hochgewachsenen Dorgonen, der in ihr eine lang verstummte Saite zum Klingen brachte.

Sie wollte ihn, wollte jeden Gedanken seines Geistes und jede Faser seines Körpers beherrschen, besitzen.

Gottesanbeterin, so hatte sie ein verflossener Liebhaber einmal genannt. Nachdem sie sich über die Bedeutung dieses Schimpfwortes informiert hatte, durfte der arrogante Jammerlappen die wahre Bestimmung der männlichen Fangschrecke am eigenen Leib erfahren.

Und doch war sie sich unsicher. Auf wen sollte sie, sollte das Quarterium setzen? Leticrons Empfehlung war klar: Carilla!

Doch der Verteidigungsminister Dorgons war keine ideale Lösung, das sagte ihr weibliche Intuition, dazu war er zu schwach und vor allem nicht in der dorgonischen Elite verwurzelt. Die Entscheidung für den ehemaligen Befehlshaber der Prettosgarde würde die dauernde Intervention Cartwheels, die Stationierung regulärer Truppenverbände in Dorgon erforderlich machen.

Innerlich verwünschte sie die überzogene Reaktion Despairs, Kaiser Commanus beim großen Aufräumen auf Dom über die Klinge springen zu lassen. Nach ihren Informationen hätte es wohl völlig genügt, diese Schlampe Arimad und das ganze andere Gesocks zu beseitigen, um Commanus wieder auf Vordermann zu bringen. Mit ihm als Aushängeschild und Carilla, der aus dem Hintergrund die Fäden zog, hätte sich Dorgon wieder stabilisiert. Und genau das war es, was sie im Moment dringend brauchten: Stabilität!

Erneut zog sie an der Zigarette. Leticron setzte, wie es seiner Psyche entsprach, auf Gewalt, doch je länger sie darüber nachdachte, umso schwerwiegender wurden ihre Zweifel. Elgalar als dorgonischer Co-Kaiser wurde durch die Patrizier abgelehnt und entzog Carilla so die notwendige Legitimation zur Ausübung seiner Macht. Die Folgen waren verheerend, die Erosion der Herrschaft über das Reich drohte inzwischen von Dorgon nach den estartischen Galaxien zu greifen, was für die Zukunft des Schöpfungsprogramms und die Sicherheit Cartwheels zur Katastrophe werden würde.

Wieder begann sie, die möglichen Alternativen gegeneinander Revue passieren zu lassen. Aber egal wie sie es drehen oder wenden würde, es blieb nur eine sinnvolle Entscheidung übrig: Elgalar und somit Carilla mussten weg.

Wütend warf sie das Glas über die Balustrade. Alles könnte so einfach sein. Der ehemalige Befehlshaber der Prettosgarde wäre normalerweise ein Bündnispartner genau nach ihrem Geschmack gewesen. Doch ein Kretin wie Elgalar zwang sie geradezu, Carilla fallenzulassen. Warum auch hatte Commanus seinen Bruder nicht rechtzeitig beiseitegeschafft? Jetzt konnten sie und das Quarterium das alles ausbaden und versuchen, das Beste aus einer verfahrenen Situation zu machen.

Nun gut, der nächste Kandidat wartete schon und der war zumindest als Mann äußerst attraktiv. Doch alle ihre bisherigen Erfahrungen mit Männern, die ihr persönliches Interesse geweckt hatten – und das waren nicht wenige –, sprachen eindeutig dagegen, Politik und Bett zu vermischen.

Noch immer tat die Erinnerung an die Zeit mit Rhodans Sohn weh. Sicher, ursprünglich hatte sie sich rein aus politischem Kalkül für den Unsterblichen interessiert, aber im Laufe ihres Zusammenlebens hatte sie das manchmal vergessen und geglaubt, dass ehrliche Gefühle zwischen ihnen entstanden waren. Als dann aber klar wurde, dass es Roi Danton lediglich darum gegangen war, Informationen über das Quarterium zu gewinnen, brach für sie eine Welt zusammen.

Für den ehemaligen König der Freihändler war es wohl nur ein Spiel gewesen, denn er machte nicht den geringsten Versuch, ihre Beziehung in irgendeiner Weise zu retten. Dabei hatte sie sogar mit dem Gedanken gespielt, zusammen mit ihm Cartwheel zu verlassen und irgendwo noch einmal von vorn anzufangen.

Wieder drohte die Wut ihr Denken zu überrollen. Roi würde noch dafür büßen, das war so sicher, wie zwei und zwei vier ergab. Sie war keine billige Schlampe, die man benutzte und wegwarf, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatte!

Mit zittrigen Fingern suchte sie nach einem neuen Glas und schenkte sich Champagner nach. Mit einem tiefen Zug leerte sie das Glas. Sie musste ihre düsteren Gedanken unter Kontrolle bringen. Michael Rhodan war Vergangenheit, unerreichbar und verachtenswert, aber warum schmerzte die Erinnerung an ihn so sehr?

Zwei Stunden später

Der Gleiter der Cohortes-Alaeum umrundete den gigantischen Torso, der einmal Teil des Königtores gewesen war. Die Tochter des Emperadors hatte Dokumentationen aus der Zeit vor dem DORIFER-Schock gesehen und so eine vage Vorstellung, welch beeindruckendes Bauwerk das Königstor zur Zeit der Herrschaft der Ewigen Krieger gewesen war.

Jetzt war dieses Monument alles, was von der vergangenen Größe der Somer zeugte. Die dorgonischen Besatzer hatten systematisch alles vernichtet, was an die Vergangenheit der Somer erinnerte. Es war die alte Taktik der Eroberer: Vernichte die Kultur, dann vernichtest du auch das Volk.

Ihr Blick suchte nochmals den traurigen Rest vergangener Größe, der jetzt nach dem Willen der neuen Herren Soms zur öffentlichen Arena verkommen war. Die dorgonischen Baumeister hatten die sechseckige Form beibehalten und lediglich in der Höhe gekappt, sodass von den ursprünglichen tausendfünfhundert Metern nur noch etwa vierhundert übriggeblieben waren.

In diesen sechseckigen Säulenstumpf hatten sie rund um die im Zentrum positionierte Arena luxuriös ausgestattete Sitzgalerien geschnitten. So entstand aus den Ruinen das Monument der neuen Herren und kündete vom vollkommenen Sieg der dorgonischen Eroberer. Inzwischen hatte der Gleiter seinen Rundflug beendet und setzte zur Landung an. Ein stämmiger Raumsoldat half ihr aus dem Gleiter und übergab sie an eine bereitstehende Eskorte.

Volcus schien seine Einladung offiziell gemeint zu haben, was sie in gewisser Weise beruhigte. Sie hatte schon befürchtet, dass der Dorgone ganz andere Absichten verfolgen würde. Nicht, dass sie gegen ein kurzes Abenteuer etwas einzuwenden gehabt hätte, aber in diesem Falle wollte sie sich alle Optionen offenhalten. Noch immer schwankte sie, ob das Quarterium an Carilla festhalten sollte, aber die Waagschale neigte sich immer mehr in Richtung des dorgonischen Konsuls. Elgalar, das war inzwischen für sie eindeutig, war am Ende, die Frage würde nur sein, wer ihn beerben würde.

Gemessenen Schrittes folgte sie der Eskorte, die in der Art antiker Sklaven gekleidet war. Die nackten Oberkörper glänzten, und ein kurzer Lendenschurz verdeckte notdürftig ihre Blöße. Alle trugen ein breites Metallband, das den Hals eng umschloss. Sie schüttelte leicht den Kopf. Es war ihr unverständlich, wie innerhalb der dorgonischen Gesellschaft dieses Nebeneinander archaischer Kultur und modernster Technik existieren konnte.

Doch der Widerspruch übte auch einen eigenartigen Reiz aus, wobei auch das Quarterium Elemente längst vergangener Traditionen benutzte, um die Identifikation zwischen Volk und Regierungsgewalt zu symbolisieren. Ihr Vater als Emperador war dafür das beste Beispiel.

Inzwischen hatten sie den Eingangsbereich durchschritten, der durch zwei von Säulenreihen gehaltenen Torbögen geprägt wurde. Alles wirkte pompös und übertrieben, und doch manifestierte sich in diesen Monumentalbauten die Macht des dorgonischen Reiches.

Der Gang führte in den sechseckigen Komplex und wurde aus grob behauenen Steinen gebildet. In Nischen, die durch Formenergiefelder geschützt wurden, waren fremde Landschaften nachgebaut, die von exotischen Tieren bevölkert wurden. Der ganze Komplex erinnerte Stephanie an das ehemalige Colosseum aus dem antiken Rom, von dem sie während ihrer Ausbildung entsprechende Holomodelle studiert hatte.

Ein Räuspern brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Die kleine Kolonne hatte anscheinend ihr Ziel erreicht, wo sie von zwei Dorgonen erwartet wurden. Aus den persönlichen Steckbriefen der CIP wusste sie, dass es sich um die persönlichen Vertrauten des Konsuls Kruppus und Osbarus handelte, die anscheinend zu ihrem Empfang abgestellt worden waren. Einen Moment fühlte sie Ärger in sich aufsteigen, aber sie war zu sehr mit den diplomatischen Gepflogenheiten vertraut, um hieraus eine persönliche Kränkung abzuleiten.

Ein geringschätziges Lächeln zuckte über ihre Lippen. Noch war ihre Entscheidung offen, eine kurze Nachricht an Leticron und ein Einsatzkommando Pariczaner würde Volcus aus dem Verkehr ziehen – für immer!

Kruppus trat einige Schritte vor und begrüßte sie offiziell im Namen des Konsuls des Protektorats Mesaphan. Der Dorgone war ihr vom ersten Moment an äußerst unsympathisch, seine kleinen Schweinsaugen schienen sich an ihrem Dekolleté festzusaugen und sie im Gedanken auszuziehen, ohne einen Gegenwert dafür bieten zu wollen.

*

Mit spitzen Fingern zerteilte Stephanie die blaurot gestreifte Phin-Frucht, die auf einer aus Yendour-Metall gefertigten Schale lag, und schob sich eine Scheibe in den Mund. Volcus schien keine Kosten gescheut zu haben, um sie zu beeindrucken. Aus dem Dossier der CIP ging hervor, dass für diese Frucht innerhalb der dorgonischen Oberschicht geradezu astronomische Summen gezahlt wurden.

Der Dorgone, der wie immer in der Öffentlichkeit eine Toga trug, betrachtete sie interessiert, was sie zunehmend irritierte. Sie war es zwar gewohnt, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, aber das Verhalten des dorgonischen Konsuls war äußerst ungewöhnlich, geradezu anmaßend.

Der Zweifel, ob sie irgendeinen gesellschaftlichen Fauxpas begangen hatte, ließ ihren Blick nochmals über die versammelte Gesellschaft schweifen. Unter anderen Umständen hätte sie sich köstlich amüsiert, denn in den kostbar ausgestatteten Liegenischen begann ein emsiges Treiben, das man getrost als zügellose Orgie bezeichnen konnte.

Langsam zerdrückte sie mit der Zunge das weiche Fruchtfleisch, und ein köstliches Aroma entfaltete sich. Rasch schob sie eine zweite Scheibe nach, wobei ihr wieder das befremdliche Verhalten des Dorgonen auffiel. Dieser schien sie mit seinem Blick geradezu verschlingen zu wollen. Oh, diesen Blick, dieses Sabbern kannte sie zur Genüge.

Und plötzlich fühlte sie ein elektrisierendes Kribbeln, das von der Zungenspitze und den Lippen ausgehend, ihren ganzen Körper erfasste. Einen Moment war sie wie gelähmt, doch dann verstand sie. Die Frucht war ein Aphrodisiakum, dieser dorgonische Bastard wollte sie zum willenlosen Lustobjekt degradieren. Einen Moment war sie versucht, ihm ihre Antwort in seine Fratze zu schreiben, doch dann fiel ihr eine viel bessere Möglichkeit ein: Sie würde seine Gier dazu nutzen, um ihn gefügig zu machen und, so ganz nebenbei, auf ihre Kosten zu kommen.

Inzwischen hatte sich der Dorgone über sie gebeugt und fasste ihr tatsächlich an die Brust. Wieder musste sie mit aller Macht den Impuls unterdrücken, ihm ihre langen Fingernägel durch sein Gesicht zu ziehen. Stattdessen begann sie verlangend zu stöhnen und schlug die Hand spielerisch zur Seite.

Mit einer geschmeidigen Bewegung richtete sie sich auf und zog ihren Gegenüber neben sich. Rasch ergriff sie eine weitere Scheibe der Phin-Frucht und schob sie ihm in den Mund.

»Diese Frucht schmeckt einfach himmlisch, wenn wir die nach Cartwheel einführen, verdienen wir ein Vermögen!«

Einen Moment war Volcus wie erstarrt. Mechanisch begann er zu kauen und das aromatische Fruchtfleisch zu schlucken, während Stephanie in sein Ohr flüsterte, dass es hier für ihren Geschmack zu viele Zuschauer geben würde. Wenig später verließ sie in Begleitung des dorgonischen Konsuls das Monument und stieg in einen bereitgestellten Gleiter …

Das Spiel um die Macht ging in eine neue Runde!

Die Ankunft

Die Panoramagalerie in der Zentrale des etwa dreihundert Meter durchmessenden Diskusraumers zeigte den Planeten Boldar, der rasch in der Unendlichkeit des Weltraumes verschwand. Sam war nach wie vor voller Optimismus und glaubte, dass die Zeit der Unterdrückung für sein Volk ein Ende nehmen würde.

So hatte er auch darauf bestanden, dass die gemeinsame Delegation aus FES und Neuer USO Cartwheel mit einem somerischen Schiff in seine Heimat fliegen würde. Jan Scorbit hatte schließlich zugestimmt und war an Bord der ANKJARD gegangen, die nach dem genialen Tormeister benannt war, der das Shant-Tor in der Galaxie Vilamesch gebaut hatte. Die PRIDE OF PAST, mit der Scorbit ursprünglich nach Som fliegen wollte, blieb auf Boldar zurück und wurde dem Oberbefehl Admiral Jeamours unterstellt.

In der Zentrale waren Sam, Roi Danton und Jan Scorbit in eine hitzige Diskussion vertieft, in der es anscheinend um die richtige Taktik gegenüber den verbündeten Dorgonen und Quarterialen ging.

»Ce n’est pas de refus, mon amis – so geht das nicht! Wir müssen uns endlich auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen, ansonsten stehen wir von vornherein auf verlorenem Posten.«

Der ehemalige König der Freihändler ließ sich theatralisch in einen Kontursessel fallen und wischte sich mit einem Seidentuch den nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn.

»Nein, nein und nochmals nein. Niemals werden sich die Völker ESTARTUS der Herrschaft einer fremden Macht unterordnen. Das Ergebnis der Konferenz kann nur die Freiheit und Unabhängigkeit unserer Völker sein, keine Fremdherrschaft, keine Tributzahlungen, keine besetzten und ausgebeuteten Systeme, eben die vollständige Freiheit und Unabhängigkeit!«

»Sam, mon ami, nimm doch Vernunft an. Es ist absolut illusorisch zu erwarten, dass sich Dorgon und das Quarterium komplett aus deiner Heimat zurückziehen werden. Allein seid ihr einfach zu schwach, um gegen zwei mächtige Sternenreiche gleichzeitig die Unabhängigkeit zu erkämpfen. Deshalb müsst ihr versuchen, Dom und Paxus gegeneinander auszuspielen. Ich denke, dass dieser Konsul Volcus ein vernünftiger Mann ist, der zu einigen Zugeständnissen bereit sein wird.«

Inzwischen hatte die ANKJARD das Boldar-System verlassen und Kurs auf Siom Som genommen. Auf der Panoramagalerie, die ein dreidimensionales Abbild des umgebenden Normalraums wiedergab, schien das Schiff regelrecht auf die etwas mehr als eine Million Lichtjahre entfernte Heimatgalaxie der Somer zuzustürzen. Bei einem Überlichtfaktor von fünfundsiebzig Millionen Lichtjahren würde die Überfahrt etwa fünfeinhalb Tage dauern, Zeit genug, um sich auf eine gemeinsame Haltung gegenüber den Okkupatoren zu einigen.

Fünf Tage später

Die ANKJARD drang schräg zur Ekliptik in den balkenförmigen Zentrumsbereich Siom Soms ein und nahm Kurs auf die ehemalige Kalmenzone. Sruel Allok Mok, der von allen nur Sam genannt wurde, hatte sich in seine Kabine zurückgezogen und brütete vor sich hin. In gewisser Weise konnte er die Argumentation Roi Dantons nachvollziehen, aber hier ging es nicht darum, den neutralen Mittler zwischen zwei Konfliktparteien zu spielen, hier ging es um die Zukunft seines Volkes, um die Zukunft aller estartischen Völker.

Der Somer, der in den Jahren des Befreiungskampfes zum unangefochtenen Führer der FES aufgestiegen war, führte den einsamsten Kampf eines Lebewesens, den Kampf mit sich selbst.

Schon der Gedanke, dass das Unrecht, das den Völkern ESTARTUS angetan worden war, durch einen Friedensvertrag legalisiert werden würde, drohte seine ganze bisherige Lebensphilosophie ins Wanken zu bringen. Zuerst hatte er geglaubt, dass durch die geplanten Verhandlungen das mannigfaltige Morden beendet werden könnte und diesem Ziel alles andere untergeordnet. Doch Sam Tyler hatte mit seinen Ausfällen die Saat des Zweifels in ihm gesät und diese Saat war aufgegangen.

Immer wieder fragte er sich, ob es mit der Würde der Völker ESTARTUS vereinbar sein würde, die Knechtschaft unter das Joch Dorgons dauerhaft zu legalisieren. Und, was für ihn noch viel wichtiger war: Welche Zukunft würden die nichtmenschlichen Wesen in der von den Dorgonen beherrschten ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS haben?

War sein bisheriger Weg des Friedens überhaupt richtig? Er wusste, dass nicht alle Völker mit seiner Politik einverstanden waren. Die Mehrheit der Pterus unter ihrem mystischen Propheten wollte den Befreiungskampf mit allen Mitteln und würde sich nie in irgendeiner Weise mit einer dorgonischen Herrschaft abfinden.

Und dann war noch das Problem Erendyras. Seit der Ermordung des dorgonischen Kaisers hatte Leticron die alleinige Herrschaft in dieser Galaxie übernommen und sämtliche Nachrichtenverbindungen nach Som oder zu anderen Planeten unterbunden. Seit fast einem Jahr war keine Information, kein Hinweis mehr über das Schicksal der Völker dieser Galaxie zu ihnen gedrungen.

Was ging dort vor, welche Teufelei brütete das Quarterium aus? Dass irgendeine Teufelei dort im Gange war, spürte Sam in jeder Federspitze seiner Flügelhände. Sollte er also versuchen, sich mit den Dorgonen zu einigen, um, wie es wohl Roi Danton vorschwebte, diese als Bundesgenossen gegen Leticron und das Quarterium zu gewinnen?

Er begann, unruhig auf und ab zu gehen, eine Angewohnheit, die auf archaische Verhaltensmuster seiner Rasse zurückging.

Hatte er sich von der Person des Dorgonen blenden lassen? Nein, das durfte nicht sein. Volcus musste es einfach ehrlich meinen, denn wenn nicht, dann würden die Galaxien ESTARTUS in einem Meer aus Blut ertrinken. Bevor er sich weiter in seine Selbstzweifel vertiefen konnte, ertönte ein vertrautes Signal. Die ANKJARD hatte den Hyperraum verlassen und war dabei, in das Heimatsystem seines Volkes einzufliegen.

*

Ein Antigravschacht brachte den Somer direkt in die Zentrale des Diskusschiffes, wo die Bordsyntronik gerade die Auswertung der Hypertaster auf der Panoramagalerie darstellte. Der riesige Bildschirm, der die Stirnseite der Zentrale beherrschte, zeigte die gegenwärtige Position der sechs Planeten, die das Zentralgestirn Siom umkreisten. Som, der Ursprungsplanet seines Volkes, stand gegenwärtig hinter der Sonne, während Somatri direkt vor ihnen lag.

Die ANKJARD würde an Somatri vorbei in einer langgestreckten Parabel direkt Som ansteuern und auf dem zentralen Raumhafen landen. In diesem Moment löste die Syntronik den Raumalarm aus, denn vier dorgonische Adlerschiffe traten unmittelbar vor der ANKJARD aus dem Hypertakt und nahmen den Raumer in eine pyramidenförmige Abfangformation.

»Sam, ich hab hier einen Hyperfunkspruch des dorgonischen Führungsschiffes. Ein Tribun Regus Novus fordert, sofort mit dem Kommandanten verbunden zu werden.«

»Lege die Verbindung bitte auf den zentralen Schirm, sodass wir alle das Gespräch verfolgen können.«

Ein Elfahder in seiner typischen Igelrüstung nickte Sam bestätigend zu. Wenig später entstand in einem seitlichen Bereich der Panoramagalerie ein gesonderter Ausschnitt, der einen hochgewachsenen Dorgonen zeigte, dessen stechende Augen den Eindruck eines Fanatikers hervorriefen.

»Ich, Tribun Regus Novus, befehle euch, sofort die Schutzschirme herunterzufahren und unser Prisenkommando an Bord zu lassen.«

Diese Anweisung kam wie aus der Pistole geschossen, der Dorgone nahm sich anscheinend keinerlei Zeit, um seine Gegenüber näher in Augenschein zu nehmen. Doch plötzlich stutzte er.

»Na wen haben wir denn da? DORGON sei gepriesen, die gesamte Führungsclique der Terroristen, wie auf dem Präsentierteller versammelt!«

Und dann nach einer kurzen Pause:

»Der Militium-Magister wird hoch erfreut sein, wenn er von meinem Fang erfährt.«

Jetzt hielt Roi Danton den Moment gekommen, um seinerseits das Wort zu ergreifen.

»Ich glaube, da unterliegst du einem gewaltigen Irrtum: Wir sind hier auf persönliche Einladung von Konsul Volcus, er hat uns freies Geleit nach Som zugesichert.«

Dieser Einwurf schien den Dorgonen einen Moment aus dem Konzept zu bringen. Doch dann begann er zu grinsen.

»So, so! Konsul Volcus hat euch Terroristengesindel also angeblich freies Geleit zugesichert. Ich muss euch da leider enttäuschen, der Konsul hat hier in den estartischen Provinzen des Kaiserreiches überhaupt nichts zu sagen. Hier entscheidet allein der Militium-Magister, und der hat euch bestimmt kein Geleit gewährt!«

Der Elfahder, der wohl so etwas wie die Funktion des Ersten Offiziers an Bord der ANKJARD ausübte, meldete in diesem Moment, dass ein Beiboot eines Adlerschiffes anlegen wollte. Es war klar, dass das angekündigte Prisenkommando angekommen war. Sam gab notgedrungen sein Einverständnis. Wenig später wurde das Schott der Zentrale aufgerissen und etwa zwanzig Dorgonen in voller Kampfausrüstung trampelten in die Zentrale und verteilten sich so, dass sie die Lage beherrschten.

»Dekurio, Sie übernehmen das Kommando. Lassen Sie die Führer der Terroristen an Bord der THESASIAN bringen und passen Sie auf, dass sie nicht entkommen!«

Der dorgonische Leutnant schien bereits genaue Anweisungen erhalten zu haben, denn auf einen kurzen Befehl von ihm wurden Sam, Roi Danton und Jan Scorbit zusammengetrieben und an Bord des Beibootes gebracht.

Wenig später nahm der kleine Verband, der noch immer die pyramidenförmige Formation beibehielt, Kurs auf Som. Sam war auf dem Weg nach Hause, aber ganz anders, als er sich das vorgestellt hatte.

Morgendämmerung einer neuen Zeit

Für Sam, Roi Danton und Jan Scorbit ging eine deprimierende Nacht zu Ende, denn der nun folgende Tag konnte nur in der absoluten Katastrophe enden. Die drei waren nach Som gebracht und in einem Zellenkomplex, unterhalb der Residenz Carillas, festgesetzt worden.

Vor allem Sam machte sich bittere Vorwürfe, dass er dem Wort des dorgonischen Konsuls vertraut hatte. Roi Danton wiederum war nach wie vor optimistisch und glaubte nicht daran, dass Carilla es wagen würde, die galaktische Öffentlichkeit und die LFT tatsächlich mit einem Schauprozess herauszufordern. Niemand, selbst der dorgonische Kaiser nicht, würde es wagen, Perry Rhodans Sohn zum Tode zu verurteilen und öffentlich hinrichten zu lassen. Jan Scorbit dagegen sah seine Hoffnung mehr in einer Befreiungsaktion durch Sam Tyler und die Gruppe Zero.

Schließlich raffte sich Jan Scorbit auf und begann, ihre Zelle genauer zu untersuchen. Zwar war seine Zeit als aktiver USO-Spezialist schon seit Jahren vorbei, doch die Ausbildung, die er einmal auf Quinto-Center durchlaufen hatte, war nach wie vor präsent. Das Ergebnis war niederschmetternd. Ohne eine entsprechende Ausrüstung, die ihnen natürlich nicht zur Verfügung stand, war der Zellenkomplex ausbruchsicher.

So verging der Vormittag …

*

Das akustische Signal des Interkoms riss den alten Oxtorner aus den Auswertungen der Gefechtsfeldüberwachung. Unwillig aktivierte er die Verbindung und wartete, bis sich das Bild auf dem Holoschirm aufgebaut hatte. Der löwenmähnige Kopf eines Gurrads stabilisierte sich.

»Hier Kommunikationszentrale IVANHOE, einen Moment bitte, ich verbinde mit Admiral Jeamour!«

Das Holodisplay flackerte einen Moment, während das Abbild des Gurrads durch die markante Halbglatze des »Belgiers« ersetzt wurde. Das Gesicht des Admirals wirkte, wenn dies überhaupt möglich war, noch sorgenvoller als sonst. Als er den ehemaligen Einsatzleiter der Abteilung Null ansprach, verwandte er seinen alten Rang innerhalb des Quarteriums.

»Kommandeur Mogul! Wie es aussieht, ist etwas Furchtbares geschehen. Großadmiral Vesus hat mir durch einen Kurier mitgeteilt, dass Carilla Sam, Roi Danton und Jan Scorbit verhaftet hat und sie nach einem Schauprozess hinrichten lassen will! Ich habe für alle Einheiten der Neuen USO Fall ›Violett‹ ausgelöst.«

Jeamour wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht und schien sich äußerst unwohl zu fühlen. Der Oxtorner schien das sorgenvolle Gesicht seines Gegenübers einen Moment sinnend zu betrachten, dann entgegnete er:

»Admiral, wir werden das Manöver sofort abbrechen und zum Hauptquartier zurückkehren. Ich muss nur noch Irwan und Feline benachrichtigen.«

»Ja, aber beeilen Sie sich bitte, … und … beschränken Sie die Information über den Grund des Alarmzustandes auf die Kommandeursebene.«

Mit einem zustimmenden Kopfnicken trennte Mogul die Verbindung mit der IVANHOE II, nur um wenig später eine Konferenzschaltung mit seiner Ziehtochter Feline und Irwan Dove herzustellen.

Macht und Ohnmacht eines Herrschers

Aus dem Spiegelfeld der luxuriösen Nasszelle blickte ihr eine groteske Fratze entgegen. Schminke, viel zu dick aufgetragen, lief in farbigen Schlieren über ihre Wangen, um dann in dicken Tropfen auf den Boden zu fallen.

Mit aller Willenskraft versuchte sie, den nächsten Weinanfall zu unterdrücken. Die Welt war schlecht, alle waren gemein und nur auf ihren Vorteil bedacht und sie, den Herrscher Dorgons, liebte überhaupt niemand. Mit fahrigen Fingern griff sie nach dem Seidentuch, um sich von den gröbsten Resten dieses undankbaren Verräters zu reinigen. Wieder schüttelte sie ein Weinkrampf.

Alles, alles hatte sie ihm gegeben, einen Titel, umfangreiche Ländereien auf verschiedenen Welten ihres ehemaligen Protektorates Rosza, kostbare Togas, Ringe, Armreifen, doch all das hatte nichts genutzt. Es war so erbärmlich. Sie, die Herrscherin Dorgons, die Erbin des göttlichen Kaisers Domulus, hatte um die Liebe eines Plebejers gebettelt, war vor ihm auf die Knie gefallen, hatte ihm sogar die Füße geküsst, umsonst, für nichts!

Verraten, verlacht, Spott und Hohn preisgegeben!

Achtlos fiel das Tuch zu Boden. Es war vorbei. Taumelnd stolperte sie zurück in das feudale Schlafzimmer. Dort lag er, der Verräter, der Lügner und Betrüger, das Ende all ihrer Hoffnungen auf ein wenig Glück. Vorbei war es, aus und vorüber.

Ihr Blick saugte sich an den Resten ihres Geliebten fest. Sein Körper war fast nicht mehr als menschlich zu erkennen. Der Detonator hatte ganze Arbeit geleistet.

Unter Aufbietung aller Willenskraft, die ihr noch geblieben war, richtete Elgalar ihr Gesicht provisorisch so her, dass sie sich in kleinem Kreis sehen lassen konnte, und streifte eine einfache Toga über den Körper. Dann nahm sie Verbindung mit Carilla auf.

*

Der Befehlshaber der Prettosgarde und jetzige Verteidigungsminister des Kaiserreiches war hoch erfreut. Elgalar, diese Karikatur eines Mannes auf dem Thron Dorgons, war in seiner Hand. Die Patriziersöhnchen, die mit allen Mitteln an die Macht wollten, hatten einen gewaltigen Fehler begangen, den er ausnutzen würde. Noch war Elgalar der Kaiser und Volcus war lediglich der Konsul einer unbedeutenden Provinz des Reiches.

Begleitet von vier Gardisten betrat er die persönlichen Räume des Regenten. Mit einem Blick erfasste er die Situation und musste mit aller Macht ein triumphierendes Grinsen unterdrücken. Elgalar konnte sich durchsetzen, wie die Reste seines Liebhabers bewiesen.

Mit einer leicht angedeuteten Verbeugung grüßte er den Kaiser.

»Majestät, was kann ich für Euch tun?«

Elgalar schien erst durch diese direkte Ansprache aus einer Art Stasis zu erwachen. Mit starrem Blick, aus dem der beginnende Wahnsinn sprach, musterte er den »Schlächter«.

»Carilla, mein Freund und letzter Getreuer!«

Mit diesen Worten taumelte er auf den Verteidigungsminister zu und umarmte ihn. Gleichzeitig ließ er seinen Tränen freien Lauf.

»Mein Freund, die Welt ist so schlecht und verdorben. Selbst das heiligste Gefühl der Liebe wird in den Schmutz getreten. Um mich herum herrscht Treuebruch und Verrat. Wem kann ich noch trauen?«

Carilla musste sich krampfhaft beherrschen, um seine Faust nicht in diesem grotesken Gesicht zu versenken. Ein flennender Kaiser, der sich an seiner Schulter ausweinen wollte, war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Aber er musste sich zusammenreißen, denn hier hatte er die Chance, Elgalar in seinem Sinne zu beeinflussen. Unbeholfen begann er, seine Schultern zu tätscheln.

»Mein Kaiser, was ist geschehen?«, fragte er heuchlerisch besorgt.

»Dieser Verräter, dieses Schwein hat mich hintergangen, mich betrogen und verkauft!«

Carilla begann allmählich die Geduld zu verlieren.

»Majestät, was hat er getan?«

Elgalar begann nun hemmungslos zu weinen und warf sich wieder Carilla an die Brust.

»Dies… die… dieser undankbare Verräter hat unsere Liebe in den Schmutz get… reten, an dies… diesen Kruppus ver… verkauft.«

»Wie darf ich das verstehen, Majestät?«

»D… der Hund h… hat unser Liebesspiel ge… g… gefilmt u… und wollte den Film a… an K… Kruppus verkaufen! Hieer, ich habe ihhn sichergestellt.«

Das Stottern Elgalars war kaum zu verstehen, Carilla musste mit aller Macht einen Lachanfall unterdrücken. Gleichzeitig warf er über die Schulter des Kaisers seinen vier Gardisten mörderische Blicke zu, die das dreckige Grinsen aus ihren Gesichtern wischten. Mit unbeweglicher Miene nahm er den Datenkristall, den Elgalar ihm entgegenhielt.

Innerlich triumphierte er. Die Gruppe um Volcus hatte einen gewaltigen Fehler begangen und Elgalar genau an der Stelle getroffen, an der es wehtat. Jetzt hatte er den Kaiser in der Hand und würde diese Macht in seinem Sinne nutzen.

Eine Stunde später

Carilla betrat schwungvoll die gereinigten Räume der kaiserlichen Suite. Elgalar erwartete ihn in einer für seine Verhältnisse relativ normalen Aufmachung. Der Statthalter Dorgons im Protektorat Estartu berichtete, dass es seinem Geheimdienst gelungen sei, ein Komplott der Opposition um Konsul Volcus und Admiral Vesus aufzudecken, die sich zusammen mit estartischen Terroristen gegen das Kaiserreich verschworen hätten. Einer Kohorte der Wachflotte sei es nun gelungen, führende Mitglieder der Rebellenorganisation FES festzunehmen. Er schlug vor, ein Exempel zu statuieren und diese vor ein Gericht zu stellen und hinrichten zu lassen.

Elgalar hörte nur halbherzig zu, was Carilla berichtete. Ungelesen unterzeichnete er die Dokumente, die dieser vorbereitet hatte.

Und führe mich nicht in Versuchung …

Der massige Überschwere, der fast so breit wie hoch war, starrte auf die Holodarstellung. Sie zeigte einen rotblonden Terraner, der sich unter einem Fesselfeld vor Schmerzen krümmte.

Wer nicht hören will, muss fühlen, dachte er zynisch, während er das Interkom aktivierte. Wenig später wurde das Gesicht Stephanie de la Siniestros sichtbar, die dem Pariczaner fragend entgegenblickte.

»Es ist angerichtet«, bemerkte dieser anzüglich. »Viel Vergnügen, Prinzessin!«

Damit beendete er die Interkomverbindung und wandte sich wieder der Überwachungseinrichtung zu. Mit einigen Griffen verwandelte er die installierten Kontursessel in bequeme Adaptiv-Liegen.

»Sordanion, Schwesterchen, es ist so weit, die Gottesanbeterin wird bald eintreffen und dann kann das Schauspiel beginnen.«

Aus dem im Halbdunkel liegenden Hintergrund des Raumes wurde eine weitere Gestalt sichtbar, die anhand ihrer Proportionen ebenfalls als Überschwere erkennbar war. Nachdem sie ihren Arm um Leticron gelegt hatte, meinte sie beiläufig:

»Gebieter, welchen Gott betet die imperiale Schlampe denn an?«

Der Angesprochene schien einen Moment sprachlos, doch dann begann er, schallend zu lachen.

»Schwesterchen, der war echt gut. Ich glaube, wir müssen noch etwas für deine Bildung tun. Bei einer Gottesanbeterin handelt es sich um eine terranische Insektenart, wo das Weibchen nach der Begattung das Männchen auffrisst. Eine wirklich zutreffende Beschreibung unserer hochgeehrten Prinzessin, nicht wahr?«

Nun begann auch die Überschwere schallend zu lachen, während sie sich gemeinsam auf einer Liege niederließen.

Kurze Zeit später betrat Stephanie de la Siniestro die Zelle des Terraners. Sie war eine gekränkte Frau und die Rache einer gekränkten Frau kann furchtbar sein …

*

Mein Bewusstsein erwachte ohne Übergang und es bedeutete nur eines: Schmerz, grenzenloser, alles durchdringender Schmerz, der meinen Körper bis in die letzte Nervensynapse durchflutete. In diesem Moment sehnte ich mich mit dem Rest meines Willens nach der Betäubung jeden Gefühls, nach dem Vergessen in der großen Leere.

Doch die Gnade der Bewusstlosigkeit wurde mir verwehrt. Im Gegenteil, die nächste Welle Schmerz brannte sich in meine Nervenenden und krümmte jedes Glied meines Körpers. Ich wollte meine Pein in die Welt schreien, doch nur ein dumpfes Stöhnen kam über meine Lippen. Wo war ich, was war geschehen? Diese Fragen lösten einen Dammbruch aus, Erinnerungsfragmente überfluteten mein Denken.


In der Wand aus Formenergie, die die Welt der drei Gefangenen auf wenige Schritte begrenzte, entstand eine Strukturlücke, durch die eine massige Gestalt plötzlich die Zelle betrat. Mit zwei Schritten beugte sie sich über meinen Oberkörper und zog mich am Kragen meines spitzenbesetzten Jabots auf die Füße.

»Los mitkommen, du Witzfigur, Fürst Leticron hat angeordnet, dass du isoliert wirst.«

Ich begann zu protestieren und wurde dabei von Sam und Jan Scorbit unterstützt, die sich der Überschweren näherten. Doch diese zog eine unbekannte Stabwaffe, deren Projektionsfeld in giftigem Grün fluoreszierte, und ließ diese zwischen uns pendeln.

»Auf den Boden, Hände hinter dem Nacken verschränken!«

Einen Moment schien die gesamte Szene zu erstarren, die Zeit schien stillzustehen. Sam machte einen Schritt auf die Überschwere zu und wurde durch ein schrilles Geräusch am Rand des Ultraschallbereiches gestoppt. Ein grün schimmernder Strahlungsfinger griff nach ihm und schien die Kontur seines Körpers in der Art einer Kirlianfotografie nachzuzeichnen.

Sam begann zu schreien. Seine Stimme steigerte sich zum höchsten Diskant, bevor sie plötzlich brach. Mit einem Schlag stürzte er zu Boden, nur konvulsische Zuckungen zeigten, dass der Somer noch am Leben war. Jan Scorbit erstarrte mitten in der Bewegung und starrte die vierschrötige Springerin fassungslos an. Dann ließ er sich neben Sam auf die Knie fallen und versuchte zu verhindern, dass dieser sich durch die unkontrollierten Zuckungen selbst verletzte.

Und dann machte ich den entscheidenden Fehler. Da die Überschwere ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Sam und Jan Scorbit konzentriert hatte, versuchte ich es. Ich war ausgebildeter USO-Spezialist und auch die Zeit bei den Freihändlern war nicht ohne gewalttätige Auseinandersetzungen geblieben, wenn auch, das musste ich zugeben, Oro Masut mir damals meistens die Arbeit abnahm. Bevor ich allerdings irgendwie aktiv werden konnte, wirbelte die Überschwere herum, das Projektionsfeld der Stabwaffe begann zu glühen und der bekannte grün schimmernde Strahlungsfinger griff nach mir. Dann reduzierte sich meine Wahrnehmung auf Schmerz, grenzenlosen, alles durchdringenden Schmerz.


Plötzlich registrierte ich, dass ich nicht mehr allein war. Eine weibliche Gestalt trat in mein Blickfeld, die mich mit den kalten Augen einer Schlange musterte. Einen Moment starrte ich sie verstört an, bevor ich sie erkannte. Stephanie! Sie beugte sich über mich und flüsterte in mein Ohr:

»Mein armer Liebling, wie geht es dir?«

Die Banalität ihrer Frage verschlug mir erst mal die Sprache. Dazu kam, dass die Nachwirkungen der unbekannten Stabwaffe mich nicht gerade gesprächig machten. Mit äußerster Willensanstrengung versuchte ich, ihr die passende Antwort zu geben, was mir weitere Schmerzkaskaden bescherte.

»Bo… Bonjour, Ste… phphanie, w… wwas verschschafft mir die Ehre?«

Meine Worte waren kaum verständlich. So wie es schien, hatte ich die Kontrolle über meine Stimmbänder verloren. Das Gestammel schien sie zu amüsieren, denn ein engelgleiches Lächeln glitt über ihre Züge.

Dieses Lächeln bewirkte, dass ich mich zu fürchten begann. Ich kannte die Tochter des Emperadors, ich kannte sie nur zu gut. Ihre Schönheit war nichts anderes als die perfekte Maske einer Teufelin, die für sich keinerlei Grenzen anerkannte.

Langsam ließ sie sich neben mir auf der aus Formenergie gebildeten Liegefläche nieder, was zu meinem vergeblichen Versuch führte, wieder etwas Abstand von ihr zu gewinnen. Irgendetwas behinderte meine Bewegungsfreiheit.

Ihr Gesicht, das von den langen dunkelblonden Haaren umgeben wurde, die im Gegenlicht wie ein Heiligenschein wirkten, näherte sich immer mehr. Ihre blauen Augen bannten mich zur Bewegungslosigkeit, während ihre Hand über meine Wange strich. Die Berührung schickte elektrische Stromstöße durch meinen Körper, doch irgendeine Teufelei behinderte meine Abwehrbewegungen.

»Du steckst tief, ganz, ganz tief in der Scheiße, mein armer Liebling.«

Bei diesen Worten hob sie meinen Kopf an und küsste mich. Ihre Hände vergruben sich in meinen Haaren, während mir die Nähe ihres Körpers immer bewusster wurde. Schließlich beendete sie ihren Kuss und fuhr fort:

»Und weißt du, was das Beste ist? Ich, und nur ich, kann dich retten!«

Sie richtete sich wieder auf und strich mit den Händen über ihre hautenge Kombination.

»In der Tat stecke ich dann wohl in der Scheiße …«

Wieder lachte sie. Die Situation schien sie köstlich zu amüsieren, während jede Bewegung, jede Berührung mir Schmerzkaskaden durch die überreizten Nervenbahnen jagte.

»Aber mein Liebling, du brauchst doch nicht verlegen zu werden und zu stottern. Du kennst mich doch. Ich bin es, deine liebe Stephanie, der du versprochen hast, sie zu heiraten!«

Mit diesen Worten beugte sie sich über mich, und während ihr Blick meine Augen bannte, begannen ihre Hände ein teuflisches Spiel, das mir wahre Schmerzwellen durch die gepeinigten Nervenenden schickte. Dabei hatte sie wieder dieses sinnlich-naive Lächeln aufgesetzt, das bei meinen Geschlechtsgenossen in aller Regel die Gehirntätigkeit in die mittleren Körperregionen verlagerte.

»Hhöör mal St… Stephanniee, ddas wwar ein Miss… Missverstständnis, es wwar eeine schöne Zeeit, abber war… waarum ggleich hei… heiraten?«

Ihr Gesicht erstarrte. Sie schien tatsächlich erwartet zu haben, dass ich auf ihr Angebot eingehen würde. Und nun verlor sie die Beherrschung. Sie packte mich an den Schultern und riss mich in die Höhe.

»Hör zu, verdammter Scheißkerl! Du hast nur eine Chance, dem Tod zu entkommen: heirate mich. Ansonsten werde ich keinen Finger für dich rühren und Carilla bekommt seinen Schauprozess!«

Ihr Gesicht glich noch immer dem eines Engels, nur die Augen hatten alle Wärme verloren und um den Mund spielte jetzt ein zynisches Lächeln. Ich versuchte zu antworten, doch nur ein unartikuliertes Gestammel kam über meine Lippen. Was war nur mit mir los, weshalb schien mein Körper nur noch aus Schmerzen zu bestehen? Mit aller Willenskraft schüttelte ich ihre Hände ab.

»Meine Liebe gehört den Sternen und keiner quarterialen Hydra …«

Das war wohl die falsche Antwort gewesen, denn meine Wahrnehmung versank wieder in einem Meer von Schmerzen. Schließlich umhüllte mich eine gnädige Bewusstlosigkeit.

*

Langsam wurde ich mir meiner Umwelt bewusst. Noch immer war ich allein und lag auf einer Liege, die aus Formenergie zu bestehen schien. Bedächtig ließ ich meinen Blick durch den Raum streifen. Niemand war zu sehen, ich war anscheinend allein. Vorsichtig bewegte ich die Glieder, es ging, ich hatte fast keine Schmerzen mehr. Langsam richtete ich mich auf und fühlte meinen Unterleib …

Feucht, mein ganzer Unterleib fühlte sich feucht an.

Fall »Violett«

Shan Mogul beobachtete über das Gefechtsfeldholo die zurückkehrenden Kampfgruppen, die aus Mitgliedern der Gruppe Zero, dem Landungskorps der IVANHOE II und MODULA-WAR-Robotern gebildet wurden.

Neben ihm hakte Ringis ta Shivren mit einem Fingerdruck die zurückgemeldeten Einheiten auf einer Handheld-Konsole ab, die mit dem Syntronverbund der Landungsboote verbunden war. Der ehemalige Einsatzleiter der Abteilung Null des Ligadienstes hatte in den vergangenen Tagen zu der ihn um mehr als einen halben Meter überragenden Ertruserin ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut, das von gegenseitigem Respekt und Achtung der fachlichen Kompetenz geprägt wurde.

Der Holotank zeigte immer mehr des beruhigenden Grüns der sich zurückgemeldeten Kampfgruppen. Innerhalb des von den vier Landungsbooten gebildeten zentralen Gefechtsstandes entspannte sich zunehmend die Lage. Auch wenn der vergangene Einsatz nur ein Manöver war, bestand immer die Gefahr, dass es beim Zusammenspiel der verschiedenen Waffengattungen zu Unfällen kam.

In diesem Moment öffnete sich in dem schützenden Paratron-Schirmfeld eine Strukturschleuse und Irwan Dove und Feline Mowac betraten den Gefechtsstand. Ein spezieller Impulsgeber ermöglichte ihnen, eine Schleuse in den sich überlappenden Schirmstaffeln zu öffnen. Beide destabilisierten die Kristallfelder der Panzerhelme, die sich automatisch innerhalb des Nackenwulstes der Seruns zusammenfalteten.

»Warum mussten wir die Übung abbrechen?«, fragte Feline ihren Pflegevater, als sie sich auf einen Spezialfeldstuhl fallen ließ.

Mit wenigen Worten unterrichtete der Oxtorner die beiden über die Ereignisse auf Som, was Feline ein kurzes »Ich hab’s doch gleich gesagt!« entlockte.

Operationszentrale der IVANHOE II, eine Stunde später

Xavier Jeamour blickte über die Operationszentrale des Ultraschlachtschiffes, in der sich inzwischen die Befehlshaber der einzelnen Waffenbereiche der FES und Neuen USO Cartwheel, sowie die entsprechenden Führungsoffiziere der IVANHOE II versammelt hatten. Wie immer hatten sich die Führungskader der Gruppe Zero abgesondert, obwohl sich einige Mitglieder des Landungskorps unter sie gemischt hatten.

Jeamour schloss die Augen und versuchte, den Schmerz der Erschöpfung zu vergessen, der aus den Augen der Männer und Frauen gesprochen hatte, die vor wenigen Stunden aus Erendyra zurückgekehrt waren. Er selbst kannte diesen Schmerz nur zu gut. Er würde mit jedem Einsatz stärker werden und jeden Toten einschließen, den der Einsatz gekostet hatte und vielleicht noch kosten würde.

Genau wie die Erschöpfung war auch die Qual der Preis, den jeder Befehlshaber für das Privileg des Kommandos bezahlen musste. Zivilisten – und viel zu viele unerfahrene Offiziere und Mannschaftsmitglieder – sahen nur die Ehrfurcht und den Respekt, die gottähnliche Macht, die einem kommandierenden Offizier zuteilwurde.

Die andere Seite der Medaille nahmen sie niemals zur Kenntnis – die Pflicht, immer weiterzumachen, egal, was geschehen war, weil die Leute das Beispiel ihres Kommandanten brauchten, oder die Furcht, dass durch Fehleinschätzungen und Nachlässigkeiten nicht nur das eigene Leben, sondern auch das Leben der Untergebenen gefährdet wurde.

Noch schlimmer aber war die Qual, Menschen in den Tod zu schicken, weil es keinen anderen Ausweg gab. Es war zwar ihre Aufgabe als Soldaten, immer wieder das Leben zu riskieren, und es war seine Aufgabe als Kommandant, ihnen die Befehle zu geben. Er konnte sich keine höhere Berufung vorstellen als das Kommando über ein Schiff, und doch gab es Zeiten, da er die gesichtslose Masse hasste, die zu beschützen er geschworen hatte.

Es waren nicht Patriotismus oder Heldenmut, die eine zusammengewürfelte Mannschaft zu einer Einheit schmiedeten. Solche oberflächlichen Ideale hatten vielleicht dazu geführt, dass man sich eine Uniform anzog und die Soldatenspiele der Kindheit wiederholte, aber diese Art Soldatentum endete spätestens dann, wenn die ersten Kameraden den Stolz der Uniform mit ihrem Leben bezahlen mussten. Was sie alle zusammenschmiedete, obwohl es objektiv gesehen keine vernünftige Hoffnung mehr gab, waren die Bande zwischen den Überlebenden, war das Wissen, dass jeder bereit war, für den anderen einzustehen und notfalls sein Leben zu geben. All das bewirkte, dass die Summe der Teile mehr als das Ganze ergab.

Der dumpfe Hall klobiger Kampfstiefel riss ihn aus seinen Gedanken. Ohne aufzusehen wusste er, dass Sam Tyler gekommen war. Endlich! Sie waren nun vollständig.

Stunden später

Die Planung war abgeschlossen. Eine Einsatzgruppe aus Mitgliedern der Gruppe Zero und des Landungskorps der IVANHOE II waren nach Som aufgebrochen, um Roi Danton, Sam und Jan Scorbit zu befreien. Ein Problem war die Bildung der Kommandostruktur gewesen, alles in ihm hatte sich dagegen gewehrt, Mogul zum Leiter des Unternehmens zu bestimmen.

Der ehemalige Einsatzleiter der Abteilung Null des Ligadienstes war ihm einfach zu suspekt erschienen, aber nachdem selbst Sam Tyler den alten Oxtorner vorgeschlagen hatte, war ihm nichts anderes übriggeblieben, zumal Mitglieder der Gruppe Zero den Kern des gesamten Kommandos bildeten. Nun konnte er nur noch warten und hoffen, dass er nicht einige Dutzend Menschen in den Tod geschickt hatte.

Der Tanz um das Goldene Kalb

Die Atmosphäre im großen Thronsaal der Basilika Domus war gespannt. Zähneknirschend hatte Carilla einem Treffen mit Volcus zugestimmt, um zu einem Ausgleich in der immer drängender werdenden Frage, wer zukünftig die Macht in Dorgon ausüben würde, zu kommen. Stephanie de la Siniestro, als die offizielle Vertreterin des Quarteriums, hatte angedeutet, dass Paxus der Unabhängigkeit Dorgons zustimmen könnte, sofern die Stabilität des Kaiserreiches gewährleistet sein würde.

In dieser Situation hatte die Tochter des Emperadors den Vorschlag gemacht, dass der dorgonische Senat einen neuen Kaiser wählen solle, wobei sich die Vertreter der wichtigsten Machtgruppen verpflichten müssten, das Votum des Senats zu respektieren. Diesem Vorschlag hatten Volcus und Vesus ohne Vorbedingungen zugestimmt, sodass Carilla und Elgalar keine Wahl blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Schließlich einigte man sich darauf, als Zeichen der neuen Einheit, ein Staatsbankett zu geben und, quasi als Höhepunkt, auf diesem die gefangengenommenen Terroristen vor ein öffentliches Militärtribunal zu stellen. Dieser Beschluss, der schließlich auch von Elgalar unterstützt wurde, war Carilla zu viel. Wutschnaubend verließ er die Versammlung, nachdem er offiziell auch die Verantwortung für die Gefangenen verloren hatte. Als Folge dieser Vereinbarung wurde Roi Danton wieder mit den beiden anderen Gefangenen zusammengelegt.

Stephanie glaubte sich am Ziel ihrer diplomatischen Bemühungen. Dem Rückzug Leticrons, der nach der Einigung mit Volcus wieder nach Topthor zurückgekehrt war, maß sie keine Bedeutung zu. Ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte …

*

Volcus blickte der Außenministerin des Quarteriums entgegen, die er zu einem Convivium in die Basilika Mesaphan, der offiziellen Botschaft seines Protektorats, eingeladen hatte. Der Konsul war bester Laune, alles war genau nach Plan gelaufen. Stephanie bewegte sich langsam durch die freitragende Säulenhalle und genoss die Aufmerksamkeit der anwesenden Dorgonen, die sie ungeniert anstarrten. Interessiert betrachtete sie diverse Erzeugnisse aus dem Herrschaftsgebiet des Konsuls.

Je mehr sie sich in die dorgonische Kultur vertiefte, umso faszinierender fand sie das Nebeneinander modernster Technologie und primitivster, vorindustrieller Handwerkstechnik, eine Kombination, die innerhalb der LFT oder gar des Quarteriums völlig undenkbar war.

Interessiert blieb sie vor einem Marktstand stehen, wo zwei braunhäutige Dorgoninnen eine etwas füllige Matrone bei der Wahl der passenden Toga berieten. Es schien um das alte Problem vieler Frauen zu gehen, dass die aktuelle Mode mit der eigene Figur nicht kompatibel war, um es zuvorkommend auszudrücken.

Dieser Gedanke erheiterte sie so sehr, dass sie laut auflachen musste. Dadurch weckte sie die Aufmerksamkeit des Trios, was zu einem missbilligenden Blick der Matrone führte. Deren Gesichtsausdruck provozierte sie zu einer lasziven Geste, was mit einem empörten Schnauben beantwortet wurde. Nach einer spitzen Bemerkung rauschte die aufgetakelte Fregatte ab. Stephanie hatte gerade beschlossen, ebenfalls weiterzugehen, als lauter Beifall sie unterbrach. Interessiert drehte sie sich um und sah sich Volcus gegenüber, der zu den beiden Dorgoninnen hinter dem Marktstand getreten war.

»Prinzessin, ich fühle mich geehrt, dass du meiner Einladung gefolgt bist. Ein uralter Brauch meiner Vorfahren besagt, dass, wenn eine schöne Frau der Einladung eines Patriziers in seine Basilika folgt, dieser sich mit einem Geschenk revanchieren soll. Ich habe dabei an ein Geschenk gedacht, das wie kein anderes die weibliche Macht in der Kultur Dorgons repräsentiert.«

Mit diesen Worten nahm er ein kunstvoll verpacktes Paket, das ihm von den beiden Frauen unterwürfig gereicht wurde.

»Diese Toga ist der Göttin Bellona geweiht, die nach unserer Überlieferung Frauen allein das Recht erteilen kann, Waffen zu tragen und im Kreis der Männer das Wort zu ergreifen.«

Auf sein Handzeichen hin nahmen die beiden Frauen die konsternierte Stephanie bei den Armen und führten sie in einen durch einen Vorhang abgetrennten Umkleidebereich. Geschickt begannen sie, die Tochter des Emperadors zu entkleiden, was diese kommentarlos geschehen ließ.

Wenig später wurde ihr die geschenkte Toga angelegt. Stephanie bewunderte sich in einer blank polierten Metallplatte, die als Spiegel fungierte. Die Toga bestand aus schwarzen und roten Stoffbahnen, in die Metallfäden gewebt waren.

Irgendwie fühlte sie sich eigenartig, so als ob sie mit der Kleidung auch einen Teil ihrer Persönlichkeit gewechselt hätte. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Dieser ganze dorgonische Firlefanz, Götter, dubiose Legenden und irgendwelche großartigen Helden aus der Vorzeit schienen sie anzustecken.

Mit einer gleitenden Bewegung drehte sie sich um und stieß die beiden Frauen von sich. Es war höchste Zeit, dieses Schmierentheater zu beenden. Wütend stürmte sie aus dem Umkleidebereich, fast wäre es gelungen, sie mit diesem mystischen Irrsinn anzustecken.

Dabei rannte sie fast Volcus über den Haufen, der sie amüsiert beobachtete. Bevor sie ihrem Ärger Luft verschaffen konnte, war er neben sie getreten und legte ihr einen breiten Schwertgurt aus schwarzem Leder um, an dem ein halblanges Schwert in einer kunstvoll verzierten Scheide befestigt war.

»Das ist ein mesaphanischer Spatha, ein spezielles Langschwert, das nur von Frauen getragen werden durfte. Diese Tradition geht auf die Zeit zurück, bevor die Dorgonen zu den Sternen aufgebrochen sind.«

Volcus trat einige Schritte zurück und klatschte in die Hände.

»Perfekt, einfach perfekt. Wie eine Inkarnation der Göttin!«

Stephanie begann innerlich zu kochen. Ursprünglich hatte sie Volcus als kompetenten Partner schätzen gelernt, doch anscheinend waren alle Dorgonen auf die eine oder andere Weise nicht ganz richtig im Kopf. So wie es aussah, hatte sie auf das falsche Pferd gesetzt, Carilla war in seiner Primitivität wenigstens noch berechenbar, Volcus dagegen wurde ihr immer unbegreiflicher.

Doch wieder kam der Konsul ihr zuvor, indem er sie am Arm nahm und zu einer Taverna führte. Da endlich hatte sie sich gefangen.

»Was soll das alles?«, warf sie ihm an den Kopf. »Ich bin vieles, aber bestimmt nicht die Inkarnation einer Göttin. Was ist das eigentlich für ein Irrsinn, Göttin, heiliges Schwert und der ganze sonstige pseudoesoterische Irrsinn?«

Inzwischen hatten sie die Taverna betreten. Beschwichtigend hob Volcus die Hände.

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung, ich hätte dich nicht so überfallen sollen. Kein Wunder, dass die Situation dich überfordert.«

Stephanie erstarrte. Dass eine Situation sie überforderte, hatte ihr noch niemand gesagt. Blitzschnell holte sie aus, und ihre Finger hinterließen eine deutliche Spur auf Volcus’ Wange. Würdevoll wandte sie sich ab, um dieses groteske Szenario zu verlassen. Doch lautes Lachen und erneutes Beifallklatschen ließen sie erneut erstarren. Sie hatte mit allen gerechnet, nur nicht mit dieser Reaktion.

»Ich muss mich nochmals entschuldigen, aber so langsam scheine ich mich in deinen Augen zu einem völligen Volltrottel entwickelt zu haben. Kein Wunder, vieles der dorgonischen Geschichte ist bisher weitgehend unbekannt geblieben. Gestattest du mir, dich deshalb zu einer kleinen Erfrischung mit einer kurzen Geschichtsstunde einzuladen?«

Stephanie zauderte, doch dann nickte sie Volcus zu und ließ sich von ihm zu einem freien, etwas abseits stehenden Tisch führen. Nachdem der Konsul ihr einen leichten Weißwein bestellt hatte, begann er zu erzählen.

*

»Unsere Kultur ist älter, viel älter, als es die Geschichtswissenschaft lehrt. Du musst wissen, dass es neben unserer offiziellen Geschichtsschreibung auch eine geheime Geschichte gibt, die nur den alten Familien bekannt ist.«

Volcus machte eine kleine Pause und nippte gedankenverloren an dem leicht moussierenden Weißwein.

»Der Glaube an DORGON, die Verbundenheit mit dem Kosmotarchen ist heute nur noch ein Lippenbekenntnis, vergleichbar mit dem Glauben an einen Gott, doch in der Morgendämmerung der Geschichte war unser Volk von DORGON auserwählt. Wir lebten im Lichte des Kosmotarchen, und in seinem Schatten wurden auch wir stark, bis wir selbst im Lichte wandelten.«

Stephanie schüttelte den Kopf und gab zurück, dass das doch wohl der größte Schwachsinn wäre, den sie je gehört hätte und deshalb jetzt gehen wolle. Doch der dorgonische Konsul konnte sie mit dem Argument, dass man sich eine Geschichte vollständig anhören solle, um über sie zu urteilen, überreden, sich auch den Rest anzuhören.

»Unsere damalige Kultur entwickelte sich in Übereinstimmung mit dem Geist DORGONS, das heißt, sie beruhte nicht auf dem Weg der Vergewaltigung der Natur durch technische Gerätschaften, sondern allein auf der Entwicklung unseres Geistes. Wir begannen, zuerst Dorgon, unsere Heimat zu kultivieren, und dann kolonialisierten wir die umliegenden Systeme. Kraft unseres Geistes konnten wir zwischen den Sternen reisen, ohne auf irgendwelche technischen Krücken angewiesen zu sein.

Die Überlieferungen sind in diesem Punkt äußerst vage, aber sie stimmen alle darin überein, dass die Ahnen in der Lage gewesen sein sollen, nur durch die Kraft ihrer Gedanken immer weitere Entfernungen zurückzulegen. Immer erfolgte unsere Expansion in Übereinstimmung mit der jeweiligen Natur, also keine giftigen Emissionen aus Fabrikanlagen, keine Zementierung der Natur, sondern nur Gebäude aus den Ressourcen, die die Natur freiwillig zur Verfügung stellte.

So verwandelten wir die von uns besiedelten Welten in Parkanlagen mit atemberaubenden Palästen, die dank unseres Geistes selbst den Naturgesetzen trotzten. Schließlich waren die fähigsten Mitglieder unserer Gemeinschaft in der Lage, nur durch die Kraft ihrer Gedanken, zwischen den Galaxien zu reisen, sie stifteten Frieden zwischen den Sternen, indem sie beispielsweise, allein durch ihren Willen, ganze Raumflotten als funktionslose Wracks auf primitive Planeten versetzten, kurz gesagt, durch unsere Macht wurden wir den Göttern gleich. Ein schwaches Echo dieses Erbes ist übrigens unsere heutige Architektur, die versucht, Technik und Natur in Einklang zu bringen.«

Stephanie hatte ungläubig zugehört. Noch immer glaubte sie, im falschen Trivid-Film zu sein. Volcus beobachtete sie über den Rand seines Weinglases mit einem ironischen Lächeln und fuhr fort:

»Jetzt wirst du wohl denken, dass ich komplett närrisch geworden wäre, aber gemach, die Geschichte geht noch weiter.«

Noch immer lächelnd stellte er sein Weinglas wieder auf den Tisch.

»So wurden wir immer mächtiger, wir wandelten im Lichte DORGONS und das Licht DORGONS war mit uns. Unser Herrschaftsgebiet erstreckte sich schließlich über die die gesamte Galaxiengruppe, die in den terranischen Katalogen als Virgo-Galaxienhaufen bezeichnet wird. Diese Entwicklung bewirkte, dass wir immer langlebiger wurden, unsere Lebenserwartung zählte schließlich nach Jahrzehntausenden. Schließlich war es soweit, wir standen an der Schwelle, das Ziel unserer Evolution zu erfüllen, die Vereinigung mit DORGON.«

Wieder unterbrach Stephanie seine Ausführungen.

»Willst du tatsächlich behaupten, dass deine Vorfahren über den gesamten Virgo-Galaxienhaufen geherrscht haben?«

Volcus nickte bestätigend und merkte an, dass »herrschen« wohl der falsche Ausdruck sei. Er fuhr fort:

»Doch in der Erfüllung unserer Bestimmung lag der Keim zum Untergang. Viele Mitglieder unseres Volkes waren nicht einverstanden, dass sie Teil DORGONS werden sollten, es kam zum Krieg zwischen den beiden Richtungen. Dieser führte zur Vernichtung unserer Vorväter. Die wenigen Überlebenden zogen sich wieder nach Dorgon zurück, wo sie aus unbekannten Gründen einer Devolution unterlagen, die erst in einer affenähnlichen Vorform des dorgonischen Menschen endete. Danach begann die Evolution auf Dorgon zum zweiten Male.«

Stephanie murmelte, das sei verrückt, komplett verrückt, kein vernünftiger Mensch könne ohne Beweise an einen solchen Schwachsinn glauben.

Diese Bemerkung beschwor wieder ein ironisches Lächeln auf das Gesicht des Konsuls, der die kurze Unterbrechung für einen weiteren Schluck Weißwein nutzte. Dann spielte er seine Trumpfkarte aus:

»Ich bin ganz deiner Meinung, Stephanie, aber wir haben die Beweise.«

Stephanie verschlug es für einen Moment die Sprache. Ungläubig blickte sie den Dorgonen an. Dieser hatte sich zurückgelegt und grinste sie wieder überheblich an. Einen Moment war sie versucht, ihm dieses penetrante Grinsen endlich durch eine weitere Ohrfeige aus dem Gesicht zu wischen, doch dann entgegnete sie, genauso überheblich grinsend, dass er wohl jetzt irgendwelche esoterischen Hirngespinste mit der Wirklichkeit verwechseln würde.

Volcus überlegte einen Moment, dann bat er sie, ihm zu folgen. Nach einem kurzen Moment des Zögerns entschied sie sich. Ihre Neugier war noch immer zu groß, als dass sie einfach gehen konnte. Der Weg führte in die persönlichen Räumlichkeiten des Konsuls, wo Volcus sie schließlich in einen gesondert gesicherten Bereich führte. Stephanie sah sich interessiert um, der Raum war geschmackvoll eingerichtet und zeugte vom zweifellos vorhandenen Reichtum des Eigentümers. Nach einer einladenden Geste folgte sie Volcus in den gesonderten Raum, wo dieser an einen Energietresor trat.

»Dieser Tresor bewahrt eines der bestgehütetsten Geheimnisse unserer Kultur, den sogenannten Codex Ocassus.«

Volcus legte seine Hand auf einen Bioscanner und nach einer kurzen Pause erlosch das schützende Kraftfeld. Vorsichtig hob er eine aus Formenergie gebildete Kassette heraus, legte diese auf eine Ablage und deaktivierte das Kraftfeld. Vor Stephanie lag ein hohler Zylinder, in dessen Oberfläche kleine Schriftzeichen geätzt waren.

»Dieser Zylinder wurde vor etwa neunzigtausend Jahren in einer Höhle auf Patronn, dem größten Kontinent Dorgons, gefunden. König Domulus, der Befreier, bestimmte, dass über dieser Höhle unsere Hauptstadt Dom errichtet werden sollte. Domulus selbst stiftete die Universität, die sich der Erforschung unserer Vorzeit widmen sollte. Es sollten noch etwa zwanzigtausend Jahre vergehen, bis es dem genialen Wissenschaftler Flaviur Arranius gelang, die Schrift zu entziffern.

Das Alter der Rolle hatte man schon viertausend Jahre früher auf etwa vier Millionen Jahre datiert. Die Entschlüsselung der Schriftzeichen ergab dann in etwa die Geschichte, die ich dir erzählt habe. Diese stimmt übrigens in den Grundzügen mit verschiedenen Mythen überein, die schon immer im Volk in Umlauf waren.«

Stephanie schüttelte nur den Kopf.

»Und das soll ich glauben? Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Du, ein bisher völlig unbedeutender Senator, willst in Besitz eines der nach deiner Aussage größten Geheimnisse Dorgons sein? Tut mir leid, aber verarschen kann ich mich allein!«

Die Prinzessin hatte jetzt endgültig genug. Sie hatte keine Ahnung, was Volcus eigentlich bezweckte, aber sie war dieses Spiel endgültig leid. Sie wandte sich ab, um zu gehen, als sie an der Schulter herumgerissen wurde. Volcus hielt sie fest, alles Theatralische war von ihm abgefallen.

»Gut, beenden wir die Komödie! Du hast recht, ich bin, wie du vermutest, kein unbedeutender Senator, im Gegenteil, meine Familie zählt seit Jahrtausenden zur absoluten Elite Dorgons.«

Mit einer unwilligen Bewegung schüttelte sie die Hände ab und erwiderte:

»Und? Hat dich jetzt plötzlich DORGON oder sonst ein Hirngespinst berufen? Das ist doch alles nur reine Propaganda! Das Einzige, um das es dir geht, ist Macht, pure primitive Macht! Gib es doch zu, du willst unbedingt Kaiser werden und das ist alles!«

»Natürlich will ich Macht und natürlich will ich Kaiser werden. Es wäre total bescheuert, wenn ich das abstreiten würde. Aber das Kaisertum Dorgons ist mehr als nur der unbedingte Wille zur Macht, es ist auch das Erbe einer uralten kulturellen Vergangenheit, die bis in die Vorzeit zurückreicht. Unsere schriftlich überlieferte Geschichte umfasst fast zwei Jahrhunderttausende, auch ohne unsere unsicheren Überlieferungen!

Zwei Hunderttausende eurer Jahre, Stephanie! In dieser Zeit entstand auf Terra der moderne Mensch aus einheimischen Frühmenschen und gestrandeten Ganjasen, Lemur stieg zur Blüte auf und ging wieder unter, zur gleichen Zeit stiegen wir zur beherrschenden Macht einer ganzen Galaxie auf und führten für die Kosmokraten ungezählte Stellvertreterkriege. Als wir schließlich des sinnlosen Gemetzels müde wurden, bekamen wir die Rechnung präsentiert. Wieder vergingen ungezählte Seelen zwischen den gnadenlosen Sternen, aber wir konnten den Manipulatoren hinter den sogenannten Materiequellen trotzen und unsere Existenz und Unabhängigkeit behaupten.«

Stephanie wollte eine Bemerkung einwerfen, doch ein Blick in das hart gewordene Gesicht des Dorgonen ließ sie verstummen. Der fuhr fort:

»Ich weiß, was du fragen wolltest. Ja, wir haben gegen die Kosmokraten und ihre Hilfsvölker gekämpft und haben uns in diesem Kampf schließlich irgendwie behaupten können. Der Kosmokrat Sipustov erschien und prophezeite uns, dass wir für unsere Anmaßung büßen würden, bis ins hundertste, bis ins tausendste Glied.

Wir waren am Ende, die Horden derjenigen, die sich selbst Mächte der Ordnung nennen, zogen eine Schneise der Zerstörung durch Dorgon. Unsere Flotten wurden aufgerieben, Planet um Planet wurde vernichtet, es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis die Barbarei nach unserer Heimat greifen würde.

Doch dann erschien, wie schon einmal in unserer Frühgeschichte, der Namenlose Kaiser und führte uns in die Schlacht. Er schenkte uns die Technik, um gegen die Kosmokraten bestehen zu können und hinterließ ein geheimnisvolles Artefakt, den Protector.

Danach verschwand er wieder. Während der nächsten Jahrhunderte war der Träger des Protectors der Führer unseres Volkes im Kampf gegen die Kosmokraten. Schließlich siegten wir, die Kosmokratenflotten zogen sich zurück. Doch was zu einer Zeit des Neubeginns und Aufbaus werden sollte, versank im Chaos des Bürgerkrieges. In dieser Zeit ging der Protector verloren und wurde zur Legende.«

Geistesabwesend strich Volcus sich das halblange Haar aus dem Gesicht.

»Es folgten die Dunklen Jahrhunderte, das Zeitalter der Barbarei. Dorgone kämpfte gegen Dorgone, die nichtmenschlichen Völker unserer Heimatgalaxie griffen nach der Herrschaft, eine starke Zentralmacht, die Frieden und Sicherheit garantieren konnte, war nicht mehr vorhanden. In dieser Situation ereignete sich das zweite Wunder. Der unbedeutende Konsul Jusilus fand den Protector wieder, einte zuerst Dorgon, schlägt die nichtmenschlichen Völker und wird schließlich zum Kaiser gekrönt. Schließlich wird die Galaxie geeint und in Protektorate aufgeteilt, nachdem er als Protector Dorgonis den dorgonischen Frieden erklärt hatte.

Doch Kaiser Jusilus konnte sein Werk nicht vollenden, vor genau 6545 Jahren fiel er den Giftnadlern gekaufter Meuchelmörder zum Opfer. Man bestrafte zwar die Mörder, aber die Hintermänner blieben für immer unerkannt. Bei der Beisetzung des Kaisers verschwand der Protector, um vor einem halben Jahr von mir gefunden zu werden.«

Gedankenverloren strich er über einen Gegenstand, der Stephanies Blicken verborgen war. Dann bannte sein Blick ihre Augen.

»Jetzt fragst du dich sicher, wie ich, der lebenslustige, leichtsinnige Volcus, der das Vermögen seiner Familie mit beiden Händen verprasste, plötzlich seine Verantwortung für Dorgon entdeckte?«

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort:

»Die Antwort ist ganz einfach: Als Despair und seine sogenannten Brüder Kaiser Commanus ermordeten und den gesamten Senat auslöschten, befanden sich unter den Opfern auch meine Eltern. Als ich an ihrem Grab stand, da wusste ich, dass es an der Zeit war, mein Leben zu ändern. Das Vermögen meiner ermordeten Eltern gab mir die Mittel, um meinen politischen Aufstieg vorzubereiten. Es war, als ob Dorgon nur auf mich gewartet hätte. Als mir schließlich mein alter Freund Osbarus berichtete, dass man in alten Gewölbekellern des Rhetoricum Scientia Hinweise auf den Verbleib des Protectors gefunden hätte, wusste ich, dass das alles kein Zufall sein konnte.«

Volcus machte wieder eine Pause, um an seinem Weinglas zu nippen. Stefanie nutzte die Gelegenheit, um den Gegenstand, der nun sichtbar geworden war, in Augenschein zu nehmen. Dazu trat sie einige Schritte näher. Es handelte sich um ein Schwert, das in einer geöffneten Schatulle lag. Der Griff war zweckmäßig und schmucklos, während in die lange, beidseitig geschliffene Klinge seltsame Symbole geätzt waren, die ein Eigenleben zu führen schienen. Früher, noch vor der Zeit, in die ihr Vater geboren wurde, bezeichnete man eine solche Waffe als Bihänder, weil sie nur mit beiden Händen geführt werden konnte.

Innerlich musste sie lächeln. Vater hatte für eine umfassende Bildung seiner Lieblingstochter gesorgt und dazu gehörten auch umfangreiche Lektionen über die Frühzeit Terras, noch bevor Perry Rhodan ins All aufgebrochen war. Nach diesen Geschichten hatte sie sich immer als die Prinzessin gefühlt, der die Kavaliere zu Füßen lagen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablasen. Nun, ein Wunsch zumindest schien bereits in Erfüllung gegangen zu sein, die Kavaliere lagen ihr zu Füßen. Bis auf Rhodans Sohn, diesen verdammten Mistkerl, zumindest! Wieder durchzuckte sie der Schmerz der Zurückweisung, der aber sofort durch das Gefühl unbeschreiblichen Triumphs abgelöst wurde. Sie hatte sich gerächt, Rhodans eingebildeter Sprössling würde sich noch wundern.

Ein Räuspern Volcus’ machte ihr die Gegenwart wieder bewusst. Rhodans Sohn, das musste sie sich immer wieder vor Augen halten, war Vergangenheit und wichtiger als diese war die Gegenwart, die ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Mit einem verführerischen Augenaufschlag ergriff sie ihr Glas und prostete dem Dorgonen zu.

»Auf die Zukunft und weiter gute Zusammenarbeit unserer Reiche, Protector Dorgonis!«

Media via in morte sumus oder
Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben

Der Quell des Unheils: Topthor

Hinter der PARICZA fiel Siom Som ins Nichts zurück. Es wurde zu einer unbedeutenden Insel zwischen anderen Sterneninseln. Das gewaltige, kugelförmige Trägerschlachtschiff der SUPREMO A-Sonderklasse jagte mit dem unvorstellbaren Überlichtfaktor von 140 Millionen Lichtjahren seinem Ziel Erendyra entgegen, das etwa 1,6 Millionen Lichtjahre von Siom Som entfernt war.

Leticron hatte sich entschlossen, den Fortschritt des Schöpfungsprogramms selbst zu überprüfen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles seinen gewohnten Gang nahm, zog er sich in seinen privaten Wohnbereich zurück. Er wusste, dass seine Anwesenheit in der Zentrale für die nächsten vier Tage nicht erforderlich sein würde, Oberst Manjock, der Kommandant der PARICZA, würde das Schiff zum neuen Machtzentrum des Quarteriums im Virgo-Galaxienhaufen führen.

Fünf Tage später

Die PARICZA hatte die nahe Satellitengalaxie Dhatabaar passiert und trat in den äußeren Bereich der elliptischen Galaxie ein. Im Halo von Erendyra mit einem dichten Netz aus über fünftausend Kugelsternhaufen und ausgedehnten Gebieten aus Staub und Protomaterie herrschte ein hyperphysikalisches Chaos, das die Navigation erschwerte. Für die Zwecke des Quarteriums waren diese kosmischen Verhältnisse jedoch geradezu ideal, da es nur wenige Zugangsrouten gab, die ohne Gefahr genutzt werden konnten. Wenige Stunden später erreichte das SUPREMO A-Schlachtschiff das Memory-System, dessen siebter Planet zum Zentrum quarterialer Macht ausgebaut wurde.

Das Schiff ging in einen Orbit um die neue Zentralwelt der Überschweren, die in den vergangenen Jahren von Hunderttausenden der umweltangepassten Mehandor besiedelt worden war. Das eigentliche Ziel des Quarteriumsfürsten war aber nicht die neue Heimatwelt, sondern der vierte Mond des Riesenplaneten, der im Gedenken an den während der Linguidenkrise getöteten Forschungsminister Roehk genannt wurde.

Wenig später landete eine Korvette der PARICZA auf dem zentralen Raumhafen, der noch immer nicht fertiggestellt worden war. Aber auch die halb fertige Kulisse, die sich dem Blick des Coruns darbot, war gewaltig. Auf dem riesigen Landefeld waren Tausende und Abertausende Schlachtschiffe in Reih und Glied aufgestellt, die nur darauf warteten, dass die Besatzungen an Bord gehen würden, um Tod und Verzweiflung über die Welten der Gegner MODRORS zu bringen.

Zwei Stunden später hatte Leticron die Konferenz mit den Abteilungsleitern abgeschlossen und sich einen ersten Überblick über die Fortschritte der einzelnen Forschungsrichtungen verschafft. Die Berichte klangen alle sehr vielversprechend, die Konzentration der kriegswichtigen Forschungsprojekte hier in der Isolation Erendyras schien sich bezahlt zu machen. Nachdem sich die Abteilungsleiter verabschiedet hatten, aktivierte der Überschwere das geheime Transmittersystem, das ihn und Sordanion in das humangenetische Forschungszentrum transportieren würde.

*

Die beiden Überschweren materialisierten in einer waffenstarrenden Panzerkammer, die gleichzeitig als Gegenstation für den besonders abgeschirmten Käfigtransmitter diente. Schwere Desintegratoren, Nadler, Stogsäurestrahler, Thermo- und Impulsstrahler warteten nur darauf, alles zu vernichten, was sich nicht durch entsprechende Gehirnwellenmuster als zugangsberechtigt auswies. Im gleichen Augenblick, als die beiden Umweltangepassten ihre Umgebung bewusst wahrnahmen, hatte die Überwachungsyntronik die ÜBSEF-Muster identifiziert und die Waffensysteme deaktiviert.

Wenig später öffnete sich das aus SAG-Metall bestehende Schott, das den Weg aus der Todesfalle darstellte. Leticron und seine Begleiterin traten nach draußen, wo sie bereits von der Leiterin des Schöpfungsprogramms, der Molekulargenetikerin Dr. Syntr Sailz erwartet wurden.

Die Ara, die auf Aralon in eine der einflussreichsten Suhyags geboren wurde, hatte, nachdem sie dem Ruf DORGONS gefolgt war, zuerst ihren Weg innerhalb von Shorne-Industries gemacht und war nach Gründung des Quarteriums als wissenschaftliche Offizierin zur CIP gewechselt. Unter dem Einfluss von CIP-Chef Werner Niesewitz verschrieb sie sich ganz der quarterialen Ideologie und hatte inzwischen die Nachfolge von Peter Roehk angetreten.

»Corun, ich bin geehrt, dass Sie meine Arbeit durch Ihre persönliche Anwesenheit würdigen.«

»Syntr, wir sind hier unter uns, du brauchst also dein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen!«

»Entschuldigung, Corun, ich verstehe nicht. Was bedeutet unter den Scheffel zu stellen?«

Leticron lachte schallend, was ganze Batterien von Reagenzgläsern zum Schwingen brachte.

»Vorsicht, Vorsicht! Sonst sind meine ganzen Versuchsreihen unbrauchbar!«

Das donnernde Gelächter verebbte.

»Syntr, du solltest dich auch einmal etwas mit der Kultur und den Redensarten unserer terranischen Verbündeten beschäftigen. Du scheinst da, genauso wie Sordanion, einige Bildungslücken zu haben.«

Bei diesen Worten verzog sich das Gesicht der Ara zu einer Grimasse des Abscheus. Voller Verachtung blickte sie der »Schwester« des Coruns ins Gesicht.

»Wollen Sie mich tatsächlich mit diesem biologischen Abfallprodukt Ihrer DNA auf eine Stufe stellen? Dass dieses Stück Abfall hier …«

Weiter kam die hagere, fast zwei Meter große Ara nicht. Mit einem tierischen Schrei wollte sich die Überschwere auf sie stürzen. Doch Leticrons Befehl stoppte seine Leibwächterin mitten in der Bewegung.

»Sordanion, Dr. Sailz ist für dich unantastbar! Du wirst ihr kein Haar krümmen!«

»Aber Gebieter, diese hässliche Schlampe hat dich und mich beleidigt!«

Leticron hob bei diesen Worten fast resignierend die Arme.

»Jetzt hört mir mal zu – alle beide! Es ist höchste Zeit, dass ihr euch zumindest gegenseitig akzeptiert, euer Gezicke gefährdet unser großes Ziel!«

Einen Augenblick herrschte eine gespenstische Stille, nur der Atem der beiden Überschweren war zu hören.

»Corun, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Dieses Stück wertloses Protopla…«

Nun reichte es Leticron endgültig.

»Syntr, es ist genug. Warum kannst du Sordanion nicht als vollwertiges Lebewesen anerkennen? Sie ist dein Meisterwerk, hörst du, du kannst stolz auf sie sein!«

Das Gesicht der Ara spiegelte nichts als Abscheu wider, als sie antwortete.

»Corun, haben Sie vergessen, dass es unser höchstes und edelstes Ziel ist, das Erbe Lemurs aus dem Pfuhl der Verdammnis wieder zum Licht zu führen? Ich habe dieses Stück Fleisch aus Ihrer DNA geschaffen, es ist auf seine Art vollkommen, das ist richtig, aber es gehört nicht zur lemurischen Spezies, genauer gesagt, gehört es keinerlei Spezies an. Nie kann und darf, und das ist die Überzeugung und das Erbe der Suhyags von Aralon, ein Stück unbeseeltes Fleisch das Recht eingeräumt bekommen, als vollwertiges Wesen zu gelten. Corun, Fleisch ist aus dem Dreck entstanden und wird wieder zu Dreck und Dreck kann nie der Träger des Lebensfunkens sein, der allein die Angehörigen der lemurischen Rasse vom Dreck trennt!«

Leticrons Hände hatten sich in Sordanions Schultern gekrallt und hinderten diese, sich auf die Ara zu stürzen. Seine Stimme klang nun wie das Grollen eines gereizten Parang, als er die Galaktische Medizinerin anfuhr:

»Überlege genau, was du sagst! Indem du Sordanion beleidigst, beleidigst du mich. Sie ist aus meiner DNA entstanden und gleicht mir wie eine Zwillingsschwester dem Zwillingsbruder. Wenn du sie als Dreck bezeichnest, bezeichnest du mich als Dreck. Nach deiner Definition würde der Dreck bereits bis in die höchsten Führungsebenen des Quarteriums vorgedrungen sein. Niesewitz scheint dir mit seiner lemurischen Rassenideologie das klare Denken vernebelt zu haben.«

Der Überschwere machte eine Pause, seine tiefen Atemzüge zeugten davon, dass er zwanghaft versuchte, seine Beherrschung wiederzufinden. Dann fuhr er fort:

»Syntr, wach endlich auf. Du bist doch Wissenschaftlerin und eine geniale noch dazu. Das, was Niesewitz und seine neuen Menschen betrifft, ist doch bloße Propaganda! Würde man das ernst nehmen, müssten wir die Mehrheit der humanoiden Rassen ausrotten und mit uns selbst anfangen. Dieses ganze Geschwätz von Reinheit und Überlegenheit der lemurischen Rasse ist nichts als Schwachsinn, gut brauchbar, um die Massen ruhigzustellen, denn wer möchte nicht zu den Auserwählten gehören, wenn er sonst nichts hat, auf das er stolz sein kann. Aber Syntr, verwechsle nicht Propaganda mit Wirklichkeit. Das, was allein zählt, ist nicht Blut oder Rasse, sondern allein der Wille zur Macht. Am Ende wird der gewinnen, der mehr Schiffe und besser ausgebildete Soldaten in den Kampf werfen kann.

Und deshalb ist es wichtig, dass das Projekt ein Erfolg wird. Noch haben wir die Chance, das Blatt zu wenden. Hier, in Erendyra, können wir die Waffen schmieden, die zum Untergang Rhodans und seiner Clique von Kosmokratenkriechern führen werden.«

Syntr grübelte einen Moment, ehe sie antwortete.

»Gut Corun, wenigsten in einem Punkt stimmen wir überein. Das Schöpfungsprogramm hat höchste Priorität und nichts und niemand darf den Erfolg meiner Forschungen gefährden. Und genau deshalb wird sich«, die Ara verzog für einen Moment das Gesicht, als ob sie etwas Scheußliches essen müsste, bevor sie weitersprach, »Ihre Schwester von mir fernhalten.«

Jetzt verlor Leticron endgültig die Kontrolle. Der Überschweren gelang es, seine Hände teilweise abzuschütteln. Voller Hass schrie sie die Ara an.

»Wer glaubst du dürre Scheußlichkeit eigentlich, wen du vor dir hast? Wenn ich deinen Eierkopf in die Finger bekomme, zerquetsche ich dich wie eine Laus.«

Mit einer letzten Kraftanstrengung wollte sich Sordanion losreißen, um sich auf die Ara zu stürzen. Doch Leticron gelang es, seinen Kombistrahler zu ziehen und seine »Schwester« zu paralysieren. Mit wutverzerrtem Gesicht wandte er sich der Ara zu.

»Ende, verstanden?«, brüllte er.

Seine Augen brannten, als er versuchte, die Molekulargenetikerin seinem Willen zu unterwerfen. Doch die Ara lachte nur überheblich.

»Sie haben doch nicht geglaubt, dass Sie mich so einfach zu einer schnurrenden Dremetze machen können?«

Leticron war wie vor den Kopf geschlagen. Normalerweise verzichtete er auf den Einsatz seiner Para-Fähigkeiten, seine Persönlichkeit und sein Wille genügten, um jeden Untergebenen in Angst und Schrecken zu versetzen. Doch wenn er diese einmal einsetzte, war er es gewohnt, dass sein Wille jeden Widerstand, jede eigene Meinung im Keim erstickte.

»Marschall-Kommandeur Niesewitz hat mich von ihren Fähigkeiten genau unterrichtet. Als mir klar wurde, dass wir hier in Erendyra zusammenarbeiten werden, habe ich mich natürlich bemüht, diesen kleinen Nachteil meinerseits auszugleichen.«

Wieder machte die Ara eine Pause und strich sich mit einer geradezu anmaßenden Geste über ihren kahlen Oberschädel, der von einem Kranz langer, weißer Haare umgeben war. Ihre roten Augen glitzerten voller Hohn, während sie den Überschweren weiter musterte.

Leticron hatte nun endgültig genug. Der nun klar zutage tretende Spott der Ara machte ihn rasend. Fast bedauerte er, dass er verhindert hatte, dass Sordanion sie zwischen ihren Pranken zerquetschte. Der Gedanke daran ließ ihn endgültig die Kontrolle über sich verlieren. Schwerfällig stapfte er auf die galaktische Medizinerin zu, die gewaltigen Pranken wie Klauen ausgestreckt.

Er war der Corun von Paricza und als Quarteriumsfürst der ungekrönte Herrscher aller Völker Cartwheels, die ihre Herkunft auf das Große Imperium zurückführten. Diese fette Witzfigur Jenmuhs, die sich selbst zum Gos’Shekur ernannt hatte, war von ihm nur geduldet. Sobald die Zeit gekommen war, würde er den unfähigen, aufgeblasenen Fettsack mit eigenen Händen erwürgen.

Wie dem auch sei, er konnte sich diese Impertinenz nicht bieten lassen, von niemandem. Es war an der Zeit, dieser aufgeblasenen Zicke die Furcht vor dem Herrn beizubringen. Sein Gesicht verzerrte sich in ungezähmter Wut. Ja, er würde dieser genetischen Fehlentwicklung langsam und genussvoll einige Knochen brechen, einen nach dem anderen. Er würde …

»Das reicht!«

Der schrille Schrei der Bedrohten ließ ihn einen Moment zögern. Als er sich wieder in Bewegung setzen wollte, fuhr die Ara fort.

»Ob Sie es glauben oder nicht, auch gegen Ihre körperliche Überlegenheit habe ich das passende Mittel gefunden. Hören Sie auf mich, wenn Sie nicht unsere letzte Chance auf den Sieg aus persönlicher Eitelkeit verspielen wollen.«

Irgendetwas in ihrer Stimme stoppte seine Vorwärtsbewegung. Der Sieg … das Schöpfungsprogramm … er war für den Erfolg verantwortlich. Diese Erkenntnis ließ ihn schlagartig einhalten.

Das Schöpfungsprogramm hatte oberste Priorität – sein Ego war zweitrangig.

»So ist es gut, Corun. Sie werden in Zukunft für meine körperliche Unversehrtheit und mein Wohlbefinden garantieren, sonst werden einige Katalysatorbomben, die ich über den ganzen Mond verteilt habe, hochgehen. Der Zündmechanismus ist mit meiner ÜBSEF-Konstante gekoppelt, sobald diese erlischt oder verzerrt wird, gehen die Bomben hoch.«

Einen Moment lang war der Überschwere wie gelähmt. Ihm wurde klar, dass die galaktische Medizinerin damit für ihn faktisch unangreifbar war. Zähneknirschend musste er sich eingestehen, dass sie ihn kaltgestellt hatte.

Überlegen lächelnd wandte sich die Ara ab und meinte beiläufig:

»Corun, würde es Ihnen etwas ausmachen, diesen Dreck«, damit deutete sie auf die immer noch paralysiert daliegende Sordanion, »aus meinem Blickfeld zu entfernen! Außerdem kann ich erste Erfolge vorweisen, einige Betas wären einsatzbereit!«

Etwa zwei Stunden später

Leticron hatte die bewusstlose Überschwere in seine Suite gebracht und einen Medoroboter gerufen, der sich um sie kümmerte. Missmutig betrachtete er den weitgehend entblößten Körper des weiblichen Klons, der zugleich seine Leibwächterin und Geliebte war. Mit aller Konzentration verdrängte er den Wunsch, seinem Zerstörungsdrang freien Lauf zu lassen. Noch nie war er so gedemütigt worden, und das nur, weil ein Klon aus den Genen seines Körpers sich erdreistete, seinen Befehlen zu trotzen. Nachdem der Roboter die Zimmerflucht verlassen hatte, füllte er eine Karaffe mit kaltem Wasser und leerte sie über dem Klon aus.

Prustend und fluchend kam Sordanion hoch und blickte ihn entgeistert an.

»Gebieter, was …?«, stotterte sie, doch der Blick in das wutverzerrte Gesicht Leticrons ließ sie verstummen.

Das war der Moment, indem der Überschwere seinen Para-Fähigkeiten freien Lauf ließ. Sein glühender Blick bohrte sich in das Gehirn seiner Schwester, die die Hände an die Schläfen presste und qualvoll aufstöhnte.

Ich bin dein Herr! Gehorche mir, befolge meine Befehle! Bete mich an!

Die Paraimpulse hämmerten in das Bewusstsein Sordanions, doch je stärker der Wille Leticrons wurde, umso mehr wuchs ihr Widerstand.

Das war der Moment, in dem Leticron endgültig die Kontrolle über sich verlor. Er wollte quälen, verletzen, erniedrigen, und wenn es das einzige Wesen war, das ihm bisher bedingungslos vertraut hatte. Mit einem Schrei, der nichts menschliches mehr hatte, riss er ihr die restlichen Kleider vom Leib und stürzte sich auf sie. Was folgte war eine unbeschreibliche Orgie der Gewalt, die die Überschwere nur dank ihrer körperlichen Konstitution überlebte. Dabei schrie er immer wieder wie von Sinnen:

»Dreck, du bist nichts als stinkender Dreck und wie Dreck werde ich dich behandeln!«

*

Die PARICZA verließ die Galaxie in einem spitzen Winkel zur Ebene der Ekliptik, nachdem der Corun sich zuvor noch über die Fortschritte des zweiten großen Forschungsprojektes in Erendyra informiert hatte. Das Zentrum der ehemaligen ESTARTU-Galaxie bildete ein gewaltiges Black Hole, das etwa um den Faktor Tausend massereicher war als das Gegenstück in der Milchstraße. Ziel war die Erforschung der hyperphysikalischen Grundlagen, die in fernster Vergangenheit den Amarena die Konstruktion der Schwarzen Sternenstraßen ermöglicht hatten. Nach Aussage der quarterialen Hyperphysiker boten gerade die hyperphysikalischen Bedingungen im Zentrum Erendyras ideale Voraussetzungen, um die wissenschaftlichen Grundlagen der sogenannten Einstein-Rosen-Brücken zu erforschen.

Leticron hatte sich in seine Suite zurückgezogen und die Kommandobrücke Oberst Maynock, dem Kommandanten der PARICZA, überlassen. Der Flug von Erendyra nach Siom Som war eine reine Routineangelegenheit, der seine persönliche Anwesenheit nicht erforderte. Finster auf seinem an einen Thron erinnernden Kontursitz vor sich hinbrütend, überdachte er nochmals die Informationen, die ihm die Ara vor seinem Abflug von Roehk übergeben hatte. Sie hatten zwar Fortschritte gemacht, aber das eigentliche Ziel war noch genauso weit entfernt wie am Anfang. Wenigstens das Betaprogramm schien so langsam zum Erfolg zu führen, wie die fünfzig Exemplare in den Zellen des Sicherheitstraktes bewiesen. Aber auch hier waren sie von der erfolgreichen Massenproduktion noch weit entfernt, die Ausschussquote von über neunzig Prozent war einfach inakzeptabel.

Der Corun knirschte vor Wut mit seinem mächtigen Gebiss, die Frustration und sein gequältes Ego suchten nach einem Ventil. Seine Pranke aktivierte die Interkomverbindung.

»Komm her«, herrschte er den sichtbar werdenden Klon an, »ich brauche deine Dienste!«

*

Die mächtige Gestalt des weiblichen Klons hatte sich auf der einfachen Konturliege in einer Stellung zusammengerollt, die man bei natürlich geborenen Humanoiden als Embryonalstellung bezeichnete. Doch der Klon, der in den Labors von Shorne-Industries aus dem Zellmaterial und der DNS Leticrons gezüchtet worden war, hatte die Geborgenheit einer Mutter nie kennengelernt.

Ein verzweifeltes Schluchzen schüttelte den massigen Oberkörper, während Tränenströme den Weg zwischen den gewaltigen Brüsten suchten. Zum ersten Mal in seinem kurzen Leben weinte der weibliche Klon. Alles, woran sie je geglaubt hatte, war endgültig zusammengebrochen. Auch in Leticrons Augen war sie in Wirklichkeit nur Dreck, nichts als nutzloses, geduldiges Fleisch, dessen einzige Daseinsberechtigung in der Befriedigung seiner Lüste bestand!

Ihr gesamtes Denken war bisher durch den Quarteriumsfürsten dominiert worden, Leticron war ihr Lehrer, ihr Herr und Gebieter, ihr Geliebter gewesen. All das war gestorben, vernichtet, von der brutalen Gewalt der mehrfachen Vergewaltigungen zertreten, vorbei – für immer! Einen Moment lang überlegte sie, ihrem nutzlosen Leben ein Ende zu setzen, doch dann kam aus den Tiefen ihrer Seele der Mut weiterzuleben. Langsam entspannte sie sich, der Tränenfluss versiegte. Kraft, unbändige Kraft durchflutete plötzlich jede Zelle ihres Körpers.

Sie würde leben, sie würde lernen und sie würde Rache nehmen!

Rache für sich, Rache für jedes unglückliche Wesen, das aus den Bruttanks des quarterialen Höllenpfuhls kam, nur um getötet zu werden.

Einen Moment überlegte sie, ob sie zurückgehen sollte, um ihn zu erledigen, doch so sehr sie darauf brannte, ihre Hände um seinen Hals zu legen und langsam, ganz langsam zuzudrücken, sie durfte dies nicht, noch nicht! Sie würde weiter die willenlose Sklavin des Ungeheuers spielen und aus ihrer Position an seinem und dem Untergang des gesamten verwerflichen Systems arbeiten.

Er würde sich durch seine Para-Fähigkeiten sicher fühlen, doch sie war Fleisch von seinem Fleisch – und deshalb immun. Sie hörte seine Befehle als geisterhaftes Flüstern in ihrem Kopf, doch ihr Wille und ihr gesamtes Denken blieben davon unbeeinflusst.

Als sie noch an seine Liebe und Achtung geglaubt hatte, hatte sie diese Stimmen als Ausdruck ihrer Liebe und Verbundenheit empfunden, als Hilfe, seine Wünsche und Bedürfnisse zu ergründen und ihm die vollkommene Gefährtin zu sein. Doch das war vorbei, es war keine Liebe gewesen, sondern sklavische Unterwerfung. Nun, dieses Verhältnis konnte auch umgekehrt werden – sie war zwar in seinen Augen nur Dreck, doch aus Dreck wurde Sand, und Dreck und Sand breiteten sich aus, überall im Quarterium.

Oh, sie hatte sich inzwischen über die terranischen Sprichwörter informiert und auch das passende gefunden:

Aus dem Dreck, den sie und ihre gepeinigten Schwestern und Brüder in den Augen Leticrons und seiner Schlächter darstellten, würde Sand im Getriebe des Quarteriums werden, der Sand, der schließlich die Maschinerie des Grauens zum Stillstand bringen würde!

In diesem Augenblick geschah einer jener schicksalhaften Momente: Aus einer geduldigen Sklavin ohne eigenen Willen wurde ein vollwertiges menschliches Wesen, eine Frau, die ganze Sternenreiche erschüttern würde.

Sordanion war erwacht! Fürchtet euch!

Leise, ganz leise …

Das kleine Einsatzteam war an Bord der VIPER II gegangen, um zur Galaxie Siom Som aufzubrechen. Nach kurzer Beratung hatte man sich für den SUPREMO V-Kreuzer, dem zweiten Beiboot der FLASH OF GLORY, entschieden, da er neben der TERSAL, die leider nicht zur Verfügung stand, da Gal’Arn in einer geheimen Mission unterwegs war, das schnellste Schiff war, das der Neuen USO Cartwheel und der FES zur Verfügung stand.

Admiral Jeamour hatte sich nach langen Beratungen dafür entschieden, durch ein kleines Kommandounternehmen zu versuchen, Roi Danton, Sam und Jan Scorbit zu befreien. Aufgabe der VIPER II würde es sein, das Einsatzteam nach Siom und wieder sicher zurückzubringen. Das taktische Einsatzszenario sah vor, dass die VIPER II senkrecht zur Ekliptik Siom Soms in die Kalmenzone eindringen und im Schutz der hyperenergetischen Störfelder versuchen sollte, unentdeckt in eine weiträumige Kreisbahn um Siom zu gehen.

Den eigentlichen Einsatz würde eine gemischte Spezialeinheit aus Mitgliedern der Gruppe Zero und der Landungseinheit der IVANHOE II an Bord von drei speziell konfigurierten Minor-Globes durchführen. Nach langen Überlegungen hatte man sich dabei für die Minor-Globes und gegen eine Korvette entschieden, weil die kleinen Kugelraumschiffe bestens dafür geeignet waren, kleine Einsatzkommandos ungesehen auf einem stark gesicherten Planeten abzusetzen. Dazu kam, dass bei drei Einheiten die Wahrscheinlichkeit auch dreimal so hoch war, dass zumindest eine durchkommen würde. Die Minor-Globes hatten umfangreiche Umbauten hinter sich, durch die in erster Linie die Zahl der möglichen Besatzungsmitglieder erhöht wurde.

*

Die VIPER II hatte das Einsatzteam in den drei Minor-Globes außerhalb der Umlaufbahn um den äußersten Planeten Sioms – Lhan – abgesetzt und war in den Tarnmodus gegangen, indem auf alle Technik verzichtet wurde, die irgendwelche Strahlung im Bereich des Hyper-Spektrums emittierte.

Energetisch war das Schiff für jede Ortung tot, da die uralten Fusionsreaktoren, durch welche die Lebenserhaltungssysteme versorgt wurden, durch moderne Energietaster nicht angemessen werden konnten. Zuvor wurden jedoch die Gravitrav-Speicherringe bei einer nahen Sonne ohne Planeten aufgeladen, sodass der SUPREMO V-Kreuzer faktisch aus dem Stand heraus voll einsatzfähig war.

An Bord herrschte Schwerelosigkeit, da Shan Mogul jedes Ortungsrisiko minimieren wollte. Die Einsatzplanung sah vor, dass die Minor-Globes in einer Umlaufbahn um Som bleiben sollten, wo sie nach erfolgreicher Befreiung der Gefangenen das Einsatzteam samt diesen aufnehmen und durch Excalibur-Transmitter auf die VIPER II zurückschicken sollten. Die drei Minors würden als Roboteinheiten zurückbleiben, um die Verfolger zu verwirren und die Flucht der VIPER II zu decken.

*

Mathew Wallace starrte missmutig auf das Display der Passivortung der IVA-M01. Die Mitglieder des Einsatzteams waren auf die drei Minors aufgeteilt worden, die mit unterschiedlichen Kursen in getrennte Umlaufbahnen gehen würden. Dort würde dann das eigentliche Einsatzteam von Bord gehen und mit speziellen passiven Gleitern auf Som landen.

Der Erste Offizier der IVANHOE II hatte bis zuletzt dafür plädiert, direkt mit den Minors zu landen, war jedoch von Tyler und diesem oxtornischen Superweib Mowac glatt überstimmt worden. Selbst sein alter Kumpel Irwan, mit dessen Unterstützung er fest gerechnet hatte, war ihm in den Rücken gefallen. Das Monitoringsystem der Schleusenkontrolle zeigte durch ein im düsteren Rot blinkendes Signal an, dass die Atmosphäre der seitlichen Polschleuse abgepumpt und geöffnet wurde. Mit einem Handgriff schaltete er von der Umgebungskontrolle zur Überwachungskamera.

Warum tue ich mir das überhaupt an, dachte er, während er beobachtete, wie sich die zwölf Mitglieder des Einsatzteams der IVA-M01 in der Schleuse versammelten. Er wusste genau, dass gerade in diesem Moment der letzte Check der uralten Helmfunkgeräte stattfand, welche die Kommunikation zwischen den Teammitgliedern gewährleisten sollten.

Gerade wollte er wieder zur Umgebungskontrolle umschalten, als er stutzig wurde. Irgendetwas stimmte nicht. Seine Reaktion erfolgte automatisch, lang antrainierte Reflexe hatten die Kontrolle über seinen Körper übernommen. Mit einem Fingerdruck löste er zugleich Vollalarm und die Notverriegelung der Schleuse aus. Erst jetzt registrierte sein Wachbewusstsein, was sein Unterbewusstsein alarmiert hatte: Statt zwölf befanden sich dreizehn Personen in der Schleuse.

In diesem Moment hörte er über das altertümliche Funksystem die grimmige Stimme Tylers.

»Wallace, du Riesenarsch. Ich glaube dich hat der Wahnsinn gepudert. Was soll …«

»Halts Maul, Tyler. Ihr habt einen blinden Passagier bei euch, der gerade auschecken wollte!«

Einen Moment war nur das erregte Atmen Tylers aus dem Feldlautsprecher zu hören, doch bevor dieser reagieren konnte, schnellte eine der unförmigen Gestalten aus der Gruppe. In den klobigen Handschuhen seines Raumpanzers drohte ein aktivierter Kombinationsstrahler, der auf die noch immer in einer losen Gruppe versammelten Mitglieder des Einsatzteams zeigte.

»Niemand bewegt sich und haltet die Hände so, dass ich sie sehen kann!«

»Irwan, nun mach mal halblang, du kennst mich doch, ich …«

»Nein Sam, ich kenn dich nicht, nicht in diesen unförmigen Raumpanzern, und deshalb bleibt ihr alle genau dort, wo ihr steht!«

Irwan Dove machte eine kleine Pause, bevor er weiterfuhr.

»Und nun nehmen alle ihren Helm ab, aber mit zwei Händen, und legen ihn dann ganz, ganz langsam auf den Schleusenboden!«

Auf diese Anweisung folgte ein Augenblick Stille, bevor ein wildes Durcheinander von Stimmen hörbar wurde. Schließlich hatten sich alle beruhigt und begannen, langsam die Helme abzunehmen. Interessiert beobachtete Mathew, wie Helm um Helm abgesetzt und der jeweilige Charakterschädel zum Vorschein kam. Wenig später starrten zwölf harte Gesichter in das Objektiv der Kamera, die sich genau in diesem Moment synchron umdrehten und eine dreizehnte Person fixierten.

»Helm ab!«, erscholl es synchron aus zwölf Kehlen.

Die dreizehnte Gestalt versuchte noch mehr Raum zwischen sich und die Gruppe zu bringen, wurde jedoch von der Schleusenwand gestoppt. Langsam und zögernd griffen die Hände an den Helm und mit einigen Verzögerungen wurde das Gesicht einer jungen Frau sichtbar.

Langes, blondes Haar, aus dem zwei blaue Augen ängstlich in die Runde blickten.

»Bi… tte, bitt… e, ttut miir nnichts«, stotterte sie, bevor sie etwas sicherer werdend fortfuhr, »ich muss doch mein Ummelchen retten, er ist doch da bei bei diesen bösen Menschen so ganz allein!«

Einen Moment herrschte atemlose Stille, dann folgte ein Gebrüll, das die Trommelfelle zu sprengen schien. Schließlich war es Sam Tyler, der das allgemeine Gelächter beendete. Mit einiger Schritten baute er sich vor der jungen Frau auf und starrte sie drohend an.

»Wer bist du eigentlich und was soll das?«

»Ich, ich bin die Pyla aus Buural vom Riff. Ihr fahrt doch zu diesem ganz weit entfernten Land oder Planeten, Som heißt es, glaube ich, um mein Ummelchen, ich meine meinen Roi zu befreien. Da will ich auch mit!«

Wieder verschlug es allen die Sprache. Tyler fand als erster Worte.

»Ja und, und warum schleichst du dich hier ein? Das ist gefährlich!«

Die junge Buuralerin fing an zu weinen und sank an der Schleusenwand, die sie bisher aufrecht gehalten hatte, zu Boden. Irwan Dove schüttelte den Kopf und meinte:

»Mathew, könntest du dich mal um unseren Gast kümmern, du bist doch unter uns der Frauenversteher!«

*

Der Kurs der IVA-M03 driftete in einer langen Parabel auf den vierten Planeten zu. Som stand im Augenblick von der Minor aus hinter seiner Sonne Siom und der Verzicht auf sämtliche moderne Ortungs- und Tastertechnik machte den Kurs der Minor zu einer Art Blindflug.

Tym Elahrt kauerte hinter den Kontrollen der Automatik und überprüfte zum wiederholten Mal die berechneten Kursvektoren, die in etwa achtzig Minuten zu einem Rendezvous mit dem vierten Planeten Upkrad führen würde. Der Gasriese mit dem dreifachen Durchmesser der Erde sollte in einem ersten Swing-by-Manöver dazu benutzt werden, die Geschwindigkeit der Minors zu reduzieren und sie auf den direkten Kurs in eine Umlaufbahn um Som bringen.

Das angeflanschte MERZ-Pad der Minor war zusätzlich mit chemischen Feststoffraketentriebwerken bestückt worden, um notfalls kleinere Kurskorrekturen zu ermöglichen. Auf dem zweidimensionalen Display der Positronik war die schematische Darstellung des Siom-Systems und die berechneten Flugbahnen der drei Minors zu sehen. Jede Minor verfolgte einen anderen Kurs, um die Gefahr einer zufälligen Entdeckung zu minimieren.

Zum wiederholten Male verwünschte Tym die altertümliche Technik, die einen Verzicht auf die moderne 3-D-Holodarstellung bei der Lage- und Flugkontrolle der Minor notwendig gemacht hatte. Er fühlte sich in seine Zeiten als Flugschüler zurückversetzt, wo es zu den Abschlussaufgaben gehört hatte, den Kurs eines havarierten Raumschiffes, unter Verzicht auf alle modernen Antriebstechniken, nur unter Berücksichtigung der Massenanziehung im freien Fall zu berechnen.

Dazu kam noch, dass die künstliche Schwerkraft an Bord ausgeschaltet war, weil selbst die geringen Emissionen des Antigravs unter Umständen von entsprechend kalibrierten Ortungs- oder Tastersystemen angemessen werden konnten.

Bei der Einsatzplanung auf Boldar hatte sich Tym vehement gegen die Tarnung durch Uralttechnik ausgesprochen, da sowohl die VIPER II als auch die Minor-Globes mit den modernsten Deflektorsystemen ausgestattet waren. Doch die Missionsanalyse der Hyperinpotronik der IVANHOE II hatte klar ergeben, dass die Erfolgsaussichten bei Tarnung durch Uralttechnik um fast fünf Prozentpunkte besser waren, als wenn man moderne Deflektortechnik eingesetzt hätte. Das hatte den Ausschlag gegeben, Jeamour und Mogul waren sich plötzlich einig gewesen.

Eine Stunde später

Mit einer Schalterdrehung aktivierte er die kabelgebundene Sprechfunkverbindung, die ihn mit den Mitgliedern seines Einsatzteams verband.

»Elahrt an alle! Wir werden in etwa zehn Minuten in das Schwerefeld des vierten Planeten eintreten. Dabei kann es zu Beschleunigungskräften kommen, die nicht vorhersehbar sind. Deshalb sollten die Rückhaltesysteme der Konturliegen geschlossen und alle Gegenstände in den dafür vorgesehenen Halterungen gesichert werden.«

Entsprechende Geräusche und gegenseitige Hänseleien bewiesen, dass die Mitglieder des Einsatzteams seinen Anweisungen nachkamen. Wieder huschte sein Blick über die Kursdarstellung auf dem Display der Positronik, während er nochmals die eingegebenen Kursparameter verglich. Alles schien zu stimmen.

Es war an der Zeit, dass er sich selbst sicherte. Mit der linken Hand schloss er das Gurtsystem, das ihn auf der Konturliege fixierte. Auch hier hatte man auf Prallfelder oder gar Formenergie verzichtet. Seine rechte Hand ruhte auf dem kleinen Touchkontrollfeld, das ihm die Kontrolle über den Einsatz der an das MERZ-Pad angeflanschten chemischen Zusatztriebwerke ermöglichte. Das Gefühl, dass sein Kopf in Richtung der deaktivierten Bordsyntronik gezogen wurde, zeigte ihm an, dass das kugelförmige Schiff in das Schwerefeld des Planeten eingetreten war.

»Elahrt an alle! Es beginnt. Raumkombinationen schließen und auf Autarkversorgung umschalten.«

Dies würde einer der gefährlichsten Momente der gesamten Mission sein. Innerhalb des Schwerefeldes des größten Planeten im Siom-System bestand die Gefahr, dass sie jederzeit von einem durch den Planeten eingefangenen oder abgelenkten Planetoiden getroffen werden konnten. In ihrem gegenwärtigen Zustand waren sie gegen diesen kosmischen Schrott aus der Frühzeit des Systems nahezu wehrlos. Zwar war die Hülle aus Terkonit, einem der wohl härtesten Werkstoffe im modernen Raumschiffbau, aber selbst wenn die Hülle einem Einschlag widerstehen würde, so würden allein die kinetischen Aufschlagenergien genügen, das Innere der Minor-Globe weitgehend in ein Schrottfeld zu verwandeln. Auf jeden Fall wäre die gesamte, provisorisch installierte Alttechnik völlig hinüber.

Der Olymper lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Er durfte sich jetzt nicht wieder in seine Ängste steigern, die Tage und Wochen seines Horrortrips im intergalaktischen Raum um das Sternentor der Lokalen Gruppe waren vorbei, doch wieder entstand vor seinem inneren Auge diese schwarze Burg mit dem Thron aus Knochen, und wieder hörte er die Stimme, die durch ein markdurchdringendes Konzert des Grauens untermalt wurde:

DIENE MIR, UND DEIN JÄMMERLICHES LEBEN SEI DIR GESCHENKT!

In diesem Moment traf etwas die Minor und die Schiffshülle begann, wie eine Glocke zu tönen. Dieser Laut riss ihn aus seinem Albtraum zurück in die Wirklichkeit. Mit einem Schlag war ihm klar, dass seine schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit geworden waren. Ein vagabundierender Meteorit musste die IVA-M03 getroffen haben. Die Minor war inzwischen ins Trudeln geraten und drehte sich um mehrere Achsen. Unter diesen Umständen wirkte das angeflanschte MERZ-Pad wie ein zusätzliches Gegengewicht, das das gemeinsame System in wilde Bewegungen versetzte. Ein Blick auf das Display der Positronik zeigte ihm, dass die Lage kritisch wurde. Der Einschlag des Meteoriten hatte die Minor aus dem Kurs gerissen und ließ das kugelförmige Raumschiff aus der lang gestreckten Parabel, die um den Gasplaneten herumführen sollte, in Richtung auf den Masseschwerpunkt, also den Planeten, einschwenken.

Panik drohte Tym zu lähmen. Er musste den Kurs stabilisieren und in eine Umlaufbahn um den Planeten einschwenken. Seine rechte Hand huschte über das Touchpad, das ihn mit der Steuereinheit der chemischen Steuerbooster verband. Jetzt würde sich zeigen, ob die Uralttechnik das hielt, was die USO-Quintechs auf Boldar versprochen hatten.

Brüllend erwachten die Booster zum Leben. Plötzlich drückte ihn eine Faust, die immer schwerer auf ihm lastete, in den Kontursessel. Nebenbei registrierte er, wie der Kontursitz entsprechend dem Beschleunigungsvektor einschwenkte, sodass er das Gefühl von vorn und hinten bekam. Die Mitglieder des Einsatzteams würden diesen Luxus entbehren müssen, ihre Konturliegen waren starr eingebaut, da bei ihnen für ein hydraulisches Lageregulierungssystem kein Platz mehr bestand. Wieder suchte sein Blick das Display der Positronik.

Es schien zu funktionieren. Die Werte, die vorher alle in Unheil kündendem Rot erschienen waren, wechselten nacheinander in ein beruhigendes Grün. Er hatte es geschafft, die Flugbahn der Minor war stabilisiert. Jetzt musste er das Schiff nur noch in eine höhere Umlaufbahn bringen, da sie sonst in die äußeren Atmosphärenschichten des Planeten eintreten würden.

Wieder erwachten die Booster brüllend zum Leben und die bekannte Faust presste ihn in den Kontursessel. Das Gewicht, das auf ihm lastete, wurde immer schwerer und machte jede Fingerbewegung zu einer Tortur. Plötzlich zischte irgendetwas an ihm vorbei und schlug in eine Schalttafel ein. Ein blindes Display erwachte zum Leben und in der Mitte der Zentrale zogen sich schillernde Nebelschleier zu einer Sonne zusammen, die von sechs Planeten umkreist wurden. Irgendetwas setzte in ihm aus, er erstarrte, unfähig sich zu rühren. Es war vorbei, sie waren alle tot.

Doch das Gebrüll eines urzeitlichen Wesens riss ihn aus der Erstarrung. Ein über zwei Meter großes und fast genauso breites Ungeheuer stürmte an ihm vorbei auf den im Mittelpunkt einer Empore stehenden Sitz des Kommandanten zu. Plötzlich erwachte das Schiff zum Leben. Holodisplays flammten auf und ein dumpfes Grollen durchdrang die Kugelzelle. Tym starrte fassungslos auf die vierschrötige Gestalt der Ertruserin, die im Zentrum der Zentralgalerie wie ein Feld thronte. Ringis ta Shivren hatte den Tarnmodus aufgegeben und die Systeme der Minor in den Gefechtsmodus hochgefahren.

»Ikâlea«, peitschte ihre Stimme durch die Zentrale. »Nebelschleier starten!«

Der Befehl der Ertruserin war eigentlich überflüssig, denn eine zweite Gestalt war fast gleichzeitig mit langen Sätzen an die Ortungs- und Funkkontrollen geeilt.

Wenig später wurde ein künstlich erzeugtes Impulsmuster innerhalb des LF- und MF-Bandes des Hyperspektrums abgestrahlt, das die charakteristischen Merkmale eines versagenden Deflektorschirms auf der Basis eines Abschirmfeldes des Virtual Imagers aufwies. Gleichzeitig würde dieses Impulsmuster von entsprechenden Detektoren der beiden anderen Minors registriert und die Einsatzleitungen vom Ausfall der IVA-M03 unterrichten.

Tym hatte sich inzwischen zu der Ertruserin gesellt und sah diese fragend an. Diese nickte ihm zu und meinte:

»Hauen wir ab und hinterlassen eine schöne Impulssignatur.«

Tym nickte und beschleunigte die Minor. Der Hyperkomantrieb ermöglichte im Gravohub eine Maximalbeschleunigung von über tausendsechshundert Meter im Sekundenquadrat, was der Minor eine sichere Flucht garantierte, sofern keine Schiffe von außerhalb des Systems auf einen Abfangkurs gehen würden.

Sobald sie vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht hatten, würde die Kleinkorvette in den Hyperraum gehen. Das im Pufferspeicher des Virtual Imagers konservierte Frequenzmuster einer Fregatte würde die dorgonische Systemüberwachung täuschen und den Schluss nahelegen, dass eine Fregatte der IVANHOE II versucht hatte, getarnt nach Som vorzustoßen. So würden die Chancen für den Rest des Einsatzkommandos erhalten bleiben.

Problematisch war allerdings, dass Brad Callos und Hank Lane an Bord der IVA-M03 waren und somit die Hälfte des Mutantenkorps ausfiel. Besonders Brad würde schwer zu ersetzen sein, da er als Teleporter eine Hauptrolle bei der Befreiung der Gefangenen spielen sollte.

*

Feline Mowac nickte Sam Tyler zu und beobachtete die Selbstvernichtung der Schutzhülle des Raumpanzers. Das letzte Mitglied der Crew der IVA-M02 hatte den zuvor festgelegten Treffpunkt erreicht, das Einsatzkommando war nun vollständig. Die Oxtornerin stieß einen Fluch zwischen den zusammengepressten Lippen aus. Sie waren zwar vollzählig, aber ein Drittel des Kommandos fehlte. Darunter leider auch Brad Callos, der als Teleporter die Gefangenen aus der Gefängniszelle holen sollte.

Dieser Teil des Plans würde völlig ins Wasser fallen müssen, da der Teleporter des Insel-Mutantenkorps inzwischen wohl auf dem Weg zu Punkt Omega war, einem jungen System außerhalb der Kalmenzone, das als Rückzugsposition im Falle der Entdeckung einer Minor diente. Später, wenn sich alles beruhigt hatte, würde die VIPER II die Kleinkorvette dort abholen.

Für die geplante Befreiung der Gefangenen war der Ausfall von Brad Callos geradezu als Worst Case zu betrachten, der Teleporter hatte in dem von Admiral Jeamour und Shan Mogul ausgearbeiteten Plan die zentrale Rolle gespielt. Feline überlegte kurz, es half nichts, sie mussten den Plan ändern. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, dass nach der Befreiung der Gefangenen diese durch Brad an Bord der IVA-M01 teleportiert werden sollten. Der Teleporter sollte danach mit einem fertig konfigurierten Excalibur-Transmitter zurückteleportieren, durch den das Einsatzkommando wieder an Bord der Minors gehen würde. Von dort aus sollte das Kommando durch die größeren Bordtransmitter zur VIPER II zurückkehren.

Mit einem kurzen Handzeichen verständigte sie Sam Tyler, Irwan Dove sowie den Posbi Lorif, dass sie eine Besprechung abhalten mussten, um den Einsatzplan zu revidieren.

*

Die IVA-M01 war mit einem waghalsigen Manöver gelandet, indem Mathew Wallace es riskiert hatte, die normalen Deflektorschirme der Minor zu aktivieren. Mit den angeflanschten chemischen Steuerboostern hatte er das kleine Raumschiff in den typischen Eintrittswinkel eines Meteoriten gesteuert, der in der Atmosphäre Soms verglühen würde.

Danach hatte er gewartet, bis der vermeintliche Meteorit in die unteren Schichten der Atmosphäre eingetreten war und dann die Minor von dem angeflanschten MERZ-Pad getrennt. Dieses stürzte nun weiter auf die Oberfläche zu und würde entweder in der Atmosphäre verglühen oder in Form verbrannter Wrackteile im Zentralmeer Soms versinken. Die eigentliche Minor-Globe war kurz nach der Trennung mit den Antigrav-Feldtriebwerken aus dem Einschlagskurs gerissen worden. So wie es aussah, war das ganze Manöver unentdeckt geblieben, der Einsatz konnte also weitergehen.

Irwan Dove beobachtete, wie Mitglieder der Gruppe Zero Tarnnetze über die in einer Grube versenkte Minor-Globe ausbreiteten. Sie hatten sich dafür entschieden, nach wie vor möglichst lange auf Uralttechnik zu setzen und deshalb einen Dauerbetrieb des Deflektorschirms vermieden.

Lorif war es gelungen, die Sicherungen des dorgonischen Überwachungsnetzes zu umgehen und sich in die Kommunikation und Kommandostruktur von Carillas Prettosgarde zu hacken. Dabei kam ihm zugute, dass die dorgonischen Sicherheitsmaßnahmen äußerst lasch waren, so hatte Carilla die alten Codes aus den Zeiten Kaiser Thesasians weitgehend beibehalten.

Lorif war es auch zu verdanken, dass sie Kenntnis von dem geplanten Schauprozess während der Versöhnungsfeier in der zur riesigen Arena umgebauten Ruine des ehemaligen Königstores erhalten hatten. Die Verurteilung der »Terroristen« sollte anscheinend öffentlich, vor großer Kulisse erfolgen, was die Befreiung in einem gewissen Sinne vereinfachen würde.

Mathew Wallace schlug nun vor, ein kleines Team, als dorgonische Patrizier getarnt, auf der Feier einzuschleusen. Lorif war in der Lage, problemlos entsprechende Einladungen zu fälschen. Als Begleiterin wählte Wallace Pyla aus. Sie sollte seine Konkubine spielen, während er das Abbild eines dorgonischen Patriziers darstellen wollte. So konnte er die Befreiungsaktion aus nächster Nähe koordinieren.

Viva la muerte oder
Macht kommt aus den Gewehren

Killing’s easy with a weapon in your hand
Killing’s easy and they say that war is grand
With their music and their drums
They don’t see the slaughter of the guns
Killing’s easy and they say that war is grand

H. Andrews: Death come easy

Der Kongress tanzt …

Elgalar betrachtete sein Ebenbild in dem wertvollen Kristallspiegel, der das Zentrum des ausgedehnten Toilettenbereiches bildete. Nichts deutete mehr darauf hin, dass er vor wenigen Tagen am Boden lag, durch den Verrat seines letzten Liebhabers bis ins Mark getroffen. Das war vorbei, das Leben ging weiter und nach jedem Schicksalsschlag gewährte ihm die Huld DORGONS wieder das Glück, eine neue Liebe zu finden. Gedankenverloren verdeckte er mit dem Schminkstift die Spuren, die die Zähne seines Geliebten hinterlassen hatten. Hermoph war ja so leidenschaftlich, dass er im Liebesspiel vergaß, wer Herr und wer Knecht war. Nun, irgendwann würde er ihm das auch noch beibringen, aber im Moment war er nur eines: Er war glücklich.

Mit beschwingten Schritten verließ er den Toilettenbereich, um seine Ankleidezofen zu rufen. Carilla erwartete ihn, um das Versöhnungsfest und die geplante Verurteilung der estartischen Terroristen mit ihm zu besprechen. Als sein Blick auf die entblößte Gestalt des Geliebten fiel, war er für einen Moment versucht, Carilla abzusagen, doch dann siegte sein Pflichtbewusstsein. Carilla hatte sich in den vergangenen Tagen als echter Freund gezeigt, der ihn von allen unangenehmen Pflichten eines Herrschers entlastete.

Dazu kam noch, dass sein Geschenk eines speziellen Lustsklaven sich als die Liebe seines Lebens erwiesen hatte. Hermoph war vollkommen, er verkörperte alles, was er sich in seinen erotischen Träumen je erwünscht hatte. Warum nur war er nicht früher auf die Idee gekommen, sich einen Geliebten genau nach seinen Wünschen formen zu lassen?

Die Zofen hatten inzwischen seine Gemächer betreten und blieben kichernd am Rand des gewaltigen Himmelbettes stehen. Ein leichtes Rot überzog ihre Wangen, während sich ihre Blicke an seiner durch die Seidentoga kaum verdeckten Körpermitte festsaugten.

»Hört auf zu kichern, ihr dummen Hühner«, fuhr er sie an. »Legt mir die Staatstoga an, ich habe wichtige Staatsgeschäfte zu erledigen.«

*

Carilla schüttete ungeduldig einen weiteren Schluck Wein in das kunstvoll geschliffene Kristallglas. Wo, zum Santanae, blieb dieser verdammte Elgalar? Es wurde wirklich Zeit, dass er sich dieses Zerrbild eines Mannes vom Halse schaffte. Alles in ihm sträubte sich dagegen, diesen Cinadae weiterhin auf dem Thron des dorgonischen Kaisers zu sehen, allein sein Anblick war eine Beleidigung für einen echten dorgonischen Mann.

Wieder lief der Rotwein in das Glas, während die Laune des Trinkers immer schlechter wurde. Doch schließlich wurde er erlöst: Die Wache meldete dem Militium-Magister die Ankunft des Kaisers.

Carilla blieb demonstrativ sitzen, während Elgalar in den Raum schwebte. Eine Duftwolke aus aufdringlichem Parfüm umgab den Herrscher Dorgons, während er sich über den ehemaligen Prettosgardisten beugte und ihm seine grotesk geschminkten Lippen auf die Wange drückte.

»Carilla, mein einziger Freund, mein einziger Vertrauter!«, rief er überschwänglich und ließ sich neben ihm auf der gepolsterten Sitzbank nieder. Nachdem er sich ebenfalls einen Schluck Wein genehmigt hatte, meinte er:

»Was gibt es so Wichtiges, das meine Anwesenheit erforderlich macht? Ich habe so wenig Zeit, die Liebe erfüllt jede Minute meines Tages!«

Carilla kochte innerlich. Es zeugte von seiner meisterhaften Selbstbeherrschung, dass er dem Impuls nicht nachgab, seine geballte Faust in Elgalars Gesicht zu versenken.

»Mein Kaiser«, meinte er stattdessen, »ich müsste noch einige Einzelheiten mit Euch bezüglich der Gästeliste besprechen!«

Elgalar schüttelte den Kopf, erhob sich und meinte bereits im Gehen:

»Carilla, mein Freund, ich vertraue dir vollkommen. Ich bin mir sicher, dass du alles in meinem Sinne regelst und ein wahrhaft unvergessliches Fest organisieren wirst.«

Mit diesen Worten verließ er den Raum. Die Sehnsucht trieb ihn wieder in die Arme seines Geliebten.

Carilla blickte ihm nach. Sein Gesichtsausdruck war eine eigentümliche Mischung aus grenzenloser Wut und Triumph.

Elgalar hatte recht, es würde ein unvergessenes Fest werden, aber ganz anders, als es sich diese Schande eines Mannes vorstellen würde!

*

Mathew Wallace betrachtete die bereitgelegte Garderobe eines wohlhabenden dorgonischen Patriziers. Als er die mit aufwendigen Applikationen verzierte Toga durch seine Hände gleiten ließ, geisterte ein bösartiges Grinsen über seine Züge. Wohlhabend war wohl der falsche Ausdruck, stinkreich und pervers wäre zutreffender gewesen.

Lorif war für das Einsatzteam immer wertvoller geworden, da er inzwischen vollen Zugriff auf die Datenbanken der Prettosgarde hatte. Um sich auf das Umfeld vorzubereiten, das sie auf der Veranstaltung erwarten würde, waren sie die gesamte Liste anhand der persönlichen Dossiers aus den Datenbanken durchgegangen.

Dabei hatte sich herausgestellt, dass nur der absolute Geburt- und Geldadel eingeladen war. Interessant wurde es, als sie sich die einzelnen Dossiers näher angesehen hatten. Die Prettosgarde hatte umfassende Informationen über die Führungsschicht des Kaiserreiches gesammelt. Die Einträge gingen dabei bis in intimste Details.

Dabei stellte sich heraus, dass jeder Konsul, jeder Senator – praktisch jeder Patrizier – eine oder mehrere Leichen im Keller hatte. Vor allem die herrschende Oberschicht war durch und durch korrupt und verdorben. Das hatte dann eine Änderung seiner Vita bedingt, denn ein stinknormaler dorgonischer Geschäftsmann ohne extreme Vorlieben, der genügend Geld und Einfluss besaß, war in diesen Kreisen so auffällig wie ein nackter Mann in der Öffentlichkeit.

Mathew hatte sich dann mit Tyler darauf geeinigt, dass er eine Vorliebe für minderjährige Mädchen haben würde, denn dies war ihm unter all den aufgelisteten Perversionen noch am ungefährlichsten erschienen. So musste dann natürlich auch Pyla etwas auf frühreife Jugendliche umgestylt werden, was der Buuralerin sichtbar Spaß machte. Aus ihrem Dossier ging hervor, dass sie die Tochter einer Leibeigenen des vermögenden Patriziers Sovenus war, die dieser im Alter von dreizehn Jahren zu seiner Geliebten gemacht hatte.

Inzwischen hatte er die Toga angelegt, deren Ende er gekonnt über die linke Schulter warf. Dieses Detail seiner Tarnung hatte sich als größtes Problem erwiesen. Obwohl er bereits während seines Einsatzes in M 100 mit der Kultur der Dorgonen in Berührung gekommen war, bedurfte es noch stundenlangen Übens, bis er diesen gelangweilten Wurf perfekt beherrschte.

Bei Pyla war die Verkleidung einfacher gewesen, da die dorgonische Mode bei den Frauen und Mädchen mehr zeigte als verhüllte. Die junge Buuralerin hatte ein geradezu kindhaftes Vergnügen daran gefunden, die ohnehin äußerst offenherzige Tunika aus fast durchsichtigem Gazestoff noch weiter zu verschärfen. Problematisch wurde es, als sie den goldenen Armreif anlegen sollte, der sie als persönliches Eigentum des Patriziers Sovenus auswies. Erst nachdem Tyler und Mathew Wallace ihr hoch und heilig versichert hatten, dass damit keinerlei Rechte verbunden waren, ließ sie sich den Reif anlegen.

*

Kopfschüttelnd blickte die Tochter des Emperadors dem Quarteriumsfürsten nach, der gerade ihr Appartement unterhalb der Dachterrasse des Madridtowers verlassen hatte. All ihre Sinne schlugen Alarm. Leticron hatte einen Entschluss gefasst und sie war sicher, dass sie mit diesem nicht einverstanden sein würde. Zum wiederholten Male verfluchte sie die Tatsache, dass sie innerhalb der Hierarchie des Quarteriums eigentlich nur eine nachgeordnete Funktion ausübte. Ihre Macht, ihr ganzer Einfluss war nur von ihrem Vater geborgt, rein formal war sie Leticron unterstellt. Und Leticron, das sagte ihr ihre weibliche Intuition, war gerade dabei, eine schwerwiegende Fehlentscheidung zu treffen.

In düsteren Gedanken vertieft trat sie auf die Dachterrasse, um ein wenig Sonne zu tanken. Obwohl ihre helle Haut empfindlich war, vertrug sie das Sonnenspektrum Sioms sehr gut. Unter der Strahlung des Muttergestirns der Somer begann ihre Haut sogar, einen hellen Braunton anzunehmen. Langsam trat sie an die Brüstung der Dachterrasse, die durch ein entsprechendes Formenergiefeld geschützt wurde.

Sie stützte sich auf der Brüstung ab und überlegte, ob sie zurück nach Paxus reisen sollte, um ihrem Vater über ihre Befürchtungen zu berichten. Während sie wie geistesabwesend den fernen Horizont fixierte, überschlugen sich in Wirklichkeit ihre Gedanken. Und schließlich kam sie zu einem Entschluss. Sie würde bleiben. Wenn ihre Befürchtungen tatsächlich zutrafen, dann lag es wohl allein in ihrer Hand, Leticron zu stoppen. Sie hob die Schultern und begann, ihre angespannte Muskulatur aufzulockern. Ja, sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Jetzt endlich hatte sie Muße, ihren freien Nachmittag zu genießen.

Langsam schlenderte sie auf das Sonnensegel zu, und ließ nach und nach alle Kleidungsstücke fallen. Die Wärme der Sonnenstrahlen liebkoste ihre Haut und hob ihre Stimmung. Es war an der Zeit, an ihre körperlichen Bedürfnisse zu denken. Sie ließ ihren Körper auf die Konturliege gleiten und aktivierte das Interkom.

Chaos und Neuanfang

Der nächste Tag war angebrochen, der das Schicksal sehr vieler Wesen entscheidend verändern sollte. Für Menschen oder Dorgonen wie auch Somer oder sonst ein in Siom Som beheimatetes Wesen sollte dieser Tag wie jeder andere beginnen, Menschen und Dorgonen waren die Herren, die alten Völker ESTARTUS waren rechtlos, der Willkür der neuen Herrscher ausgeliefert. Doch wie überall, wo die Krake der Sklaverei und Ausbeutung Freiheit und Wesensrechte in ihrem Würgegriff hält, gab es tief im Untergrund, von der Herrschenden nicht beachtet, die Bruderschaft der Verzweifelten. Doch die Verzweifelten hatten längst die Hoffnung verloren. So auch auf Som. Doch was würde werden, wenn sie die Hoffnung wiederfänden?

Sam Tyler war auf alten Wegen unterwegs, die ihn immer tiefer in das Labyrinth unter der Oberfläche der alten Zentralwelt der Somer führte. Tief unter den verfallenen und meist durch die neuen Herren überbauten Nekropolen gab es noch die alte Welt der Somer. Es war fast ein Jahr vergangen, seit er den Planeten verlassen hatte, nachdem ihnen der erste Schlag gegen die verhasste Herrschaft der quarterialen Schlächter gelungen war. Stevan da Reych, der Teufel in Menschengestalt, konnte seiner gerechten Strafe zugeführt werden.

Aber ihr Sieg war noch nicht das Signal zum Aufstand der unterdrückten Kinder ESTARTUS gewesen, sondern der Beginn eines Massenmordes ohnegleichen. Quarteriale Sondereinheiten waren auf Som gelandet und hatten Rache genommen. Hunderttausende Somer mussten den kurzfristigen Triumph der FES mit ihrem Leben bezahlen. Die Sondereinheiten der CIP und Eliteverbände des quarterialen Heeres durchkämmten die Katakomben und zerstörten Station für Station das geheime Transmittersystem, das es der FES immer wieder ermöglicht hatte, den quarterialen Gegenschlägen auszuweichen.

Einem Kommando der Neuen USO war es in letzter Sekunde gelungen, Sam, Soradan Mog Aro und die überlebenden Führer der FES zu retten und in den Dunklen Himmel zu fliehen. Dort wuchsen die verschiedenen Völker ESTARTUS endlich zu der Einheit zusammen, die es ihnen ermöglichen sollte, der Großoffensive der vereinten Flotten Leticrons und Carillas standzuhalten.

Doch das war alles längst vorbei, jetzt und heute ging es allein um die Befreiung Roi Dantons, Sams und Jan Scorbits. So drang Tyler immer tiefer in die Katakomben vor, doch wohin er auch kam, er fand nur verlassene Unterkünfte eines Volkes, das im Untergrund dahinvegetierte. So führte er die Einsatzgruppe durch halb zerfallene unterirische Gänge, bis sie unter dem ehemaligen Königstor angekommen waren. Und dann warteten sie …

*

Mathew Wallace beobachtete die friedlich schlummernde Pyla, deren langes blondes Haar ihr Gesicht umspielte wie die Korona einer Sonne. Sie waren am frühen Abend des gestrigen Tages, angeblich direkt von Dorgon kommend, in der Deversorii Helsuk eingetroffen und hatten eine sündhaft teure Suite in einem der Turmbauten des Ressorts belegt.

Der Posbi hatte ihnen eine komplette Tarnexistenz aufgebaut, sodass ihre Daten jeder Nachprüfung standhalten würden. Sobald ein Abgleich der Daten mit der zentralen Datenbank auf Dom erfolgt war, würde es den Equestor Sovenus auch in allen Personen- und Vermögensverzeichnissen des dorgonischen Heimatsystems geben.

Mit leichtem Schmunzeln dachte er an die gestrige Ankunft zurück. Es war Sam Tyler gelungen, ihn und Pyla unter die Passagiere des Luxusliners SASUS HONOR zu schmuggeln. Nachdem sie die Einreiseformalitäten erfolgreich hinter sich gebracht hatten, war aus dem Terraner Mathew Wallace der dorgonische Geschäftsmann Sovenus geworden, der mit dem Verkauf spezieller Luxusjachten ein Vermögen gemacht und sich vor zwei Jahren zur Ruhe gesetzt hatte. Entsprechende Manipulationen Lorifs hatten dafür gesorgt, dass die Person des Equestors Sovenus in den gesamten Datenbeständen der Bordsyntronik der SASUS HONOR verzeichnet war. Anschließend waren sie mit einem hoteleigenen Personengleiter direkt vom Raumhafen zu dem ausschließlich von hochrangigen Wirtschaftsführern belegten Ressort gebracht worden, um einzuchecken. Da er den dekadenten Luxus der dorgonischen Oberschicht bereits bei der M 100-Mission kennengelernt hatte, gelang es ihm rasch, sich anzupassen.

In der Eingangshalle war es dann zu einer ersten Krise gekommen, als der aufdringliche Empfangschef anbot, ihm für die Nacht eine spezielle Lustsklavin zu einem Sonderpreis zu beschaffen. Pyla hatte ihn mit einem ausgesprochen mörderischen Blick gemustert, sodass selbst der fette Dorgone aufmerksam wurde. Dann hatte sie ihren Fehler bemerkt und ihn mit einer entsprechenden Darbietung überspielt.

Das schien dem Empfangschef als Begründung zu genügen, mit einem dreckigen Grinsen überreichte er den Impulsgeber für die Suite und wünschte eine gute Nacht, natürlich nicht ohne ihm vertraulich ins Ohr zu flüstern, dass die Nachtrezeption eine ganze Palette von potenzsteigernden Drogen beschaffen könne.

Inzwischen begann sich der blonde Traum zu regen und zeigte dabei ihren in jeder Hinsicht beachtlichen Revuekörper. Wider Willen war Mathew von der Darbietung gefesselt. Dabei galt es jetzt, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn das Leben von Roi Danton, Sam und Jan Scorbit stand auf dem Spiel.

Zwei Stunden später waren sie auf dem Weg zum ehemaligen Königstor, das noch während der Herrschaft Kaiser Commanus’ zu einer gigantischen Arena umgebaut worden war. Der große Personengleiter war mit etwa zwanzig Dorgonen und ihren Begleiterinnen besetzt. Mathew glaubte nicht, dass eine Ehefrau darunter war, dazu war der Altersunterschied jeweils zu eklatant.

Unter den versammelten Schönheiten war Pyla nur eine unter vielen, aber er fiel auf wie ein bunter Gockel, was sich darin äußerte, dass einige der Schönheiten ihn verlangend musterten und mit eindeutigen Gesten ihr Interesse bekundeten. Und hier begannen wieder die Probleme mit Pyla. Es brauchte keinerlei Fantasie, um ihre mörderische Miene zu interpretieren. Der zur Landung ansetzende Gleiter entschärfte vorübergehend die Situation.

Der Landeplatz war von einer Kohorte Gardisten umstellt, die nach der Art alter dorgonischer Legionäre gekleidet waren. Nur die modernen Kombinationsstrahler bewiesen, dass es sich um Elitekämpfer eines Sternenreiches handelte. Innerlich schüttelte Mathew den Kopf, die Dorgonen konnten nur einen an der Waffel haben. Ehrlich, welches Volk, das noch alle Tassen im Schrank hatte, kam schon auf die Idee, moderne Elitesoldaten in antike Rüstungen zu stecken? Und diese ganze Architektur – Säulenhallen, Arenen und öffentliche Marktplätze – schon während der Expedition nach M 100 war ihm dieser ganze Schwachsinn aufgefallen.

Nur mit einer Erscheinung dieses Schmierentheaters könnte er sich uneingeschränkt anfreunden: Die weibliche Mode war einfach klasse. Unbewusst pfiff er durch die Zähne und stellte sich vor, diese Annäherung an Nichts als Borduniform für weibliche Mitglieder der IVANHOE II einzuführen. Pyla versetzte ihm ein Hieb in die Rippen. Dabei lächelte sie ihn süßlich an und meinte:

»Falls der Herr es nicht gemerkt hat, wir sind angekommen!«

Der Schmerz und die trockene Bemerkung brachten ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Gerade rechtzeitig. Ein vierschrötiger Gardist hatte sich vor ihm aufgebaut und grinste, während er ungeniert mit Pyla flirtete. Mathew erschrak. So etwas durfte ihm nicht noch einmal passieren, die ganze Situation war zu gefährlich, als dass er leichtsinnig werden durfte.

Der Gardist hatte inzwischen seine Papiere geprüft und ihn einer eingehenden Körperkontrolle unterzogen. Natürlich hatte der Scanner nichts gefunden. Bei Pyla dagegen interessierte er sich hauptsächlich für ihre körperlichen Vorzüge. Es war alles so, wie sie vermutet hatten. Die Kontrollen konzentrierten sich auf die Männer, die Gespielinnen waren weitgehend uninteressant. Mathew atmete auf. Die Einsatzanalysen waren zwar eindeutig gewesen, aber auch modernste Syntroniken konnten falsche Ergebnisse liefern.

Inzwischen hatten sie den langgezogenen Gang betreten, der unterirdisch in die freiliegende Arena führen sollte. Auch hier hatten sich die dorgonischen Baumeister bemüht, die Atmosphäre antiker Monumentalbauten einzufangen. Der Gang lag im Halbdunkel, nur in regelmäßigen Abständen durch qualmende Fackeln erhellt. Die Wände und der Fußboden wurden durch grob behauene Quader gebildet, die sich in der Ferne verloren.

Langsam schlenderten sie in die Dunkelheit, Pyla zitterte leicht und hatte sich in seinen Arm gekuschelt. In regelmäßigen Abständen waren Schaunischen in die Wände eingelassen, die mythologische Szenen aus der dorgonischen Vergangenheit zeigten. Schließlich öffnete sich der Weg zu einem gigantischen Lichtdom, der den Ausblick auf eine gigantische Arena gestattete. Von dieser ausgehend verloren sich endlose Sitzreihen in einem sich nach oben öffnenden Sechseck. Eine Dienerin, die auf ihrem Goldreif das Symbol der dorgonischen Krone trug, also quasi Staatseigentum war, führte ihn zu einer der unteren Reihen.

Der Preis für diese abgeschirmte Sitznische war astronomisch hoch gewesen, doch die besten Plätze befanden sich im Inneren der Arena. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ er sich auf das luxuriöse Liegepolster fallen und schenkte sich und Pyla ein Glas des erfrischenden Schaumweins ein, der für die Gäste vorbereitet war. Nachdem er seinen Blick über die gewaltige Kulisse des sechseckigen Säulenstumpfes gleiten ließ, registrierte er, dass sich die aufsteigenden Ränge zunehmend füllten.

Das gewaltige Bauwerk musste Platz für Hunderttausende Zuschauer bieten. Noch einmal ließ er die Pläne der Katakomben vor seinem inneren Auge entstehen. Wenn die Informationen der Prettosgarde richtig waren, dann würde die Toilettenanlage, die von ihrer Nische in die Substanz des ehemaligen Königstores getrieben worden war, direkt neben einem Gang in die Nekropolen liegen. Der ideale Platz, um einen Zugang für das Einsatzteam zu schaffen.

Etwa drei Stunden später

Der Höhepunkt des Festes stand bevor. Nachdem Elgalar, Volcus und Stephanie de la Siniestro großspurige Reden gehalten hatten, kam endlich das Finale, auf das anscheinend alle gewartet hatten. Elgalar ließ Roi Danton, Sam und Jan Scorbit in die Arena führen. Was Mathew auffiel war, dass Carilla anscheinend durch Abwesenheit glänzte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Wallace bereits diverse Spielereien aus siganesischer Produktion, die Pyla als Schmuckstücke und Halsketten getarnt am Körper trug, zusammengesetzt und ein ansehnliches Arsenal Sprengkapseln und andere Gemeinheiten zur Verfügung. Darüber hinaus konnte er über einen Minisender Tylers Kampfeinheit den Einsatzbefehl erteilen.

Die Holoinstallation der Luxusnische gestattete, jedes Detail in allen Nuancen zu verfolgen. Ein winziger Chip, der auf seiner Nasenwurzel befestigt war, steuerte eine Art virtuelle Kamera genau nach seinen Wünschen. Ein Dorgone mit einer weißen Toga war in die Mitte der Arena getreten und stellte das Gericht vor. Stürmischer Beifall begleitete die Nennung jedes Namens.

Mit dem Rest seiner Selbstbeherrschung verdrängte Wallace den Wunsch, nach vorn zu stürmen und dieser Versammlung von Mördern und Halsabschneidern seine Meinung zu sagen, aber er musste sich beherrschen, um nicht die ganze Aktion zu gefährden. Aber der Gedanke, dass Mörder wie Leticron und Carilla als Richter sich anmaßen würden, über ein moralisch integres Wesen wie Sam zu urteilen, war einfach zu viel. Dabei registrierte Mathew fast beiläufig, dass Carilla zurück war und seinen Platz am Richtertisch eingenommen hatte.

In diesem Moment erhob sich Volcus und brachte mit einer Geste die lauten Gespräche, die den weiten Raum erfüllten, zum Verstummen. Eine gespannte Erwartung lag in der Luft.

»Mitbürger, Dorgonen«, hallte seine Stimme durch die Arena, »wir sind hier zusammengekommen, um eine Epoche, nein, ein neues Zeitalter zu eröffnen.«

In diesem Moment wurde die Übertragung unterbrochen, denn Pyla war in das Projektionsfeld der Holoinstallation gestürmt. Wutentbrannt funkelte sie Wallace an und ihre Stimme überschlug sich geradezu, als sie ihm entgegenbrüllte:

»Dorgonen, Mitbürger, dieser Volcus ist so ein Arsch, das gibt’s doch nicht, der redet doch nur von seinesgleichen, wir Frauen scheinen für den gar nicht zu existieren! Ich könnt…«

Wallace war über die fast völlige Abschirmung der Luxusnischen nach außen dankbar, denn niemand konnte Pylas Ausfall mitbekommen haben. Trotzdem nahm er sie an den Schultern und beruhigte sie.

Als sich das Holo wieder stabilisierte, erstarrte er. Die Szene hatte gewechselt. Chaos schien ausgebrochen zu sein und erste Strahlenschüsse peitschten durch die Arena. Blau uniformierte Gestalten waren aufgetaucht und feuerten wahllos in die Menge.

Mit zitternder Hand führte Wallace den kleinen Sender an die Lippen und gab den Einsatzbefehl.

*

Stephanie de la Siniestro traute ihren Augen nicht. Innerhalb weniger Sekunden hatte sich die Arena in ein Tollhaus verwandelt. Hochgestellte Senatoren hatte ihre Würde vergessen, während das schrille Gekreische weiblicher Stimmen ihr Gehör marterte. Ihr Blick suchte Leticron. Ihre Intuition schlug Alarm und sagte ihr, dass der Überschwere an diesem Chaos zumindest beteiligt war. Er hatte sich an eine der reich geschmückten Säulen gelehnt, und beobachtete das Geschehen äußerlich unbewegt.

Inzwischen war erkennbar, dass eine kleine Gruppe blau gekleideter Humanoiden mitten im inneren Ring der Arena aufgetaucht war und sofort zu schießen begann. Die Angreifer schienen die als Wache eingeteilten Mitglieder der Cohortes-Alaeum mit Leichtigkeit ausgeschaltet zu haben und begannen, wahllos in die Menge zu feuern. Ein schrilles Kreischen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Elgalar, der sich erhoben hatte und wild gestikulierend auf Carilla zulief. Als er diesen erreicht hatte, versuchte er, diesen zurückzuhalten. Doch Carilla schien wütend zu werden und stieß ihn von sich. Und dann, Stephanie konnte es kaum fassen, hob er einen schweren Strahler, richtete ihn auf Elgalar und drückte ab.

Einen Moment schien das ganze Szenario zu einem Fixierbild erstarren. Stephanie war, als müsste das Universum für einen Moment den Atem anhalten. Und dann verstand sie: Leticron!

Leticron war über diesen Wahnsinn informiert, mehr noch, wahrscheinlich war er an Carillas Plan beteiligt. Ihre Gedanken überschlugen sich, plötzlich wurde ihr der ganze Umfang des Planes deutlich und sie wusste, sie musste sich entscheiden.

Ihr Blick irrte suchend durch die Arena und registrierte fast nebenbei, dass anscheinen eine dritte Gruppe in die Auseinandersetzung eingegriffen hatte. Schwarz gekleidete Kämpfer durchpflügten das Durcheinander, anders konnte sie es nicht ausdrücken. Ohne Rücksicht auf Freund oder Feind schienen sie nur ein Ziel zu kennen: die noch immer in einer Zelle aus Formenergie kauernden Gefangenen. Doch die kompromisslose Vorgehensweise der Unbekannten irritierte sie, Einsatzkommandos der LFT oder der Neuen USO gingen normalerweise niemals mit dieser Rücksichtslosigkeit vor, im Gegenteil, sie bemühten sich, Unbeteiligte soweit es ging zu schonen. Nachdem die Gefangenen befreit waren, verschwanden die Unbekannten, ohne eine Spur zurückzulassen.

Inzwischen wurde sie von der allgemeinen Panik immer weitergeschoben. Die Angreifer schienen Verstärkung erhalten zu haben und begannen, die Überlebenden im Innenraum der Arena einzuschnüren. Widerstand leisteten nur die schwarzgekleideten Unbekannten und eine kleine Einheit der Gardisten, die sich um Volcus, Kruppus, Osbarus und Elenia gescharrt hatten.

Mit einem Ruck riss sie den engen Rock, der ihre Bewegungsfreiheit behinderte, bis zur Taille auf und setzte sich in Richtung Volcus in Bewegung. Sie musste diesem Wahnsinn ein Ende bereiten, koste es, was es wolle.

Ihr Weg führte sie über grotesk verkrümmte Körper, die teilweise im Todeskampf ineinander verschlungen waren. Inzwischen waren schon zweimal diese blau uniformierten Angreifer aufgetaucht, die sie aber ignorierten. Schließlich hatte sie die Gruppe erreicht, die sich vor ihr öffnete. Ein Gardist, der bereits aus mehreren Wunden blutete, reichte ihr wortlos einen Thermostrahler, bevor der Schutzwall der Gardisten sich wieder schloss. Hinter ihr begann das Morden, die Gardisten hatten gegen die Angreifer keine Chance, die Gruppe der Verteidiger zerfiel in einzelne Grüppchen.

Rein instinktiv zog sie Volcus hinter sich, während ihr Blick das ausdrucklose Gesicht des Angreifers fixierte. Der ganze Körper des Humanoiden begann zu zittern, der überschwere Impulsstrahler entfiel seinen Händen und sein Gesicht verzerrte sich in unsagbarem Schmerz. Erst da hatte sie endgültig verstanden. Ihr Blick suchte Leticron, der sich inzwischen in ihre Richtung in Bewegung gesetzt hatte. Seine Hand hob den schweren Desintegrator, der in seiner Pranke wie ein Spielzeug wirkte. Dies schien das Signal an seine Leibwachen zu sein, die sich nun ebenfalls in die Kämpfe einmischten. Die Überschweren walzten nun den Widerstand Carillas nieder, der sich schließlich ergeben musste. Damit war der Staatsstreich gescheitert.

Carilla war von quarterialen Soldaten und Leibwächtern Volcus’ gefangen genommen worden.

Epilog

I. Der neue Kaiser

Volcus musterte sein Gegenüber Falcus, dem der Blick sichtlich unangenehm war. Nachdem Elgalar durch Carilla ermordet wurde, war es Falcus gewesen, der ihn als neuen Kaiser vorgeschlagen hatte. Im Prinzip war ihm auch nichts anderes übriggeblieben, denn wenige Tage nach dem großen Massaker hatte Vesus mit der gesamten Thronflotte das Siom-System abgeriegelt und war selbst auf Som gelandet. Dadurch hatte er jeden Versuch der Kreise, die mit Carilla im Bunde standen, nochmals nach der Macht zu greifen, im Keim erstickt. Falcus hatte die Zeichen der Zeit erkannt und wohl im letzten Augenblick die Seiten gewechselt.

Hinter dem neuen Kaiser Dorgons lag eine ereignisreiche Woche, die, zumindest in den estartischen Galaxien, zu einer völligen Änderung der galaktopolitischen Lage geführt hatte. Dorgon war wieder zum unabhängigen Kaiserreich geworden, das mit dem Quarterium nur noch durch ein loses Verteidigungsbündnis verbunden war. In den estartischen Galaxien wurde den Völkern eine beschränkte Unabhängigkeit gewährt, die jedoch durch die dorgonischen Hoheitsrechte begrenzt wurden. Leticron hatte sich direkt nach der Zerschlagung des Staatsstreiches nach Erendyra zurückgezogen und die Galaxie vollkommen abgeschirmt.

Volcus’ erste Amtshandlungen waren die Ernennung von Kruppus zum Anführer der Prettosgarde, Osbarus zum Legaten der Kolonien und die Wiedereinberufung von Vesus als Großadmiral und Oberbefehlshaber der dorgonischen Flotte. Falcus blieb Legat in Dorgon. Auf diese vier Leute würde Volcus seine Macht stützen. Er vertraute dabei auf deren Fähigkeiten.

Vesus war dem Kaiserreich loyal. Er war ein Soldat durch und durch. Wenn Volcus es nicht zu wild trieb, war ihm der Großadmiral treu.

Kruppus war Volcus’ engster Freund und Vertrauter. Die Macht, die Konkubinen und dasselbe geistige Verständnis wie Volcus, würden ihn zu einem wichtigen Helfer machen.

Gab man Osbarus genügend Wein, war er im Griff zu halten. Osbarus war bescheiden und würde für seinen alten Freund alles tun.

Falcus klebte an der Macht. Er würde sie nie durch eine Revolution riskieren.

Die letzte Amtshandlung des neuen Kaisers am ersten Tag war die Exekution Carillas. Er ließ kein großes Aufsehen darum machen, wollte diese elende Zeit von Elgalar und Carilla endgültig beenden. Carilla stand in seiner Residenz auf Som unter Hausarrest. Kruppus hatte treue Offiziere der Prettosgarde am Morgen hingeschickt, die – wie sie berichteten – Carilla auf der Toilette bei seinem morgendlichen Geschäft auffanden und erschlugen.

Damit war die kurze und erniedrigende Epoche von Elgalar und Carilla beendet. Nun würde der Protector Dorgonis das Kaiserreich Dorgon zu neuem Ruhm führen.

Volcus selbst hatte das Quarterium und die LFT zu Friedensverhandlungen nach Som eingeladen, um einen für beide Parteien akzeptablen Frieden zu erreichen. Roi Danton erklärt sich bereit, diesen Vorschlag seinem Vater zu überbringen und akquirierte zu diesem Zweck die IVANHOE II.

II. Der Auftrag

Natalia musterte die düstere Erscheinung, die vor wenigen Stunden ihren Gemahl aufgesucht hatte. Das tiefrote Gesicht mit den schwarzen Zahlen auf der Stirn machte ihr Angst. Aber ihr Gemahl plauderte mit dem Unbekannten, als ob es sich um einen ganz normalen Ylors handelte.

Dazu kam, dass der Gefährte des Roten jeden Respekt vermissen ließ. Nachdem sich ihr Gemahl mit dem Besucher zurückgezogen hatte, begann dieses Tier, zuerst Katherina und dann sie zu beschnüffeln. Katherina war schließlich in den Schutz der schwarzen Walze geflohen, während sie allen Mut zusammengenommen und dem Untier kräftig mit der Faust auf die Schnauze geschlagen hatte.

Das Vieh hatte vor Schmerzen aufgebrüllt und sich auf sie stürzen wollen. Doch plötzlich war ihr Gemahl neben ihr, der das Untier nur scharf angesehen hatte. Das Vieh hatte noch einmal furchtbar gebrüllt, bevor es sich verzog. Sie hatte mühsam die Fassung behalten.

In der Nacht war ihr Gemahl zu ihr gekommen und hatte ihr gezeigt, wie stolz er auf sie war. Danach erzählte er, dass sie einen alten Freund befreien müssen.

Ende

Im nächsten Roman wechselt die Handlung zurück in die Lokale Gruppe. Das Quarterium greift nach der Milchstraße – Perry Rhodan wird von Uwahn Jenmuhs gejagt. Für wen wird der arkonidische Imperator Bostich Partei ergreifen? Geschrieben von Jens Hirseland führt Band 111 zur

ENTSCHEIDUNG AM STERNENPORTAL

DORGON-Kommentar

Im Mittelpunkt steht diesmal ein Schiff, die berühmte IVANHOE II, die nach dem Desaster um den falschen Planeten Wanderer, was von Nils als Abschluss des vorangegangenen Zyklus eindrucksvoll geschildert wurde, überholt und mit einer teilweise neuen Mannschaft wieder in Dienst gestellt wurde.

Diese Zäsur habe ich zum Anlass genommen, um die Überlebenden zu einer neuen Crew aufzubauen und das Schiff und seine Mannschaft im Einsatz zu schildern.

Im aktuellen Roman kehrt Roi Danton mit der DUNKELSTERN nach Siom Som zurück. Wir schreiben inzwischen Dezember 1307 NGZ. Seit April 1307 NGZ befand sich Danton auf dieser Mission. Eine verlustreiche Mission, denn von seinen Begleitern sind kaum mehr welche übrig. Roland Meyers ist tot, Nataly Andrews und Kathy Scolar sind zu Ylors mutiert und Maya ki Toushi verschwunden. Nur Sato Ambush ist übriggeblieben.

Dafür hat Roi neue »Verbündete« gefunden. Illustre Piraten und die exzentrische Pyla. Man darf gespannt sein, wie die sich in ihre Rollen noch einfügen werden. Wir werden auf jeden Fall noch einiges von ihnen lesen.

Die IVANHOE II spielt nach einer Pause von einigen Heften nun auch wieder eine zentrale Rolle. Immerhin ist es der Crew unter Xavier Jeamour sogar gelungen, mit den Entropen zu kooperieren. Eines wird deutlich: Offenbar gibt es Unstimmigkeiten bei den Entropen. Handelt die Führung nicht im Sinne von SI KITU? Oder gibt es eine liberale Front, die eigenmächtig gegen die rüde Vorgehensweise ist?

Die Ylors beginnen nun, ihre Jagdreviere auf Siom Som auszudehnen. Interessant ist dabei die Tatsache, dass Kathy Scolar alias Katherina offenbar noch so menschlich ist, dass sie sich gegen ihr Dasein als Ylors wehrt. Gibt es vielleicht noch Hoffnung für die Geliebte Aurecs?

Jürgen Freier

GLOSSAR

Die Legende des »Protector Dorgonis«

Nach Jahresbeginn 1308 NGZ wurden die Konfliktparteien in den estartischen Galaxien erstmals mit der Legende des Protector Dorgonis konfrontiert, als sie mit Volcus, dem charismatischen Führer der dorgonischen Opposition, erste Kontaktgespräche geführt hatten.

Obwohl sowohl Terraner als auch Saggittonen mit der Expedition nach M 100 tiefe Einblicke in die dorgonische Kultur gewonnen hatten, waren sie auf keinerlei Informationen über eine mystische Vergangenheit des dorgonischen Kaiserreiches gestoßen. Lediglich der ins Auge fallende Widerspruch zwischen der hoch entwickelten Technik des Kaiserreiches und den geradezu archaischen Gesellschaftsverhältnissen, die in auffälliger Weise einer alten, antiken Kultur Terras, dem römischen Imperium, glichen, fiel vor allem Julian Tifflor auf. Doch die damaligen Ereignisse in M 100 verhinderten weitere Forschungen.

Danach geriet dieser Fragenkomplex in Vergessenheit. Später, nachdem der Kosmotarch DORGON sein kosmisches Projekt verkündet und zu diesem Zweck Kontakt mit den Terranern aufgenommen hatte, wurde das Verhältnis zwischen dem Kosmotarchen und seiner vermeintlichen Mächtigkeitsballung noch rätselhafter, denn weder Perry Rhodan noch Aurec oder Joak Cascal konnten sich vorstellen, dass der friedliebende, geradezu extrem pazifistisch eingestellte DORGON und die imperialistischen und rassistischen Dorgonen mit ihren extremen sozialen Gegensätzen in irgendeiner Weise miteinander verbunden wären.

Die folgenden Ausführungen gehen auf lange Gespräche zwischen Sato Ambush und Osbarus, dem Vizekanzler der Academia Scientia auf Dom, zurück, die während der Verhandlungen zwischen Volcus und der Führung der FES Ende des Jahres 1307 NGZ auf Boldar geführt wurden.

Das als Protector Dorgonis oder auch nur als Protector bezeichnete Artefakt spielte mehrmals innerhalb der dorgonischen Geschichte eine herausragende Rolle. Sein Ursprung verliert sich in der mythischen Frühzeit Dorgons, über die außer dem sogenannten Codex Ocassus keine geschichtlichen Quellen existieren. Das erste, geschichtlich durch Quellen verbürgte Erscheinen fällt in die Zeit der Gründung des Kaisertums durch Domulus.

Vor etwa 95.000 Jahren …

Dorgon befindet sich am Tiefpunkt seiner Geschichte. Nachdem die nationalen Gegensätze zwischen den dorgonischen Reichen durch Kriege und Verhandlungen überwunden werden und sich, konnte man den Mythen im Volk trauen, nach Jahrhunderttausenden wieder ein einiges Reich beginnt zu bilden, kommt die Geißel der Galaxie über die Heimat der Dorgonen.

Millionen und Abermillionen grausamer Spinnenwesen überziehen Dorgon mit einer Welle von Tod und Verderben und errichten ein Reich des Terrors. Die Charkos, wie sich die grausamen Mordspinnen selbst nennen, versklaven die Bevölkerung, um sie als Nahrungsquelle zu benutzen.

Jahrtausende vergehen und die dorgonische Menschheit steht vor der Vernichtung. Nur noch wenige Hunderttausende vegetieren in den Zuchtlagern der Charkos dahin, die endgültige Ausrottung steht bevor. Da erscheint dem jungen Ägonen Domulus, der gerade zwei Charkos erschlagen hatte und in den Dschungel geflohen war, ein Wesen aus Licht mit der Macht eines Gottes, er wird in den Himmel entrückt und dort ausgebildet. Domulus kehrt schließlich zurück, auf Dorgon waren nur wenige Tage vergangen, obwohl er Jahre in der Welt jenseits des Himmels verbracht hatte. Domulus wird wiedergeboren, pflanzt den Keim des Aufstandes in die dahinvegetierenden Massen und führt die Dorgonen innerhalb weniger Jahre zum Sieg.

Als sichtbares Zeichen der Gunst der Götter trägt er ein machtvolles Schwert, das die Feinde Dorgons tötet wie eine Sense, die Grashalme schneidet. Als Protector wird dieses Schwert zur Legitimation des dorgonischen Kaisertums, wobei der Träger des Schwertes den Ehrennamen Protector Dorgonis führen darf.

Unter Domulus beginnt der kometenhafte Aufstieg der Dorgonen. Ein einheitliches Reich entsteht und der Kaiser wird zum Lehrer des Volkes. Doch bereits unter seinem Nachfolger Romanus geht der Protector wieder verloren.

Persönliche Anmerkung Sato Ambushs

In Verbindung mit dem Codex Ocassus vermute ich, dass es sich bei dem geheimnisvollen Lichtwesen um einen »alten« Dorgonen aus der Vorzeit handelt, der den Bruderkrieg überlebt hatte.


Wieder vergehen Jahrtausende, das dorgonische Kaiserreich expandiert und beherrscht schließlich die gesamte Heimatgalaxie. Die Charkos werden ausgerottet und die Reiche der reptiloiden Tutsamen und avoiden Zarketos erobert. Weitere Völker wie die Ponas oder Elevus unterwerfen sich freiwillig. Das dorgonische Reich zerfällt danach in mehrere selbstständige Teile, die sich gegenseitig bekriegen.

Schließlich wird Dorgon zur Republik und Konsul Pasus einigt die verschiedenen dorgonischen Reiche wieder unter seiner Führung. Das Reich entfaltet Macht und Gerechtigkeit und tritt vor etwa 28.000 Jahren in den Dienst der Kosmokraten, um in ihrem Auftrag unzählige Kriege und Befriedungsaktionen durchzuführen.

Vor etwa 18.000 Jahren …

Das dorgonische Volk ist der vielen Kriege in Diensten der Kosmokraten müde. Nachdem der dorgonische Senat die Allianz mit den Ordnungsmächten aufkündigt, droht der Kosmokrat Sipustov mit der Vernichtung. Strafexpeditionen der Ordnungsmächte drängen die Dorgonen bis auf ihre Heimatwelt zurück, die Kosmokraten rüsten die verschiedenen Fremdrassen mit moderner Technik aus, Milliarden Dorgonen werden ermordet. In dieser Situation taucht das geheimnisvolle Schwert wieder auf. Konsul Scullinus gelingt es, das Heimatsystem zu schützen und mit der neuen Hypertron-Technik die Hilfsflotten der Kosmokraten zurückzuschlagen.

Fast scheint es nun so, dass damit eine neue Blüte Dorgons bevorsteht, doch Scullinus wird von einer unbekannten Krankheit befallen, die zum Wahnsinn führt, und der Protector verschwindet wieder. Daraufhin wird Scullinus auf Befehl des Senats entmachtet und verhaftet, doch seine Nachfolger sind völlig korrupt und unfähig, sie verspielen endgültig die Einheit der Republik.

Erneut versinkt Dorgon in einem Bürgerkrieg, der zum endgültigen Verfall der Republik führt. Die folgende Zeit geht unter der Bezeichnung »Dunkle Jahrhunderte« in die Geschichte ein, Dorgone kämpft gegen Dorgone, die nichtmenschlichen Völker erheben sich und greifen nach der Herrschaft in der Heimatgalaxie. Eine starke Zentralmacht, die Frieden und Sicherheit garantiert, ist nicht mehr vorhanden. Das dorgonische Reich zerfällt in unzählige kleine und kleinste Staaten, die sich gegenseitig bekämpfen. Der Senat auf Dorgon ist ohne Macht.

Vor etwa 6500 Jahren …

Dorgon liegt in Trümmern, die Raumfahrt ist weitgehend eingestellt, selbst die Verbindung mit den verschiedenen Kolonialvölkern wie Jerrer, Jarvaren oder Tasumen ist abgebrochen. Auf dem Heimatplaneten selbst herrscht ein Klima der Dekadenz und des Verfalls. Durch die Plebistribune hat der Abschaum der dorgonischen Gesellschaft die Macht ergriffen und führt die Republik in den Abgrund. Orgastische Feste und blutige Massenhinrichtungen sind an der Tagesordnung, die öffentliche Moral verkommt.

In dieser Situation wird der junge Helsuki Jusilus zum Senator des sechsten Planeten gewählt. Jusilus nimmt die erste Gelegenheit wahr, an Bord einer Planetenfähre von Helsuk nach Dorgon zu reisen. Dort schafft er sich innerhalb des dorgonischen Plebs eine Massenbasis und wird schließlich zum Plebistribun ernannt. Jetzt taucht der Protector wieder auf und verhilft Jusilus zu einem kometenhaften Aufstieg. Er eint Dorgon, schlägt die nichtmenschlichen Völker und beendet die Zeit der Republik. Schließlich krönt er sich selbst zum Kaiser und ordnet das Kaiserreich in vier Protektorate, die durch vier Konsuln regiert werden. Der Senat wird weitgehend entmachtet und die Macht auf den Kaiser und die Konsuln konzentriert. Doch Jusilus sollte den Aufstieg Dorgons nicht mehr erleben: Bei der Krönungsfeier fällt er unbekannten Meuchelmördern zum Opfer. Dabei verschwindet der Protector wieder und bleibt verschollen.

Volcus

Geboren: 1268 NGZ

Geburtsort: Dorgon, Dorgonia-System – M 100

Größe: 1,83 Meter

Gewicht: 79 Kilogramm

Augenfarbe: graugrün

Haarfarbe: blond, gelockt, schulterlang

Bemerkungen: etwas schlaksiger Körperbau, gewitzter Gesichtsausdruck, geschäftstüchtig, absoluter Machtmensch


Volcus taucht nach dem Massaker der Söhne des Chaos am 8. April 1307 NGZ wie aus dem Nichts auf und macht in kürzester Zeit innerhalb der dorgonischen Nomenklatur eine beispielhafte Karriere. Er spielt dabei furios mit den Massenmedien und greift die allgemeine Unzufriedenheit und die weitverbreitete Ablehnung der Eingliederung Dorgons in das Quarterium auf, um seine Person in der Öffentlichkeit als neuen Hoffnungsträger zu präsentieren. Einen ersten Höhepunkt erreicht sein kometenhafter Aufstieg in der Wahl zum Konsul des Protektorats Mesaphan, wodurch er eine Destabilisierung der Macht der herrschenden Clique um Elgalar und Carilla erreicht.

Über die Vergangenheit von Volcus ist relativ wenig bekannt, er gilt allgemein als leichtsinniger Casanova und Partylöwe, dessen Beschäftigung im Wesentlichen darin besteht, sein aus dubiosen Quellen stammendes Vermögen mit vollen Händen auszugeben. Bereits während dieser Zeit bilden Volcus, Kruppus und Osbarus ein eingeschworenes Trio, das allgemein unter dem Namen »Horribilis Tres« bekannt ist.

Kruppus

Geboren: 1262 NGZ

Geburtsort: Helsuk, Dorgonia-System – M 100

Größe: 1,72 Meter

Gewicht: 87 Kilogramm

Augenfarbe: grau

Haarfarbe: schwarz, schüttern mit Stirnglatze

Bemerkungen: korpulent und unsportlich, verschlagener Gesichtsausdruck, Finanzgenie, mit allen Wassern gewaschen, absoluter Genussmensch


Kruppus ist seit frühester Kindheit mit Volcus befreundet, dieser vertraut ihm blindlings. Er hält sich für äußerst attraktiv, was vom anderen Geschlecht leider nicht so gesehen wird. War in der Vergangenheit schon mehrmals wegen sexueller Nötigung angeklagt, wurde jedoch immer vor Gericht freigesprochen. Auch Kruppus ist eher in dubiose Geschäfte verwickelt und gilt als großer Redner, der seinen Worten aber nur wenige Taten folgen lässt.

Osbarus

Geboren: 1269 NGZ

Geburtsort: Dorgon, Dorgonia-System – M 100

Größe: 1,85 Meter

Gewicht: 69 Kilogramm

Augenfarbe: blaugrau

Haarfarbe: schmutziges blond, lang, trägt einen Vollbart

Bemerkungen: leptosomer Körperbau, überheblich, von sich selbst überzeugt, fieser Charakter, sadistisch veranlagt


Osbarus, der Dritte im Bunde, zählt ebenfalls zu den Jugendfreunden von Volcus und ist mit diesem genauso eng verbunden wie sein Kumpan Kruppus. Osbarus gilt innerhalb der dorgonischen Academia Scientia, deren Vizekanzler er ist, als Genie, er selbst hält sich für eine Inkarnation des genialen Universalgelehrten Arranius, der den Codex Ocassus entzifferte. Ohne das Geld von Volcus wäre er bereits mehrmals wegen Verstößen gegen die ethischen Grundsätze des Rhetoricum Scientia mit einem Berufsverbot und Ausschluss aus der Academia Scientia belegt worden.

Cover