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Band 108

Rideryon-Zyklus

Medvecâ

Der Fürst der Ylors sucht neue Gefährtinnen

Nils Hirseland und Jürgen Freier

Cover

Erinnerungen: Meydih, der Alysker

»Vor 148 Millionen Jahren war unser Volk anders. Damals dienten wir den Kosmokraten, doch wir versagten. Du kennst die Geschichte, jeder Alysker kennt sie. Und doch erzählen wir sie uns immer wieder. Kennst du den Grund?«

Meydih lauschte gespannt. Sie saßen auf zwei Steinen auf einer Lichtung und blickten auf das Tal hinab. Über ihnen braute sich ein Sturm zusammen. Die pechschwarzen Wolken ballten sich am Himmel.

Der Kopf des Großvaters war klein und kahl, sein Gesicht war zerfurcht wie ein Canyon. Er war schon damals uralt gewesen und deswegen uralt geblieben, während Meydih für immer jung war. Leeuan gehörte zur alten Generation, nicht zu den »Neugeborenen Alyskern«. Deren Alterung stoppte mit der Zeit, damit waren sie zur ewigen Jugend verdammt. Von den Alten gab es nur noch wenige. Aber es gab auch wenig neue Alysker. Die Geburtenrate war niedrig. Ihr Volk regulierte sich selbst.

Das Leben in unfreiwilliger Unsterblichkeit war den Alyskern verhasst. Es währte nun schon 148 Millionen Jahre, wenn man, wie Leeuan, zu den Alten gehörte. Meydih hatte sich an einem Versepos versucht, das ihre Geschichte erzählte, und war gescheitert. Die Verzweiflung, die sein Volk empfand in ihrem allzu langen Leben, war nicht in Verse zu bannen. Man müsste die Sprache zerfetzen, die Silben verbiegen … und doch würden seine Zuhörer abwinken. Alles langweilte sie.

Was konnte man tun gegen ein Leben, das allzu lang anhielt? Wer den Freitod wählte, mussten gründlich vorgehen. Es gab Gerüchte, dass nicht jeder Selbstmörder starb, sondern dass sie zu Ylors wurden, zu reißenden, blutdurstigen Ungeheuern in Alyskergestalt. Dieselbe furchtbare Verwandlung geschah ebenfalls, wenn man mehr als dreißig Tage von der Heimatsonne entfernt war, was die Alysker bis in alle Ewigkeit an diesen einen Planeten band. Gegen die Sonnengebundenheit konnte Eorthor später allerdings ein Gegenmittel entwickeln.

Meydih schauderte. Man starb und war doch nicht tot? Wie konnte das sein? Welches Geheimnis steckte dahinter? Nicht einmal der große Eorthor hatte es erklärt, und der wusste alles.

Der Großvater hatte ihm viel von den Ylors erzählt. Von jener Epidemie vor Abermillionen Jahren … es sollte vereinzelte Ylors geben, die eine Resistenz gegen den Virus entwickelt hatten und vom siebten Planeten des alten Systems geflohen waren. Sie geisterten im wahrsten Sinne des Wortes durch Jianxiang und töteten Wesen, die dann auch zu Ylors wurden.

Alle Völker des Kreuzes der Galaxien fürchteten sich vor den Untoten, wie sie genannt wurden. Meydih schüttelte den Kopf. Vermutlich war dies nur Aberglaube.

»Wieso erzählen wir uns die alten Geschichten immer wieder?«, fragte sein Großvater und stierte auf das Tal hinab. Die silbernen Türme der Stadt ragten prachtvoll in die Höhe. Meydih fröstelte, als der Sturm zunahm. Schnee wehte ihm um die spitzen Ohren.

»Großvater, wollen wir nicht lieber rein gehen?«

Der Alte winkte ab.

»Nach 148 Millionen Jahren macht mir der Schnee nichts aus. Was soll mir denn passieren? Wäre ja schön, wenn ich erfrieren würde …«

Ein Hauch von Spott lag in den bitteren Worten des Alten. Sein Leben war gelebt. Es war alles gesagt, getan, erlebt, und es hatte sich immer wiederholt. Es machte keinen Spaß. Manche Alysker verbrachten Tausende von Jahren in Stasekammern, schliefen in der Hoffnung, sie würden in einer spannenderen Zeit erwachen.

Meydih kannte alle Geschichten des Großvaters, Geschichten über das kosmische Projekt und seine Rolle darin. Er war stolz auf ihn, denn sie war ebenso wichtig wie unrühmlich gewesen, und der Zorn über die Verachtung, die er damals erfuhr, hatte die Jahrmillionen überlebt. Denn Leeuan hatte damals die Verantwortung über die Reinigungsroboter gehabt.

Vor 148 Millionen Jahren, als die Alysker für die Entstehung der Kosmotarchen DORGON und MODROR mitverantwortlich waren, hatte Leeuan dafür gesorgt, dass seine Roboter die Toiletten sauber hielten, und das war keine Position, die von den Helden der Überlieferung, den Anführern ihres Volkes, gewürdigt wurde. Auch nach 148 Millionen Jahren nicht.

Der Alte wurde nicht müde, davon zu erzählen, um die Ungerechtigkeit anzuprangern. Denn wie jeder andere hatte auch Eorthor seine Dienste in Anspruch genommen. Der große Eorthor, der nach kosmischem Applaus gehascht und ihrer aller Unglück verursacht hatte, war damals wie heute ein biologisches Wesen, das organischen Abfall produzierte.

Für Reinigungskräfte war er kein Grund zum Jubeln gewesen, und das war die Wahrheit, die gesagt werden musste, wieder und wieder. So ein großes Genie hielt andere für Dreck und verhielt sich entsprechend. Das musste mal gesagt werden, mahnte der Großvater bei jedem Gespräch darüber.

Wer die Würde der Alysker hochhielt, das waren die, die ihre Hygiene möglich machten. Für diese alltäglichen Problemlösungen, für die keiner Ruhm erntete, und die doch die Lebensqualität eines jeden prägten, hatte Leeuan schon vor 148 Millionen Jahren Programme entwickelt und in seine Roboter eingespeist. Sehr oft hatte er von der Evolution der Reinigung gesprochen. Seine Ideen reichten von Nanorobotern in den Toiletten zur Bekämpfung von Schmutz und organischen Überresten, von Geruchsverbesserungen bis hin zu vollständig automatisierten biologisch-mechanischen Toiletten.

Meydih kannte so ziemlich alle Projekte seines Großvaters. Stolz hatte Leeuan vor 103 Millionen Jahren die Unterwäsche entwickelt, welche das Problem dort aufnahm, wo es herauskam und sofort in Energie umwandelte. Seitdem, so hatte er unzählige Male geklagt, sei die Weiterentwicklung stagniert.

Die nächste Stufe wäre eine Toilette im Darmtrakt gewesen, die eine Ausscheidung unterbunden hätte. Daran hatte sich Leeuan nicht beteiligen wollen – doch die entsprechende Kapsel war trotzdem entwickelt worden. Kein Alysker musste mehr auf die Toilette gehen. Die Kapsel ließ Kot entstofflichen und nur ein geruchloses Gas entweichen.

Doch Leeuan lehnte den neumodischen Kram ab, das hatte er oft genug betont. Er hielt die Erinnerung wach, dass seine Roboter einst die Exkremente des großen Eorthor beseitigt hatten, während der mit dem kosmischen Projekt beschäftigt war.

So waren die Rollen der Alysker in den Geschichtseinträgen sehr unterschiedlich gewesen. Sein Großvater erfüllte Meydih mit Respekt und Liebe. Und doch fühlte sich diese Zuneigung anders an als die Verehrung, die er für den großen Eorthor empfand.

»Was ist eigentlich mit dem Kindchen, das du so gern magst – Nora? Nova?«, fragte Leeuan und legte sein furchiges Gesicht in noch tiefere Falten.

»Norsha«, korrigierte Meydih. »Ich muss gleich zu ihr. Wir haben eine Verabredung.«

Der Alte winkte ab.

»Wird auch Zeit, Jungchen. Aber nicht vermasseln! Nun geh, ich bleibe hier. Das Wetter ist so schön kalt …«

Meydih legte seine Hand auf die Schulter des Großvaters und verabschiedete sich. Eilig stapfte er durch den hohen Schnee und erreichte den Pfad zum Parkplatz. Beinahe rutschte er aus und fand gerade so die Balance.

Er stieg in seinen Gleiter und tippte die Route ein. Dann lehnte er sich zurück und ließ das Gefährt den Weg hinunter ins Tal selbst fliegen. Währenddessen betrachtete sich der Alysker im Spiegel und kämmte sich das lange Haar zurecht.

Bald hielt der Gleiter auf dem Marktplatz des Vorortes. Meydih stieg aus. Schnee bedeckte die silbernen Türme und eine Windbö ließ ihn erzittern. Fröstelnd eilte er über den nur mäßig gefüllten Marktplatz in eine Nebenstraße, die zu einer gläsernen Passage mit Geschäften und Restaurants führte.

Hoffentlich lief alles, wie er es sich erhoffte. Norsha war Meydihs erste richtige Freundin. Unter so vielen Langlebigen war es schwer, eine Partnerin zu finden. Nach 312 Jahren wurde es für ihn aber auch langsam Zeit für das erste Mal. Sein Großvater hatte ihn immer wieder gedrängt, sich endlich einmal »die Hörner abzustoßen«!

Meydih dachte nicht so trivial, obgleich er sich schon manchmal ein ausschweifendes Leben gewünscht hätte. Doch es hatte sich niemals ergeben. Nun ja, endlich hatte er eine gefunden, die sich für ihn interessierte. Sie respektierte seine Leidenschaft für die Poesie und mochte seinen Hang zur Romantik.

Er erreichte die Einkaufsmeile. Hier war er gut gewärmt und vor der Witterung draußen geschützt. In der Passage schwebte er mit dem Antigrav in die dritte Etage, bog links ab, und schon war er da.

Norsha wartete wie besprochen am Café. Sie sah hinreißend aus. Ihre blauen Augen funkelten, ihr großer, breiter Mund hatte sich zu einem liebenswerten Lächeln geformt. Das seidene, güldene Haar hatte sie hinter die spitzen Öhrchen gelegt. Meydihs Herz pochte höher. Er hatte den Tag genau geplant.

»Hallo«, hauchte sie freundlich und gab ihm eine zarte Umarmung. »Wie war dein Tag? Meiner war mal wieder richtig stressig. Wir mussten eine Arbeit über Eorthors Ansichten zur sechsten Dimension schreiben. Schwer zu verstehen. Ich glaube, ich habe sie vergeigt.«

»Oh«, sagte Meydih nur und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Dann wechselte er das Thema. Die sechste Dimension war eigentlich ein leichtes Thema, aber viele Alyskerinnen verstanden sie nicht.

Frauen hatten nun mal ein kleineres Gehirn, das sagte Eorthor und der wusste nun einmal alles. Es hatte in den Jahrmillionen immer wieder Alysker gegeben, die ihm Frauenfeindlichkeit vorwarfen, weil er den Alyskerinnen die Kompetenz zu höheren Aufgaben absprach. Eorthor hatte die Kritik immer wieder ausgesessen.

Meydih war zu jung, um sich ein Urteil zu bilden. Wieso sollte Norsha schlechter sein als er selbst, nur weil sie eine Frau war und weil sie Sechsdimensionalität nicht verstand? Er sah darin keine Logik. Im Kreuz der Galaxien existierten Spezies, in denen weibliche Geschlechter eine Führungsrolle übernommen hatten. Es gab auch Völker, die beide Geschlechter in sich vereinigten oder als geschlechtslos bezeichnet werden konnten. Wie konnte solch ein Urteil also allgemeingültig sein?

Doch Eorthor war Eorthor. Kritik prallte an ihrem Anführer ab. Es gab ein berühmtes Zitat, was ihn bestens charakterisierte:

»Ich habe nicht über 100 Millionen Jahre verlebt, um mich in sinnlose Diskussionen mit minderwertigen Lebensformen zu verstricken oder ihre langweiligen, sinnlosen Argumente anzuhören, von denen ich bereits vorher weiß, dass sie falsch sind.«

Seit er dies sagte, hatte er sich nicht verändert.

Sie saßen eine Weile herum und tranken ein heißes Getränk aus Verbigelfrüchten, die am Fuße der mächtigen Kombäume wuchsen und durch ihren hellgrünen Glanz auffielen. Er gab ihrem Getränk die Farbe.

Norsha liebte es. Meydih war es zu süß und er bekam Bauchschmerzen, wenn er zu viel davon trank, aber da musste er durch. Bauchschmerzen hatte er heute sowieso. Es könnte ja doch noch etwas schiefgehen im letzten Moment. Ihm wurde heiß und kalt, bevor er die Worte sprach.

»Bist du bereit für den Ausflug?«, fragte er vorsichtig.

Sie lächelte und nickte.

»Ja, lass uns gehen.«

Sie mussten nicht auf einen Kellner warten: Beim Verlassen des Cafés wurden ihre biometrischen Daten erfasst und automatisch eine Transaktion von ihren Konten durchgeführt, um die Rechnung für die Verbigelfrüchtesäfte zu begleichen.

Norsha streckte ihre linke Hand aus, Meydih ergriff sie. So gingen sie vergnügt zum Transmitter. Die junge Frau erzählte Geschichten über ihre Freundinnen, ihre Studienwoche und dass sie 231 Gramm abgenommen hatte durch eine neue Diät.

Der Gewichtsverlust war für Meydih nicht auszumachen, denn sie war rank und schlank, aber Frauen hatten da wohl ein anderes Empfinden als Männer. Er machte ihr ein Kompliment. Sie erreichten die Transmitterstation.

Meydih hatte ein Gedicht geschrieben. Im Geiste ging er die Zeilen durch: Schön wie das Sonnenlicht, reich wie der Tag, bist unvergleichlich, weil ich dich mag. Klar deine Stimme wie Glocken so hell, rot deine Lippen, nun küsse mich schnell … und immer so weiter. Hoffentlich gefiel es ihr. Meistens mochte sie seine Gedichte.

Er schaute sie an, bevor sie in den Transmitter gingen, und beglückwünschte sich, sie gefunden zu haben. Es hatte eine Weile gedauert. Die richtige Frau für ihn hatte im wahrsten Sinne des Wortes erst geboren werden müssen, denn Norsha war nur 77 Jahre jung.

Die beiden ließen sich über mehrere Stationen auf den Planeten Mures transportieren. Er wurde nur von primitiven Cyragonenabkömmlingen bewohnt, die zwar um die Existenz von Außerirdischen wussten, aber selbst noch nicht einmal die Atomenergie erfunden hatten.

Die vielen Berge, Seen, Wälder und Wiesen machten Mures zu einem schönen Plätzchen. Meydih freute sich schon darauf, mit Norsha auf einer Wiese zu picknicken und sich von der Sonne bräunen zu lassen.

Er spürte, wie er sich auflöste und wieder zusammensetzte. Sie verließen die Transmitterhalle – und es regnete!

Regen? Meydih verwünschte das Wetter und sein Pech. Hoffentlich bekam Norsha keine schlechte Laune!

Ihr Blockhaus befand sich unweit der Transmitterstation. Aus dem Glasbau hatten sie einen beeindruckenden Blick über ein Tal mit einem großen See. Der See war umrandet von einer großen Bergkette. Wälder erstreckten sich bis zum Fuße der Berge und wurden von kahlem Gestein abgelöst, dessen Spitze mit Schnee bedeckt war.

Doch die Kälte war weit oben. Auf ihrem Hügel mit Blick auf den See war es mollig warm, wenngleich auch nass.

Ein weißer Empfangsroboter mit großen Augen schwebte auf sie zu und begrüßte die beiden. Er reichte ihnen die ID-Karten für das von Wald umgebene Blockhaus, das sie gemietet hatten. Alle Häuser im Park waren in einem gebührenden Abstand voneinander angelegt, so dass die Urlauber ihre Zeit auch ungestört genießen konnten.

Sie liefen durch den Regen. Immerhin, das Häuschen war schön, sein Holz so hell und neu. Meydih gefiel immerhin die große Veranda. Sie konnten sie trotz des Regens nutzen. Er hatte trotzdem das unangenehme Gefühl, er würde Norsha den Urlaub vermiesen. Alles hatte er falsch gemacht.

»Tut mir leid, so hatte ich mir das nicht vorgestellt«, sagte er enttäuscht, als sie im Blockhaus waren. Sollte er sein Gedicht vortragen? Er hatte sich die Szene so oft ausgemalt: das strahlende Sonnenlicht, ihr Lächeln …

»Hey, das macht doch gar nichts.«

Norsha umarmte ihn und küsste Meydih das erste Mal.

»So haben wir zwei endlich Zeit für uns.«

»Aber …«

Zu mehr Worten war Meydih nicht mehr imstande, denn ihre Zunge berührte plötzlich die seine. Er ließ es bereitwillig mit sich geschehen. Sie küssten sich intensiv. Dann fuhr Norshas Hand seinen Bauch entlang bis … ziemlich tief. Zärtlich ruhten ihre Finger auf seiner empfindlichen Zone, während sie ihn küsste. Dann schob sie sich sanft von ihm weg und streifte sein Hemd ab. Er zog ihr Kleid herunter. Sie drehte sich, um ihm das Herunterziehen leichter zu machen, und stand gleich darauf nur noch mit knapper Unterwäsche bekleidet vor ihm.

Ihre Brüste glichen Pfirsichen! Meydih küsste sie, und sie lachte. Er erschrak. War er zu grob, zu unbeholfen? Oh nein, er wollte es nicht vermasseln! Aber sie führte ihn zum Bett. Norsha legte sich hin und lächelte ihn an. Meydih zog sich ganz aus und legte sich dazu. Ihre Haut war so weich und sanft.

Sie ging ziemlich direkt vor für eine Frau. Sanft massierte sie sein Glied, fuhr mit der Zunge darüber. Meydih fühlte sich wie im Himmel. Nachdem sie ihn verwöhnt hatte, drückte sie seinen Kopf sanft zu ihrem Becken. Er küsste ihre Schenkel und fuhr mit der Zunge langsam zu ihrem Schoß. Sie stöhnte lustvoll auf, als er dasselbe tat wie sie zuvor bei ihm. Nach einer Weile krallten sich ihre Finger in seinen Haaren fest und sie zog ihn langsam wieder zu sich hoch.

Leidenschaftlich küsste sie ihn und drehte ihn herum. Nun saß Norsha auf ihm. Zärtlich führte sie sein Glied in sich hinein. Sie bewegte sich auf und ab, beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn leidenschaftlich, während ihr Becken kreiste.

In Meydih kam ein ganz anderes Gefühl hoch als alles, was er vorher für sie empfunden hatte. Er atmete schneller, sie drosselte das Tempo, küsste und streichelte ihn. Es war unbeschreiblich. Kein Gedicht hätte seine Emotionen in Worte fassen können. Keine Zeilen wären dem Glück gerecht geworden, welches Norsha ihm gerade bereitete.

Ihr Körper schien zu glühen. Sie stöhnte immer lauter. Ihre Hände krallten sich am Laken fest, sie fing an zu zittern und schrie laut auf. Dann kam auch Meydih im höchsten Gefühl des Glücks.

Sie umarmte ihn, küsste ihn zärtlich auf die Lippen und sah ihm tief in die Augen.

»Ich liebe dich«, sagte Norsha.

»Ich liebe dich auch«, erwiderte Meydih ernst. Er schloss sie in seine Arme. Ihre weiche, nasse Haut fühlte sich gut an. Sie legte sich neben ihn und kuschelte sich an ihn.

»Siehst du, das Regenwetter hatte doch etwas Gutes.«

Sie kicherte und drückte sich fest an ihn. Norsha erzählte noch etwas Belangloses, dann wurde ihre Stimme leiser und sie schlief ein. Meydih ließ seine Gedanken wandern. Er war noch nie so glücklich gewesen wie in diesem Moment.

*

Als er aufwachte, hatte es aufgehört zu regnen. Norsha lag immer noch fest an ihn gekuschelt und schlief. Die drei Monde schienen direkt ins Fenster. So leise und behutsam es ging, stand er auf und wollte die Rollläden schließen. Da bemerkte er draußen zwei Gestalten.

Sie kämpften einen ungleichen Kampf. Die größere packte die kleinere und schien sie zu schlagen. Meydih zog sich schnell etwas über, vergewisserte sich, dass Norsha noch schlief, und eilte hinaus.

Die Kontrahenten standen an einem Pfad zum Wald. Meydih war nicht wohl bei der Sache, doch er konnte unmöglich nichts tun. Außerdem musste er Norsha beschützen.

»Aufhören!«, rief er.

Der Angreifer verharrte, dann drehte er sich um. Seine Augen leuchteten. Meydih erschrak, wusste nicht, ob er lieber zurückgehen sollte.

Der Fremde nahm ihm die Entscheidung ab. Er packte den zu Boden Geschlagenen, legte ihn sich über die Schulter und rannte los. Meydih hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen, denn der Mann war in Lebensgefahr.

Leider er hatte keinen Kommunikator bei sich. Es gab ein paar alyskische Sicherheitsbeamte in der Transmitterstation, die ihm helfen könnten, aber dazu müsste er sie anrufen.

Er folgte dem Angreifer durch das Dickicht – bis zu einem plötzlichen Halt. Meydih wäre beinahe gestolpert. Er ruderte mit den Armen, um sein Gewicht zu halten, denn unvermittelt stand er vor einem Abhang. Er konnte kaum etwas sehen, ging in die Hocke, um den Abstieg zu ertasten und kletterte behutsam herunter.

Nach einigen Metern Abstieg erreichte er einen Weg, der ihn zu einem alten Gemäuer führte. Vorsichtig umrundete er es, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Es war vermutlich jünger als er selbst. Aber im Gegensatz zu ihm schien es seit Jahrhunderten nicht mehr gepflegt worden zu sein.

Dann sah Meydih die Bewegung auf der Treppe. »Halten Sie an!«, rief er dem Mann zu. Der hörte nicht. Er stürmte zur Tür. Meydih rannte hinterher, wollte ihm den Weg ins Gebäude abschneiden. Er eilte die Stufen hoch und blieb wie angewurzelt stehen. Sein Gegenüber stand da und beäugte ihn.

»Du bist kein Mureser«, stellte der Mann fest.

»Nein. Ich bin Alysker.«

»Oh, Alysker. Ja …« Er lachte. »Das war ich auch einmal.«

Dann warf er seine Beute über das Geländer. Meydih eilte hin, doch der Mann war tot. Die klaffende Wunde am Hals sah schrecklich aus. Meydih zwang sich, noch einmal hinzusehen. Der Getötete war ein Einheimischer. Keine spitzen Ohren, eine grüne Hautfarbe.

»Waren … waren Sie das?«

Mord. Verbrechen. So etwas kannte Meydih von Alysk her nicht. Da gab es keine Kriminalität. Weshalb sollte ein Alysker auch kriminell werden? Sie besaßen alles in Überfluss, besonders Zeit.

Die Wolkendecke riss auf. Im hellen Mondlicht konnte Meydih sein Gegenüber deutlicher erkennen. Er erschrak. Das Wesen erinnerte an einen Alysker, doch es war bleich, wirkte verstümmelt. Das Gebiss war das eines Raubtieres. Es hatte keine Haare, die Wangenknochen waren kantig, die Nase spitz. Die großen Augen leuchteten. Die Ohren hingegen waren groß und spitz – wie die eines Alyskers. War einer seiner Artgenossen zu solch einer Gewalttat fähig?

»Ich hatte Hunger. Sein Blut war so süß.«

Meydih konnte nicht glauben, was er da hörte. Die Kreatur hatte das Blut des Muresers getrunken! Kein zivilisiertes Wesen tat so etwas!

»Wieso?«, brüllte Meydih auf. Er war fassungslos über so viel Brutalität!

Vor Wut empfand der junge Alysker nicht einmal Angst vor dem unheimlichen Wesen. Es verhielt sich jetzt auch sehr zivilisiert, dabei hätte es ihn sicher schnell überwältigen können.

»Ich ernähre mich davon. Wir brauchen das Blut oder vielmehr gewisse Stoffe im Blut, um leben zu können.«

Meydih verstand nicht. »Du bist ein Mörder!«, schrie er.

»Mörder? Mörder sind diejenigen, die uns dazu gemacht haben. Als der Virus auf dem siebten Planeten ausbrach, da kannten unsere Brüder das Gegenmittel, doch sie zogen es vor, uns krepieren zu lassen. Auch wir Ylors waren Alysker. Doch wir entwickelten Gegengifte, und der Virus mutierte!«

»Was?«

Meydih war sprachlos. Ein Ylors? Er stand tatsächlich einem Untoten gegenüber! Der junge Mann fing an zu zittern, und er verstand. Alles ergab einen Sinn. Die spitzen Ohren, das Aussehen – so sahen also Ylors aus. Wie Zerrbilder ihrer alten alyskischen Existenzen.

Sein Gegenüber lehnte sich an die Mauer, verschränkte die Arme vor der Brust.

»Das versetzt dich in Erstaunen? Anscheinend bist du noch jung. Darf ich mich vorstellen? Einst war ich Fürst Glondifel, Militärberater von Nargul persönlich! Doch das ist hundert Millionen Jahre her. Nun bin ich nur Glond, der Ylors. Ein Heimatloser, der vom Tod der anderen lebt.«

Meydih beruhigte sich. Dieser Ylors war anders als die herzlosen, brutalen und primitiven Bestien in den Geschichten des Großvaters. Er wirkte kultiviert, sah man davon ab, dass er ein Intelligenzwesen ermordet hatte, um dessen Blut zu trinken.

Glond schritt die Treppe herab.

»Habe keine Furcht. Ich werde dich nicht essen. Du bist der Erste seit Jahrtausenden, der sich mit mir unterhält und weiß, was ich bin.«

Meydih sah ihn fragend an.

»Es gibt noch mehr von uns. Doch sie sind weit verstreut im Kreuz der Galaxien. Tausende, und wir haben die Möglichkeit, noch viel mehr Wesen zu dem zu machen wie wir. Nicht nur Alysker. Viele!«

Glond erklärte, dass der Virus, der die meisten Ylors hingerafft hatte, nach Experimenten mutiert war und nun nicht mehr tötete. Doch er veränderte die Überlebenden. Sie waren nun süchtig nach Leukozyten, brauchten diese, um weiterbestehen zu können. Außerdem wurden sie empfindlich gegenüber Licht, waren aber weitgehend resistent gegen den Tod. Seither streiften sie durch das Kreuz der Galaxien, jagten ihre Lebensquellen und spotteten über die Sterblichkeit.

»Die Ylors haben sich von den reißenden Bestien der Anfangszeit zu klugen Brüdern der Alysker entwickelt. Wir haben unsere Intelligenz wiedergefunden. Doch offiziell existieren wir nicht mehr. Eorthor lässt uns jagen und töten.«

»Wie?«, wollte Meydih wissen.

»Desintegration ist das effizienteste Mittel, um einen Ylors zu vernichten. Eine hohe Konzentration von Licht lässt uns verbrennen. Uns in die Luft jagen ist auch eine Möglichkeit, oder uns zerstückeln.«

Meydih besaß diese Möglichkeiten nicht, doch er wollte dem Ylors auch nichts mehr tun. Im Gegenteil, er tat ihm sogar leid. Es musste doch eine Möglichkeit geben, die Ylors wieder in den Völkerbund des Kreuzes der Galaxien zu integrieren. Die künstliche Gewinnung von weißen Blutkörperchen war sicherlich kein Problem. Kein Wesen musste mehr sterben. Glond lachte voller Hohn und Spott über Meydihs Naivität.

»Das würde Eorthor nie zulassen. Die Ylors passen nicht in sein Weltbild, wir erinnern ihn immer an das Versagen der Alysker. An den Fehler seines Vaters und an sein Versagen.«

Glond trat näher.

»Ach ja.« Er packte Meydih am Hals und drückte fest zu. »Wir genießen unser Leben. Künstliches Blut schmeckt widerlich. Und die Befriedigung, die Beute zu jagen und zu erlegen, wollen wir keinesfalls missen.«

»Hilfe …«

Meydih hustete.

Der Atem des Ylors stank nach Tod und Verwesung. Die spitzen, blutverschmierten Zähne kamen immer näher.

»Pscht, hab keine Angst, mein Sohn. Es ist gleich vorbei.«

Meydih fing an zu zittern. Das konnte es doch nicht gewesen sein? Warum musste er heute sterben? Es war der schönste Tag in seinem Leben gewesen. Und jetzt? Jetzt starb er? Einfach so?

Verzweifelt wehrte er sich, trat um sich, versuchte den Ylors wegzudrücken, doch Glond war zu stark für ihn.

Es musste doch irgendwie weitergehen. Er flehte.

»Ich will … will nicht sterben. Norsha! Nein!«

»Ach? Du bist verliebt? Wie goldig. Wo ist sie? Ich will von ihr kosten! Nein, ich habe eine bessere Idee. Tue es selbst und erfahre, wie es ist, ein Ylors zu sein.«

Glond öffnete seinen Mund und biss in Meydihs Hals. Dieser spürte starke, stechende Schmerzen, dann ein Gefühl des Glücks, mindestens so stark wie der Orgasmus beim Sex mit Norsha.

Dann wurde ihm kalt. Er bekam keine Luft mehr, und alles um ihn herum wurde dunkel.

*

Meydih öffnete die Augen. Er lebte noch! Sein Kopf hämmerte. Seine Kehle schmerzte. Behutsam tastete er mit den zittrigen Fingerspitzen seinen Hals entlang und spürte die Löcher darin. Der Biss des Ylors! Wieso hatte er Meydih nicht getötet? War er nur ein Snack für ihn gewesen?

Meydih bewegte die Beine, suchte festen Boden unter den Füßen. Er befand sich auf dem Boden vor der Treppe. Offenbar noch in der Ruine, in die er Glond verfolgt hatte.

Ihm wurde schwindelig, als er sich ächzend erhob. Sein Kopf schwirrte, jeder Schritt fühlte sich an wie auf Wolken. Er stützte sich an der Wand ab.

Es war dunkel. Es musste also noch Nacht sein.

Norsha! Sie schlief noch. War sie in Gefahr? Was wäre, wenn Glond auch sie beißen wollte? Er musste sich beeilen, musste sie beschützen. Deshalb riss er sich zusammen und machte kleine Schritte, versuchte den Gleichgewichtssinn wiederzuerlangen. Dann überspülten ihn starke Gefühle.

Gier!

Verlangen!

Rausch!

Nach ihnen sehnte sich Meydih. Woher kam dieser Drang, der ihm unbekannt war? Nie hatte er viel Alkohol getrunken, und sein Wunsch, Besitz anzuhäufen, war klein gewesen.

Er fühlte sich so … niedrig an.

Die Wunde an seinem Hals pochte und brannte. Sein ganzer Körper bebte vor Begierde. Ein Durst nach süßem Saft trocknete seine Kehle aus.

Norsha, schoss es ihm durch den Kopf. Sie musste noch schlafen. Wieder durchzuckte Meydih der Schmerz. Er ging in die Knie. Die Hände stützten sich auf dem kalten Gestein ab. Er fühlte den Dreck und das vertrocknete Laub darauf. Sein Schädel hämmerte. Wo war er?

Dann fiel es ihm ein.

»Glond?«

Stille!

Wo war der Ylors? Was hatte er ihm angetan? Meydih riss sich zusammen. Er stand auf und begann zu gehen.

Schritt für Schritt. Mehr schlecht als recht. Er fühlte sich wie ein verwundetes Tier, hatte Angst. Verfolgte ihn jemand im Gebüsch? Glond? Oder andere Ylors?

Wie sollte er das Norsha nur erklären?

Er dachte an ihre Brüste. An ihr Stöhnen beim Sex. Das Pochen des Herzens, die Zirkulation des Blutes. Das erregte ihn. Er vergaß die Angst für einen Moment, fühlte sich in der Dunkelheit des Waldes sicher.

Dann verließ ihn wieder die Kraft. Er fiel hin und lag auf der schmutzigen Erde.

Aufstehen!

Er musste aufstehen. Weiter.

Schmerz und Lust bildeten ein Wechselbad der Gefühle. Er schwitzte und fröstelte zugleich. Die Eingeweide schmerzten, und doch konnte er an nichts anderes denken als an Norshas Brüste, ihre Vagina, ihr Herzklopfen, das Stöhnen und Keuchen. Der salzige Geschmack auf ihrer Haut, den er ablecken wollte.

Und das Pulsieren ihres Herzens, das Blut in ihren Adern.

Er rappelte sich auf. Schritt für Schritt ging er weiter. Automatisch. Angetrieben vom Überlebenswillen. Endlich erreichte er das Blockhaus. Es brannte Licht. Meydih wusste nicht, wie lange er fort gewesen war.

Norsha erwartete ihn.

»Meydih! Wo warst du?«

Sie erschrak, als sie das Blut sah. Sofort kümmerte sie sich um ihn. Drückte ihn sanft nach unten, so dass er sich setzen musste. Rasch reinigte sie die Wunde und sprühte Plasma drauf.

Meydih ließ es mit sich geschehen. Er verspürte Lust auf sie, doch er war kraftlos. Er brauchte Ruhe. Oder vielleicht einen Adrenalinkick?

»Was ist passiert, Liebling?«

Er hörte das wilde, aufgeregte Pochen ihres Herzens. Wie schön der Klang war. Er musste Fieber haben. Meydih schüttelte sich. Wieso dachte er plötzlich so seltsam? Er konzentrierte sich. Norsha hatte ihm eine Frage gestellt.

»Ich wurde angegriffen. Als ich die Fensterläden schließen wollte, sah ich, wie ein Mann überfallen wurde. Ich versuchte ihm zu helfen, doch der Angreifer hat mich irgendwie erwischt und ist entkommen. Ich muss wohl eine Weile bewusstlos gewesen sein.«

Meydih erzählte Norsha nichts von dem Ylors. Er wollte sie nicht beunruhigen. Sie sollte noch in Stimmung sein. Sie beugte sich vor, um die Wunde zu verbinden. Oh, sie roch so gut. Eine Brust blitzte aus dem Morgenmantel heraus. Mehr als diesen kleinen Fetzen trug sie nicht. Meydih hätte sie am liebsten sofort gepackt und es mit ihr auf dem Fußboden getrieben. Der Drang, sie zu berühren, von ihren Lippen zu kosten, sie zu lecken, war unvorstellbar groß.

Meydih spürte eine noch nie geahnte Lust in sich. Energie kehrte in ihn zurück. Animalische, wilde Macht. Er fühlte sich stark und mächtig. Er fühlte, wie das Blut des Ylors in ihm rann. Wie der Virus sich ausbreitete. Eigentlich hätte er sich fürchten müssen, doch er genoss diesen Moment. Was war er schon als Alysker? Ein Nichts, der endlich nach über dreihundert Jahren mal ein Mädchen flachlegen durfte. Ein Poet und ein Dichter. Ein Weichling!

Was war er als Ylors? Das Universum stand ihm offen. Nicht nur dieser blöde, schimmlige Planet Alysk!

Und Norsha?

Er konnte nicht mehr widerstehen, riss ihr den Mantel vom Leib und schleckte an ihren Brüsten. Sie wehrte sich nur ein wenig, sah Meydih verständnislos an und wurde dann doch von der Ekstase angesteckt.

Hastig vereinte er sich mit ihr. Sie schrie kurz auf, dann ließ er sich mit ihr zu Boden fallen und stieß immer wieder zu.

»Meydih … du tust mir weh.«

Das war ihm in diesem Moment gleich. Nur seine Lust zählte für ihn. Meydih wollte keine romantischen Momente der Sanftheit. Roh und wild gab er sich seinen Gelüsten hin, bis er in ihr kam.

Norsha gehörte ihm. Sie war seinem Willen ausgesetzt. Wie ein wildes Tier über seine Beute fiel er über sie her. Sie war seine Beute. Ihr Herz pochte, das Blut schoss durch ihren Körper. Er konnte es spüren, beinahe sehen. So süßes, warmes Blut. Er wollte sie beißen, doch er riss sich zusammen.

Als er fertig war, wandte er sich voller Scham von ihr ab. Was war nur los mit ihm? Plötzlich überkam ihn Reue, weil er so brutal gewesen war. Was hatte dieser Glond ihm nur angetan? Seine Emotionen änderten sich minütlich. Es war, als kämpfe er eine innere Schlacht zwischen Gut und Böse.

Er stand auf, wurde müde und fiel ins Bett.

Norsha legte sich nach einer Weile zu ihm.

»Du warst so grob. Was ist geschehen dort draußen? Belastet es dich?«

Meydih musste lachen. Sie zeigte sogar noch Verständnis für seinen Ausbruch. Sie war schwach und doch liebenswert zugleich.

Wie liebte einer, der den Ylorsvirus in sich trug?

Er sah ihr in die Augen und plötzlich war die Zuneigung wieder da. Er entwickelte sich zu einem Monster! Das durfte nicht sein. Er musste diesen Virus bekämpfen! Er wollte ein wundervolles Leben mit Norsha führen und keine mordende Bestie werden! Er musste kämpfen!

Meydih erhob sich.

»Wir müssen zurück nach Alysk. Ich fürchte, ich bin krank. Nur Eorthor kann mir helfen!«

Meydih wollte aufstehen, doch seine Knie wurden weich. Alles wurde wieder schwarz um ihn herum. Ein stechender Schmerz lähmte seinen ganzen Körper. Leise und unendlich fern hörte er Norshas Stimme rufen, dann wurde es still.

Licht und Schatten

Sie waren mitten im Nirgendwo, gestrandet auf dem gigantischen Rideryon.

Zwei Terranerinnen und ein sogenannter Riffmausbiber, eine artverwandte Spezies der Mausbiber. Besser gesagt, des letzten verbliebenen Mausbibers Gucky.

Kathy Scolar und Nataly Andrews waren dank des pelzigen Nagezahnträgers auf festem Boden, aber im Unbekannten. Er hatte sie einfach von der DUNKELSTERN teleportiert. Sofern Roi Danton nach ihnen gesucht hatte, war er erfolglos gewesen. Die beiden Frauen hatten bei den Riffmausbibern einige Wochen verbracht. Immerhin genug Zeit, um Vertrauen zu fassen und dem pummeligen Kalky einige Grundbegriffe des Interkosmos beizubringen.

Die Rideryon-Mausbiber waren nicht dumm, wenngleich nicht hoch entwickelt. Sie besaßen auch parapsychische Fähigkeiten. Kalky war Teleporter und Telekinet. Aber er war charakterlich eher zweifelhaft. Kathy erinnerte er an eine Serie aus ihrer Jugendzeit, die damals schon uralt war. Ein Charakter in dieser über Trivid ausgestrahlten Zeichentrick-Serie war ein dicker, kleiner Junge mit blauer Mütze gewesen, der alle anderen beleidigte und sich widerlich benahm.

Kalky zeigte solche Züge auch. Trotzdem war er bei ihnen. Welche Wahl hatte er auch gehabt. Und welche hatten sie gehabt? Die Mausbiber wurden von den Husaaven im Auftrag der Ylors mit Hilfe von Parafallen gejagt. Deshalb hatten Nataly und Kathy beschlossen, das Mausbiberdorf zu verlassen und sich mit Kalky als Führer bis zur nächsten größeren Metropole durchzuschlagen. Dort erhofften sie sich größere Chancen, Roi Danton und die DUNKELSTERN wiederzufinden und kontaktieren zu können.

Die Husaaven waren brutale Jäger. Ihr Äußeres erinnerte sie an aufrecht gehende Schweine mit massigen, kräftigen Körpern, Borstenhaaren und der charakteristischen Nase. Deshalb mussten sie auf ihrer Wanderung besonders vorsichtig sein.

Kalky verzichtete meistens aufs Teleportieren, doch er ließ sich selbst telekinetisch in der Luft schweben, um nicht laufen zu müssen. Damit hatte er Kathy und Nataly einiges voraus, die beide nach den zwei Wochen Fußmarsch erledigt waren.

Sie hatten während ihres Marsches allerhand gesehen. Viele kleine Dörfer, in denen verschiedene Rassen lebten, die zumeist aber primitiv waren. Aber auch moderne Energietankstationen für Reisende und dann wieder tagelang nur Wälder und Wiesen ohne Zeichen von Zivilisation.

Die Landschaft in dieser Region des Rideryons war atemberaubend. Die Wälder waren dicht und voll üppiger Flora und Fauna. Mannigfaltig präsentierte sich das Leben in der Natur. Zweiköpfige Vögel, riesige Saurier, glitzernde Insekten und sechsbeinige Pferde, meist mit blauem Fell. Über ihren Köpfen zogen Vierflügler mit gleißenden Schwingen ihre Kreise.

Kathy konnte nicht mehr. Sie brauchte eine Pause. Nataly blieb stehen und seufzte betont laut.

»Mit deiner Einstellung schaffen wir es nie bis zur nächsten größeren Siedlung! Vielleicht sollten wir dich einfach zurücklassen!«

Kathy verbarg ihre Wut. Nataly war in letzter Zeit unausstehlich geworden. Erst hatte sie erzählt, dass sie Jonathan nicht mehr liebte, keine Gemeinsamkeiten mehr mit ihm hatte und er sie sowieso nicht verstand, und nun wurde sie immer kälter und abweisender. Was war mit ihr los? Kathy stellte sich provozierend vor ihre Freundin, die immerhin etwas kleiner war als sie selbst.

»Vielleicht sollten wir wirklich getrennte Wege gehen. Ich will nach Hause! Du ja offensichtlich nicht. Ich sehne mich nach Aurec. Was du willst, ist mir nicht so ganz klar! Dein Benehmen ist schrecklich! Du hast dich sehr, sehr verändert.«

Nataly zündete sich eine Zigarette an und starrte Kathy böse an.

»Den Mist muss ich mir nicht anhören, du dumme Schlampe! Bin ich jetzt die Böse, nur weil ich erkannt habe, dass meine Ehe mit Jonathan völlig nutzlos war? Nur weil ich dich darauf aufmerksam mache, dass wir in einer fremden Welt voller Gefahren sind und nicht auf einem Wandertag? Ist es das?«

Nataly war schon immer temperamentvoll gewesen, doch langsam nahm sie sich zu viel raus.

»Mädels, ich will ja nicht stören, aber …«, warf Kalky ein, »aber es wird dunkel und wir sind nicht sehr weit von den Ylors entfernt.«

Kathy packte ihren Rucksack und ging weiter. Sie hatte keine Lust mehr, sich mit Nataly auseinanderzusetzen. Die undankbare Kuh! Sollte sie doch froh sein, dass sie einen tollen Mann wie Jonathan zuhause hatte, der sicherlich in diesem Moment an sie dachte und hoffte, sie bald wiederzusehen. Aber nein, nun wollte sich ihre Freundin plötzlich selbst verwirklichen und warf alles über Bord, was ihr früher wichtig war.

Es wurde schneller dunkler, als Kathy vermutet hatte. Gewitterwolken zogen in rasanter Geschwindigkeit heran und verdeckten die Sonne.

Innenillustration: Ajinahstadt von Stefan Wepil
Ajinahstadt © Stefan Wepil

Sicherlich hatten sie in den letzten zwei Wochen um die fünfhundert Kilometer zurückgelegt, mussten aber immer an der Schwelle zwischen der Region der ewigen Finsternis und dem Tageslicht entlang wandern, da die immer noch zweihundert Kilometer entfernte Stadt ebenfalls in dieser Region lag. Und nun fing es an zu regnen.

Kalky war nur dann mit ihnen teleportiert, wenn sie sich in unmittelbarer Gefahr durch wilde Raubtiere oder Maraudern befunden hatten. Die Furcht vor den Parafallen der Husaaven war zu groß. Dabei wäre eine Abkürzung so gut! Sehnsüchtig blickte Kathy gen Himmel und zog die Jacke um sich.

»Na, ist unser Püppchen aus Zucker?«, fragte Nataly zickig und deutete damit an, dass ihr der Regen nichts ausmachte.

»Die nicht, aber ich«, meldete sich Kalky zu Wort.

Kathy war wieder einmal froh, dass der Riffmausbiber bei ihnen war. Nicht nur, dass er sich in der Region gut auskannte, er war recht ruhig und sogar schlichtend geworden, seitdem sich Nataly und Kathy angifteten.

»Wir suchen uns eine Höhle. Da können wir rasten. In der Dunkelheit ist es sowieso sicherer«, meinte der Ilt.

»Weicheier!«

Kathy hörte das Heulen von Wölfen. Die klangen gar nicht so weit entfernt.

»Ja, bin gerne ein Weichei! Lieber als weich gekocht im Magen eines Ylors zu landen«, meinte Kalky und deutete auf eine Höhle. »Außerdem fängt mein Fell an zu stinken, wenn es nass wird.«

Kathy lief ein kalter Schauer über den Rücken. Immer wieder heulten Wölfe, kreischten unbekannte Tiere. Es war unheimlich. Irgendetwas war heute anders. Sie hatte das Gefühl, verfolgt zu werden. War das nur Paranoia, übertriebene Angst, oder war da wirklich etwas dran?

Kathy rannte die letzten Schritte zur Höhle und fühlte sich schon etwas sicherer, als sie drin war.

Nataly lachte ihr hinterher. Dann der nächste Schock: Die Höhle war bereits vermietet. Ein etwa drei Meter großes Insekt, eine Art Gottesanbeterin, starrte die Besucherin aus acht Augen an. Kathy fing an zu schreien und lief raus.

»Da können wir nicht rein. Wird mir zu eng.«

Nataly leuchtete mit einer Lampe hinein und zuckte kurz zusammen, als sie das Insekt sah. Kathy registrierte mit Genugtuung, dass Nataly doch noch Gefühle hatte.

Der Regen ließ nach. Kalky schüttelte das Wasser aus seinem Fell. Er hatte recht – er stank.

»Ich habe Hunger!«, sagte der Mausbiber.

»Du hast immer Hunger, Fettwanst!«, entgegnete Nataly wenig freundlich. Gleich darauf flog sie einen Meter hoch und plumpste unsanft zu Boden.

»Ich bin höchstens vollschlank, du zickige Terranerin!«

Nataly nahm Erde und warf sie Kalky ins Gesicht.

»Blödes Mistvieh! Ich habe die Schnauze voll von euch. Ich gehe allein weiter. Krepiert doch hier!«

Nataly stapfte wütend davon. Zuerst wollte Kathy sie aufhalten, doch es hätte keinen Sinn gehabt. Nataly war stur und musste sich erst einmal abkühlen. Vielleicht war das alles hier einfach zu viel für sie und sie fing an durchzudrehen.

Kathy setzte sich auf einen Stein und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Mit Mühe hielt sie die Tränen zurück. Alles war kalt, feucht und unangenehm. Der Stein war nass, ihre Haare waren nass, die Kleidung war auch nass. Und sie hatte Hunger. Da war Kalky nicht allein.

»Soll ich sie festhalten?«

»Nein. Wir warten ein paar Stunden, bis sie wieder zurückkommt. Sie hat solche Phasen. Essen wir etwas und ruhen. Auch wenn alles nass ist, ein Feuer sollten wir nicht machen.«

Kathy wünschte, sie hätte zumindest einen Energie- und Wärmespender. Die Dinger leuchteten nicht und wären unauffällig gewesen. Aber sie hatten keinerlei Technik.

Kathy kramte in ihrem Rucksack. Viel zu essen hatten sie auch nicht mehr. Der kleine Mausbiber fraß für drei. Er nahm alles, was da war. Im Gegensatz zu Gucky waren diese Mausbiber keine Vegetarier. Sie aßen auch Fleisch. Und Kalky mochte besonders fettes Fleisch. Kathy schüttelte sich bei dem Gedanken.

Sie nahm lieber etwas von dem Gemüse und dem Brot. Eine kleine Ration nur. Sie wusste nicht, wann sie die nächste Siedlung erreichten, um etwas Nahrung zu stehlen. Geld hatten sie keines. Die Knollenfrucht schmeckte streng, war aber offenbar nahrhaft. Zumindest fühlte sie sich munterer nach einer Ration. Das Brot war schon hart, aber immerhin noch nicht schimmelig. Sie nahm kleine Happen und zog das »Festmahl« so eine halbe Stunde in die Länge. Danach starrten Kathy und Kalky vor sich hin, lauschten den bedrohlichen Lauten der Tiere. Ab und zu schreckte Kathy zusammen, als es raschelte. Vielleicht wollte die riesige Gottesanbeterin ihnen ja Gesellschaft leisten …

Nach zwei Stunden kehrte Nataly zurück. Kathy war froh, dass sie sich beruhigt hatte. Sie auf ihren Wutausbruch anzusprechen, hätte sowieso nichts gebracht. War sie erschöpft? Sie wirkte seltsam emotionslos.

»Ich habe einen Unterschlupf gefunden. Folgt mir«, sagte sie und kehrte um.

Kathy nickte Kalky zu, und die beiden folgten Nataly zu einer Lichtung.

Dort blieb sie stehen.

»Hier ist es.«

»Hier ist was?«, wollte Kalky wissen.

Nataly grinste seltsam.

»Hier erwartet er uns. Er hat mir telepathisch seine Geschichte erzählt. Der Ärmste ist traurig und einsam, weil seine Liebe versagte. Weil sein Volk von seinen Brüdern verstoßen wurde. Ich fühle mit ihm.«

Kalky machte eine Geste, die Kathy signalisierte, dass Nataly nun bescheuert war. Die bekam ein ungutes Gefühl. Sie drehte sich um, sah ein Leuchten aus dem Wald kommen. Mehrere Leuchten. Es waren Augen! Sie kamen näher. Nun erkannte sie auch den Rest der Körper. Es waren grauenvolle, verstümmelte Körper.

Die Ylors!

Sie waren überall. Wie konnten sie fliehen? Kalky konnte nicht teleportieren, ohne Gefahr zu laufen, in eine Parafalle zu tappen.

»Nataly? Du hast uns verraten!«

Jemand klatschte Beifall! Die grimmigen Ylors machten Platz.

Ein Halbkreis aus Horrorgestalten bildete sich um sie. Kathy schauderte vor Angst. Dann trat ein gutaussehender Mann, der aussah wie ein Alysker, zwischen ihnen hervor. Er war nicht zu groß, aber auch nicht klein. Sein Gesicht war bleich, das pechschwarze, lange Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er besaß eine enorme Ausstrahlung.

»Richtig erkannt! Nataly hat euch verraten. Ich habe Natalys Geist schon früh erfasst, ihr über mein Leben erzählt, meine Qualen, meine Sehnsüchte, und sie hat mich verstanden. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Fürst Medvecâ, der Herr der Ylors!«

Medvecâ machte eine Verbeugung.

»Die Auserwählte meines Herzens ist vor Äonen verstorben. Norsha, meine erste und letzte Liebe bis jetzt. Keine Frau konnte ihren Platz füllen. Sie waren ein Zeitvertreib, eine kurzweilige Stillung der Gier.«

Kathy verstand die Anspielung. Der Kerl fiel wirklich mit der Tür ins Haus.

»Fein, ich möchte weder Ihre Gier stillen noch Ihre Frau werden, sorry!«, meinte die Terranerin und wich einen Schritt zurück.

Medvecâ lachte.

»Aber nein! Diesen Platz nimmt schon Nataly ein. Sie ist charismatisch, stark und hat einen großen Willen! Noch dazu ist sie von enormer Schönheit und wird an meiner Seite das Volk der Ylors regieren!«

Nataly schob sich an Kathy vorbei und trat an die Seite des Fürsten. Beide küssten sich leidenschaftlich.

Kathy sah angewidert weg. Jonathan tat ihr so sehr leid! Aber jetzt verstand sie so langsam. Nataly stand unter der Beeinflussung von Medvecâ. Deshalb hatte sie so seltsam reagiert. Kathy musste sie aus dieser Suggestion befreien.

»Wer sagt denn, dass Nataly nicht auch nur gefüllt wird? Ich meine, eine Lückenfüllerin ist?«, warf Kalky plötzlich ein.

Er sprach Kathy aus der Seele. Nataly sah sie erbost an.

Der Ylors blickte den kleinen Riffmausbiber an wie ein exotisches Insekt.

»Vergnüglich, diese Primitiven können sprechen. Ihr habt ihm das beigebracht, richtig?«

Medvecâ wirkte angenehm überrascht dabei.

»Vergnüglich …«

Der Herr der Ylors schmunzelte, während er mit seiner Hand durch Natalys goldenes Haar fuhr. Dann wandte er sich wieder seinen Zuschauern zu.

»Es wird euch entsetzen, aber Nataly ist aus freien Stücken zu mir gekommen. Eine Gefährtin, die unter Zwang zu mir kommt, ist nutzlos für mich. Ja, Nataly war mit ihrem Leben unzufrieden. Sie wollte nicht mehr mit diesem Terraner Jonathan zusammen sein. Sie hasste den Krieg und das Martyrium, welches sie dank ihres Mannes, ihres senilen Onkels und dir, Kathy, ertragen musste.

Ich habe ihr ein neues Leben gezeigt. Und dieses Leben werde ich ihr nun auch schenken.«

Kathy konnte nicht glauben, was sie hörte! Nataly war freiwillig zu Medvecâ gegangen? Das war eine Lüge!

»Bringt den Mausbiber in die Fleischfabrik und Kathy in den tiefsten, schimmeligen Kerker. Aber tötet sie nicht. Noch nicht«, sagte Nataly mit einer Kälte, die Kathy erschreckte.

Die Ylors packten die beiden und zogen sie weg. Kathy wurde von Kalky getrennt. Sein Schicksal war wie ihres besiegelt. Sie verfluchte Nataly, die sie einst als beste Freundin bezeichnet hatte.

Erinnerungen: Medvecâ, der Ylors

Dunkelheit!

Wo war er? Was war geschehen?

»Norsha?«, brüllte er.

Keine Antwort.

Meydih öffnete die Augen. Das All! Soweit er sehen konnte, breitete sich ein Sternenteppich aus. Welch ein Anblick! Das Funkeln der entfernten Sonnen, die Achse der sich kreuzenden Galaxien. Und dazwischen die eisige Dunkelheit des Weltraums. Meydih fröstelte es. Er versuchte, sich zu bewegen, doch er steckte in einem engen Kasten. Kaum konnte er Arme und Beine bewegen, sich strecken oder winden.

Ein Sarg!

Es dämmerte Meydih! Er war beigesetzt worden. Sie hatten ihn zu den Sternen geschickt. Aber er war doch nicht tot. Er lebte! Er lebte, das mussten sie doch wissen!

Mit den Händen pochte er gegen die transparente Decke. Er drückte dagegen. Dann schalt er sich einen Narren. Was sollte das bringen? Selbst wenn er den Sarg öffnete, würde er innerhalb weniger Sekunden erfrieren oder ersticken. Das war Wahnsinn. Aber was war die Alternative? Langsam ersticken oder verdursten? War ein schneller Tod nicht besser?

Oder sollte er warten? Doch worauf? Auf Rettung? Niemand würde ihn bemerken. Und ganz offenbar war niemand der kapitale Fehler aufgefallen, der sein Leben auslöschte.

Er lebte noch!

Er spürte einen Druck auf der Brust, glaubte zu ersticken, zu kollabieren, zu erbrechen. Doch das fand nur in seiner Psyche statt. Erst jetzt bemerkte er, dass er keine Probleme mit dem Atmen hatte. Sein Puls war ruhig.

Sein Geist war hingegen in vollem Aufruhr.

Er verwünschte sie alle! Wie konnte Norsha ihm das antun?

Ein ganz anderer Zwang machte sich bemerkbar. Meydih zitterte, es dürstete ihn nach Blut, dem köstlich süßen Saft, den er noch niemals getrunken hatte. Er fing an zu weinen, als er realisierte, dass er nun auf jeden Fall starb.

Dann resignierte er und ergab sich melancholisch seinem Schicksal.

Hätte er doch wenigstens Norsha noch einmal gesehen. Sich von ihr verabschieden können. Sie hatte ihm den schönsten Moment in seinem Leben geschenkt. Und danach hatte er sie schlecht behandelt. Doch sie hatte es ihm verziehen, weil sie ihn liebte. Er liebte sie auch. Und ihr sollte sein letzter Gedanke gelten. Den blauen Augen, deren Blick in der Klarheit des Himmels leuchtete, die sanfte Flut ihrer Haare, die sich über die Schultern ergoss …

Hört ihn euch an, den Poeten!

Was war das?

Er jammert und klagt, möchte am liebsten wieder unter den Rockzipfel seiner Freundin.

Wer sprach da?

Wir sind die Ylors. Du bist gestorben, mein Freund. Du hast das Blockhaus nicht lebend verlassen. Doch du bist wiedergeboren als Ylors. So ist der Lauf des Virus nun einmal. Und wie du vielleicht bemerkt hast, sind wir mächtiger als die Alysker. Wir beherrschen Telepathie.

Meydih war ein Ylors geworden?

Nun war es Gewissheit! Doch im Gegensatz zu jenem Tag im Blockhaus freute er sich nicht darüber.

»Glond?«

Ja, ich bin hier. Wir sind Meister des Geistes und des Körpers geworden. Nutze deine übersinnlichen Fähigkeiten. Suche ein Raumschiff, bringe es her, damit sie dich abholen.

Meydih verstand nicht, was Glond von ihm wollte. Doch dann bemerkte er es plötzlich: Tausende von Stimmen wisperten in seinem Kopf. Er hörte sie oder las sie. Das war Telepathie! Es war überwältigend, furchteinflößend und berauschend zugleich. Diese Macht!

Konnte er sie nutzen? Für sich? Um zu überleben? Er war wie in Trance, ließ es einfach mit sich geschehen. Meydih lauschte in den Weltraum hinaus.

Stille.

Stille.

Ein leises Flüstern war irgendwo da draußen. Und noch etwas. Er konzentrierte sich nun voll und ganz auf das leise mentale Wispern. Ja, da war jemand. Ein Maat, der die Kombüse säuberte. Ein Mechaniker im Maschinenraum fluchte über das angeschlagene Triebwerk. Und ein Kommandant hoffte, sie würden rechtzeitig ihr Transportgut abliefern. Ein talsonischer Transporter! Er musste in diesem Sonnensystem sein, welches es auch immer war. Meydih schloss aus, dass es sich um Alysk II handelte. Kein Alysker wurde in dem neuen System, welches nun schon seit acht Millionen Jahren ihre Heimat war, beigesetzt. Man hatte sich andere Systeme dafür ausgesucht.

Zumindest hatten sie für Meydih kein unbewohntes System genommen. Er war erleichtert und versuchte, den talsonischen Kapitän von sich zu überzeugen.

»Komm zu mir und hole mich. Du bist nah. Deine Belohnung wird beträchtlich sein«, rief Meydih. Ob er nun sprach oder schwieg, das war belanglos. Wichtig war, dass er den Talsonen telepathisch erreichte. Er konnte es einfach. Ohne zu wissen wieso.

Er befahl es ihm und fühlte, wie sich der schwache Geist des Talsonen ihm beugte.

Es funktionierte wirklich. Doch wo waren seine ylorschen Stimmen? Kein Glückwunsch. Einfach nur Schweigen. Oder war Meydih wahnsinnig und griff nach Wahngebilden? Der Moment gedanklicher Klarheit ließ ihn resignieren.

Nein, es gab keine Ylors, die mit ihm sprachen.

Kein talsonisches Raumschiff, welches ihn abholen würde.

Er war allein im großen, dunklen, kalten Weltraum und würde jämmerlich ersticken.

Oh, wäre er doch schon tot.

Die Minuten verrinnen. Die Stunden vergingen. Er glaubte tatsächlich, den Talsonen zu spüren. Doch es war Einbildung, musste Einbildung sein.

Plötzlich legte sich ein Schatten über sein Fenster. Graues Metall reflektierte das Licht der Sonne. Einige Lichter blinkten.

Es war ein Raumschiff. Seine Empfindung, der Kontakt war also kein Wahnsinn. Es waren die Talsonen. Hätte sich Meydih bewegen können, dann hätte er jetzt getanzt. Ein blaues Leuchten schimmerte am Fenster, eine Luke kam näher. Sie zogen den Sarg durch eine Schleuse ins Raumschiff hinein.

Das Licht der Innenbeleuchtung blendete. Neugierige Blicke aus braunen Augen ruhten auf ihm.

Die beharrten Bärenwesen waren von beeindruckender Erscheinung. Ihre matten, meist filzigen Felle trugen sie in braun, weiß oder schwarz. Sie lösten die Versiegelung und öffneten brachial den Sargdeckel. Vier der Talsonen, alle gut im Futter und sicher zwei Köpfe größer als Meydih selbst, starrten ihn ehrfürchtig an. Ausgerechnet ihn, den schmächtigen Alysker? Es musste daran liegen, dass er lebendig aus einem Sarg stieg.

Ein Talsone half ihm aus dem Sarg.

»Ein Wunder! Was ist geschehen? Wie seid Ihr in dieses Behältnis gekommen?«

Meydih rang nach Worten. Die Wahrheit würde die Talsonen erschrecken. Sie erschreckte ihn ja noch selbst.

»Das ist eine Rettungskapsel. Mein Raumschiff … ein technischer Defekt … ich musste fliehen.«

Meydih blickte die Talsonen an. Er war ihnen sogar aufrichtig dankbar.

Die bärenartigen Wesen brummten und grollten friedlich.

»Wie ist Euer Name, Herr?«

»Me…«

Meydih hielt inne. Etwas in ihm wispert einen anderen Namen. Seinen neuen Namen.

Meydih war er nicht mehr. Meydih war tot.

»Ich bin Medvecâ.«

*

Medvecâ kehrte nach Mures zurück. Er musste Glond wiederfinden. So viele Fragen bedurften einer Antwort. Allmählich begriff Medvecâ, dass er ein Ylors war. Sein Dasein als Alysker war vorbei. Meydih war tot. Für immer. Er fühlte sich nicht einmal traurig darüber, so viel Kraft und Energie pulsierte durch seinen Körper. So lebendig hatte er sich als Meydih niemals gefühlt. Und doch … es gab Dinge, die er vermisste: Norsha.

Er musste sie wiedersehen. Doch wie würde sie reagieren, wenn sie erfuhr, dass er ein Ylors war?

Was bedeutete es überhaupt, ein Ylors zu sein? Medvecâ empfand brennenden Durst und ein Verlangen nach rohem Fleisch und Blut. Er fühlte sich wie eine wilde Bestie in Ketten.

Grübelnd kauerte Medvecâ in der Kombüse. Der Gestank war kaum zu ertragen, talsonische Küche war für die Alysker ungenießbar. Ein hagerer Bärenartiger mit verfilztem, graubraunem Fell hielt ihm ein Glas Wasser entgegen. Medvecâ nahm es und trank. Die Flüssigkeit schien keine Auswirkungen zu haben, linderte jedoch nicht seinen Durst auf Blut und rohes Fleisch.

Die talsonische Crew gehorchte seiner Suggestion. Mures war nicht weit, wie er erfahren hatte. Offenbar hatten sie ihn auch in diesem System bestattet. Zwei Besatzungsmitglieder flogen ihn in einem engen, kleinen Beiboot auf den Planeten.

Die Sonne schien hell und Medvecâ fühlte sich unwohl. Die Augen brannten, seine Haut wurde unangenehm heiß beim Anblick der Sonne. Ein Effekt, der offenbar mit einer gewissen Nähe zu einer starken Lichtquelle zu tun hatte. Medvecâ zog es vor, erst einmal bis in die Nacht in einem Lagerraum auf dem Raumhafen zu verbringen.

Es fiel ihm schwer, den Durst und das Verlangen unter Kontrolle zu halten. Der innere Kampf zwischen Gier und Vernunft hielt an. Ja, er war ein Ylors, aber musste er zur Bestie mutieren? Es musste andere Weg geben. Er hatte viele Fragen, und nur Glond konnte sie ihm beantworten.

Sein Kopf schwirrte. Durst und Hunger quälten ihn, und dennoch fühlte er sich ungeahnt stark. Als würde er verzehrt und wiedergeboren werden. Alles zur selben Zeit und immer wieder. Er fühlte sich, als könnte er in den Himmel springen – und er fühlte sich so, als würde er im Erdboden versinken.

Die Luft war feucht. Nebelschwaden zogen schleichend über den Waldboden. Es waren wohl nur wenige Tage vergangen, seitdem Medvecâ hier seine schicksalhafte Begegnung mit Glond gehabt hatte.

Er fand die Ruine schnell, obwohl er sie nur einmal zuvor gesehen hatte. Es war so, als würde ihn etwas herführen. Er blieb vor dem alten Gemäuer stehen.

Stille.

Keine Stimmen in seinem Kopf. Wo war das mentale Gewisper der Ylors nun?

»Sie haben dich ausgeschlossen«, hörte er jemand sagen.

Medvecâ sah sich um. Doch da war niemand.

»Oben.«

Er sah schräg nach oben und schrak zurück. Über sich sah er auf einem großen Baum mit festen Ästen ein Wesen sitzen. Die Augen leuchteten gelblich. Medvecâ fasste sich ein Herz und trat näher.

Er erkannte den Sitzenden: es war Glond. Sein Gesicht war verzerrt, die Zähne spitz. Er stellte sich auf die Füße, stand sicher auf dem Geäst und breitete die ledrigen Flügel aus.

Ob Medvecâ das auch konnte?

In einem trägen, eleganten Halbkreis glitt Glond zu Boden. Dort änderte er seine Gestalt. Nun war er wieder der Alysker mit dem dunklen, schütteren Haar und den Narben, die der Krieg hinterlassen hatte.

Er legte den Arm um Medvecâs Schultern.

»Willkommen in deinem neuen Leben, Ylors.«

Medvecâ drehte sich weg.

»Eine seltsame Wortwahl von meinem eigenen Mörder.«

Glond lachte, breitete betont unschuldig die Arme aus.

»Der eine nimmt, der andere gibt. Willst du nun schmollen oder die Tatsache akzeptieren, dass du auf dem Weg bist, ein mächtiges, freies Lebewesen zu werden?«

Medvecâ verzog das Gesicht.

»Frei? Ich benötige offenbar Blut, um zu überleben. Mit jeder Stunde werde ich schwächer. Ist das Freiheit?«

»Komm schon, Kleiner! Jedes Lebewesen braucht Nahrung. Unsere Biologie verlangt nach den nahrhaften Leukozyten des Blutes.«

Schweigen.

Nach einer Weile fragte der frischgebackene Ylors: »Wie geht es nun mit mir weiter?«

Glond machte eine ratlose Geste.

»Das liegt an dir. Es gibt keinen Plan.«

»Wer ist der Anführer der Ylors?«

»Es gibt keinen. Wir leben für uns selbst und kommunizieren über unser telepathisches Netzwerk. Diesen Radiosender kannst du aber auch ausschalten. Du wirst das alles lernen im Laufe der Zeit. Die Telepathie, die Gestaltwandlung, das Fliegen und vor allem die Jagd. Jagd, Sex und blutiges Fleisch – das ist unsere Lebensweise.«

Medvecâ wollte diese Art von Leben nicht führen. Sie war barbarisch. Er dachte an Norsha. Er brauchte sie, vielleicht mehr denn je. Norsha musste sein Fixstern werden. Ihn von der finsteren Seite der Ylors abhalten. Ihm Kraft geben.

»Unweit von hier ist eine Feier unter dem Sternenzelt. Frischfleisch. Willst du mich begleiten?«

Medvecâ lehnte das Angebot ab. Glond blickte Medvecâ mitleidig an.

»Du wirst dich nicht ewig gegen deine neue Natur stellen können.«

Dann lachte er und verließ das alte Gemäuer. Er huschte in den Wald. Medvecâ blickte nachdenklich auf die dunkle Stelle im Wald, wo Glond verschwunden war. Was nun?

*

Tage vergingen, ruhelos streifte Medvecâ durch die Wälder und das Gebirge. Der Drang nach Blut wurde immer größer, Wasser löschte sein Verlangen nicht. Zwar brauchte er es trotzdem, doch die Gier nach Blut, nach rohem Fleisch war gewaltig. Medvecâ blockierte die telepathische Verbindung zum Ylorskollektiv. Doch er spürte Glond in seiner Nähe. Irgendwo auf dem Planeten war sein Schöpfer, labte sich genüsslich an dem »Frischfleisch«.

»Nein, ich bin satt.«

Medvecâ erschrak. Er drehte sich um. Auf einem großen Baum, der seine starken Äste über den Flusslauf wölbte, hockte Glond. Er wirkte wie ein Raubvogel. Aber er schien amüsiert. Belustigt über Medvecâ. Glond sprang vom Baum und ging an Medvecâ vorbei.

»Ich nenne dich fortan wieder Meydih. Denn noch bist du der kleine Alyskerjunge, der froh war, dass seine Freundin ihn mal rangelassen hat.«

Glond spazierte zum Abgrund. Von hier hatten sie beide einen beeindruckenden Blick über das Tal.

»Ylors können fliegen. Wir verwandeln uns, bekommen Flügel.«

»Ich nicht«, stellte Medvecâ fest und stellte sich ebenfalls an den Rand. Beim Blick in die Tiefe wurde ihm schwindelig. Es steckte noch viel Alysker in ihm. Offenbar fand Glond das auch. Er packte ihn und stieß ih in die Tiefe.

Medvecâ schrie. Ihm wurde schlecht, der Magen flau, die kalte Zugluft schien durch jede Faser zu ziehen. Dann kam neue Pein: ein Schmerz durchzog den Rücken, dann den Körper, das Gesicht. Als ob ihm jemand jeden einzelnen Knochen im Leib brach.

Haltlos stürzte er in die Tiefe, dachte an Norsha. War das schon das Ende seines zweiten Lebens? Durfte er sie doch nicht wiedersehen? Welch grausamer Akt des Schicksals.

»Flieg doch endlich, du Jammerlappen.«

Glond, der nun neben ihm flog, beäugte ihn. Medvecâ stammelte.

Und plötzlich … war da etwas. Er wurde langsamer, der Fall bremste ab. Wieso? Medvecâ spürte auf einmal Flügel an seinem Rücken. Er bewegte sie instinktiv, als hätte er sie immer besessen.

Eher verwundert als verwirrt öffnete er die Augen und sah die Baumkronen unter sich. Sie kamen nicht näher. Er segelte etwas wackelig, aber ohne Höhenverlust über sie hinüber. Beeindruckend. Er konnte fliegen! Medvecâ lachte wie von Sinnen, so berauschend war das Gefühl. Er steuerte nun vorsichtig nach rechts und flog einen Kreis. Dann bog er nach links ab und flog wieder einen Kreis. Er nutzte den Auftrieb, um zu steigen und änderte die Position seiner Flügel, um zu sinken.

»Sehr gut. Du lernst schnell, wenn du das Gejammer lässt«, lobte Glond.

»Dein Gesicht ist so entstellt«, rief Medvecâ.

»Du solltest dich einmal sehen. Die Transformation verwandelt uns in eine ganz andere Spezies. Wir ähneln den Flugmäusen, die man auf diversen Welten immer wieder in Höhlen antrifft.«

Glond steuerte auf einen Hügel und landete dort. Medvecâ folgte ihm. Seine erste Landung war schmerzhaft, und Glond klatschte sich auf die Oberschenkel.

»So viel habe ich in den letzten Jahrhunderten nicht gelacht.«

Medvecâ rappelte sich auf. Der Schmerz der Transformation durchzog ihn, ließ ihn erstickt aufschreien. Er wollte nicht jammern, sah Glond an.

»Wieso verstecken wir uns?«

Glond wurde nun ernst und setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm.

»Weil Eorthor uns vernichten würde. Wir sind nur noch einige zehntausend im gesamten Kreuz der Galaxien. Was sollen wir gegen unsere Brüder ausrichten? Wir sind dazu verdammt, unerkannt in der Finsternis zu leben.«

Medvecâ fühlte sich plötzlich schwach und sank zu Boden.

»Du brauchst Blut«, stellte Glond fest.

»Nein …«

Sein Schöpfer seufzte. Dann transformierte er sich, schnellte in die Höhe und kreiste über ihrer Position. Er schien etwas entdeckt zu haben, segelte stürzend auf etwas und war außer Sichtweite. Nach einiger Zeit kehrte er zurück, doch nicht allein. Er trug eine Art Reh auf seinem Rücken und warf es auf den Boden.

»Es ist tot. Aber noch warm. Na los.«

Medvecâ verstand und stürzte sich auf das Wildtier, biss ihm in den Hals und saugte gierig das Blut aus. Mit jedem Schluck wurde er stärker. Das Bankett dauerte lange, denn Medvecâ wollte nichts verschwenden. Als er fertig war, stieß er einen beherzten Rülpser aus und setzte sich neben den Kadaver. Satt und zufrieden sah die Welt schon anders aus. Medvecâ wusste, dass er mehr über die Lebensweise der Ylors erfahren musste, auch wenn er dabei gewisse Grenzen nicht überschreiten wollte. Es musste möglich sein, die Selbstkontrolle zu behalten.

»Unterweise mich in den Künsten eines Ylors.«

Glond betrachtete den jungen Mann, dann nickte er.

»Wir haben viel vor uns.«

Der Fürst und seine Fürstin

Medvecâ sah die Auserwählte an, die vor ihm stand. Sie war schön, stürmisch und unbeugsam, doch bald würde sich ihre rebellierende Seele seinem Willen endgültig beugen.

Es war nicht gelogen, dass Nataly anfangs aus freiem Willen Interesse an Medvecâ gezeigt hatte. Aber noch immer war sie von der Seuche der Moral befallen. Nun, nicht mehr lange.

Obgleich seine Gedanken auch bei der anderen Terranerin waren. Kathy Scolar war noch prächtiger als Nataly. Doch es würde seine Zeit dauern, bis sie sich ihm unterwerfen würde. Vorerst begnügte er sich mit der einen. Mit ihrem Fleisch und ihrem ungebändigten Willen.

»Nataly, du bist wunderschön.«

Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Ihr Körper wurde von einem seidenen, roten Kleid umhüllt, welches in der Mitte tief ausgeschnitten war und viel von ihren wohlgeformten Brüsten offenbarte. Und genau danach dürstete es dem Fürsten der Ylors. Seine Begierde wuchs von Sekunde zu Sekunde. Er stand auf, zog an ihren langen, blonden Haaren und kostete von ihren vollen Lippen.

Zuerst wehrte sie sich, sie kratzte, versuchte, sich aus seinem Griff zu winden. Doch in ihren Augen erwachte die animalische Gier nach Leben, die Gier nach Macht! Ihr Körper entspannte sich und dann fühlte er ihre Hand in seinem Schritt.

Doch er ließ von ihr ab, ging ein paar Schritte zurück. Verständnislos sah sie ihn an.

»Was ist los, mein Fürst? Willst du mich nicht mehr?«

»Doch, aber wie ist es mit dir, Nataly? Ich gebe dir die Möglichkeit zu gehen. Kehre zu deinem Mann zurück und lebe sein langweiliges Leben. Oder schließe dich mir an, als meine Gefährtin, meine Fürstin! Kein Wunsch wird dir verwehrt werden, du wirst über Tausende allein herrschen und deine Rolle im Kosmos neu bestimmen können. Wähle nun!«

Sie begann darüber nachzudenken, blickte tief in Medvecâs Augen. Dann glitten ihre Hände zu den feinen Bändern, die ihr Kleid hielten. Sie öffnete sie und das Kleid sank zu ihren Füßen. Nackt stand sie vor ihm.

Sie gab sich ihm freiwillig hin. Sie erkannte, dass es besser war, sich mit einem Titanen wie ihm einzulassen, statt mit einem saufenden, verweichlichten Raumfahrer und Möchtegern-Ritterschüler.

Medvecâ trat nun wieder näher.

»Dein Mann bedeutet dir nichts?«

Er war immer noch misstrauisch.

»Ich empfinde nichts mehr für ihn, wünsche ihm aber auch nichts Böses. Ich brauche einen Mann, der meine Qualitäten erkennt. Und jemand, der mich fördert!«

Medvecâ lachte.

»Oh, ich sehe deine Qualitäten deutlich vor mir, Nataly! Und ich werde dich fördern, das verspreche ich dir.«

Sie betrachtete ihn von oben bis unten, trat mit wiegenden Schritten näher und küsste ihn leidenschaftlich. Medvecâ und Nataly gaben sich hemmungslos ihrer Lust hin.

*

Nataly lag nackt auf ihrem Bett und rauchte genüsslich ihre Zigarette. Medvecâ stand vor dem Bett und blickte auf sie herab. Es war Zeit, ihr neues Leben zu geben.

Er beugte sich über sie, kostete von ihren Lippen, die nach Rauch schmeckten. Seine Zunge glitt über ihren Mund, dann zum Hals, herunter zur Schulter. Spielerisch glitten seine Lippen zur Halsbeuge, suchten das pulsierende Leben. Dann biss er sie. Nataly zuckte und schrie, während er ihr erbärmliches, terranisches Leben aus dem Körper saugte.

Medvecâ ließ von ihr ab, betrachtete ihr Gesicht, das Verzückung zeigte. Sie hatte Schmerzen, doch sie genoss es. Sie fuhr mit der Hand an ihre Kehle, dann fasste sie mit den blutverschmierten Fingern zwischen ihre Beine und rieb. Das überraschte und erregte ihn. Er umfasste sie und stieß in sie ein, während sie langsam verblutete. Sie biss in seinen Arm, trank sein Blut, übernahm den Virus. Er gab das Leben in ihrem Tode an sie weiter.

Die Frau schrie, zuckte, schüttelte sich in einem ekstatischen Todeskampf und erschlaffte schließlich, nachdem der Blutverlust zu groß geworden war.

Medvecâ erhob sich und lachte leise.

Nataly Andrews, geborene Nataly Jargon, war tot.

Ihre Haut wurde bleich.

Dann öffnete sie die Augen. Sie rang tief nach Luft und schau hoch. Verwirrt sah sie den Fürsten der Ylors an.

»Willkommen, Tochter der Ylors!«, begrüßte er sie.

Nataly sah sich um, erlangte ihre Fassung und begriff: Sie war nun eine Ylors, eine untote Unsterbliche. Sie schenkte ihm ein kaltes Lächeln. Doch es wurde Zeit für ihre erste Prüfung.

»Du hast mir von einem Dorf berichtet. Wir gehen dorthin. Dort kannst du deiner Lust dann freien Lauf lassen.«

Nataly erhob sich, wischte sich das Blut von ihrer Haut und zog sich an. Ihre blauen Augen leuchteten kalt. Medvecâ spürte, dass sie ihm vollends ergeben war.

Er hatte erneut triumphiert und ein Wesen der Finsternis geschaffen.

Doch eines war nicht genug!

*

Sie gingen allein zum Dorf im Tal. Veritor und die anderen Ylors folgen in weitem Abstand. Es war dunkel und stürmisch, ein Wetter, wie es Medvecâ liebte. Die technischen Anlagen der Terraner zu deaktivieren war ein Leichtes gewesen. Sie schlugen keinen Alarm und wehrten den kommenden Angriff auch nicht mehr ab.

Medvecâ hatte Roi Dantons naives Ansinnen, die buuralischen Dorfbewohner zu schützen, zunichte gemacht. Diese Wesen waren sein Geschenk für Nataly, um sich zum ersten Mal auszutoben. Einst hatte er selbst sich lange dagegen gewehrt, seinen Schöpfer Glond immer wieder enttäuscht und sich selbst Freude versagt. Nataly sollte dieser Rausch des ersten Bluts nicht verwehrt bleiben.

Einige primitive Dorfbewohner kamen auf sie zu. Medvecâ las ihre Gedanken wie ein offenes Buch. Hurtel war der Bürgermeister der Gemeinde. Seine blinde Tochter hieß Carah und hatte Angst. Sie fühlte das Unheil. Der spastische Paddy war ein Narr. Doch auch er fürchtete sich, so viel Verstand besaß er. Nun, sein Verstand interessierte Medvecâ nicht.

Einige Dorfbewohner trugen Mistgabeln und Waffen, so wie der närrische Bauer Kroll. Diese dummen Buuraler! Glaubten sie wirklich, dass sie damit Medvecâ und seine Begleiterin aufhalten würden?

Der Anblick von Mistgabeln und Stichwaffen war keine Seltenheit auf dem Rideryon. Es gab unzählige technologisch hoch entwickelte Zivilisationen und ebenso viele weniger weit fortgeschrittene Völkerschaften. Nataly hatte erzählt, dass diese Buuraler ihr technologiefreies Schicksal selbst gewählt hatten, um dem hektischen Wahn der Zivilisation zu entrinnen.

Das fand Medvecâ verständlich. Doch sie hätten sich kein Tal an der Grenze zu seinem Imperium suchen sollen. Und sie hätten Perry Rhodans Sohn nicht unterstützen sollen.

Zwei törichte und tödliche Fehler, für die sie nun bezahlen sollten.

Hurtel, den seine blinde Tochter begleitete, erkannte Nataly wieder. Der Bürgermeister dieser elenden Siedlung wusste nichts von ihrer Transformation zu einem edleren Wesen, zu einer Jägerin der Finsternis. Über seinen Bart streichend, schritt er auf Nataly zu, wirkte verwundert.

»Nataly Andrews! Dein Besuch ist überraschend. Roi Danton sucht dich.«

»Tatsächlich? Wo ist er?«

»Er ist zu einem Mond geflogen«, sagte Paddy und lachte. »Er hat Pyla und Jock mitgenommen. Sie sind jetzt bei den Sternen.«

Paddy deutete in den Himmel.

»Und wer sind Sie?«, fragte Hurtel.

»Fürst Medvecâ. Ich bin gekommen, um dein Dorf auszulöschen und jeden Bewohner zu töten.«

Medvecâ gab ein Zeichen an Veritor. Die Ylors stürmten heran. Medvecâ schnellte nach vorn, packte Carah und zog sie zu sich. Hurtel wollte eingreifen, doch Nataly stürzte sich auf ihn. Sie biss in Hurtels Hals und riss ein Stück Fleisch heraus.

Medvecâ genoss die Furcht des Mädchens. Sie zitterte am ganzen Leib, weinte wie ein Baby. Das steigerte seine Lust nur noch mehr. Langsam setzte er an und biss ihr in die Halsbeuge. Genüsslich saugte er ihr Blut aus. Während er sich an ihr labte, zerfetzte eine berauschte Nataly Hurtels Körper.

Der spastische Paddy schrie wie am Spieß, aber rührte sich nicht vom Fleck. Als von Hurtel nicht mehr viel übrig war, wandte sich Nataly an den Behinderten. Sie packte ihn bei den Haaren und stürzte sich auf ihn. Dabei war sie völlig von Sinnen und schlug auf den Jungen ein, der um sein Leben winselte und voller Schmerzen schrie.

Medvecâ widmete sich wieder Carah, deren Herz voller Aufregung pochte. Er bohrte mit seiner Hand in ihre Brust und riss das Herz heraus. Ihr lebloser Körper sackte zu Boden. Medvecâ betrachtete das Organ, welches langsam aufhörte zu schlagen.

Paddy schrie um sein Leben, doch Nataly war erbarmungslos. Ihr Opfer war blutüberströmt. Sie leckte das Blut von seinem Gesicht, dann zerkratzte sie es mit einer Wonne, die Medvecâ erstaunte. Der dumme Bauernjunge schrie wie am Spieß. Sie spielte mit ihm.

Die anderen Ylors schlachteten die Dorfbewohner ab. Sie fraßen ihr Fleisch, tranken ihr Blut und steckten die Häuser in Brand. Medvecâs Brüder johlten im Rausch des Blutes.

Medvecâ lachte! Ein herrlicher Abend. Nataly quälte den armen, dummen Paddy auf das grausamste. Sie verstümmelte ihn und ließ ihn sehr langsam und schmerzvoll sterben. Medvecâ erregte das! Sie hatte mehr Potential, als er dachte. So viel Grausamkeit war bewundernswert.

Nach einer halben Ewigkeit war schließlich der letzte Atemzug aus dem verstümmelten Körper des Buuralers gewichen.

Alle waren tot!

Natalys Augen leuchteten hell, Blut tropfte aus ihrem Mund.

»Exzellent, meine Liebste! Du hast dich wahrlich bewiesen. Nun widme dich deiner nächsten Aufgabe: Finde Roi Danton!«

Erinnerungen: Medvecâ und Norsha

Zehn Jahre waren seit seinem Tod als Alysker vergangen. Genau vor einer Dekade war es geschehen. Der Tag, der sein Leben verändert hatte! Er wippte gelangweilt auf dem lederbezogenen Sessel hin und her, während er die Bilanzen seines Unternehmens studierte.

Im Gegensatz zu Glond hatte er sich den Planeten Mures zunutze gemacht und ein Wirtschaftsimperium aufgebaut. Er besaß viele Ländereien und war ein Fürst auf Mures. Die Leute bewunderten den kühnen, klugen Medvecâ, und er genoss seine Macht.

Doch heute war es anders. Es dürstete ihn nicht nach Blut, sondern sein Herz war von einer seltsamen Sehnsucht umgeben. Vor zehn Jahren … seit zehn Jahren hatte er Norsha nicht gesehen. Und jeden Tag hatte er an sie gedacht.

In all der Zeit hatte er nur Tiere getötet, hatte von Blutkonserven gelebt, um seinen Blutdurst zu stillen. Deshalb hatte er seine Artgenossen gemieden. Glonds Spott genügte ihm.

Dessen Blutorgien waren berüchtigt auf Mures. Er hatte einmal fünf weitere Ylors eingeladen – alles seine Kreationen. Sie hatten in einer Woche ganze sechzig Muresen geschlachtet. Das Ableben der Intelligenzwesen hatte in den Medien hohe Wellen geschlagen. Medvecâ hatte bei der Vertuschung geholfen, die richtigen Stellen geschmiert und dadurch Schlimmeres verhindert.

Seine Artgenossen konnten Bestien sein, maßlos und grausam. Sie glaubten, das Kreuz der Galaxien gehöre ihnen, obgleich sie es besser wussten. Medvecâ hatte ihr Ziel, im Verborgenen zu agieren, beherzigt. In allen zehn Jahren war der Wunsch ungebrochen gewesen, Eorthor zu kontaktieren und Großvater Leeuan. Eine Verbindung zum alten Leben herzustellen. Eine Chance, Norsha wiederzusehen.

Er stand auf und verließ sein Anwesen, winkte einem herbeieilenden Diener ab. Er wollte nicht gefahren werden. Er wollte einen Spaziergang machen. Medvecâ wollte zum Platz seines Todes.

Er ging den Weg zum Blockhaus zu Fuß. Dort hatte er sein altes Leben verloren. In diesen vier Wänden hatte er Norsha geliebt und verloren. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie wiederzufinden, doch er hatte Angst, dass er sie infizierte. Oder dass sie ihn hassen würde.

Norsha liebte er immer noch aufrichtig. Das Gedicht kam ihm in den Sinn, das er ihr damals geschrieben und nie vorgetragen hatte: Schön wie das Sonnenlicht, reich wie der Tag, bist unvergleichlich, weil ich dich mag. Klar deine Stimme wie Glocken so hell, rot deine Lippen, nun küsse mich schnell …

Das Ferienhaus hatte er gekauft und seitdem besuchte er es jedes Jahr. So nah wie hier war er Norsha nirgends.

Abrupt blieb Medvecâ stehen. Was war das? Zwei Alysker standen vor dem Blockhaus! Ein Mann und eine Frau. Sie kniete sich nieder und legte Blumen davor. Ihr schulterlanges, blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden.

Das war unmöglich! Medvecâ trat näher.

Es war Norsha!

Er wollte zu ihr eilen, doch der Mann nahm sie in den Arm und küsste sie. Sie hatte also einen Neuen! In Medvecâ stieg kochende Wut auf. Er war gerade einmal zehn Jahre tot, und sie trieb es mit jemand anderen!

Das durfte nicht geschehen! Sie gehörte ihm! Ihm allein! Sie hatte gesagt, dass sie ihn liebte!

Medvecâ wischte jegliche Vernunft beiseite und ging zu ihr. Er hätte sie beeinflussen können, doch das wollte er nicht.

»Guten Abend, Norsha!«

Erschrocken drehte sie sich um. Sie sah Medvecâ an, als hätte sie einen Geist gesehen. Nun, streng genommen war dem auch so. Er atmete tief durch.

»Rührend, dass du meines Todestages gedenkst. Meydih ist tot, fürwahr. Doch Medvecâ lebt und hat sich diesen Planeten als Domizil ausgesucht.«

Norsha starrte ihn immer noch sprachlos an.

»Was ist denn, mein Liebling? Freust du dich gar nicht, mich wiederzusehen?«

»Wer immer Sie auch sind, hören Sie auf mit Ihren Späßen, sonst …«, mischte sich der andere Alysker ein und spielte mit seinen Muskeln. Was für ein Prolet!

»Sonst wird was geschehen? Töten Sie mich? Oh, das können Sie nicht, denn ich bin es schon. Fürst Medvecâ ist ein Lord der Ylors.«

Norsha brach in Tränen aus. Ihr Freund nahm sie am Arm und wollte mit ihr gehen.

»Diese Welt verlässt niemand ohne meine Genehmigung!«

Er drehte sich um.

»Das werden wir ja sehen, Medvecâ.«

»Du wirst hierbleiben!«, befahl der Ylors dem Alysker. Und der gehorchte. Er blieb wie angewurzelt stehen. Medvecâ ordnete an, er sollte auf die Knie gehen, und er tat es.

»Er ist so schwach …«

Norsha hatte sich gefangen. Sie sah Medvecâ verächtlich an.

»Ich kannte einen Alysker, der war ebenso schwach. Ein Poet und Dichter. Diesen Mann liebte ich. Doch ich weiß nicht, was du bist! Wer du bist!«

Diese Worte schmerzten Medvecâ. Dabei wollte er Norsha doch wiedersehen, in ihrer Nähe sein und ihre Wärme spüren. Er war so glücklich über ihr Kommen. Vielleicht konnte er ihr erklären, was geschehen war?

»Ich hatte nicht darum gebeten, ein Ylors zu werden, doch ich habe diese Bürde auf mich genommen. Ich existiere und dafür entschuldige ich mich nicht. Das Einzige, was aus meinem vorherigen Leben geblieben ist, bist du.«

Er berichtete ihr in kurzen Worten, was geschehen war. Sie blickte besorgt zu dem anderen Alysker, dann wieder zu Medvecâ, und hörte weiter zu.

»Es gibt noch viele Ylors, doch wir sind Ausgestoßene. Wir werden geächtet, weil wir anders sind. Doch haben wir nicht auch das Recht zu leben und zu lieben?«

Norsha ging einen Schritt auf Medvecâ zu, dann einen Weiteren, bis sie schließlich vor ihm stand. Dann umarmte sie ihn. Medvecâ hörte die Stimmen der anderen Ylors in seinem Kopf wirr durcheinander sprechen. Sie waren nicht einverstanden damit. Ein Ylors liebte nichts außer sich selbst.

Doch er dachte nicht so. Er war nicht wie die anderen Ylors. Norsha war das Bindeglied zwischen seinem alten und seinem neuen Leben. Und vielleicht war dies die Chance für das Volk der Ylors, ihren Frieden mit den Alyskern zu machen.

Norshas Liebe war das Einzige, was ihn davon abhielt, ein echter Ylors zu werden. Ein Jäger. Ein Mörder. Sie konnte ihn davon abhalten. Sie allein.

»Ich dachte, du bist tot. Ich habe Jahre getrauert, dann kam Gindore in mein Leben. Lass ihn frei.«

»Gleich. Lass mich noch diesen einen Moment genießen. Jeden Tag dachte ich an dich. Jeden Tag …«

Sie lächelte gequält.

»Was soll jetzt geschehen?«, fragte sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Hilf mir! Liebst du mich noch? Wenn ja, dann hilf mir, den Dämon in mir zu besiegen! Ich brauche dich, Norsha! Zusammen können wir es schaffen. Und wir können mit Eorthor reden und die Ylors reintegrieren. Sie brauchen auch nur Hoffnung und Liebe. Die Liebe ihrer Brüder und Schwestern.«

Noch einmal umarmte sie ihn.

»Ja, ich helfe dir, wenn ich es kann.«

Sie ging zum anderen Alysker. Diesem Gindore! Medvecâ ließ ihn aus seinem suggestiven Bann frei. Der langhaarige Mann erhob sich. Norsha redete eine Weile auf ihn ein. Schließlich ging er zu Medvecâ.

»Es ist Norshas Wunsch, den ich akzeptiere. Doch wenn es nach mir ginge, würde ich alle Ylors desintegrieren!«

Er warf Norsha einen wehmütigen Blick zu und ging. Sie blickte ihm traurig hinterher. Dann wandte sie sich wieder an Medvecâ.

»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du lebst.«

»Leben? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Möglich, dass ich heute seit zehn Jahren wieder bewusst existiere. Das liegt an dir.«

Sie schenkte ihm ein Lächeln. Norsha gab ihm Kraft. Kraft von dieser Seuche loszukommen. Wenn es ihm gelang, bestand auch Hoffnung für die anderen Ylors, sich zu wandeln. Er rief Gindore zurück, bat ihn um seine Hilfe um Norsha willen, bis er Mitleid empfand und zusicherte, ihm zu helfen. Vor allem aber, das war Medvecâ klar, durfte Gindore nicht reden über das, was er nun wusste, bis er gerettet war.

*

Alles schien möglich. Norsha gab ihm Kraft. Gindore und Norsha übernachteten auf seinem Anwesen. Sie war sichtlich beeindruckt, Gindore hingegen skeptisch. Natürlich schliefen sie in getrennten Zimmern, und Medvecâ wachte auch darüber, dass Gindore sein Zimmer des Nachts nicht verließ.

Am nächsten Tag machten sie sich über die Transmitterstraße auf den Weg nach Alysk II und erreichten die Silberne Stadt. Gindore schien gute Kontakte zu besitzen und arrangierte einen Termin beim großen Eorthor. Das machte Medvecâ stutzig.

»Woher kennst du Eorthor?«, fragte er Gindore.

»Uns verbindet schon seit langer Zeit ein starkes Band«, antwortete der Alysker.

Die Luft war schneidend kalt. Es schneite mal wieder über der Silbernen Stadt von Alysk II. Der große Turm auf der Kuppel war das Zentrum des alyskischen Denkens und Handelns. Hier war der Sitz von Eorthor und seiner Untergebenen, die seit langem nur noch verwalteten. Ihren Lebenswillen und den Willen zum Fortschritt hatten die Alysker nach 148 Millionen Jahren längst aufgegeben. Man lebte so vor sich hin. Die jungen Wilden, die 100- bis 10.000-jährigen hatten zwar noch Tatkraft, doch bevor man nicht 10 Millionen Jahre auf dem Buckel hatte, wurde man nicht in Eorthors Kreis aufgenommen.

Gindore schien eine Ausnahme zu sein. Er war viel zu einfach zu beeinflussen gewesen. Bei einem alten Alysker hätte die Suggestion nicht funktioniert.

Es dauerte einen halben Tag auf Alysk II, ehe sich Eorthor herabließ, sie zu empfangen. Sie schritten einen langen Korridor mit gleißendem, weißen Licht entlang. Es blendete Medvecâ, der die Dunkelheit gewohnt war und, seitdem er ein Ylors war, sehr empfindlich auf helles Licht reagierte. Der Boden war aus einem weichen Belag und spiegelte das weiße Licht.

Medvecâ kniff die Augen zusammen, wollte instinktiv nach Norshas Hand greifen. Sie schien seine Schwierigkeiten mit dem Licht zu bemerken, nahm seine Hand und führte ihn sanft bis zu einer pechschwarzen Tür, die leise surrend in die Wand fuhr.

Das Licht in Eorthors Büro war gedämpft. Der Raum war einerseits schlicht, auf der anderen Seite spektakulär. Hologramme von Planeten und Sternen kreisten durch den Raum, schienen Abfolgen von Berechnungen darzustellen. Weiter hinten waren holografische Formeln zu sehen, Bauteile von ihm unbekannten Technologien. Sie schwirrten in blauem, gelbem, rotem und grünem Schimmer regelrecht um Eorthor herum. Der saß an einem kargen, hölzernen Schreibtisch und starrte auf ein Handpad. Langsam legte er es beiseite und erhob sich.

Der große Alysker, der Herr ihres Volkes und des Kreuzes der Galaxien, musterte die drei Besucher aus violettbraunen Augen. Seine Strenge war unübersehbar.

Gindore stellte sich neben Eorthor. Es wirkte auf Medvecâ, als würden er und Norsha plötzlich unter Beobachtung stehen.

»Es ist selten, dass ich gewöhnlichen Alyskern eine Audienz gewähre. Dies hat nichts mit Arroganz zu tun, doch was könnt ihr mir berichten, was ich nicht schon im Laufe der Millionen Jahre selbst erfahren habe?«

»Dass ich ein Ylors bin!«

Eorthor blickte Medvecâ mit versteinerter Miene an. Norshas Hand haltend, berichtete der Jüngere von seinem Schicksal.

»Die Ylors fühlen sich wie Aussätzige und geben dir und den anderen die Schuld für ihren Untergang.«

Eorthor ließ sich auf seinen Formenergiesessel nieder und schien nachzudenken. Dann suchte er offenbar in dem Rechner nach irgendetwas.

»912 Menschen sind auf Mures in den vergangenen zehn Jahren auf grausame Weise gestorben. Zerfetzt, blutleer. Die Einheimischen schreiben dies wilden Tieren oder Dämonen zu.

Doch dies war wohl das Werk von dir und Glondifel. Wenn ihr mehr als zehntausend Ylors in den vier Galaxien seid, und jeder im Schnitt hundert Wesen im Jahr schlachtet, sind das schon einmal eine Million unschuldige Tote im Jahr.

Und du redest davon, dass die Ylors missverstanden werden?«

Medvecâ spürte Norshas Blicke auf sich ruhen.

»Ich bin mir dieser Verbrechen bewusst. Sie wurden nicht von mir begangen. Ich habe von künstlichem Blut und Wildtieren gelebt. Doch Glond nicht. Die anderen Ylors auch nicht. Das ist richtig. Deshalb musst du ihnen helfen. Wir können alle zusammen eine bessere Zukunft gestalten. Ylors und Alysker.«

»Du wagst es, mir Befehle zu erteilen, Medvecâ? Du bist gerade ein Ylors geworden und glaubst bereits, ein Ylors zu sein? Du weißt nichts über ihre bösartige Natur. Ich gebe dir den Rat, dich am besten selbst zu desintegrieren, ehe Schlimmeres geschieht!«

»Nein«, stieß Norsha aus.

Medvecâ versuchte, telepathischen Kontakt zu den anderen Ylors aufzunehmen, doch niemand antwortete. Waren sie wütend über sein Handeln? Eorthor lachte plötzlich. Es war ein bitteres Lachen.

»Dieses Areal ist gegen parapsychologische Kräfte abgeschirmt. Du wirst deine Artgenossen nicht um Hilfe bitten können.«

Gindore schlug das untere Ende seines Mantels zurück und griff nach dem Desintegrator im Halfter.

»Gindore?«, fragte Norsha entsetzt.

»Gindore ist mein Neffe! Er ist mir seit Äonen ein treuer Diener. Ich wusste schon vor deinem Besuch von der Rückkehr der Ylors und eurem Treiben auf Mures. Gindore forschte nach, benutzte Norsha für seine Untersuchungen.«

Gindore blickte Norsha eiskalt an. Medvecâ freute sich einen kurzen Moment lang über den Verlust eines Nebenbuhlers, dann wich das Hochgefühl der Ernüchterung. Denn er wusste schlagartig, dass Eorthor an keinem Kompromiss mit den Ylors interessiert war.

»Die Geschichte von dem schüchternen Freund Meydih, der überraschend nach Wesensveränderung gestorben war, klang sehr interessant. Wir fanden den Sarg im Weltraum nicht, und ein Medvecâ hat doch eine gewisse Namensähnlichkeit«, erklärte der nun sehr kühle Gindore.

Eorthor ging einmal um Medvecâ und Norsha herum.

»Wir haben DNS-Muster von dir genommen und suchen bereits nach deinen Artgenossen«, erklärte der 190 Millionen Jahre alte Alysker. »Wir werden sie finden und endgültig wegsperren. Kein Ylors darf sich mehr frei bewegen, denn wenn er es tut, wird er morden!«

Gindore hob den Desintegrator und richtete ihn auf Medvecâ. In diesem Moment erst fühlte sich Medvecâ von Eorthor und den Alyskern verraten. Er hatte sich ihnen anvertraut, dem großen Eorthor vertraut und dieser hatte ihn schäbig hintergangen. Es würde niemals ein glückliches Leben für die Ylors im Kreuz der Galaxien geben. Sie waren geächtet, Ungeheuer in den Augen der anderen und würden es immer bleiben. Glond hatte recht gehabt.

Er blickte zu Norsha. Sie starrte ihn an, ging langsam ein paar Schritte zurück. Nein! Nicht auch noch Norsha!

»Vielleicht hat Eorthor recht. Ich liebe dich, aber ich kann nicht mit ansehen, wie du Lebewesen ermordest.«

»Ich habe kein einziges Wesen ermordet. Das waren Glond und die anderen«, verteidigte sich Medvecâ.

»Aber du hast davon gewusst? Und sie nicht daran gehindert?«

»Ja … ich wusste es. Ich habe versucht zu retten, was zu retten war … Glaube mir, Norsha.«

»Ich … ich weiß es nicht. Ich fühle mich von euch allen betrogen. Von Gindore, von dir und auch von Eorthor. Vielleicht wäre eine Unterbringung für dich erst einmal am besten …«

Tränen liefen über ihre Wangen. Sie wandte sich von ihm ab.

Nun war Medvecâ endgültig allein. Nichts konnte ihn mehr davor bewahren, ein Ylors zu sein. Sie hatten ihn dazu getrieben.

Womöglich blockierten sie seine telepathischen und suggestiven Fähigkeiten, aber wie sah es mit seiner Gestaltumwandlung aus? Medvecâ konzentrierte sich und merkte, dass es gelang. Er verwandelte sich in eine reißende Bestie mit einem tödlichen Gebiss, Flügeln und der Kraft von zehn Alyskern. Norsha schrie auf. Medvecâ wollte auf Gindore zustürmen, doch er konnte sich nicht mehr bewegen. Jetzt erkannte er, dass er sich in einem Fesselfeld befand.

»Siehst du, junge Norsha, nun zeigt der Ylors sein wahres Gesicht«, sagte Eorthor traurig. »Sie sehen aus wie jene, die wir liebten, doch sie sind es nicht mehr. Sie erwecken in uns die Hoffnung, das Verlorene wiederzuerlangen, doch in Wirklichkeit nehmen sie auch unsere Seelen.

Die Ylors sind ein Produkt des Fluches der Kosmokraten. Gleich, ob sie nun eine neue Evolutionsstufe erreicht haben, sie bleiben Geschöpfe der Finsternis und des Todes.«

Eorthor ordnete an, Medvecâ wegzubringen. Der verwandelte sich in seine Alyskergestalt zurück und rief nach Norsha, doch sie wandte sich weinend von ihm ab. Damit hatte er sie endgültig verloren, und ebenso das Leben als Alysker, das er mit so großer Disziplin hatte behalten wollen.

Meydih war endgültig tot. Er war Medvecâ, der Ylors. Ohne Widerstand folgte er der Wache, die sein Fesselfeld dirigierte.

In der Finsternis

Kathy kauerte in der Ecke der dunklen, feuchten Zelle. Es roch nach Schimmel, und ihre Kleider waren noch klamm vom Regen. Seit einigen Stunden saß sie in diesem tristen Raum.

Was war mit Kalky geschehen? Es gab wohl keine Hoffnung mehr für den Mausbiber. Nichts würde ihn mehr retten können, es sei denn, ein Superschlachtschiff der LFT würde plötzlich auftauchen und alle Ylors zusammenschießen. Aber das würde nicht geschehen. Stattdessen würde Kathy vermutlich ihr Lebensende in diesem Gefängnis verbringen. Von ihrer besten Freundin Nataly verraten und verkauft! Kathy kam nicht darüber hinweg, wieso Nataly alles und jeden verriet, um ein Leben mit diesem Vampirfürsten zu führen. Das war doch völlig absurd!

War das vielleicht nur ein schräger Plan von Roi Danton, den Kathy nicht kannte? Sollte Nataly vielleicht nur vortäuschen, dass sie eine Dienerin von Medvecâ war? Dann würde ja alles noch gut werden.

Lautes Gebrüll, grelle Schreie und markerschütterndes Wimmern ließen Kathy erschauen und sich noch mehr zusammenkauern. Die Beine hatte sie angewinkelt und ihre Arme die Knie umschlossen.

Die Zellentür öffnete sich. Ein Wesen wurde hineingeworfen. Keuchend fiel es zu Boden und jammerte in einer fremden Sprache. Der Ylors-Wächter grunzte zufrieden, spuckte auf das Geschöpf und schloss die Tür.

Kathy schaute mitleidig auf den geschundenen Fithuul. Sein zarter, gläserner Körper war unglaublich schmal. Das hellblaue Blut zirkulierte durch den Körper und quoll in schnellen Stößen aus den offenen Wunden. Sie musste keine Medizinerin sein, um zu wissen, dass dieses Wesen im Sterben lag.

Trotz ihres Mitleids traute sie sich nicht, näher an den Fithuul zu gehen. Sie misstraute diesem Wesen genauso wie den Ylors und Nataly. Auf der anderen Seite war er doch auch ein Gefangener. Er litt genauso wie Kathy, hatte dieselben Ängste. Also nahm sie ihren Mut zusammen und kroch zu ihm. Behutsam drehte sie ihn um und legte ein Stück Stoff unter seinen Kopf.

»Was haben sie dir nur angetan?«

Der Fithuul starrte Kathy aus großen Augen an und atmete schwer. Es klang wie ein Fisch, der versuchte, an Land nach Luft zu schnappen. Mit seinen feingliedrigen Händen versuchte er, Kathy am Kopf zu berühren, doch er war zu schwach. Der Arm sank schlaff zu Boden.

Mühsam rückte das Wesen ein Stückchen von der Terranerin ab, lehnte sich gegen die kalte, feuchte Mauerwand und schlief ein.

Kathy stand auf und ging in der kalten Zelle umher. Nach einer Weile wurde sie müde. Sie legte sich an ihre Schlafstelle und versuchte, sich auszuruhen.

*

Ein wohliger Schauer weckte sie. Es war ein Gefühl der grenzenlosen Zufriedenheit. Wie ein Drogenrausch! Damit kannte sich Kathy Scolar aus, früher hatte sie selbst Drogen genommen. Und doch war dieses Gefühl anders. Es kam noch etwas hinzu – ein Schmerz!

Als ob sich jemand an ihr festsaugte. Sie öffnete die Augen und stellte erschrocken fest, dass der Fithuul an ihrem Oberarm nuckelte. Die großen Augen starrten sie gierig an, während er ihr Blut aus ihrem Arm sog. Kathy schrie auf, zog die Beine hoch und trat den Fithuul weg. Er riss ein Stück Fleisch aus, als er von ihr ablassen musste.

Sie unterdrückte mit Mühe das Jammern, das in ihrer Kehle aufstieg. Das wohlige Gefühl war längst dem Schmerz und der Angst gewichen. Erschrocken starrte sie auf ihre Wunde. Der Fithuul gab seltsame, schrille Geräusche von sich. Ihr Blut tropfte aus seinem Mund.

Kathys Kreislauf sackte in sich zusammen, sie wurde auf einmal sehr schwach. Aber sie durfte nicht einschlafen, denn sonst würde der Fithuul wieder über sie herfallen. Es gab nur eine Möglichkeit. Der durchsichtige Blutsauger musste sterben. Aber ging das überhaupt, wenn er bereits ein Ylors war? War er überhaupt einer? Wovon ernährte sich sein Volk?

Sie wollte aufstehen, spürte aber ihre Beine nicht mehr. Kathy sackte zu Boden. Ihre Kräfte hatten sie verlassen. Sie konnte sich nicht mehr wehren.

*

Wie viel Zeit war vergangen? Langsam öffnete Kathy die Augen. Es war das gleiche Bild. Ein dunkler Raum mit schemenhaften Gestalten um sie herum. Wo war sie? Es war jedenfalls nicht der Kerker. Sie lag auf einem weichen Bett, doch sie erkannte nichts um sie herum. Alles war verschwommen und Kathy war so unendlich schwach und müde. Jede Bewegung eines Fingers strengte an. Ihr Geist war halb wach, zugleich fühlte sie sich, als sei sie in Trance.

Eine andere Empfindung stieg in ihr auf. Sie war wehrlos, und das erregte sie. Sie wusste nicht wieso, aber plötzlich war wieder dieses wohlige, befriedigende Gefühl da. Jemand streichelte sie. Eine Silhouette vor ihren Augen nahm Form an. Langsam hob Kathy beide Arme und streichelte das Gesicht der Frau. Es war Nataly! Ihre Augen leuchteten in einem irisierenden Gelb.

Kathy fühlte sich zu ihr hingezogen. Sie war ein vertrautes Gesicht, ein schönes Gesicht. Nataly lächelte.

»Komm in unseren Schoß, Kathy! Werde Eins mit uns. Du kannst es sowieso nicht verhindern. Du wirst sterben. Genieße es! Lasse es mit dir geschehen. Es ist wundervoll.«

Sie lächelte, küsste Kathys Hals und biss lasziv in die Beuge des Schulteransatzes. Kathy hatte keine Kraft, sich zu wehren. Sie besaß keine Energie mehr. Es fiel ihr wieder ein: Jeden Tag geschah das Gleiche. Nataly quälte sie grausam und nahm ihr immer mehr Lebensenergie. Solange, bis sie irgendwann sterben würde.

Wo war Aurec? Er war nicht bei ihr. Nur in ihrem Herzen und vor ihrem geistigen Auge existierte er. Mühsam und mit letzter Kraft drückte sie Nataly von sich, doch die frühere Freundin war stärker. Sie ließ nicht von ihr ab und der Terranerin blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu ergeben.

Und was würde dann geschehen? Würde sie als Geisteswesen existieren? In eine Superintelligenz aufgehen? Im Hyperraum verwehen? Ihr Gedächtnis verlieren? Ihre Erinnerungen an Aurec, ihre Gefühle für ihn? Sollte alles doch vergänglich sein? Kathy wollte das nicht! Aber die Alternative schien noch schlimmer.

Wehre dich nicht, meine Liebste! Füge dich in dein Schicksal als Braut von mir, Fürst Medvecâ!

Die Stimme war in ihrem Kopf. Der Herr der Ylors sprach zu ihr, und sie las seine Gedanken, seine Vergangenheit. Einst war er der junge Alysker Meydih. Er war ein Dichter und liebte die Alyske Norsha. Alles war wundervoll, bis er vom Ylors Glond zu einem Wesen der Nacht gemacht wurde. Aus Meydih wurde Medvecâ – ein Racheengel der Ylors, der sein Volk zu zweifelhaftem Ruhm führte.

Nun begehrte er Nataly und Kathy als seine Bräute. Nataly war es bereits. Sie nannte sich nun Natalia, offenbar gefiel ihr die Verniedlichung am Ende ihres Namens nicht mehr.

Kathy spürte, dass Medvecâ von einem Rausch besessen war. Gier, Lust und das Streben nach Macht bestimmten sein Denken und Handeln.

Ah, du suchst in mir nach Antworten auf meine Existenz? Oder willst du erfahren, mit wem du dich einlässt? Wir drei können unsere physischen Begierden voll auskosten und anschließend wie ein Wirbelwind über das Rideryon brausen, um es zu erobern! Du wirst Aurec vergessen, so wie ich Norsha vergessen habe. Ihr Tod war das Beste, was mir je geschehen konnte, denn er machte mich frei von der Krankheit Liebe!

Nein! So wollte Kathy nicht werden!

Sie wollte Aurec nicht vergessen. Ihre Liebe zu ihm hatte sie stark gemacht, ihr Leben verändert. Von einer hysterischen, Drogen konsumierenden Tresenbedienung war sie zu einer verantwortungsvollen Abenteurerin geworden, deren Leben endlich einen Sinn hatte.

Das war nur eine Zwischenstation, liebste Katharina! Ja, so wird dein neuer Name sein. Nun ist es an der Zeit, deine vollendete Daseinsform anzunehmen. Zusammen mit Natalia werden wir kosmische Geschichte schreiben.

Plötzlich stand Medvecâ rechts neben ihr, während Nataly zur Linken neben ihr lag und sie streichelte. Kathy wehrte sich, wollte das nicht geschehen lassen, aber sie hatte keine Kraft. Sie fühlte sich so schwach, so leer, im wahrsten Sinne des Wortes ausgesaugt.

Medvecâ legte sich rechts von ihr auf das Bett und streichelte Kathys Haar. Mit seinem Zeigefinger tippte er in ihre blutende Wunde. Nataly beugte sich über Kathy, um ihr Blut von Medvecâs Finger zu lutschen.

Dann küssten sich beide. Kathy war das unangenehm. Sie wollte hier weg. Medvecâ lachte, während Nataly ihre ehemalige Freundin finster anblickte. Sie riss Kathys Oberteil auseinander und packte sie am Hals. Dann bohrte sie mit ihren Fingern in der Halswunde herum. Es tat schrecklich weh. Kathy wollte schreien, aber die Kraft fehlte ihr. Sie blickte in Natalys kalte Augen.

»Tut es weh? Das ist die Bestrafung! Böse Kathy!«

Kathy hoffte, dass es bald aufhörte. Sie begann, Nataly zu hassen für den Schmerz, den sie ihr bereitete. Aber Nataly genoss es offensichtlich. Ihre Augen glänzten in finsterem Fanatismus.

Kathy ertrug den Schmerz nicht mehr. Sie nahm alle Kraft zusammen, ballte die rechte Hand zur Faust und schlug in Natalys Gesicht.

»Du dumme Hure! Jetzt mach ich dich so was von fertig, das sag ich dir! Jetzt hast du ein echtes Problem, sag ich dir!«

Nataly fletschte die Zähne, legte ihre Hände um Kathys Hals und drückte zu. Kathy versuchte vergeblich, die Hände von ihrem Hals zu drücken. Die Luft wurde knapp, der innere Druck im Kopf stieg an. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Gehirn gleich zerplatzen, doch Fürst Medvecâ stieß Nataly zur Seite.

»Nicht so, Natalia! Wie auch du ist sie meine Braut.«

Medvecâ lachte diabolisch. Dann berührte er Kathy an ihren intimen Stellen. Er küsste ihre Brüste. Nataly kam langsam hinzu und fing nun auch an, an Kathy zu spielen. Sie wollte das eigentlich nicht, konnte sich aber nicht wehren! Sie dachte darüber nach, dass sie gerade Aurec betrog – und mit dem Gedanken an ihren Geliebten fing sie an, es zu genießen, wie die beiden sie verwöhnten.

Nein!

Kathy krallte sich an Medvecâs Haaren fest und zog sich hoch. Sie versuchte, aus dem Bett zu steigen, doch Nataly gab ihr eine Ohrfeige. Kathy wollte hier raus! Sie schubste Nataly vom Bett und spürte Medvecâ in ihrem Rücken. Mit ihrem Ellbogen verpasste sie ihm ein Schlag auf die Nase.

Dann stand sie auf und wankte. Doch sie lief los. Nur weg von hier! Erst jetzt bemerkte sie, dass sie außer dem zerfetzten Nachthemd nichts trug. Die Gänge waren dunkel. Sie wusste nicht, wohin sie laufen sollte.

Nataly hatte sie inzwischen eingeholt und sprang Kathy in den Rücken. Ächzend krachte sie zu Boden. Nataly riss sie herum.

»Du Miststück. Ich töte dich jetzt!«

Sie zog einen Dolch und rammte ihn in Kathys Brust. Kathy hatte nicht mehr die Kraft für einen lauten Schrei. Sie keuchte die Luft aus und wusste, dass es nun vorbei war. Es wurde noch kälter. Nataly zog den Dolch aus ihrem Fleisch und stieß wieder hinein. Und wieder und wieder und wieder!

Kathy spürte den Schmerz nicht mehr. Nur am Rande bekam sie mit, dass sich Nataly und Medvecâ an ihrem Fleisch labten. Der ganze Körper war eine einzige große Wunde, doch die unendliche Müdigkeit war noch größer. Kathy dachte an Aurec und die Dinge, die niemals geschehen würden. Die Heirat! Niemals würde sie ein weißes Hochzeitskleid tragen, keine romantische Zeremonie im saggittonisch-terranischen Stil, keine Kinder, kein Leben. Alles vorbei! Alles zu Ende! Sie hatte gekämpft, doch es hatte nichts genützt.

Sie hatte Aurec enttäuscht. Er würde bestimmt um sie trauern, aber hoffentlich würde er eine Frau finden, die ihn aufrichtig liebte und den Abenteuern gewachsen war. Kathy dachte an Elyn. Sie war eifersüchtig auf die Alyske gewesen, doch nun war es egal. Kathy starb, und Aurec brauchte eine, die sich um ihn kümmerte, ihn liebte und Kraft gab. Vermutlich war Elyn die Richtige. Sie sollte auf Aurec aufpassen.

Der Schmerz wurde intensiver, dann wurde ihr schwarz vor Augen. Die Müdigkeit wurde größer. Kathy versuchte noch kurz, dagegen anzukämpfen, dann war es vorbei und die Nacht umgab Körper und Geist.

Erinnerungen: Der Herrscher der Ylors

Glond war tot!

Medvecâ spürte es. Die telepathische Verbindung war abgebrochen. Man hatte ihn aufgespürt und getötet. Trauer erfüllte Medvecâ, denn Glond war so eine Art Vater für ihn gewesen.

Er hatte ihm niemals Vorwürfe gemacht, dass Medvecâ vor 3900 Jahren mit Eorthor Kontakt aufgenommen hatte. Seit dieser Zeit waren die Ylors erneut zu Gejagten geworden. Wer sich nicht in ein Reservat einsperren ließ, wurde getötet.

Und doch war die Zahl der Ylors angestiegen, denn Medvecâ hatte sich nach seiner Flucht vor 3700 Jahren sehr verändert. Er hatte noch mehr Verantwortung für sein Volk übernommen und es versteckt. In Randbezirken der vierten Galaxie des Kreuzes der Galaxien, dort, wo sich kaum ein Raumfahrer aufgrund der kosmischen Stürme hinwagte, lebten sie.

Doch noch immer gab es viele Ylors, die im Kreuz der Galaxien auf die Jagd gingen. Sie wurden von den sogenannten Ylors-Jägern zur Strecke gebracht.

Medvecâ gehörte zu den meist gesuchtesten Ylors. Hunderte Jäger hatten versucht, ihn zur Strecke zu bringen. Nach einer Weile hatte Medvecâ angefangen, ihre Köpfe zu sammeln.

Und noch etwas hatte sich verändert. Er war auch ein Jäger geworden! Vor 3699 Jahren hatte er seine erste weibliche Beute zur Strecke gebracht. Nachdem er untergetaucht war, hatte er sich auf der spätindustriellen Welt Kervoba versteckt. Dort war es dann passiert. Während einer Zugfahrt in der Nacht hatte er sie erblickt. Eine hoch gewachsene Frau in kurzem Rock, schimmernden Strumpfhosen und braunen Stiefeln. Tiefblaue, große Augen, schlank. Sie passte ins Beuteschema.

Ein wenig Blickkontakt, ein Lächeln hier und da, das eine und andere Wort, und sie war willig gewesen. Mit wohliger Lust hatte er sie genommen. Zuerst sexuell, und dann hatte er dem Begriff Fleischeslust eine neue Definition gegeben. Vermutlich hatten die Tatortreiniger noch Wochen danach ihre Überreste aus den Ecken kratzen müssen.

Damit hatte sich alles geändert. Und viele waren der Frau aus dem Zug gefolgt. Hebesha war eine von ihnen. Sie lag in seinem Bett und starb.

Medvecâ streichelte über den kälter werdenden Körper seiner Gespielin. Sie atmete flach, starrte ihn entsetzt an. Er verwischte mit seinem Finger das Blut an ihrer Kehle und beobachtete, wie das Leben aus ihrem Körper rann. War das so schlimm? Nein, für die junge Cyragonin war es ein Segen, denn sie würde eine von ihnen werden.

Er war gnädig gewesen, hätte sie auch endgültig töten können, doch je mehr Ylors sie waren, desto mächtiger wurden sie.

Der Fürst der Ylors überließ die Frau ihrem Schicksal. Er stand auf, zog sich an und verließ das Schlafgemach, das einige Ylors scherzhaft das Schlachthaus nannten.

Er ging in die Schlosshalle. Dort lungerten einige führende Ylors herum. Sie vergnügten sich oder versuchten zu arbeiten. Die Schlosshalle war die Schaltzentrale von Medvecâs Residenz auf der cyragonischen Kolonie Plikajar. Die Halle erstreckte sich über mehrere unterteilte Sektionen. Geheimdienst, Geldbeschaffung, Waffenentwicklung, Planung und Organisation und vieles mehr.

Medvecâ war es gelungen, immerhin knapp 37.000 Ylors auf Plikajar unterzubringen. Mit viel Disziplin. Es gab eine größere Zahl solcher Standorte. Mehrere Millionen Ylors standen nun unter seinem Befehl.

Medvecâ bereitete sich auf einen neuen Krieg vor. Die Alysker sollten ausgelöscht werden! Oder noch besser: Sie sollten zu Ylors werden!

Alle bis auf Eorthor! Er sollte mit ansehen, wie sein geliebtes, reines Volk unterging.

Dann wäre Medvecâ der Herr des Kreuzes der Galaxien, und Norsha würde seine Königin werden. Noch immer dachte er an sie. Mit seinen 4200 Jahren hatte er keine Frau getroffen, die ihren Platz einnahm. Sie war seine erste und einzige Liebe.

Er hatte sich alle Mühe gegeben, Norsha frei zu halten. Jeder Liebhaber war gestorben oder hatte sie sitzenlassen. Natürlich war es sein Wille gewesen. Sie hatte keine Kinder und keinen Ehemann. Sie war allein – so wie er! Früher oder später würde die Einsamkeit sie in seine Arme treiben.

Medvecâ hatte sie beobachtet, aber seit seiner Flucht nicht mehr mit ihr gesprochen.

Bald war es an der Zeit! Er hatte ein Heer von drei Millionen Ylors aufgebaut. Dabei hatte er Unterstützung von einem Gönner erfahren, der selbst einst ein Alysker war.

»Träumst du wieder, Medvecâ? Denkst du an dieses Stück feines Fleisch?«

Es roch plötzlich verbrannt. Medvecâ bemerkte das Lodern von Flammen. Er drehte sich um. Da stand eine Gestalt mitten in der Halle. Sie brannte, oder vielmehr umschlossen die Flammen sie, ohne sie zu verbrennen. Das Wesen in einem roten Gewand und einem roten Helm mit einem schmalen Sichtschlitz war Medvecâ nicht unbekannt. Jeder Alysker und damit auch viele Ylors kannten die Nemesis von Eorthor, den Zerstörer von Alysk und Verräter der Alysker.

Rodrom!

Der Rote Tod, wie er genannt wurde, stand von einem Lidschlag auf den anderen in seiner Halle. Die anderen Ylors starrten ihn knurrend an. Nicht jeder von ihnen besaß die Intelligenz von Medvecâ. Durch die Vermischung mit anderen Völkern gab es viele Arten, und nur die Alysker besaßen die besonderen Fähigkeiten. Doch die anderen waren hervorragende Kämpfer.

»Eine Schwäche von Wesen aus Fleisch und Blut ist die Liebe. Ein Geisteswesen verspürt so etwas nicht. Seine Liebe gilt dem Universum, dessen Wundern und dessen Schrecken.«

Medvecâ war von Rodrom beeindruckt. Er hatte noch nie eine so negative Kreatur gesehen. Rodrom besaß viel Kraft und Energie, die förmlich ansteckte.

»Drei Millionen Kämpfer sind nicht genug, junger Freund. Du wirst verlieren. Doch ich biete dir eine Alternative.«

»Welche?«

»Verlasst das Kreuz der Galaxien! Ich gebe euch die Koordinaten einer Galaxie. Fliegt dorthin und lasst euch vom Rideryon aufnehmen. Das Rideryon ist ein kosmisches Wunder. Besiedelt es und gestaltet es im Sinne von MODROR, unserem Herrn!«

Medvecâ dachte darüber nach. Es gab 3,5 Millionen Ylors im ganzen Kreuz der Galaxien. Er konnte vielleicht noch 500.000 rekrutieren, und ihre militärischen Mittel waren beschränkt. Rodrom hatte wohl recht, doch es fiel Medvecâ schwer, seinen Traum von Rache aufzugeben.

Rodrom schien in seinen Kopf zu sehen.

»Auch ich will Eorthor sterben sehen. Es wird geschehen, irgendwann. Begreife, Medvecâ, wir denken in anderen Dimensionen. Eine Million Jahre sind für uns Unsterbliche nur ein Moment. Du wirst eines Tages Eorthor zu Grabe tragen, dessen bin ich mir sicher.«

Rodrom brachte Medvecâ Vertrauen entgegen. Er war genauso alt wie ihr gemeinsamer Feind. Medvecâ hatte einiges über Rodrom in Erfahrung gebracht. So war er an dem kosmischen Projekt beteiligt gewesen, was zum Fluch der Kosmokraten geführt hatte.

Rodrom war gestorben und war viele Millionen Jahre später als Inkarnation des Kosmotarchen MODROR zurückgekehrt. Seither führte er immer wieder Angriffe auf das Kreuz der Galaxien an. Doch nun verfolgte er offenbar einen neuen Plan.

»Wirst du meinem Rat folgen?«, fragte er nach einer Pause.

Medvecâ dachte nach. Das Rideryon könnte für sie eine neue Heimat bedeuten. In aller Ruhe würde er als Fürst der Ylors eine neue Rasse aufbauen, um eines Tages zum Kreuz der Galaxien zurückzukehren. Dann würde er Eorthor vernichten! Mit neuer Entschlossenheit sah er die flammende Figur an.

»Ja! Ich werde alle Ylors mobilisieren. Wir werden zum Rideryon aufbrechen, wie es dein Wunsch ist.«

Doch Medvecâ wollte nicht allein dorthin. Er wollte Norsha mitnehmen, und teilte dies Rodrom mit. Der Sichtschlitz des roten Helms verfärbte sich. War der Rote Tod wütend oder belustigt?

»Solange Norsha eine Alyske ist, wirst du kein Glück mit ihr finden. Wenn sie die Königin der Ylors werden soll, muss sie zu einer werden!«, riet Rodrom.

Medvecâ hatte Angst. Er wollte seine Geliebte nicht töten! Der Gedanke, sich an ihr zu vergehen, erschreckte ihn.

Nein, es war nicht nötig, dass sie eine Ylors wurde. Und doch sollte sie ihn zum Rideryon begleiten. Er würde sie überzeugen.

*

Medvecâ wartete nun schon über eine Stunde vor dem Blockhaus. Natürlich war es nicht mehr dasselbe, es war eines aus einer Reihe von Nachbauten, doch auch das neue Haus strahlte eine gewisse Idylle aus. Mures hatte sich inzwischen zur Welt eines raumfahrenden Volkes entwickelt.

Endlich kam Norsha! Sie war immer noch so wunderschön wie damals. Medvecâ ging ihr entgegen.

»Ich danke dir«, sagte er schlicht.

Sie senkte den Kopf.

»Offenbar kann ich dir nicht entrinnen. Du hast doch all die Jahre dafür gesorgt, dass ich allein bin.«

Woher wusste sie das? War Medvecâ zu plump vorgegangen? Er fühlte sich plötzlich schuldig und traurig. Er wollte ihr doch nichts antun, doch ohne sie wollte er nicht existieren.

»Ich werde das Kreuz der Galaxien verlassen. Alle Ylors werden gehen und eine neue Heimat suchen. Ich will, dass du mitkommst. An meiner Seite sollst du glücklich werden!«

Sie verzog das Gesicht.

»Ein Leben mit Bestien? Trinken wir zum Frühstück Blut statt Saft und berauschen uns an den Eingeweiden von Jungfrauen am Mittagstisch? Ich mit mir! Mein Leben ist sinnlos geworden. Es ist lang gewesen, und ich hege den alyskischen Todeswunsch.«

Nein! Das durfte nicht sein!

»Norsha, wir zwei haben eine Zukunft. Du bist meine Königin! Gemeinsam werden wir aus den Ylors ein richtiges Volk machen. Ich brauche deine Liebe, um dies zu bewerkstelligen!«

»Du hattest meine Liebe, Meydih! Du hättest mich nicht beschatten sollen und mein Leben verpfuschen. Du hättest kommen sollen und mit mir reden. Dann hätten wir vielleicht eine Chance gehabt. Ich will und kann dich nicht begleiten.«

Medvecâ gelang es nicht, die Tränen zu unterdrücken. 3900 Jahre lang hatte er Norsha geliebt, und nur die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft hatte ihn zu neuen Taten angespornt. Er war ein Ylors und dafür entschuldigte er sich nicht. Was für andere grausam war, war für einen Ylors normal. Sie waren tragische Geschöpfe der dunklen Seite, und dennoch wollten sie auch lieben und geliebt werden.

Nein! Er wollte auf Norsha nicht verzichten!

»Wenn du nicht freiwillig mitkommst, muss ich dich dazu zwingen. Bitte bring mich nicht dazu!«

Sie trat zwei Schritte zurück und zog einen Desintegrator.

»Ich will kein Leben als Ylors führen. Du wolltest es auch nicht, doch du hast dich verändert.«

Nun beeinflusste Medvecâ sie zum ersten Mal. Er zwang sie, ihren Desintegrator fallenzulassen. Dann ging er zu ihr, küsste sie.

»Ich liebe dich, Norsha. Verzeih mir«, sagte er und biss zu. Er saugte ihr Leben aus ihrem Körper. Als sie erschlaffte, trug er sie zu seinem Raumschiff und verließ Mures. Nie wieder würde er diese Welt wiedersehen.

Er hatte Norsha getötet, doch schon bald würde sie als Ylors wiedergeboren werden und an seiner Seite das Volk regieren.

Asche

Roi Danton starrte resignierend auf die Abtastungsergebnisse aus dem Reich der Husaaven. Es war recht groß. Ambush war es inzwischen gelungen, die Ortung mit den Individualimpulsen der Terraner zu programmieren. Das Ergebnis war ernüchternd – nichts! Kathy und Nataly befanden sich nicht mehr bei den Husaaven. Das erleichterte ihn ein wenig, denn diese an aufrecht gehende Schweine erinnernden Barbaren waren ihm suspekt. Doch welche Alternativen gab es? Sie waren entweder woanders oder tot.

Innenillustration: DUNKELSTERN von Lothar Bauer
DUNKELSTERN © Lothar Bauer

Viele walzenförmige Raumschiffe der Ylors patrouillierten durch diesen Sektor. Sie waren der DUNKELSTERN überlegen, jedoch nicht der VIPER. Bisher hatten sie keine Möglichkeit gehabt, die Technologie der Ylors genauer unter die Lupe zu nehmen. Ihre Defensiv- und Offensivkräfte waren jedoch mit denen der LFT und anderer Galaktiker vergleichbar. Die DUNKELSTERN jedoch hinkte einige Jahrhunderte zurück. Das war auch verständlich, denn sie musste ja keine Fernraumflüge durchführen oder immer neue Defensiven und Waffen entwickeln.

Roi blickte auf das Chronometer. Es war Mitte Oktober 1307 NGZ. Fast ein halbes Jahr waren sie nun im Riff. Und offensichtlich war dieses Abenteuer viel zu verlustreich ausgegangen.

Was konnten sie tun? Sie hatten Siedlungen von einigen hundert mausbiberähnlichen Wesen entdeckt. Doch auch dort waren keine Terraner zu lokalisieren. Leider konnten Danton und seine Crew nicht frei agieren. Ylorsraumschiffe und Husaaven patrouillierten im gesamten Gebiet. Roi wollte nicht entdeckt werden. Einem Angriff der Ylors würde die DUNKELSTERN nicht standhalten.

Er hatte auch die Verantwortung für die anderen Besatzungsmitglieder. Sato Ambush, Roland Meyers, Craasp, Zerzu, Hakkh, Jock und Pyla.

Pyla! Danton sah zu der schönen Bürgermeistertochter herüber. Sie strahlte mal wieder über beide Wangen. Ganz bestimmt war sie eine echte Frohnatur. Und sie hatte sich auf dem Tholmond wacker geschlagen.

»Roi?«

»Was gibt es, Sato?«

Der Pararealist schaute Danton ernst an.

»Wir haben einen Hilferuf aus dem Dorf erhalten. Es ist ein automatisches Notrufsignal.«

Pyla sah Danton besorgt an. Auch Jock hatte es mitbekommen und forderte, dass sie unverzüglich zum Dorf fliegen sollten. Roi gab dem Wunsch nach. Die DUNKELSTERN flog mit Höchstgeschwindigkeit zum Dorf.

»Seht nur, sie senden uns ein Rauchsignal«, meinte Pyla.

Roi sah sich über den Bildschirm das Areal an.

»Das ist kein Rauchsignal, Pyla!«, antwortete Roi mit belegter Stimme. Sie blickte ihn fragend an, schien dann langsam zu verstehen, dass es sich um brennende Häuser handelte.

»Macht das Shuttle startklar. Roland, Sie kommen mit. Jock, du auch.«

»Ich auch«, schrie Pyla auf.

Danton nickte schwach. Es wäre nicht fair gewesen, sie zurückzulassen. Es ging um ihr Volk. Doch Roi war sich nicht sicher, ob sie mit der Situation zurechtkommen würde. Er befürchtete das Schlimmste.

*

Nach zehn Minuten war die Fähre startklar und flog zum Dorf. Aus jedem Haus rauchte es. Das komplette Dorf war zerstört. Roi ging voran, doch Jock überholte ihn und eilte voraus. Er blieb weinend stehen und sackte zu Boden, als er die ersten Leichen sah. Pyla wollte auch loslaufen, doch Roi hielt sie fest. Sie zerrte und rief, sie wolle hin, doch diesen Anblick wollte Danton ihr ersparen.

Er nahm sie in den Arm, während sie laut weinte. Roi erkannte, dass überall Teile von Menschen lagen. Meyers besah die Kadaver, während Jock wie von Sinnen durch das Dorf lief.

Der ehemalige Quarteriale kam zu Roi zurück und schüttelte den Kopf.

»Hier hat keiner überlebt. Das waren die Ylors. Die Leichen sind übel zugerichtet.«

»Papa? Carah? Paddy?«, stotterte Pyla.

»Ich habe ihre Leichen gefunden. Das solltest du dir nicht antun.«

Sie schrie und wollte sich losreißen, doch Danton hielt sie fest. Es fiel ihm selbst schwer, die Ruhe zu bewahren. Anfangs hatte er nicht viel von Pyla gehalten, doch nun empfand er großes Mitleid für die junge Frau. Sie und Jock waren die letzten Überlebenden des Dorfes.

Hätte Roi die Bewohner nicht in seine Spielchen involviert, wären sie vermutlich noch am Leben. Er trug eine Mitschuld an ihrem Ende. Natürlich hatte er sie nicht ermordet, doch er hätte klug genug sein müssen, um so etwas vorauszusehen.

Ein gellendes Gelächter ließ ihn erschrecken. Es klang wie von einer Hexe.

»Nataly«, stieß Meyers hervor. »Du lebst?«

Roi schob Pyla sanft von sich und drehte sich um. Nataly wirkte verändert. Sie trug eine dunkle Kombination, ihre Haare waren wirr und sie war noch bleicher als sonst. Ihre Augen leuchteten gelblich.

»Liebster Roland, ich habe dich so sehr vermisst. Aber nun sind wir wieder vereint.«

Meyers ging zu ihr.

»Nicht!«, rief Danton, doch es war bereits zu spät. Er stand direkt vor Nataly.

»Wo ist Kathy«, wollte der Terraner wissen.

»Oh, sie ist tot. Mausetot.«

»Was? Aber wie?«, fragte Meyers entsetzt.

Roi ging mit Pyla langsam ein Stückchen näher. Er wollte Meyers noch einmal warnen, da zog Nataly einen Dolch und rammte ihn dem Mann in die Brust.

»So!«, erwiderte sie kalt.

Dann fletschte sie ihre Zähne, packte den Taumelnden und biss in den Schildknorpel des Kehlkopfes. Als sie Meyers wegstieß, fiel er leblos zu Boden. Pyla schrie erneut auf. Roi konnte nicht fassen, was geschehen war. Nataly hatte Roland Meyers getötet. Sie kaute auf dem Adamsapfel herum. Das Blut floss aus ihren Mundwinkeln.

Roi zog seinen Strahler.

Nataly spuckte aus und lachte diabolisch.

»Damit wirst du mich nicht aufhalten können. Ich bin eine Fürstin der Ylors!«

Sie breitete die Arme aus und drehte sich mehrmals um ihre eigene Achse.

»Ihr seid so dumm. Es war ein Spaß, alle hier zu töten, sag ich dir! Sie jammerten und winselten um ihr Leben. Aber ich habe sie erbarmungslos abgeschlachtet. Sie waren so köstlich, sag ich dir!«

Roi war fassungslos. Nataly war zu einer Ylors geworden, und Kathy tot. Hätte er doch nur intensiver nach ihnen gesucht! Roi machte sich schwere Vorwürfe. Er hatte komplett versagt. Den Tod aller Dorfbewohner und beider Frauen hatte er zu verantworten.

Und nun war auch noch Roland Meyers tot. Roi wusste nicht, was er tun sollte. Da spürte er das Zittern von Pyla an seinem Körper. Er musste sich zusammenreißen, damit nicht auch noch sie starb. Und was war mit Jock?

»Jock, komm her!«, rief Roi.

Doch er antwortete nicht.

»Jock?«

Pyla, die sich immer noch an Danton festkrallte, drehte sich um und blickte nach hinten. Dann schrie sie! Roi musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass auch Jock tot war.

Nun bemerkte er eine ganze Reihe an Ylors, die sie umzingelten. Danton und Pyla waren auf sich allein gestellt. Das konnte nichts werden.

»Du bist nun ein Gefangener des Herrn des Rideryons – Fürst Medvecâ! Ergib dich und dein Leben wird vorerst geschont.«

»Und was ist mit ihr?«

»Ich werde sie fressen, was sonst? Wird bestimmt ein Spaß werden.«

Nataly kicherte.

Wie konnte sich ein Mensch in der kurzen Zeit so sehr verändern? Gut, Roi hatte auch schon einmal so seine Probleme gehabt, damals, als er Torric war. Das gehörte jetzt aber nicht hier her. Wie konnte er Pylas und sein Leben retten?

Er blickte in den Himmel. Die DUNKELSTERN nahm an Fahrt auf. Gut! Sato Ambush würde schon etwas einfallen.

»Also Kathy ist auch tot?«

»Gewissermaßen. Aber ich war auch tot und nun lebe ich erst richtig.«

»Verstehe ich das richtig, sie wird auch zu einem Ylors?«

Nataly lachte nur.

Die DUNKELSTERN fing nun an zu feuern. Mit gezielten Schüssen setzte sie einen Feuerkreis um Roi und Pyla. Dann flog ein Beiboot heraus und schwebte über ihnen. Die Luke öffnete sich. Roi schob Pyla hinein und klammerte sich an den Halterungen fest.

»Los!«

Craasp bestätigte und steuerte die Fähre zur DUNKELSTERN. Die wenigen Minuten boten Zeit, um das Ganze zu verstehen. Meyers tot! Nataly und Kathy Ylors! Das ganze Dorf vernichtet! Pyla weinte bitterlich. Sie tat ihm so leid. Das hatte er nicht gewollt. In diesem Moment vergaß er die Maske des unnahbaren Edelpiraten oder Freihändlerkönigs. Es war nicht die Zeit für einen Witz, sondern Mitgefühl zu zeigen. Sanft nahm er Pyla in den Arm und versuchte, sie zu trösten.

Die Fähre landete inzwischen im Hangar.

»Komm«, sagte er und zerrte sie mit sich. Als sie in der Kommandozentrale angekommen waren, setzte er sie auf einen Sessel. Sie war völlig fertig.

Nun musste er an das Schiff denken.

»Kapitän, zwei Raumschiffe halten direkt auf uns zu«, meldete Craasp entsetzt.

Auf dem großen Bildschirm wurden tatsächlich zwei walzenförmige Raumschiffe mit kunstvollen Verzierungen an den Seiten erkennbar. Danton identifizierte sie als Ylorsraumschiffe.

Plötzlich erschien das Gesicht von Nataly Andrews auf dem Monitor. Roi hätte sie am liebsten mit eigenen Händen erwürgt.

»Nataly! Wieso hast du das getan?«

»Nataly Andrews ist tot! Ich bin Natalia, Gemahlin von Fürst Medvecâ.«

Ihr Lächeln war kalt und erbarmungslos. Es war richtiggehend bösartig. Doch Natalia formte die Lippen zu einem Schmollmund und versuchte unschuldig auszusehen.

»Heult die kleine Schlampe? Es war schön, ihre Familie auszulöschen. Ebenso berauschend wie Kathy und Roland umzubringen.«

»Was ist geschehen, Nataly? Was hat dich verändert?«

»Fürst Medvecâ hat meinem Leben einen Sinn gegeben. Verantwortung, Macht, Respekt und Anerkennung! Ich bin keine Terranerin mehr, sondern eine Ylors!«

»Ah. Und denkst du dabei auch an den armen Johnny?«

»Für Jonathan hege ich keinerlei Gefühle mehr. Schon bevor ich eine Ylors wurde, hatte ich für ihn keine Gefühle mehr. Er war unbedeutend, nur ein Klotz an meinem Bein.«

Das kam alles so plötzlich. Danton hatte Nataly als eine moralisch hochstehende Frau kennengelernt. Obgleich sie vor einigen Monaten bei seinen Anzüglichkeiten mitgespielt hatte … war das schon ein Anzeichen gewesen? Wie dem auch sei, das war nicht mehr die Nataly von einst. Sie war ein Ylors, ein seelenloses Wesen geworden. Und Kathys Mörderin!

»Mein Gemahl Medvecâ zeigt Interesse an euch. Zum ersten und letzten Mal, Danton! Ergebt euch oder sterbt!«

Nataly zeigte ein kaltes Lächeln. Für Roi gab es nur einen Ausweg. Er gab Sato Ambush ein Zeichen. Es war unmissverständlich. Feuer frei!

Sofort feuerte die DUNKELSTERN mit allem, was sie hatte, auf die beiden Ylorsraumschiffe.

»Vollgas raus hier! Richtung Nebel«, brüllte Danton.

Doch da wurde die DUNKELSTERN getroffen.

*

Der Treffer hatte gesessen. Die DUNKELSTERN glich einem Schrotthaufen, aber sie musste durchhalten. Noch ein paar Millionen Kilometer!

Überall brannte es! Pyla kreischte und weinte.

Roi Danton holte aus dem Raumschiff raus, was noch möglich war. Doch die beiden Raumschiffe der Ylors kamen immer näher.

Aber ebenfalls der Nebel.

Wieder erschien das Gesicht von Natalia auf dem Monitor.

»Böser, böser Roi. Ich werde dich an die Leine nehmen und bestrafen müssen. Du wirst mir nicht entkommen, das sag ich dir!«

Konnte die Alte nicht einmal die Klappe halten? Bei jeder Aktion spürte Danton Natalias kalte, eisblaue Augen auf sich ruhen.

Die Raumschiffe kamen näher und näher. Es hatte keinen Zweck. Roi erkannte, dass sie unterlegen waren.

»Wir ergeben uns.«

»Was?«, rief Craasp.

»Ja, es hat keinen Sinn. Nataly, wir geben auf.«

Sie lachte.

»So so! Aber nun ist es zu spät. Du hast mich lange genug geärgert, sag ich dir! Ich bin eine Frau, und Frauen sind launisch. Deshalb habe ich meine Entscheidung geändert. Ihr sterbt nun, so oder so!«

Roi stöhnte auf, bemühte sich um einen Rest von Ironie. Getötet von einem arroganten Weibsbild. Schlimmer geht’s nimmer! Angestrengt überlegte er, wie er Natalia davon überzeugen konnte, ihn und die anderen doch am Leben zu lassen.

Unweit der drei Raumschiffe öffnete sich plötzlich das Weltall. Ein blaues Energiefeld entstand, in der Mitte entstand eine Art Portal. Das Gebilde glich einem Schwarzen Loch.

Ein Raumschiff wurde aus dem Durchgang katapultiert. Es war ungefähr zwei Kilometer groß, besaß eine spitze Form und drei hohe Türme auf der Oberfläche. Die Hülle war schmutzig, dreckig, wirkte fast eingefallen und uralt.

Das Gefährt wirkte gespenstisch. Ein grüner Dunst umgab seine Unterseite. Nataly oder Natalia war plötzlich unruhig und sah immer wieder auf irgendwelche Kontrollen. Nun begriff Danton, dass das kein Ylorsraumschiff war.

Das fremde Schiff wendete und flog nun auf Parallelkurs mit den beiden Ylorsschiffen. Dann feuerte es zwei grelle Energieringe ab. Eins der Schiffe verging in goldenem Feuer.

»Was soll das? Wer ist das?«, kreischte Natalia.

Das fremde Schiff hielt direkt auf ihr Schiff zu. Noch immer bestand die Verbindung und ließ Roi direkt an dem Geschehen teilhaben.

Die neue Ylors stieß unverständliche Befehle aus, während ihre Hände hektisch über diverse Kontrollen huschten. Um das übriggebliebene Walzenschiff legte sich ein giftgrüner Schleier, während die Verbindung abriss. Gleichzeitig griffen wieder zwei der grellen Energieringe nach dem Schiff.

Und dann war es vorbei. Wieder die goldene Energieentladung, doch das Zentrum des kollabierenden Rings war leer, nur grüne Überladungsblitze zeugten von dem Energieinferno.

Das Schiff war weg.

Was war mit Nataly Andrews oder vielmehr Natalia, der Giftschlange von Medvecâ? War dies ihr Ende gewesen?

STERNENMEER

Schweigend starrte Danton in den Weltraum. Kathy war tot! Ermordet von Nataly, ihrer besten Freundin. Wie Aurec das wohl aufnehmen würde? Würde der Tod seiner Verlobten ihn zerbrechen lassen? Sie brauchten den Saggittonen dringend. Sein Volk, einfach alle!

Roi Danton dachte auch an Jonathan Andrews. Ihm die traurige Nachricht mitzuteilen, dass seine Frau eine Mörderin geworden war und vor ihrem Tod nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, war eine schwere Bürde.

Meyers war auch tot. Pyla war die einzige Überlebende des Dorfes. Die Todesliste der Ylors war sehr lang.

Das fremde Raumschiff hielt in langsamer Fahrt direkt auf die DUNKELSTERN zu. Waren sie die nächsten? Danton bezweifelte es. Es war eine Rettungsaktion des fremden Raumers gewesen. Wer immer es befehligte, er hatte der Crew der DUNKELSTERN das Leben gerettet.

»Wir erhalten einen Funkspruch auf Interkosmo, Sir! Der Kommandant der STERNENMEER möchte mit Ihnen sprechen!«

STERNENMEER war also der Name dieses eigentümlichen Raumschiffes. Danton nickte.

Plötzlich erschien wie aus dem Nichts eine Gestalt vor ihm. Danton zuckte zusammen, denn das Wesen sah aus wie lebendiges Gespenst. Die filzigen, dunklen Haare hingen nass und wirr in das ausgemergelte Totengesicht. Der Körper war von einer schwarzbraunen Kombination bedeckt, an der jede Menge Waffen baumelten. Er trug einen zerrissenen, mit Schimmel bedeckten Umhang.

Hoffentlich verlangte er keine Umarmung als Dank, dachte Roi angewidert.

»Vielen … vielen Dank für die Rettung. Sie sind …?«

»Ich bin Nistant! Erbauer des Rideryons und sein rechtmäßiger Herrscher. Eure Anwesenheit ist mir seit Eurer Begegnung mit Cul’Arc bekannt.«

Das war also Nistant! Der Legende nach musste dieses Wesen einige Millionen Jahre alt sein. Es war ein seltsames Gefühl, um sein Alter zu wissen.

»Die Ylors haben während meines langen Schlafes in der Dunkelheit die Kontrolle übernommen. Ich bin mir bewusst, dass das Auftauchen des Rideryons auf euch alle furchteinflößend wirkt. Doch seid gewiss, wir wollen kein Leid bringen. Auch wenn dies das Volk der Hexen anders sieht. Eine von ihnen war bei euch?«

»Maya!«, stieß Craasp hervor.

»Wo ist sie? Wisst Ihr etwas, dann sagt es bitte«, fügte Sato Ambush hinzu.

Nistant lachte auf.

»Nein! Wir suchen sie selbst.«

»Eine Frau ist in der Hand der Ylors. Angeblich tot, aber …«, sagte Danton.

»Dann ist jede Hoffnung vergebens. Medvecâ wird sie zu seinesgleichen machen und sie wird ein Wesen ohne Seele sein. Wie jenes Weib, welches knapp meiner Bestrafung entgangen ist.«

»Natalia? Woher?«

»Wir haben euer Funkgespräch mitgehört. Ihr Schiff ist entkommen, bevor die Energiestrahlen es zerstört hätten. Und es gibt keine Hoffnung für die zweite Frau. Wenn sie von einem Ylors getötet worden ist, dann wäre es besser, wenn sie tot bleibt.«

Besser tot blieb? Dann befürchtete Nistant also, dass Kathy ebenfalls zu einer Ylors werden könnte. Oder war sie es bereits? Würde sie dann genauso ein finsteres Wesen werden wie Nataly Andrews? Eine Pause entstand.

»Ihr verlasst das Rideryon?«, fragte Nistant schließlich.

»Oui, wir werden den Einwohnern Siom Soms mitteilen, dass Ihr ihnen kein Leid bringt, doch versteht, dass dies nicht ausreichen wird. Was ist das Ziel des Rideryons? Warum seid Ihr in Siom Som?«

Nistant wanderte durch die Kommandozentrale und musterte die Crew. Besonders die Riffaner hatten deutlichen Respekt vor ihm. Pyla verfolgte jeden seiner Schritte, doch sie weinte immer noch. Nistant blieb stehen und legte seine Hand auf ihre Schulter.

»Der Tod deiner Nächsten ist traurig. Sie waren Kinder des Rideryons. Du wirst bei den Terraner neue Freunde finden.«

Dann wandte er sich wieder Rhodans Sohn zu.

»Alles zu seiner Zeit, Roi Danton alias Michael Rhodan.«

»Ihr wisst viel.«

»Das macht das Alter. Doch eines frage ich mich«, Nistant wanderte wieder umher. »Kennt Ihr eine Frau mit dem Namen Anya Guuze?«

Danton stieß einen Pfiff aus.

»Ja, die kenne ich. Woher kennt Ihr sie denn?«

»Wir sind uns auf Ednil an der Stätte meiner Wiedergeburt begegnet.«

Ednil? M 87? Roi vermutete, dass einiges geschehen war, seitdem er im Riff gewesen war. Tobte immer noch der Krieg überall? Ging es allen gut, die ihm am Herzen lagen?

»Soll ich Mademoiselle Guuze von Ihnen grüßen? Sind Sie zwei befreundet?«

Nistant schüttelte den Kopf.

»Ihr seid doch im Besitz des Bildnisses von Ajinah? Würdet Ihr es bitte holen?«

Roi Danton begriff. Das Bild! Er eilte zu der Stelle, an der es stand, nahm es und brachte es Nistant. Gemeinsam mit ihm betrachtete er das Bild noch einmal, und nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen!

Die Frau auf dem Marmorbild war Anya Guuze wie aus dem Gesicht geschnitten!

Fragend starrte Danton Nistant an. Der nickte.

»Eben darum, mein Freund! Es ist, als würde Ajinah wieder leben. Anya Guuze ist ihre Reinkarnation. Sie ist das Herz der Sterne, nachdem ich seit Äonen suche. Der Geist von Ajinah schlummert in ihr und wartet darauf, geweckt zu werden!«

Wie romantisch – aber dennoch vielleicht etwas übertrieben, fand Danton. Er überreichte Nistant das Bildnis.

»Ich habe es auch geputzt«, meinte er spöttisch und grinste.

Nistant nahm es wortlos entgegen. Danton war dieser lebende Totenkopf ziemlich unheimlich, obwohl er sich zuvorkommend und höflich verhielt. Ähnlich wie diese Fledermaus Cul’Arc.

»Wie geht es eigentlich Ihrem geflügelten Freund?«

»Er ist tot. Und doch lebt er.«

Während er das letzte Wort sprach, verwandelte sich Nistant in Cul’Arc. Danton war ehrlich beeindruckt. Nistant verwandelte sich wieder zurück.

»Er ist ein Teil von mir. So war es von Beginn an.«

»Nun, ich könnte noch stundenlang plaudern, aber wir müssen auch mal wieder nach Hause. Es ist schon reichlich spät.«

Instinktiv wollte Danton dieses Gespräch schnell beenden, denn Nistant wurde ihm immer unheimlicher.

»Wir werden uns wiedersehen, Danton! Wenn Ihr mein Herz der Sterne findet, gebt acht auf Anya! Ihr könnt den Nebel passieren. Ich habe entsprechende Vorkehrungen getroffen.«

Danton nickte. Nistant löste sich auf. Wenige Sekunden später nahm die STERNENMEER an Fahrt auf und verschwand.

»Befehle, Roi-San?«, fragte Ambush leise.

»Nach Siom Som und dann hoffen, dass wir Freunden und nicht Feinden in die Arme fliegen.«

Erinnerungen: Norsha

Medvecâ beobachtete das bleiche Gesicht seiner geliebten Norsha. Sie wirkte so friedlich. So zufrieden. Nun, da sie den Schlaf des Todes schlummerte, konnte sich Medvecâ etwas sammeln. Der Autopilot flog das kleine diskusförmige Raumschiff zum Treffpunkt auf Plikajar. Sie zu einer Ylors zu machen, war der letzte Ausweg gewesen.

Die Stunden vergingen. Norsha wachte nicht auf. Etwas stimmte nicht. Medvecâ wurde unruhig. Ihr Puls schlug nicht. Medvecâ rüttelte panisch an ihren Schultern, rief ihren Namen. Doch sie blieb im Reich der Toten. Er ergriff das Medi-Kit und startete eine Diagnose. Das Gerät versagte den Dienst. Das Raumschiff fiel aus dem Hyperraum und blieb stehen. Medvecâ setzte sich an die Kontrollen. Eine Art Virus hatte das Raumschiff befallen.

»Bemühe dich nicht. Dein Raumschiff wird nicht mehr weiterfliegen.«

Eorthor!

Medvecâ erkannte die Stimme des alyskischen Anführers sofort. Sie kam aus den Lautsprechern der Syntronik. Eorthor klang überheblich und kalt. In seinen Worten lag eine gewisse Endgültigkeit.

»Ich wusste, du würdest Norsha niemals loslassen und injizierte diesen Nanovirus in ihr Blut. Er verhindert die Transformation in eine Ylors und übertrug sich bei Kontakt mit medizinischen Geräten in das Netzwerk.«

Medvecâ begriff, dass Norsha tot war. Dass sie tot blieb. Und er hatte sie umgebracht. Er war der Mörder der Frau, die er liebte. Das konnte er sich niemals verzeihen. Hätte er sie doch einfach nur entführt! Doch er war so von sich und seiner Sache überzeugt gewesen. Er war blind gewesen und hatte Norsha leichtfertig geopfert.

Eorthor würde er das auch niemals verzeihen. Er hatte Norshas Schicksal besiegelt und trug an ihrem Tod die gleiche Mitschuld.

»Nun, Medvecâ, du hast verloren. Ich gehe davon aus, dass du allein in deinem Raumschiff bist. Du wirst zusehen, wie deine geliebte Norsha verwest und zerfällt, ehe du selbst an Blutmangel sterben wirst. Deine törichte Rebellion ist zuende.«

Die Stimme schwieg nun. Medvecâ saß stundenlang im fahlen, roten Licht der Notbeleuchtung und starrte auf Norsha.

Aus Stunden wurden Tage. Aus Tagen wurden Wochen.

Medvecâ betrachtete schweigend den Zerfall seiner Geliebten. Die Zersetzung, Bildung von Gasen, die Ausbreitung von fauligem Gestank. Dazu quälte ihn das brennende Verlangen nach Blut.

Medvecâ bestrafte sich selbst, indem er sich dem Schmerz ganz öffnete. Er sollte leiden. Und das tat er mit jeder Sekunde.

Nach Monaten der Selbstkastei vernahm Medvecâ das Lodern der Flammen, die Hitze des Feuers und die Anwesenheit des Roten Todes.

»Die Zeit der Trauer ist vorbei. Deine Ylors warten auf dich in der Galaxie Orbvanteroor. Das Rideryon wird die Galaxie bald erreichen.«

»Die Ylors sollen ohne mich existieren. Mein Schicksal ist besiegelt. Eorthor hat gewonnen.«

»Hätte er das, wärst du bereits tot. Ich habe alle alyskischen Raumschiffe vernichtet, die Ziel auf dein defektes Schiffchen hielten. Norsha ist tot. Ihr Körper verrottet. So ist das mit dem sterblichen Leben. Die Ylors stehen darüber. Eines Tags wirst du zusehen, wie Eorthors Körper verrottet. Das gelingt dir nur, wenn du jetzt den Beweis antrittst, der wahre Führer der Ylors zu sein.«

Medvecâ erhob sich. Mit einem schwachen Nicken signalisierte er seine Zustimmung. Rodrom verschwand, und wenig später entmaterialisierte auch Medvecâ, nur um kurz darauf auf einem ihm unbekannten Raumschiff zu materialisieren.

Die Wände waren grün, schimmerten und pulsierten, tropften und blubberten. Vor ihm stand eine Konsole. Ein Hologramm darauf zeigte sein Schiff. Medvecâ wusste, was er zu tun hatte. Er ging zur Konsole und umklammerte mit der Hand die Steuerung mit dem einen großen Knopf. Kaum hatte er sie berührt, erschien eine holographische Zielerfassung. Langsam und bedächtig bewegte er sie zum Raumschiff, bis die Zielarretierung eingerastet war.

»Lebe wohl, Norsha«, sprach Medvecâ und drückte den Knopf. Ein Energiestrahl traf das Raumschiff und zerstörte es.

Nun hatte Medvecâ endgültig mit den Alyskern abgeschlossen. Sein Weg lag vor ihm. Zuerst in die Galaxie Orbvanteroor und dann auf das Rideryon …

Die Rückkehr

Halo von Siom Som, Mitte November 1307 NGZ

Roi stemmte seinen Oberkörper nach oben, indem er sich am Rand des altertümlichen Messetisches festhielt, der auf dem Boden des größten Raumes des Piratenschiffes festgeschraubt war und Zentrale und Mannschaftsquartier zugleich bildete. Um ihn drehte sich alles und unter seiner linken Schulter spürte er das Vibrieren des Zellaktivatorchips, dem er es verdankte, dass sein Leben inzwischen schon nach Jahrtausenden zählte. Unwillig wischte er sich das Blut aus den Augen, das aus einer schmerzhaften Platzwunde auf seiner Stirn sickerte. Sein Blick klärte sich etwas und erfasste das Chaos, das ihn umgab.

Die DUNKELSTERN war schon in den vergangenen Monaten Schritt für Schritt in ein schrottreifes Wrack verwandelt worden, aber die kurze Hyperraumpassage, die das Piratenschiff vom Riff in die Randgebiete Siom Soms versetzt hatte, schien ihr endgültig den Rest gegeben zu haben.

Auf dem ohnehin von Abfall und Unrat übersäten Boden der Messe bildeten die Überreste der Einrichtung ein undefinierbares Konglomerat von Geschirr, Essensresten, Papierfolien, Stahlplast- und Holzteilen, das einen penetranten Gestank nach billigem Fusel verströmte.

Roi unterdrückte mit äußerster Willensanstrengung den Impuls, seinen Mageninhalt über das Chaos um ihn zu verteilen. Sein Kopf schmerzte höllisch und am liebsten hätte er sich wieder auf den Boden fallen lassen und die Augen vor dem Elend rings um ihn verschlossen.

Doch das kam natürlich nicht in Frage. Er war Michael Reginald Rhodan und stand, zumindest so, wie es aussah, als Einziger zwischen den Schrecken und Gefahren des Riffs und den unwissenden und unvorbereiteten Galaxien der Lokalen Gruppe und der estartischen Mächtigkeitsballung.

Doch dann fiel ihm ein, dass er nicht allein an Bord der DUNKELSTERN gewesen war. Wo waren Ambush, Pyla, Craasp, Zerzu und Hakkh? Sein Blick klärte sich. Nun, da er wusste, nach was er suchte, bemerkte er auch die reglosen Körper seiner Gefährten, die wie zufällig inmitten des Durcheinanders lagen. Dies genügte, um die letzten Kraftreserven in seinem zerschlagenen Körper zu aktivieren, neue Energie durchströmte seine Muskeln.

Mit unsicheren Schritten torkelte er auf eine der am Boden liegenden Gestalten zu und versuchte, diese aufzurichten. Es handelte sich um Sato Ambush, der jedoch trotz seines Zellaktivators noch immer bewusstlos war.

*

Zwei Stunden später.

Die Zentrale der DUNKELSTERN war wieder einigermaßen instandgesetzt, was nur bedeutete, dass der gröbste Müll beseitigt und diverse Sitzgelegenheiten notdürftig repariert waren.

Die Riffpiraten waren inzwischen wieder unter den Lebenden und hatten versucht, eine erneute Hyperraumetappe vorzubereiten. Das Ergebnis war niederschmetternd. Der Überlichtantrieb, der auf dem Prinzip der gewaltsamen Durchdringung der Barriere zwischen dem Normal- und Hyperraum beruhte, war hinüber, endgültig, zumindest nach der Aussage von Craasp.

Innerlich fluchte der Unsterbliche, er musste sich auf die Aussage des fetten und technologisch rückschrittlichen Manjor verlassen, da Sato Ambush, trotz seines Zellaktivators, noch immer bewusstlos war. Der japanische Pararealist war durch den Entmaterialisationsschock des altertümlichen Transitionstriebwerks, das normalerweise nur in einem Entfernungsbereich von Lichtwochen benutzt wurde, ins Koma gefallen, ohne seinen Zellaktivator wäre er vermutlich längst gestorben.

Ambush war neben Meyers der Einzige gewesen, der mit der primitiven Technik der DUNKELSTERN umgehen konnte. Doch Meyers war tot, von einer durchgedrehten Nataly Andrews, die sich jetzt Natalia nannte, ermordet, und Ambush war nicht ansprechbar. Alles hatte sich gegen ihn verschworen, das war einfach ungerecht und wurde ihm so langsam zu viel.

Wütend stieß Roi einige Flüche zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, die so gar nicht zu seinem oft zur Schau getragenen Benehmen des blasierten Edelmannes passten. Sie waren am Ende, in den Weiten des intergalaktischen Raumes um Siom Som gestrandet.

Plötzlich fühlte er, wie sich ein weicher Körper mit entsprechenden weiblichen Rundungen an seinen Rücken presste. Roi drehte sich um und sah in Pylas Gesicht. Sie wirkte alles andere, als auf der Höhe des Geschehens zu sein. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie die jüngsten Ereignisse nicht verkraftet hatte. Damit meinte Danton weniger den Transitionssprung als den Verlust ihrer Familie, ja aller Menschen, die sie je gekannt hatte.

Pyla schob sich wortlos an ihm vorbei und setzte sich auf einen Sessel. Sie schwieg und starrte vor sich hin. Die junge Frau hatte alles verloren. Deutlich sah er ihr die Hoffnungslosigkeit an.

Doch Roi Danton wollte sich damit nicht abfinden.

*

Inzwischen war ein weiterer Tag vergangen, und die Lage der Schiffbrüchigen wurde immer hoffnungsloser. Die Crew der DUNKELSTERN hatte eine umfassende Bestandsaufnahme durchgeführt, das Ergebnis war miserabel. Roi fluchte auf sich selbst, er hatte zwar in seiner Jugend ein Studium in Hochenergie-Maschinenbau mit Erfolg abgeschlossen, aber seit damals hatte er sich nie mehr damit beschäftigt, da seine wahren Interessen auf anderen Gebieten lagen.

Innerlich bat er Geoffry um Vergebung für ungezählte Scherze und Sticheleien, mit dem er die penetranten Schwafeleien seines Schwagers zu unterbrechen gepflegt hatte, wenn dieser mal wieder die Gelegenheit genutzt hatte, mit seinem wissenschaftlichen Genie zu protzen. Was hätte er dafür gegeben, wenn der linkische Ehemann seiner Schwester jetzt an seiner Seite wäre, und was erst, wenn auch Suzan ihn plötzlich schwesterlich geschüttelt hätte, um ihn aus seinem Selbstmitleid zu reißen. Doch das war vorbei, zuerst Suzan und dann Geoffry waren im Abgrund der Zeit zurückgeblieben und hatten ihn auf dem Weg in die Zukunft allein gelassen.

Suzan! Noch immer vermisste er seine Schwester, noch immer war ihm, als sei sein Ich zerbrochen, als Vater ihm 3434 mitteilte, dass sie, zusammen mit Mama, während des Panither-Aufstandes auf Plophos im Jahr 2931 ermordet wurde. Mama und Suzan, bis heute hatte er den Verlust der beiden nicht verarbeitet, noch immer war ihm manchmal, als würde Suzan plötzlich vor ihm stehen und ihn mit ihrem typischen »Na, was geht, Kleiner!« auf die Palme bringen.

Suzan, selbst in ihrem Tod war sie ein Mysterium geblieben, aber während Vater ihr Verschwinden schweigsam zur Kenntnis nahm, erfüllte ihn seitdem noch immer die irrationale Hoffnung, dass sie irgendwo zwischen Gestern und Morgen überlebt oder wiedergeboren wurde. Sein Vater lehnte jeden Gedanken an die Möglichkeit, dass seine Tochter in irgendeiner Form irgendwo noch existieren könnte, kategorisch als »reines Hirngespinst« ab. Nicht einmal, dass Mama genauso verschwunden war, konnte seinen Standpunkt ins Wanken bringen.

Gut, im Falle von Mama hatte er vermutlich recht. Dass ihre sterblichen Überreste aus dem Mausoleum unter dem Granitobelisken auf dem Zentralfriedhof von Terrania City verschwunden waren, konnte in ihrem Falle vermutlich wissenschaftlich korrekt durch den explosiven Zellverfall nach der Sicherstellung ihres Zellaktivators durch Gucky erklärt werden. Aber warum auch von Suzan noch nicht einmal Staub übriggeblieben war, entzog sich jeder rationalen Erklärung, denn sie war keine Aktivatorträgerin gewesen!

Seit dieser Zeit hatte er das Gefühl der inneren Zerrissenheit nie mehr verloren. Um sich selbst zu schützen, hatte er die Maske zu seiner zweiten Persönlichkeit ausgebaut, er spielte nicht nur Roi Danton, er wurde Roi Danton. Ein Psychologe hätte von einer gespaltenen Persönlichkeit gesprochen, aber als Roi Danton vermisste er keine Mutter und trauerte um keine Zwillingsschwester. Und dann kam die Zeit als Torric, wo durch Shabazza seine gesamte Persönlichkeit dominiert und missbraucht wurde. Danach folgten die Jahre auf Mimas.

Was niemand ahnte: Von seiner ursprünglichen Persönlichkeit als Michael Reginald Rhodan war unter der Psychotherapie fast nichts mehr übrig geblieben. Ohne die Erinnerung, ohne seine Sehnsucht nach Suzan, wäre auch dieser Rest seiner Persönlichkeit in Roi Danton aufgegangen.

All dieses ging ihm durch den Kopf, während er sich in einer Ecke der Messe zusammenkauerte. Wie es schien, war er am Ende seines Weges angekommen, eingepfercht in eine schrottreife Konservenbüchse, die antriebslos im intergalaktischen Leerraum zwischen Siom Som und Erendyra trieb. Aus dem Bullauge grinste ihm Siom Som geradezu höhnisch entgegen. Die Balkenspirale der Galaxie der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTUS schien zum Greifen nah und war doch so unendlich fern, unerreichbar für das havarierte Schiff.

»Wer ist denn diese Suzan, die du unbedingt wiedersehen willst?«

Die Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Unwillig blickte er auf und schaute in Pylas blaue Augen. Er musste laut vor sich hingemurmelt haben, schüttelte den Kopf. Seine Ängste, seine Sehnsüchte gingen niemand etwas an, am wenigsten diese Buuralerin mit ihrem debilen Verhalten. Doch sie schien andere Vorstellungen zu haben und zumindest mit seinem Kopfschütteln nicht einverstanden sein.

»Komm schon, Roi«, flötete sie unter Einsatz ihres ganzen, zugegebenermaßen beachtlichen Körpers, »erzähl der lieben Pyla, wer diese Suzan ist, ich will es wissen!«

Mit diesen Worten richtete sie ihre hochgewachsene Gestalt auf, schüttelte die lange, blonde Mähne, und dann stampfte sie tatsächlich wie ein ungeduldiges Kind mit einem Fuß mehrmals auf den Boden. Es war das erste kindische Verhalten Pylas seit der Ermordung ihrer Familie. Vielleicht ein Anzeichen von Erholung, oder nur eine Trotzreaktion?

Roi hatte ein langes und erfahrungsreiches Leben hinter sich und die Quintessenz dieser Erfahrungen sagte ihm eindeutig, wann er auf verlorenem Posten stand.

»Suzan war meine Schwester, aber sie ist schon lange tot.«

Was dann folgte, war ein Umschalten in Sekundenbruchteilen. Zuerst hatte die Eifersucht ihr aus allen Poren geblitzt, doch nun kam, genauso übergangslos, ihr Mitgefühl zum Einsatz. Sie ging zu ihm und drückte ihm ein Kuss auf die Wange. Dann nahm sie ihn in den Arm.

»Oh, mein armes, armes Ummelchen!« Dann schien ihr einzufallen, dass auch sie die Schwester verloren hatte. »Weißt du, das verbindet uns beide! Carah ist auch tot. Alle sind tot. Wollen wir gemeinsam um unsere Lieben trauern?«

Jetzt wurde es ihm zu viel. Unwillig schob er sie von sich weg und erhob sich. Die kleine Episode hatte die Aufmerksamkeit der Crew erregt, die sich um sie versammelt hatte.

Hakkh, der Riffzwerg, hielt eine Flasche Riffplörre in der Hand und grinste ihn provozierend an. Nachdem er einen tiefen Schluck genommen hatte, rülpste er mehrmals, bevor ein lang gezogenes »Ummelchen …« von sich gab.

Da hatte er endgültig genug.

*

Stunden später …

Die Entwicklung an Bord der DUNKELSTERN war außer Kontrolle geraten. Craasp, Zerzu und Hakkh hatten sämtliche Alkoholvorräte zusammengesucht und veranstalteten eine Sauforgie. Nachdem er anfänglich gezögert hatte, beteiligte sich Roi an dem Besäufnis. Neben ihm lag Pyla, die bereits Unmengen der Riffplörre in sich hineingeschüttet hatte und schließlich in Morpheus’ Armen gelandet war. Ab diesem Moment fühlte er sich besser, denn die Tochter des Dorfbürgermeisters war mit steigendem Alkoholspiegel immer zudringlicher geworden, was wiederum von den übrigen Riffanern mit lautem Gegröle und entsprechenden Zoten begleitet wurde.

Inzwischen war auch Sato Ambush wieder zu sich gekommen, aber er war noch immer geschwächt und nicht in der Lage, irgendetwas zur Verbesserung ihrer Situation beizutragen.

In diesem Moment riss ihn lautes Fluchen aus seinen Grübeleien. Zerzu, der Fithuul, war wieder zurück, nachdem er vor etwa einer halben Stunde die Zentrale verlassen hatte, um sich zu erleichtern, wie er allen großspurig verkündete. Als er nun zurückkam, brachte er das Kunststück fertig, zuerst eine große Kiste vor sich abzustellen und anschließend über genau diese Kiste zu stolpern.

»Nachschub«, rief er dann fröhlich, »eine ganze Kiste Khum, von Kapitän Fyntross persönlich gestiftet!«

Die Ankündigung des grazilen Fithuul rief die Aufmerksamkeit der anderen Riffaner hervor. Hakkh erhob sich schwerfällig und wankte zu seinem Gefährten hinüber.

»Khum, sagtest du Khum? Du hast tatsächlich dem alten Halsabschneider Fyntross eine Kiste Khum geklaut?«

Der Fithuul schien um einige Zentimeter zu wachsen, während ein grünlicher Schimmer die transparente Haut überzog.

»Ich allein hab ihm die Kiste aus der VIPER geklaut, als wir zusammen auf Thol2727 festsaßen.«

*

Der Blick des ehemaligen Königs der Freihändler hatte die ganze Aufregung desinteressiert verfolgt. Was sollte auch an einer simplen Kiste besonders interessant sein? Wieder drohte er in seinen Grübeleien, nein, verbesserte er sich, in seinem Selbstmitleid zu versinken.

Pyla erregte seine Aufmerksamkeit, indem sie sich, obwohl sie gelinde gesagt total besoffen war, in eindeutiger Weise an ihn kuschelte. Er schreckte auf, als ihm eine knorrige Hand, die für den übrigen Körper viel zu groß war, auf die Schulter schlug. Unwillkürlich gab er einen lauten Schmerzlaut von sich. Hakkh, der Riffzwerg, grinste ihn wohl über alle vier Backen an.

»Jetzt, mein König, wirst du das Getränk der Rideryongötter kennenlernen. Bei meinem Volk gibt es ein Sprichwort, das besagt, dass, wer einmal Khum gesoffen hat, für immer im Paradies leben wird.«

Irgendetwas in den wortgewaltigen Lobtiraden des Riffzwerges veranlasste ihn, diese ominöse Kiste näher zu betrachten. Ihre Form kam ihm bekannt, fast vertraut vor. Schwankend, um sein Gleichgewicht ringend, kämpfte er sich auf die Füße, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Plötzlich stutzte er, seine Augen weiteten sich ungläubig.

»Das gibt’s einfach nicht! Das kann nicht wahr sein. Zerzu! Zerzu weißt du überhaupt, was du da geklaut hast?«

Der Fithuul ließ die Kiste los und blickte zu Roi herüber.

»Natürlich Käpt’n, Khum, göttlichen Khum direkt aus den khumlysandrischen Landen!«

Roi hatte inzwischen auch die Kiste erreicht und beugte sich nieder, um sich zu vergewissern.

»Khum? Ich weiß nicht, was dieses Khum sein soll, aber in der Kiste ist es bestimmt nicht! Was unser genialer Langfinger bei dem Halsabschneider Fyntross hat mitge…«

Doch er konnte seinen Satz nicht zu Ende bringen. Auch Hakkh drängte danach, seine Meinung lautstark und vor allem handgreiflich zum Besten zu geben. Bevor Roi reagieren konnte, hatte er seine gewaltige Keule ergriffen und wollte mit ihr die Kiste gewaltsam öffnen. Mit einem Schrei des Entsetzens gelang es dem Terraner, dem Riffzwerg in den Arm zu fallen.

»Bist du von allen guten Geistern verlassen, das ist kein Khum oder sonst ein Gesöff, sondern unser aller Rettung!«

Hakkh und Zerzu begannen nun beide, lauthals zu protestieren, doch Craasp, der wolfsähnliche Manjor schob die beiden zur Seite und verschaffte Roi etwas Luft.

»Jetzt lasst mal den Käpt’n zu Ende sprechen, er wird schon wissen, warum er meint, dass das kein Khum ist.«

»Aber Craasp, auf der Kiste ist das Siegel der khumlysandrischen Krone, es kann nur Khum sein.«

Dabei deutete Hakkh auf ein Symbol, das auf allen Seiten und dem Deckel angebracht war. Auf einem gelben Kreis waren drei gleichseitige Dreiecke aufgedruckt, die im Mittelpunkt eine Nabe bildeten. Dieses Symbol war überall auf den von Terranern besiedelten Planeten bekannt und stand für höchste Gefahr. Soweit er wusste, stammte der Ursprung aus der Zeit vor dem Solaren Imperium, noch bevor sein Vater auf dem Mond auf die Arkoniden Crest und Thora gestoßen war. Das Trefoil-Logo war zum Symbol für Massenvernichtungswaffen geworden, wobei die Hintergrundfarbe des Symbols den Waffentyp identifizierte.

»Diese Kiste wurde von Menschen meines Volkes hergestellt. Das Symbol kennzeichnet eine der furchtbarsten Massenvernichtungswaffen, die jedoch für uns die Rettung darstellt. Kurz gesagt, es handelt sich um eine Gravitationsbombe, die einen Aufriss des Raum-Zeit-Kontinuums erzeugt, der noch in einer Entfernung von Tausenden Lichtjahren registriert werden kann. Wir sprengen also ein Loch in den Raum und hoffen, dass jemand kommt und nachschaut, wer da die Raumzeit durchlöchert, n’est-ce pas?«

Alle Riffaner schauten ihn nun ungläubig an. Craasp schien sich als Erster von der Überraschung erholen und fragte ihn:

»Käpt’n, was bedeutet ein Loch im Raum und wieso kann dieser kleine Kasten so etwas bewirken?«

Danton überlegte, ob er die Riffaner in die 5-D-Physik einweihen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Obwohl die DUNKELSTERN über ein Transitionstriebwerk verfügte, schien niemand über tiefergehende Kenntnisse auf diesem Gebiet zu verfügen. Ohne Sato Ambush wäre der Hypersprung, der sie in das Halo von Siom Som gebracht hatte, nicht möglich gewesen. Normalerweise konnte das Triebwerk nur kurze Sprünge über einige Lichtwochen durchführen, was im unmittelbaren Umfeld des Riffs wohl auch genügte.

»Durch eine Gravitationsbombe wird ein Schwarzes Loch erzeugt, das dann kollabiert und die Raumstruktur aufreißt.«

Er griff nach einer Flasche Riffplörre und nahm einen großen Schluck.

»Noch Fragen, mes écorcheur?«

Zerzu schaute ihn aus seinen schwarzen Augen noch einen Moment unschlüssig an und schüttelte dann jedoch seinen haarlosen Kopf. Roi war erleichtert, dass er die Wissbegierde seiner Mannschaft wohl abgewürgt hatte. Jetzt musste die Gravitationsbombe nur noch mit einem Beiboot im Raum ausgesetzt und dann gezündet werden.

»Voilà tout, Madame et Messieurs, hoffen wir, dass die Richtigen uns finden.«

Erinnerungen: Medvecâ, der Wächter

Der SCHWARZE MOND war ein Zufluchtsort für ihn, wenn er den politischen Verpflichtungen eines Anführers für eine Weile entrinnen wollte. Die Ylors konnten sich schon gut selbst regieren – vielmehr befürchtete Medvecâ, dass sie die Völker des Rideryons versklaven würden. Doch Rodrom hatte klare Anweisungen gegeben. Sie durften jagen, doch in Maßen. Nach Manipulation der rotierenden Sonnen durch Rodrom war eine ewige Schattenseite auf dem Rideryon entstanden. Diese war ihre neue Heimat.

Dort lebten sie nun seit zwanzig Millionen Jahren und Medvecâ hatte schon angefangen, sich zu langweilen. Viele Geheimnisse des Rideryons waren ihm verborgen geblieben. Wer steuerte es? Wer war der große Geist? Eine unbekannte Entität? Gab es einen gigantischen Rechner, der das Rideryon verwaltete? Medvecâ hatte Mythen und Fakten von der Entstehung verglichen.

Rodrom selbst war nur wenige Male erschienen. Eines Tages – vor knapp achtzehn Millionen Jahren – hatte er Medvecâ die Koordinaten eines versteckten Mondes mitgeteilt. Es war kein Tholmond. Es war eine kleine Raumstation mit besonderen, technischen Raffinessen. Sie manifestierte sich zur Hälfte im Rideryon, zur anderen Hälfte an einem beliebigen Ort in einem Radius von knapp zehn Millionen Lichtjahren.

Offenbar war sie früher dazu erbaut worden, um aus der Sicherheit des Resif-Sideras heraus fremde Galaxien zu erforschen. Doch ihre Bestimmung hatte sich seit Äonen bereits geändert.

Der SCHWARZE MOND war ein Gefängnis.

Medvecâ kannte das inhaftierte Wesen. Anfangs war er neugierig gewesen. Zwischendurch hatte er sogar Mitleid mit ihr empfunden. Inzwischen genoss er es, sie zu quälen.

Die Gefangene war eine Persona non Grata in der rideryonischen Geschichte und hatte offenbar ein solch grausame Strafe verdient gehabt. Auf ewig allein. Auf ewig gefangen. Ohne Hoffnung auf Flucht oder Absolution.

In guten Jahren ließ Medvecâ die Gefangene mental an dem Aufbau von fremden Zivilisationen teilhaben. Der SCHWARZE MOND blieb unentdeckt im Orbit einer aufstrebenden Welt. Die Gefangene durfte teilhaben, ja sogar mentalen Kontakt herstellen. Umso öfter keimte Hoffnung in ihr. Die zu zerstören, war ihm stets auf Neue ein besonderes Vergnügen.

Rettung aus Raumnot

Die kleine Jagdgruppe trieb mit etwa zwanzig Prozent Unterlicht im Halo von Siom Som. Tribun Regus Novus hatte den Auftrag, das Einsickern von Kampfgruppen der Föderation Estartische Separatisten nach Siom Som zu verhindern. Obwohl nominell Großadmiral Vesus den Oberbefehl über die in der ehemaligen Mächtigkeitsballung ESTARTU operierende Flotte führte, hatte er sich mit anderen Teilen der Flotte, die wie er mit der gegenwärtigen Situation unzufrieden waren, dem Militium-Magister für das Protektorat Estartu und neuem Verteidigungsminister Carilla angeschlossen, was faktisch eine Spaltung der Flotte bedeutete. Seit der großen Schlacht um den Dunklen Himmel herrschte ein gespannter Waffenstillstand, der mehr oder weniger von allen beteiligten Parteien respektiert wurde.

Regus Novus blickte voller Stolz auf die Zentralbesatzung der THESASIAN, einem Adlerschiff der Dorgon-Klasse. Seit er das Kommando übernommen hatte, war das Verhalten der Legionäre wieder vom alten Geist geprägt. Die mangelnde Disziplin, die sich unter dem Oberkommando von Vesus wie ein Geschwür innerhalb der Flotte ausgebreitet hatte, war ausgemerzt, auch wenn er zu drastischen Maßnahmen greifen musste. Mit einigen Schritten betrat er die Zentrale, während die Ordonnanz, die ihn auf Schritt und Tritt begleitete, hinter ihm das mehrfach verstärkte Zentralschott schloss, was den Ellipsoid aus hyperphysikalisch verdichteten Dorgonit zu einer vom übrigen Schiff isolierten Einheit machte.

Nachdem er die Zentrale betreten hatte, sprangen alle Offiziere auf und grüßten ihn mit dem alten Legionärsgruß, indem sie mit der geschlossenen rechten Faust gegen die linke Schulter schlugen.

»Zentralbesatzung angetreten, keine besonderen Vorkommnisse, Tribun!«, grüßte ihn Centrus Susios, der Erste Offizier der THESASIAN.

»Danke Centrus, lassen Sie bequem stehen!«

Die Männer der Zentralbesatzung nahmen daraufhin ihren Dienst wieder auf, während Regus Novus auf dem erhöhten Kommandantenstand Platz nahm. Es war wirklich ein erhebendes Bild eiserner Disziplin, das sich seinen Augen bot, und ein Gefühl tiefster Befriedigung durchströmte ihn. Endlich war es vollbracht: An Bord der THESASIAN war kein einziges weibliches Besatzungsmitglied mehr, keine doppelten Toiletten, keine Rücksicht auf die angeblich unterschiedliche weibliche Psyche. Die Politik von Verteidigungsminister Carilla brachte erste Früchte. Nur eines störte seine Befriedigung: Innerhalb des Flottenteils, der nach wie vor unter dem Oberbefehl von Vesus stand, hatten die verdammten Emanzen nach wie vor ihren Platz. Es wurde Zeit, dass der senile alte Bock endlich abgelöst wurde.

Die nächsten Stunden vergingen ereignislos. Regus Novus nutzte die Zeit, um einen Plan auszuarbeiten, den er Minister Carilla bei seinem nächsten Besuch auf Som präsentieren wollte. Vesus musste weg. Wenn er nicht freiwillig ging, musste eben nachgeholfen werden. Novus wusste, dass Carilla genauso dachte, aber aus innenpolitischen Gründen musste er auf Elgalar und den neu gebildeten dorgonischen Senat Rücksicht nehmen.

Plötzlich wurde er aus seinen Plänen gerissen. Durch die Zentrale gellte der Raumalarm. Hektisch wurden die Systeme der THESASIAN hochgefahren, in weniger als vierzig Milli-Zeiteinheiten war das Schiff gefechtsbereit.

»Meldung!«, schnarrte seine Stimme durch die Zentrale.

»Im Abstand von etwa achttausend Lichtjahren Hyperraumschock! Position außerhalb der Ekliptik von Siom Som.«

»Irgendwelche Erkenntnisse, um was es sich handelt?«

»Ja, Tribun! Vermutlich um einen hyperkinetischen Schock, dessen Ursache jedoch unbekannt ist.«

Regus Novus überlegte einen Moment, ob er das Zentralkommando auf Ijarkor, einem der Monde Soms, informieren sollte, entschied sich jedoch dagegen. Wenn diese Ortung natürliche Ursachen haben sollte, würde er sich lächerlich machen. Und Lächerlichkeit war genau das, was er sich nicht leisten konnte.

»Anweisung an die Gruppe, Abfangkurs einleiten und Dreieckformation einnehmen!«

*

Die THESASIAN und ihre drei Begleitschiffe beschleunigten und gingen nach Erreichen von fünfzig Prozent Lichtgeschwindigkeit in den Hypertaktmodus über. Hierbei oszillierte das Schiff innerhalb der künstlich geschaffenen Hypertakt-Vakuole, indem es im Millisekundenbereich durch sogenannte »weiche« Transitionen zwischen Normal- und Hyperraum wechselte.

Die Hypertakt-Vakuolen waren mit der terranischen Grigoroff-Blase vergleichbar, dabei war jedoch der Wirkungsgrad höher und das Schiff während der Überlichtetappe voll manövrierfähig. Sobald die Sicherungsgruppe die Position der Hyperschockortung erreicht hatte, würden die Adlerschiffe in Dreieckformation aus der Hyperraumblase treten.

Dann war es soweit. Nach etwa einer halben Stunde Flug im Hypertaktmodus bei einem Überlichtfaktor von hundert Millionen war die kleine Flotte an der Position des angemessenen Hyperraumschocks angekommen.

Faktisch im gleichen Moment materialisierten die vier Adlerschiffe im Normalraum. Die überlichtschnell arbeitenden Taster zauberten nur Sekundenbruchteile später ein Abbild des umgebenden Raumes innerhalb des Holoprojektionssystems, das innerhalb der Adlerschiffe die altmodischen Plasmaschirme ersetzt hatte.

»Schiff unbekannter Bauart in der Nähe der Hyperraumanomalie.« Der Ortungs-Dekurio schien einige Messwerte abzulesen und fuhr dann fort: »Schiff scheint über keinerlei 5-D-Technik zu verfügen, Energieortung zeigt lediglich Atomzerfallsprozesse, keinerlei Anzeichen für gefährliche Waffensysteme, das ist nur ein primitiver Schrottkahn!«

Der Tribun musterte die gegenwärtigen Positionen innerhalb der Holoprojektion, dann kam sein Kommando: »Abfangpositionen beibehalten, Prisenkommando zusammenstellen und im Beiboothangar A3 auf meine Ankunft warten.«

In diesem Moment wurde ein Knistern und Rauschen hörbar, das anscheinend über die Audiosysteme empfangen wurde.

»Dekurio, was ist da los?«

»Tribun, anscheinend ein Kontaktversuch des fremden Schiffes. Die verwendete Technik ist jedoch völlig primitiv, der syntro-positronischen Verbund versucht gerade die Signale zu rekonstruieren und in unsere Kommunikationstechnik zu transformieren.«

»Gut warten wir mal ab, wer dort an Bord ist und was diese Primitivlinge uns zu sagen haben.«

Wenig später begannen innerhalb der Holoprojektion mehrere Störungen, die sich immer wieder zu völlig surrealen Gebilden verformten, langsam Oberkörper und Kopf eines fremden Wesens zu bilden. Gleichzeitig wurden Wortfetzen, undefinierbare Töne und schrille Geräusche hörbar.

Schließlich war es soweit. Innerhalb der Holoprojektion manifestierte sich das Gesicht eines Caniden, der mit gefletschten Zähnen bellende Laute von sich gab. Absolut ungewohnt erschienen die drei Armpaare, die die Schulterpartie des Wesens bildeten, das mit einem wilden Konglomerat aus in Fetzen gerissenen Kleidungsstücken bedeckt war, das man mit einiger Fantasie als Reste einer Uniform identifizieren konnte.

Die Translatorkomponente des syntro-positronischen Verbundrechners versuchte noch immer, hinter die Bedeutung des für menschliche Ohren unangenehmen Gebells zu kommen, was die hörbaren Wortfetzen bewiesen, die das »Gebell« des fremden Wesens unterbrachen.

»So wie es aussieht, haben wir eine neue Rasse von Barbaren entdeckt, Tribun.«

Regus Novus überlegte einen Moment, dann antwortete er:

»Da DORGON offensichtlich das dorgonische Volk zu seinem auserwählten Werkzeug geformt hat, durch welches er ein Reich hervorbringen wollte, das auf Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden gegründet ist, muss er offensichtlich wünschen, dass unser Volk so viel Spielraum und Macht wie möglich erhält.

Es ist also die uns gestellte Aufgabe, die verschiedenen Völker der menschlichen Rasse zu einem einzigen, machtvollen Reich zu einen, das dann endlich das Ende aller Kriege und allen Elends bedeutet, wenn die barbarischen Völker und Rassen durch die gütige und helfende Hand Dorgons auf den richtigen Weg geführt werden. Deshalb, und natürlich aus unserer Verantwortung für die barbarischen Völker, werden wir die Besatzung dieses Schiffes aus Raumnot retten und ihren Welten die Zivilisation bringen.«

Auf diese Rede folgte ein Augenblick feierlicher Stille, die dann durch begeisterte Beifallskundgebungen durchbrochen wurde. Regus Novus hatte seiner Besatzung aus der Seele gesprochen:

Es war und würde die Bürde des dorgonischen Volkes sein, die Kultur der menschlichen Rasse überall im Universum zu verbreiten.

In diesem Moment schien der Rechnerverbund endlich genügend Basisvokabeln zugeordnet haben, um aus dem heiseren Gebelle erste sinnvolle Sätze zu formen. Es schien, als ob das fremde Wesen einen Notruf mit antiquierten Funkwellen abgesetzt hatte.

»Dekurio, stellen Sie sofort eine Verbindung zu dem Barbaren her. Wir haben schon viel zu viel Zeit vertrödelt.«

Wenig später stand die Verbindung über einen völlig antiquaren Datenkanal. Regus Novus wusste, dass die Empfangseinheit des fremden Schiffes sein Portrait vor dem durch den Verbund eingespielten prunkvollen Thron Decrusians zeigte, ein Bild, das die primitiven Barbaren wohl tief beeindrucken würde.

»Erwarten Sie unse…«

Doch Regus Novus konnte seine so salbungsvoll begonnene Ansprache gegenüber dem fremden Wesen nicht beenden, denn er wurde jäh durch den Raumalarm unterbrochen, der die THESASIAN schlagartig in volle Gefechtsbereitschaft versetzte. Die sich aufbauenden Hypertronschirmstaffeln unterbrachen die altertümliche Verbindung, während die automatische Gefechtsfeldführung durch den Rechnerverbund den über sechs Kilometer langen Giganten in einen Abfangkurs führte. Ein kurzer Blick auf die taktische Holodarstellung zeigte, dass auch die drei Adler der Dom-Klasse das vorbereitete Abfangprogramm durchführten.

Im Unterschied zu den Schiffen der LFT oder des Quarteriums waren die Adlerschiffe der dorgonischen Krone im hohen Maße automatisiert, Eingriffe der menschlichen Besatzung erfolgten nur in Ausnahmefällen. Die faktische Kommandogewalt während der Gefechtsbereitschaft und der Gefechtsführung lag auf den Schiffen der Dorgon- und Dom-Klasse bei dem syntro-positronischen Verbund, der in diesem Fall noch durch entsprechende Kontra-Rechner ergänzt wurde.

Allerdings konnten die kommandierenden Offiziere bei Bedarf in die vorgeplanten Abläufe eingreifen. In den volumenholografischen Datenspeichern der THESASIAN waren ungezählte Gefechtsvarianten gespeichert, auf die der Rechnerverbund im Nanosekundenbereich zugreifen konnte. Jede Übung, jedes Gefecht, das nicht mit der völligen Vernichtung des Schiffes endete, vergrößerte so die zur Auswahl stehenden Gefechtsvarianten. Der kommandierende Tribun, wie jeder andere Führungsoffizier des Schiffes, würde sich hüten, in diese automatisierten Abläufe einzugreifen.

Interessiert verfolgte Regus Novus die Informationen, die über die zentrale Holomatrix eingeblendet wurden. Seine mit protzigen Ringen geschmückten Finger schwebten über dem Kontrollsensor, der die Automatik unterbrechen und auf akustische Befehlsübermittlung umschalten würde. Aber noch bestand hierzu keinerlei Veranlassung.

Die passiv arbeitenden Hyperorter hatten zwei Gravitationsanomalien angemessen, die sich mit hoher Geschwindigkeit auf den Standort des havarierten Fremdraumers zubewegten. Der dorgonischen Flotte standen genügend Messmuster der LFT oder des Quarteriums zur Verfügung, um zumindest eine Anomalie als den Vortex eines Metagrav-Antriebes zu identifizieren. Das Echo der zweiten Anomalie allerdings war absolut unbekannt und konnte keinem Schiffstyp zugeordnet werden.

In diesem Moment war es soweit. Zwei Körper fielen aus dem Hyperraum und rematerialisierten mit hoher Restgeschwindigkeit im Normalraum. Die gemessenen Energieemissionen bewiesen, dass beide Körper mit Höchstwerten verzögerten. Es konnte also kein Zweifel daran bestehen, dass ihr Ziel ebenfalls der havarierte Raumer war. In diesem Moment hatte der Rechnerverbund seine Auswertung abgeschlossen. Die ungeformte Stimme der Audio-Einheit war in der ganzen Zentrale zu hören:

»Fremdschiffe teilweise identifiziert. Bei der größeren Einheit handelt es sich mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit um einen SUPREMO A-Schiffstyp unseres Bündnispartners.«

Bevor der Verbund seine Inferenzen weiter führen konnte, unterbrach ihn der Kommandant.

»Wieso nur 95 Prozent Wahrscheinlichkeit?«

»Die Messwerte zeigen einige signifikante Unterschiede zu den bisher gespeicherten Echos, außerdem handelt es sich bei dem zweiten Schiffstyp mit einer Wahrscheinlichkeit von 82,5 Prozent um eine Einheit unserer Feinde, der sogenannten Entropen. In diesem Falle besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das SUPREMO-Schiff uns ebenfalls feindlich gesinnt ist, da es offensichtlich mit der entropischen Einheit zusammenarbeitet.«

Ein Manöver wird zum Ernstfall

Die von Roi Danton gezündete Gravitationsbombe hatte noch eine andere Gruppe auf das havarierte Schiff aufmerksam gemacht: die IVANHOE II, die zusammen mit einer entropischen Einheit ein Manöver im Niemandsland zwischen Siom Som und Erendyra durchführte. Der gemeinsame Kampf von USO, FES und Entropen gegen die quarterialen und dorgonischen Usurpatoren hatte, zumindest im Dunkeln Himmel, teilweise zu einer Änderung des Verhältnisses zwischen den Alliierten und den entropischen Verbündeten geführt.

Konsequenz dieser Entwicklung war das gemeinsame Manöver der IVANHOE II mit dem entropischen Basisschiff KIRINA, wobei, auch das ein Novum, Jeamour der Oberbefehl über den kleinen Verband übertragen wurde. Das entropische Schiff, das unter dem Befehl der Primärentropin Denkerin00013 stand, gehörte einem bisher noch nicht eingesetzten Typ an, der von den Entropen als Basisschiff bezeichnet wurde. Basisschiffe waren auf der Zelle eines Trägerschlachtschiffes aufgebaut, führten jedoch keine größeren Beiboote mit sich. Dafür war die offensive und vor allem die defensive Rüstung entsprechend stärker ausgelegt.

Die Auswertung der Frequenzmuster der Strukturerschütterung ergab, dass es sich dabei wahrscheinlich um eine gezündete Gravitationsbombe aus terranischer Fertigung handelte. Jeamour nutzte daraufhin die Gelegenheit, die die angemessene Explosion bot, um ein Abfangmanöver gegenüber einem mutmaßlichen Aggressor unter wirklichkeitsnahen Bedingungen zu üben und gleichzeitig die Ursache dieser Explosion aufzuklären.

Es war das Pech des dorgonischen Kommandanten, dass dadurch die beiden Schiffe unter voller Gefechtsbereitschaft die kurze Metagrav-Etappe beendeten und so einen entscheidenden Zeitgewinn gegenüber den dorgonischen Einheiten hatten. Nachdem die beiden Schiffe ihre Überlichtetappe beendet hatten, schleuste die IVANHOE II ihre vierzig Fregatten aus, die eigentlich als schwere Kreuzer mit zweihundertfünfzig Meter Durchmesser einzustufen waren.

Wenig später erfassten die überlichtschnell arbeitenden Gefechtsfeldtaster das antriebslos im All treibende fremde Schiff und die vier dorgonischen Einheiten. Die Fregatten der IVANHOE II bildeten einen leicht konkav gewölbten Schild mit den beiden schweren Einheiten im Zentrum.

*

Auf der IVANHOE II ging in diesem Moment ein Hyperkomspruch des dorgonischen Kommandanten ein, der von Tania Walerty auf den Befehlsstand Jeamours geschaltet wurde. An Bord des ehemaligen quarterialen Omni-Trägerschiffes hatte es eine kleine Palastrevolution gegeben, als Jeamour versucht hatte, wie inzwischen innerhalb der 8. Flotte üblich, militärische Ränge einzuführen.

Nachdem die IVANHOE II nach ihrer Flucht aus Cartwheel zu den USO-Einheiten in Siom Som gestoßen war, hatte sich die Besatzung, entgegen Jeamours Willen, einstimmig dafür ausgesprochen, das durch das Quarterium eingeführte militärische Reglement wieder abzuschaffen. Seit diesem Zeitpunkt wurden Führungspositionen an Bord der IVANHOE II nur nach Qualifikationen vergeben, wobei die Angehörigen der betreffenden Abteilung auch noch ein Wort mitzureden hatten.

Nachdem sich Jeamour die Hyperkomnachricht angehört hatte, wandte er sich an die Leiterin des Ortungs- und Kommunikationsbereiches.

»Miss Wa…, äh … Tania, könnten Sie mir einen Verbindungskanal zu dem dorgonischen Kommandanten schalten?«

Die dunkelhaarige Terranerin grinste Jeamour amüsiert an und entgegnete:

»Aber natürlich, mein Kommandant, der Kanal wird sofort geschaltet!«

Jeamour verzog das Gesicht, als ob ihn Zahnschmerzen peinigen würden, er hatte sich noch immer nicht mit der Abschaffung des militärischen Befehlsweges abgefunden, an der die attraktive Ortungschefin maßgebend beteiligt war. Dazu hatte sie ihn noch geradezu genötigt, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen, da dadurch das zivilisatorische Verhältnis zwischen ihnen besser ausgedrückt wurde. Fast sehnte er sich die Zeiten des strengen Militärreglements des Quarteriums zurück, aber nur fast.

Das dröhnende Gelächter des Oxtorners Irwan Dove ließ ihn das Gesicht nun tatsächlich vor Schmerzen verziehen, der Sicherheitschef der IVANHOE II hatte sich in den letzten Wochen wohl am meisten von allen gewandelt. Aus dem stillen, in sich gekehrten und oft einsam wirkenden Umweltangepassten war ein offenes, fröhliches und kommunikatives Mitglied der Besatzung geworden, der das private Schneckenhaus, in das er sich zurückziehen pflegte, verlassen hatte.

Der Gedanke an die positive Veränderung des Oxtorners führte dazu, dass Jeamour seine schlechte Laune vergaß und zufrieden vor sich hin grinste. Das Arrangement mit dieser entropischen Hexenmeisterin schien sich zu einem vollen Erfolg zu entwickeln.

In diesem Moment wurde das braunhäutige Gesicht eines Dorgonen in seinem Trivideokubus sichtbar. Ohne die geringste Spur an Höflichkeit zu zeigen, forderte er die Terraner auf, sich sofort zurückzuziehen, da sie sich innerhalb dorgonischen Hoheitsgebietes befinden würden, das nicht der Kontrolle des Quarteriums unterliegen würde.

Daraufhin antwortete der Admiral, dass hier doch wohl ein Notfall vorliegen würde und es seine Pflicht als Raumfahrer wäre, dem havarierten Schiff zu helfen.

In dieser Situation schob Tania Walerty dem Belgier eine Schreibfolie zu, auf der nur ein einziges Wort stand:

»Göttersturz!«

Jeamour schaltete blitzschnell. Das Codesignal stammte noch aus der Frühzeit des Solaren Imperiums und hatte seine Bedeutung durch all die Jahrhunderte, ja Jahrtausende, die seitdem vergangen waren, behalten:

Lebensgefahr für einen Zellaktivatorträger!

Jeamours Gedanken rasten. Wer war wohl an Bord des unbekannten Schiffes? Und plötzlich wusste er es. Es konnte sich nur um Roi Danton handeln. Perry Rhodans Sohn war seit der Schlacht am Sternenportal, nachdem er durch die Entropen entführt wurde, auf dem Riff verschollen. Es lag nahe, dass er versuchen würde, notfalls an Bord eines auf dem Riff gebauten Schiffes, zurückzukehren.

Göttersturz, Karthagos Fall, December Night, Rotfall und wie die alten Codes alle lauteten …

Innerlich beglückwünschte er sich, dass Tania Walerty an der Terrania Space Academy eine fundierte Ausbildung als Offiziersanwärterin abgeschlossen hatte und aus dieser Zeit über die alten Notrufcodes, die allerdings noch immer in Kraft waren, informiert war und so den Hilferuf des Unsterblichen richtig einordnen konnte.

Jeamour konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Dorgonen, der wohl auch inzwischen die Meldung erhalten hatte, dass das havarierte Schiff einen Notruf abgesetzt hatte. Sein vor Wut verzerrtes Gesicht legte zumindest diese Vermutung nahe.

»Hör zu, ich, Tribun Regus Novus, verlange hiermit, dass du und dein Begleitschiff euch innerhalb einer Centi-Zeiteinheit aus diesem Sektor entfernt, sonst werden wir unverzüglich das Feuer eröffnen!«

Ein Ultimatum mit diesem oder ähnlichen Wortlaut hatte Jeamour befürchtet. Aber der entschlüsselte Notruf ließ ihm keine Wahl.

»Miss Hrydja, setzen Sie die IVANHOE mit einer Kurztransition genau zwischen die Dorgonen und das fremde Schiff!«

Die Hexe zeigte mit einem Kopfnicken an, dass sie verstanden hatte.

Einen Moment zweifelte Jeamour daran, ob die gemeinsame Gefechtsfeldführung mit dem entropischen Basisschiff wie gewünscht funktionieren würde, aber er sah keine andere Möglichkeit: Ohne Unterstützung durch die entropische Einheit hätten sie überhaupt keine Chancen. Es war, als ob eine höhere Macht eingegriffen und dafür gesorgt hätte, dass sie zuvor genau diese Situation im Manöver durchgespielt hatten.

Die Besonderheit bestand im Austausch der Navigatoren. Mathew Wallace verweilte auf dem Raumer der Entropen, während die Hexe Hrydja auf der IVANHOE II war.

Mit einer Schaltung stellte Jeamour eine verschlüsselte Verbindung zur IVA01 her.

»Mister Elahrt, auf dem havarierten Schiff befindet sich ein Aktivatorträger. Ihre Aufgabe wird sein, diesen unter allen Umständen zu retten und an Bord der IVANHOE zu bringen.«

Der etwas untersetzt wirkende, auf Olymp geborene ehemalige Offizier des Quarteriums, der sich 1305 NGZ Jeamour angeschlossen hatte, war inzwischen der Kommandant der vierzig Fregatten und einer der besten Piloten an Bord der IVANHOE II.

In diesem Moment verzerrte sich kurz die Wahrnehmung, die Hexe, in der Funktion der Pilotin, hatte die geplante Kurztransition durchgeführt.

Gerettet …?

Roi blickte gedankenverloren in den dunklen Leerraum, der den überwiegenden Teil seines Blickfeldes ausmachte. Nur die Balkenspirale Siom Soms und der ferne Schimmer Erendyras zeigten, dass sich das Wrack der DUNKELSTERN im Nichts zwischen den Galaxien befand.

Doch der ehemalige König der Freihändler wusste, dass der Schein trog, dieses Nichts war mit unbekannten Kräften, die man mangels passender Begriffe als Dunkle Materie bzw. Dunkle Energie bezeichnete, durchzogen.

Diese ganzen Begriffe besagten eigentlich nichts anderes, als dass man auch im 14. Jahrhundert der Neuen Galaktischen Zeitrechnung nichts über den wahren Charakter dieser unbekannten Kräfte wusste, eigentlich ein Armutszeugnis. Aber im Moment hatte er andere Probleme. Nur wenn die Zündung der Gravitationsbombe die Aufmerksamkeit eines raumfahrenden Volkes erregt hatte, konnte er hoffen, dass sie gerettet wurden.

Allerdings, und darüber war er sich klar, konnte es sein, dass die falschen Retter auf sie aufmerksam wurden. Nachdem er fast ein halbes Jahr im Riff festsaß, konnte alles Mögliche passiert sein.

In diesem Moment rief ihn Craasp zu sich. Die passive Hyperortung zeigte, dass fremde Schiffe angekommen waren. Dies schien auch Sato auf den Plan zu rufen, denn der Japaner richtete sich langsam auf und kam, leicht torkelnd, zu ihnen herüber.

Der Manjor konnte schließlich, mit Unterstützung des japanischen Nexialisten, eine Projektion der angekommenen Schiffe auf die Grafikeinheit des Bordrechners zaubern. Es waren die falschen Retter: dorgonische Adlerschiffe!

Roi überzeugte den Manjor schließlich, dass er mit dem dorgonischen Befehlshaber Kontakt aufnehmen und versuchen sollte, diesen hinzuhalten. Nach kurzer Beratung einigte man sich darauf, dass der Manjor den Notruf in seiner Muttersprache absetzen sollte.

Rois Rechnung ging auf. Wenig später zeigten die Hyperorter, dass eine weitere Partei auf dem Plan erschienen war, nach der Auswertung der Ortungsergebnisse ein SUPREMO A-Superschlachtschiff und eine entropische Einheit. Zuerst war er über die Zusammensetzung des kleinen Verbandes etwas irritiert, doch dann erinnerte er sich, dass zu den vom Dunklen Himmel aus operierenden Einheiten auch die IVANHOE II gehörte, und die war bekanntlich ein SUPREMO A-Typ.

Roi verfluchte das primitive Niveau der DUNKELSTERN, die nur über rudimentäre Technik im Hyperspektrum verfügte. Ein Hyperfunkgerät mit Richtstrahlsender, das wäre es, was er im Moment bräuchte. Aber das ehemalige Piratenschiff verfügte nur über einen Sender, der mit normalen, lichtschnellen Funkwellen arbeitete.

Allerdings konnte er sich nicht einfach identifizieren und um Abholung bitten, er war sich sicher, dass die Dorgonen in diesem Fall die DUNKELSTERN wohl notfalls vernichtet hätten. Es blieb noch die Möglichkeit, einen der alten Codes, die noch aus den Zeiten des Solaren Imperiums stammten, zu benutzen und zu hoffen, dass an Bord der IVANHOE II jemand in der Lage war, diesen zu entschlüsseln.

Kurz entschlossen setzte er sich hinter den Sender und begann im uralten Morsecode den Hilferuf abzusetzen:

»Göttersturz!«

Jetzt konnte er nur noch hoffen und abwarten.

*

Innerhalb des Raumsektors um die DUNKELSTERN war eine Raumschlacht entbrannt, nachdem sich die IVANHOE II und das entropische Raumschiff zwischen das Piratenschiff und die dorgonische Flotte positioniert hatten. Diese Raumschlacht verlief atypisch, da die beiden großen Einheiten sich mit der Sicherung der DUNKELSTERN begnügten, während die schweren Kreuzer Angriff um Angriff auf die dorgonischen Adlerschiffe durchführten und diese immer wieder aus der unmittelbaren Gefahrenzone um das havarierte Schiff abdrängten. Die überlegene Manövrierbarkeit und die wesentlich besseren Beschleunigungswerte der Fregatten ermöglichten ihnen, sich immer wieder rechtzeitig abzusetzen.

Roi und die Riffpiraten verfolgten gespannt den Verlauf der Raumschlacht, fast vergaßen sie, dass hier über ihr Schicksal entschieden wurde. Was alle wunderte, war, dass das Adlerschiff des Dom-Typs nicht aktiv in die Schlacht eingriff, dieses blieb bisher weitgehend passiv und im Hintergrund.

Waffenschwestern und Waffenbrüder …

Xavier Jeamour verfolgte mit wachsender Unruhe den Verlauf des Gefechts. Obwohl dieses eigentlich sehr gut verlief, ließ ihn das zunehmende Gefühl nahenden Unheils immer wieder die Uniform auf tadellosen Sitz prüfen, eine Angewohnheit, um seine wachsende Spannung und Unsicherheit zu überspielen. Irgendetwas war im Gange, das sagte ihm seine jahrzehntelange Erfahrung. Schließlich wandte er sich an den Oxtorner, der in Abwesenheit von Mathew Wallace die Funktion des Ersten Offiziers wahrnahm.

»Mr. Dove, geben Sie Einsatzbefehl an die Minor-Globes und die NIMRODS. Angriffe nach eigenem Ermessen!«

Wenig später erfolgte die Vollzugsmeldung. Neben den vierzig Fregatten waren nun auch sechzig der kugelförmigen Minor-Globes in den Einsatz gegangen. Dann kam das nächste Kommando Jeamours.

»THEANO, Mehrzweckmodul abtrennen und Schirmstaffeln optimieren!«

Die modulierte Frauenstimme der Biohyperinpotronik bestätigte Jeamours Anweisung. Anhand des Lagehologramms der IVANHOE II konnte die Zentralbesatzung verfolgen, wie der fünfhundert Meter lange »Schwanz« des SUPREMO A-Schlachtschiffes abgetrennt wurde und nach einem kurzen Stoßimpuls der Traktorstrahl-Einheit in den Tiefen des umgebenden Raumes verschwand.

Das Mehrzweckmodul war energetisch tot und damit durch Fremdortung kaum aufzuspüren. Nur der Biohyperinpotronik der IVANHOE II würde es möglich sein, aus der Masse und dem Kursvektor des Stoßimpulses den Kurs zu extrapolieren und das Modul später wieder aufzufinden.

Nach dem Abtrennen des Moduls konnten die Schirmstaffeln als Sphäre optimiert werden, was bei den alten SUPREMO-Typen, bei denen der »Schwanz« nicht abgetrennt werden konnte, zu einer Ei-Form führte. Diese Form erwies sich unter Dauerbelastung für Strukturrisse anfälliger als die reine Kugelform.

Wenig später meldete sich die angenehme Frauenstimme wieder:

»Ich empfehle den Wabenschirm aufzubauen!«

Jeamour überlegte einen Augenblick. Der dreifach gestaffelte Wabenschirm war auch eine der Neuerwerbungen, die sie den Quintechs der USO auf Luna zu verdanken hatten. Einen Moment verzog sich sein Gesicht unwillkürlich zu einem zynischen Grinsen. Alterwerbung wäre der bessere Ausdruck gewesen.

Die Terraner waren zur Gründungszeit des Solaren Imperiums auf Arkon I auf diese Schirmtechnologie gestoßen, durch die der Robotregent geschützt wurde. Da gewaltige Energiemengen zum Betrieb des Schirms benötigt wurden, geriet diese Schirmtechnologie in Vergessenheit, vor allem da zuerst der -Schirm und danach die Paratrontechnologie eine ausreichende Schutzwirkung versprachen.

Die Quintechs der USO hatten nun diese Technologie wieder aufgegriffen und in der IVANHOE II eingebaut, da sie genügend Energiereserven besaß, um, zumindest kurzfristig, alle drei Schirmtechnologien parallel zu nutzen. Tests hatten ergeben, dass der Wabenschirm in der Lage war, die beiden anderen Schirmstaffeln zu stabilisieren. Nur der astronomische Energieverbrauch, der selbst die Reserven eines ENTDECKERS überforderte, blieb das Hauptproblem.

Mit einem Kopfnicken erteilte er der Kartanin Roa-Sri-B’eyr sein Einverständnis. Wenn er mit seinem Verdacht recht behielt, konnte der Wabenschirm den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bewirken.

»Stark ansteigende Hyperstrahlung im UHF-Bereich des Spektrums, innerhalb des Raumgefüges scheinen Gravitationsschockwellen zu entstehen, die immer stärker werden.«

Jetzt hatte er die Bestätigung. Das Adlerschiff vom Typ Dorgon war dabei, seine schrecklichste Waffe einzusetzen, den Hypertron-Impulser. Mit Grauen erinnerte er sich an die Expedition nach M 100, wo 1291 NGZ fast sämtliche Schiffe der Expedition mit dieser Waffe vernichtet wurden. Er hatte in dieser Situation nur eine Option, und die hieß bedingungsloser Angriff, denn der Hypertron-Impulser hatte nur einen Nachteil, er verbrauchte Unmengen an Energie, Energie, die teilweise von den Schutzschirmen abgezogen werden musste.

»Miss Hrydja, Frontalangriff auf das dorgonische Flaggschiff, bringen Sie uns so nahe wie möglich an den Gegner!«, und dann, an die Kartanin gewandt, die seit der Entscheidungsschlacht um den Dunklen Himmel als Feuerleitoffizierin fungierte: »Miss B’eyr, Feuer mit allem, was wir haben!«

Die beiden Angesprochenen nickten nahezu synchron, danach kam wieder die vertraute, kurze Verzerrung der Wahrnehmung, die für kurze Transitionen charakteristisch war. Die Hexe hatte, seit sie als Pilotin fungierte, wohl eine besondere Vorliebe für diese Art der Überlichtgeschwindigkeit entwickelt. Sobald die IVANHOE II das übergeordnete Kontinuum verlassen hatte, verwandelte sie sich in ein Feuer speiendes Ungeheuer.

Jeamour war zwar noch immer der Meinung, dass die neuen Crewmitglieder noch lange nicht so weit waren, dass sie die während der Schlacht am Sternenportal gefallenen »alten Ivanhoerianer« vollwertig ersetzen konnten, aber auch er musste zugeben, dass die Kartanin hinter der Feuerorgel ihre Sache gut machte.

Feuerorgel, der altertümliche Ausdruck brachte ihn wieder zum Schmunzeln. Die »Feuerorgel« eines modernen Raumschiffes war in Wirklichkeit eine Touchscreen-Konsole, die als Benutzerschnittstelle zum syntro-positronischen Rechnerkomplex diente. Die Aufgabe des Feuerleitoffiziers bestand nun darin, die durch den Rechnerkomplex angebotenen Waffengattungen auszuwählen und sinnvoll zu kombinieren.

Die Kurztransition hatte die IVANHOE II in die unmittelbare Nähe des dorgonischen Riesen mit einer Länge von über sechs Kilometern gebracht, was es ermöglichte, dass sowohl lichtschnelle wie überlichtschnelle Waffensysteme kombiniert eingesetzt werden konnten.

Die erforderliche Synchronisation zwischen Unter- und Überlichtsystemen konnte nur durch den Rechnerkomplex geleistet werden, was bedeutete, dass der Feuerleitoffizier nur die zum Einsatz kommenden Waffensysteme auswählte, die zeitliche Abstimmung zwischen den verschiedenen Waffensystemen erfolgte durch den Rechnerkomplex.

Die IVANHOE II setzte nun alles ein, was ihr zur Verfügung stand. Die einzige Chance für sie bestand darin, dass der dorgonische Adler den Hypertron-Impulserangriff abbrechen musste, um die eigenen Schutzschirme zu stabilisieren. Die verdoppelte Schussfolge der auf Luna modernisierten Transformgeschütze ermöglichte es, die Schutzschirme des gegnerischen Schiffes unter Dauerbelastung zu halten, da durch die nach dem Desaster der M 100-Expedition modifizierten Zielerfassungssysteme der Transformkanonen die stärksten Waffen der terranischen Schiffe nun auch gegen die dorgonischen Hypertronschirme wirksam waren.

Doch dann meldete sich Tania Walerty mit der nächsten Hiobsbotschaft.

»Zwei Adler der Dom-Klasse gehen in den Hypertakt und nehmen Kurs auf uns.«

Jeamour reagierte augenblicklich, indem er die Fregatten und Minor-Globes anwies, die Dom-Adler weiter zu attackieren und, wenn möglich, zu vernichten. Den Vernichtungsbefehl gab er trotz starker moralischer Bedenken, aber die Entwicklung der Schlacht ließ ihm keine andere Wahl. Die Fregatten und Minor-Globes konnten keine längere Schlacht durchstehen, dazu reichten die Energiereserven und vor allem die Munitionsvorräte nicht aus.

Es wäre geradezu selbstmörderisch gewesen, müssten die Trägerschiffe der IVANHOE II ihre Angriffe in dem Moment abbrechen, in dem sie die Dom-Schiffe ernsthaft gefährdeten. Anschließend ließ er eine Verbindung zur KIRINA herstellen. Er musste sich vergewissern, dass das entropische Schiff den Schutz des fremden Raumschiffes mit dem Aktivatorträger übernahm. Alles in ihm sträubte sich zwar dagegen, aber die Vernunft sagt ihm eindeutig, dass nur die IVANHOE II das offensive Potenzial besaß, um gegen die Dorgonen bestehen zu können.

Mathew Wallace meldete sich mit verbissenem Gesicht.

»Mister Wallace, alles in Ordnung?«, fragte Jeamour.

»Naja, der entropische Kasten lässt sich nicht so leicht steuern wie die gute IVANHOE, aber …« Wallace stockte, schien gerade mit einem Manöver beschäftigt zu sein. Zeitlich tauchte die KIRINA ab und wich einigen Salven aus.

»Will ja nicht unhöflich sein, Sir, aber was gibt es denn?«

»Göttersturz auf dem fremden Raumschiff. Es muss unbedingt gesichert werden. Unbedingt!«

»Göttersturz? Nanu! Ich denke mal, unsere Freundin auf dem Tablett hat nichts dagegen?«

Denkerin00013 bestätigte und versicherte Jeamour, dass die Entropen allein den Schutz des fremden Schiffes übernehmen würden.

Jeamour war, sofern man das überhaupt sagen konnte, beruhigt. Er wünschte Wallace viel Glück, doch sein Erster Offizier hörte ihm nicht zu, sondern konzentrierte sich auf den Flug der KIRINA.

David gegen Goliath

Die IVA01 hatte sich inzwischen im Schutz des Virtuellbildners dem fremden Raumschiff genähert und war nur wenige Kilometer entfernt in eine Parkposition gegangen. Ein direktes Andocken war leider nicht möglich, solange sich die HAYHONDOR, wie der Eigenname von Tym Elahrts Flaggschiff lautete, im Schutz des VI-Feldes befand, da sonst der Virtual-Imager-Effekt auf das fremde Schiff ausgedehnt würde.

Der Olymper verwünschte seinen Auftrag, der ihn zur Untätigkeit verurteilte. Doch im Moment konnte er nichts anderes tun, als abzuwarten, während seine Fregatten Angriff auf Angriff auf die Adlerschiffe flogen. Tym Elahrt verfolgte den Verlauf der Schlacht auf dem Gefechtsfeldholo, indem die Ergebnisse der Passivortung durch die Bordsyntronik zusammengefasst wurden.

Die Projektion der Syntronik zeigte den Adler der Dorgon-Klasse, der von der IVANHOE II attackiert wurde, während die Korvetten und Minor-Globes versuchten, die beiden Schiffe der Dom-Klasse von der IVANHOE II abzudrängen. Wie es schien, waren die ausgeschleusten Trägerschiffe in der Lage, den beiden Adlerschiffen Paroli zu bieten. Durch ihre hervorragende Manövrierbarkeit konnten sie immer wieder die Feuerleitprogramme des syntro-positronischen Rechnerverbundes ausmanövrieren und die Transonatorsalven im Nichts des intergalaktischen Niemandslandes verpuffen lassen.

Auf der anderen Seite verfügten die Fregatten und Minor-Globes zusammen über eine Feuerkraft, die mehreren Schlachtschiffen der NOVA-Klasse gleichkam.

In diesem Moment griff das dritte Adlerschiff der Dom-Klasse das entropische Basisschiff an. In den tiefblauen Schirmstaffeln der KIRINA brachen sich die Transonatorsalven und erzeugten violett strahlende Aufrisstrichter. Das entropische Schiff beschränkte sich anscheinend allein auf die Verteidigung und blieb scheinbar bewegungslos im Raum stehen.

Zuvor hatte wohl Mathew Wallace mit mehreren unberechenbaren Manövern die gegnerischen Feuerleitprogramme immer wieder überlistet. Doch jetzt hatte das Basisschiff nur die Funktion, die Feuerkraft des dorgonischen Adlers zu binden und das bedeutete, dass ein Ausweichen nicht mehr in Frage kam.

Mit einer raschen Handbewegung vergrößerte Elahrt die Darstellung um die HAYHONDOR. Die Schutzschirme der KIRINA schienen ein Eigenleben zu entwickeln und zeigten ein schaurig-schönes Schauspiel. Auf dem tiefen Blau entstanden immer mehr Risse, die in sämtlichen violetten Farbschattierungen leuchteten. Gleichzeitig zeugten die immer zahlreicheren Aufrisstrichter davon, dass der Schirm kurz vor dem Zusammenbruch stand.

Es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis das Ende für den entropischen Raumer gekommen war. Elahrt bemerkte nicht, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Alles in ihm drängte danach, den Angriff zu befehlen. Doch er musste tatenlos ausharren.

Doch dann brach die Hölle über das Adlerschiff herein. Von einer Sekunde zur nächsten wurde aus dem Jäger der Gejagte. Aus dem Nichts materialisierten die fünfhundert NIMROD-Jäger der IVANHOE II und eröffneten sofort das Feuer. Auf das dorgonische Schlachtschiff ging ein wahres Trommelfeuer aus den 3000 GT-Transformkanonen und den im Intervallmodus feuernden KNK-Geschützen der Jäger nieder.

Durch die Fusionsladungen der schweren Transformbomben und die gleichzeitigen hypermechanischen Schläge der Intervallstrahlung wurde der Hypertronschirm des dorgonischen Schiffes überlastet und kollabierte schließlich, wobei das gegnerische Schiff schlagartig in den Hyperraum gerissen wurde, das Adlerschiff war vernichtet. An Bord der HAYHONDOR brauste kurzfristiger Jubel auf, der aber rasch verflog, als der Besatzung klar wurde, dass Tausende dorgonische Raumfahrer den Tod gefunden hatten.

*

Die Crew der DUNKELSTERN kauerte um den Bildschirm, auf dem der Bordrechner die Ergebnisse der passiven Hyperortung des Piratenschiffes wiedergab. Das Ortungsbild gab das unmittelbare Umfeld der DUNKELSTERN wieder und zeigte den Sperrriegel, in dem die Trägerschiffe positioniert waren.

Roi verfolgte gespannt die Manöver des SUPREMO-Schlachtschiffes, dessen Pilot ein Könner sein musste, der es immer wieder verstand, die Angriffe der dorgonischen Adlerschiffe auszumanövrieren. Immer, wenn eines der Adlerschiffe drohte, den Riegel der Kreuzer zu durchbrechen, wurde dieser Versuch durch Sperrfeuer der überschweren Transformgeschütze der IVANHOE II gestoppt.

Alles in allem schien es, als ob die beiden Flottenverbände sich im Moment gegenseitig neutralisierten. Doch der ehemalige König der Freihändler hatte in seinem langen Leben an genügend Raumschlachten teilgenommen, um zu erkennen, dass die Zeit für die dorgonischen Adlerschiffe arbeitete.

Für das Gleichgewicht zwischen den beiden Verbänden sorgten allein die Fregatten und Minor-Globes, wobei abzusehen war, dass zumindest die Minor-Globes relativ schnell wegen Energie- und Munitionsmangel nutzlos werden würden.

Spätestens dann würden die überlegenen Ressourcen der Adlerschiffe die Schlacht entscheiden. Wer immer auf der Seite der LFT den Oberbefehl führte, und Roi hoffte, dass es Jeamour war, musste bald eine Entscheidung treffen, denn die bisher rein defensive Strategie musste scheitern.

*

Die IVANHOE II vibrierte wie ein störrischer Esel, der seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte. Jeamour klammerte sich an den Armlehnen seines Kontursessels fest, obwohl das Körperschmiegefeld seines Kommandostandes verhinderte, dass er von den teilweise durchschlagenden Gravos, die durch die Ausweichmanöver der entropischen Pilotin verursacht wurden, aus dem Kontursessel geschleudert wurde.

Die Hexe schien mit der Biohyperinpotronik verschmolzen zu sein und schaffte es immer wieder, die enorme Masse der IVANHOE II aus der Fokussierung der dorgonischen Feuerleitsysteme zu steuern. Die im Salventakt erfolgten Transformschläge hatte es sehr schnell geschafft, dass der dorgonische Riese die Initiierung der Hypertron-Felder abbrechen musste, um die eigenen Schutzschirme zu stabilisieren.

Damit war die Gefahr für die IVANHOE II aber noch lange nicht gebannt, im Gegenteil, denn das Riesenschiff des Dorgon-Typs griff nun mit den »normalen« Transonator-Waffensystemen an und brachte damit das ehemalige quarteriale SUPREMO-Schlachtschiff an den Rand der Vernichtung.

Eigentlich, gestand sich Jeamour ein, müsste die IVANHOE II längst vernichtet sein, nur die phänomenalen Fähigkeiten der Hexe, die eigentlich nur zu einem Freundschaftsbesuch an Bord gekommen war, hatte bisher die Zerstörung verhindert.

Sie kauerte im Pilotenstand, schien Teil des virtuellen Raumes der direkten Mensch-Maschinenschnittstelle geworden sein, die in Schiffen ohne SERT-Haube und Emotionauten zur Kommunikation mit dem Steuersystem des Bordrechners diente.

Die neuronale Vernetzung war scheinbar vollkommen, was die Manöver der IVANHOE II bewiesen. Und doch war alles anders als normal. Die Wahrnehmung auf die Hexe verzerrte sich immer wieder für Sekundenbruchteile, ohne dass Jeamour sagen konnte, was genau er dabei sah.

Er hatte den Eindruck gewonnen, dass die Hexe ahnte, wo die nächsten Salven einschlagen würden, und es immer wieder schaffte, die IVANHOE II aus dem Salvenbrennpunkt zu steuern. Die Manöver, die sie dabei anwandte, waren abenteuerlich und schienen den Sekundärkompensator des Semi-Manifestationsfeldes immer wieder zu überfordern. Anders waren die durchschlagenden Gravos nicht zu erklären, die bei den Ausweichmanövern der Hexe wirksam wurden.

Jeamour bedankte sich heimlich bei den Konstrukteuren des Schiffes, die auf die alte Technik aus der Zeit vor der Hyperraumzapfung zurückgegriffen und eine Überforderung der Energieversorgung des Inertersystems eingeplant hatten. Auf vielen modernen Schiffen der LFT wurde darauf verzichtet, weil man sich nicht mehr vorstellen konnte, dass es im Zeitalter der Hypertrops überhaupt noch zu energetischen Engpässen oder gar zu Abstimmungsproblemen zwischen dem Tracking-System der Lagekontrolle und den Inerterfeldern kommen konnte.

Der Belgier glaubte plötzlich, dass er sich übergeben musste, wieder hatte ein Ausweichmanöver die Andruckabsorber überfordert. Einen Moment hatte er das Empfinden, kopfüber in einem Karussell zu hängen, was auch durch die Lagekontroll-Holoprojektion der IVANHOE II bestätigt wurde.

Ylva Eir Hrydja ließ die Kugel des Ultraschlachtschiffes gleichzeitig um mehrere Achsen rotieren und in einem unregelmäßigen Schlangenkurs wiederum den im Salventakt feuernden Transonatorgeschützen des gegnerischen Adlerschiffes ausweichen.

Und sie hatte Erfolg! Die unorthodoxen Manöver überforderten die Gefechtsfeldführung des dorgonischen Schiffes, während die Kartanin in Zusammenarbeit mit der Biohyperinpotronik die Transformsalven fast immer ins Ziel brachte. In diesen Minuten vollzog sich der Wandel, das fühlte Jeamour mit jeder Faser seines Körpers. Aus den einzelnen Individuen an Bord der IVANHOE II wurde eine neue Mannschaft geschmiedet, ein lebendiger Organismus entstand, der mehr als die Summe seiner Teile war.

Plötzlich überflutete grelles Licht die Schirme. Selbst die Hyperinpotronik brauchte Sekundenbruchteile, bis sie über entsprechende Filter das entstandene Strahlungsgewitter auf ein für menschliche Augen erträgliches Maß reduzierte. Eines der angreifenden Adlerschiffe des Dom-Typs war unter grellen Leuchterscheinungen explodiert.

Dann war der Sieg perfekt: Die drei Adlerschiffe nahmen rasch Fahrt auf und verschwanden kurz darauf im Hyperraum. Doch zuvor hatte sich der dorgonische Kommandant nochmals kurz gemeldet und gedroht, dass dieser Zwischenfall ernste Folgen haben würde. Doch Jeamour hatte diese Drohung kalt gelassen, wichtiger, viel wichtiger war, dass nun der Aktivatorträger gerettet werden konnte.

*

Tym Elahrt durchströmte einen Moment ein wahres Gefühlschaos, gleichzeitig empfand er Erleichterung, Hoffnung und Triumph, sie waren Sieger geblieben. Die Fregatten und Minor-Globes, seine Schiffe, hatten gegen drei vielfach mächtigere Schlachtschiffe gesiegt. Doch der Gedanke an seinen eigentlichen Auftrag brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück: Der Aktivatorträger, sie mussten den Aktivatorträger retten.

Da die Adlerschiffe geflohen waren, konnte die HAYHONDOR ohne Risiko an dem fremden Schiff anlegen. Wenig später wurde der Schiffskörper kurz erschüttert und zeigte an, dass die Verbindung zwischen der Fregatte und dem fremden Schiff erfolgt war. Zusammen mit vier weiteren Besatzungsmitgliedern betrat Elahrt das Wrack des fremden Schiffes und war gespannt, wen er dort vorfinden würde.

Einige Minuten später war die gesamte Mannschaft der DUNKELSTERN auf die IVA01 gewechselt. Die Fregatte war auf Luna völlig modernisiert und mit einem Excalibur-Transmitter ausgerüstet worden. Dieser Transmittertyp ermöglichte, trotz aktiver Paratron-Schirme, einen störungssicheren Transport über eine Distanz von zwei bis drei Lichtjahren. Im Falle der IVA01 stand die Gegenstation natürlich an Bord der IVANHOE II.

Der Torbogen des Excalibur-Transmitters erlosch hinter Roi und er verließ als Letzter die Transmitterplattform.

Danton und seine übrigen Begleiter waren gerettet.

Die Braut der Finsternis

Erhebe dich, wisperten die Stimmen in ihrem Kopf. Sie konnte nicht atmen und doch war sie nicht tot. Die Last der Erde lag auf ihr. Wie sollte sie sich erheben? Doch es ging plötzlich ganz einfach. Ihr Körper schnellte hoch, grub sich selbst aus. Endlich kam sie aus dem klaustrophobischen Zustand heraus und fing an zu atmen. Sie atmete die frische Luft, spürte die Regentropfen auf ihrem Körper.

Nun öffnete sie die Augen. Wo befand sie sich? Es war offenbar ein Friedhof. In der Dunkelheit erkannte sie Grabsteine und Skulpturen.

Es regnete und ein starker Wind blies, doch das machte ihr nichts aus. Erst jetzt dachte sie über ihre Wunden nach. Instinktiv fasste sie sich an den Hals und ihre Brust, doch die Verletzungen waren nicht mehr fühlbar.

Der Regen peitschte ihr ins Gesicht. Sie lebte und war gestorben. Und doch fühlte sie sich lebendiger denn je. Sie wollte ihre Lust zügeln, doch es fiel ihr schwer. Sie wollte jetzt etwas essen, trinken, mit jemandem schlafen.

Ja, sie wollte … sie würde unersättlich sein! Ein neues, nie gekanntes Gefühl stieg in ihr hoch. Die Lust zu jagen, jemanden zu töten!

Sie schüttelte die Gedanken wieder ab, nahm sich vor zu widerstehen, doch der Wunsch nach Exzessen kam tief aus ihrem Inneren. Plötzlich trat ein Mann aus dem Schatten hervor.

Sie erkannte ihn wieder. Es war Fürst Medvecâ. Er lächelte sie an und sagte:

»Willkommen, Katherina! Du bist meine zweite Braut!«

Ende

Viel ist geschehen, während Roi Danton auf dem Rideryon war. Die VIPER ist vernichtet, Nataly Andrews und Kathy Scolar sind dem Fürsten der Ylors Medvecâ verfallen.
Im nächsten Roman Band 109 schildert Jens Hirseland den Kampf in Andromeda zwischen dem Quarterium und den Völkern der Lokalen Gruppe. In der Hauptstadt Vircho auf Tefrod entbrennt der

BRUDERKAMPF

DORGON-Kommentar

Und wieder wurde ein Mosaiksteinchen enthüllt, das uns weitere Informationen vor allem über die Geschichte der Alysker gibt. Die Bestrafung durch die Ordnungsmächte nach dem Scheitern der Verschmelzung von Kosmokraten und Chaotarchen, machte nicht nur die Überlebenden Alysker unsterblich, sondern schuf auch eine Art »negatives Leben«, eben die Ylors. Und auch hier ergibt jedes Informationshäppchen mindestens zwei neue Fragen!

Waren auch die Ylors in grauer Vorzeit auf der Erde aktiv? Die in allen Kulturen vorhandene Angst vor »Blutsaugern«, den Vampiren, legt diesen Gedanken nahe. Die Geschichte Terras hat gezeigt, dass alle Mythen und Legenden in ihrem Kern über tatsächliche Ereignisse berichteten.

Lemuria wurde von einer verlachten Überlieferung für Esoteriker und Spinner zur Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit der Menschheit, Atlantis stieg aus den Fluten empor, »Götter und Göttinnen« erwachten zum Leben, jede kollektive Angst des menschlichen Rassegedächtnisses wurde zwischen den Sternen zur erbarmungslosen Wirklichkeit.

Stehen wir nun wieder vor neuen Enthüllungen über unsere Geschichte und unser Schicksal?

Daneben spitzt sich das Verhältnis zwischen den Hauptakteuren immer mehr zu. Sowohl Aurec als auch Jonathan Andrews scheinen ihre Liebsten verloren zu haben. Hier erhebt sich die Frage: Wie wird Aurec, wie wird Jonathan mit dieser neuen Entwicklung umgehen? Und natürlich: Sind Kathy und Nataly tatsächlich zu eiskalten Blutsaugern à la Medvecâ geworden?

Fragen, Fragen und nochmals Fragen …

Jürgen Freier

GLOSSAR

Medvecâ

Geboren: vor ca. 42 Millionen Jahren

Geburtsort: Alysk

Größe: 1,94 Meter

Gewicht: 96 Kilogramm

Augenfarbe: silbrig / braun / orange

Haarfarbe: schwarz


Medvecâ ist der Anführer der Ylors. Er wird oftmals als Fürst der Finsternis bezeichnet. In seiner Jugend ist Medvecâ der schüchterne Alysker Meydih, der mit über dreihundert Jahren seine erste Freundin kennenlernt: Norsha! Während ihres ersten Liebesurlaubes wird Meydih vom Ylors Glond gebissen und stirbt. Er verwandelt sich in einen Ylors und wird vom Kollektiv der Ylors aufgenommen. Telepathisch steht er so jederzeit in Kontakt mit seinen Artgenossen.

Aus Meydih wird im Laufe der Zeit Medvecâ. Er baut innerhalb kürzester Zeit auf der Welt Mures – jener Planet, auf dem Meydih auch gestorben ist – ein kleines Reich auf und tritt als reicher Unternehmer auf. In Wirklichkeit durchlebt er mit Glond die schlimmsten und brutalsten Phantasien am muresischen Volk aus. Er gibt sich Norsha zu erkennen und bittet um ihre Hilfe. Letztendlich unterstützt sie ihn. Beide suchen Eorthor auf. Noch schlummert Gutes in Medvecâ. Er will die Ylors in den Bund des Kreuzes der Galaxien erneut integrieren, doch Eorthor lehnt ab und nimmt Medvecâ gefangen.

Nach zweihundertjähriger Gefangenschaft kann Medvecâ fliehen und muss feststellen, dass die Ylors von den Alyskern gejagt und getötet werden. Es wird niemals Frieden zwischen den beiden Brüdervölkern geben. Zu diesem Zeitpunkt wendet sich Rodrom an Medvecâ und bietet ihm eine neue Heimat – das Riff!

Medvecâ stimmt zu und siedelt mit allen Ylors in eine andere Galaxie um, wo sie später vom Riff aufgenommen werden. Norsha sollte ihn begleiten, doch sie wählt den Freitod.

Damit ist Medvecâs Weg zur Finsternis komplett. Der letzte Bezug zum alten, alyskischen Leben ist dahin. Medvecâ baut sich auf dem Riff mit den Ylors ein Imperium auf und schwingt sich zum heimlichen Herrscher über das Riff auf. Seit Millionen von Jahren ist Medvecâ der eigentliche Herrscher des Riffs, überlässt den Riffanern jedoch ihre Autarkie und zieht es vor, in Abgeschiedenheit zu leben.

Charakterlich ist Medvecâ von Arroganz und Eitelkeit geprägt. Er ist zwar sehr intelligent, aber auch ebenso überheblich. Positive Gefühle besitzt er kaum. Die Jagd nach Fleisch und Leben erregt ihn. Das Gefühl, ein lebendes Wesen zu erlegen, ist der höchste Genuss für ihn. Natürlich sieht er es besonders auf humanoide Frauen ab, um seinen schier unendlichen Durst nach Sex, Tod und Blut zu stillen.

Medvecâ wird über die Ankunft von Roi Danton auf dem Riff natürlich informiert. Er beeinflusst Nataly Andrews, hat aber ein leichtes Spiel mit ihr, da sie ein williges Opfer ist. Er ernennt Nataly als Natalia zu seiner Braut, ebenso wie Kathy Scolar (Katherina), nachdem sie von Natalia getötet wurde.

Ylors

Die Ylors (der Ylors, die Ylors) sind ein Nebenvolk der Alysker. Sie sind nach der Bestrafung durch die Kosmokraten vor 190 Millionen Jahren entstanden. Ylors entstehen, wenn Alysker länger als 30 Tage ihrem Heimatsystem (Heimatsonne) fernbleiben und auch manchmal, wenn sie den Freitod wählen.

So entstehen zwar weiter unsterbliche Wesen, doch sie sind missgebildet, roh und animalisch. Die Ylors sind der Widerpart zu den grazilen und Schönheit liebenden Alyskern. Die Ylors haben dunklere Haut, sind vernarbt, erinnern dennoch deutlich an Alysker.

Die Ylors werden als Krankheit und Plage angesehen. Man deportiert sie auf einen Planeten im Alysk-System. Ein Virus rafft sie dahin und sie gelten Äonen lang als ausgestorben.

Jedoch hat sich der Virus verändert und die Ylors mit ihm. Er hat ihnen besondere Fähigkeiten, wie Telepathie, gegeben, aber auch den Blutdurst. So streifen die Ylors als Sternenvampire durch das Kreuz der Galaxien. Sie sind Einzelgänger und fürchten die Alysker.

Die Ur-Ylors, also jene, die aus Alyskern entstanden sind, sind in der Lage, ihren Virus auch in Cyragonen etc. zu verbreiten. So entstehen neue Ylors. Mit der Zeit baut sich eine neue Population auf, die aber niemals von den Alyskern und anderen Völkern des Kreuzes der Galaxien akzeptiert wird.

Unter der Führung von Medvecâ verlassen die Ylors vor etwa 7 Millionen Jahren ihre Heimat und siedeln sich auf dem Riff an. Dort leben sie in ewiger Dunkelheit, gehen auf die Jagd und sind die eigentlichen Beherrscher des Riffs.

Norsha

Geboren: vor. ca. 42 Millionen Jahren

Gestorben: vor ca. 42 Millionen Jahren

Herkunft: Alysk, Kreuz der Galaxien

Größe: 1,78 Meter

Gewicht: 60 Kilogramm

Augenfarbe: blau

Haarfarbe: blond


Norsha ist eine Alyskerin. Sie lernt den jungen Poeten Meydih kennen und lieben. Bei ihrem ersten gemeinsamen Liebesurlaub stirbt Meydih, was Norsha das Herz bricht. Als sie erfährt, dass Meydih ein Ylors ist, ist sie zuerst entsetzt, hilft ihm aber später. Das rechte Vertrauen ist dennoch nicht vorhanden. Nachdem Eorthor Medvecâ verhaftet und dieser schließlich entkommt, wird Norshas Leben von Medvecâ beeinflusst. Sie lebt einsam und allein, bis Medvecâ ihr das Angebot macht, seine Frau zu werden – die Herrin über die Ylors.

Norsha lehnt ab und wählt den Freitod. Sie lässt ihre Organe durch eine kleine, künstliche Sonde in ihrem Körper desintegrieren, nachdem Medvecâ sie gebissen hat. So verhindert sie, dass sie als Ylors wiedergeboren wird.

Kathy Scolar

Geboren: 15.04.1277 NGZ

Geburtsort: Terra

Größe: 1,74 Meter

Gewicht: 60 kg

Augenfarbe: braun

Haarfarbe: braun

Bemerkungen: schlank, attraktiv, freundlich, ursprünglich etwas naiv, sensibel und nicht stark belastbar. Nahm gern Drogen, um in die richtige Stimmung zu kommen.


Die am 15.04.1277 NGZ geborene Terranerin mit den braungrünen Augen lernt im zarten Alter von nur 19 Jahren Aurec kennen und wird zusammen mit ihm nach Barym verschleppt. Dort haben beide zueinandergefunden, doch Kathy ist von dem Sohn des Chaos Cau Thon beeinflusst gewesen und hat 1297 NGZ schließlich Aurec und seine Gefährten im Kampf verraten.

Kathy erleidet danach ein Trauma und wird zum psychischen Wrack. Acht Jahre lang lebt sie in einem Pflegeheim und wird nach Cartwheel gebracht, wo sie für die Entsorgung vorbereitet werden soll. Kathy erholt sich jedoch und trifft im Heim auf Joak Cascal, der vom Quarterium aus dem Verkehr gezogen wird. Gemeinsam fliehen sie und kämpfen sich durch Paxus. Kathy wird von Aurec gerettet und ihre Liebe keimt neu auf.

Die veränderte Kathy Scolar, inzwischen Ende Zwanzig, hat es schwer, einige Menschen von ihrem neuen Wesen zu überzeugen. Obwohl sie Unterschlupf bei Nataly Andrews und ihrem Onkel Jaaron Jargon findet, dauert es sehr lange, bis Nataly und Kathy Vertrauen zueinanderfinden. Erst nach Kriegsausbruch im August 1305 NGZ zwischen dem Quarterium und den Saggittonen, der Verfolgung von Nataly, Jaaron und Kathy entsteht eine echte Freundschaft zwischen den beiden.

Auch ihre Liebe zu Aurec bzw. Jonathan Andrews verbindet sie, denn beide Männer sind im Krieg – weit weg von ihnen. Kathy, Nataly und Jaaron flüchten von Mankind nach Saggittor und von dort wieder nach Mankind in die LFT-Botschaft nach vielen Abenteuern. Erst im Jahre 1307 NGZ werden sie auf Bitten von Aurec und Perry Rhodan während der Friedenskonferenz WANDERER vom Emperador ausgeliefert.

Doch das Wiedersehen dauert nicht einmal drei Tage, denn während Aurec auf dem Pseudo-WANDERER kämpft, gerät Kathy als Gefangene auf die FLASH OF GLORY. Die FOG wird von den Entropen unter dem Kommando der Hexe Niada entführt. Kathy soll zusammen mit Roi Danton, Sato Ambush, Nataly, Jaaron Jargon sowie Roland Meyers und dessen Crew zum ominösen Riff aufbrechen. Dort sollen sie die Entropen im Kampf gegen das Riff unterstützen. Die Entropen sehen die FOG und Roi Danton dabei als wichtig an, nicht Kathy und ihre Freunde.

Aufgrund der aggressiven Art der Entropen geraten Kathy Scolar, Nataly Andrews und Roi Danton sowie deren Begleiter in Gefangenschaft, doch es gelingt besonders Kathy, das Vertrauen der Riffaner Tashree und Cul’Arc zu erlangen. Als der Tholmond angegriffen wird, müssen sie fliehen. Die VIPER gerät dabei in das Riff und wird nach dem Flug in die Nebelbarriere beschädigt. Kathy Scolar und die anderen werden später von dem Riffpiraten Fyntross gefangen genommen und zur Welt Thol2727 gebracht, einer üblen Piratenwelt. Kathy muss als Dienerin des fetten Persy-Mafiafürsten Bullfah herhalten und wird später als Küchenfrau in die Kombüse von Fyntross’ Raumschiff DUNKELSTERN gesteckt.

Nach der erfolgreichen Enterung der DUNKELSTERN durch Danton ist Kathy mit ihren Freunden wieder vereint und vorerst frei, doch die DUNKELSTERN wird von Kapitän Fyntross, der nun im Besitz der VIPER ist, gejagt!

Nataly Jargon

Geboren: 15.06.1269 NGZ

Geburtsort: England, Terra

Größe: 1,66 Meter

Gewicht: 55 kg

Augenfarbe: dunkelblond

Bemerkungen: erotischer und zierlicher Körperbau. Hat eine elegante und besondere Ausstrahlung, wirkt sehr natürlich. Draufgängerisch und versteht es, ihren »Mann« zu stehen.


Nataly wird als Tochter des Linguiden Borrom Jargon und der Terranerin Anne-Lee Henderson geboren.

Sie besucht vornehme Privatschulen und genießt eine gute Ausbildung. Jedoch wird der Abenteuerin all das zu langweilig und mit 16 reißt sie von zu Hause aus.

Ein Jahr später muss sie aus finanziellen Nöten zurückkehren. Nutzt jedoch die Chance, als ihr Onkel nach Terra zieht, und geht mit ihm, um ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen.

Nataly ist nur selten auf der Hauptwelt der Linguiden gewesen und ist mehr eine Terranerin, dennoch fühlt sie sich ihrem Volk verbunden. Sie zieht zusammen mit Jaaron im Jahre 1296 NGZ nach Cartwheel und unterstützt ihren Onkel bei seiner Arbeit an den Cartwheel Chroniken.

Eine Arbeit, die nicht ganz einfach ist, da Nataly in ein Abenteuer nach dem anderen verstrickt wird. So steckt sie mitten in der Lingus-Krise, als die Arkoniden die friedliche Welt besetzen. Hierbei lernt sie Jonathan Andrews kennen, verliebt sich und heiratet ihn schließlich.

Während Jonathan aktiv gegen das Quarterium kämpft, bleibt Nataly bei ihrem Onkel Jaaron Jargon zurück und begleitet diesen, als sie schließlich vor den Häschern des Quarteriums fliehen müssen. Während dieser Zeit schließt sich ihnen auch Kathy Scolar an, die aus einem Sammellager für zur Entsorgung vorgesehene Häftlinge entfliehen konnte. Nataly und Kathy werden schließlich Freundinnen, da sich ihre Situation in vielerlei Hinsicht gleicht. Nach vielfältigen Abenteuern können sie schließlich als Geste des guten Willens des Emperadors anlässlich der Friedenskonferenz auf dem falschen WANDERER in die Lokale Gruppe ausreisen, um jedoch kurz danach wieder in die Hände der CIP zu fallen. Dazwischen lag eine kurze Zeit des Zusammenseins mit ihren Partnern.

Beide Frauen werden zusammen mit Perry Rhodans Sohn Roi Danton durch die Entropen unter dem Befehl der Hexe Niada an Bord der FLASH OF GLORY nach Siom Som entführt, um das dort eingetroffene Riff zu erkunden. Dabei werden sie schließlich von den Bewohnern des Riffs gefangen genommen.

An Bord eines Beibootes der FLASH OF GLORY können sie schließlich von einem Tholmond fliehen, nur um wenig später nach einer Kollision mit dem Schmiegeschirm des Riffs in die Hände der Riffpiraten zu fallen. Roi Danton gelingt es dank seiner schauspielerischen Fähigkeiten, als Piratenkapitän anerkannt zu werden. Schließlich kommt es zu Auseinandersetzungen mit dem Piratenkapitän Fyntross, was dazu führt, dass sie alle auf dem Riff stranden.

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