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Band 109

Rideryon-Zyklus

Bruderkampf

Auf Tefrod kämpfen die Kinder Lemurias um die Freiheit der Lokalen Gruppe

Nils Hirseland

Cover

Prolog

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret.

Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,

Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun

Ist Feuer, Pest und Tod, der Hertz und Geist durchfähret.


Andreas Gryphius

Chronist des Dreißigjährigen Krieges, der Deutschland von 1618 bis 1648 verheerte, so wie der Einfall des faschistoiden Quarteriums jetzt die Galaxie Andromeda verwüstet. Auf beiden Seiten kämpfen Menschen …

1. Blitz und Donner

12. September 1307 NGZ, Untergrundstation 73, Vircho, Tefrod

Blitze zuckten im Sekundentakt durch den wolkenverhangenen Himmel. Leutnant Ash Berger blickte mit besorgter Mine nach oben. Grollender Donner folgte jedem grellen Zickzack, jedem gleißenden Licht. Das war kein Gewitter. Es tobte eine Schlacht über und in den Wolken über Vircho, der tefrodischen Hauptstadt. Glühende Feuerbälle prasselten aus dem Dunkel. Getroffene Teile von Raumschiffen und Jägern schlugen mit hoher Geschwindigkeit in den Boden. Ein Trümmerstück schlug mit einem lauten Knall in eine Baumgruppe unweit von ihnen ein.

»Es wird langsam eng«, kommentierte Ace Blacktree.

Der Scharfschütze beobachtete den Eingang der Untergrundstation 73, registrierte aufmerksam die beiden Brüche in der gläsernen Kuppel.

»Nakkhole, verstärke den Schutzschirm des Shifts«, befahl Berger. Auch für seinen Geschmack kamen die Einschläge zu nahe. Der Shift war auf dem Dach des Wolkenkratzers gelandet, während sie drei Etagen tiefer das Ziel der Operation beobachteten: die Eroberung der Untergrundstation 73, um einen Fuß in die urbane Region von Vircho zu finden. Bis auf das Hafenviertel, die Untergrundstadt und die drei Kilometer vorgelagerte Regierungsinsel war Vircho erobert, war die fünfzig Millionen Einwohner zählende Hauptstadt von Tefrod unter der Kontrolle des Quarteriums. Doch gerade diese Ziele mussten sie einnehmen, um den Sieg zu feiern. Oder um einfach nur zu überleben.

Ein lauter Knall ließ Berger hochschrecken. Der Soldat lauschte. Ein bedrohliches Brummen wurde lauter und lauter. Er schaute aus dem Fenster in den bedeckten Himmel. An einer Stelle färbte sich die Wolkendecke rötlich, und schon durchbrach der brennende Kugelraumer das düstere Firmament. Mit metallischem Grollen sank er dem Boden entgegen.

»Wenn der aufschlägt, hilft uns kein Schutzschirm. Abbruch!«, rief Berger.

»Halt, er wird langsamer.«

Blacktree deutete auf den hundert Meter durchmessenden Kreuzer der SUPREMO-Klasse. Tatsächlich flammten die Triebwerke auf und erzeugten Gegenschub. Er stabilisierte sich, war aber nur noch siebenhundert Meter von ihnen entfernt.

Blätter, Papier und Myriaden kleinerer Gegenstände schwebten in die Höhe. Sie setzten den Antigrav ein! In Bergers Magen bildete sich ein schmerzhafter Klumpen. Reichte das aus, um ein Inferno zu verhindern? Tatsächlich erfolgte keine Explosion. Doch auch der kontrollierte Absturz verursachte eine Katastrophe.

Mit dumpfem Knarzen senkte sich der Kreuzer auf den Boden, der seinem Gewicht nachgab, und blieb ruhig liegen. Berger stieß den Atem aus, den er unwillkürlich angehalten hatte. Der nächste Atemzug roch nach ionisierter Luft. Er betrachtete die weit über die Häuser aufragende Kugelwandung. Die halb ausgefahrenen Landestützen stachen in den Himmel. Das Metall ächzte. Feuer loderten auf, wo der Raumer Gebäude nur zur Hälfte zermahlen hatte, Blitze zuckten aus abgerissenen Leitungen. Vereinzelt waren Schreie zu hören. Hoffentlich war die Besatzung nicht in der Lage, die Bordgeschütze zu aktivieren.

»Sieh mal«, rief Blacktree und deutete mit dem Lauf seines Scharfschützengewehrs MAR-Tactical 1306 aus dem Fenster. Berger riss sich von dem Anblick des Raumers los und umklammerte seine Waffe. Etwa ein Dutzend Tefroder eilten zum Eingang der Untergrundstation.

Blacktree hatte bereits angelegt. Er zielte, wartete auf den richtigen Moment und drückte zweimal ab. Der erste Schuss überlastete den Schutzschirm des Gegners. Der zweite tötete ihn. Er nahm sich den nächsten Angreifer vor, traf aber nur einmal. Die Gegner sprangen in Deckung. Kurz darauf zischten ihnen die ersten Schüsse um die Ohren. Metall glühte auf, es regnete Glassplitter.

»Rückzug«, befahl Berger.

Die Angreifer hatten ihre Position. Ihre Deckung war nutzlos geworden. Die zwei eilten die Treppe zum Dach hoch, wo Roppert Nakkhole sie bereits erwartete. Wieder ließ ein lautes Grollen die Stufen unter ihren Füßen erbeben. Donner und Blitz folgten: Momente später stürzte ein tefrodischer Jäger in ein nur wenige Kilometer entferntes Hochhaus.

»Wird Zeit, dass wir verschwinden«, meinte Berger. Die Männer sprangen in den Shift. Nakkhole startete die Maschine. Sie überflogen die ihrerseits in Deckung springenden Tefroder und deckten sie mit einem Energiehagel ein. Das Gegenfeuer war dünn. Dreimal zogen sie ihre Bahn, ehe sie endgültig auf Abstand gingen. Es erfolgte kein Gegenfeuer mehr. Entweder stellten sich die Tefroder tot, oder sie waren es wirklich.

»Tipa hat eine Warze. Ich wiederhole, Tipa hat eine Warze«, gellte es aus dem Interkom. Das war der Code zum Angriff. In der Ortung erschienen zwölf weitere Shifts und zwei Transporter. Sie steuerten auf die Untergrundstation zu.

»Leutnant Berger, Sie und die Shifts 32-D, 32-O und 32-P sichern den Luftraum. Die anderen Shifts landen jetzt«, erteilte Generalleutnant Wolf Linker den Befehl. Linker höchstpersönlich übernahm die Leitung der Operation. Berger zog den Mundwinkel nach unten. Natürlich befand Linker sich nicht in einem der Flugpanzer, sondern im Kommandostand vier Kilometer entfernt. Die eigentliche Führung hatte Oberst Henner von Herker. Doch der schwieg, wenn Linker sprach.

Berger beobachtete die Landung von drei Shifts und einem Transporter. Die nächste Welle war im Anflug, als ein greller Blitz ihn blendete, ehe der Helm die Helligkeit automatisch reduzierte. Die Glaskuppel der Station zerbarst in tausende Teile. Die Shifts und Transporter wurden in eine Feuerkugel gehüllt. Dann gab Boden nach und riss die vier Fluggeräte in die Tiefe.

Die zweite Welle unterbrach den Anflug und drehte ab.

»Die Schweine haben die Station gesprengt«, kommentierte Henner von Herker das Geschehen.

Geistreich wie immer! Dann herrschte im Helmempfänger Stille.

»Abbruch der Mission«, hörten sie schließlich Linkers Stimme. »Wenn der Zugang gesperrt ist, dann ist unsere Operation fehlgeschlagen. Das Oberkommando wird nicht zufrieden sein mit Ihrer schlechten Leistung.«

Nakkhole stellte den Funk ab.

»Typisch, der alte Linker ist kilometerweit entfernt und schiebt jegliche Verantwortung auf uns ab.«

»Was sollen wir denn machen, wenn die den Zugang sperren?«, fragte Blacktree in die Runde. Der hagere Scharfschütze schaute kopfschüttelnd auf das Schlachtfeld.

»Kehren wir zurück«, befahl Berger.

Während des Rückflugs erfuhren sie, dass insgesamt 107 der 127 Untergrundstationen vom Feind gesprengt worden waren. Anderen Kompanien war es immerhin gelungen, zwanzig Eingänge in die urbane Welt von Vircho zu sichern und einen Fuß in die Untergrundstadt zu setzen. Die Tefroder hatten zeitgleich mit Teilen ihrer Raumflotte einen koordinierten Angriff gestartet. Sie waren besiegt worden.

Ash Berger war jedenfalls klar, dass die Schlacht um Vircho noch lange nicht vorbei war.

2. Das urbane Vircho

Liebste Kathy,

ich weiß nicht, wann Du diese Briefe je bekommst, aber ich glaube fest daran, dass Du sie irgendwann lesen wirst! Sollte ich dann nicht mehr am Leben sein, hast Du eine Erinnerung an mich, und du weißt, was in mir vorging. Außerdem geben diese Zeilen mir das Gefühl, Dir näher zu sein. Wo immer Du auch bist.

Der Krieg ist grausam. Seit etwas mehr als zwei Monaten tobt ein erbarmungsloser Kampf um die Hauptstadt von Tefrod. Vircho ist vom Krieg gezeichnet. Die 50-Millionen-Stadt ist schon leerer geworden, doch es gibt immer wieder welche, die nicht entkommen sind oder ihre Heimat nicht verlassen wollen.

Heute ist der 24. Oktober 1307 NGZ. Unsere Truppen halten den Angriffen des Quarteriums noch stand. Noch! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir besiegt werden.

Die Stadt ist zweigeteilt. Rund um die Küste, auf der drei Kilometer vorgelagerten Regierungsinsel und in den angrenzenden Vierteln sitzen wir. Das Quarterium hat sich am Stadtzentrum eingenistet und uns den Weg ins Landesinnere abgeschnitten. Wir nutzen die See, um zu fischen und uns so mit Nahrung zu versorgen.

Innenillustration: Tefrod: Vircho von Stefan Wepil
Tefrod: Vircho © Stefan Wepil

Der Schutzschirm schützt weite Teile unserer Front vor dem quarterialen Bombardement. Am schlimmsten ergeht es der Zivilbevölkerung. Es gab Tote, Verletzte, Obdachlose. Es heißt, dass rund ein Viertel der Bürger inzwischen in umliegende Städte und Dörfer geflüchtet ist. Die Tendenz ist steigend. Der Regierungspalast, das Hafenviertel und die subterranen Anlagen der Stadt sind zum Teil verwaist. Zurück geblieben waren vor allen Alte, Arme, jene, die sich stur an ihr Hab und Gut klammerten, und die, welche die Chance zur Flucht verpasst hatten.

Unsere Truppen gehen nur mit äußerster Vorsicht durch die Stadt. Auf jedem Hochhaus, in jedem Turm oder hinter jeder Ruine kann ein Scharfschütze lauern. Das Quarterium ist uns dabei einen Schritt voraus. Sie haben das nagelneue MAR-Tactical 1306 Scharfschützengewehr entwickelt. Es kann »switchen« zwischen Projektilgeschossen und Energiegeschossen, ist also Nadlerstrahler, Thermostrahler und Desintegrator in einem. Es ist multifunktional einsetzbar, was praktisch bedeutet, dass durch Punktbeschuss eine Strukturlücke im Paratronschirm eines SERUNS geschaffen werden kann. Der nachfolgende Schuss ist dann tödlich.

Wir sind ratlos, hoffen jedoch, bald so eine Waffe erbeuten zu können, damit wir ihre Schwachstelle finden. Oder die unserer Waffen beheben. Allerdings sind die Ausflüge nach oben außerhalb des Schutzschirms selten geworden. Wir verschanzen uns in der unterirdischen Stadt, um die Zugänge zur Regierungsinsel zu schützen.

Es gibt sonst leider nicht viel Gutes zu berichten, seit dem letzten Brief vor drei Tagen.

Denkst Du daran, die Briefe chronologisch zu lesen? Sonst machen sie wenig Sinn …

Der alte Joak ist ziemlich übel gelaunt. Ich glaube, er hat sich mehr in Anya Guuze verliebt, als er zugibt. Dass sie sich gegen ihn entschieden hat, wurmt ihn sehr. Leider lässt er seinen Zorn auf dem Schlachtfeld aus, übertreibt es manchmal und ist eigentlich immer unleidlich. Ich hoffe, er fängt sich wieder. Am besten wäre es, wenn sich Anya doch für ihn begeistern könnte. Das täte ihm gut.

Ich verstehe ihn. Mir tut meine Liebe zu Dir auch gut, weil sie für mich das Wichtigste ist, sie hält mich am Leben. Jeden Tag sehe ich Menschen sterben. Der Krieg ist zermürbend, grausam und barbarisch. Das Schlimmste ist vielleicht, dass Tod und Verstümmelung zum Alltag werden, man abstumpft und es hinnimmt.

Ich will es aber nicht hinnehmen! Meine Gefühle, meine Gedanken, meine Emotionen machen mich doch erst zu dem Saggittonen, der ich bin. Und Du hilfst mir dabei. Auch wenn Du sehr weit weg bist, vermutlich irgendwo in den estartischen Galaxien, fühle ich Deine Nähe, Deine Liebe und hege jede Minute die Hoffnung, Dich bald wieder in meine Arme schließen zu können.

Es gibt zwei schöne Gedanken, die mir Hoffnung geben und mich zum Weiterkämpfen ermutigen: die Befreiung meines Volkes und Dich im schönsten Kleid auf unserer Hochzeit.

Ich glaube fest daran, dass es passieren wird.

Pass auf Dich auf! Ich liebe Dich, meine Kathy, und ich vermisse Dich.

Aurec

*

Aurec legte den Brief zu den anderen 27, die er im Laufe der Belagerung von Vircho an Kathy geschrieben hatte. Hoffentlich hielt sie ihn nicht für einen sensiblen Romantiker, wenn sie eines Tages alles las. Er lachte. Das tat sie bestimmt nicht. Sie würde gerührt weinen. Kathy würde eines Tages diese Briefe in den Händen halten!

Aurec nahm einen Schluck aus der Bierflasche. Das derbe, tefrodische »Duplo – doppelte Menge Alkohol« schmeckte ihm überhaupt nicht. Naja, so blieb er bei geringem Konsum und wenigstens nüchtern. Hoffentlich hielten sich seine Soldaten auch daran. Zwar war der Genuss von Alkohol verboten, doch es gab im Krieg immer Schlupflöcher, und an manchen Tagen ließ man die Männer und Frauen auch gewähren, um ihre Moral zu stärken.

Der bunte Haufen von Terranern, Saggittonen, Tefrodern und Maahks hatte sich zu einer verschworenen Gemeinschaft entwickelt.

171.589 Soldaten befanden unter seinem Kommando. Ihnen gegenüber standen 321.000 quarteriale Soldaten, Grautruppen und einige Bestien. Im Landesinneren hatte das Quarterium eine weitere Million Soldaten stationiert, die Tefrod kontrollierten. Raumschiffe über dem Planeten beherbergten bestimmt eine weitere Million einsatzbereite Truppen.

Im Grunde genommen hatten sie als Verteidiger keine Chance. Das Quarterium setzte seine Truppen flexibel ein: Brandherde wurden bekämpft und eliminiert. Die Soldaten zogen mit den Schiffen wieder ab und verharrten im Orbit. Das war ausreichend für eine Besetzung der tefrodischen Hauptwelt.

Doch Vircho sollte anscheinend nicht im Feuerhagel untergehen. Offenbar wollte das Quarterium die Palast- und Regierungsinsel feierlich einnehmen und als Symbol für ihre Macht zur Schau stellen. Dies zu verhindern war ein erstrebenswertes Ziel für die Allianz aus Saggittonen, Terraner, Maahks und Tefroder.

Die einzige Hoffnung war die Befreiung durch Perry Rhodan.

Die tefrodische Armee war gleich nach der Invasion des Quarteriums im Frühling aufgerieben worden. Sie waren nicht zu einem galaxieweiten Krieg gerüstet gewesen, die Flotten waren versprengt worden und am Ende hatte es an Verteidigern in der Heimat gefehlt.

Der letzte Angriff Mitte September hatte ihnen immerhin geholfen, Verstärkung auf Tefrod zu bringen. Doch nun harrten sie bereits sechs Wochen ohne Entsatz aus. Wo war Perry? Nie würde Rhodan Aurec und die anderen im Stich lassen, doch was immer er vorhatte, er sollte sich beeilen.

Aurecs Quartier befand sich in den Gängen der Untergrund- und Rohrbahnen von Vircho. Das Tunnelnetz durchzog die subterrane Stadt Vircho und reichte bis zur Regierungsinsel. Das war das Problem: Sie mussten diesen ganzen Bereich verteidigen.

Ihr Aufenthaltsort war ein provisorisches Zelt von sechzehn Quadratmetern. Die Möbel – ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl – waren allesamt aus Formenergie. Die mobile Syntronik hatte sich mit dem Formenergietisch vernetzt.

Der Saggittone betrachtete die Karte von Vircho auf der Oberfläche eben jenes Tisches. Die Satellitenaufnahme ließ sich beliebig vergrößern und verkleinern. Die blau angezeigte Linie waren seine Truppen, die rote Linie zeigte die Front des Quarteriums.

Zu Wasser waren sie abgesichert. Auf der vorgelagerten Regierungsinsel befanden sich schwere Abwehrgeschütze. Außerdem war da noch der Schutzschirm. Einen Angriff von Seeseite schloss Aurec aus, befürchtete stattdessen Aktionen aus dem Untergrund der Stadt, den U-Bahn-Anlagen und der unterirdischen City. Vircho erstreckte sich tief unter die Oberfläche des Planeten, und nicht jeder Bereich war durch den Schutzschirm abgesichert. Dieser diente vor allem dazu, Bombardement und Artilleriefeuer abzuwehren.

Seit sechs Wochen hielten sie die Untergrundviertel von Vircho am Hafengebiet und dem Binnensee rund um die Insel. Es war erstaunlich, dass es bisher keine weiteren Angriffe unterhalb der Stadt gegeben hatte. Wäre Aurec der Stratege des Quarteriums, würde er diese Option wählen, so wie letztes Mal. Im August und September hatten sich Aurec und Generalmarschall Red Sizemore nach heftigen Kämpfen auf einen Waffenstillstand geeinigt. Allerdings verlor Sizemore einen Rang und das Kommando über die Operation. Ausgerechnet Alcanar Benington war nun Oberbefehlshaber auf quarterialer Seite.

Dieser ehrgeizige und rücksichtslose Berufssoldat hatte schon zu Pionierzeiten in Cartwheel für Unruhe gesorgt. Darüber hinaus gab es eine sehr persönliche Vorgeschichte: Benington hatte Jonathan Andrews als auch Remus Scorbit während ihrer Ausbildung in Redhorse Point arge Probleme bereitet. Aurec kannte die Vorfälle nur aus Erzählungen, denn sie waren zu einer Zeit geschehen, als er mit Kathy Scolar in Barym war. Doch er hatte sie sich gründlich gemerkt, da sie ein Schlaglicht auf den Charakter dieses Mannes warfen.

Nach Beningtons unehrenhaftem Abschied aus dem Terrablock hatte er sich im Bund der Vier und im Quarterium hochgearbeitet. Er galt als Sieger der Schlacht bei Som-Ussad und war ein unbequemer Gegner in den estartischen Galaxien gewesen, da er weder auf Gegner noch auf die eigenen Soldaten Rücksicht nahm. Benington würde jedenfalls nicht aufgeben, denn er hatte sich von keinem der bisherigen Tiefschläge beeindrucken lassen. Dieser Schlag Mensch war auf militärischen Ruhm aus, egal um welchen Preis.

Im September war es zu Gefechten um die Untergrundstationen gekommen. Sie hatten viele davon gesprengt, doch dann hatte das Quarterium Fuß gefasst und die unterirdische Frontlinie an die auf der Oberfläche angepasst. Damit beherrschten die Invasoren Vircho über- und unterirdisch, mit Ausnahme des Hafenviertels und der Regierungsinsel.

Früher oder später würde der Angriff stattfinden. Sie mussten vorbereitet sein, um einen Ansturm aufzuhalten. Es war dem Quarterium nicht möglich, schwere Waffen wie Shifts oder Artillerie durch die Unterstadt zu transportieren. Die Wohn- und Geschäftsblocks waren nur mit der unterirdischen Schwebebahn und per Transmitter erreichbar, denn die Korridore waren nicht für Fahrzeuge angelegt. Das bedeutete, das Quarterium würde nur mit Fußtruppen und leichten Fahrzeugen angreifen, was jedoch schon schlimm genug war. Einmal durchgebrochen hatten sie dann die Möglichkeit, die restlichen Gebiete im wahrsten Sinne des Wortes zu unterlaufen. Das musste unter allen Umständen verhindert werden.

Aurec berief eine Lagebesprechung ein. Dazu verließ er sein Quartier, welches nicht ausreichend Platz bot. Sie trafen sich zehn Meter entfernt in einem geschlossenen und ausgeräumten Modegeschäft, in dem mittels Formenergie neue Möbel projiziert wurden.

Nach wenigen Minuten kamen Joak Cascal und Grek-3¼, dann der Akone Tervo Meeden. Ihnen folgten der Tefroder Pasreol Farch und Oberst Kamrahn, der Befehlshaber der saggittonischen Verbände.

Gemeinsam blickten sie auf die Übersichtsdarstellung. Ihnen standen 171.589 Soldaten zur Verfügung. Die Truppen setzten sich aus 19.350 terranischen LFT-Soldaten der 777. Raumeingreifdivision, 108.000 Tefrodern, 11.412 Maahks, 17.344 Akonen und 15.483 Saggittonen zusammen.

Mögliche Unterstützung wurde besprochen. Der Großteil der mehrere Millionen Mann starken tefrodischen Armee war über den ganzen Planeten verstreut oder kämpfte auf Kolonialwelten. Mit etwas Glück gelang ihnen eine Gegenoffensive, um das Quarterium in einen Zweifrontenkrieg zu verwickeln.

Aurecs zweite Hoffnung ruhte auf den anderen Raumeingreifdivisionen. Selbst die 777. RED war mit nur zwanzig Prozent ihrer Mannschaftsstärke vor Ort, der Rest befand sich noch im Flottenverband. Mit den hundert Raumeingreifdivisionen standen der LFT fünf Millionen Soldaten zur Verfügung, hinzu kamen noch einmal eine hohe Anzahl an Verbündeten von Seiten der Maahks, der Tefroder und von seinem Volk, den Saggittonen.

Auf diesen Entsatz hoffte Aurec. Doch dazu mussten Perry Rhodan, die Tefroder und Maahks noch einen Großangriff auf Vircho starten. Aurec wusste nicht viel darüber, was außerhalb der Welt vorging. Es hieß, die LFT sei vor drei Wochen in die Flucht geschlagen worden. Uwahn Jenmuhs höchstpersönlich war mit einem Großteil der quarterialen Flotte auf Verfolgungsjagd. Der elitäre Arkonide wollte die Entscheidung offenbar schnellstmöglich in Andromeda oder jedenfalls vor den Toren der Milchstraße herbeiführen.

Das kam vermutlich Perrys Taktik entgegen, der auf keinen Fall die LFT in Mitleidenschaft ziehen wollte. Rhodan ging eine gewagte Strategie ein.

Aurec blickte Joak Cascal an. Der erfahrene Kämpfer wirkte in seiner verschmutzten Uniform nicht wie ein General, sondern wie ein Frontsoldat. Der Hemdkragen war geöffnet, die Haare standen wirr vom Kopf ab, und weder der Dreitagebart noch die glimmende Kippe im Mund machten ihn vertrauenerweckender. Auf der anderen Seite war Joak wirklich an vorderster Front mit dabei. Er scheute kein Risiko und war in der Hinsicht ein wichtiges Vorbild für seine Truppe.

Die anderen Teilnehmer der Besprechung waren adrett gekleidet. Sie hatten vermutlich nicht einmal Dreck unter ihren Schuhsohlen, doch das würde sich bald ändern. Aurec forderte von jedem bedingungslosen Einsatz, um Vircho zu retten. Es war schlimm genug, dass ein Saggittone um die Hauptwelt eines anderen Volkes kämpfen musste! Doch was gab es an Alternativen? Die tefrodische Regierung war zusammengebrochen, Sha Otarin hatte abgedankt und das Parlament hatte sich aufgelöst, nachdem es Aurec einstimmig zum Hohen Tamrat für Tefrod ernannt hatte.

Einzig dem Feldherrn Pasreol Farch bescheinigte Aurec eine gewisse Führungskompetenz. Immerhin unterstanden ihm auch mehr als 100.000 Soldaten. Dennoch hatte Farch sich unter Aurecs Kommando gestellt, was er ihm hoch anrechnete.

»Meine Herren, wie ist die Lage?«, eröffnete der Saggittone das Gespräch.

»Der Schnaps ist bald alle«, murmelte Cascal.

Aurec schmunzelte.

»Wenn das alles ist. Keine Angriffe des Quarteriums?«

»Nein, Herr Kanzler. Sie halten sich seit einigen Tagen sehr zurück. In den Stadtvierteln, in denen sowohl unsere als auch quarteriale Einheiten sind, gab es gerade mal zwei Zwischenfälle. Ein Scharfschützenduell der zwei wohl schlechtesten Sniper auf beiden Seiten ohne Sieger und ähem …«

Kamrahn stockte.

»Was denn? Na los, raus mit der Sprache«, bat Aurec.

»Ein Tefroder und ein Quarterialer haben sich beim Urinieren getroffen und gegenseitig erschossen. Sie müssen wissen, dass die Stellungen teilweise Haus an Haus liegen.«

Das war Aurec bekannt. Ein Mann Verlust in den letzten drei Tagen war relativ beruhigend, so traurig auch das Einzelschicksal war. Jeder Tote war beklagenswert, doch besser nur einer als tausende!

»Mir machen die unterirdischen Stadtviertel Sorgen«, gestand Aurec. »Joak?«

Cascal nickte und schnippte die Zigarette auf den Boden. Er machte sich nicht die Mühe, den Glimmstängel auszutreten.

»Es ist da unten teilweise stockdunkel, da wir die Energie für den Schutzschirm benötigen, und ziemlich verschachtelt. Es gibt insgesamt dreißig Zugangsmöglichkeiten für das Quarterium. Diese führen zu den Hafenbereichen, der Unterwasserstadt unter dem Binnensee und auch direkt zur Regierungsinsel. Davon führen fünfzehn verzweigte U-Bahn-Linien und zehn Fußwege an den Wohn- und Einkaufspassagen nahe der Untergrundstationen entlang. Die restlichen fünf Wege sind halb fertiggebaute Tunnel. Wir haben alle gesichert, doch ich schlage vor, dass wir die Mannschaft verstärken.«

»Akzeptiert. Deine 777. RED wird abgezogen. Die zwanzigtausend Mann sollen Stellung in den unterirdischen Stadtteilen beziehen.«

»Wir könnten noch einen Schritt weitergehen«, schlug Joak vor. »Wie wäre es, wenn wir einen Gegenangriff starten und selbst den Rest der Stadt zurückerobern?«

»Nein, davon halte ich nichts. Wir müssten den eroberten Bereich verteidigen, und dazu fehlen uns die Leute«, meinte der Saggittone.

»Na gut, dann schlage ich vor, dass wir einen Großteil der dreißig Zugänge sprengen, dann haben wir Ruhe vor denen. Wir müssen immer noch damit rechnen, dass sie irgendwann den Schutzschirm knacken.«

Aurec stimmte Cascals Plan zu.

»Bitte kümmere dich darum. Und, so ein oder zwei gezielte Angriffe auf quarteriale Stellungen durch den Untergrund schaden auch nicht.«

Joak grinste.

»Verstanden, Sir!«

Es war schon eine Weile her, dass Joak Cascal freundlich dreingeschaut hatte. Er machte sich sofort an die Arbeit. Auch die anderen brachen auf. Die Besprechung war beendet, und Aurec blieb allein im ehemaligen Modeladen zurück.

Diverse Ständer mit Kleidern waren an die Wand geschoben worden. Aurec warf einen Blick drauf, berührte mit den Fingern den weichen, sanften Stoff und überlegte, wie Kathy wohl diese Kleider stehen würden.

Ein anderer Gedanke war düsterer. Wie viele Besucher dieses Ladens waren wohl während der Gefechte gestorben? Was war aus den Besitzern geworden? Waren sie rechtzeitig entkommen?

Würden sie nach dem Krieg zurückkehren und den Laden wiedereröffnen? Würde es nach dem Krieg diesen Laden überhaupt noch geben, oder würde der Platz unter Schutt und Asche begraben werden?

Aurec atmete tief durch und hoffte, dass bald Hilfe kam. Das Leben aller stand auf Messers Schneide.

3. Die grauen Maulwürfe

»Im Westen nichts Neues.«

Leutnant Ash Berger beendete die Meldung salutierend. Generalleutnant Wolf Linker beäugte den Soldaten aus seinen kleinen blauen Augen, die er mit sichtbarer Abneigung zukniff.

»Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus, Leutnant. Der ist hier fehl am Platz!«

»Jawohl, Herr Generalleutnant!«

Linker nahm die Mütze ab und strich durch sein kurzes, graubraunes Haar, eher er sie wieder aufsetzte. Mit fast versöhnlichem, gönnerhaftem Tonfall sagte er: »Sie sind zwar ein ausgezeichneter Soldat, doch deshalb dürfen Sie sich noch lange keine Fisimatenten erlauben, verstanden?«

»Jawohl, Herr Generalleutnant«, leierte Berger automatisch herunter. Widerspruch war zwecklos.

Er erhob noch einmal die Hand zum Gruß und machte kehrt. Dann zog er von dannen. Dabei gab es wirklich nichts Neues von der Front zu vermelden. Die XX. bis XXXV. SHIFT-Divisionen waren in der sogenannten Unterwelt von Vircho stationiert. Es galt, dreißig Zugänge zu sichern, an denen der Feind hätte durchbrechen können. Linker war der Oberbefehlshaber aller sechzehn Divisionen, die während des Kampfes um Tefrod von seinem Vorgesetzten Generalmarschall Alcanar Benington zur 67. Armee geformt wurden.

Damit hatte Benington seinem loyalen Speichellecker Linker wohl einen Gefallen getan. In Ash Bergers Augen war Linker nicht mal als Zugführer geeignet.

Seit mehr als zwei Jahren diente der 1280 NGZ in Berlin auf Terra geborene Soldat nun schon in der XXXII. SHIFT-Division, die inzwischen Oberst Henner von Herker unterstand, der auch Generalleutnant Linkers Stellvertreter war. Noch ein Unsympath an der Spitze der 67. Armee. Berger missfiel so einiges an seinen Vorgesetzten.

Dass er einmal in den Krieg ziehen würde, hatte sich er nie erträumen lassen, als er mit gerade einmal achtzehn Jahren mit seinen Eltern nach Cartwheel umsiedelte. Damals hatte er die Besiedelung einer neuen Galaxie als spannend erachtet. Doch sehr früh hatte ihn das normale Leben eingeholt.

Bergers Vater hatte als ranghoher Kommandeur in der Liga Freier Terraner gedient. Seine Mutter war hingegen eine Bankerin. So hatte er die Wahl gehabt zwischen Militär und Finanzwesen. Zuerst hatte er sich für das in seinen Augen eher triste Bankwesen entschieden. Auf Drängen seines Vaters und aufgrund der Einführung der Wehrpflicht war er 1303 NGZ nach Redhorse Point eingezogen und hatte dort seine militärische Laufbahn begonnen. Der ein Meter siebenundsiebzig große, schlanke Terraner mit den graugrünen Augen hatte jedoch immer Probleme mit der Obrigkeit, dem sturen Militarismus und spätestens seit den Verbrechen 1306 NGZ in den estartischen Galaxien auch eine tiefe Abneigung gegenüber dem Quarterium empfunden. Doch er war nur eine kleine Nummer. Er glaubte nicht, dass er den Verlauf des Krieges beeinflussen konnte. Schon gar nicht gegen eine Diktatur wie das Quarterium. Still und heimlich hatte er auch schon an Desertation gedacht. Selbst wenn es ihm gelang – die Gegner, einst eigentlich seine Leute, würden ihm wohl kaum trauen, vielleicht als Spion ansehen und erschießen. Dieser Krieg war schmutzig und grausam. Seine einzige Chance war zu überleben. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Solange, bis der Schrecken ein Ende fand.

Zwei lange Jahre hatte er die Schlachten, Kämpfe und Toten ertragen. Freunde waren gestorben. Noch immer dachte er wehmütig an den sensiblen Glaus Siebenpack zurück, der auf der Eis- und Kristallhölle Monol sein Ende gefunden hatte. Was hatten die Schweine ihn gequält und gedrillt in Redhorse Point. Immer wieder war er Opfer der Schikanen ihrer Vorgesetzten geworden. Und für was? Um in einer fremden Galaxie für ein Regime zu sterben, das sowohl Siebenpack als auch alle anderen »Schwächeren« missachtete. Sinnloser hätte ein Tod nicht sein können.

Er verließ das luxuriöse Hauptquartier im Nobelviertel von Vircho, welches kaum beschädigt war. Die Häuser ragten weit in die Höhe. Kuppelbauten, pfeilförmige und quadratische Gebäude prägten das Bild, gelbe Fassaden waren üblich. Es war friedlich hier. Nur die Absperrungen, die Abwehrgeschütze und die hohe Anzahl der in den Straßen patrouillierenden quarterialen Truppen ließen den Krieg erahnen.

Außerhalb der umkämpften Gebiete lebten immer noch viele Zivilisten. Das Quarterium versuchte, das Leben in der Stadt wieder zu normalisieren, doch es gelang ihm nur in rund einem Viertel der Millionenmetropole. Die Hälfte des Stadtgebiets war umkämpft, und der Rest lag unter Kontrolle der LFT und der Tefroder. Durch ständige Bombardements und das Artilleriefeuer auf Schutzschirm und Stellungen der Alliierten war ein Leben für Zivilisten dort nicht möglich.

Ihr Ziel war die Regierungsinsel, die drei Kilometer vor Vircho lag. Dorthin mussten sie, um die Schlacht zu beenden. Es galt, über dem Palast des Virths die quarteriale Fahne zu hissen. Die Insel war jedoch durch einen starken Schutzschirm gesichert. Sämtliche Versuche, ihn mit Schiffsgeschützen zu knacken, waren fehlgeschlagen. Doch es gab vielleicht einen anderen Weg: unten hindurch. Die urbane City Virchos erstreckte sich bis zur Insel. Allerdings war sie nicht für schweres Gerät geeignet.

Generell hatten die Tefroder ihren Verkehr über Hochstraßen geregelt. Viele davon waren inzwischen zerstört, und ihre Shiftpanzer hatten Probleme, in den engen Straßen zu landen. Sie konnten noch so hoch technisiert sein, entscheidend für eine Schlacht war zum Teil die geografische Lage.

Der Gos’Shekur wollte Vircho erobern und nicht zerstören. Für diese prestigeträchtige Operation kämpften sie nun. Damit der machtgierige Arkonide sich als Nachfolger des Tamaniums aufspielen konnte. Na Prost Mahlzeit!

Berger fuhr mit seinem Gleiter auf das Landefeld der Untergrundstation 46 B an der Lemurallee. Sie war durch Bombardements zerstört, inzwischen aber provisorisch wiederaufgebaut worden. Von hier aus waren es nur zwei Kilometer bis zu den feindlichen Linien.

Nachdem er sich beim Wachpersonal identifiziert hatte, brachte ein Antigrav ihn fünfzig Meter in die Tiefe. Nun war er im urbanen Teil der Stadt. Es gab hier nur wenige, enge Straßen. Der Verkehr verlief zum Großteil über Untergrundbahnen und Transmitter. Die Gebäude standen dicht an dicht. Sie erhoben sich über großen Shoppingpassagen. Kilometerlang zogen sich die Ladenfronten. Mal handelte es sich um leerstehende Läden, mal um Restaurants und Lagerhallen.

Wenn man hochsah, erkannte man schmucklose Wohnungen, die niedrigsten nur um wenige Höhenmeter getrennt von den Straßen mit ihren U-Bahn-Stationen, Transmitterstationen und Antigravs. Schön war es hier nicht. Überall zeigten sich die Spuren des Krieges: Einschusslöcher an den Wänden, ausgebrannte Wohnungen und Läden und reihenweise provisorische Schützenstände.

Es lebten hier noch einige tausend Bürger Virchos. Meist versteckten sie sich in ihren Wohnungen vor ihnen. Ash konnte es ihnen nicht verdenken. Sie waren die Invasoren, obwohl das Quarterium offiziell verlauten ließ, dass sie die Tefroder befreien wollten. So sollte eine Befreiung aussehen?

Die XXXII. SHIFT-Division hatte Stellung an den dreißig Zugängen, Tunneln, Untergrundbahnstationen und Baustellen bezogen. Der Feind hatte diese Bereiche mit Truppenverbänden, mobilen Abwehrgeschützen und Minen gesichert. An der Oberfläche bildete der starke Schutzschirm die Grenze. Aber in der subterranen Stadt hatten sie eine Chance, weiter vorzudringen. Obgleich es ein harter Kampf werden würde.

Angestrengt arbeitete das Oberkommando an einem Angriffsplan. Alcanar Benington selbst wollte ihn durchführen, obwohl seine Erfolge bisher nicht besonders groß waren. Ash hatte mehr Vertrauen in Generaloberst Red Sizemore, doch der war vor einigen Wochen durch Jenmuhs von seinem Posten enthoben worden, weil er einen Waffenstillstand mit den Alliierten ausgehandelt hatte. Sizemore hatte das Vernünftigste im Universum getan und wurde dafür getadelt. Das sagte schon alles aus. Der Dicke von Arkon schien den Feldzug Andromeda zu seinem persönlichen Feldzug zu machen. Offenbar wollte er den Ruhm einfahren. Dabei setzte er vor allem auf seine eigenen Gefolgsleute und weniger auf die von Cauthon Despair oder Orlando de la Siniestro geschätzten Generäle.

Berger erreichte seinen Abschnitt. Es war die U-Bahn-Station 49. Sie verlief parallel zur Lemurallee. Die Straße hier hieß Androschwebeweg. Am anderen Ende war bereits Feindesgebiet. Dort hinten. Irgendwo dort im Dunkeln. Die Straßen der Schwebebahnen waren ohnehin nur spärlich beleuchtet. Wozu sollten sie auch hell sein, wenn die Bahnen ihre gewohnte Strecke fuhren? Nur die Haltestellen waren natürlich beleuchtet gewesen. Doch viele von den Stationen waren zerstört oder wurden von ihnen oder dem Feind als Kampfstand genutzt.

Die Trasse selbst war sieben Meter breit und bot Platz für zwei Schwebebahnen. Es war stockfinster in dem zwei Kilometer langen Tunnel zwischen den U-Bahn-Stationen 49 und 50.

Auf sieben Meter Breite und etwa hundert Meter Länge hatte seine Einheit von knapp dreihundertfünfzig Soldaten Stellung bezogen. Seine Kameraden saßen gelangweilt herum, spielten virtuelle Spiele einzeln oder gegeneinander. Einige tranken heimlich, andere versuchten zu schlafen. Nur die Reihe an vorderster Front war aufmerksam und beobachtete den finsteren Gang vor ihnen.

Oberst Henner von Herker hatte seinen Unterstand ganz am Ende aufgebaut. Ein Zelt aus Formenergie, schlicht und einfach. Alles hier war aus Formenergie: der Tisch, die Liege, die Stühle. Nur die Syntronik war aus festem, realem Material. Zumindest der Teil, der sich nicht im Hyperraum befand.

Berger betrat den Befehlsstand und salutierte. Er erstattete vorschriftsmäßig Meldung. Der blonde Terraner mit den blauen Glubschaugen grinste widerlich und schlug Ash vertraulich auf die Schulter.

»Hast du den alten Linker wieder geärgert, was? Naja, der hat es auch verdient. Elender Penner. Tut immer so, als sei er ein Heroe, dabei weiß er doch gar nicht, wie es an der Front aussieht.«

Henner aktivierte auf dem Kartentisch eine Holografie des Abschnitts. Die XXXII. SHIFT-Division hatte mit insgesamt tausend Mann Stellung an den Untergrundbahnstationen 47 bis 49 bezogen. Ihnen standen neben den menschlichen Truppen noch tausend Kampfroboter, zehn stark umgebaute Shiftpanzer Typ Okrill und zwanzig Shiftabwehrgeschütze zur Verfügung. Je fünf der ShAGesch waren an jedem Überweg in Stellung gebracht. Insgesamt gab es vier Wege durch ihr Gebiet. Die drei Bahntunnel sowie der Nazarweg oder Contaweg zwischen den Wohnblöcken. Die Wohnebenen waren ihrerseits mit MVH-Geschützgrenadieren gesichert. Ein Großangriff der Alliierten war nicht zu erwarten, da sie kein schweres Material durch die Häuser mitnehmen konnten. Jedoch waren Kommandooperationen nicht auszuschließen, um die Division hinter ihren Linien zu schwächen.

»Nun erst mal zu den Kameraden, mein Jung!«, forderte Henner von Herker. Ash nickte und machte sich auf den Weg zum Nazarweg, wo seine Stellung lag. Seine Kameraden saßen alle auf einem Haufen und machten offenbar eine Pause vom vielen Warten.

Roppert Nakkhole, Krizan Bulrich, Ace Blacktree, Booz Shiningjokes, Gert Wissmer und Henner Wosslyn waren seit dem ersten Tag auf Som-Ussad seine ständigen Begleiter gewesen. Wehmütig dachte Ash an die gefallenen Kameraden, wie Siebenpack, Pomme oder Shutter.

»War was während meiner Abwesenheit?«, fragte er.

»Nö, alles ruhig. Als ob die da drüben schlafen«, antwortete Nakkhole grinsend.

Nakkhole, der blasse Hüne mit den rotblonden Haaren und hellblauen Augen war Ashs bester Freund geworden. Auf ihn konnte er sich verlassen.

»Das Quarterium überlässt aus Respekt vor Torsor den Pelewons und Mooghs die komplette Galaxie M 87«, erzählte Booz Shiningjokes.

Um den Nahkämpfer rankte sich ein besonderes Gerücht. Während eines Scharmützels in einer Kristallhöhle auf Monol sollen er und drei Quarteriale auf ebenfalls vier Skoars getroffen sein. Shiningjokes war als Einziger lebend zurückgekehrt. Er soll einmal erzählt haben, dass er seine drei Kameraden im Friendly Fire aus Versehen zuerst erledigt hatte, bevor er die vier Feinde erschoss. Was an diesem Gerücht dran war, wusste Ash nicht. Doch jeder in der Division wollte vermeiden, mit Booz zusammen in ein Mann-gegen-Mann-Gefecht zu gehen.

»Monol war also umsonst«, murmelte Shiningjokes und nahm einen Schluck aus seinem Becher.

Auch für Ash Berger klang diese Ankündigung eher wie ein Rückzug. Doch der Emperador hatte sogar recht damit. Ohne Torsor waren die Bestien schwer zu berechnen. Er setzte sich neben Krizan Bulrich, der ungewöhnlich ruhig wirkte, und stupste den ehemaligen Möchtegern-Superagenten der CIP an.

»Was ist los?«

»Lass mich in Ruhe.«

Roppert fing an zu lachen.

»Seine Ex war auch in den Nachrichten. Es hat einen Zwischenfall auf Ednil mit dem Quarterium-Marschall gegeben. In den Aufnahmen war auch seine Anya zu sehen gewesen. Natürlich in Begleitung des Feindes!«

Blacktree fügte hinzu: »Sie haben Anya Guuze als subversives Element und Freudenmädchen von Rhodan und Aurec bezeichnet. Peinlich, peinlich, lieber Krizan.«

Ace Blacktree lachte gehässig und kratzte sich über das kurze Haar.

»Die Alte blamiert mich noch jetzt. Dumme Kuh!«

Bulrich setzte die Mütze ab und fuhr durch sein dichtes, schwarzes Haar. Der ehemalige Agent mit dem kantigen Gesicht spuckte angewidert auf den Boden.

»Deine Fürsorge ist ja beeindruckend«, meinte Ash.

»Das schadet meiner Karriere! Wie soll ich mich rehabilitieren, wenn sie ständig mit dem Feind kooperiert. Das fällt doch alles auf mich zurück, Mann!«

»Du meinst kollaboriert«, warf Ash Berger ein.

Bulrich blickte ihn verdutzt an.

»Sie treibt es mit dem Feind? Ey, dieses Miststück!«

Er meinte wohl kopuliert. Berger seufzte und winkte ab. Dieser »Super«-Agent war ein aufgeblasener Trottel.

Der hatte Sorgen, fand Berger. Für Ash ging es nur darum, den Krieg zu überleben. Mehr wollte er nicht. Einfach nur überleben. Im Grunde genommen hoffte er sogar, dass die Liga Freier Terraner gewann, denn er glaubte nicht, dass das Quarterium ein gutes System symbolisierte. Artenbestandsregulierung und Kriege gehörten nicht gerade zu den besten Dingen.

Ash blickte sich um. Der graue, triste Tunnel mit den vielen dunklen Stellen machte ihn müde. Also legte er sich besser für eine Weile aufs Ohr. Berger aktivierte den Akustikschirm um sich herum. Keine störenden Geräusche mehr! Inmitten der Männerhorden hatte er seine Ruhe.

*

Geräusche rissen ihn aus dem Schlaf. Benommen öffnete Ash Berger die Augen. Er brauchte eine Weile, um sich an die Umgebung zu gewöhnen. Der Akustikschirm musste automatisch heruntergefahren worden sein, eine Schaltung bei Notfällen und Einsätzen.

Ash blickte auf sein Chronometer. Eine Stunde hatte er geschlafen. Dann versuchte er, sich zu orientieren. Die Mannschaft befand sich in heller Aufregung.

Er stand wankend auf und erkannte zwei Gleiter mit Generalsinsignien vor Henner von Herkers Befehlsstand. Da eilte auch schon der grobschlächtige Wosslyn auf ihn zu. Mit seinen Segelohren erinnerte er an einen fliegenden Elefanten.

»Ash, du sollst an einer Besprechung teilnehmen. Na los!«

Berger machte sich auf den Weg und wurde von von Herker begrüßt. Generalmarschall Benington höchstpersönlich und Generalleutnant Linker waren ebenfalls anwesend.

Benington war mit ein Meter einundachtzig nicht besonders groß und besaß doch eine gewisse Ausstrahlung. Sein braunes Haar war voll und gut geföhnt. Die grauen Augen strahlten mit einem festen, von sich selbst überzeugten Blick, die graue Uniform war gebügelt und geputzt. Doch das Markanteste an dem auf dem terranischen Kolonialplaneten Tarate geborenen Menschen war sein verschmitztes, überhebliches und ebenso gefährliches Grinsen. Es war in der Armee gefürchtet. Selten verstanden es Untergebene, dieses spöttische Schmunzeln richtig zu deuten, und das ergab ein ständiges Gesprächsthema.

Benington warf einen Blick auf Berger und sagte: »Da wir jetzt vollzählig sind, meine Herren, werde ich meinen Plan erläutern. Dieser Sektor wird als Angriffsabschnitt gewählt werden, um die Alliierten endgültig zu zerschlagen. Durch die fünf unterirdischen Abschnitte brechen wir mit voller Stärke durch.«

Der Generalmarschall zeigte auf die Untergrundtunnel der Stationen 47 bis 49 und die Verbindungswege dazwischen.

»Aufgabe der XXXII. SHIFT-Division wird es sein, den ersten Vorstoß zu übernehmen und die Stationen 50 bis 52 zu sichern. Ein massiver Angriff durch die fünf Wege sowie durch die Wohnblöcke wird morgen 03:45 Uhr stattfinden. Sichern Sie die gegenüberliegende Front. Haben wir einmal die unterirdische Stadt überrannt, können wir den Feind von hinten attackieren, den Schutzschirm deaktivieren, das Hafengebiet erobern und mit unseren starken Shiftpanzern über Wasser auf die Regierungsinsel zuhalten.«

Beningtons Augen leuchteten.

Ash wollte einen Einwand erheben, schwieg jedoch, als Linker ihm einen finsteren Blick zuwarf.

»Der XXXII. SHIFT-Division stehen zehn leichte, modifizierte Panzer und zweitausend Soldaten inklusive der Kampfroboter zur Verfügung. Wir werden bis morgen drei Uhr nachts die Truppenstärke verdoppeln. Nach erfolgreicher Sicherung des Gebietes werden über die Oberfläche zweitausend Shifts und fünfzigtausend Soldaten durch die dann gesicherte Linie marschieren und den Zangenangriff komplettieren. Ihre Aufgabe ist es also, die feindlichen Stellungen zu überrennen, den Schutzschirm zu deaktivieren und bis zum Eintreffen der Verstärkung zu sichern! Noch Fragen? Nein? Gut! Viel Erfolg, das Quarterium blickt auf Sie!«

Benington verließ den Gefechtsstand. Generalleutnant Linker, Henner von Herker und Ash Berger blieben zurück.

»Wir wissen kaum etwas über die Abwehr des Feindes, Herr Generalleutnant. Das könnte ein Massaker werden«, wandte Berger nun ein.

»Quatsch, Leutnant! Das hat der Herr Generalmarschall doch alles berücksichtigt. Die LFT-Soldaten sind uns zahlenmäßig unterlegen. Die Saggittonen und Tefroder haben nicht die Kampfkraft eines Terraners. Morgen werden wir einen glorreichen Sieg davontragen. Und nun an die Arbeit!«

Berger salutierte und verließ den Gefechtsstand. Er hatte ein ganz mieses Gefühl und zweifelte, den übernächsten Tag noch zu erleben.

4. Freyt-Kompanie

25. Oktober 1307 NGZ, 13:28 Uhr, noch 14 Stunden bis zum Angriff

Aurec besuchte die Frontlinie der 777. Raumeingreifdivision, genauer gesagt der Freyt-Kompanie, der Eliteeinheit unter dem Befehl von Joak Cascal.

Sie hatte sich an der U-Bahn-Station 50 und dem Nazarweg eingeigelt. Mit rund zweihundertfünfzig Männern und Frauen war die Freyt-Kompanie dem Feind zahlenmäßig weit unterlegen. Aurec hoffte, dass sie die Stellung so lange halten konnten, bis Entsatz durch Perry Rhodan kam – wenn er denn kam.

Aurec beobachtete die Soldaten der Liga Freier Terraner. Sie saßen herum, spielten Karten oder elektronische Spiele, rauchten Zigaretten, schliefen oder starrten einfach nur an die hohe Decke des Untergrundkomplexes.

Zwischen dem Nazarweg und dem U-Bahn-Tunnel zwischen den Stationen 49 und 50 hatte Joak Cascal in einem Container seinen Kommandositz. Jeder andere General hätte sich bestimmt beschwert, doch Cascal war das gleichgültig. Seine einfache Art freute Aurec immer wieder. Cascal war ein Vorbild für seine Soldaten. Dennoch sorgte sich der Saggittone um den Gemütszustand seines Freundes, der seit Monaten nicht mehr richtig lächelte. Cascal hatte seinen Humor in fast jeder Gefahrensituation bewahrt, doch diesmal wirkte er auf unbestimmbare Weise ausgebrannt und abgestumpft, so als hätte er mit dem Leben abgeschlossen.

»Königlicher Besuch? Womit haben wir diese Ehre verdient?«, hörte Aurec eine vertraute Stimme hinter sich. Ein Soldat in lindgrüner Uniform trat näher, nahm seinen Helm ab und lächelte.

»Remus!«, freute sich Aurec.

Er umarmte seinen alten Freund. Es war schön, Remus Scorbit nach einigen Wochen wiederzusehen. Remus Scorbit war Befehlshaber des 1. Zugs der Freyt-Kompanie, ihm unterstanden fünfzig Männer und Frauen.

»Was machst du hier direkt an der Front? Kannst du es wieder einmal nicht lassen?«

»Nein, ich sorge mich um jeden einzelnen Soldaten. Egal ob Saggittone, Terraner oder Tefroder. Ich habe das ungute Gefühl, dass das Quarterium schon bald einen der Abschnitte in der Untergrundstadt angreifen wird.«

»Na, Hauptsache nicht hier. Wir haben nicht viel, um einen Angriff abzuwehren.«

Aurec nickte resigniert. Remus begleitete ihn in den Container des Generals. Joak Cascal grüßte den Saggittonen knapp mit einem »Hallo« und stellte ihm die anderen Befehlshaber vor.

Kommandant der Freyt-Kompanie war Captain Daniel Ellroy, ein hochgewachsener, hagerer Rotschopf mit bleicher, stark pigmentierter Haut. Ellroy hatte die Nachfolge von Captain Wolgg angetreten, der wegen der psychischen Belastung zur Ausbildungsabteilung zurückgekehrt war. Ellroys Stellvertreter war der bekannte Afroterraner Will Dean. Dean, eigentlich TLD-Agent, war zusammen mit Remus Scorbit der Freyt-Kompanie beigetreten. Er bekleidete – ebenso wie Remus – den Rang eines Oberleutnants.

Die weiteren Zugführer waren der draufgängerische James G. Metar, der unauffällige, dunkelhäutige Liverpooler Lewy Nyks, der steife, blasse Plophoser Padryk Wyndsar und die kantige Carry-Ann Despon, eine durchtrainierte Texanerin mit kurzem, blauen Haar.

Joak Cascal hatte den Oberbefehl über rund zwanzigtausend Soldaten. Da die Freyt-Kompanie jedoch die Kompanie seines eigenen Raumschiffs DERINGHOUSE war, hatte er seinen Befehlsstand dorthin verlegt. Die Befehlshaber der anderen Kompanien standen in ständigem Kontakt mit ihm.

»Kann ich irgendetwas für dich tun, Joak?«, fragte Aurec.

»Ja, bring mir mehr Geschütze und Männer. Ansonsten kannst du nichts für mich tun, danke!«

Cascal wandte sich wieder seinen Zugführern zu. Er beachtete den Saggittonen nicht mehr, was diesem sehr unangenehm war. Enttäuscht verließ er den Container. Remus eilte hinterher.

»Er ist im Moment schräg drauf …«

»Ja, so kann man es auch sagen. Aber wir sind wohl alle nicht in bester Verfassung. Hast du mal wieder etwas von Uthe gehört?«

Remus lachte bitter.

»Sie residiert im Madrider Königsschloss auf Siniestro als Zukünftige von Orlando de la Siniestro. Ironisch, dass der auf seinem Pott hier im Orbit über uns schwebt. Die Trennung ist wohl goldrichtig gewesen.«

»Tut mir leid.«

Remus winkte ab.

»Und Kathy?«

Aurec schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nichts von ihr. Sie steckt irgendwo zusammen mit Nataly und Danton bei diesem ominösen Riff, wenn man dieser entropischen Hexe Katryna glauben kann. Aber sie schlägt sich schon durch …«

Remus schwieg und lächelte milde. Was sollte er auch anderes tun? Aurec machte sich jeden Tag diese Hoffnungen. Zu glauben, Kathy sei tot oder wäre es bald, würde ihn völlig fertigmachen.

Beide machten Platz für vier TARA-V-Kampfroboter, die ihren Weg kreuzten.

»Schon traurig, dass wir alle so getrennt sind. Jonathan ist irgendwo in M 87, Mathew in den estartischen Galaxien mit Jan und wir sind hier.«

Aurec stimmte seinem Freund zu. Doch es gab Hoffnung. Durch den Tod Torsors hatte sich die Lage in M 87 verändert. Die Bestien waren dort nun allein verantwortlich. Das bedeutete auch, sie fielen als Gegner weg. Auf der anderen Seite hatte das Quarterium nun mehr Kapazitäten für ihre eigenen, restlichen Truppen. Aber auch die USO konnte auf die Soldaten aus M 87 hoffen. Gal’Arn, Elyn, Jonathan Andrews. Sie alle könnte Aurec hier gut gebrauchen.

Die Niederlage in M 87 hatte den Nimbus der Unbesiegbarkeit gebrochen. Man konnte das Quarterium besiegen! Vielleicht gab das auch den Tefrodern neuen Mut, um ihre Besatzer zu bezwingen.

Vielleicht nahm alles doch noch ein gutes Ende, irgendwann.

Sie erreichten den Zug von Remus Scorbit. Aurec blickte auf einen Haufen Soldaten in ihren Raum- und Kampfanzügen. Einige hatten das Visier des Helms geöffnet, andere nicht. Wieder andere trugen gar keinen Helm.

Remus führte Aurec durch die Reihen seines Zuges. Er stellte ihm Sergeant Harry Lyppgowd vor. Lyppgowd war Remus’ rechte Hand und ein organisatorisches Talent. Der aus dem Bundesstaat Schottland stammende Terraner wirkte unscheinbar und hatte ein Dutzendgesicht, war jedoch überaus kompetent.

Einige Gesichter kannte Aurec von der Schlacht auf dem falschen WANDERER und auf Wolfenstein vor einigen Monaten: Spike Orson, den Scharfschützen, den blonden Johrn Nyndorff und den lautstarken Rezza Sesa.

Der 4. Zug der Freyt-Kompanie hatte sich ebenfalls am Nazarweg in Stellung gebracht. Auch dort erkannte Aurec Bekannte wie Phil »Wingme« Haman, Oly »Psycho« Lytz und Caroline Nyndorff, die Schwester von Johrn Nyndorff, die es auf dem falschen WANDERER im Hinterteil erwischt hatte.

»Was war eigentlich mit Jan und dieser Caroline?«, wollte Aurec von Remus wissen.

»Mein Brüderchen und sie waren zumindest ein Pärchen, als er gen Etustar flog. Und sie redet ununterbrochen von Jan und bezeichnet mich schon als ihren Schwager.«

Remus lachte.

Sie gingen zu den Stellungen. Der 2. und 3. Zug war einem langen Verbindungstunnel zugeteilt worden. Es war dunkel dort. Irgendwo da hinten lauerten die quarterialen Soldaten auf sie. Einst war hier eine Untergrundbahn durchgerauscht, nun war es totenstill. Irgendwann würde sich der Feind aus dem Dunkel des Tunnels schälen.

Natürlich waren Ortungsgeräte zwischen den Frontlinien verteilt. Bewegungssensoren, Individualabtaster und Sprengfallen. Ihnen gesellte sich der gleiche technische Abwehrkram des Feindes hinzu. Manche Orter neutralisierten sich sogar gegenseitig, lösten Fehlalarme aus, für jede Technik wurde eine Gegentechnik entwickelt. So wusste keine der beiden Armeen, ob sich nun der Feind durch den dunklen Tunnel näherte oder nicht.

Aurec hatte ein ungutes Gefühl. Er versuchte angestrengt, das andere Ende des Nazarweges zu sehen, doch in der Dunkelheit war nichts von den quarterialen Stellungen zu erkennen.

Drei Soldaten aus dem 4. Zug der Freyt-Kompanie liefen auf Remus und Aurec zu. Der eine machte den Eindruck eines Epsalers, er war groß und fast so breit wie hoch. Die Statur des Kleinsten war ebenfalls kompakt.

»Unteroffizier Marcuz Ednem erstattet Meldung, Sir!«

Er salutierte vor Remus Scorbit und Aurec.

»Wir haben im Wohnkomplex noch einige Familien gefunden, die sich weigern, ihre Wohnungen zu verlassen«, erklärte der kräftig gebaute Unteroffizier.

Aurec las die Namensschilder an der gepanzerten Uniform der anderen beiden Soldaten. Der Kleine hieß Willy »The Rat« Ossy und der andere Chris Webbstar, beide bekleideten den Rang eines einfachen Soldaten.

»Gehen wir hin«, schlug Remus vor und sah Aurec fragend an. Der nickte.

Sie begaben sich in den Wohnkomplex, einer endlosen Aneinanderreihung von Korridoren und Wohnungstüren. In regelmäßigen Abständen öffnete sich eine große Halle zwischen den Wohnsektionen, was so eine Art unterirdischen Marktplatz darstellte.

»Wenn Sie mich fragen, Herr Kanzler, sollten wir eine ganz andere Taktik einschlagen«, fing Ednem plötzlich an. »Ich habe bereits mehr als drei Dutzend Beschwerden an den Oberbefehlshaber geschrieben, aber noch keine Antwort erhalten.«

»Das liegt daran, dass Perry Rhodan im Moment etwas eingespannt ist«, erklärte Aurec.

Ednem winkte ab.

»Pah, unter uns mal gesagt, zeigt das eher, dass er nicht kritikfähig ist. Wenn man sich meine Vorschläge mal zu Herzen nehmen würde, könnten wir mit mir als General schnell den Krieg zu unseren Gunsten entscheiden.«

»Aha«, machte Aurec. »Naja, ich werde das prüfen und mich dann bei Ihnen melden, Unteroffizier Ednem.«

Sie hatten endlich den besagten Komplex erreicht. Im fahlen Licht erkannte Aurec jede Menge Tefroder, die verschreckt vor den Soldaten zurückwichen. Es waren Hunderte alte Männer, Frauen und Kinder. Sie lebten direkt zwischen den Fronten.

»Wir müssen sie in Sicherheit bringen«, sagte Aurec.

Remus stimmte ihm zu.

»Ednem und Ossy, das übernehmt ihr. Organisiert die Evakuierung, schnell.«

»Wie sollen wir das denn machen?«, fragte Willy Ossy.

»Mir fällt schon etwas ein, wobei mich diese Aufgabe leicht unterfordert. Sehen Sie es jedoch als erledigt an, Sir«, schwallte Ednem.

Remus verdrehte die Augen, während Aurec mit den Tefrodern sprach. Sie wollten ihre Heimat nicht verlassen, doch es gelang dem Saggittonen, sie zur Flucht Richtung Regierungsinsel zu überreden. Keiner von ihnen konnte kämpfen, und die Entbehrungen der letzten Monate waren ihnen ins Gesicht geschrieben.

Aurec machte sich keine Illusionen. Er wusste, dass in der unterirdischen Stadt von Vircho die Armen lebten. Das Leben hatte ihnen schon vor dem Krieg nicht gut mitgespielt, und jetzt wurde es noch schlimmer. Wenn sie auch noch mitten ins Gefecht gerieten, hatten sie überhaupt keine Chance.

Unteroffizier Ednem delegierte die Aufgabe an Willy Ossy weiter und machte erst einmal eine Zigarettenpause. Er lästerte leise über Remus Scorbit, was Aurec durchaus mitbekam. Vielleicht war es auch gewollt von dem Unteroffizier. Aurec kümmerte sich nicht weiter um den Angeber, der so tat, als wäre er beim Unternehmen Stardust höchstpersönlich dabei gewesen.

Plötzlich verharrte der Orter Webbstar in seiner Bewegung. Er drehte den Kopf nach links, dann wieder nach rechts. Als ob er etwas ungewöhnliches auf dem Display seines Helms registrierte.

»Achtung, Sir! Störsignale in der Ortung«, flüsterte Webbstar.

Aurec wusste, was das bedeutete: vermutlich ein quarterialer Spähtrupp! Um die Individualimpulse zu unterdrücken, sendeten Aufklärer Störimpulse. Zwar wusste der Gegner, dass irgendwo Feinde waren, konnte sie jedoch nicht genau lokalisieren. Neben den üblichen Störsignalen untereinander war das jedoch ein verräterisches Zeichen, dass der Gegner vorrückte.

Aurec zog seinen Nadlerstrahler und gab Remus ein Signal. Zusammen mit Soldat Webbstar begaben sie sich einige Meter in Richtung der feindlichen Stellung. Es galt, die Zivilisten zu schützen.

»Ossy, rufen Sie Verstärkung«, befahl Remus.

»Aber Unteroffizier Ednem hat gesagt, ich soll bei der Evakuierung helfen. Das überfordert mich jetzt.«

»Na los!«, herrschte Remus den quengeligen Soldaten an, der wie ein bockiges Kleinkind von dannen zog.

Die drei schlichen einen Korridor entlang und erreichten eine dreistöckige Passage. Sie blickten auf die leere Halle, in der vor einigen Monaten noch belebte Cafés und Restaurants den Bewohnern Abwechslung geboten hatten.

Remus stupste Aurec an und deutete auf die andere Seite. In der zweiten Etage kauerten zwei quarteriale Grautruppen. Aurec aktivierte seinen Schutzschirm, die anderen taten es ihm nach.

»Soll ich feuern, Sir?«, fragte Webbstar.

»Nein, nur beobachten«, erwiderte Aurec.

Sein ungutes Gefühl bestätigte sich. Das Quarterium entsandte Aufklärer. Das bedeutete, der Feind hatte etwas vor, und das vermutlich sehr bald.

5. Siniestro, Königsschloss

Rosan lag müde und gelangweilt auf der weichen Liege und starrte an die himmelblaue Decke, an der Engel vor Wolken flatterten. Eine typische Verspieltheit des Raumausstatters der de la Siniestros. Überall hatte das Schloss animierte Decken und Wände, denn seine Architektin wollte als »Künstlerin aus dem Sternenstaub« bezeichnet werden. Rosan de la Siniestro ging das muntere Treiben an der Decke eher auf den Keks. Die rotblonde Halbarkonidin suchte Ruhe und Entspannung. Doch hier konnte sie nicht einmal in die Leere starren und vor sich hin sinnieren, denn immer wieder juckelte ein Fabelwesen an Wolken entlang und machte seltsame Verrenkungen.

Es galt, den ganzen Tag damit zu verbringen, nichts zu tun. Sie fuhr mit der Handfläche über die samtene Seide ihres silbernen, dünnen Kleides.

Sie sah schön aus. Das war alles. Wie ein Püppchen behandelte sie der Emperador, der nun ihr Ehemann war. Sie sollte seine schöne Fassade für die Öffentlichkeit sein. Nun, die jetzige Situation war besser als die Folter durch die CIP, doch es war trotzdem schrecklich, in diesem goldenen Käfig zu sitzen und mit Menschen zusammen zu sein, die sie verachtete. Die ganze Situation erinnerte Rosan an ihre Zeit auf Arkon, als sie mit Attakus Orbanashol verlobt gewesen war. Damals hatte Wyll Nordment sie gerettet.

Sie unterdrückte ihre Tränen, denn sie vermisste ihn immer noch. Seit fast zehn Jahren war er tot, doch noch immer schmerzte es bitter. Sie vermisste Wyll so sehr!

Rosan erhob sich langsam und stellte bedauernd fest, dass sie in den letzten Wochen wohl etwas zugenommen hatte.

Sie versuchte, nicht an Wyll zu denken. Es half ihr im Moment kaum weiter, sondern verstärkte eher noch ihre Depressionen. Rosan blickte sich in ihrem Wohn- und Schlafzimmer um. Es war riesig und voll teurem Klamauk. Barock traf auf Neue Galaktische Zeitrechnung. Trivid-Stationen, Hologram-Bereiche wechselten sich mit antiken Sofaecken, schweren Tischen und Vitrinen ab.

Sie wollte sich lieber auf die Suche nach dem Mörder von Yasmin Weydner machen. Martyn Hubba war nur ein Werkzeug gewesen. Ebenso wie diese beiden ominösen Frauen mit dem todbringenden Schuh. Wer steckte dahinter? Wer hatte ein Interesse daran, Rosan und die anderen beiden umzubringen?

Die Liste der Verdächtigen war lang. Sie vermutete, dass der CIP dahintersteckte. Rosan hatte jede Menge Feinde im Quarterium, die es bestimmt nicht gern sahen, dass sie nun ihre Repräsentantin war. Das Paradoxe war, dass sie nichts auf diesen Titel gab.

Sie ging auf den Balkon und blickte auf die Gärten hinab. Das Wetter war schön, die Luft klar. Die Sonne schien warm, und in ihrem Glanz wirkte das Grün der Gärten friedlich. Ein trügerisches Paradies.

»Hallo?«

Rosan zuckte zusammen. Sie drehte sich um und riss die Augen auf. Da stand Brettany plötzlich an der Schwelle zum Balkon!

»Du hast auf das Klopfen nicht geantwortet, da bin ich reingegangen.«

»Um die Gelegenheit zu nutzen, in meinen Sachen zu schnüffeln?«

»Nein! Wie kommst du darauf? Ich habe dir schließlich das Leben gerettet!«

Brett wirkte ehrlich entrüstet. Rosan entschuldigte sich. Nein, die zierliche Tochter des Emperadors war wohl die Einzige, der sie trauen konnte. Mit ihren goldblonden Locken, den wasserblauen Augen und diesem herzlichen, warmen Lächeln wirkte sie so fehl am Platz in dieser Gesellschaft von Despoten und Mördern. Sie war völlig anders als ihre Geschwister. Selbst Bretts ach so edler Bruder Orlando glorifizierte das Quarterium.

Brettany wiederum blickte die junge Frau ihres Vaters traurig an und sagte: »Du gehörst hier nicht her. Du musst hier weg. Dein Leben ist in Gefahr. Es wird bestimmt bald noch einen Anschlag geben.«

Das wusste Rosan nur zu gut. Sie wäre gern wieder zurück nach Kemet geflogen, aber man ließ sie natürlich nicht.

»Es gibt noch etwas anderes, was ich dir sagen muss.«

Brett rang ganz offensichtlich mit Tränen und atmete tief durch.

»Ich weiß es erst seit Juni und wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte.«

Brettany nahm Rosans Hand und drückte sie.

»Ich weiß, wer Wyll ermordet hat. Und es …« Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Es war Cauthon! Er hat deinen Mann im Auftrag von Jenmuhs getötet.«

Rosan ließ Bretts Hand los und drehte sich um. Sie starrte auf die Gärten und spürte der eisigen Kälte nach, die von ihrem Magen aus durch ihren Körper kroch. Sie fühlte sich unendlich leer.

Cauthon Despair

Cauthon. Der kleine Cauthon, mit dem sie in ihrer Kindheit so etwas wie befreundet gewesen war. 1275 NGZ, vor 22 Jahren, hatte sie ihn auf Mashratan kennengelernt. Sie hatte den kleinen Cameloter sofort ins Herz geschlossen. Doch in diesen 22 Jahren war verdammt viel vorgefallen. Aus Cauthy war der Silberne Ritter Cauthon Despair geworden.

Und ihr Ehemann Wyll zählte nun zu den Opfern des Sohnes des Chaos!

Wieso?

Wieso hatte er ihn ermordet?

Nach dem Grund hatte sie sich all die Jahre gefragt. Warum hatte Wyll sterben müssen? Langsam dämmerte es ihr. War es die Rache von Jenmuhs? Oder hatte Wyll damals etwas im Schloss herausgefunden, was niemand wissen durfte? Hatte er von der Allianz mit MODROR erfahren? Was auch immer es war: Cauthon Despair hatte ihn getötet! Er war genauso schuldig wie Uwahn Jenmuhs. Rosan verwünschte diese beiden. Der brennende Wunsch stieg in ihr auf, eines Tages Wyll rächen zu können.

Sie drehte sich wieder zu Brettany um.

»Und wieso hat er dir das erzählt?«

Brettany erklärte ihm, dass beide starke Gefühle füreinander hatten, und er ihr offenbart hatte, welche Verbrechen er einst beging.

»Er gestand den Mord an Wyll und vieles andere. Cauthon ist ein überzeugter Sohn des Chaos und deshalb kann ich ihn niemals richtig lieben. Ich weiß, dass noch Gutes in ihm schlummert, aber er schafft es nicht, sich vom Bösen abzuwenden.«

»Wie tragisch. Ein Desintegrator könnte dabei helfen«, schlug Rosan vor.

Brett sah sie traurig an.

»Der Sarkasmus wird dir auch nichts bringen. Wyll ist seit zehn Jahren tot und er würde nicht wollen, dass du dich dein ganzes Leben lang in Melancholie und Hass verzehrst.

Weißt du, wie mir zumute ist? Ich bin eine Prinzessin in einem Traumschloss, doch dahinter verbirgt sich die Hölle. Meine Familie ist eine Mörderbande, die einem finsteren Kosmotarchen dient. Ich fühle mich auch verraten und allein!«

Rosan musterte Brett. Die Tochter des Emperadors würde niemals etwas gegen ihre eigene Familie oder Cauthon Despair tun, aber eben auch nichts gegen sie. Die beiden Frauen verband eine Freundschaft. Rosan wusste, dass sie Brettany vertrauen konnte.

»Und was machen wir jetzt?«, wollte die Halbarkonidin wissen.

»Ich weiß nicht. Wir müssen dich in Sicherheit bringen, bevor dich jemand tötet.«

»Wer soll wen töten?«

Rosan und Brettany drehten sich erschrocken um, als Stephanie de la Siniestro plötzlich an der Türschwelle auftauchte. Der brünette Teufel sah in ihrer engen Kombination mal wieder aus, als würde sie gleich zu einem Date gehen.

»Hups, die Tür stand offen und ich habe nur etwas von Mord gehört. Oh nein, hast du immer noch Angst um dein Leben, Liebste?«

Rosan schenkte Stephanies geheuchelter Anteilnahme keinen Glauben. Sie wusste genau, dass Steph ihre Feindin war. Die attraktive Brünette grinste.

»Ich würde mich ja gern um dich kümmern, aber Vater hat mich gebeten, nach Andromeda zu reisen. Als Außenministerin muss ich mich um die neuen Gebiete kümmern.«

Stephanie kicherte.

»Gute Reise«, sagte Rosan knapp.

»Danke, aber kommt doch mit. Du kannst dich als Emperatriz präsentieren und wir könnten uns mal anfreunden. Außerdem bist du dort vielleicht sicherer als hier.«

Rosan dachte über Stephanies Angebot nach. Sicherlich bezweckte die de la Siniestro etwas damit. Steckte sie womöglich hinter dem Attentat, bei dem Yasmin Weydner ihr Leben verlor? An Bord eines quarterialen Schlachtschiffes fühlte sich Rosan nicht sehr sicher. Es wäre ein Leichtes für Stephanie, sie irgendwo dort abzuservieren. Auf der anderen Seite bestand für Rosan die Möglichkeit zur Flucht, wenn sie in der Lokalen Gruppe war.

Sie sah Brettany an.

»Wir könnten Uthe auch mitnehmen. Sie würde sich freuen, wenn sie in der relativen Nähe zu Orly wäre. Cauthon würde uns dann auf der EL CID mitnehmen …«

Steph warf ihrer Schwester einen finsteren Blick zu.

»Meine Jacht ist viel luxuriöser, Liebes. Wozu auf ein Kriegsschiff gehen?«

»Ich finde Brettanys Vorschlag gut. Wir besprechen das am besten gleich mit dem Rest der Familie …«

*

Auf dem faltigen Gesicht des Emperadors de la Siniestro spielte ein Lächeln. Der Herrscher des Quarteriums lehnte sich in seinen breiten Sessel zurück.

»Eine hervorragende Idee. Ich komme auch mit«, freute sich Don Philippe de la Siniestro.

Stephanies Gesicht schien zu gefrieren, aber auch Rosan war nicht begeistert. Sie plante ihre Flucht und keinen Familienausflug. Stephanie versuchte, ihren Vater vom Gegenteil zu überzeugen. Sie wandte ein, dass es noch viel zu gefährlich in Andromeda war.

»Wir werden an Bord der EL CID verweilen. Kein Raumschiff im Universum kann es mit der EL CID aufnehmen. Despair wird für unsere Sicherheit Sorge tragen!«

Die Worte des Emperadors schienen unumstößlich. Brett sah Rosan ratlos an. Die Halbarkonidin spürte, dass Brettany ihre Gedanken längst erraten hatte und von Rosans Fluchtplan wusste.

Der Emperador stand auf und legte seine Hände auf Rosans Schultern. Mit seinen faltigen Fingern fuhr er zärtlich über ihre unbedeckten Schulterblätter.

»Es freut mich sehr, dass du deine Rolle als Kaiserin angenommen hast.«

Rosan wusste nicht, was sie sagen sollte, also schwieg sie. Es war also beschlossene Sache. Der Emperador, seine beiden Töchter und Rosan de la Siniestro würden noch heute Abend in Richtung Lokale Gruppe aufbrechen.

6. Kaiserliche Visite

Cauthon Despair, Quarteriumsmarschall

Der Flug durch das Sternenportal verlief ohne Komplikationen. Das weite, leere Weltall wirkte friedlich und beruhigend auf mich. Doch gleich darauf wurde die trügerische Einsamkeit mit dem Anblick Hunderter SUPREMO-Schlachtschiffe beendet. Die Rundungen der Raumstation SOLARIS STATION schälten sich aus dem Dunkel heraus.

Innenillustration: Sternenportal von Lothar Bauer
Sternenportal © Lothar Bauer

Es war keineswegs leer am Sternenportal der Lokalen Gruppe. Mehr als dreißigtausend Schlachtschiffe unseres Reiches patrouillierten in einem Umkreis von nur wenigen Lichtjahren.

Wir waren dem großen Intergalaktischen Krieg, wie er inzwischen von den Medien aller involvierten Sternennationen bezeichnet wurde, um fünfhundert Millionen Lichtjahre nähergekommen.

Die Sternenportale waren kosmische Wunder. Mithilfe dieses Transmitternetzwerks war ich in den letzten Monaten zwischen der Lokalen Gruppe, Cartwheel und M 87 gependelt.

Brettany stand neben mir. Das Licht der Sterne spiegelte sich in ihren schönen blauen Augen wider. Doch ich fühlte mich schlecht an ihrer Seite. Mein Gewissen ließ mir keine Ruhe. Brettany hatte mir deutlich vor Augen geführt, was für ein Monster ich war – was wir alle für Monster waren.

Ich fühlte mich immer noch stark zu ihr hingezogen, obwohl ich mich im Moment kaum vor Frauen retten konnte. Das war mir ein gänzlich unbekanntes Gefühl. Virginia Mattaponi, meine Adjutantin, himmelte mich als Halbgott an, und die Hexe Constance hatte reges Interesse an mir gezeigt. Doch nur Brettany gab mir ein Gefühl der Vertrautheit und der Geborgenheit.

Ich dachte an die Worte von Anya Guuze auf Ednil. Sie hatte vollkommen recht, als sie gesagt hatte, ich suche eine holde Prinzessin mit den edelsten Ansichten, doch solch eine Frau würde sich niemals mit einem Massenmörder einlassen.

Die mutige Blondine hatte es auf den Punkt gebracht, und dafür verwünschte ich sie. Ich hätte ihr den Kopf abschlagen sollen für solch eine Impertinenz. Doch das hätte mir wohl kaum weitergeholfen. Sie hatte ja recht. Alles war entglitten, mein Leben war schon zu Anfang aus den Fugen geraten, weil mir der Halt zu einem Menschen fehlte. So grausam es klang, nur MODROR war ein Bezugspunkt in meinem Leben gewesen. Er hatte mir zwar keine Liebe entgegengebracht, aber Vertrauen und eine Form von Sicherheit. Er hatte mir eine Zukunft gegeben. Mir und der Menschheit! Besonders in Form von Cau Thon, der seit meiner frühesten Jugend wie ein Schutzengel über mich gewacht hatte.

Doch was war das für eine Zukunft? Wie eine Insel schwamm sie auf einem Meer aus Blut. Zweieinhalb Jahre lang tobte schon der Intergalaktische Krieg. Für das Quarterium hatte er noch viel früher begonnen. Die Vorbereitung zur Reichsgründung und die Reichsgründung selbst waren stets kriegerischer Natur gewesen.

Ich versuchte, mir immer wieder einzureden, dass dieser Blutzoll nötig war. Doch nun, wo wir gegen Perry Rhodan in die Schlacht zogen – gegen unsere Brüder – wurde es schwieriger zu glauben, dass es richtig war, was wir taten. Ich hatte immer gehofft, die Menschheit würde zusammen in die Zukunft streben, doch es sah nun so aus, als würden sich die LFT und das Quarterium bis zum bitteren Ende bekämpfen.

Was mich am meisten entsetzte, war die Bereitschaft bei beiden Nationen, sich zu bekämpfen. Bei der Kundgebung und Mobilmachung hatte de la Siniestro eine heroische Rede unter frenetischen Beifall gehalten. Die Quarterialen jubelten, tanzten, schwenkten fanatisch die Fahnen und freuten sich regelrecht auf den Krieg gegen die LFT.

Das war alles unsere Schuld. Wir hatten ihnen förmlich suggeriert, dass sie die Elite der Menschheit seien. Ein Quarterialer war ein Auserwählter, ein Herrenwesen, stand meilenweit über allen anderen.

Über Jahre hinweg hatten wir ihnen eingetrichtert, dass das Quarterium über den selbstsüchtigen Interessen stände, der legitime Nachfolger des Solaren Imperiums sei und sich anschicke, die Reiche aller Menschen zu einigen. Damit hatten wir sie nicht einmal belogen. In der Tat wollten wir das Quarterium zum Imperium der Menschheit formen. Egal ob Terraner, Arkoniden, Akonen, Dorgonen, Cappins, Takerer oder Saggittonen. Sie alle sollten zum geeinten Imperium der Menschheit gehören!

Wir wollten eine neue Ordnung, eine bessere Menschheit. Das Ziel war edel, doch der Weg dahin war es nicht. Wir bedienten uns der grausamsten Mittel. Die Artenbestandsregulierung war grausam und unnötig, doch von MODROR befohlen. Es widerte mich jedoch immer mehr an, dass es viele Menschen gab, die bereitwillig an der Auslöschung des extraterrestrischen Lebens mitwirkten, ja diese Aufgabe geradezu verinnerlicht hatten.

Konnte das Quarterium überhaupt so weiterexistieren? Ich befürchtete nein, denn die liberalen und freiheitlich denkenden LFT-Terraner und Saggittonen würden sich niemals in ein so faschistisches Gebilde einfügen. Dies würde nur gelingen, wenn wir sie über Generationen unterdrücken würden, bis ihre Ethik der unseren angepasst worden wäre.

Die Aussicht auf Frieden war weiter entfernt denn je, vor allem, da weder MODROR noch die Kosmokraten Frieden wollten und uns immer wieder in den Krieg treiben würden, bis eine Entscheidung fiel.

Erst jetzt bemerkte ich, dass Brett mich anstarrte. Ihr Blick war forschend und vorwurfsvoll zugleich.

»Was ist?«, fragte ich einigermaßen höflich.

»Rosan weiß, wer ihren Ehemann einst ermordet hat. Ich habe es ihr gesagt.«

Ich stöhnte innerlich auf. Was hatte Brett sich dabei gedacht? Jetzt musste ich auch noch die Schuldzuweisungen der Emperatriz über mich ergehen lassen!

»Wieso?«, fragte ich schroff.

»Denkst du nicht, sie hatte ein Recht darauf zu wissen, wer Wyll Nordment getötet hat und warum?«

Warum sollte sie? Nordment war seit zehn Jahren tot. Damals war ich noch ein überzeugter Sohn des Chaos gewesen. Heute hätte ich ihn wahrscheinlich inhaftiert, statt ihn gleich aufzuspießen. Das würde Rosan aber vermutlich heute nicht trösten. Wieso sollte das überhaupt mein Problem sein? Ich konnte mich nicht auch noch um die Gefühle der Halbarkonidin kümmern. Deshalb hielt sich mein Mitleid in Grenzen. Außerdem hatte sie ja mit dem Emperador einen neuen Mann. Einige hätten de la Siniestro als vorteilhafte Partie bezeichnet.

»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast, Cauthon?«

»Ja.«

Brett starrte mich verständnislos an.

»Wieso hast du nur so viel Falsches getan? Du hast ein großes Herz, das fähig ist zu lieben. Du willst Gutes tun, doch immer wieder tötest du nur. Ich weiß nicht, ob du das jemals wieder gutmachen kannst.«

Ich blickte aus dem Fenster, beobachtete eine Staffel Abfangjäger, die ihre Manöver flogen und versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die in mir aufstiegen. Könnte ich, würde ich alles wieder gutmachen. Aber es lag nicht im Interesse von MODROR. Ihm waren die vielen Toten egal, im Gegenteil, er labte sich an ihrer Pein.

Froh um meine Rüstung, sah ich wieder zu Brett hinab.

»Und wie sollte ich das ändern?«

»Schadensbegrenzung wäre schon einmal ein Anfang. Jedes Leben, welches du nicht auslöscht, wird es dir danken. Ich spüre, dass du empfänglicher dafür bist als Vater.

Doch ich will ihn und Orly auch überzeugen. Ihr müsst mit dem sinnlosen Krieg aufhören und euch von MODROR lossagen. Wir müssen die armen Außerirdischen aus den Lagern befreien, und wir müssen gegen MODROR vorgehen, anstatt ihn zu unterstützen.«

»Ist dir klar, was dann geschehen würde?«

Sie sah mich erschrocken an.

»MODROR würde nicht nur die LFT, sondern auch das Quarterium zerschlagen. Er würde alle töten. Es würde keine Menschheit mehr geben! Wir sind die letzte Chance für unsere Rasse. Dein Vater ist von MODROR auserkoren, die Menschheit zu retten. Sei doch nicht so naiv!«

Bretts Augen wurden wässrig.

»Wer ist hier naiv? Ihr befolgt stur und herzlos die Befehle dieses Monsters, während andere tapfer gegen den Schrecken kämpfen. Wer sagt uns, dass wir MODROR nicht besiegen können, wenn wir denn schon unbedingt kämpfen müssen?«

»Weder du, deine Familie noch ich würden das dann noch erleben. MODROR würde uns als Erstes vernichten.«

Brett lachte abfällig.

»Ich wäre lieber tot, als das Leben eines Mörders zu führen.«

»Turtelt die Dumme wieder mit dem Biest?«

Wütend verdrehte ich die Augen. Stephanie stand hinter uns und versprühte wieder einmal ihr Gift. Brett sah sie zornig an und ging davon. Ihre Schwester lachte.

»Armes, dummes Brettchen. Für sie ist der Krieg nichts. Sie würde lieber mit ihren Püppchen spielen, im Garten herumtollen und romantische Schnulzen lesen. Oder Trivid gucken. Gut, dass wir da völlig anders sind, nicht wahr, Cauthon?«

Sie stupste mich an und ging lachend davon. Ich starrte wieder in den Weltraum und dachte an Bretts Worte.

7. Unternehmen Demimonde

26. Oktober 1307 NGZ, 03:00 Uhr, noch 45 Minuten

Leutnant Ash Berger stand stramm vor der eintreffenden Führung. Generalmarschall Alcanar Benington, Generalleutnant Wolf Linker und Admiral Orlando de la Siniestro wurden von Oberst Henner von Herker im Namen der XXXII. SHIFT-Division begrüßt.

Als sich die Herren anschickten weiterzugehen, gab von Herker Berger ein Zeichen. Er folgte seinem Vorgesetzten in den Befehlsstand. Benington und Linker würdigten den Leutnant keines Blickes, während Orlando de la Siniestro ihm kurz zunickte.

Berger warf einen Blick auf die anschwebenden MVH-Geschütze, die ihren Weg durch die Straßen in Richtung Front bahnten. Die leistungsfähigen Maschinen schwebten an ihrem Stand vorbei. Sie surrten bedrohlich, doch die Okrill-Shiftkolosse hinter ihnen machten einen noch größeren Radau. Berger nahm neben Oberst Henner von Herker Platz.

»Meine Herren, in fünfundvierzig Minuten schreiben wir Geschichte. Ich habe den Sohn des Emperadors eingeladen, dem Unternehmen Demimonde beizuwohnen.«

Orlando schaute mit einem gequälten Lächeln in die Runde.

»Der Plan sieht Folgendes vor: Mit einem breit angelegten Angriff auf die Untergrundstationen 50 bis 52 werden wir den Gegner überrollen und damit in die Flanken fallen. Um dies zu erreichen, werden wir um 03:45 Uhr mit dem direkten Artilleriebeschuss beginnen. Natürlich wird der gegnerische Schutzschirm vorerst standhalten, deshalb werden Infanterieeinheiten unter dem Befehl von Oberst Henner von Herker durch den Wohnkomplex hinter die feindlichen Linien vordringen, um die Schutzschirmgeneratoren zu vernichten.

Nach erfolgreichem Artilleriebeschuss werden die SHIFT-Divisionen mit leichtem Gerät um exakt 04:15 Uhr vordringen und die feindlichen Stellungen überrollen.«

Benington schaute mit einem verschmitzten Lächeln in die Runde. Generalleutnant Linker und Oberst Henner von Herker applaudierten zu diesem Plan. Orlando de la Siniestro blieb ruhig.

»Ich bin kein Infanterieexperte, aber sollten wir nicht vorher den Schutzschirm deaktivieren und dann mit kurzem Artilleriefeuer die feindlichen Geschützstellungen vernichten? Die leichten Shiftpanzer sollten meines Erachtens schneller vorrücken.«

Beningtons Lächeln gefror für einen kurzen Moment. Dann setzte er wieder sein fieses Grinsen auf.

»Sir, deshalb ist ja auch Ihr Bruder Oberbefehlshaber des Heeres und Sie sind der Raumheld, Sir! Mein Plan ist exakt und perfekt ausgearbeitet. Er greift wie ein Uhrwerk. Sie werden es in vierzig Minuten selbst erleben, Sir!«

De la Siniestros fragender Blick wanderte zu Oberst von Herker.

»Sir, ich habe einen Stoßtrupp von insgesamt fünfhundert Mann bereitgestellt.« Die Holografie des Frontabschnitts erschien in dreidimensionaler Form. »Es gilt, insgesamt fünf Wohnblöcke zu überbrücken. Unsere Pioniere und Grenadiere sind fest entschlossen und zu allem bereit. Ich persönlich werde den Nazarweg sichern.«

Henner von Herker stand strammer denn je. Orlando seufzte. Berger sah dem Admiral an, dass er mit der Operation nicht einverstanden war. Ihm selbst war auch nicht wohl zumute. Er war für den ersten Wohnblockkomplex eingeteilt. Sie sollten sich um die Schutzschirmgeneratoren am Verbindungstunnel der Stationen 49/50 und am Nazarweg kümmern.

Henner von Herker würde im zweiten Wohnkomplex von der rechten Flanke den Nazarweg angreifen und von links die Linienstellung 48/51. Generalleutnant Linker und Generalmarschall Benington würden den Angriff natürlich vom Befehlsstand aus leiten.

Ash Berger schaute auf sein Chronometer. Noch fünfunddreißig Minuten …

*

Aurec rieb sich den Schlaf aus den Augen. Ein Blick auf sein Chronometer verriet ihm, dass es gerade erst 03:20 Uhr war. Dennoch wollte er ein Vorbild für seine Truppe sein, raffte sich ächzend auf und rückte seine schwarze Kombination zurecht.

Sein Blick fiel auf das dreidimensionale Bild von Kathy. Er hob es hoch und küsste es. Lieber wäre es ihm natürlich gewesen, wenn er Kathy selbst hätte küssen können, doch es war ihm nicht vergönnt.

Mit etwas wackeligen Schritten ging Aurec in das enge Bad seines Quartiers, eigentlich nur eine Nische, welche durch Formenergie erschaffen wurde. Der Saggittone putzte die Zähne und warf sich eine Ladung Wasser ins Gesicht. Zu mehr war nicht die Zeit. Er sollte schon um 03:30 Uhr bei der Freyt-Kompanie sein, doch wie üblich hatte der Saggittone verschlafen. Er war einfach kein Frühaufsteher.

Seine Ordonnanz begrüßte ihn freundlich und überreichte ihm eine heiße Tasse terranischen Kaffee. Die Rettung zu solch frühen Morgenstunden.

»Kanzler, Oberleutnant Scorbit erwartet Sie bereits im Besprechungsraum.«

Aurec nickte und machte sich auf den Weg. Remus wirkte ausgeschlafen und fit. Der Saggittone fragte sich, wie Scorbit das machte. Offenbar machte ihm das nächtliche Aufstehen nichts aus.

»Wie sieht es aus?«

»Alles ruhig an der Front. Ich habe aber ein paar Schnellfeuerstellungen aufgebaut und Scharfschützen in den Wohnkomplexen stationiert, wie du es vorgeschlagen hast.«

»Die quarterialen Aufklärer machen mir Sorgen.«

Plötzlich fing die Erde an zu beben. Der Saggittone seufzte. Das war das übliche Bombardement des Schutzschirms über ihrem Teil von Vircho. Jede Nacht feuerten SUPREMO-Schlachtschiffe im Orbit von Tefrod ihre Salven auf den Schutzschirm.

Die Energie reichte aus, um ihr Bombardement abzuwehren. Ewig konnten sie sich jedoch nicht halten. Wissenschaftler hatten berechnet, dass der Schutzschirm bei dieser Belastung maximal zwei, drei Wochen standhielt, bevor die Energie endgültig aufgebraucht war. Bis dahin musste Hilfe eingetroffen sein.

»Gehen wir zu deinen Jungs. Vielleicht muntert ein unausgeschlafener Kanzler der Saggittonen sie auf«, sagte Aurec mit gebotenem Sarkasmus.

Remus und Aurec verließen den Besprechungsraum einen Block hinter den feindlichen Linien. Es waren nur einige hundert Meter bis zu den LFT-Stellungen.

Die beiden legten die Strecke zu Fuß zurück. Es hatte sich nichts verändert. An dem Tunnel zur Station 49 standen ein Shift-Abwehrgeschütz sowie zwei schmale Shogun-Shifts. Am Nazarweg einige hundert Meter entfernt befand sich dasselbe Aufgebot zur Absicherung.

Zwei Transporter überholten Aurec und Remus. Sie brachten vier weitere Shift-Abwehrgeschütze. Aurec registrierte diese Truppenverstärkung mit Freude. Joak hatte seinen Empfehlungen zugehört, trotz seiner seltsamen Art auf der Konferenz.

Die beiden wurden von Caroline Nyndorff begrüßt, die am Funkleitstand vor dem Wohnblock saß.

»Hallo Remus, hallo Aurec! Hier ist mal wieder so ein Stress. Tausende von Funksprüchen, aber General Cascal hat mich heute Morgen gelobt und gesagt, dass ich das sehr gut mache. Ist das nicht schön? Ein tolles Gefühl, wenn man weiß, dass man zu den Besten gehört, nicht?«

»Ja, Morgen!«, brummte Remus und beschleunigte seinen Schritt. Aurec schmunzelte und bescheinigte Caroline, wie stolz man doch auf sie sei.

Dann gingen beide in den Wohnkomplex. Sie erreichten nach fünf Minuten eine Passage. Dort hatten LFT-Truppen Stellung bezogen. Sergeant Harry Lyppgowd hatte den Befehl über die dreißig Soldaten, die aus dem 1. und 4. Zug der Freyt-Kompanie bestanden. Aurec erkannte Spike Orson und den geschwätzigen Unteroffizier Marcuz Ednem mit seinem selbst ernannten Adjutanten Willy Ossy.

»Wie ist die Evakuierung gelaufen?«, erkundigte sich Aurec bei dem Unteroffizier.

»Selbstverständlich hat alles funktioniert, Sir! Ich habe selbst mit Argusaugen den Abtransport der zivilen Bevölkerung überwacht. Der Wohnkomplex ist jetzt frei, Sir!«

Aurec nickte. Er blickte auf sein Chronometer. Es war 03:40 Uhr. Zeit für den zweiten Kaffee, sonst schlief er gleich wieder ein.

*

Noch fünf Minuten bis zum Angriff. Ash Berger gab seinen Männern ein Zeichen. Roppert Nakkhole, Krizan Bulrich und Gert Wissmer schlichen direkt hinter ihm her.

Booz Shiningjokes und Ace Blacktree brachten den EMP-Ermitter in Stellung. Dieses Gerät sollte laut Wissenschaftlern den Pikosyn eines SERUNS überlasten und die Feinde damit schwächen. Außerdem hatten sie drei schwere Einheiten mit tragbaren Raketen dabei.

03:41 Uhr

Das Quarterium begann mit groß angelegten Störsignalen in einem Radius von mehreren Kilometern. Nun wusste der Feind zwar, dass irgendetwas geschah, aber nicht, wo sie zuschlagen würden.

Die LFT’ler waren nicht dumm. Sie hatten die meisten Korridore gesperrt und vermint, wie die Aufklärer gestern berichteten. Ihr Weg führte also nicht an einer bestimmten Passage im Zentrum des Wohnkomplexes vorbei. Ash vermutete dort Widerstand. Er hatte es Generalleutnant Linker auch mitgeteilt, doch dem war das egal gewesen. Nur ein Durchkommen zählte. Langsam arbeitete sich sein hundert Mann starker Trupp voran.

03:42 Uhr

Sie hatten die Passage erreicht. Das große Tor stand vor ihnen. Ash gab zwanzig Mann das Zeichen auszuschwärmen. Sie sollten sich an den Flanken durch Wohnungen kämpfen, in der Hoffnung, nicht verminten Raum zu finden, um dann den Wohnkomplex aufseiten des Feindes zu verlassen.

Den Hauptangriff würde Ash Berger jedoch in der Passage führen.

03:43 Uhr

Er gab seinen Soldaten das Zeichen, ihre Kampfanzüge zu aktivieren. Jeder besaß nun zusätzliche Waffensysteme und einen Schutzschirm. Der Kampfanzug der Grautruppen war sogar dem SERUN überlegen, da er sich noch flexibler gestaltete.

Ash beobachtete die andere Seite mit einem stinknormalen Feldstecher, denn auch der Feind sendete Störimpulse aus, die Ortung und Infrarotscans unmöglich machte. Trotz der vielen technischen Raffinessen kam es nun wieder auf den Soldaten selbst an, um die Schlacht zu gewinnen.

03:44 Uhr

Ash atmete tief durch und warf einen Blick auf Roppert Nakkhole und Krizan Bulrich. Nakkhole nickte ihm zu. Bulrich wirkte angespannt, seine Hände am MAR-21 Sturmgewehr zitterten.

03:45 Uhr

Das Artilleriefeuer begann. Der dumpfe Donner hallte durch die ganze Passage. Der Boden erzitterte durch die Detonationen am feindlichen Schutzschirm.

Das war ihr Zeichen. Ash gab den Befehl zum Angriff.

*

Um 03:45 Uhr brach für die Freyt-Kompanie die Hölle aus. Gerade als Aurec genüsslich an seinem Kaffee schlürfen wollte, erzitterte der Boden durch Artilleriefeuer. Die Einschläge waren ganz nahe.

Aurec stürmte aus der Wohnung auf die Passage, da begann auch schon das Feuer. Ein Soldat direkt vor ihm wurde von einem Energiehagel durchsiebt. Der Schutzschirm des SERUNS überlastete, dann wurde die Panzerung durchschmolzen – schutzlos wurde der Körper des jungen Mannes zerfetzt. Aurec warf sich auf den Boden und robbte zur MVH-Stellung, die unerbittlich zurückfeuerte.

Raketen mit Desintegratorsprengkopf brausten über seinen Kopf hinweg und schlugen in die Wand ein. Der ganze Komplex zitterte, Schutt und Putz bröckelten von der Decke auf ihn hinab.

Immer wieder blitzte es auf der gegenüberliegenden Seite auf. An der MVH-Stellung saßen Ednem und Ossy. Willy »The Rat« ballerte mit dem MVH-Geschütz wild schreiend auf die gegenüberliegende Seite der Passage, während Ednem hinter der Terkonitverkleidung auf dem Boden kniete.

Aurec tippte ihn an, um sich zu vergewissern, dass er noch lebte. Der Unteroffizier blickte den Saggittonen ernst an.

»Meine Empfehlung wäre ein sofortiger Rückzug, Sir!«

»Sie sind mir ja ein Held. Wir müssen die Stellung halten. Das ist bestimmt ein groß angelegter Angriff.«

Aurec versuchte mit dem Interkom eine Verbindung zu Joak Cascal herzustellen, doch sein Signal wurde geblockt. Irgendetwas stimmte mit dem ganzen Pikosyn nicht. Er sah sich um. Eine Etage höher hatte sich Spike Orson verschanzt. Aurec beobachtete, wie Orson mit zwei Schüssen einen quarterialen Raketenträger tötete. Der erste Schuss führte zum Zusammenbruch des Schutzschirms, der zweite tötete den Menschen.

Er kroch etwas zurück und winkte Remus zu sich. Geduckt eilte Scorbit auf ihn zu.

»Mein Pikosyn funktioniert nicht, ich kann nicht mit Cascal Kontakt aufnehmen«, sagte Aurec.

»Meiner auch nicht. Ich habe schon nach Nyndorff schicken lassen. Ihre Kommunikationsausrüstung ist die modernste.«

Wieder schlug eine Rakete ein. Nun begann der quarteriale Angriff. Etwa ein Dutzend Grautruppen stürmten an der Seite entlang auf ihre Stellungen zu.

»Was macht der Idiot da?«, rief Remus und rannte zur Stellung von Ossy und Ednem. Aurec lief ihm hinterher. Ossy tat nichts, und das war das Problem: er reagierte nicht auf die von links heranstürmenden Soldaten. Remus schubste ihn weg, drehte das MVH-Schnellfeuergeschütz nach links und feuerte. Im Energiehagel starben die zwölf Quarterialen nach nur wenigen Sekunden. Eine weitere Impulsladung vernichtete den Übergang an der linken Seite.

Über drei Etagen hinweg wurde geschossen und gekämpft. Endlich erreichte Caroline Nyndorff die Stellung.

»Funken Sie sofort Cascal an. Wir brauchen Verstärkung!«

Caroline Nyndorff gelang es tatsächlich, eine Verbindung zu Cascal herzustellen. Sie meldete, dass der Frontabschnitt der Freyt-Kompanie angegriffen wurde.

»Cascal schickt uns Verstärkung für den gesamten Abschnitt. Auch die 5. Armee Vircho und die 7. Saggittorbrigade werden angegriffen.«

Damit wurden die U-Bahn-Stationen 50 bis 52 attackiert.

»Gib doch her, Mann!«, rief Ossy und rüttelte an dem Geschütz. Remus stieß ihn weg.

»Reißen Sie sich zusammen, Mann! Sie schießen blind durch die Gegend und treffen nicht mal die Wand gegenüber!«

»Selber doch!«, meinte Willy Ossy und starrte Scorbit mit irrem Gesichtsausdruck an. Der schnappte sich sein Sturmgewehr, kniete sich hin und feuerte auf die gegenüberliegende Seite. Als Antwort kam nach wenigen Sekunden ein Feuerhagel auf sie zu.

»Scheiße, Mist, Scheiße!«, stieß Ossy fluchend zwischen den Zähnen hervor.

Caroline schrie auf. Eine Rakete traf die Stellung und plötzlich brach der Boden unter ihnen zusammen. Mitsamt dem Geschütz fielen sie in die nächste Etage. Geistesgegenwärtig aktivierte Aurec sofort seinen Antigrav am SERUN und packte Caroline Nyndorff. Kontrolliert sanken sie zu Boden und verschanzten sich hinter dem Schutthaufen.

Remus war leicht verwundet. Ednem kauerte in einer sicheren Ecke und starrte auf Aurec. Willy »The Rat« hingegen war getroffen und schrie wie am Spieß. Er hatte eine Wunde am Arm, der vermutlich gebrochen war. Er sprang plötzlich auf, doch da zerfetzte eine Energiesalve sein rechtes Bein. Die zweite Salve trennte es ab. Willy sackte zu Boden und brüllte laut um Hilfe.

Remus robbte zu ihm und zog ihn zurück. Langsam arbeiteten sie sich zu Ednem vor, der sich vor Angst offenbar nicht rühren konnte. Er war keine große Hilfe. Remus schüttelte ihn.

»Bringen Sie den Verwundeten zurück ins Lager, verstanden?«

Ednem nickte, packte Willy wortlos, nahm ihn auf die Schulter und trug ihn durch den Nebenausgang heraus.

Die Grautruppen stießen langsam vor und bahnten sich einen Weg durch die oberste Etage. Vier Grautruppen rannten auf sie zu, doch von rechts kamen Lyppgowd und sechs Soldaten, die sofort das Feuer eröffneten. Ein Quarterialer brach tot zusammen, die anderen verschanzten sich in einem Geschäft.

Ein Schuss tötete den Soldaten links von Lyppgowd. Der Sergeant warf sich auf den Boden, nahm eine Handgranate und warf sie in das Geschäft. Sekunden später drückte die Explosion die Scheiben nach draußen. Langsam rückten die fünf Mann vor, doch die Quarterialen waren nicht tot und eröffneten erneut das Feuer. Lyppgowd warf eine weitere Granate hinein, und nach deren Explosion herrschte Ruhe.

»Sir, die oberste Etage gesichert«, meldete Lyppgowd.

»Lassen Sie die Shift-Abwehrgeschütze so vor dem Ausgang des Komplexes stationieren, dass sie ungefährdet Ein- und Ausgänge beschießen können. Dann Rückzug aus dem Komplex«, befahl Aurec.

Die Gruppe befand sich in der untersten Etage, was bedeutete: wenn die Quarterialen aus dem Komplex wollten, mussten sie es auf dieser Ebene versuchen, es sei denn, sie verwendeten Antigravs. Doch das würde sie träge und angreifbar für die Truppen draußen machen.

Aurec blickte zum Ausgang, der etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt war.

»Sollen wir den Ausgang sichern, Sir?«, fragte Lyppgowd.

»Ja, jedoch nur, bis die Stellung draußen steht. Seien Sie vorsichtig.«

Lyppgowd gab den fünf Soldaten ein Zeichen. Sie verschanzten sich auf der rechten Seite. Auf der anderen Seite hatten sich auch vier LFT-Soldaten der Freyt-Kompanie eingefunden. Aurec erkannte Spike Orson und Rezza Sesa unter ihnen. Sie waren nun gut postiert, um die Quarterialen ins Kreuzfeuer zu nehmen.

»Hauptgefreiter Maddog, versuchen Sie und Gefreiter O’Keefe das Geschütz wieder hinzukriegen«, befahl Remus.

Der bullige Ertruser nickte. Seinen Kopf zierten auffällig wenig Haare. Er setzte seinen Helm auf und schlich mit O’Keefe zum MVH-Geschütz, welches umgekippt war und auf der Seite lag. Ohne Mühe stellte es der riesenhafte Hauptgefreite wieder auf und begann mit den Reparaturarbeiten. Da brach schon der nächste Feuerhagel los. Mehr als zwanzig Quarteriale griffen frontal die Gruppe an.

Eine Rakete schlug rechts neben ihnen ein und tötete einen Soldaten. Aurec schickte Caroline Nyndorff durch den Nebenausgang raus. Sie konnte ihnen hier als Funkerin wenig helfen. Aber sie und ihr Kommunikationsgerät mussten intakt bleiben.

Ein Schuss traf O’Keefe und ließ ihn wanken. Der Ire stieß eine Verwünschung aus.

»Wirf dich hin, Mann«, rief Maddog und wollte O’Keefe zu Boden drücken, doch es war zu spät. Der zweite Schuss des quarterialen Scharfschützen durchschlug Helm und Kopf.

O’Keefe war tot!

Aurec rannte zum MVH-Geschütz.

»Kann ich helfen?«

»Ne Flasche Met wäre jetzt toll«, meinte der Ertruser und knotete ein paar Kabel zusammen. »Okay, jetzt sollte es gehen.« Er setzte sich hinter das Geschütz und feuerte. Die erste Salve riss mindestens drei Quarteriale in den Tod. Die übrigen blieben abrupt stehen und verschanzten sich hinter den Trümmern der Halle.

Die mobilen Raketeneinheiten machten der LFT-Gruppe zu schaffen. Gleich drei Geschosse brausten auf die Stellung von Sesa und Orson zu. Eine Explosion jagte die nächste, und Rauchschwaden hüllten die Stellung ein. Sesa und Orson rannten zu Aurec und seinen Leuten.

»Die anderen beiden sind tot«, meldete Orson. »Wir können uns nicht mehr lange halten.«

»Also gut, Rückzug. Raus hier.«

Lyppgowd und Remus warfen noch einige Handgranaten in die Richtung der Quarterialen, dann rannten sie zum Nebenausgang. Als sie am Platz zwischen dem U-Bahn-Tunnel und der Nazarstraße waren, wurden sie bereits von LFT’lern empfangen, die drei Geschütze in Stellung gebracht hatten. Vier Shogun-Shifts standen ebenfalls bereit, den Quarterialen einzuheizen.

Aurec kehrte hinter die Stellungen zurück. Er blickte auf das Chronometer. Es war 04:03 Uhr. Es waren die bisher schlimmsten achtzehn Minuten auf Vircho gewesen.

*

Die LFT-Linien im Wohnkomplex waren durchbrochen. Bergers Einheiten hatten inzwischen alle drei Etagen gesichert, die LFT’ler waren abgezogen. Sie selbst hatten dreißig Mann verloren und zählten siebzehn Tote bei der LFT. Bergers Aufklärereinheiten hatten unbeschadet die andere Seite der Halle erreicht und waren über die dritte Etage dem Feind in den Rücken gefallen. Das hatte die Wende in diesem blutigen Scharmützel eingeleitet, nachdem die Verbindungselemente der zweiten Etage förmlich eingestürzt waren.

Berger gab seinen Soldaten ein Zeichen, um weiter vorzurücken. Sie erreichten eine vernichtete Geschützstellung. Ein toter Terraner lag direkt neben dem noch intakten MVH-Schnellfeuergeschütz. Ein Loch klaffte am Hinterkopf. Das Werk eines Scharfschützen!

Ace Blacktree kam auf ihn zu.

»Den armen Teufel habe ich wohl auf dem Gewissen.«

Ash nickte wortlos und gedachte der gefallenen Soldaten. Warum nur dieses Blutbad? Wieso dieser Krieg? Es war müßig, darüber nachzudenken. Er musste sich auf den Kampf konzentrieren, sonst würde er auch bald zu den Gefallenen zählen.

Krizan Bulrich ging zum Ausgang.

»Wir haben die Schweine verjagt«, jubelte er.

»Hau ab da«, rief Ash, doch es war zu spät. Mit einem lauten Donnern detonierte eine Energieladung am Eingangsbereich und zerstörte die Eingangstür. Das Glas zerbrach und fiel klirrend zu Boden. Als sich der Rauch gelichtet hatte, wollte sich Ash ein Bild des Treffers machen. Krizan Bulrich kroch eingeschüchtert aus den Trümmern hervor. Ein anderer Kamerad hatte weniger Glück. Seine Überreste lagen weit verstreut in der Halle herum.

»Idiot«, herrschte Ash ihn an.

»Pass bloß auf! Wenn ich wieder bei der CIP bin, schicke ich dich nach Objursha!«, tönte Bulrich.

Roppert Nakkhole meldete sich zu Wort.

»Herr Leutnant, einen Vorschlag, wenn Sie gestatten. Wie wäre es, den Unteroffizier Bulrich zwecks Aufklärung noch einmal nach vorn zu schicken?«

Bulrich wurde kreideweiß.

»Hey, was soll das, Roppert? Ich dachte, wir wären Freunde?«

»Nö«, kam die knappe Antwort von Roppert Nakkhole, der in der Tat ein langjähriger Bekannter von Bulrich war. Zusammen mit Anya Guuze waren sie in Terrania zur Berufsschule gegangen und hatte zu den ersten Siedlern von Cartwheel gehört.

Ash rief Shiningjokes und Blacktree zu sich. Als Sergeants waren sie zusammen mit Leutnant Gert Wissmer, der zu seiner Rechten hockte, die Anführer des Trupps, der immerhin noch siebzig Mann stark war.

»Offenbar erwarten die uns draußen«, meinte Wissmer. »Wir haben insgesamt noch vier Etagen mit Fenstern vor uns. Doch wenn die mit den Geschützen feuern, zerfetzen die uns, bevor wir den zweiten Schuss abgegeben haben.«

Wissmer hatte recht, befürchtete Ash. Ihnen musste also etwas einfallen.

»Kanalisation!«, schlug Shiningjokes vor.

»Die Scheiße landet direkt im Konverter. Ist hier nicht anders als wie zuhause«, antwortete Wissmer.

Berger blickte ungeduldig auf das Chronometer. 04:10 Uhr war es inzwischen. In fünf Minuten sollten eigentlich die Shiftpanzer vorrücken. Doch offenbar war überall der Angriff ins Stocken geraten. Auch aus dem Nachbarwohnkomplex hörte man keinen Mucks. Ash ließ sich eine Verbindung zu Oberst Henner von Herker gegeben.

»Henner, was sollen wir tun? Habt ihr einen Plan?«

»Schickt die Kampfroboter. Sie sollen auf die Geschützstellungen zu stürmen und sich in die Luft jagen«, schlug der Oberst vor. Die Idee war gar nicht so verkehrt. Wissmer nickte und rannte los. Nach sieben Minuten schwebten mit lautem Surren einige Kampfroboter an. Sie beschleunigten, sausten durch den Eingang und erneut brach die Hölle los. Die terranische Artillerie feuerte. Ash hatte das Gefühl, als würde jeden Moment die Decke herabbrechen. Dann hörten sie eine Explosion nach der anderen. Entweder jetzt oder nie!

»Los, los, los!«

Die siebzig Mann rannten aus dem Eingang und stürmten die Geschützstellung. Doch die waren immer noch gut befestigt. Sie hatten keine Chance gegen die Schnellfeuergewehre. Ash brach den Frontalangriff ab und schickte seine Truppen zu den Flanken.

Wissmer stürmte mit dreißig Mann den Schutzschirmstand zur Rechten, während Berger mit seinen Leuten zur Energiestation am U-Bahn-Tunnel rannte. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Sie feuerten, was das Zeug hielt und endlich erreichten sie die Energiestation.

Shiningjokes brachte die Sprengladungen an, während die anderen die Station sicherten.

»Shift!«, brüllte Blacktree.

Oh nein! Das hatte ihnen noch gefehlt. Ein Shogun-Shiftpanzer schwebte feuernd auf sie zu. Der drei Meter lange und nur ein Meter breite Flugpanzer besaß zwar nur leichte Geschütze, doch die reichten gegen Infanterie aus.

»Rückzug!«, brüllte Berger.

Eine Energieentladung detonierte nur drei Meter neben ihm. Er wurde durch die Luft geschleudert und landete unsanft auf dem Boden. Zwei weitere Quarteriale fielen neben ihm hin, doch sie waren tot. Berger rappelte sich benommen auf und registrierte, dass sein Schutzschirm auf neunzehn Prozent gesunken war.

So schnell er konnte, rannte er zurück zum Eingang des Wohnkomplexes. Nur Shiningjokes, Nakkhole und Blacktree folgten ihm. Die anderen Kameraden waren tot. Im Laufen betätigte Shiningjokes den Zünder und mit einem lauten Knall zerbarst die Energiestation des Schutzschirms. Sofort nahm die inzwischen vorgerückte Artillerie weiter hinten das Feuer auf. Berger bekam mit, wie Energiesalven an die Häuserwand des gegenüberliegenden Wohnkomplexes prasselten. Die Fassade gab nach und das Gebäude stürzte wie ein Kartenhaus nach vorn zusammen.

Von links stürmten ihnen Wissmer, Herker und Wosslyn mit nur vier Mann entgegen.

»Ist das der Rest?«

»Wissmer nickte. Von beiden Einsatzgruppen!«

Ash Berger blickte auf das Chronometer. Es zeigte 04:23 Uhr an. In nicht einmal einer halben Stunde hatten nur elf von zweihundert Soldaten den Ansturm auf die Station 50 und den Nazarweg überlebt.

Henner von Herker blickte mit seinen Glubschaugen zur Energiestation des Schutzschirms am Nazarweg. Einige LFT-Soldaten und Tefroder machten sich daran, die Ladung zu entschärfen. Mit einem Grinsen drückte von Herker den Zünder und riss damit die gegnerischen Soldaten in den Tod. Der Schutzschirm brach zusammen und die Artillerie feuerte mit todbringenden Ladungen auf die feindlichen Stellungen.

»Wir brauchen Verstärkung, um die Abschnitte zu halten«, befahl von Herker. »Na los, Ash! Renn los und hol uns Truppen!«

Ash nickte und machte sich auf den vierhundert Meter langen Weg durch den Wohnkomplex zurück zu ihrer Stellung. Ein Funkspruch genügte nicht, er wollte selbst die Einheiten auswählen und war außerdem ganz froh, ein paar Minuten von der Front weg zu sein.

Sein Weg durch die Passage war von Leichen gepflastert. Sie hatten nur um ein paar Meter Grund gekämpft, und doch waren viele gestorben. Was für ein Wahnsinn!

*

»Die Schutzschirme sind zusammengebrochen!«, rief Remus Aurec zu. Der hatte trotz des Lärms verstanden, denn die Explosionen waren unübersehbar gewesen. Was nun folgte, war ein massiver Beschuss aus quarterialen Geschützen.

Zu Aurecs linker Seite brach die vordere Wand des Wohnkomplexes zusammen und begrub einen Shiftpanzer Typ Shogun unter sich. Die Soldaten der Freyt-Kompanie brachten sich in Sicherheit. Es erfolgte kein Feuer vom gegenüber liegenden Wohnkomplex. Offenbar waren die quarterialen Angreifer nicht mehr in der Lage dazu.

»Wie gehen die jetzt weiter vor?«, überlegte Aurec.

»Sie werden eine Weile die Stellungen an der Straße und am Tunnel beschießen. Dann rücken die Shiftpanzer und Infanteristen vor.«

Remus bestätigte Aurecs Vermutung. Sie wollten dann bestimmt die Stellung einnehmen, um der Vircho-Armee und der 7. Saggittorbrigade in den Rücken zu fallen.

Aurec winkte Caroline zu sich. Sein Funk funktionierte immer noch nicht. Sie erstattete Meldung: »Die Abschnitte am Contaweg und den Stationen 51 und 52 werden ebenfalls angegriffen, doch sie wurden zurückgeschlagen.«

»Und Cascal?«

»Schickt Verstärkung von oben, Sir.«

»Unsere Verluste?«, fragte Aurec seinen Freund Remus.

»67 Tote und 31 Verletzte der Freyt-Kompanie.«

Remus Stimme klang traurig.

Damit standen ihnen noch etwa 150 Mann und 200 MODULA-Kampfroboter zur Verfügung. Genug, um einen Gegenangriff zu starten, fand der Saggittone.

Er gab diesen Befehl nur ungern, doch sie mussten verhindern, dass die Quarterialen durch die Linien brachen. Inzwischen hatten auch Captain Daniel Ellroy und Oberleutnant Will Dean die Stellung erreicht.

»Captain, ich brauche jeden Mann und alle MODULAS«, sagte Aurec ohne Umschweife. »Wir erobern den Wohnblock zurück und drehen den Spieß um. Wir müssen versuchen, die Artilleriestellungen außer Gefecht zu setzen. Dann können wir in Ruhe die Schutzschirmgeneratoren reparieren.«

Ellroy wirkte nicht begeistert, auch Remus sah Aurec an, dass er diesen Angriff für ein Himmelfahrtskommando hielt. Gäbe es doch eine andere Lösung!

Vielleicht?

Das könnte funktionieren.

»Andere Idee. Wir stürmen den Wohnkomplex und sprengen ihn an den Seiten. Die herabstürzenden Trümmer werden den Tunnel und den Nazarweg blockieren. Das wird uns etwas Zeit geben«, schlug der Saggittone vor.

»Aber nur ein paar Minuten. Sie werden die Artillerie auf Desintegratoren umstellen und Trümmer entstofflichen. Dann ist der Weg wieder frei«, wandte Will Dean ein.

Aurec schlug mit der Faust auf den Boden. Darauf hätte er auch selbst kommen können. Der Schlaf steckte immer noch in seinem Hirn, Kaffee hin oder her. So blieb nur Plan A. Doch wie hoch standen ihre Chancen für einen Erfolg? Und für ein Überleben?

Aurec blickte in die Gesichter von Captain Ellroy, Remus und Will Dean, dann zu Caroline Nyndorff und dem großen Marc Maddog, der neben ihr hockte. Unweit von ihnen standen Spike Orson, Carolines Bruder Jorhn, Rezza Sesa und Marcuz Ednem.

Vermutlich würde keiner von ihnen überleben. War es das wert? Waren die paar hundert Meter das Leben von hundertzweiundfünfzig Menschen wert? Welche Konsequenzen hatte der Verlust?

Aurec atmete tief durch.

»Caroline geben Sie bitte Cascal den Befehl zum sofortigen Rückzug. Alle Stellungen sollen sich langsam zwei Wohnblöcke zurückziehen und dort neu in Position gehen. Der Schutzschirm oberhalb soll dementsprechend verringert werden. Ich gebe lieber etwas von der Stadt auf, statt so viele Menschen zu opfern.«

Caroline nickte mit einem Lächeln. Ihr war die Erleichterung deutlich anzusehen. Auch Remus und Dean lachten.

»Für die MODULA-Roboter habe ich aber kein Mitleid. Sie sollen den Wohnkomplex stürmen und die Quarterialen noch etwas ablenken. Wir brauchen bestimmt ein paar Minuten zum Rückzug.«

»Ja, Sir«, bestätigte Ellroy und gab sofort den Befehl, die MODULA-Einheiten kampfbereit zu machen. Dann begann auch schon der Rückzug unter dem ständigen Artilleriefeuer des Quarteriums.

Aurec sah sich das Schlachtfeld an. Es war 04:30 Uhr! In knapp fünfundvierzig Minuten hatten viele Menschen ihr Leben gelassen. Es reichte ihm für heute an Toten, doch er hatte die Befürchtung, dass es jetzt erst richtig losging.

8. Weg nach Andromeda

Cauthon Despair

»Was? Schon wieder im Solsystem? Wie soll ich das denn bezahlen?«, schrie Peter de la Siniestro entsetzt auf. »Ihr seid doch alle wahnsinnig!«

Erbost stand der pockengesichtige Sohn des Emperadors auf und warf den Würfelbecher durch das virtuelle Monopoly-Spielbrett. Sein Kopf war hochrot angelaufen. Er machte sich lächerlich, wie immer.

Brettany war bei Peters Wutanfall zusammengezuckt, während der Emperador nur genervt seufzte und Stephanie mit zusammengekniffenen Augen an die Decke blickte. Rosan de la Siniestro starrte mich die ganze Zeit über finster an, und Uthe Scorbit wirkte teilnahmslos, genau wie der Posbi Diabolo.

Sie alle saßen auf der großen, grauen Couch um die Holografie des Spiels herum. Nur der silberfarbige Posbi stand etwas abseits. Er schien noch immer die Familie der de la Siniestros zu studieren.

»Setz dich bitte wieder, mein Sohn!«

»Ich hasse euch! Ich verliere immer gegen euch. Ihr arbeitet doch zusammen. Brettany und die Arkonidenhure haben vorhin Sternensysteme getauscht. Das habe ich genau gesehen!«

»Dann verzieh dich und spiel mit deinen Soldatenpuppen«, meinte Stephanie anzüglich.

Peter setzte sich wieder hin und fing an zu weinen.

»Niemand hat mich lieb. Ihr alle hasst mich.«

»Ist doch gar nicht wahr«, sagte Brett und nahm ihren Bruder in den Arm. Sie streichelte über seine Haarbüschel und schaffte es, mich damit zu beeindrucken. Obwohl Peter ein egozentrischer Irrer war, kümmerte sie sich um ihn. Sie hatte wirklich ein großes Herz, wie kaum eine andere Frau.

»Wir fangen von vorn an und dann arbeiten wir mal etwas zusammen, okay?«

Peter nickte. Sabber gemischt mit Tränenflüssigkeit perlte in einem großen Faden von seinem Kinn. Mit verzerrtem Gesicht nahm Brettany ein Taschentuch und machte ihren Bruder wieder sauber.

»Vielleicht wird es jetzt auch Zeit, ins Bett zu gehen. Es ist immerhin schon halb sechs morgens«, bemerkte der Emperador und gähnte herzhaft. Dann sah er Rosan lüstern an.

»Was meinst du, mein Liebling?«

»Sicher, mein Gemahl …«

Das klang nicht allzu begeistert. Wäre ich eine Frau, würde ich auch nicht glücklich sein, mit dem Greis ein Bett zu teilen. Stephanie stand auf und verließ wortlos den Raum. Ich blickte ihr hinterher. Wüsste ich es nicht besser, würde ich denken, sie führte irgendetwas im Schilde.

»Naja, das war ein sehr amüsanter Familienabend, nicht wahr? Können wir ja irgendwann mal wiederholen«, sagte Uthe Scorbit. Ihr Sarkasmus war unüberhörbar. Sie bereute wahrscheinlich, auf Orlandos schöne Sprüche hereingefallen zu sein. Vermutlich sehnte sie sich nach ihrem Remus zurück.

Wenn es kurios lief, würde sie vielleicht sogar bald in seiner Nähe sein. Die EL CID flog mit maximaler Geschwindigkeit. In fünf Tagen waren wir in Andromeda. Dann wäre sie auch in der Nähe von Orlando. Ich stellte es mir amüsant vor, wenn ihre beiden Hähne sich auf dem Schlachtfeld treffen würden, doch das würde wohl nicht geschehen, denn Orlando war ein Raumflottenadmiral und Remus Scorbit ein einfacher Offizier, wenn auch mit Sonderstatus aufgrund seiner zweifelhaften Erfolge.

Peter verließ mit gesenktem Kopf die Kabine und auch der Emperador verabschiedete sich, gemeinsam mit Rosan und Diabolo. Brett und ich blieben allein zurück. Ich setzte mich zu ihr.

»Reagierst du auch so beim Spielen? Oder warum hast du nicht mitgemacht, Cauthon?«, fragte Brett.

»Heitere Gesellschaftsspiele erfüllen mich nicht gerade mit Freude.«

»Heiterkeit und Freude scheinen dich generell nicht glücklich zu machen …«

Mir entging ihr Vorwurf nicht.

»Wenn man diese Dinge nicht kennengelernt hat, fällt es einem schwer, sich daran zu gewöhnen.«

Brett lächelte gequält.

»Nimm das Ding ab, wir sind unter uns.«

Sie deutete auf meinen Helm. Brettany war so ziemlich die Einzige, der ich es erlaubte, mich ohne meine Maske zu sehen. Ich nahm den Helm ab und sie schaute mir tief in die Augen.

»Dein verheiltes Gesicht ist doch schön. Warum verbirgst du es vor den anderen? Du würdest ein Stück normaler wirken.«

Doch genau davor hatte ich Angst. Als Silberner Ritter war ich eine Respektsperson. Ich war undurchschaubar. Ohne meine Rüstung war ich ein Normalo, vielleicht ein Niemand. Zumindest war ich es früher gewesen.

»Gewohnheit und Autorität. Dennoch genieße ich es, jetzt einmal frei zu sein …«

Brett lächelte. Es war ein so wundervolles Lächeln. Ich wünschte, sie könnte ihr großes Herz auch mir gegenüber zeigen. Aber das würde nicht geschehen. Dafür war ich ein zu schlechter Mensch. Das war mein Schicksal. Aus Leid und Trauer erschaffen, mit einem Leben voller Hass und dazu auserkoren, das Universum in Blut zu tauchen. Das war mein Schicksal, denn ich war als ein Sohn des Chaos geboren.

9. Rückzug

28. Oktober 1307 NGZ

Aurec entging Joak Cascals grimmiger Blick keineswegs. Der General der LFT war seit zwei Tagen stocksauer über den angeordneten Rückzug. Cascal wäre bereit gewesen, die Stellung mit Mann und Maus ohne Rücksicht auf Verluste zu verteidigen. Doch Aurec war es nicht, und er war der Oberbefehlshaber auf Vircho. Damit musste sich Cascal abfinden.

Seit zwei Tagen zogen sich die Truppen kontinuierlich zurück. Aurecs Plan war, sich bis zum Rand des Hafenviertels zurückzuziehen, um die Regierungsinsel und das Areal entlang des Wassers zu verteidigen. Es gäbe dann nur noch wenige unterirdische Zugänge zur Insel, die leichter zu verteidigen waren.

Die alliierten Truppen hatten dennoch in den letzten zwei Tagen mehr als eintausend Soldaten verloren, da das Quarterium schneller voranstieß, als sie erwartet hatten. Immer wieder waren sie in die Linien eingebrochen. Die Kämpfe in der urbanen Stadt verliefen unübersichtlich und nicht linear, um jedes Stockwerk wurde gekämpft. Die Verluste auf beiden Seiten waren hoch, doch das Quarterium konnte seine Truppen mit Nachschub versorgen. Die Alliierten konnten keine Verluste kompensieren.

Aurec beobachtete Joak Cascal. Dieser überwachte den koordinierten Rückzug und den neuen Stellungsaufbau. Der Saggittone fragte sich, was in Joak vorging. Seit den Tagen auf dem falschen WANDERER war er nicht mehr der Alte. Waren es Nachwirkungen seiner langen Haft auf Objursha? Die Sorge um seinen Freund Sandal Tolk, der immer noch verletzt war oder die Sehnsucht nach Anya Guuze?

Liebeskummer hätte Aurec jedem anderen Menschen zugetraut, nur Cascal nicht. Joak Cascal, der Draufgänger und Frauenheld hatte sein Herz wohl ein zweites Mal in seinem inzwischen recht langen Leben verloren. Nach dem Tod seiner ersten Frau in einer Raumzeitfalte vor siebzehn Jahren hatte er nie wieder eine Beziehung gehabt. Zumindest keine dauerhafte, glaubte Aurec.

Siebzehn Jahre waren eine lange Zeit. Das wusste Aurec nur zu gut. Er hatte nie viel von Kathy Scolar gehabt, obwohl er schon seit fast zehn Jahren mit ihr liiert war. Doch eigentlich hatten sie insgesamt höchstens ein paar Monate miteinander verbracht.

Aurec wusste nur zu gut, was Sehnsucht und Liebeskummer bedeutete, denn er kämpfte jeden Tag dagegen an. Doch er kannte auch Verantwortung und Disziplin, und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Würde er nicht hoffen, eines Tages Kathy wiederzusehen und diesen Krieg zu beenden, wäre er wahrscheinlich schon tot. Die Hoffnung hielt ihn am Leben.

Joak befand sich in einer unausstehlichen Phase. Es war nur besonders schwierig, dass diese gerade während der Schlacht um Tefrod über ihn kam. Aurec brauchte einen zuverlässigen Cascal und keinen melancholischen Kamikazegeneral. Er nahm sich ein Herz und ging zu Joak hinüber. Cascal bedachte den Saggittonen mit einem verächtlichen Blick.

»Joak, so kann das nicht weitergehen. Wenn der Feind dich nicht umbringt, werden es deine Probleme tun.«

»Was weißt du schon über meine Probleme.«

Aurec seufzte.

»Anya, stimmt’s? Einsamkeit, vielleicht eine Art Torschlusspanik und die ganzen grausamen Erlebnisse auf Objursha. Das macht dir doch zu schaffen.

Als Kathy uns damals verraten hatte, fiel ich auch in ein tiefes Loch. Ich ließ es mir kaum anmerken, doch ich fühlte, als hätte ich nichts erreicht. Obwohl MODROR damals geschlagen war und alles gut ausging, war ich im Endeffekt einsamer als jemals zuvor. Du hast den Schrecken von Objursha überstanden, dich unglücklich verliebt und der Schrecken geht weiter …«

Cascal sah mich an, als sei ich schwachsinnig. Er verzog die Mundwinkel. Beinahe glaubte ich, dass er ansatzweise lächelte. Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch seufzend aus.

»Biologisch gesehen bin ich 99 Jahre alt. Ich weiß, bei der heutigen Medizin kann man gut und gern 200 oder 220 Jahre alt werden, manche sogar 250. Das ist bei unserem Job eher unwahrscheinlich. Da macht man sich schon Gedanken …«

Eigentlich war Joak Cascal rein rechnerisch über 1400 Jahre alt, doch er hatte diese Zeit in einer Raumzeitfalte zusammen mit Sandal Tolk und seiner ersten Frau als Gefangene eines Volkes namens Casaro verbracht.

»Man denkt über Familie nach, über eine Frau und Kinder. Eigentlich hätte ich schon eine, doch man hat sie mir genommen. In den vergangenen siebzehn Jahren konnte ich für keine Frau ernsthafte Gefühle entwickeln. Erst für sie wieder, doch …«

»Sie hat nicht unbedingt die gleichen Gefühle für dich. Das tut mir leid, doch was willst du dagegen tun? Glaubst du, du kriegst sie, wenn du in Selbstmitleid zerfließt?«

Aurec sah Joak eindringlich an und hoffte, dass seine Worte wirkten. Der zuckte die Schultern.

»Wieso nicht? Selbstmitleid geht nur mich etwas an!«

»Nicht, wenn deine Soldaten darunter leiden müssen. Wäre es nach dir gegangen, wären Tausende gestorben für ein paar Meter Boden. Du hättest ein sinnloses Gemetzel zugelassen.«

»Das ist nun einmal Krieg!«

»Schwachsinn! Du hörst dich an wie Cauthon Despair, der mit gebrochenem Herzen ganze Planeten auslöscht. Erinnerst du dich noch an Sverigor? Sicherlich doch! Wenn du so weitermachst, ähnelst du bald den Leuten, die du verachtest!«

Joak blickte ihn erstaunt an. Dann sah er stumm zu Boden. Doch nach einer Weile schaute er mit wässrigen Augen auf und sagte: »Danke!« Der Saggittone war überrascht, doch er verstand, was Cascal zum Ausdruck bringen wollte.

Er legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter.

»Wir sind offenbar zum Leiden geboren, tragen unseren Schmerz stets mit uns. Was uns anders macht, was unser Ich ausmacht, ist: Wir ergeben uns nicht in unsere Wut und unseren Hass! Wir kämpfen dagegen an und stehen für unsere Werte ein, auch wenn es schwer ist.«

Joak nickte.

»Und was Anya angeht …, wenn du sie unbedingt willst, wird es da einen Weg geben. Schreib ihr eine Nachricht, und wir senden sie mit einem TLD-Kurier nach Terra.«

»Quatsch! Ich werde wohl kaum den TLD für meine privaten Angelegenheiten missbrauchen.«

»Aber ich, denn es geht schließlich um das Wohl meines besten Generals! Ich brauche dich hier voll funktionsfähig, Joak. Schreib ihr was, das hilft, glaub mir.«

Aurec dachte an seine unzähligen Briefe für Kathy, die er nie verschickte, und biss die Zähne zusammen.

»Ich klinge wie ein Weichei«, meinte Cascal und zog an der Zigarette.

Aurec lachte.

»Das ist nur menschlich. Gefühle definieren uns. Haben wir keine oder nur negative, so enden wir wie die Söhne des Chaos!«

»Auf der Siegerstraße?«

Aurec sah Cascal erschrocken an, dann fing der Terraner an zu lachen. Endlich lachte er mal wieder.

Donner!

Cascal wurde wieder ernst.

»Das Quarterium gönnt uns keine Ruhe. Ich gebe zu, eine Bündelung der Truppen ist weise. Doch wir werden uns nicht ewig halten können …«

10. Vormarsch des Quarteriums

1. November 1307 NGZ

»Achtung!«

Die Soldaten standen stramm und das Orchester fing an, den siniestrischen Präsentiermarsch zu spielen. Die Luke der Raumfähre öffnete sich und zwei Dutzend festlich gekleidete Wachen stellten sich links und rechts auf, um dem Emperador de la Siniestro die Ehre zu erweisen.

Zuerst verließ Quarteriumsmarschall Cauthon Despair die Fähre. Ihm folgte der Berater des Emperadors, der Posbi Diabolo. Als nächstes trat der Emperador mit seiner Gattin Rosan de la Siniestro heraus, gefolgt von seinen Kindern Stephanie, Brettany und Peter. Zuletzt verließ die Verlobte von Orlando de la Siniestro die Fähre, Uthe Scorbit.

Ash Berger dachte über die letzten Tage des Kampfes nach, während das Orchester nun den allseits beliebten Hohenfriedburger Marsch anstimmte. Viele Kameraden waren gestorben. Wie durch ein Wunder kaum welche, die er seit Som-Ussad kannte. Zumindest der harte Kern hatte überlebt, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis es auch unter ihnen Opfer gab.

Generalmarschall Alcanar Benington, Admiral Orlando de la Siniestro, Generaloberst Red Sizemore und Generalleutnant Linker begrüßten die Monarchenfamilie und den Quarterium-Marschall ehrerbietig. Sie schritten an ihnen vorbei.

Brettany warf ein Lächeln auf Ash Berger, welches er erwiderte. Das war doch was, mal von einer Prinzessin angelächelt zu werden. Dafür blickte Despair auch in seine Richtung, was ihm nicht geringes Unbehagen bereitete.

Die honorigen Gäste wurden ins Hauptquartier, das luxuriöseste Hotel in Vircho, welches noch stand, gebracht. Für Ash war die Feier damit noch nicht zu Ende. Auch er war eingeladen worden, zusammen mit seinen Kameraden eine Beförderung entgegenzunehmen für ihren heldenhaften Einsatz vor wenigen Tagen.

An der geheimen Besprechung durfte er jedoch nicht teilnehmen.

*

Cauthon Despair

»Was hat der Fettwanst gemacht?«, rief der Emperador entsetzt und ließ sich in seinen Sessel fallen.

Orlando räusperte sich verlegen.

»Nun, er jagt mit dem Großteil der Flotte Perry Rhodan und die LFT-Flotte irgendwo außerhalb von Andromeda. Er will ihn unbedingt hier und jetzt vernichten.«

Der Emperador seufzte niedergeschlagen. Da saß er nun in dem breiten Stuhl mit dem grünen Stoff inmitten des großen Saals. An den Wänden und der Decke erstreckten sich tefrodische und lemurische Raumschiffzeichnungen und erzählten die Geschichte von Andromeda seit der Besiedelung durch die Lemurer. »Halle des Tamaniums« hieß der Saal, in dem sie sich befanden. Er war das Prunkstück des Museums von Vircho, welches Stadtkommandant Benington für Siniestro hatte aufbereiten lassen. Doch die nette Kulisse vermochte die Stimmung nicht zu verbessern.

Ich verwünschte diesen Idioten Jenmuhs! Wenn er denn schon unbedingt ganz Andromeda den Krieg erklären musste, dann sollte er es gefälligst auch einnehmen und nicht schutzlos Gegenangriffen der Maahks und Tefroder überlassen.

»Wir erwarten deine Befehle, Vater!«

Der Emperador blickte mich an.

»Was sagen Sie, Cauthon?«

»Da offenbar keine Bereitschaft der Tefroder besteht, sich dem Quarterium anzuschließen, wäre ich für einen kompletten Rückzug aus Andromeda. Unser Ziel war die Milchstraße, nicht noch die Nachbargalaxie. Wir können den Kampf nicht gegen alle ausfechten, mein Emperador!«

Ich meinte das ehrlich. Auch wenn es MODROR und anderen am liebsten gewesen wäre, wenn das Quarterium das ganze Universum im Handstreich einnahm, so waren auch wir nicht unbesiegbar und besaßen keine endlose Armada.

»Bringt mir diesen Virth Sha Otarin«, befahl der Emperador.

Sofort wurde sein Befehl ausgeführt. Der Virth des tefrodischen Volkes hatte sich nach Aurecs Befreiungsaktion von der Regierungsinsel abgesetzt, um eine neue Regierung zu gründen. Doch unsere Truppen hatten ihn Mitte August geschnappt und in Gewahrsam genommen.

Der Emperador begrüßte ihn freundlich.

»Lieber Kollege, wir wollen doch den Krieg nicht weiterführen, oder? Wir sind doch alle Lemurer.«

Sha Otarin schüttelte den Kopf.

»Ich werde mich nicht der Diktatur des Quarteriums beugen. Wir Tefroder waren euch Terranern immer geistig weit überlegen. Wir können uns doch nicht den Primitivlingen unterwerfen. Das verstehen Sie sicherlich.«

Der Emperador starrte Sha Otarin entgeistert an.

»Ich hoffe, um Ihres Volkes Willen, dass nicht jeder so denkt. Und was Sie angeht, ab zum Erschießungskommando. Lasst es wie einen Unfall aussehen. Ich lasse mich nicht als Primitivling bezeichnen!«

Keiner der anwesenden Generäle widersprach dem Emperador. Sha Otarin nahm das Urteil wortlos entgegen. Der Stolz des Tefroders war größer, als sein Wille zu überleben.

Ich gab zwei Wachen ein Zeichen. Sie gehörten zu meiner 501. Division und waren mir absolut loyal ergeben. Die kampfgewohnten Männer packten Otarin und zerrten ihn heraus.

Ich blickte in die Gesichter von Sizemore, Benington, Linker, Peter und Orlando. Sizemore und Orlando wirkten bedrückt. Sie hatten ein Gewissen.

»Vater, es wäre Mord! Das können wir nicht tun.«

»Ach, mein Sohn, du bist immer so ehrenhaft.« Der Emperador seufzte. »Also gut, sperrt ihn wieder ein und lasst ihn am Leben.«

Ich rief die Wachen zurück und änderte die Order. Das Ganze brachte uns überhaupt nicht weiter. Wir mussten endlich handeln! Ich verschaffte mir einen Überblick. Wir hatten viel zu wenig Truppen, um Andromeda zu kontrollieren. Nur ein Bruchteil der Kolonien war unter unserem Diktat. Nicht einmal Tefrod gehörte uns komplett. Der tefrodische Widerstand war groß.

Wir verbrauchten unnötige Kapazitäten, die wir für Perry Rhodan benötigten.

»Marschall Despair, beordern Sie die Wachflotte am Sternenportal nach Andromeda. Sorgen Sie dafür, dass die tefrodische Flotte erst einmal geschlagen wird, damit sie keine Gefahr für uns darstellt.«

Ich nickte kurz und trat an das Kommunikationsterminal.

»Benington?«

Der unsympathische Mann ging grinsend auf den Emperador zu.

»Tun Sie alles, um Tefrod komplett zu erobern. Nutzen Sie den Rat des Generalmarschalls Sizemore, denn er ist sehr fähig und weise.«

Beningtons Lächeln gefror.

»Sir, aber der Herr Generaloberst …«

»Nein, nein, Sie haben schon recht gehört. Ich nehme diese lächerliche Degradierung zurück. Generalmarschall Sizemore?«

Der Terraner trat vor.

»Ich erwarte, dass Sie jetzt ganz Tefrod erobern. Generalmarschall Benington wird es in der Zeit dann wohl auch hoffentlich schaffen, Vircho einzunehmen.«

Sizemore salutierte. Er und Benington verließen den Raum. Letzterer wirkte angefressen. Mit dieser Wendung hatte er wohl nicht gerechnet. Der Emperador winkte seinen ältesten Sohn zu sich.

»Halte die Flotte in Alarmbereitschaft. Da Aurec und Cascal auf Vircho sind, wird Rhodan alles tun, um sie zu befreien. Ich befürchte in Kürze weitere Angriffe!«

*

Ash Berger und seine Kameraden standen ehrfürchtig vor dem Quarteriumsmarschall und vor dem Emperador.

Mit Freude hatte Berger erfahren, dass die erste Beförderung des Tages Red Sizemore gegolten hatte. Ihm war wesentlich wohler, wenn dieser Stratege das Sagen hatte. Leider war Sizemore aber damit beauftragt, den Rest von Tefrod zu erobern, während Benington noch immer für Vircho zuständig war. Ein wunderbarer Vorgesetzter war das! Berger rollte innerlich die Augen.

Gert Wissmer und Ash Berger wurden zum Oberleutnant befördert und erhielten den Quarteriums-Stern. Ace Blacktree und Booz Shiningjokes bekamen die Beförderung zum Leutnant, während Krizan Bulrich und Roppert Nakkhole nur Tapferkeitsmedaillen verliehen wurden.

Nach einem Appell hatten die Soldaten Zeit, sich etwas zu amüsieren. Nur Generalmarschall Benington wirkte unzufrieden. Nach kurzer Zeit ließ er alle Offiziere zusammenrufen und teilte ihnen mit, dass am Morgen des 2. November 1307 NGZ der Angriff auf die Regierungsinsel stattfinden würde.

»Die Feier ist vorbei für Sie, meine Herren! Bereiten Sie den Einsatz vor! Wir treffen uns in zwei Stunden zur Lagebesprechung.«

*

Alles, was Rang und Namen hatte, war bei der Besprechung anwesend. Für Oberleutnant Ash Berger war es geradezu eine Ehre, daran teilhaben zu dürfen, auch wenn er dieser zweifelhaften Ehre wenig Bedeutung beimaß. Generalmarschall Benington leitete die Besprechung, an der auch Admiral Orlando de la Siniestro, Generalmarschall Peter de la Siniestro, Generalleutnant Linker, Oberst Henner von Herker und diverse Divisionskommandeure teilnahmen.

»Sirs, der Angriff startet in drei Stunden mit einem Bombardement der gesamten Raumflotte auf den Schutzschirm. Mit dieser geballten Feuerkraft werden wir zumindest Strukturlücken erzwingen, durch die Einheiten der 5. Mobilen Quarterialen Armee mit Landungsfähren zur Regierungsinsel vorstoßen! Ihr Ziel ist klar: Destabilisierung des Schutzschirmes, damit der Großteil der Armee unter meinem Kommando vorrücken kann.«

Generalleutnant Linker lachte betont zustimmend.

»Es freut mich, dass Sie dem Plan optimistisch gegenüberstehen, Generalleutnant, denn Sie werden den Oberbefehl der Operation tragen. Ich erwarte, dass Sie an der Mission teilnehmen!«

»Ich, Sir?«

»Ja, Linker, genau Sie!«

Linker wirkte über diesen Befehl nicht sehr erfreut. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, doch er hatte wohl kaum die Möglichkeit, Beningtons Befehl abzulehnen.

»Ich habe noch eine glorreichere Idee«, warf Peter de la Siniestro ein. »Als Oberbefehlshaber des Heeres werde ich mit dem Hauptteil der Armee einrücken, nachdem der Schutzschirm zusammengebrochen ist. Sie, Generalmarschall Benington, haben die Ehre, persönlich an dem Kommando teilzunehmen!«

Ash musste sich das Lachen verkneifen, als er Beningtons entgeistertes Gesicht sah. Nun mischte sich auch der Admiral ein.

»Eine geniale Idee meines Bruders. Mehr Ehre können Sie gar nicht mehr erreichen, wenn das funktioniert. Meinen Glückwunsch!«

Benington sah sich verunsichert um. Er wollte einen Einwand erheben, doch er hielt inne. Natürlich wollte er als Generalmarschall nicht wie ein Feigling vor allen dastehen.

»So sei es dann. Wir werden eine Schlacht führen, die in die Geschichtsbücher als Entscheidungsschlacht von Andromeda eingehen wird, darauf können Sie sich verlassen, meine Herren!«

Wütend stapfte Benington aus dem Besprechungszimmer. Orlando blickte ihm schmunzelnd hinterher. Dann wurde er wieder ernst und wandte sich an seinen Bruder.

»Bist du sicher, dass du das hinkriegst?«

»Natürlich, Orly! Ich bin schließlich der Oberbefehlshaber des Heeres! Ich werde den glorreichen Sieg holen, das verspreche ich.«

Orlando seufzte, er schien nicht so recht daran zu glauben. Ash war überrascht, wie offensichtlich er das zeigte, immerhin waren hier viele einfache Offiziere anwesend. Obgleich diesen auch bekannt war, dass Peter de la Siniestro nur aufgrund seines Vaters zu dem Oberkommando gekommen und militärisch eine Niete war, fand Berger es unpassend, seine Unfähigkeit so herauszustellen.

Der Admiral schloss die Lagebesprechung mit den besten Wünschen für sie alle. Ash sah zu Henner von Herker hinüber, der vergnügt grinste.

»Das wird ja eine Gaudi. Linker und Benington mit uns. Die werden sich fein in die Hose kacken, darauf wette ich hundert Galax!«

Ash lachte.

»Mir ist es viel wichtiger, dass wir heil aus der Sache herauskommen. Was aus den beiden wird, ist mir egal.«

Er atmete tief durch, denn bald ging es los. War es wirklich die Entscheidungsschlacht von Andromeda?

11. Der letzte Kampf um Vircho

Aurec sah angespannt auf die Funktionsanzeige des Schutzschirms. Vor vier Stunden hatte das Quarterium mit einem heftigen Bombardement begonnen. Einen so starken Angriff hatte es die ganzen Monate über nicht gegeben.

Am Himmel donnerte und grollte es. Die Farben der Entladungen wechselten von grellem Gelb über düsteres Rot zu fahlem Weiß. Verzweigte Blitze zuckten über ihren Köpfen.

Der Saggittone rief seine Befehlshaber zu sich: den Maahk Grek-3¼, den Akonen Tervo Meeden, den Tefroder Pasreol Farch und Oberst Kamrahn, den Befehlshaber der Saggittor-Brigaden. Joak Cascal war natürlich auch anwesend.

»Das kann noch Tage so gehen, doch ich befürchte, dass der Schutzschirm hin und wieder Strukturlücken aufweisen wird«, erklärte der Maahk, für seine Verhältnisse sehr emotional.

»Durch die dann quarteriale Einheiten angreifen werden«, stellte Joak Cascal lakonisch fest.

»Das wäre die logische Konsequenz«, bestätigte Grek-3¼.

»Die Truppen sollen sich auf einen Luftangriff vorbereiten. Ist abzusehen, wann und wo der Schutzschirm das erste Mal destabilisiert wird?«, wollte Aurec wissen.

»Das ist einfach zu berechnen. Bei gleicher Stärke des Punktbeschusses wird in 41 Minuten der erste Strukturriss für exakt 23 Sekunden entstehen.«

Bis dahin mussten die Truppen einsatzbereit sein. Das Quarterium wollte nun mit allen Mitteln den Sieg erzwingen. Sie würden sich nicht mehr lange halten können. Vielleicht einige Tage oder mit etwas Glück ein, zwei Wochen noch, dann würde der Schutzschirm komplett zusammenbrechen und das Quarterium sie überrennen.

»Feldherr Farch, wie stehen die Chancen, dass ihre Armeen bis nach Vircho vordringen können?«

Aurec bemerkte, wie er sich mit den Händen an die Tischplatte klammerte.

»Generalmarschall Sizemore heizt unseren Truppen gewaltig ein. Ich fürchte, wir stehen auf verlorenem Posten.«

War es Zeit für die Kapitulation? Das Leben von 170.000 Soldaten lag in seinen Händen. Sie alle würden weiterleben, denn als Menschen blühte ihnen zumindest kein Entsorgungslager. Sie verloren die Schlacht um Andromeda. Mit den Tefrodern war das stärkste Volk besiegt, demoralisiert und militärisch sicherlich erst einmal erledigt. Die Maahks allein würden dem Quarterium nicht standhalten können. Was war nur mit Perry Rhodan? Gut, er band den Großteil der Quarterialen Flotte, doch Aurec brauchte ihn hier!

Das Beben des Bodens registrierte Aurec kaum noch. Es war zur Gewohnheit geworden. Cascal kam mit einer Nachricht von der Aufklärung wieder. Demnach war der Emperador höchstpersönlich auf Tefrod. Was für eine einmalige Chance, dem ganzen Schrecken ein Ende zu bereiten, doch dafür fehlten Aurec die Truppen.

Sein schwacher Rest Hoffnung wich der Ernüchterung. Realistisch gesehen hatten sie verloren. Es galt nur noch, Zeit zu gewinnen, und es wurde immer unwahrscheinlicher, dass sie lange genug durchhielten.

2. September 1307 NGZ

08:12 Uhr

Der Schutzschirm wies eine erste Strukturlücke auf. Wie ein Schwarm Heuschrecken stießen die Landefähren durch die kleine Lücke und wurden sofort durch heftiges Luftabwehrfeuer vom Feind eingedeckt.

Die Raumfähre neben Ash Berger explodierte.

Henner Wosslyn fing plötzlich an zu singen.

»I wish I was in Cartwheel, o yeah, my home there I good feel!«

Die nächste Fähre explodierte. Dann schloss die Strukturlücke und vernichtete die Space-Jets, die gerade hindurchflogen. Das Abwehrfeuer wurde immer stärker.

»Das überstehen wir nie«, rief ein Soldat.

»Schnauze!«, brüllte Henner von Herker.

Plötzlich wurde die Fähre von einer Energiesalve gestreift. Der Schutzschirm brach zusammen.

»Abspringen«, befahl Henner von Herker. Sofort öffnete er die Außenluke. Ein unachtsamer Soldat wurde vom Druck herausgeschleudert. Hoffentlich war er so geistesgegenwärtig, das Gravopack des Schutzanzuges zu aktivieren.

Ash sprang ohne zu zögern, als er an der Reihe war. Henner von Herker brüllte ihm lachend noch etwas hinterher, dann ließ auch er sich in die Tiefe fallen.

Berger nutzte erst einmal den freien Fall, um schneller nach unten zu kommen. Dann aktivierte er dreihundert Meter über dem Erdboden das Gravopack. Ein Soldat links unter ihm wurde von einem Flugabwehrgeschütz getroffen und zerfetzt, die abgetrennten Körperteile flogen Ash entgegen. Nur mit Mühe gelang es ihm, den Überresten seines Kameraden auszuweichen.

Er landete auf dem Dach eines Hochhauses, wo sich schon einige andere Soldaten befanden. Er erkannte Oberleutnant Wissmer.

»Schön, dass du es geschafft hast, Ash«, begrüßte Gert ihn erfreut. Dann deutete er hinunter. »Wir sitzen hier auf dem Präsentierteller. Lass uns nach unten gehen.«

»Ja«, bestätigte Ash.

Wissmer eilte zur Tür des Daches, die zum Treppenhaus führte. Er blieb stehen, nahm seinen Antigrav und drückte die Tür auf. Er gab zwei Gefreiten das Zeichen, Granaten ins Treppenhaus zu werfen. Nachdem die Geschosse detonierten, gab er den Befehl reinzugehen.

Es gab keinen Widerstand in dem Hochhaus. Ash blieb stehen und schaute aus dem Fenster, um sich zu orientieren. Sie befanden sich direkt am Hafen. Das bedeutete, die Überfahrt stand ihnen noch bevor. Über eine Distanz von drei Kilometer offenes Wasser waren sie für den Feind eine perfekte Zielscheibe.

Die Schutzschirmgeneratoren lagen auch auf der Regierungsinsel. Ehe sie diese erreichten, mussten sie erst einmal das Hafenviertel säubern.

Als sie die Straße erreichten, brausten zehn Okrill-Shifts an ihnen vorbei. Dahinter folgte ein gepanzerter Gleiter, der stehen blieb. Benington und Linker stiegen aus.

»Oberleutnant, wo ist Ihre Mannschaft?«, fragte Benington.

Wissmer und Ash blickten sich fragend an, wer von den beiden Oberleutnants nun antworten sollte. Wissmer ergriff die Initiative.

»Die sind weit verstreut, Sir! Unsere Fähre wurde vor der Landung getroffen.«

»Sammeln Sie die Truppen. Ich werde derweil das Hafengebiet vom Feind säubern«, verkündete Benington hochtrabend und gab den Befehl, dass die Shifts das Feuer eröffneten sollten.

Berger zwang sich, nicht den Kopf zu schütteln. Sein Vorgesetzter wusste doch nicht einmal, wo der Feind war. Es konnte gut sein, dass er seine eigenen Leute traf.

Er und Wissmer machten sich daran, ihren Befehl zu befolgen und ihre Mannschaften einzusammeln. Der Feind gab kaum einen Schuss ab. Schließlich stellten auch Beningtons Shiftpanzer das Feuer ein. Langsam rückte man in Richtung Hafen vor.

Unterwegs trafen Berger und Wissmer auch ihre Kameraden Nakkhole, Bulrich, Shiningjokes und Blacktree. Kurz darauf stießen auch Henner von Herker und Henner Wosslyn zu ihnen.

»Alle wieder vereint«, sagte Blacktree stolz.

»Uns kriegt keiner klein!«, jubelte Wosslyn.

Die Alliierten mussten sich während der Landung zur Regierungsinsel abgesetzt haben. Das Hafenviertel war ohne Zweifel unter quarterialer Kontrolle.

»Keine Fähre hat es bis zur Insel geschafft«, sagte Wissmer bedrückt. »Alle abgeschossen. Nun müssen wir über den großen Teich.«

Und das war Wahnsinn. Die Insel war bestens befestigt und man würde sie schon von weitem beschießen. Doch aller Vernunft zum Trotz gab Generalmarschall Benington den Befehl zum Angriff.

Die Landungsfähren schwebten zum Hafen. Die wenigen Geschütze wurden in Stellung gebracht und eröffneten das Feuer. Berger betrachtete die kleine Armee. Achtzig Shiftpanzer und einhundertsieben Fähren hatten es geschafft.

Mehr als zwanzigtausend Soldaten waren zum Sturm auf die Regierungsinsel bereit.

Benington stellte sich auf seinen Shiftpanzer, zog seinen antiquierten Säbel und rief: »Für das Quarterium!«

Das war das Signal. Die Shiftpanzer beschleunigten, platschten kurz ins Wasser, ehe sich die Antigravs auf die neue Oberfläche einrichteten, und brausten dann feuernd auf die Insel zu.

Henner von Herker gab den anderen ein Zeichen. Gert Wissmer bestieg mit seinem Zug die erste Fähre. Sie hob ab und schwebte aus dem Hafengelände zu.

Plötzlich schossen Raketen aus dem Wasser und trafen etliche Shiftpanzer.

»U-Boote!«, gellte von Herker.

Die Fähren machten kehrt, doch Wissmers Shuttle wurde getroffen. Brennend stürzte es ins Wasser, glitt in unregelmäßigen Schüben über die Oberfläche und kollidierte mit einem Schiff im Hafen. Berger rannte so schnell er konnte zum Raumgleiter. Überall lagen Tote. Er sprang in den Gleiter, startete und steuerte zum brennenden Wrack. Mit zitternden Knien stieg er aus. Ihm bot sich ein Bild des Grauens. Soldaten rannten schreiend und brennend aus dem sinkenden Shuttle.

»Gert!«, brüllte Ash und versuchte verzweifelt, seinen Freund zu erkennen.

In dem Moment eröffnete die feindliche Artillerie das Feuer. Zehn Meter von Ash entfernt schlug eine Energiesalve ein und warf jede Menge Schutt auf. Jetzt kletterte wieder ein Mann aus dem brennenden Wrack. Es war Gert Wissmer! Ash traf der Anblick wie ein Schlag, der ihm den Atem raubte. Wissmers linker Arm und seine Schulter fehlten. Der Verletzte wankte und torkelte auf ihn zu.

»Hierher!«, brüllte Ash, doch das sinkende Schiff senkte sich, Wissmer verlor die Balance und rutschte ins Wasser. Berger aktivierte sein Gravopack und schnellte auf ihn zu. Er war nur noch wenige Meter entfernt, als eine Artilleriesalve das Wrack traf und es explodierte. Dort, wo vor einer Sekunde noch Gert Wissmer um sein Überleben gestrampelt hatte, war nur noch eine rote Blutlache. Ash schloss die Augen, machte kehrt und flog zurück zum Hafen.

Die Quarterialen Truppen waren in heller Aufregung, denn die feindliche Artillerie und die Angriffe der Seestreitkräfte sprengten ihre Linien. Das ganze Hafenviertel brannte und glich einem Inferno.

Berger sank auf die Knie, sobald er gelandet war. Er zitterte am ganzen Körper. Roppert Nakkhole und Booz Shiningjokes eilten zu ihm.

»Ash, was ist, Mann?«

»Wissmer ist tot.«

Die beiden schwiegen. Dann packte Shiningjokes seinen Kameraden und zerrte ihn fort. Damit rettete er Berger das Leben, doch dem war das im Moment gleich. Das Bild des zerfetzten Gert Wissmer stand vor seinen Augen. Er würde es nicht vergessen. Niemals!

*

Bis jetzt verlief die Verteidigung erfolgreich, doch Aurec wusste, wie trügerisch das war. Das gesamte Hafenviertel brannte in einem gigantischen Feuerfanal. Zehntausende Quarteriale hatten bestimmt ihr Leben verloren. Es war einfach nur furchtbar! Doch sie hatten keine andere Wahl gehabt. Jetzt hieß es: sie oder wir!

Die nächste Strukturlücke entstand und zu Aurecs Entsetzen schnellten Bomber und Raumjäger durch die Lücke. Sie bombardierten die Artilleriestellungen und U-Boote. Der Außenring der Inselverteidigung brannte lichterloh.

Joak eilte herbei, um Meldung zu erstatten.

»Die Jäger bringen uns in ernste Schw…«

Ein greller Blitz zuckte durch die Strukturlücke und ließ Cascal verstummen. Der Energiestrahl donnerte auf einen Generator des Schutzschirms, dann folgte ein lauter, ohrenbetäubender Knall. Der Schutzschirm flackerte und brach schließlich zusammen.

Das war das Ende!

Sie waren nun schutzlos dem Bombardement des Quarteriums ausgeliefert. Doch kein SUPREMO-Raumer feuerte mehr. Die Raumjäger und Bomber drehten ab. Was war nun geschehen?

Die Funkerin vom Dienst, Caroline Nyndorff, trabte zu Aurec und Cascal.

»Da da da!«

»Was?«

»Da da da!«

Sie drückte Aurec den Interkom in die Hand. Der Saggittone blickte Nyndorff streng an. Konnte sie nicht anständig Meldung machen? Der Funkspruch kam vom Quarterium. Es war Orlando de la Siniestro. Cascal und Aurec sahen sich überrascht an.

»Das Quarterium wünscht kein weiteres Blutvergießen. Wir geben Ihnen eine Frist von einer Stunde zur bedingungslosen Kapitulation. Ich bitte Sie, Aurec, nehmen Sie das Angebot an.«

Orlando beendete die Verbindung. Aurec sah Cascal fragend an. Joak atmete tief durch und nickte.

»Wir haben ja keine andere Wahl. Kapitulation!«

Er spuckte verächtlich auf den Boden. Natürlich passte ihm das genauso wenig wie Aurec, doch sie hatten keine Alternative.

Was für ein Triumph des Quarteriums! Ausgerechnet an dem Tag, an dem auch der Emperador auf Tefrod weilte, würden Aurec und Joak Cascal in seine Gefangenschaft geraten. Natürlich würde das sein Ansehen beim Volk noch mehr stärken.

Remus rannte zu Aurec.

»Du musst fliehen. Wir haben noch genügend U-Boote. Damit könnt ihr beide euch absetzen«, bot er an.

Aurec lehnte dankend ab.

»Das ist nicht meine Art. Außerdem, wo sollten wir denn noch hin? Bald wird ganz Tefrod in der Hand des Quarteriums sein. Wir haben diese Schlacht verloren.«

Feuerwehrraumschiffe des Quarteriums erstickten den Brand am Hafengebiet. Danach erklangen quarteriale Märsche. Jubelrufe waren zu hören. Ihre Feinde zelebrierten den Sieg bereits, bevor er in trockenen Tüchern lag.

Aurec stützte sich mit den Armen am Geländer des Balkons ab und blickte auf die Küste.

»Jetzt brauche ich auch mal eine Zigarette.«

Cascal lächelte gequält und gab ihm einen Glimmstängel. Der Saggittone zog daran, unterdrückte ein Husten und blickte zum Himmel. Die SUPREMO-Raumer waren nicht größer als Vögel, doch sehr gut zu erkennen.

Aurec schmunzelte. Glück im Unglück, konnte man das so nennen? Weder der gefürchtete Generalmarschall Sizemore noch Benington hatte sie bezwungen, sondern der sympathische Orlando de la Siniestro mit seinen Raumschiffen. Er hatte den Schutzschirm geknackt.

Die Terraner schrieben den 2. November 1307 NGZ. Aurec fühlte sich müde und kraftlos. Vor mehr als zwei Jahren war er mit einer Flotte von Saggitton nach Siom Som aufgebrochen. Seitdem hatte er eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen, und nun war er wohl an seinem militärischen Endpunkt angelangt. Vermutlich würde man ihn und Joak Cascal früher oder später nach Objursha verfrachten und entsorgen. Aurec machte sich keine Hoffnungen. Er war viel zu gefährlich für das Quarterium, als dass sie ihn laufen lassen könnten.

Er würde Kathy niemals wiedersehen. Nun hatte er die Gewissheit. Er kramte aus seiner Brusttasche ein Bild von ihr heraus und betrachtete sie. Mehr als ein Bild würde er nicht mehr von ihr haben.

Er hatte auf ganzer Linie versagt. Doch konnte ihm keiner vorwerfen, nicht alles versucht zu haben.

Gedanklich arbeitete Aurec bereits an seiner Ansprache zu den Soldaten. Wie sollte er ihnen noch Mut machen? Was sollte er ihnen überhaupt sagen? Dass sie tapfer gekämpft hatten, aber alles letztlich umsonst gewesen war? Dass er stolz auf sie war und das Verlieren nicht zählte?

Er blickte wieder in den Himmel. Etwas näherte sich, dann plötzlich blitzte es überall. Ein SUPREMO-Raumschiff brannte und explodierte am Himmel. Schwarze Punkte kamen immer näher. Aurec erkannte die eiförmigen Raumschiffe. Es waren entropische Schlachtschiffe! Dahinter bewegten sich Scheibenraumschiffe der Saggittonen, LFT-Kugelraumer und Boxenschiffe der Posbis.

Aurec unterdrückte die Freudentränen. Er packte Joak am Arm und deutete in den Himmel.

»Sag mir, dass ich nicht träume, Joak!«

»Nein, mein Freund. Das ist die Verstärkung! Sie sind gekommen!«

12. Angriff der Entropen

»Eine Frechheit, dass dieser de la Siniestro mir den Ruhm stiehlt. Und nun gewährt er auch noch Bedenkzeit für die Feinde«, ereiferte sich Generalmarschall Benington.

Berger hatte Lust, diesem aufgeblasenen Möchtegernfeldmarschall eine reinzuhauen. Hatte er nicht genug Krieg gehabt? Dreizehntausend Soldaten waren innerhalb weniger Minuten im Feuerhagel der tefrodischen und terranischen Artillerie gestorben, darunter Ashs Freund Gert Wissmer. Er hatte ihn sterben sehen.

Reichte das nicht?

Auf einmal schrillten Alarmsirenen los. Was war nun geschehen? Generalleutnant Linker rannte hektisch zu Benington, da brach auch schon die Hölle los, als ein Dutzend eiförmige Raumer über Vircho Stellung bezogen und eine Ladung Marschflugkörper abschossen. Ringsherum jagte eine Explosion die nächste. Ein Fächer hielt direkt in die wartende 5. Quarteriale Mobile Armee unter dem Kommando von Peter de la Siniestro.

Im Chaos rannten die Soldaten schreiend durch die Gegend und suchten Schutz.

Viel zu spät feuerten die Okrillpanzer. Sie hatten keine Chance, die Schutzschirme der Raumschiffe zu gefährden.

»Rückzug«, brüllte Benington, doch es war zu spät für ihre Einheiten. Die überschweren Thermowaffensysteme der Entropen brannten eine Schneise zwischen das Hafenviertel und den Rest von Vircho. Beningtons Truppen waren von der Armee abgeschnitten.

Und schon landeten fremdartige Raumfähren, Space-Jets und terranische Transporter vor ihnen.

Ash Berger drehte sich zur Regierungsinsel um und sah mit Entsetzen, dass die Truppen dort zum Gegenangriff antraten.

»Wir sind eingekesselt«, meldete der Oberstleutnant an Generalleutnant Linker, der entsetzt und überfordert wirkte.

»Mensch, tun Sie doch was! Kämpfen Sie, Mann! Retten Sie mich!« Er packte Ash am Kragen. Berger stieß den Generalleutnant fort, der überhaupt nicht mehr reagierte. Mit weit geöffneten Augen hastete er zu Benington, der jedoch noch die Ruhe bewahrte.

Er stieg aus seinem Gleiter, unbeeindruckt vom Feuerhagel ringsherum, und eilte zu einer der letzten Raumfähren. Das durfte doch nicht wahr sein! Er setzte sich ab und ließ seine Soldaten im Stich?

»Das blöde Schwein verduftet«, rief Nakkhole wütend.

Linker rannte zu Bergers Gruppe.

»Befehl vom Generalmarschall. Sofort Gegenangriff auf die Entropen starten. Sofort! Na los, Mann oder ich mache Ihnen Beine!«

Ash hätte Linker am liebsten abgeknallt, doch das hätte ihn auch das Leben gekostet. Eine Granate schlug neben ihnen ein und warf sie zu Boden. Berger rappelte sich wieder auf und sah eine Horde der gewaltigen vierarmigen Entropen auf sie zu rennen.

»Feuer!«, brüllte er.

Die Männer gingen hinter dem Schutt in Stellung und schossen um ihr Leben. Dutzende Entropen gingen zu Boden, doch es kamen immer mehr. Dann hielten sie inne und suchten selbst Schutz. Die Shiftpanzer hinter ihnen eröffneten das Feuer. Die Detonationen kamen immer näher. Es herrschte ein heilloses Chaos. An einigen Stellen gelang den Grautruppen der Vorstoß, an anderen Positionen brachen die Entropen und Terraner durch.

Generalleutnant Linker rappelte sich wieder auf.

»Kämpfen, schön weiterkämpfen. Ich sorge für Entsatz …«

Zwei LFT-Soldaten stürmten von rechts heran. Nakkhole zog die Waffe in ihre Richtung und feuerte. Sie brachen tot zusammen. Linker packte den einen LFT-Soldaten, zog ihm die Uniform aus und streifte sie sich selbst über.

»Der haut auch ab«, bemerkte Nakkhole zu Berger.

»Ja, läuft über zum Feind, damit ihm nichts geschieht.«

»Naja«, meinte Nakkhole, »er trägt ja jetzt die Uniform des Feindes. Für mich ist er einer …«

Er legte an und schoss dem weglaufenden Linker in den Rücken. Schreiend brach der Deserteur zusammen. Er kroch noch ein paar Meter, dann blieb er regungslos auf dem Boden liegen. Für Ash Berger war die Sache klar. Generalleutnant Linker war tot!

Mehrere Raumfähren stiegen gen Himmel und brausten in Richtung Stadtrand, um sich in Sicherheit zu bringen. Eine wurde getroffen und stürzte ins Meer. Den anderen gelang die Flucht.

Henner von Herker meldete sich per Funk. Wenige Minuten später durchbrachen zehn Shiftpanzer die Linie und positionierten sich neben Bergers kleinen Haufen. Henner von Herker und Henner Wosslyn stiegen aus.

»Glückwunsch, du bist jetzt der Herr über das Rudel. Linker ist gefallen«, sagte Nakkhole grinsend zu von Herker.

»Den Durchbruch schaffen wir nicht. Wir sind eingekesselt. Aber meine Männer haben einen intakten Transmitter gefunden. Wir sammeln uns in der Caldon-Werft und werden uns geordnet zum nächsten SUPREMO abstrahlen«, erklärte dieser.

Berger hätte von Herker gar nicht so viel Grips zugetraut, doch das Militär war seine Domäne. Da fühlte sich von Herker wohl. Langsam zogen sie sich zur Werfthalle zurück. Dort sah Ash bereits den Transmitter. Einige tausend Soldaten kämpften rings um das Gelände. Krizan Bulrich gehörte zu den ersten, die durch den Transmitter gingen.

Plötzlich traf Ash eine Energiesalve am Bein. Sein ID-Schutzschirm war schon längst verbraucht, also brannte sich die Thermoenergie in sein Fleisch. Roppert packte ihn und stützte ihn. Als Verwundeter wurde Berger bevorzugt behandelt und zum Transmitter durchgelassen. Gestützt auf Roppert Nakkhole verließ er Tefrod. Als er aus dem Transmitter ausstieg, hallten die erlösenden Worte »Willkommen auf der EL CID« aus den Lautsprechern.

Es war vorerst geschafft, doch Berger war klar: Das Quarterium war gerade im Begriff, eine Niederlage einzustecken.

*

Aurec und Joak Cascal hatten den Gegenangriff gestartet. Es war wichtig, sofort mit den rettenden Truppen in Kontakt zu treten.

Während die Shiftpanzer und Gleiter über das Meer rauschten, ohne angegriffen zu werden, erhielt Aurec eine Meldung vom Oberbefehlshaber der Entsatztruppen, einem gewissen Commander Henry Portland. Das markante Gesicht des älteren Terraners erschien auf dem Display des kleinen Bordmonitors des Shifts.

»Flak, welche Freude«, rief Cascal.

»Danke, Sir! Ich darf melden, dass wir mit 21.000 Raumschiffen der Terranischen 8. Flotte und 50.000 Schlachtschiffen unserer entropischen Verbündeten sowie 1.000 Pyramidenraumer der Kemeten eingetroffen sind. Das Quarterium wurde völlig überrascht, deshalb konnten wir faktisch ohne Gegenwehr nach Vircho vorstoßen. Weitere Truppen sind auf dem Weg!«

Aurec lächelte.

»Portland, das ist die beste Nachricht seit Monaten. Versuchen Sie, die Truppen einzukesseln. Und dann gibt es eine weitere wichtige Neuigkeit: der Emperador ist auf Tefrod. Das ist die Chance, um ihn zu kriegen!«, empfahl der Saggittone. Sein Gegenüber schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, Sir! Wir haben starke Transmitteraktivitäten geortet, die direkt zur EL CID führen. Das Flaggschiff des Quarteriums wird gut abgeschirmt und setzt sich langsam zum Rand des Systems ab. Ich fürchte, de la Siniestro ist längst an Bord.«

Das hatte Aurec befürchtet. Nun wollte er jedoch den Spieß umdrehen und ließ sich von Caroline Nyndorff eine Verbindung zu Orlando de la Siniestro auf der TERRA herstellen. Das Gesicht von Orlando erschien auf dem Display, er wirkte ernst, was Aurec nachvollziehen konnte, da sich seine Armee gerade auf dem Rückzug befand. Er unterdrückte ein triumphierendes Grinsen. Das hatte Orlando für seine Menschlichkeit nicht verdient. Dann gab er ihm seine Antwort:

»Ich danke Ihnen für das ehrenhafte Angebot einer geordneten Kapitulation, doch ich lehne ab. Im Gegenzug biete ich Ihnen eine Feuerpause an, damit Sie Ihre Truppen unversehrt abziehen können. Sowohl das Heer als auch Ihre Raumflotte sind uns unterlegen. Wir erwarten den kompletten Abzug der quarterialen Streitkräfte innerhalb von dreißig Minuten aus dem Tefa-System.«

Orlando schaute Aurec betreten an. Er kämpfte sichtlich mit dem Umschlag der Machtverhältnisse. Dann drehte de la Siniestro sich um, hielt anscheinend Rücksprache. Vermutlich musste er Instruktionen von seinem Vater einholen. Dann wandte er sich wieder Aurec zu, mit einer seltsamen Ruhe in den Zügen.

»Einverstanden, Sir! Ich danke im Namen der quarterialen Armee für dieses Angebot.«

Aurec nickte.

»Es ist genügend Blut vergossen worden. Ich hoffe, das Quarterium überdenkt seine Expansionspolitik und kehrt nach Cartwheel zurück.«

Orlando beendete ohne ein weiteres Wort die Verbindung. Nun entgleisten Aurecs Gesichtszüge. Grinsend blickte er zu Cascal, der tief durchatmete. Der erfahrene Kämpfer schüttelte den Kopf.

»Wie sollen wir mit so einem Pazifisten wie dir den Krieg nur gewinnen? Aber du hast wohl recht. Es gab genügend Tote auf Tefrod. Hoffentlich sind die Leute, die wir jetzt verschonen, nicht in der nächsten Schlacht das Zünglein an der Waage.«

Das konnte so oder so ausgehen, dachte Aurec.

13. Verlierer

Cauthon Despair

»Die Evakuierung ist durchgeführt worden, Quarteriumsmarschall«, meldete Oberst Tantum.

»Erteilen Sie der Flotte den Befehl zum Rückzug. Kurs auf NGC185. Wir nehmen Abschied von Andromeda. Senden Sie einen entsprechenden Befehl an die Flotten, die quer in Andromeda verteilt sind.«

Ich warf einen Blick auf Tefrod, das immer kleiner wurde. Wir hatten eine bittere Niederlage kassiert. Der Angriff der Entropen und LFT kam völlig überraschend, da wir vermutet hatten, sie würden von Uwahn Jenmuhs gejagt werden.

Was war überhaupt aus Jenmuhs mit seinen fast 90.000 Schlachtschiffen geworden? Den letzten Meldungen zufolge waren sie auf dem Weg in die Zwerggalaxie Draco, 280.000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Dort sollte sich das Hauptlager der Terranischen 8. Flotte und ihrer Alliierten befinden. Jenmuhs wollte es zerschlagen. Gelang es ihm, war der Weg in die Milchstraße frei. Versagte er, war vermutlich der gesamte Feldzug gescheitert. Da jedoch über 21.000 Raumschiffe der Terranischen 8. Flotte im Tefa-System aufgetaucht waren, schien Jenmuhs die Liga keineswegs geschwächt zu haben.

Virginia Mattaponi kam zu mir. Sie überreichte mir Berichte über die Operation von Generalmarschall Benington. Seine Verluste waren besonders hoch. Und seine Mission war ein kompletter Fehlschlag gewesen. Wären nicht so viele Soldaten dabei gestorben, hätte ich mich darüber sogar gefreut.

»Cauthon?«

Virginia sah mich aus braunen Augen fragend an.

»Ich … ich hab mir gedacht, damit du nicht nur an deine Sorgen denkst, koche ich heute wieder. Ist das in Ordnung?«

Die Eroberung von Andromeda war gescheitert und sie dachte nur daran, mir etwas zu kochen. Wie beschränkt sie doch wirkte. Oder vielleicht doch nicht. Sie versuchte, mich aufzubauen. Aus Virginia wurde ich nicht schlau. Mein eigener Hausgroupie verwöhnte mich so gut es ging und vergötterte mich regelrecht.

Immerhin war sie die Einzige, die mich so akzeptierte, wie ich war. Keine Vorwürfe, keine Kritik, keine Arroganz. Damit hatte sie den Brettanys, Constances und Myrielles einiges voraus.

Ich bedankte mich.

»Gern, etwas Ablenkung dürfte mir guttun. Es wird einige Tage in Anspruch nehmen, bis wir Draco erreicht haben. Nun entschuldige mich, ich muss zum Emperador.«

Virginia lächelte herzlich und schien sich über meine Zusage zum Essen aufrichtig zu freuen. Sie war wirklich wunderlich. Aber nun musste ich die weitere Vorgehensweise mit dem Emperador absprechen.

Der alte Spanier saß traurig im Besprechungsraum. Nur Orlando und Diabolo waren bei ihm.

»Wir müssen handeln, Emperador!«, drängte ich.

Er blickte mich verständnislos an.

»So viele Tote! Wir haben viertausend Schlachtschiffe und mehrere hunderttausend Soldaten innerhalb einer Stunde verloren. Wo soll das noch enden?«

Ich überlegte einen Moment und wog unsere Optionen ab. Dann antwortete ich:

»Wir haben im Prinzip nur zwei Möglichkeiten: Entweder ziehen wir uns komplett aus der Lokalen Gruppe zurück oder entsenden alle verfügbaren Schiffe in die Draco-Galaxie, um Jenmuhs zu unterstützen. Ohne das Sternenportal preiszugeben, könnten wir fünfzigtausend SUPREMOS mobilisieren, die sofort aufbrechen können.«

Seine faltigen Züge hellten sich auf.

»Eine Entscheidungsschlacht vor den Toren der Milchstraße? Ja! Und ich werde persönlich dieser Schlacht beiwohnen. Wie einst El Cid werde ich den Sieg davontragen.«

Wenn dies der Wunsch des Emperadors war, würde ich ihm entsprechen. Es war nur wichtig, dass wir schnell nach diesem Desaster handelten.

»Darf ich den Marschbefehl erteilen, Sir?«

De la Siniestro stand auf, schien neue Kraft gewonnen zu haben.

»Oh ja, Despair! Setzen Sie alles in Bewegung, was wir haben. Perry Rhodan wähnt sich als Sieger, doch nun wird das Quarterium ihn endgültig auslöschen!«

14. Gewinner

6. November 1307 NGZ, Vircho, Tefrod

Die Parade zu Ehren der Sieger war groß. Von überall her kehrten die Bewohner der Millionenmetropole in die Stadt zurück. Zwar saß der Schock über die Verwüstungen tief, doch man hatte Mut geschöpft, Vircho schnell wieder aufzubauen.

Aurec genoss die Euphorie der Tefroder, Terraner, Saggittonen und Akonen und ließ die gute Stimmung auf sich wirken. Sein Gleiter fuhr zu einem noblen Restaurant, in dem vorher das Quarterium residiert hatte. Dort sollte er sich mit der Oberbefehlshaberin der Entropen, der Hexe Katryna treffen. Auch Henry Portland war anwesend.

Aurec, Joak Cascal und Remus Scorbit stiegen aus dem Gleiter aus und wurden vom Volk frenetisch gefeiert. Es war dem Saggittonen schon fast unangenehm, so im Mittelpunkt des Jubels zu stehen, doch die Freudengesänge berührten ihn sehr stark. Etwas mehr als drei Monate hatte Tefrod unter quarterialem Diktat gelegen, nun war es wieder frei.

Aurec war sich gewiss, dass das Quarterium vorerst nicht wieder angriff. Er befürchtete jedoch, dass die Milchstraße nun mehr und mehr im Fokus des feindlichen Reiches stand.

Die drei betraten den festlich geschmückten Saal. Eine ganze Delegation aus Entropen, Tefrodern und Terranern erwartete sie bereits. Zuerst trat Henry Portland ihnen entgegen.

»Schön Sie munter zu sehen, meine Herren! Heute sind wir die Gäste der Tefroder.«

Flak deutete auf Sha Otarin, der sie nun auch bemerkte und mit einem Lächeln auf die drei zuging. Er umarmte Aurec, Cascal und Remus und dankte ihnen überschwänglich.

»Dafür, dass Sie eigentlich eine Evolutionsstufe unter uns stehen, haben Sie das gut gemacht!«

Otarin lachte schrill. Aurec ließ sich seine Stimmung nicht von dem aufgeblasenen Virth zunichtemachen. Seit seine Tochter Shara auf dem 5. Planeten unter geheimnisvollen Umständen samt der uralten Station der MdI verschwunden war, änderte sich seine Persönlichkeit zunehmend, kurz gesagt, er wurde immer mehr zum Kotzbrocken.

Aurec begrüßte die Entropen. Noch immer wirkten sie ihm wenig vertraut. Die Hexenmeisterin Katryna blickte den Saggittonen aus ihren unergründlichen Augen an. Neben ihr stand General Kemparch, ein sogenannter Tertiärentrope. Rechts daneben schwebte ein Denker, ein Primärentrope. Aurec fiel eine schöne Frau dahinter auf. Ihr langes, dunkles Haar trug sie offen. Doch Katryna stellte sich sogleich in den Vordergrund.

»Sie sind uns Dank schuldig, Kanzler Saggittors.«

Aurec lächelte und zeigte den Ansatz einer Verbeugung.

»Ihre Hilfe kam zur rechten Zeit. Portland hat mir berichtet, dass Sie lange zögerten, einen erneuten Angriff auf Tefrod zu starten. Wieso?«

Katryna lachte.

»Die Arroganz von Perry Rhodan, was sonst? Er glaubt, er sei der Erbe des Universums, dabei ist er nichts weiter als ein gewöhnlicher Mann! Nun, doch wir kämpfen auf der gleichen Seite, daher war es notwendig, euch zu retten, bevor das Quarterium euer Schicksal besiegelte.«

Katryna lächelte nun unschuldig und fuhr mit ihren Fingern über Aurecs Brust.

»Es wäre doch jammerschade gewesen, wenn Ihr gestorben wäret. Das wäre eine Verschwendung gewesen. Ich spüre, dass Ihr klüger als Perry Rhodan seid. Eine Allianz zwischen uns beiden würde dem Universum guttun …«

Aurec ging darauf nicht ein. Auch wenn Katryna ihn offensichtlich bezirzen wollte, ließ ihn das kalt. Er dachte an Kathy. Sie war die einzige Frau für ihn.

Dennoch interessierte ihn, wer die brünette Hexe im Hintergrund war. Aurec hatte sie noch nie gesehen.

»Ist das Ihre Assistentin?«, fragte er schließlich Katryna. Diese drehte sich enttäuscht um.

»Nein, eine Hexe. Ihr Name ist Constance Zaryah Beccash. Ach, beinahe hätte ich es doch vergessen. Sie hat ein paar Freunde von Ihnen aus M 87 mitgebracht.«

Was? Aurec konnte es nicht glauben. Er ging zu Constance, stellte sich mit wenigen Worten vor und fragte dann, welche Freunde sie mitgebracht hätte.

»Oh, Sie sind Aurec? Welche Ehre! Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Ihr Terraner seid so richtig interessant. Besonders Cauthon.« Sie seufzte. Hörte sich beinahe verliebt an.

»Wie bitte?«

»Ach, Sie wissen ja noch gar nichts von unserem Abenteuer auf Ednil? Na, das war ein Erlebnis. Leider ist es uns nicht gelungen, die Auferstehung von Nistant zu verhindern. Jetzt werden wir wohl alle bald sterben …«

Die junge Hexe wirkte nach Aurecs Empfinden etwas verwirrt, aber sie besaß eine naive Ehrlichkeit, die er mochte.

»Katryna berichtete, Sie hätten Freunde von mir in M 87 getroffen?«

»Ach ja. Richtig!« Constance lachte schrill. »Die sind im Nebenzimmer und warten da auf Sie! Herrje, das hätte ich beinahe vergessen. Dabei sind die so nett gewesen. Naja, bis auf die eine blonde Kuh. Die mag mich nicht, ich mag sie aber auch nicht.«

Aurec fand, dass Constance wirklich sehr direkt war. So viel hatte er gar nicht wissen wollen. Er bat sie, ihn zu den Neuankömmlingen zu führen, wer immer auch im Nebenraum auf ihn wartete. Dort endlich wurde das Rätsel gelöst. Voller Freude blickte Aurec in die Gesichter von Jonathan Andrews, Gal’Arn, Jaktar, Elyn und Anya Guuze.

Er begrüßte alle herzlich.

Gal’Arn und Jonathan Andrews berichteten abwechselnd von den Ereignissen in M 87. Von der Begegnung mit den geheimnisvollen Riffanern auf Ednil, der Auferstehung eines Mannes namens Nistant, einer potenziellen Gefahr durch das kosmische Riff und dem Tod von Torsor dank des Paladin-Roboters und den Siganesen, von denen drei das Kommando überlebt hatten.

Aurec betrauerte zwar den Tod von Hermes Eisar, war aber umso glücklicher, dass die anderen drei Winzlinge es geschafft hatten. Und noch etwas ließ sein Herz höherschlagen: offenbar ging es Kathy und Nataly zumindest vor einigen Wochen noch gut, da ein Riffaner von ihnen gesprochen hatte. Aurec wusste nur zu gut, dass dies keine Garantie war, aber es ließ ihn hoffen.

Er war auf jeden Fall froh, seine Freunde gesund und munter wiederzusehen, nachdem sie im April nach M 87 aufgebrochen waren.

»Wie seid ihr so schnell zurückgekommen?«, wollte er wissen.

»Die Entropen verfügen offenbar über eine Art Sternenportal. Zumindest gelang es uns dank der Hexe Constance, nach Andromeda zu gelangen. Wir wissen jedoch nicht wie, denn die TERSAL befand sich im Hangar eines entropischen Raumschiffes und wir durften nicht raus«, erklärte Jonathan.

Nach einer Weile kamen auch Joak Cascal und Remus Scorbit in das Zimmer und begrüßten ihre Freunde. Als Cascal Anya sah, wirkte er wie erstarrt. Er grüßte sie knapp und wandte sich von ihr ab. Das hatte Aurec nicht erwartet.

»Was wird unser nächster Schritt sein«, wollte Joak wissen.

Die Frage war nicht unberechtigt, doch eigentlich wollte der Terraner damit nur von der unangenehmen Atmosphäre ablenken. Aurec bemerkte, wie Anya Guuze den General mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung ansah.

»Wir haben zwar eine Schlacht gewonnen, doch noch lange nicht den Krieg. Perry Rhodan und der Großteil der Terranischen 8. Flotte befinden sich in der Draco-Galaxie.

Ich befürchte, dass Despair mit seiner Flotte auf dem Weg dorthin ist. Also werden wir Perry unterstützen und schon morgen aufbrechen.«

Die anderen stimmten zu. Aurec atmete tief durch. Andromeda wurde erfolgreich verteidigt, doch die Schlacht um die Milchstraße hatte nun erst richtig begonnen. Was wohl andernorts geschah? Wo war die Schlange Uwahn Jenmuhs unterwegs? Immerhin befehligte er eine Flotte mit erheblicher Kampfkraft. Würde Perry Rhodan ihm gewachsen sein?

15. Ein wichtiger Sieg

Ich richte mich mit dieser Sendung an alle freiheitsliebenden Wesen in der Lokalen Gruppe und sende über meine Medien der FOCUS in Hyperfunk und die sozialen, galaktischen und intergalaktischen Netzwerke. Das Reich des Bösen wankt! Das finstere, diabolische Quarterium steckte zwei bittere Niederlagen in Folge ein. Der Mythos der Unbesiegbarkeit ist gebrochen! Despair und seine Schergen können geschlagen werden!

Zuerst versetzte der Tod des unheilvollen Bestiengiganten Torsor die Lokale Gruppe und M 87 in verzückte, erleichternde Freude. Nach dem Tod der Bestie wurde das Engagement des Quarteriums in M 87 deutlich reduziert. Den Bestien wurde vom Emperador de la Siniestro die Kontrolle von M 87 überlassen. Doch was im ersten Moment großzügig aussieht, ist ein wohl kalkulierter Plan, nicht noch mehr Truppen in M 87 einzusetzen. Da die Divisionen der Bestien zum größten Teil sowieso in Druithora eingesetzt kämpfen, macht es nach quarterialer Strategie wohl mehr Sinn, auf die wenigen, außerhalb eingesetzten Einheiten zu verzichten, statt eine Flotte von Terranern, Arkoniden oder Pariczanern in M 87 zu binden.

Druithora ist vorerst nicht mehr Schauplatz des Intergalaktischen Kriegs. Zumindest ist die Schlacht um Druithora nun auf die Bestien und Konstrukteure des Zentrums beschränkt. Ein galaktischer Bürgerkrieg statt eines intergalaktischen Krieges epischen Ausmaßes.

Die zweite Niederlage oder – wenn wir es positiv sehen – der zweite große Sieg unserer Jungs und ihrer Verbündeten geschah vor wenigen Tagen auf der Hauptwelt der Tefroder Tefrod. Im heiß umkämpften und über Monate belagerten Vircho sah es so aus, als würden die vereinten Truppen der LFT, Saggittor und Tefrod untergehen, als urplötzlich Schlachtschiffe der Terranischen 8. Armee und der neuen Verbündeten, den Entropen, über Tefrod einfielen und die Quarterialen zum Rückzug zwangen.

Innerhalb weniger Tage zog sich das Quarterium komplett aus Andromeda zurück und schlug einen unbekannten Kurs ein. Trotz des glorreichen Sieges der tapferen Soldaten aus der LFT, Saggittor und Andromeda schwebt die Gefahr des Quarteriums immer noch wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Mit mehr als 90.000 Schlachtschiffen jagt der ebenso fette wie gefährlich wahnsinnige und machtbesessene Uwahn Jenmuhs mit seiner Raumflotte Perry Rhodan und die Terranische 8. Flotte zwischen Andromeda und der Milchstraße. Nun könnten sogar noch die Einheiten aus Andromeda mit Despair und sogar dem Emperador an der Spitze den Gos’Shekur verstärken.

Perry Rhodan könnte es bald mit der gesamten quarterialen Elite zu tun kriegen. Doch es besteht Hoffnung durch die Verbände der Saggittonen, LFT und Entropen, jener mysteriösen Verbündeten, die ebenfalls Rhodans Flotte verstärken könnten.

So oder so, ich habe das untrügliche Gefühl, dass es bald zu einer großen Entscheidungsschlacht kommen wird.

Ihr Roppert »Speaky« Mohlburry
im November 1307 NGZ

16. Im Vorhof der Milchstraße

7. November 1307 NGZ

In den frühen Abendstunden des 7. Septembers erreichte die gewaltige quarteriale Flotte unter dem Kommando von Uwahn Jenmuhs die Randbezirke der Zwerggalaxie Draco.

Diese bislang unbeachtete Sternenballung lag 280.000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Sie besaß lediglich einen Durchmesser von 3500 Lichtjahren. Die Anzahl ihrer Sonnen wurde auf etwa drei Millionen geschätzt. Messungen hatten eine äußerst flache Rotationskurve bis weit nach außen sowie ein großes Masse-Licht-Verhältnis angezeigt. Sie legten nahe, dass die Galaxie von einem großen Halo aus Dunkler Materie umgeben wurde, welcher die Größe ihres sichtbaren Teils signifikant übertreffen dürfte.

Dies alles interessierte Uwahn Jenmuhs jedoch herzlich wenig. Er wollte hier seinen größten Triumph erleben: die Vernichtung von Perry Rhodan, der mit dem Großteil der Terranischen 8. Flotte nach Draco geflohen war. Mit über 90.000 Raumschiffen war ihm Jenmuhs gefolgt und hatte ihn in die Enge getrieben.

Als man dem Gos’Shekur die Ankunft bei Draco gemeldet hatte, schlurfte er zufrieden in den eigens für ihn eingerichteten Thronsaal, der ihm als Kommandozentrale diente. In der Mitte des dunklen Saales stand ein opulenter Sessel, der Uwahn Jenmuhs’ Körpermaßen genügend Platz bot. Ächzend hievte sich der fette Arkonide auf seinen Thron. Auf dem Panoramabildschirm vor ihm strahlte die Zwerggalaxie. Schnaufend nahm er Kontakt mit der eigentlichen Kommandozentrale auf und befahl Admiral Terz da Eskor und General Mandor da Rohn zu sich. Wenige Minuten später betraten die beiden Offiziere den Thronsaal und verneigten sich ehrerbietig.

»Wie lauten Eure Befehle, Gos’Shekur?«, erkundigte sich Admiral da Eskor.

»Beginnt umgehend mit einem groß angelegten Angriff auf Draco, damit wir so schnell wie möglich das Versteck finden, in dem sich Rhodan feige verkrochen hat. Jagt dieses Gewürm aus seinen Höhlen, vernichtet sie, wo ihr sie trefft! Perry Rhodan aber will ich lebendig und unversehrt haben. Er soll, in Energiefesseln gelegt, meine Siegestrophäe werden, er soll vor meinem Wagen laufen, wenn ich meinen Triumphzug in Terrania abhalte«, gebot Jenmuhs schwärmerisch.

»Bis dahin ist noch ein weiter Weg, Erhabener«, gab Mandor da Rohn zu bedenken.

Jenmuhs winkte ab. »Dies ist nur eine Frage der Zeit. Gegen unsere Flotte kann Rhodan nichts ausrichten. Und wenn wir ihren Anführer haben, brechen die Terraner zusammen. Ohne ihn sind sie nichts. Außerdem werden wir Imperator Bostich davon überzeugen, dass die Posbis eine große Gefahr sind. Wenn er eine zweite Front in der Milchstraße eröffnet, haben wir gewonnen.«

»Aber Seryklya ta Helonk hat uns vor nicht einmal drei Monaten klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass Bostich sich passiv verhalten wird«, erinnerte da Rohn den Gos’Shekur.

»Wir werden Bostich vom Gegenteil überzeugen. Und zwar ihn direkt. Sendet umgehend Boten nach Arkon, um mit ihm darüber zu verhandeln. Der geballten arkonidischen Stoßkraft haben die primitiven Terraner und ihre Verbündeten nichts entgegenzusetzen. Und nun geht und führt meine Befehle aus. Ich muss nachdenken.«

Die beiden hohen Militärs verneigten sich und verließen den Thronsaal, um Jenmuhs Befehle in die Tat umzusetzen. Zufrieden lehnte sich der Gos’Shekur zurück und sinnierte über die Zukunft. Er verfolgte bereits einen weiteren Eroberungsplan. Die Verhandlungen mit Imperator Bostich über ein Bündnis gegen die LFT sollten vor allem eine Gelegenheit herbeiführen, Bostich zu beseitigen. Wenn der jetzige Imperator aus dem Weg geräumt war, würde es nur einen würdigen Nachfolger für den Kristallthron geben – Uwahn Jenmuhs. Wenn also Bostich und Perry Rhodan erst einmal tot oder in seiner Hand waren, gehörte die Milchstraße ihm.

17. Das Bündnis mit den Entropen

Zu diesem Zeitpunkt ahnte Jenmuhs nichts von der Niederlage, die das Quarterium in Andromeda auf Tefrod erlitten hatte. Obwohl es bis zuletzt nach einem weiteren Sieg für die quarteriale Armee ausgesehen hatte, endete die Schlacht durch das überraschende Eingreifen der Entropen mit einer Niederlage für das Quarterium, das sich von Tefrod zurückziehen musste.

Auf Tefrod wurde Aurec als Held gefeiert, doch der Saggittone sah noch keinen Grund zum Jubeln. Der Krieg war noch lange nicht vorbei.

Daher berief er eine Besprechung auf seinem Flaggschiff SAGRITON ein, das über Tefrod schwebte.

Aurec blickte in die Runde. Joak Cascal wirkte gelöst. Der Sieg auf Tefrod hatte ihm gutgetan. Das Wiedersehen mit Anya Guuze war hingegen recht kühl gewesen. Aurec fragte sich, ob die beiden noch zueinander finden konnten. Der Ritter der Tiefe Gal’Arn wirkte wie immer würdevoll und friedlich. Der hochgewachsene Elare stand in seinem braunen Gewand, die Arme ineinander vor der Brust verschränkt, vor dem Besprechungstisch und blickte durch das große Fenster in den Weltraum. Sein Schüler Jonathan Andrews lief unruhig auf und ab und quarzte eine Zigarette nach der anderen. Der Zigarettenrauch bildete dichte Schwaden, denn Commander Henry »Flak« Portland schloss sich Jonathans und Cascals Qualmerei an.

Der alte terranische Haudegen wirkte ruhig, besonnen und überaus kompetent. Aurec war ihm zu großem Dank verpflichtet, denn Portland hatte damals Kathy und Nataly sowie ihrem Onkel Jaaron Asyl in der LFT-Botschaft in Cartwheel gewährt. Damit hatte er sie vor den Ketten des Quarteriums bewahrt. Sicher hatte Portland Kathy in Aurecs Arme zurückgebracht, doch während der Schlacht am Sternenportal wurden ihre Wege erneut getrennt.

Elyn war ätherisch schön wie eh und je. Die Millionen Jahre alte Alyske spielte geistesabwesend mit ihren Haaren und starrte zu Boden. Obwohl Aurec Kathy liebte, fühlte er sich zur Tochter Eorthors hingezogen. Bisher war diese Zuneigung rein platonischer Art gewesen. Sie war eine Freundin, eine Vertrauensperson für ihn. In ihrer Nähe fühlte er sich wohl, und so sollte es auch bleiben. Kathy war die einzige Frau für ihn. Trotzdem wärmte Elyns Anblick sein Herz.

Die beiden Hexen Constance Zaryah Beccash und Katryna Lyta Sharonaa betraten die Kabine. Während Constance alle mit einem freundlichen Lächeln begrüßte, wirkte Katryna gewohnt arrogant. Wie verschieden die beiden waren! Aurec wurde aus den Entropen nicht schlau.

Als alle auf sein Zeichen hin etwas leiser wurden, eröffnete der Saggittone die Besprechung. Zuerst wandte er sich an Portland.

»Nun, Flak, was sagen unsere Späher über die quarteriale Flotte?«, fragte Aurec den terranischen Offizier.

»Es hat den Anschein, als hätten sie Tefrod aufgegeben. Vielleicht sogar ganz Andromeda, denn ihre Flotte zieht sich immer weiter in den galaktischen Leerraum in Richtung Milchstraße zurück.«

Aurec wurde nachdenklich.

»Das kann eigentlich nur bedeuten, dass sie Uwahn Jenmuhs bei dem Angriff auf Perrys 8. Flotte unterstützen wollen«, meinte er beunruhigt.

Portland nickte zustimmend.

»So würde ich es auch sehen. Wenn sich die beiden Flotten vereinigen und Rhodan zwischen sie gerät, hat er ohne unsere Hilfe keine Chance.«

»Dann müssen wir nach Draco aufbrechen und ihm zu Hilfe kommen. Wenn das Quarterium Andromeda räumt, haben wir hier ohnehin nichts mehr zu tun«, meinte Aurec.

Wieder nickte Portland zustimmend.

»Korrekt, Sir. Allerdings sind wir dann dem Gegner immer noch deutlich unterlegen.«

»Stimmt. Ich habe mit den Tefrodern und den Maahks bereits über ihre Unterstützung für uns gesprochen und sie um Hilfe gebeten, aber sie haben abgelehnt. Sie wollen nur innerhalb Andromedas kämpfen. Alles Weitere ginge sie nichts an. Darin waren sich Tefroder und Maahks erstaunlich einig«, bedauerte der Saggittone.

»Das verbessert unsere Lage nicht gerade«, meinte Gal’Arn düster.

»Stimmt, die ist dann so richtig Kacke«, gab Jonathan Andrews seinen Senf dazu, um sich gleich einen strafenden Blick von Gal’Arn einzuhandeln.

Aurec richtete seinen Blick hingegen auf die beiden sogenannten entropischen Hexen.

»Es scheint, als wären wir weiterhin auf ihre Hilfe angewiesen, meine Damen.«

»Sieht aber ganz so aus«, stimmte Constance lebhaft zu und kicherte dann albern.

Katryna gebot ihr mit einer herrischen Handbewegung zu schweigen. Es dauerte jedoch ein paar Sekunden, bis Constance ihr pubertäres Gekicher einstellen konnte.

»Ich werde darauf antworten«, sagte Katryna kühl. »In der Tat seid ihr auf unsere Hilfe angewiesen. Und ihr werdet sie auch erhalten, denn wir begrüßen deine Entscheidung, Perry Rhodan zu Hilfe zu eilen, Aurec. Daher stellen wir dir und den deinen unsere Flotte von einhunderttausend Kampfschiffen zur Seite. Bei Bedarf können wir weitere fünfzigtausend aufbieten«, verkündete die Hexenmeisterin.

Aurec zeigte sich beeindruckt und erfreut.

»Das sind wahrhaft gute Neuigkeiten. Dann gebe ich Befehl, unsere Flotten zusammenzulegen und sobald wie möglich nach Draco aufzubrechen.«

»So soll es geschehen«, stimmte Katryna zu.

Der Saggittone verlor keine Zeit und leitete alle notwendigen Maßnahmen ein. Es dauerte jedoch zwei Tage, um die Terranische 8. Flotte und die Entropen-Flotte zusammenzuziehen, da zunächst noch einige logistische Probleme bei den LFT-Streitkräften behoben werden mussten.

Am Morgen des 10. November verließ die vereinte Raumflotte aus LFT und Entropen Tefrod in Richtung Draco.

Aurec hoffte inständig, dass sie nicht zu spät kommen würden.

18. Der Weg nach Draco

Aurecs Sorge war berechtigt, denn zur gleichen Zeit war auch der Emperador de la Siniestro mit seiner fünfzigtausend Einheiten starken SUPREMO-Flotte in die Draco-Galaxie unterwegs. Uwahn Jenmuhs ahnte noch nichts von den Geschehnissen in Andromeda und musste vor den Entropen gewarnt werden. Daher hatte Cauthon Despair eine sofortige Verlegung der Flotte aus Andromeda nach Draco angeordnet.

Despair und sein Herr und Meister de la Siniestro standen im kaiserlichen Musikzimmer und blickten in die Tiefe des Alls. Im Hintergrund lief das Requiem in D Minor von Mozart. Despair hörte aus ihm eine angenehme Melancholie heraus, die zu ihm passte.

»Glauben Sie wirklich, dass Aurec sich mit den Entropen zusammentut, um Perry Rhodan zu Hilfe zu eilen, Despair?«, fragte der Emperador den Silbernen Ritter.

»Das glaube ich nicht nur, sondern ich weiß es. Ich kenne Aurec gut genug, um ihn einschätzen zu können. Er wird sich eine solche Chance nicht entgehen lassen«, erwiderte Despair überzeugt.

»Und diese Entropen?«

»Über die wissen wir immer noch zu wenig. Wie stark sind sie wirklich und was sind ihre Pläne? Auf jeden Fall bedeuten sie eine unangenehme Überraschung für uns. Dies kann den ganzen Kriegsverlauf zu unseren Ungunsten beeinflussen.«

»Glauben Sie das wirklich?«, fragte der Emperador unbehaglich.

»Wir müssen uns vorsehen. Unsere Niederlage in Andromeda sowie der Tod Torsors wird unseren Feinden Auftrieb geben und ihren Widerstandswillen stärken. Wie Sie es bereits vor Monaten angedeutet haben, wird Jenmuhs uns nicht den Sieg bringen. Aber noch haben wir alle Chancen. Wenn wir Rhodans Flotte vernichten und ihn in unsere Hand bekommen, ist die LFT so gut wie geschlagen. Vielleicht können wir sie sogar dazu zwingen, auf unserer Seite zu kämpfen.«

»Das wäre wunderbar. Wir müssen alles auf eine Karte setzen und uns mit Jenmuhs vereinigen.«

»Wir müssen unsere Kräfte endlich wieder bündeln. Wir haben uns zu sehr überdehnt«, meinte Cauthon Despair. »Wie dem auch sei. Ich habe Höchstgeschwindigkeit für die Flotte angeordnet. Wir müssen Aurec zuvorkommen und Perry Rhodan zum Kampf stellen – und diesen Kampf gewinnen.«

Der Emperador lachte und nickte. Dann ließ Despair den alten Spanier allein und begab sich über den langen, hell erleuchteten Korridor in sein Quartier. Die Kabinen des Emperadors, seiner Familie und der hochrangigen Offiziere waren auf einem Deck und gesondert abgeschottet. Sie glichen nicht den typischen Militärquartieren der Mannschaften, sondern waren luxuriös und ausgesprochen groß. Despair machte sich wenig daraus, wohl aber seine Ordonnanz Virginia Mattaponi, die neben seiner Kabine Quartier bezogen hatte.

Als Despair seine Kabine betrat, hüpfte Virginia jubelnd auf ihn zu.

»Hey!«, rief sie laut und umarmte ihn, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen. Despair teilte ihre Euphorie nicht. Er schob sie beiseite und dachte an die bevorstehende Auseinandersetzung mit Rhodan und Aurec. Stand die Entscheidung nun endgültig bevor?

*

Während der Emperador und Cauthon Despair Schlachtpläne schmiedeten, versuchten Orlando de la Siniestro und Uthe Scorbit in ihrem Quartier die freie Zeit miteinander zu genießen. Lächelnd erhob Orlando ein Glas Wein.

»Auf uns beide und darauf, dass dieser Krieg bald siegreich zu Ende geht.«

Uthe verzog den Mund.

»Auf das Ende des Krieges trinke ich gern, nicht aber auf den Sieg des Quarteriums …«, erwiderte die Terranerin.

»Wieso nicht? Wäre es so nicht die beste Lösung?«, fragte Orlando.

»Die beste Lösung? Für wen? Für diese Verbrecher, mit denen sich dein Vater umgibt!«

»Wir haben den Terranern einen ehrenvollen Frieden angeboten. Aber sie wollen ja keinen Frieden, also müssen wir leider gegen sie kämpfen«, erwiderte Orlando gereizt. Er stellte das Glas ab. Uthe tat es ihm gleich. Die Diskussion war nicht zu vermeiden.

»Einen Frieden zu euren Bedingungen, den das Quarterium diktiert? Was ist ein solcher Friede wert? Ohne Freiheit gibt es keinen dauerhaften Frieden. Und wir Terraner sind nun mal freiheitsliebend. Wir werden immer gegen Unterdrückung kämpfen, sei es gegen die eigene oder die anderer Völker«, erklärte sie energisch.

Orlando nahm ihre Hand.

»Ich hoffe trotzdem, dass wir die Offensive bald siegreich beendet haben. Ein schlechter Frieden ist immer noch besser als jeder Krieg mit vielen Opfern.«

»Und wie viele Opfer unter den Terranern gedenkst du noch zu verursachen? Wie viele von ihnen willst du noch töten? Was ist, wenn Remus zu deinen Opfern gehört?«, fragte Uthe anklagend.

Orlando erhob sich abrupt vom Tisch und ging zur Tür.

»Wo willst du hin?«, wollte sie wissen.

»In die Planungszentrale. Es gibt noch vieles für den bevorstehenden Einsatz vorzubereiten. Jede Raumschlacht ist mir lieber als ein Scharmützel mit dir«, antwortete er verärgert und ließ Uthe allein.

Die Terranerin war ziemlich frustriert. Sie wollte ihrem Orly nicht weh tun, denn sie wusste, dass er sich alle Mühe gab und dass er diesen Krieg nicht gewollt hatte. Aber er stand leider loyal zu seinem Vater und dem Quarterium. Damit befand sich Uthe Scorbit in einer schwierigen Situation, denn es fiel ihr immer schwerer, in der Gegenwart der quarterialen Würdenträger gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Außerdem machte sie sich Sorgen um ihren Ex-Mann Remus, der aufseiten der LFT kämpfte und damit ständig in Gefahr war. Uthes Gefühle für Remus waren noch immer sehr stark, und so hoffte sie inständig, dass ihm nichts geschah. Das konnte sie Orlando natürlich nicht sagen, und das Schweigen darüber verstärkte die Kluft zwischen ihnen.

Schließlich suchte sie Brettany und Rosan auf, um ihnen ihr Leid zu klagen. Sie berichtete ihren Freundinnen von ihrer frustrierenden Situation.

»Am liebsten würde ich wieder nach Hause zurückkehren«, jammerte sie.

Rosan winkte sarkastisch ab.

»Das dürfte ein bisschen schwierig werden. Wir befinden uns ja nur mitten im Leerraum zwischen zwei Galaxien, inmitten von fünfzigtausend feindlichen Schiffen.«

»Träumen wird man ja wohl noch dürfen«, seufzte Uthe resigniert.

»Das muss kein Traum bleiben, denn manchmal können Träume auch Wirklichkeit werden«, meinte Brettany vieldeutig.

»Wie meinst du das?«, wollte Rosan neugierig wissen.

»Wir nähern uns immer weiter der Milchstraße. Wenn wir nur noch 280.000 Lichtjahre von dort entfernt sind, könnte ich euch helfen, an eine Space-Jet zu kommen. Deren Reichweite würde dann genau ausreichen. In einem günstigen Moment macht ihr euch mit der Jet aus dem Staub und fliegt in Richtung Milchstraße. Von dort aus könnt ihr Kontakt mit der LFT aufnehmen«, erklärte Brettany ihren Plan.

»Klingt ziemlich abenteuerlich. Wie sollen wir denn unbemerkt mit der Space-Jet von Bord kommen? Und wenn die unsere Flucht bemerken, werden sie uns verfolgen und wieder einholen – oder gleich abschießen«, wandte Uthe skeptisch ein.

»Also, ich wäre dabei. Alles ist besser, als hier herumzusitzen und darauf zu warten, dass wir so enden wie die arme Yasmin«, widersprach Rosan kämpferisch.

»Wir müssen natürlich alles genau planen«, räumte Brettany ein. »Aber wenn sich eine Chance ergibt, sollten wir sie nutzen.«

Uthe blieb skeptisch.

»Ich weiß nicht so recht. Das klingt mir alles zu unsicher. Ich muss darüber in Ruhe nachdenken.«

19. Mordpläne

Während die drei Freundinnen ihre Pläne schmiedeten, entwarf eine weitere Prinzessin an Bord der EL CID ihre eigenen Strategien. Stephanie de la Siniestro war unzufrieden mit dem Verlauf der Dinge. Noch immer waren die verhasste Rosan und die ebenso überflüssige Uthe Scorbit am Leben. Auch Cauthon Despair war ihr im Weg. Er wurde ihr allmählich zu mächtig und drohte, sich auch noch in ihre Familie zu drängen, da ihre Schwester Brettany in dieses Monster verliebt war.

Außerdem konnte Stephanie es nicht verwinden, dass Despair ihr gegenüber völlig gleichgültig war. Kein normaler Mann konnte ihr widerstehen, geschweige denn ihre langweilige Schwester reizvoller finden als sie. Allein dies würde sie Despair niemals verzeihen. Je länger Stephanie nachdachte, desto verlockender erschien ihr der Gedanke, alle drei zu beseitigen. Doch das konnte sie nicht allein schaffen. Dazu brauchte sie Verbündete.

Daher ließ sie zunächst Oberst Henner von Herker zu einer »Besprechung« in ihr Quartier kommen. Es war nicht schwer für Stephanie, den ungeschlachten Militaristen in ihr Bett zu locken. Hingebungsvoll versicherte der Oberst Stephanie seine Loyalität.

Zufrieden wandte sie sich anschließend ihrer nächsten Besprechung zu. Sie traf sich mit Generalmarschall Alcanar Benington zu einer weiteren »Konferenz«. Benington war ihr schon seit Längerem zugeneigt, sodass es ihr nicht schwerfiel, ihn für sich einzunehmen. Als sie später am Abend zusammen im Bett lagen, ließ sich Benington über Orlando aus.

»Schade, dass dein Bruder nicht auch so vernünftig ist wie du«, meinte er frustriert.

»Wieso? Hat dich der liebe, brave Orly geärgert?«, wollte sie wissen.

»Ohne diesen Idioten hätten wir Tefrod rechtzeitig eingenommen und Aurec und sein Gesindel zur Hölle geschickt. Wenn ich rechtzeitig gewarnt gewesen wäre, hätte ich diese verdammten Entropen zurückgeschlagen«, ereiferte sich Benington.

Stephanie strich ihm beruhigend über die Brust.

»Natürlich hättest du das. Ich bedaure es, dass du nicht Quarteriumsmarschall bist, sondern dieser entsetzliche Despair.«

Benington nickte zustimmend.

»Ja, das ist einfach ungerecht. Ein Mann von meinem militärischen Genie hätte es verdient, an der Spitze zu stehen. Dieser Despair ist ein Narr, genau wie Orlando. Ständig behindern uns diese Leute mit ihrem altmodischen Ehrenkodex. Das ist doch einfach nicht mehr zeitgemäß. Wenn man Krieg führt, muss man es rücksichtslos und ohne Pardon tun. Der Feind muss vollständig vernichtet werden. Und jeder aus den eigenen Reihen, der nicht pariert, ebenso.«

Stephanie frohlockte innerlich. Dieser Benington war genau der Mann, den sie brauchte. Er war so von sich eingenommen, dass ihm jedes Mittel recht sein würde, um in der Karriereleiter weiter aufzusteigen. Wenn er ihr aus der Hand fraß, konnte sie über ihn Einfluss auf das Militär nehmen. Daher war es sinnvoll, seine militärische Laufbahn voranzubringen.

»Da denke ich genau wie du, Darling«, stimmte sie Benington zu. »Wir können uns zu viel Humanität nicht mehr leisten. Bisher waren wir viel zu nachsichtig mit unseren Feinden. Wir müssen härter durchgreifen.«

»Ganz richtig. Ich wäre der richtige Mann für diese Aufgabe!«

»Ja, das glaube ich auch«, meinte Stephanie mit bewunderndem Augenaufschlag und küsste ihn.

Sie war zufrieden mit dem bisher Erreichten. Wenn es ihr gelang, nicht nur Rosan und Uthe zu beseitigen, sondern auch noch Cauthon Despair, konnte sie dafür sorgen, dass Benington sein Nachfolger wurde und über ihn Einfluss auf die quarteriale Armee erlangen. Alles, was sie brauchte, war eine günstige Gelegenheit und die geeigneten Werkzeuge.

Zu diesem Zweck hatte sie vom CIP erneut die beiden Top-Agentinnen Utha und Maryna Zubarov angefordert, und zwar direkt von CIP-Chef Niesewitz. Treffpunkt war die quarteriale Hauptbasis in NGC185, welche 350.000 Lichtjahre von Andromeda entfernt lag.

NGC185 war inzwischen, neben dem Sternenportal, die quarteriale Hauptbasis. Hier legte die Flotte noch einmal einen Zwischenstopp ein, bevor es weiter nach Draco ging. Einige quarteriale Einheiten schlossen sich der Flotte des Emperadors an, darunter auch ein Schiff, welches die Zubarov-Schwestern an Bord hatte. Stephanie hoffte, dass die beiden Killer-Schwestern diesmal erfolgreicher sein würden als auf Siniestro. Immerhin hatten sie diese widerliche Yasmin Weydner entsorgt. Aber ihre Hauptziele waren zu Stephanies größtem Bedauern mit dem Leben davongekommen, was allerdings die Schuld des Haushofmeisters Martyn Hubba und seiner grenzdebilen Söhne war.

Außerdem hatte auch ihre Schwester Brett viel dazu beigetragen, dass ihr schöner Plan gescheitert war. So wartete Stephanie auf eine neue, günstige Gelegenheit, um zuzuschlagen. Und sie war überzeugt, dass diese bald kommen würde.

*

Während der Emperador mit seiner Flotte aus Andromeda nach Draco unterwegs war, hatten die Kämpfe dort bereits begonnen. Jenmuhs Flotte war in die Zwerggalaxie vorgedrungen, hatte jedoch noch keinen Feindkontakt gehabt und Perry Rhodans Flotte nicht ausfindig machen können. Ungeduldig wartete der Gos’Shekur in seinem Thronsaal auf neue Meldungen. Immerhin war es schon Mitte September, und man war noch keinen Schritt vorangekommen.

Das Schott öffnete sich. Admiral Terz da Eskor und General Mandor da Rohn traten ein und verbeugten sich.

»Was ist? Sprechen Sie!«, knurrte Jenmuhs schlecht gelaunt.

»Erhabener Gos’Shekur, unsere Späher sind zurückgekehrt. Sie haben mehrere, kleine LFT-Stützpunkte gefunden, aber …«, begann Mandor da Rohn, wurde aber von Jenmuhs unwirsch unterbrochen.

»Aber was? Reden Sie!«

»Die Stützpunkte waren allesamt verlassen und von den Terranern bereits selbst zerstört worden«, ergänzte Terz da Eskor.

»Verbrannte Planeten! Eine gute Taktik, das muss man ihnen lassen. Würde ich genauso machen. Aber wo ist Rhodan, dieses Schwein? Und wo ist seine verdammte Flotte?«, erkundigte sich Jenmuhs.

»Unsere Aufklärer haben keinerlei Spuren der terranischen 8. Flotte finden können. Möglicherweise haben sie Draco längst verlassen. Ich rate Ihnen, Gos’Shekur, so schnell wie möglich zur Milchstraße zu fliegen und dort den Angriff zu beginnen«, meinte Terz da Eskor.

»Nein! Ich bin davon überzeugt, Rhodan ist noch hier. Wir müssen ihn zuerst vernichten, damit er uns nicht in den Rücken fällt, wenn wir in der Milchstraße aufräumen. Außerdem ist es eine Frage der Ehre. Wir sind Quarteriale! Wir wanken nicht und wir weichen nicht. Niemals soll in den Geschichtsbüchern stehen, dass Uwahn Jenmuhs – der genialste Stratege des Quarteriums – einem Kampf ausgewichen wäre«, lehnte Jenmuhs den Rat des Admirals ab.

Ein arkonidischer Offizier trat ein und überreichte General da Rohn eine Meldung. Dann salutierte er und ging wieder.

»Was gibt es?«, fragte Jenmuhs ungehalten.

»Unsere vordersten Einheiten hatten soeben Feindberührung«, meldete da Rohn. »Es gab ein kürzeres Feuergefecht mit Posbi-Boxen und einigen Pyramidenschiffen. Doch der Feind zog sich sofort ins Innere der Galaxie zurück und wich dem Kampf aus.«

»Ha! Ich wusste doch, dass dieser elende Rhodan noch hier ist. Ich ahne, was er will. Er will uns immer wieder angreifen, um uns zu zwingen, ihn zu verfolgen, und uns zum Verbrauch unserer Ressourcen zwingen«, meinte Jenmuhs.

»Ein wirklich kluger Plan, wenn es sein Plan ist«, meinte da Rohn.

»Aber nicht klug genug für Uwahn Jenmuhs! Ich durchschaue ihn. Wir lassen uns nicht auf Scharmützel ein! Wir suchen weiter nach seiner ganzen Flotte. Und wenn wir sie finden, vernichten wir sie.«

Schnaufend wuchtete sich der ehrgeizige Arkonide aus seinem Sessel und trat auf das große Panoramafenster zu. Er sah hinaus auf die Sterne und hob drohend eine Faust.

»Diese Galaxie ist nicht groß genug für uns beide, Perry Rhodan!«

Ende

Andromeda ist frei! Das Quarterium hat eine empfindliche Schlappe kassiert und nun deutet alles auf eine Entscheidungsschlacht in der Zwerggalaxie Draco hin, knapp 280.000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Im nächsten Roman wechselt die Handlung nach Siom Som. Jürgen Freier schildert bedeutende Ereignisse: Die Rückkehr von Roi Danton und die Ankunft von Volcus. Dieser sieht sich schon als

PROTECTOR DORGONIS

DORGON-Kommentar

Kommentar I

Die Schlacht von Tefrod ist geschlagen und das Quarterium hat erst einmal die Grenzen seiner Macht erkennen müssen. Die Chance auf einen glorreichen Sieg hat bei dem Despoten Cartwheels wohl vorübergehend den Blick getrübt, entgegen seinen ursprünglichen Intentionen unterstützt er nun doch Jenmuhs in seinem Amoklauf gegen die Liga Freier Terraner und gegen Perry Rhodan.

Und hier, genau in diesem Zusammenhang, sei mir mal wieder eine kleine Anmerkung gestattet. Ich bin mir sicher, dass der Waffenstillstand und der dadurch ermöglichte Rückzug der quarterialen Flotte ganz im Sinne Perrys erfolgt ist. Aber ob dies militärisch gesehen sinnvoll war, wage ich zu bezweifeln. Ich meine, die alliierten Streitkräfte haben hier eine Möglichkeit leichtfertig verschenkt, einen entscheidenden Schlag gegen das militärische Übergewicht des Quarteriums zu führen. Wie hat es doch Joak Cascal so treffend gegenüber Aurec ausgedrückt:

»Wie sollen wir mit so einem Pazifisten wie dir den Krieg nur gewinnen?«

Nur erhebt sich hier die Frage, was Pazifismus wirklich bedeutet. Eine interessante Meinung zu diesem Thema vertrat Albert Einstein:

»Bis 1933 habe ich mich für die Verweigerung des Militärdienstes eingesetzt. Als aber der Faschismus aufkam, erkannte ich, dass dieser Standpunkt nicht aufrechtzuerhalten war, wenn nicht die Macht der Welt in die Hände der schlimmsten Feinde der Menschheit geraten soll. Gegen organisierte Macht gibt es nur organisierte Macht; ich sehe kein anderes Mittel, so sehr ich es auch bedaure.«

Jürgen Freier


Kommentar II

Wenn Science-Fiction ein Mittel ist, die Konsequenzen technologischer Entwicklungen auszuspinnen und die Gesellschaft der Gegenwart zu hinterfragen, sind dann reine Kriegsromane wie dieser hier dem Genre angemessen? Oder sollte man die Kriege auf der ohnehin geplagten Erde der Jetztzeit lassen und im Weltraum nur Friedenswelten erkunden?

Nun, sicherlich sind friedfertige Richtungen wichtig und konstituieren viele maßgebliche Werke des Genres – die allerdings oft tieferliegende Konflikte problematisieren, wenn sie keine reine Unterhaltung bleiben. Oder sie probieren Möglichkeiten aus. In PERRY RHODAN wurden unter der Expokratur von Wim Vandemaan wichtige Schritte hin zur Schilderung eines Alltags der Zukunft gemacht, wobei gerade die sogenannten Lückenfüller der Hauptserie immer wieder viel Raum für imaginierten Alltag mit futuristischer Technik boten, die auch ohne Krieg alles andere als langweilig sind.

In DORGON 109 haben wir futuristische Waffen und riesige Flottenkontingente, die Menschen sind jedoch aggressiv, friedliebend, verzweifelt, pragmatisch und verliebt wie eh und je. Und zwar inklusive der außerirdischen Menschen … Lebewesen … was heißt eigentlich »Mensch«?

Klar sind Kriegsromane vor allem spannend, wenn man sie daheim auf dem Sofa liest und die größte Aufregung dabei die Frage ist, ob beim Lesen gefutterte Chips nach Paprika oder Käse schmecken sollten. Dann machen sie einfach Spaß.

Zugleich erleichtern sie, mich zumindest, denn direkte Kampfhandlungen, also sichtbar gezogene Waffen, und weitgehend eindeutig zur Schau getragene Aggression durch Uniformen und Befehlsketten sind eine klarere Sache als die Intrigen, Eifersüchteleien und lächelnd gestellten Beine des Alltags, in dem kaum einer zugeben wird, welche Freude es macht, wenn der Gegner scheitert, und schon gar nicht zugeben wird, wenn man selbst den kleinen entscheidenden Beitrag dazu lieferte … natürlich nur, weil es da Regeln gab oder es unglücklich lief, man hätte ja nie … was man so sagt halt.

In diesem Sinne: Wer Kriegsromane grundsätzlich ablehnt, sollte vielleicht den Alltag genauer betrachten. Und froh um das fragile Gleichgewicht der Mächtigen sein.

Alexandra Trinley

GLOSSAR

Ash Berger

Geboren: 1280 NGZ

Geburtsort: Berlin, Terra

Größe: 1,77 Meter

Gewicht: 75 Kilogramm

Augenfarbe: graugrün

Haarfarbe: braun

Merkmale: gutaussehend, ein Querdenker, sagt immer seine Meinung auch Vorgesetzten gegenüber, fähiger Soldat


Ash Berger zieht mit seinen Eltern im Jahre 1298 NGZ nach Cartwheel. Sein Vater ist General a.D., seine Mutter Bankkauffrau. Ash wird vor die Wahl gestellt, zum Militär oder zu einer Bank zu gehen. Eigentlich liegt ihm beides nicht, doch er entscheidet sich für die Bank. Er absolviert eine Ausbildung bei der Cartwheel Bank (Tochtergesellschaft der Terranischen Bank). Nach einigen Monaten wird er in die Abteilung Electronic Payment/Commerce gesteckt. Dort legt er sich oftmals mit dem rassistischen Chef Wilhelm Romm an.

Im Jahre 1303 NGZ muss Berger die Cartwheel Bank verlassen, da er für das Militär rekrutiert wird. Er hat keine andere Wahl, als zur Armee zu gehen. Innerhalb von zwei Jahren erhält er eine Ausbildung in der Musterakademie Redhorse Point und wird Unteroffizier. Er besteht erfolgreich die Prüfungen und wird zum Sergeanten befördert.

Im Spätsommer 1305 NGZ wird er zum Estartukorps abkommandiert und tut als Richtschütze eines Shiftpanzers in der XXXII. SHIFT-Division der SOLARE EMPIRE seinen Dienst. Während der Zeit des Militärs freundet er sich mit dem terranischen Künstler Glaus Siebenpack an, der auch wider Willen bei der Armee ist.

Berger kämpft auf vielen Welten in Siom und den anderen Systemen, so auch auf Som-Ussad, Som und Good-Hope. Im Jahre 1306 NGZ wird er nach M 87 versetzt und ist bei der Eroberung von Pompeo-Poser und Monol mit dabei. Mitte 1307 NGZ wird Ash Berger an der Front Andromeda eingesetzt. Er ist zu dieser Zeit kriegsmüde, hat viele Freunde wie Arny Pomme und Glaus Siebenpack verloren, und sieht keinen Sinn in diesem Krieg.

Alcanar Benington

Geboren: 9.09.1254 NGZ

Geburtsort: Tarate, LFT

Größe: 1,81 Meter

Gewicht: 76,5 Kilogramm

Augenfarbe: grau

Haarfarbe: braun

Merkmale: Schlank, sportlich, sehr streng und hart, auf seinen Vorteil bedacht, will die Dinge für sich mit allen Mitteln ins Ziel bringen


Alcanar Benington wächst als Sohn armer Bauern auf der Welt Tarate auf. Er muss sich in seinem Leben stets hocharbeiten. Ihm wird nichts geschenkt. Deshalb verbeißt er sich in seine Aufgabe und wird mit der Zeit skrupellos. Er macht eine glänzende militärische Karriere und wird auf eigene Bitte nach Cartwheel versetzt, wo er mehr Möglichkeiten für sich sieht.

Seitdem fungiert er als Ausbilder und wird im November 1297 NGZ als einer der Chefausbilder für die neue Militärakademie Redhorse Point genommen, wo er seit dieser Zeit erbarmungslos neue Kadetten auf der Eliteschule für Offiziere drillt.

Besonders Jonathan Andrews als auch Remus Scorbit werden zu seinen Feinden. Sie sorgen 1297 NGZ während der Lingus-Krise dafür, dass Benington wegen seines Fehlverhaltens große Schwierigkeiten bekommt und seinen Job als Ausbilder vorerst an den Nagel hängen muss.

Benington gelingt es, nachdem der Bund der Vier die Kontrolle in Cartwheel übernimmt, wieder ins Militär zurückzukommen, und arbeitet sich im Quarterium bis zum General hoch. Er leitet erfolgreich die erste quarteriale Schlacht in Siom Som auf der Welt Som-Ussad und wird dafür zum Generaloberst ernannt. Nach Erfolgen in M 87, bei denen er rücksichtslos vorgeht, wird er nach Andromeda versetzt. Er gehört zu den Lieblingen von Uwahn Jenmuhs, während der eitle und ehrlose Benington beim Rest der Armee verhasst ist.

777. Raumeingreifdivision

Oberbefehlshaber: General Manuel Joaquin Cascal

Flaggschiff: DERINGHOUSE (260 Meter INVINCIBLE II-Kreuzer)

Stärke: 50 INVINCIBLE II-Kreuzer

Infanterie: 50.000 Männer und Frauen in 200 Kompanien à 250 Soldaten

Roboter: 15.000 MODULA II-Roboter


Die 777. RED ist wie alle anderen 99 REDS strukturiert. 50.000 Soldaten finden sich in 5 Brigaden wieder, zu denen je 10 INVINCIBLE II-Kreuzer gehören. Einer Brigade gehören 10.000 Soldaten in 40 Kompanien zu je 250 Mann an.

Auf jedem INVINCIBLE II-Kreuzer befinden sich 4 Kompanien, 1 Kompanie besteht aus 250 Soldaten und 125 Robotern.

Freyt-Kompanie

Elitekompanie aus der Terranischen 8. Flotte. Die Freyt-Kompanie ist Bestandteil der 777. Raumeingreifdivision (kurz RED) unter dem Kommando von General Manuel Joaquin »Joak« Cascal. Befehlshaber der 250 Männer und Frauen umfassenden Einheit ist Captain Daniel Ellroy. Stellvertreter ist der TLD-Agent Oberleutnant Will Dean.

Die Freyt-Kompanie besteht aus 5 Zügen zu je 50 Mann. Prominenteste Mitglieder der Kompanie sind neben Will Dean auch Remus Scorbit als Oberleutnant und Zugführer sowie die Veteranen Phil Haman und Oly »Psycho« Lytz.

Den ersten Kriegseinsatz hat die Freyt-Kompanie im April 1307 NGZ auf dem »falschen WANDERER« und danach auf dem Planeten Wolfenstein. Die Freyt-Kompanie wird danach in Andromeda zur Verteidi-gung von Tefrod eingesetzt.

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