Band 125
Zeitchaos
Die Zeitlinien brechen zusammen
Autor: Nils Hirseland
Cover: Raimund Peter
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Raimund Peter, Roland Wolf, Foto Povolen
DORGON ist eine nichtkommerzielle Fan-Publikation der PERRY
RHODAN-FanZentrale. Die FanFiktion ist von Fans für Fans der PERRY
RHODAN-Serie geschrieben.
Hauptpersonen des Romans
Aurec
Er strandet in der Vergangenheit Terras
Thora
Die Imperatrice des Quarteriums
Olaf Peterson
Der Reporter in West-Berlin hat einen imaginären Freunde namens
Harry
Carl Nathan
Der Wehrmachtssoldat erlebt die Wende im Krieg
Gucky
Der Mausbiber hat alles verloren
Inhalt
Hauptpersonen des Romans 2
Inhalt 3
Was bisher geschah 4
Prolog 5
Normandie 1944 8
Thora 17
Der See im Wald 27
Der Berliner Reporter 34
Der kleine Perry Rhodan 44
CASSIOPEIA 53
Mythos vom Ukleisee 57
Krise zwischen den Blöcken 61
Die Neuordnung der Erde und ihr Untergang 67
Die Temporale Anomalie 74
Graf von Stolberg 80
Epilog 87
Vorschau 88
Glossar 89
Impressum 91
Was bisher geschah
Chaos in der Milchstraße. Temporale Anomalien haben das
Raumzeitgefüge vernichtet. Die Zeiten verschwimmen und nichts ist
mehr so, wie es war.
Nistant verkündet DAS ZEITCHAOS …
Prolog
Got a doll baby, I love her so
Nothing else like her anywhere you go
Man, she’s anything but calm
A regular pint-sized atom bomb
Er nahm einen Happen vom Kartoffelsalat und blickte in ihre schönen
braunen Augen. Er lächelte, und sie lächelte. Es war ein herrlicher Tag trotz
der Sorgen der letzten Wochen wegen des Konflikts auf dem Mond
zwischen dem Westen, dem Ostblock und der Asiatischen Förderation, der
im Sommer begonnen hatte. Ironischerweise hatte der 1957
herausgebrachten Song »Atom Bomb, Baby« von den The Five Stars
wieder ein Revival und dudelte in dem Funkwellenradio.
Sie saßen unweit des Jugendparks am Rheinufer in Köln-Deutz und
genossen die Augustsonne. Einmal abschalten, mit der Liebsten bei Bier,
Würstchen und Kartoffelsalat sitzen und Die Sirenen fingen an zu
heulen. Er schreckte hoch.
Atom bomb, baby, little atom bomb
I want her in my wigwam
She’s just the way I want her to be
A million times hotter than TNT
Ein Blitz blendete ihn. Er kniff die Augen zu, weil er wusste, er hätte
instinktiv hingesehen. »Mach die Augen zu.« Er griff ihre Hand und
drückte sie fest. Dann öffnete er die Augen und sah den steigenden
Feuerball. Er blickte sich um. Wo sollten sie hin?
Atom bomb, baby, loaded with power
Radioactive as a TV tower
A nuclear fission in her soul
Loves with electronic control
Die Luftschutzsirenen heulten unablässig.
Sie hatten es getan. Sie hatten es wirklich getan!
Sein Herz pochte wild vor Angst.
Sie hatten die Bombe geworfen!
Atom bomb baby, boy she can start
One of those chain reactions in my heart
A big explosion, big and loud
Mushrooms me right up on a cloud
Er hielt ihre Hand. Sie drückte fest zu, zitterte und starrte auf den
apokalyptischen Atompilz, der im alles verschlingenden Feuer aufstieg. Sie
rannten los, doch wohin sollten sie? Im Jugendparkhaus gab es einen Keller
mit einer Kegelbahn. »Los«, rief er und zerrte sie mit.
Atom bomb, baby, little atom bomb
I want her in my wigwam
She’s just the way I want her to be
A million times hotter than TNT
Der Atompilz stieg in die Höhe. Bonn war ausgelöscht. Das Kanzleramt
vernichtet. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland existierte
vermutlich nicht mehr. Dann kam der Wärmeimpuls. Überall brach Feuer
aus.
Atom bomb, baby, sweet as a plum
Carrys more wallop than uranium
When she kisses, there’s no hitch
Zero power she turns on a switch
Die Menschen rannten in Panik das Ufer entlang und schrien. Auch er hatte
Angst. Sie hatte Angst. Sie rannten und rannten Richtung Jugendparkhaus.
Waren fast da. Sie blickten sich tief in die Augen, hielten ihre Hände.
Plötzlich wurde es brennend heiß. Es tat gar nicht weh, doch er sah in ihr
verbranntes Gesicht und wusste, er sah nicht anders aus. Sie schrie immer
noch. Sie wurden langsamer, der Körper wollte nicht mehr so wie ihr Geist.
Dann warf ihn die Druckwelle zu Boden.
Die Häuser auf der anderen Rheinseite wurden wie Modellhäuschen
umgerissen. Hunderttausende starben in diesem Moment, pulverisiert,
erschlagen oder verbrannt. Die atomare Apokalypse hatte begonnen.
Brennende Bäume stürzten um. Der Ostblock hatte den Atomkrieg gegen
den Westen begonnen. Er starrte in ihr verbranntes, haarloses Gesicht und
begriff, dass es vorbei war. Alles nur, weil sie irgendetwas auf dem Mond
gefunden hatten. Er konnte nicht mehr atmen, bekam keine Luft mehr. Alles
brannte. Die Welt ging unter. Die Menschheit ging unter.
10. August 1971 – Der Tag, an dem der 3. Weltkrieg begann.
Normandie 1944
5. Juni 1944
Der Knall aus dem Karabiner 98K war laut. Der Einschlag in ihren
Oberkörper klang eher dumpf. Sie gab einen erstickten Laut von sich. Ihre
Bluse färbte sich rot, und sie taumelte nach hinten, verlor das
Gleichgewicht und fiel ins Gras.
Ich atmete tief durch und senkte mein Gewehr. Ich hörte ihr Ringen nach
Luft. Dann trat ich näher und blickte auf sie herab. Sie war schön, zierlich
gebaut und hatte unschuldige blaue Augen. Aber sie war Mitglied der
Resistance. Was hatte sie hier zu suchen? Ich beugte mich hinab und griff in
ihre Strickjacke, zog den Ausweis heraus und blickte darauf. Ihr Name war
Adelé Louise Thi beau.
»Was ist passiert, Carl?«
Ich sah auf. Werner Niesewitz eilte herbei, musste den Schuss gehört
haben.
»Ich hab die Kleine erwischt, als sie dort etwas vergrub und mit Steinen
markierte.«
Werner betrachtete den kleinen Erdhügel, auf den ich zeigte. Mit dem
Stiefel schob er Erde und Steine zur Seite und stieß einen Pfiff aus. Ich
blickte nun auch auf den Gegenstand, den sie vergraben hatte, denn bisher
hatte ich dazu keine Zeit gehabt.
»Feinstes Dynamit. Das war wohl für ihre Freunde vom Widerstand
gedacht, um die Telefonmasten hier zu sprengen. Die führen von der Küste
nach Caen.«
Unteroffizier Werner Niesewitz trat neben mich und zeigte auf die
verwundete Adelé Louise Thibeau.
Er atmete tief durch.
»Was machen wir mit ihr?«
Ich betrachtete ihre Wunde. Sie hatte verdammtes Glück. Die Patrone war
durch ihre Schulter gegangen. Aber hatte sie wirklich Glück? Ein Verhör
mit der Gestapo war kein Vergnügen. Da wäre es besser, wenn sie hier im
Gras verrecken würde.
Niesewitz blickte sich skeptisch um. Ich hatte bereits geprüft, ob andere
Widerständler in der Nähe sein könnten, doch es war niemand hier. Doch
ganz sicher wussten andere Bescheid. Jene, die den Sprengstoff ausgraben
würden, jene, die den Zünder bei sich trugen, um die Masten zu sprengen.
Die Resistance arbeitete auf die Invasion der Alliierten hin. Ihre
Aktivitäten nahmen zu, und das bedeutete, die Invasion stand kurz bevor.
Wir mussten dringend Lars Born informieren.
SS-Untersturmführer Lars Born hatte kurzes, grau meliertes Haar und
kleine graue Augen. Seine schwarze Uniform war akkurat angelegt,vor
allem dafür, dass es schon 21:56 Uhr an diesem 5. Juni war. Die rote Binde
mit dem weißen Kreis und dem Hakenkreuz darin schien in der
Abenddämmerung zu leuchten. Lars Born war stets korrekt gekleidet. Die
Mütze ruhte peinlich genau zurechtgerückt auf dem Haupt, alles war
penibel gesäubert.
»Guten Abend, die Herren Feldwebel Nathan und Niesewitz«, rief er
ebenso höflich wie fröhlich.
Born betrat das kleine, alte Bauernhaus, in dem wir die verwundete Adelé
Louise Thibeau versorgt hatten. Das Haus gefiel ihm offensichtlich nicht,
wie sein Gesichtsausdruck verriet. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Es
war eng, die Möbel wirkten alt und ranzig, wie so vieles in Frankreich. Die
letzte Renovierung dieses Hauses war bestimmt noch vor der französischen
Revolution gewesen.
»Bonjour, Madmoiselle Thibeau, ca va? Uh, wie unaufmerksam von mir.
Vermutlich geht es Ihnen nicht sonderlich gut.«
Sie lag auf der grünen, alten Couch. Er nahm einen Holzstuhl, schob ihn
davor und setzte sich.
»Das kommt davon, wenn man sich gegen die natürliche Ordnung
auflehnt. Dabei hatten Sie noch Glück, dass meine beiden wachsamen
Kameraden so zimperlich mit Ihnen umgegangen sind.«
Er grinste.
»Wenn ich mich denn nun vorstellen darf? Ich bin Untersturmführer der
SS und des Reichssicherheitshauptamtes. Mein Name ist Lars Born, und ich
bin nun einmal der zuständige Polizeibeamte, weshalb ich zu nächtlicher
Zeit zu dieser Konversation mit Ihnen gezwungen bin. Seien Sie so
freundlich und verraten mir Ihre Position im französischen Widerstand und
die Namen Ihrer Komplizen!«
Sie drehte ihren Kopf weg und schwieg. Wie konnte sie nur so dumm und
unkooperativ sein? Sie musste doch wissen, welche Konsequenzen das
hatte.
»Können wir einen Kaffee bekommen? Wo sind die Hausherren?«
Ich hatte keine Ahnung, denn das Haus stand leer, seitdem ich hier
stationiert wurde. Ich zuckte mit den Schultern, während Werner in der
Küche Wasser aufsetzte.
»Die Salomons wurden bereits vor zwei Jahren deportiert«, sagte Adelé
vorwurfsvoll.
»Oh, ich verstehe.«
Born seufzte.
»Es ist schon eine Schande. Nun, Sie haben aber einen arischen Namen.
Thibeau. Lothringen?«
Sie nickte.
Born kicherte vergnügt.
»Wissen Sie, woher ich das weiß? Vor einigen Jahren, genau genommen
im November 1941, war ich zu Besuch in Amerika. Genauer gesagt in
Chicago. Ich weiß gar nicht mehr, wie es dazu kam, jedenfalls war ich bei
diesem freundlichen Herrn Leo Tibo, und er zeigte mir seine US-
amerikanischen Peace Dollars, die er mit Leidenschaft sammelte. Wir
plauderten über Gott und die Welt übrigens er sah damals im
Bolschewismus die größte Gefahr für die Welt und kamen jedenfalls so
ins Gespräch über Herkünfte. Da sagte er, dass er aus Lothringen stammte
und seine Vorfahren in die USA emigriert waren. Und raten Sie einmal, wie
der Mann wirklich hieß?«
Das Pfeifen der Kanne ließ Adelé aufschrecken.
»Oh, der Kaffee ist fertig«, rief Niesewitz.
Born blickte die Französin erwartungsvoll an.
»Ich… weiß nicht?«, flüsterte sie.
»Thibeau. Mir ist entfallen, ob es seine Familie oder die seiner Frau war.
Jedenfalls, jetzt wird es noch interessanter. Die Tibos haben eine Tochter,
die einen Deutschen geheiratet hat. Deutsch-französisch-amerikanische
Freundschaft in dieser Zeit. Das ist doch brillant.«
»Hört sich nach Antizipation von Jules Verne an«, sagte Adelé.
Werner Niesewitz brachte zwei Tassen Kaffee. Ich holte mir zwei Becher
aus der Küche und schenkte Werner und mir ein. Die Vorstellung, dass
Franzosen, Amerikaner und Deutsche eines Tages ganz normal miteinander
umgehen würden, erschien sicherlich fantastisch, aber nicht unmöglich. Es
gab einige Franzosen, die mit den Besatzern kooperierten, und immerhin
hatten die Vichy-Franzosen sogar mit uns Frieden geschlossen. Es gab
genug französische Mademoiselles, die sich einem deutschen Landser
hingaben für genug Reichsmark. Mit der Zeit würden sie sich an uns
gewöhnen.
»Nun ja, ich möchte Sie, Fräulein Thibeau, noch einmal eindringlich
bitten, mir Ihre Mitverschwörer zu nennen.«
»Nein, Monsieur Nazi. Ich sage Ihnen kein Wort.«
Born seufzte.
»Verwunden mein Herz mit eintöniger Mattigkeit.«
Thibeau starrte ihn mit großen Augen an.
»Wir hören die BBC ab, meine Liebe. Wir wissen, dass die große Invasion
bevorsteht. Nun seien Sie ein braves Mädchen, trinken Ihren Kaffee und
erzählen mir hübsch alles über die Resistance, was Sie wissen. Wo geht es
los? In Calais? Sollen hier Ablenkungsangriffe stattfinden, hm?«
Born schlürfte genüsslich den Kaffee.
Adelé stellte ihre Tasse demonstrativ auf den Tisch, zitternd und mit
schmerzverzerrtem Gesicht.
Born nickte.
»Nun, gestatten Sie mir, Ihnen Ihre Optionen aufzuzeigen. Sie werden
standrechtlich erschossen, Sie werden nicht einfach so erschossen, Sie
werden gefoltert und dann erschossen. Oder Sie sind eine Verräterin, aber
Sie werden werden medizinisch versorgt und sind frei.« Er breitete die
Hände aus und lächelte. »Es liegt ganz bei Ihnen, Teuerste. Es ist Ihre
Entscheidung.«
Er beugte sich vor sie und sagte mit gedämpfter Stimme: »Verstecken Sie
sich ein paar Wochen hier, und dann schleusen wir Sie nach Amerika.
Besuchen Sie Ihre Verwandten in Chicago.«
Adele packte ihn am linken Arm.
»Ich habe niemals gesagt, dass ich mit den Leuten aus Ihrer Geschichte
verwandt bin. Woher wussten Sie das?«
SS-Untersturmbannführer Lars Born ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
Er legte seine rechte Hand auf ihre Hand und tätschelte sie dreimal. Dann
schob er sich sanft von ihr.
»Nun«, begann er und leerte schlürfend die Tasse mit dem Kaffee. »Es
geht nicht um die Tibos oder Thibeaus. Mein Interesse gilt dem Sprössling
aus der Vermählung zwischen Mary Tibo und Karl Rhodan: dem kleinen
Racker Perry Rhodan.«
Lars Born griff an seinen Holster, zog die Luger hervor, entsicherte sie,
zielte und drückte ab. Der Schuss traf Adelé direkt in den Kopf. Sie war
sofort tot. Der Körper sackte auf die Lehne des Sofas. Born steckte die
Pistole wieder in den Holster und griff nach der Tasse. Enttäuscht stellte er
fest, dass sie leer war. Klirrend stellte er sie ab und erhob sich. Dann wandte
er sich an Werner und mich.
»Meine Herren Feldwebel, heute werden wir keinen Schlaf finden. Die
Alliierten greifen in der Nacht an, und bei Morgengrauen wird der Atlantik
geschwärzt sein von der Armada an Schiffen aus England. Wir brauchen
also neuen Kaffee. Viel Kaffee!«
6. Juni 1944
5:30 Uhr
Adolf Hitler stand vor mir.
Die Schirmmütze des Führers lag tief über der Stirn. Seine Gesichtszüge
waren streng, und der markante Schnauzbart dominierte das Gesicht.
Ich konnte es nicht fassen. Vor wenigen Momenten war der Führer des
Deutschen Reiches aus seinem grauen Kübelwagen gestiegen und, von SS-
Wachleuten eskortiert, ausgerechnet auf unser Widerstandsnest Nummer 65
zugegangen. SS-Untersturmführer Lars Born war aus dem Bunker geeilt
und hatte Hitler mit dessen Gruß und einem lauten »Sieg Heil« begrüßt.
Werner Niesewitz hatte es sich nicht nehmen lassen, gleich zu folgen. Ich
hingegen hatte die verbliebene Minute genutzt, um mich hastig sauber zu
machen, zumindest die Tassen in eine Linie zu schieben und meine Uniform
zu richten.
Es war schrecklich eng hier drin, immerhin stand eine riesige Flak-88 im
Bunker.
Was suchte Hitler am Atlantik-Wall, zudem noch in Saint-Laurent-sur-
Mer in der Normandie? Die Invasion wurde von Generalfeldmarschall von
Rundstedt und Generalfeldmarschall Rommel in Calais erwartet.
Ich stand so stramm, wie es nur ging. Dabei hatte ich Angst. Angst vor
dem Führer, Angst davor, mich vor ihm zu blamieren und Angst vor den
Meldungen aus der Nacht: Fallschirmjäger waren über der Normandie
abgesprungen.
War das die Invasion oder nur ein Ablenkungsmanöver? War der große
Tag angebrochen, an dem das ultimative Kräftemessen beginnen würde?
Oder war das einfach der Beginn des Untergangs des Reichs?
Ich war in Polen dabei gewesen. Dann in Norwegen, Frankreich,
Jugoslawien, Griechenland, Libyen, Ägypten und Italien. Russland war mir
erspart geblieben. Nun stand ich buchstäblich im Sand und wartete auf die
Ankunft der Armada der Alliierten.
Der Führer sah sich um. Dann trat er an den Schützenstand heran und
blickte auf den Strand.
»Dort draußen lauern Roosevelts und Churchills Horden. Doch heute
werden sie untergehen. Es ist meine Bestimmung.«
Er wandte sich mir zu.
»Name, Rang?«
Ich salutierte.
»Carl Nathan, Feldwebel, mein Führer!«
»Feldwebel Nathan, heute wird die Geschichte des deutschen Volkes neu
geschrieben.«
»Jawohl, mein Führer!«
Er stellte sich an den Feldstecher und blickte durch das Fernglas. Dann
winkte er mich zu sich.
»Sehen Sie?«
Ich beugte mich vor und guckte durch die Vergrößerungslinsen. Und ich
erschrak. Ich sah eine Mauer an Schiffen, die auf uns zuhielten. Das war die
Invasion.
Hitler verließ den Bunker und ging zum Strand.
Ich blickte Niesewitz verständnislos an. Was tat der Führer? Wollte er
sterben?
Um 5:37 Uhr eröffnete die Geschützbatterie in Saint-Laurent-sur-Mer das
Feuer auf die Invasoren. Tausende Schiffe näherten sich der Küste. Wie
sollten wir sie aufhalten? Das war das Ende.
Die fremden Raumschiffe greifen an. © Roland Wolf.
Wir standen etwa 50 Meter vom WN 65 entfernt zwischen Drachenzähnen
und Stacheldraht.
Nun schlugen auch die Geschosse des Feindes ein. Die Erde zitterte, der
Lärm war unerträglich. Doch ich musste durchhalten. Der Blick des Führers
ruhte prüfend auf mir. Er schien keine Angst zu haben, also durfte ich sie
auch nicht zeigen.
»Herr Feldwebel Nathan, als ich im Schützengraben mit meinen
Kameraden in Frankreich lag, gab es stundenlang Beschuss durch die
Artillerie.«
Ich nickte nur.
Das Feuer stoppte. Was tat Hitler hier nur? In einer halben Stunde würden
vermutlich Landungsboote den Strand erreichen und tausende Soldaten auf
uns zustürmen. War das sein Abgang? Wollte der Führer kämpfend
untergehen und nicht in Berlin kauern und warten, bis sich die Schlinge
zugezogen hatte?
SS-Sturmbannführer Lars Born kam zu uns.
»Ah, Sturmbannführer Born«, sagte Hitler.
»Mein Führer, ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.
Feldwebel Nathan haben Sie ja bereits kennen gelernt. Wir sind hier, weil
sich an dieser Stelle das Schicksal des Deutschen Reiches entscheiden wir.
Sind sind Sie bereit für den größten Moment in der Geschichte der
Menschheit?«
Hitler wirkte nun unsicher.
»Es wird funktionieren?«
»Sie haben die Demonstration des Fürsten gesehen und sich selbst
überzeugt. Das HAUNEBU-Geschwader steht bereit.«
Hitler verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Inzwischen hatte sich
seine SS-Leibstandarte um uns versammelt. Er winkte jemand zu sich.
»Melder, informieren Sie die Geschützbatterie in Saint-Laurent-sur-Mer,
das Feuer einzustellen. Der SS-Untersturmbannführer und ich möchten
einen Strandspaziergang unternehmen.«
Der Funker bestätigte und eilte zu unserem Bunker. Dort befanden sich ein
Telefon und auch Funkgeräte, sollten es dem französischen Widerstand über
Nacht doch noch gelungen sein, die Telefonmasten zu sabotieren.
Born informierte Hitler über die Widerständlerin, die wir in der Nacht
gestoppt hatten. Er wirkte sehr vergnügt.
»Können Sie sich meine Überraschung vorstellen, als ich hörte, dass sie
über Ecken mit diesem Perry Rhodan verwandt ist?«
Hitler kicherte kurz.
»Ich habe diesen amerikanischen Jungen niemals kennengelernt. Doch
wenn mein Schicksal an das seine geknüpft ist, soll es so sein.«
Ich starrte auf die Wand an feindlichen Schiffen. Der Anblick war
beeindruckend und beängstigend zugleich. Ich erkannte die Landungsboote,
die wie kleine schwarze, langgezogene Striche ihren Weg über das unruhige
Meer in unsere Richtung bahnten. Die Sonne war im Begriff aufzugehen.
Die Granaten der feindlichen Schiffe schlugen nicht zielgenau ein. Die
meisten detonierten im Hinterland. Vermutlich war die Geschützbatterie ihr
Ziel. Doch schon bald würden sie sich auf uns einschießen. Schon donnerte
es über unseren Köpfen. Rechts von uns explodierte eine Granate, Sand,
Staub und Steine wurden in die Luft geschleudert. Ich ging in die Knie.
Hitler betrachtete mich abfällig. Ich stand wieder auf und nahm Haltung an.
Dann kam der Schuss, der uns töten würde. Ich sah die Granate direkt auf
uns zu rasen. Sie explodierte vor uns, doch was nun geschah, war wie in
einem Traum. Das Feuer hüllte uns ein, ohne uns zu erreichen. Es war, als
wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt.
Das wiederholte sich. Die Geschosse der Alliierten explodierten über dem
Strand, Feuerbälle blähten sich auf und vergingen wieder. Über uns tanzte
das Feuer der Vernichtung, doch uns wurde kein Haar gekrümmt. Wie
konnte das sein?
Hitler blickte in den Himmel. Born drehte sich nach hinten und zeigte in
die Luft. Jetzt sah ich es auch. Zehn große Flugzeuge hielten langsam auf
uns zu. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Flugzeuge gesehen. Sie
hatten keine Propeller und keine Flügel. Der Rumpf war scheibenförmig.
Auf der Scheibe ruhte ein Turm, der mich an den Turm eines U-Boots
erinnerte. Die Farbe der Flugzeuge war grau, und mit Erstaunen und
Erleichterung registrierte ich das deutsche Kreuz auf der Unterseite. Das
waren unsere Flugzeuge oder was auch immer sie waren. Sie waren groß.
Es war schwer einzuschätzen, wie hoch sie in der Luft waren, aber
bestimmt hatten sie einen Durchmesser von 100 Metern.
»Mein Führer, das HAUNEBU-Geschwader zu Ihren Diensten«, meldete
Born.
Woher wusste dieser SS-Untersturmführer so viel? Das überstieg deutlich
seinen Rang. »Ihre Wunderwaffen«, fügte er hinzu.
Hitler stand ehrfürchtig am Strand und blickte in den Himmel. Er
verschränkte die Arme hinter den Rücken und knetete die Finger. Dann
nahm er sie wieder nach vorne und schlug mit der Faust in die Handfläche.
»Erteilen Sie den Befehl, Roosevelts Flotte auf den Meeresgrund zu
versenken.«
Born schob seinen Ärmel zurück. An seinem Handgelenk ruhte eine Art
Funkgerät. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Er gab den Befehl des
Führers weiter. Die großen Flugscheiben schoben sich dröhnend über
unseren Köpfen hinweg und eröffneten das Feuer. Sie verschossen keine
normale Munition, es sah aus wie Blitze, die sie abfeuerten. Da explodierte
auch schon das erste Schiff der Alliierten. Sie erwiderten das Feuer, doch
ihre Salven verpufften an der unsichtbaren Barriere. Sie konnten diesen
Flugzeugen offenbar nichts anhaben.
Die zehn Flugzeuge verteilten sich, jeder Schuss traf ein Schiff der
Alliierten. Es war ein Massaker. Tausende Schiffe wurden vernichtet. Ich
stand starr am Strand, die Sonne war inzwischen aufgegangen, doch ich
wagte mich nicht zu bewegen.
Jägerstaffeln der Alliierten griffen unsere fliegenden Festungen an, doch
sie kamen ihnen nicht einmal nahe. Sie zerschellten an den unsichtbaren
Schutzwänden. Dann schienen die Bordkanonen der Scheibenraumschiffe
ihr Feuer zu eröffnen, denn hunderte Jäger der Amerikaner und Briten
schienen als brennende Trümmer vom Himmel zu regnen.
Ich sah den Untergang der Invasionsflotte mit meinen eigenen Augen.
Trotzdem konnte ich es kaum glauben. Noch vor einer Stunde hatte ich mit
dem Ende des Reiches gerechnet, nun hatten wir gewonnen. Gegen solch
überlegene Waffen kamen die Amerikaner, Engländer und Russen nicht an.
Wir hatten den Krieg buchstäblich schon gewonnen.
Hitler wirkte zufrieden.
»Nun, meine Herren, Sie sind Zeuge der Entscheidungsschlacht
geworden. Ich kehre nun zu Gesprächen mit Reichsaußenminister
Ribbentrop nach Berlin zurück. Er muss Roosevelt und Churchill die
bedingungslose Kapitulation diktieren.«
»Und… und die Sowjetunion?«, fragte ich wie in Trance. Ich verstand ja
immer noch nicht, warum er ausgerechnet bei uns aufgetaucht war, aber
was wusste ich schon. Und welche Rolle spielte es noch angesichts des
Geschehens.
Hitler verzog das Gesicht.
»SS-Sturmbannführer Born, übergeben Sie das HAUNEBU-Geschwader
Reichsminister Göring. Er soll einen Luftangriff auf Moskau starten. Mit
den Bolschewisten verhandeln wir nicht. Wir rotten diese Untermenschen
aus.«
»Natürlich, mein Führer. Gestatten Sie mir, Sie an unsere Bedingung zu
erinnern? Überlassen Sie mir bitte eine HAUNEBU für unsere Mission?«
Hitler nickte.
»Bringen Sie es zu Ende.«
Der Führer verließ den Strand. Ich blickte ihm nachdenklich hinterher,
starrte dann auf die untergehende Flotte der Alliierten und immer wieder in
den Himmel, wo die mächtigen scheibenförmigen Flugzeuge schwebten.
»Niesewitz, Nathan, begleiten Sie mich auf meiner Mission«, entschied
Born. Eine der Flugzeuge verließ die Position und steuerte auf das
Hinterland. Offenbar setzte es zur Landung an.
»Wo geht es denn hin? Nach Moskau?«, wollte Niesewitz wissen.
»Nein, meine Herren, es geht nach Wisconsin!«
Thora
Ungläubig starrte Thora auf das kugelförmige Raumschiff mit den roten
Lettern THORA.
Wie konnte das sein? War sie schon tot? Halluzinierte sie? Was war das
für ein Wahnwitz?
Plötzlich explodierte die THORA. Der sich aufblähende Feuerball kam
immer näher. Thora wollte einen Befehl schreien, doch ihre Lippen waren
wie versiegelt. Sie starrte auf die Feuerwand.
Dann spürte sie die Hitze und …
Sie schreckte aus dem Schlaf hoch.
Es war dunkel. Kein Nachtlicht leuchtete, es war stockfinster, so wie sie es
brauchte, um richtig schlafen zu können. Das ließ den Schluss zu, dass sie
in ihrer Kabine war. Die weiche Matratze und die beiden Kissen bestätigten
ihre Vermutung. Sie seufzte, ließ sich wieder in die flauschigen Kissen
fallen und starrte ins Dunkel.
Dieser Traum war seltsam gewesen. Nein, es waren sogar zwei Träume
gewesen. Einmal das Schiff mit ihrem Namen, und dann war sie in einer
surrealen Welt gestrandet und hatte dort einen Mann getroffen, der eine
Maske getragen hatte, um seine Gesprächspartner vor dem Wahnsinn zu
bewahren. Angeblich war dieses Glühen in seinem Gesicht ein Fragment
eines anderen Wesens, mit dem er bei einem Transmitterunfall
verschmolzen war. Vielleicht war sein Gesichts auch nur abgrundtief
hässlich. Sie wusste es nicht, denn der Traum war schnell wieder vorbei
gewesen.
Sie war unschlüssig, ob sie es überhaupt als Alptraum definieren sollte,
doch je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie. Sie war in dem
Traum eine andere gewesen, eine Art Kopie ihrer selbst, die ihr so vorkam,
als wäre sie aus einem anderen Universum. Es war erschreckend gewesen.
Sie hatte sich so schwach, so ängstlich und so emotional gefühlt.
Thora dachte nie mit dem Herzen. Sie zeigte keine Schwäche. Arkon
musste stark sein, denn sie repräsentierte ganz Arkon vor der Galaxis und
vor ihm. Ihr Ehemann war Terraner, ein starker Terraner, der Anführer der
gesamten terranischen Rasse. Sie durfte vor ihm nicht psychisch instabil
wirken.
Er würde das sofort erkennen und ausnutzen. Ihr Gatte war der Anführer
eines Imperiums.
»Licht und Musik«, forderte sie. Die Positronik reagierte sofort mit einer
augenschonenden warmen Beleuchtung. Im Hintergrund erklang leise
»Caycon und Raimanja« von Upoc. Aber sie war nicht in Stimmung für
diese Schnulze.
»Weiter«, brummte sie.
Nun spielte die Positronik die »Große Arkon-Fuge«, ebenfalls von Upoc,
der kein Rockstar gewesen war, sondern arkonidischer Imperator vor knapp
10.000 Jahren. Auch die Terraner hatten Musiker als Herrscher gehabt oder
vielmehr Herrscher, die Musiker oder Poeten waren. Ihr Gemahl hatte von
einem gewissen Nero erzählt, einem Dichter und Musiker, der vor etwas
weniger als 2.000 Jahren Kaiser des Römischen Reiches gewesen war.
Jedenfalls war die »Große Arkon-Fuge« belebender als Upocs
romantische Liebesballade. Sie drehte sich und setzte sich auf, so dass die
Füße den Boden berührten. Noch immer schwirrten ihr die Erinnerung an
die Alpträume im Kopf herum. Was hatte sie nur für einen Unsinn
geträumt von einem terranischen Diner auf einer Höllenwelt und einem
dreiäugigen und dreiarmigen Roboter? Sie atmete tief durch.
Und was sollte dieses fremde Raumschiff THORA symbolisieren? Wieso
explodierte es? War das ein ungutes Vorzeichen für sie?
Quatsch! Nur dummes Zeug.
»Wie spät?«
Ach, sie verfluchte sich für ihre Dekadenz, stand auf und warf einen Blick
auf die grünen Ziffern der digitalen Anzeige: Es war erst 3:27 Uhr am 16.
Oktober 2043. Was sollte sie jetzt tun? Wieder ins Bett gehen oder den Tag
produktiv beginnen?
Sie ging in den Trainingsraum und schnappte sich ein Dagorschwert. Vor
ihr tauchten Attrappen aus Formenergie auf. Sie stürmte mit dem Schwert
darauf zu. Ein Hieb von links, ein Schlag von rechts, ducken, Rolle
vorwärts, aufspringen. Das Schwert wurde nicht von der Kraft geführt,
sondern durch Beweglichkeit und Beinarbeit. Es war wie ein Tanz
beherrschte man die Schritte und Abläufe, konnte man das Tempo des
Kampfes bis zu einem gewissen Grad diktieren. Doch echte Gegner waren
keine Attrappen aus Formenergie. Sie bewegten sich, besaßen unter
Umständen sogar Intelligenz. Sie musste immer auf das Unerwartete
vorbereitet sein, improvisieren können. Sie sprang auf, fuchtelte noch etwas
mit dem Schwert herum und stieß einer der Formenergiepuppen ins
imaginäre Herz.
Das reichte als Morgensport.
»Hola, Gosner«, sagte jemand hinter ihr.
Sie schnellte zurück und hielt das Schwert ihrer Bediensteten an die
Kehle.
»Wenn du dich noch einmal so anschleichst, könnte es das letzte Mal
gewesen sein.«
Die Terranerin verneigte sich demütig.
»Es tut mir leid, Imperatrice Thora.«
Thora senkte das Schwert.
»Nun bring mir einen Kaffee, Elena.«
Thora ging in den Hygienebereich und streifte ihren Pyjama ab. Sie
betrachtete sich im Spiegel und fuhr sich mit den Fingern durch ihr glattes,
weißes Haar. Die roten Augen musterten ihr Spiegelbild und suchten nach
neuen Falten, die aber nicht zu entdecken waren. Sie war zufrieden und
ging in die Nasszelle. Als anschließend ein kleiner schwebender Roboter
mit sechs Funktionsarmen Thoras Haare trocknete und frisierte, reichte
Elena ihrer Gebieterin den Kaffee. Sie trank von dem schwarzen, heißen
Getränk, das sie sich jeden Morgen gönnte. Man musste es den Terranern
lassen, dass sie den Arkoniden kulinarisch einiges voraus hatten. In den
vergangenen 71 Jahren hatte Thora die terranische Küche zu schätzen
gelernt. Ein Kaffee schnitt im direkten Vergleich mit einem K’amana besser
ab.
»Was gibt es Neues an diesem Tage, Zofe?«
Die Dienerin verneigte sich demütig. Sie übertrieb es eindeutig damit.
Thora schätzte Respekt, doch nur, wenn er aufrichtig war. Elena hatte Angst
und zwar weniger vor ihr als vor ihrem Ehemann, dem großen galaktischen
Imperator.
Perry Rhodan!
Perry Rhodan war Thoras Ehemann.
So hieß er doch, oder? Der Mann aus ihrem Traum, dem sie ihr Herz
geschenkt hatte. Perry Rhodan. Sie runzelte die Stirn.
Es kamen mehr Erinnerungen aus dem ersten Traum zutage. Thora nahm
noch einen Schluck Kaffee und setzte sich auf einen Sessel.
»Räum auf oder mach irgendwas Nützliches, Elena. Aber störe mich
nicht«, sagte sie ihrer Dienerin. »Am besten nebenan. Ich muss
nachdenken.«
Sie konnte diese primitive Ausgabe einer Terranerin jetzt nicht in ihrer
Nähe gebrauchen. Immerhin hatten es diese ehemaligen Wilden geschafft,
ihre Entwicklungsstufe zu verbessern, doch es gab noch eklatante
Unterschiede zwischen einigen Vertretern der Menschheit. Einige Regionen
auf Terra waren noch nicht so mit der Raumfahrt verbunden wie andere
Staaten. Elena kam aus Bolivien und war einfach gestrickt. Aber gut, es
musste auch Leute geben, die unterbelichtet genug waren, um zufrieden mit
einer Arbeit als Diener zu sein. Es konnte ohne Diener niemals Gönner
geben. Das hatte auf Arkon nie funktioniert.
Der Wohlstand eines Arkoniden fußte auf dem Nichtadel, das war Thora
klar. Der Nichtadel hingegen stand über Kolonisten wie den Zalitern und
Mehandor. Die wiederum waren in ihrer Entwicklungsstufe höher
einzustufen als Naats. Das bedeutete nicht, dass Naats nicht auch direkt
Zhdopandas dienen konnten. Thora selbst hatte eine ganze Leibgarde aus
Naats.
Sie war abgeschweift. Noch ein Schluck Kaffee, um wieder auf klare
Gedanken zu kommen.
Sie hatte also für einen ganz kurzen Moment geträumt, sie sei eine andere
Thora gewesen. Sie hatte ihr Herz einem Raumfahrer namens Perry Rhodan
geschenkt, wohl auch ein Terraner, und liebte ihn. Doch sie hatte Angst zu
sterben, alt und hässlich zu werden. Eine Furcht, die Thora mit ihr teilte. Alt
und runzelig zu werden, zu zerfallen und nicht mehr attraktiv zu sein für
ihren Ehemann, nicht mehr stark zu sein für ihre Spezies. Sie fürchtete sich
davor, zu einer alten, hilflosen Frau zu werden, deren Lebensinhalt nur noch
Kaffeeklatsch und die Galaabende von Wohltätigkeitsorganisationen sein
würde.
Dafür war Thora nicht geschaffen. Sie war zusammen mit Crest auf der
Suche nach dem ewigen Leben gewesen und hatte schließlich ihn getroffen,
nachdem sie vom Erdmond Luna entführt worden waren.
Doch nicht in ihrem Traum. Da war ein gewisser Perry Rhodan auf dem
Mond gelandet und hatte die Arkoniden gefunden. Als ob sich Thora jemals
in einen gewöhnlichen Terraner hätte verlieben können. Das wäre so
absurd, als wenn man einen Affen heiraten würde. Zumindest damals gab es
da nicht so viele Unterschiede zwischen Menschen und Affen auch wenn
die Menschen glaubten, sie wären klüger als Affen. Damals war der
Unterschied nur marginal gewesen, doch inzwischen waren sie zu einer
brauchbaren Spezies herangewachsen. Natürlich fehlte es ihnen immer noch
an der Eleganz und der Klasse der Arkoniden, doch sie konnte den
Tatendrang der Terraner nicht ignorieren. Sie bewunderte die Zielstrebigkeit
ihres Mannes. Es war so, als hätte er den Werdegang seiner Zivilisation
schon vor Jahrhunderten geplant.
Elena kam wieder in die Kabine. Thora blickte auf das Chronometer. Es
war inzwischen Viertel vor fünf.
»Wünschen meine Zhdopanthi noch einen Kaffee?«
Thora betrachtete ihre Dienerin und stellte erneut fest, wie unansehnlich
Elena war.
»Du bist eine Beleidigung für meine rubinroten Augen. Ich überlege, ob
ich dir eine Schönheitsoperation und intensives Sporttraining schenken
sollte.«
Thora verzog ihre Lippen.
»Vielleicht auch eine experimentelle Gehirnverpflanzung. Das dürfte von
mehr Erfolg gekrönt sein.«
»Versündigen Sie sich nicht am lieben Gott. Der große Emperador ist ein
gottesfürchtiger Mann, und Gott würde nicht wollen, dass Menschen ihr
Gehirn tauschen.«
Elena war blass geworden. Sie bekreuzigte sich. Thora hatte nichts für
ihren Aberglauben übrig. Ob Gott oder Allah Erfindungen von Terranern
ohne stichhaltige Beweise für die Existenz von Göttern fand sie lächerlich.
Die Arkoniden verehrten die She’Huan, doch Thora konnte auch damit
nichts anfangen. Die Schule von Crest hatte zu sehr angeschlagen. Sie sah
sich als Wissenschaftlerin und als logisch denkende
Raumschiffkommandantin.
Ein rotes Leuchten an der Konsole riss sie aus ihren Gedanken. Das war
ein stillen Alarm. Sie sprang auf und ging an Elena vorbei.
»Jesus, Maria und Josef, Zhdopanthi, was ist denn nun los?«
Thora betätigte einen Schalter. Das Gesicht des Kommandanten der
KASTILIEN erschien. Der Arkonide trug sein weißes Haar kurz. Das
Gesicht von Hergox da Norian war kantig.
»Imperatrice Thora da Zoltral de la Siniestro! Ihr werdet dringend in der
Kommandozentrale benötigt.«
Sie nickte und deaktivierte die Verbindung.
»Na los, Elena, meine Uniform.«
Es dauerte ihr zu lange. Elena war eine bemerkenswerte Phlegmatikerin.
Thora eilte an ihr vorbei und schnappte sich ihre Sachen. Sollte Elena doch
zu ihrem Gott beten und Kreuze küssen. Thora legte ihren Morgenmantel ab
und streifte die schwarz-silberne Kombination über. Die Stiefel waren
silbern, die Hose schwarz und ihr langärmliges Oberteil in beiden Farben
gemischt. Sie betrachtete den Ausschnitt, der vielleicht zu gewagt war und
den ein oder anderen Offizier oder Orbton animieren könnte, verbotene
Blicke auf die Imperatrice zu werfen. Das war beabsichtigt, damit musste
jedes Crewmitglied leben, denn auch die Besatzung sollte sie in jeglicher
Hinsicht bewundern.
Thora verließ die Kabine. Zwei Wachen in grauen Uniformen und mit
schwarzen Helmen salutierten. Sie schritt wortlos an ihnen vorbei und ging
den Korridor mit den grauen Wänden und Boden entlang, der in die
Kommandozentrale der KASTILIEN führte. Als Thora die Zentrale betrat,
sprang der Erste Offizier, ein stattlicher Terraner mit blondem Haar und
blauen Augen, auf und rief: »Imperatrice anwesend. Achtung!«
Die diensthabende Mannschaft erhob sich und stand stramm. Captain da
Norian rief: »Rührt euch!« Die Soldaten nahmen eine lockere Haltung an
und widmeten sich wieder ihrer Arbeit. Die Ordonnanz, ebenfalls ein
blonder Terraner mit blauen Augen und einem charmanten Lächeln,
servierte Thora einen Kaffee. Sie war kurz geneigt, ihm ein Lächeln zu
schenken, doch das wäre zu viel des Guten gewesen. Thora war die
unnahbare Imperatrice des Quarterium.
Sie blickte auf das Hologrammbild ihres Ehemannes, den Emperador Don
Philippe Alfonso Jaime de la Siniestro. Er blickte streng und dennoch gütig.
Es war ein typisches Herrscherbild, das den Monarchen würdevoll und
sinnierend zeigte. Dann blickte sie fragend Captain da Norian an.
»Zhdopanthi, wir haben eine Raumanomalie entdeckt.«
Norian aktivierte ein Hologramm. Es zeigte eine Art Hypersturm.
Hyperstürme waren nichts Ungewöhnliches. Sie führten zu Verzerrungen
im Raum-Zeit-Kontinuum und sandten energetische Störstrahlungen aus.
Hyperphysikalische Geräte wie der Hyperfunk versagten oft ihren Dienst,
und die Ortung auf fünfdimensionaler Basis war in einer Hyperraumzone
erheblich eingeschränkt.
»Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, Captain?«
»Wir haben den Überlichtflug beendet und beobachten seitdem.«
»Seitdem? Wie lange ist es her, dass wir in den Hypersturm geraten sind?«
»Ungefähr…«
»Ich will eine exakte Auskunft, Captain da Norian!«
»Jawohl, meine Imperatrice. Wir gerieten exakt um 2:07 Uhr in die ersten
Ausläufer des Hyperraum-Sturms.«
Die Imperatrice Thora da Zoltral de la Siniestro – © Foto Povolen
Thora blickte auf ihr Chronometer. Es war 4:55 Uhr. Seit fast drei Stunden
harrte die KASTILIEN bereits in diesem Sektor aus.
»Und wieso wurde ich erst um 4:48 Uhr informiert?«
»Nun, wir wollten Sie nicht um Ihren wohlverdienten Schlaf bringen«,
verteidigte da Norian seine Entscheidung.
»Captain da Norian, sehe ich wie jemand aus, die ihren Schönheitsschlaf
braucht?«
Thora wanderte um das Hologramm herum. Sie zählte drei trichterförmige
Tryortan-Schlünde. Diese Schlünde konnten ein ganzes Super-
Schlachtschiff verschlingen.
»Außerdem, Captain da Norian, wurde in der Geschichte der Terraner
schon oft der Fehler begangen, wichtige Entscheidungen zu verschieben,
damit Herrscher sich ausschlafen konnten. Seien Sie versichert, dass Sie bei
mir keine falsche Rücksicht nehmen müssen.«
»Ich bin Arkonide, Imperatrice.«
Thora blickte den Kommandanten gleichmütig an.
»Sie sind Quarterialer in erster Linie. Mein Gemahl hat das Solare
Imperium und das Tai Ark’Tussan miteinander vereint. Er hat das geheime
Reich der Akonen hinzugefügt und das Handelsreich der Mehandor in den
heiligen Bund der Vier eingegliedert. Wir sind Menschen, wir sind
Lemurer, da wir alle von der Welt abstammen, die wir einst als Larsaaf III
bezeichneten und allgemeinhin als Terra bekannt ist. Benötigen Sie wirklich
um fünf Uhr morgens eine Geschichtsstunde, Captain da Norian?«
Thora sah, wie der Kommandant verkrampfte, und schlug einen
versöhnlichen Ton ein.
»Sie haben den Überlichtflug beendet. Das war umsichtig von Ihnen.«
Flüge durch den Hyperraum im Wirkungsbereich eines Hypersturms
waren extrem gefährlich. Thora verschaffte sich auf der dreidimensionalen
Karte einen Überblick. Die Hyperstürme wüteten bei Alpha Centauri.
Tryortan-Schlünde fegten im Leerraum umher. Woher kam diese Anomalie?
Sie lag für ihren Geschmack viel zu dicht am Zentrum der Macht dem
Solsystem.
Ihr Flottenverband lag etwa zwei Millionen Kilometer hinter der
KASTILIEN. Es waren zehn Einheiten vom Typ Supremo-D.
Sie erschrak, ließ sich jedoch ihre Überraschung nicht anmerken. Auf der
Holokarte waren mehrere fremde Raumschiffe zu erkennen. Einige
verschwanden urplötzlich.
»Bringen Sie uns näher heran!«, befahl sie.
»Aber, Imperatrice, die Sicherheit des Schiffes«, wandte Captain da
Norian ein.
Sie blickte ihn an.
»Das war keine Bitte!«
Der Arkonide mit den kurzen Haaren seufzte und gab den Befehl an die
Navigationsabteilung weiter.
»Teleskope ausrichten. Ich will wissen, wer das ist.«
Die KASTILIEN näherte sich einem der fremden Schiffe bis auf hundert
Millionen Kilometer. Die Teleskopkameras erfassten das unbekannte
Flugobjekt und lieferten ein dreidimensionales Bild in die Zentrale.
Thora öffnete den Mund halb und legte ihre Hand an das Kinn. Das tat sie
oft, wenn sie grübelte. Sie spürte ihren Herzschlag deutlich. Er raste, doch
nach außen blieb sie unnahbar. Sie sah einen Kugelraumer mit einem
Durchmesser von 2.300 Metern. Es war ein großes Raumschiff,
vergleichbar mit einem Supremo Typ B. Doch der Name des Schiffes ließ
ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Die Crew um sie herum
fing an zu murmeln. Sie tuschelten.
»Ruhe«, rief da Norian sie zur Ordnung. »Wie kann das sein? Ein
Geschenk des Emperador zu Euren Ehren?«
»Nein …«
Thora fühlte sich in ihren Kurztraum vom Morgen zurückversetzt. Es war
wohl kein Traum gewesen, sondern eine Vision, eine Art unerklärlicher
Vorbote, denn der Name des Raumschiffes war … THORA.
»Sollen wir näher heran?«
Thora dachte über da Norians Vorschlag nach, doch er erschien ihr nicht
sinnvoll. Natürlich wollte sie am liebsten ein Enterkommando an Bord der
THORA schicken, doch nicht nur ihr Extrasinn riet ihr davon ab. In ihrem
Traum war die THORA explodiert und hatte alle mit ins Verderben
gerissen.
Die KASTILIEN befand sich nun vollständig in der Temporalen
Anomalie. Die Hyperstürme wüteten um sie herum. Vor der THORA baute
sich ein Tryortan-Schlund auf. Blaue Schlieren zogen an der Außenhülle
des fremden Raumschiffes entlang, gleich darauf entstand dahinter ein
weiterer Tryortan-Schlund. Die THORA schlingerte durch den Weltraum
dann brach sie auseinander. Die Wrackteile wurden in die Schlünde
gezogen, ehe diese urplötzlich verschwanden.
Sie hatte recht daran getan, sich dem Schiff nicht zu nähern.
»Stellen Sie Kontakt zur Erde her. Das Oberkommando muss informiert
werden«. Thora blickte auf die Karte. Es waren weitere Schiffe zu sehen,
die konstant blieben und nicht nach einigen Momenten wieder
verschwanden.
»Wir erreichen auf Terra niemanden«, meldete die Funkleitoffizierin, eine
Zaliterin namens Deria Perron.
»Sind Sie nicht einmal in der Lage, jemand anzurufen, Leutnant?«
Thora war wütend und ging zum Funkleitstand. Sie schob die Frau zur
Seite und stellte selbst eine Verbindung her, doch niemand antwortete. Für
einen kurzen Moment wirkte sie ratlos.
»Diese Anomalie wird jegliche Außenkommunikation blockieren«,
vermutete Captain da Norian. Thora straffte sich.
»Wir verharren erst einmal in dieser Position, solange uns keine
unmittelbare Gefahr durch Vibad-Klüfte droht.«
Thora trank einen weiteren Kaffee. Seit dreißig Minuten hielten die
KASTILIEN und ihre zehn Begleitschiffe Position und waren von
auftauchenden Vibad-Klüften verschont geblieben. Sie hatte die fremden
Schiffe genau beobachtet.
Das größte Schiff war kegelförmig, mit einer Mantellinie von 3.162
Metern. Um dieses Ungetüm immerhin doppelt so groß wie ihre
KASTILIEN kreiste ein adlerförmiges Raumschiff mit einer Länge von
300 Metern und einer Flügelspannweite von 500 Metern.
Etwa 125.000 Kilometer entfernt trieb das dritte Raumschiff. Es war
diskusförmig, mit einem Durchmesser von 2.000 Metern. Es war schwer
beschädigt, wie Ortungen ergeben hatten. Sowohl das diskusförmige Schiff
als auch das Kegelschiff umgab eine blaue Aura. Das Adlerraumschiff hielt
sich in dessen Wirkungskreis auf.
Eine Kommunikation nach Terra war nicht möglich. Vielleicht
funktionierte der Funk jedoch innerhalb der Anomalie. Sie nickte der
Zaliterin in der Funkleitzentrale zu. Leutnant Deria Perron bestätigte kurz,
dann begann Thora: »An die fremden Raumschiffe: Hier spricht Imperatrice
Thora da Zoltral de la Siniestro, Kaiserin des Quarteriums. Identifizieren
Sie sich unverzüglich.«
Stille.
»Ich wiederhole mich nur ungern. Identifizieren Sie sich! Andernfalls
werden wir Ihre Raumschiffe als feindlich betrachten und Maßnahmen
einleiten.«
Thora hasste es, ignoriert zu werden. Wie konnten diese Barbaren es
wagen? Sie war Imperatorin von Arkon, von Terra, von der gesamten
Milchstraße! Sie beherrschte Billionen an Lebewesen, und diese Wilden
ignorierten sie einfach. Am liebsten hätte sie sofort den Feuerbefehl
gegeben, doch ihr Extrasinn mahnte sie zur Umsicht. Vielleicht waren die
Funkanlagen auf den fremden Schiffen gestört?
Das war abwegig. Diese Raumschiffe trotzten offenbar den Gewalten der
Anomalie und sollten nicht in der Lage sein, Funksprüche zu empfangen
oder zu senden? Sie wollten nicht mit ihr reden. Thora stufte die drei
Raumschiffe als Gefahr für das Quarterium ein. Möglicherweise waren sie
die Urheber der Temporalen Anomalie von Alpha Centauri.
»Informieren Sie den Flottenverband. Wir werden diese fremden Schiffe
genauer untersuchen. Steuern Sie die KASTILIEN auf das beschädigte
Raumschiff.«
»Aber…,« wandte da Norian ein, »sollten wir nicht vielleicht das Ende
der Anomalie abwarten?«
»Und riskieren, dass diese fremden Invasoren im Schutz der Anomalie
fliehen?« Sie wandte sich an den Arkoniden. »Nur 4,3 Lichtjahre von
unserer Zentralwelt taucht eine Gefahr auf und Sie ziehen es vor, die
Angelegenheit auszusitzen?«
Hergox da Norian rang mit sich selbst. Thora wusste, was in ihm vorging.
Wie weit durfte er der Imperatrice widersprechen? War es für ihn günstiger,
sich devot und einsichtig zu geben oder sollte er trotzig auftreten? Sie
hasste diese Berechenbarkeit einiger ihrer Offiziere. Da Norian war zu
zögerlich. Deshalb war er auch nur Befehlshaber eines Transportschiffes,
denn mehr stellte die KASTILIEN eigentlich nicht dar. Der Raumer
begleitete Honoratioren von A nach B und wurde nicht bei Gefechten
eingesetzt.
»Ich bin bereit, mein Leben für das Quarterium zu geben. Allerdings
sollten wir es nicht sinnlos wegwerfen. Ich rate zu weiteren
Beobachtungen.«
Der Captain salutierte vor Thora. Sie deutete ein Lächeln an.
»Ich nehme Ihre Einwände zur Kenntnis. Sofern Sie sich Manns genug
fühlen, erteilen Sie den Befehl, auf das diskusförmige Raumschiff
zuzusteuern. Oder soll ich Ihnen das abnehmen? Wünschen Sie, freigestellt
zu werden?«
Der Arkonide verkrampfte und öffnete den Mund. Er starrte in Thoras
Augen und konnte ihrem Blick beträchtlich lange standhalten.
»Navigator Blackthorne, Sie haben die Imperatrice gehört. Setzen Sie
Kurs. Schutzschirme aktivieren, Alarmstufe Rot. Enterkommando
bereithalten. Der Verband soll uns in Keilformation folgen.«
Der dunkelhaarige Terraner mit dem braunen Vollbart bestätigte den
Befehl.
Die Supremo-Kampfschiffe schlossen auf. Die KASTILIEN bildete die
Spitze des Keils. Doch plötzlich bildeten sich in 100.000 Kilometern
Entfernung zwei Tryortan-Schlünde. Es wurden dann vier, acht, zwölf.
»Maschinen stopp«, rief da Norian.
Diesmal widersprach ihm Thora nicht. Sie waren umringt von Schlünden,
Klüften und Hyperstürmen, die den Verband regelrecht einkesselten. Der
erste Supremo wurde zwischen zwei Vibad-Klüften auseinandergerissen.
Ein anderer verschwand, als eine rote Schliere seinen Flug kreuzte.
Das blaue Leuchten, wisperte der Extrasinn.
Thora richtete ihren Blick auf die blaue Sphäre, die die fremden Schiffe
umgab. Waren sie deshalb vor den Turbulenzen sicher oder war es nur
Zufall? Sie mussten dorthin. Instinktiv wandte sie sich an Blackthorne.
»Zu dem fremden Schiff. Beeilen Sie sich!«
Vor ihnen schien das Universum regelrecht zu zerreißen. Aus einem
Aufriss strömten Dutzende Kugelraumer, Walzenraumer der Springer und
Kampfkreuzer der Topsider. Einige verschwanden gleich wieder, andere
blieben.
»Ausweichmanöver«, rief Thora und krallte sich an der Rückenlehne ihres
Kommandosessels fest schon längst stand sie vor Aufregung. Dann
materialisierte nur wenige hundert Kilometer vor ihnen ein 100 Meter
durchmessender Kugelraumer. Thora sah nur den Namen, der in Englisch
auf der Außenhülle stand: BURMA. Es war zu spät, sie würden kollidieren.
Thora legte ihren Ellbogen vors Gesicht. Sie spürte einen stechenden
Schmerz im Kopf, und dann wurde es schwarz.
Der See im Wald
Aurec stürzte. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Unsanft fiel er auf den
Waldboden und rollte den Abhang hinunter, vorbei an hohen, starken
Bäumen, prallte gegen Geäst und einen Baumstumpf, ehe die Schräge
langsam abflachte und er Halt fand.
Er atmete tief und schwer, Arme und Beine schmerzten. Wo war er? Er
war von großen Birken mit grünen Blättern umringt. Der Wald war dicht
und dunkel, aber warm. Es war nicht tropisch, doch definitiv herrschte auch
kein Winter.
Ächzend stand er auf, fasste sich an den schmerzenden linken Arm. Etwas
musste ihn gestreift haben, denn der Ärmel war eingerissen und der Arm
blutete etwas. Aurec sah sich um. Wo war der Kosmogene Segler?
Der Saggittone hob den linken Arm und betrachtete sein Multicom. Es
funktionierte, doch eine Verbindung zum Segler konnte er nicht herstellen.
Weder zur Positronik noch zum Posbihund Bencho, diesem treuen, kleinen
biologisch-positronischen Hund, der einer marsianischen Bulldogge
nachempfunden war.
Er erinnerte sich an die letzten Ereignisse. Nachdem er die Tiefe des
Chaos durch einen Anker verlassen hatte, war er im Alpha-Centauri-System
in der Milchstraße aufgetaucht. Bis dahin war alles planmäßig verlaufen.
Die STERNENMEER war dort gewesen und auch die Solare Residenz.
Dann war alles förmlich ins Chaos gestürzt, Aurecs Segler war von einer
temporalen Schliere erfasst worden, und dann purzelte er wie und warum
auch immer – einen Abhang hinunter.
Er stapfte durch das Dickicht. Der Boden war braun durch Erde, Laub,
Kastanien und anderen Pflanzenresten.
Zwischen den Baumstämmen erkannte er etwas Blaues. Einen See? Er
ging darauf zu, und je näher er kam, desto klarer waren die Umrisse eines
Gewässers zu erkennen. Der See war von dichtem, grünem Wald umgeben.
Aurec ging näher ans Ufer. Der See war vielleicht zwei Kilometer lang
jedenfalls konnte er mühelos bis ans andere Ende blicken. Es gab keinen
Strand. Am Ufer wuchs Gras.
Aurec setzte sich auf einen umgefallenen Baumstamm und betrachtete das
Wasser. Der See war ruhig, ab und zu bildeten sich feine, kreisförmige
Wellen, die vermutlich von Fischen verursacht wurden. Wolken und Bäume
spiegelten sich im Gewässer.
An einigen Stellen schimmerte das Wasser rötlich, als wäre es mit Blut
getränkt. Schwamm dort ein Tierkadaver? Er stand wieder auf. Es war
nichts zu erkennen. Dann vernahm Aurec leise, dumpfe, bedrohliche
Glockenschläge. Sie kamen aus dem See. Ihm lief ein Schauer über den
Rücken.
Wo war er nur?
Er ging am Ufer entlang und erkannte auf der gegenüber liegenden Seite
auf einer Anhöhe ein Haus. Immerhin ein Anzeichen von Zivilisation.
Das Multicom besaß eine Ortung für einen Umkreis von etwa fünf
Kilometern, ein eingebautes Interkom sowie diverse Applikationen für die
Umweltanalyse. Außerdem war es mit einem Translator ausgestattet. Aurec
überprüfte die Ausrüstung an seinem Kombigürtel, der mehr als nur die
Hose hielt. Am Holster hingen ein Multifunktionsstrahler, eine kleine Box
mit Nahrungsmitteln, eine kleine Flasche Wasser, sowie eine medizinische
Notfallversorgung. Er war ausgerüstet, um vielleicht einen Tag versorgt zu
werden. Reichte das aus? Möglicherweise bot sich die Möglichkeit, das
Wasser aus dem See abzukochen und zu trinken, oder es gab Bewohner in
dem Haus.
Er ging in die Richtung des Gebäudes auf der Anhöhe, als er aus dem
Wald heraus ein Knacken hörte. Aurec hielt sofort inne. Er aktivierte die
Ortung seines Multicoms, da spürte er einen spitzen Gegenstand an seinem
Rücken.
Aurec am See © Gaby Hylla
Jemand sagte etwas mit einer dunklen Stimme, doch Aurec kannte die
Sprache nicht. Er hob die Hände, drehte sich vorsichtig um und blickte in
das jugendliche Gesicht eines Menschen von mittlerer Statur, mit braunem
Haar, blauen Augen, die etwas schief blickten, und langer, spitzer Nase. Das
Gesicht war schmal und das Kinn spitz. Die Kleidung des Mannes war
schmutzig. Sie bestand aus Wolle und Leinen. Er trug eine Kombination aus
einem weißgelben Unterhemd mit langen Ärmeln, braunen Kniehosen,
dreckigen, ehemals weißen Kniestrümpfen und knöchellangen, braunen
Stiefel. Der Mann richtete die Klinge eines Degens auf ihn.
Aurec vermutete aufgrund der Erscheinung des Mannes, dass er die
Wahrheit über den saggittonischen Raumfahrer nicht verstehen würde.
Vermutlich gehörte der Mann einer Zivilisation an, die technologisch und
gesellschaftlich noch weit von Raumfahrern entfernt war.
Aufgrund der Erscheinung des Mannes schloss Aurec aus, dass die
Zivilisation technologisch und gesellschaftlich auf einem Niveau war, um
dem Fremden seine Situation zu erklären.
Wieder fragte der bewaffnete Streuner etwas, doch Aurec verstand nichts
davon. Er deutete auf sein Multikom, wich zwei Schritte zurück und
aktivierte den Translator. Der Unbekannte hatte Angst, das war seinem
zögerlichen Handeln und dem wenig einschüchternden Fuchteln mit dem
Degen zu entnehmen. Wieder fragte er etwas, und der Translator
identifizierte es als Deutsch, eine Sprache, die auf Terra gesprochen wurde.
»… Teufelszeug. Du bist ein Zauberer
Aurec konnte kein Deutsch, er konnte Interkosmo und hatte während der
Zeit des Chaos Englisch gelernt. Einer der Mister-Terrapedia-Roboter hatte
viel Zeit gehabt, so wie der Saggittone selbst. Aurec steckte den Translator
weg, da das Gerät den Menschen erschreckte. Er versuchte es stattdessen
selbst auf Englisch und grüßte. Der Mann zuckte zusammen und rief.
»Johann, Hans-Peter! Kommt schnellen Schrittes herbei.«
Aus dem dunklen Wald kamen zwei weitere Männer. Der eine war dünn,
mit einem schmalen, mageren Gesicht, kurzem dunklem Kraushaar und
einer großen Nase. Er trug einen scharf geschnittenen Bart und hatte starke
Wangenknochen. Als er näher kam, sah Aurec die dunklen Augen und eine
Vielzahl an Narben.
Der andere Mann war groß und von kräftigem Körperbau. Das Gesicht
war glatt, die tiefliegenden Augen hellblau. Das Haar dunkelbraun, der
Backenbart rötlich. Im Kinn hatte er ein tiefes Grübchen.
»W hast du uns denn gefangen, Andreas?«, fragte der Dünne.
»Der Manne ist ein Engländer, Johann! Der spricht Englisch oder eine
Sprache dergleichen.«
Der Große faltete die Hände und sprach: »Wenn dat en Mann ut Översee
wesen schall, so woll mööglich en Deserteur vun de Kroon oder sogaar en
Spion vun de Kolonisten.«
Aurec blickte auf den Translator, doch ihm wurde nichts angezeigt. Er
ergriff die Initiative.
»Wohlan, edle Herren, ich wurde überfallen und von meinem Gefährt
getrennt. Ich trage nichts weiter bei mir, als das, was ich am Leibe habe. So
sagt mir denn, wo befinde ich mich?«
Sie starrten einander fragend an. Offenbar konnte keiner von ihnen
Englisch sprechen.
Der Junge deutete mit dem Degen auf Aurecs Multicom.
»Dieses Armband dort hat er bestimmt von einem Dämon erhalten.«
Aurec deaktivierte das Multikom und zog den Ärmel darüber, doch der
Kräftige packte Aurecs Arm und streifte das Gerät ab.
»En snaakschen Armriep.«
Er steckte das Multikom in seine Leinentasche.
»He kann uns nich verstahn«, meinte der Große und zuckte mit den
Schultern. Sie fesselten ihn mit einem Strick und brachten ihn vom Ufer
fort in den dunklen Wald.
Während des unfreiwilligen Spaziergangs hatte Aurec genug Zeit, auch
die beiden zu betrachten. Der Dünne hieß Johann und trug eine blaue Jacke,
die bis zu den Knien ging. Darunter eine rote Weste. Die Hosen waren gelb,
die kniehohen Stiefel dunkel. Auf dem Kopf trug er einen Dreispitz mit
einer Feder. Die Kleidung wirkte ärmlich.
Der Große hieß demnach Hans-Peter. Auch seine Kleidung war
abgetragen. Ein Schlapphut auf dem Kopf, ein dunkelgrünes Hemd,
schwarze Kniehosen und verdreckte Kniestrümpfe rundeten das
Erscheinungsbild ab.
Sie sprachen Deutsch, demnach musste Aurec auf der Erde sein oder auf
einer terranischen Kolonialwelt. In beiden Fällen sollten sie nicht so
erstaunt über sein Multikom sein wenn er in seiner Gegenwart war. Es sei
denn, sie waren degeneriert.
Wenn er doch nur mit ihnen reden könnte. Der Translator würde sie aber
sicherlich überfordern. Der Junge hatte ihn als Teufelszeug bezeichnet.
Nun, falls sich Aurec auf der Erde befand, dann sicherlich nicht im Jahre
2046 NGZ. Terra befand sich seit Jahrhunderten nicht mehr in der
Milchstraße, und er bezweifelte, dass die Temporale Anomalie ihn sowohl
in Raum als auch in Zeit versetzt hatte. Vielmehr vermutete der Saggittone,
in die Vergangenheit geschleudert worden zu sein.
Sie erreichten ein kärgliches Lager mit einem Zelt und jede Menge Kisten
und zwei Truhen drumherum. Über einer erloschenen Feuerstelle hing ein
Topf. Steine markierten den runden Kochplatz. Dahinter lagen große
Baumstämme, die wohl als Sitzplätze gedacht waren. Der Große schubste
Aurec zu Boden. Er ging auf die Knie und lehnte sich dann an einen Baum.
Der Schmale, Hans-Joachim, der auch älter war als sein Begleiter, nahm
Aurec unsanft den Gürtel ab und wühlte in der Brusttasche. Er griff nach
dem Holostick. Glücklicherweise aktivierte er ihn nicht. Der Große, Hans-
Peter, sah sich interessiert den MHV-Strahler an.
»Welch ungewöhnliche Pistole«, sagte er und wog sie in den kräftigen
Händen ab. Er konnte damit keinen Schaden anrichten, denn sie war auf
Aurecs Individualimpulse eingestellt. Am Knauf der Waffe befanden sich
Sensoren, die Aurecs Signatur erfassten und sie freigaben. Hans-Joachim
verließ das Lager. Die beiden untersuchten mit größter Vorsicht den
Multikom. Der Jüngere mied das Gerät, sah es vermutlich weiterhin als
Werk des Teufels an.
Links von sich sah Aurec eine Bewegung im Gebüsch. Was auch immer
da war, es war schnell und gleich wieder aus seinem Blickfeld
verschwunden. Vielleicht war es ein Hase oder gar ein Reh. Dann spürte er
etwas Weiches an seinen gefesselten Händen, es folgte die feuchte Zunge
des Posbihundes. Bencho war hier! Kluges Tier. Oder Robotertier. Er war
ruhig und unauffällig. Aurec fiel ein Stein vom Herzen. Er rutschte so leise
es ging etwas vom Baum weg, so dass der Hund hinter ihn konnte. Dann
begann Bencho auch schon, die Fesseln abzuknabbern. Aurec behielt die
beiden Wegelagerer im Auge, die über sein Multikom diskutierten. Der
Strahler lag nahe bei ihm auf einem Holzstamm. Er spürte, wie sich der
Strick von den Handgelenken löste. Dann sprang er auf, eilte zum Stamm
und nahm den Strahler an sich. Die beiden Männer erschraken. Der Jüngere
zog seinen Degen, hielt aber Abstand. Der Große zückte ein Messer.
Aurec richtete den Strahler auf sie. Er wollte nicht schießen, doch wie
sollte er ihnen das mitteilen? Er deutete auf das Multikom und wies die
beiden mit einer unmissverständlichen Geste an, ihm das Gerät zu
überreichen. Der Große verstand und warf es vor Aurecs Füße. Bencho
schnappte sich das Gerät, nahm es ins breite Maul und brachte es ihm. Ohne
den Blick von den zwei Terranern abzuwenden, ging Aurec in die Knie und
streifte das Gerät um seinen linken Unterarm, wobei er für wenige
Sekunden den Strahler gesenkt hielt, um die das Band zu befestigen. Der
Große setzte sich in Bewegung, doch da war Aurec schon fertig und richtete
wieder den Strahler auf ihn. Er deutete beiden an, sich hinzusetzen.
Nachdem sie seinem Befehl Folge geleistet hatten, sagte er ins Multikom:
»Ich benötige eine Hypnoschulung für die deutsche Sprache.«
Dann zog er ein Verbindungsteil aus dem Multikom und legte es sich an
die Schläfe. Schon jetzt dachten sie, er sei ein Zauberer, und Aurec wusste,
dass das in primitiveren Gesellschaften schnell mit dem Tod des
Beschuldigten enden konnte. Er wusste nicht genau, wo und wann er sich
befand, doch wollte er kein Risiko eingehen.
Die Schulung begann, und er musste sich konzentrieren. Normalerweise
wurde eine Hypnoschulung in der Ruhephase durchgeführt, doch er konnte
seine Entführer nicht aus den Augen lassen.
»Achtung«, sagte er zu Bencho. Der Posbihund setzte sich vor die beiden
Männer und knurrte bedrohlich. Bencho würde Laut geben, sofern sie sich
bewegen würden. Aurec driftete mit den Gedanken ins Leere ab,
konzentrierte sich auf die Schulung und die Sprache. Nach einigen Minuten
wurde er jedoch von dem zurückkehrenden dritten Mann unterbrochen.
Hans-Joachim trug drei Fische an einer Leine bei sich, die er wohl frisch
gefangen hatte. Aurec zielte mit dem Strahler auf ihn.
»Gesellen Sie sich zu Ihren Begleitern«, sagte er auf Deutsch und war
verzückt, dass die Schulung Erfolge zeigte. Der Mann legte die Fische auf
einen Baumstumpf und kniete sich neben die zwei anderen hin. Bencho
knurrte warnend.
»Deine Pistole vermag nur einen Schuss abzugeben. Bis Ihr nachladen
wollt, hat Euch einer von uns bereits überwältigt«, sagte der Fischer.
»Ich würde nicht darauf wetten. Das ist eine moderne Pistole aus Übersee.
Und selbst falls Ihr im Recht seid, wer ist bereit, den ersten Schuss
abzufangen?«
Die Waffe konnte Hunderte Schuss am Stück abfeuern, doch das
brauchten die drei Männer nicht zu wissen.
»Und nun, meine Herren, sagt mir, wer ihr seid.«
Aurec setzte sich nun auch auf einen Baumstumpf. »Und wo wir hier
sind.« Nach dem Wann wollte er nicht direkt fragen.
Als erstes erhob sich der Große mit dem rötlichen Backenbart und faltete
die Hände.
»Ik bün de Hans-Peter Lübcken ut dat schöön Dammloos. Ik bün
Daglöhner to Grömitz.«
Aurec verstand nicht so recht, der Dialekt war zu stark.
Nun stand der Fischer auf.
»Ich bin Freese, Hans-Joachim, aus Neustadt. Ich bin Händler
»Aber nur mit Diebesgut«, ergänzte der Jüngere voller Spott.
»Und Ihr dort?«, wollte Aurec von dem Jüngsten der drei Männer wissen.
»Johann Andreas Grutter ist mein Name. Ich bin Schuster aus Neustadt
und … handele ebenso wie der werte Herr Freese.«
Freese lachte.
Aurec hielt die drei für Verbrecher. Vermutlich keine Schwerverbrecher,
aber sie standen offensichtlich nicht auf der Seite des Rechts. Die beiden
Truhen am Rande des Lagers hatten nun eine andere Bedeutung für ihn.
Offenbar waren sie Diebe oder Schmuggler und versuchten nun, das illegale
Gut zu verkaufen.
Sie hatten die Ortschaften Neustadt und Grömitz erwähnt. Aurec hatte
keine Ahnung, wo die lagen.
Er musste zum Kosmogenen Segler. Immerhin war Bencho bei ihm, und
mit seiner Hilfe würde er sein Raumschiff schon wiederfinden.
Was sollte er aber mit den drei Kriminellen machen? Er konnte sie
schlecht der Polizei übergeben, denn er wollte weitere Interaktionen
verhindern, ehe er nicht ganz genau wusste, ob er wirklich auf der Erde war
und in welcher Zeit er sich befand.
Plötzlich ertönten Glocken aus Richtung des Sees.
»Gibt es eine Kirche in der Nähe?«, wollte Aurec wissen.
»Nein«, sagte Freese mit zitternder Stimme.
»De verfleegte un smeeken Fro ut ’n See«, ergänzte Lübcken.
Irgendwas mit See hatte Aurec verstanden. Er blickte die drei ratlos an.
»Die Hexe«, flüsterte Grutter. »Sie wird uns alle holen.«
»Erzählt mir mehr«, forderte Aurec sie auf.
»Ihr kennt die Geschichte nicht, Herr? Vor vielen, vielen, vielen Jahren
stand dort eine Burg.«
Freese zeigte auf den Hügel, auf dem Aurec das Haus gesehen hatte.
»Dort wohnte ein adeliger, feiner Ritter. Er war gutaussehend und von
wildem Gemüt. Er ging jeden Tag auf die Jagd in genau diesem Walde. Und
dort traf er auf die Tochter eines armen Bauern, die ihre zwei Kühe auf die
Koppel trieb. Sie stammte aus Sielbeck und war von unschuldiger Anmut
und Schönheit«, erklärte Freese.
Grutter kicherte. Ob er sich die Frau vorstellte?
»Der Ritter war von heftiger Liebe entzündet und machte der
Bauerntochter den Hof. Aber diese wies sein Bitten und seine Geschenke
ab. Sie wusste, dass sie von niederer Herkunft war und niemals die Gattin
eines Ritters werden würde. Doch der Ritter führte sie zur Kapelle am Fuße
des Hügels und gelobte ihr am Altar feierlich, sie zur Ehefrau zu nehmen,
und der Himmel möge über ihm einstürzen und diese Stätte vernichten,
sollte er nicht Wort halten. Das Bauernmädchen hatte ihn lieb gewonnen
und schenkte seinem Schwüren Glauben. Fortan trafen sie sich jeden Tag
im Wald.
Doch als das junge Mädchen den edlen Ritter an sein Versprechen
erinnerte, da begann er sie zu vertrösteten. Sie trafen sich weniger, und
schließlich kam er gar nicht mehr zur Kapelle.
Das Mädchen begriff und sah sich verlassen. Sie legte ein Kleid an, ganz
in Schwarz wie eine Witwe. Sie grämte sich Tag und Nacht. So ward sie
krank und verschied binnen kurzer Zeit an gebrochenem Herzen.
Der Ritter lebte unterdessen sein wildes Leben weiter und hatte die
Verlobung mit einer reichen Gräfin verkündet. Der Hochzeitstag ward
festgelegt, und der Ort der feierlichen Zeremonie sollte ausgerechnet jene
Kapelle im Walde hier sein, an dem sich der Ritter und die Bauerntochter
Liebe und Treue geschworen hatten. Bevor Braut und Bräutigam vor Gott
ihr Gelöbnis ablegten, erschien der Geist des Bauernmädchens und machte
Anstalten, den Verführer zu umarmen. Der Ritter sank in die Arme des
Todes, und Sturm und Unwetter brachen los. Es regnete und donnerte, als
würde der Himmel einstürzen. Der Wolkenbruch löste einen Erdrutsch aus.
Er riss die gesamte Kapelle samt den Gästen in die Tiefe und füllte das Tal
mit Wasser. Einzig ein unschuldiges Kind, der Prediger und die Braut
überlebten den Zorn der verschmähten Bauerntochter. Alles andere liegt
noch heute unter den Wassermassen des Ukleisees begraben. Manches Mal
schimmert der See rot, und die Leute sagen, die Schwarze Frau fordert
ihren Tribut. Es heißt, man hält sich besser fern vom Ufer, wenn die
Glocken aus dem Wasser erklingen.«
Freese blickte Aurec verheißungsvoll an. Aurec dachte an vorhin zurück,
als der See tatsächlich rötlich geleuchtet und er dunkel klingende
Glockenschläge vernommen hatte, die aus dem See zu kommen schienen.
Aber er hatte auch eine Konkrete Information erhalten. Er wusste nun,
dass sie sich am Ukleisee befanden. Allerdings hatte er keine Ahnung, wo
das war. Bencho knurrte und drehte sich um. Da spürte Aurec schon einen
Schmerz im Nacken, und es wurde ihm schwarz vor Augen.
Der Berliner Reporter
West-Berlin 1971
»Deene Currywurst uff Pappe mit Schrippe.«
»Was?«
»Na, die Currywurst, Olaf! Ist fertig. Träumste wieder, wat?«
Ich blickte in das alte Gesicht der Imbissfrau Mira. Sie war eine
liebenswürdige ältere Dame, die bestimmt schon die Inthronisierung von
Kaiser Wilhelm miterlebt hatte. Der wohlige Duft der markanten und
scharfen Soße, eine Mischung aus Ketchup und Curry, stieg mir in die
Nase. Jetzt begriff ich, dass ich an dem Imbisswagen eine Currywurst
bestellt hatte. In Gedanken muss ich ganz woanders gewesen sein.
Ja, ja, wie immer ist der feine Herr mit seinen Gedanken woanders.
Ich verwünschte meine innere Stimme. Oder besser gesagt Harry, mein
anderes Ich. Er nervte mit seinen zynischen Einwürfen. Doch offiziell
existierte Harry nicht, sonst würde ich schnell in der Klapse landen.
Aus dem Radio dudelte der Song »Chirpy Chirpy Cheep Cheep« von der
Band Middle of the Road. Ich hätte lieber was von Led Zeppelin gehört,
doch das war immerhin noch besser als Roy Black oder Heintje. Es war mir
peinlich, aber ich wusste auf Anhieb nicht, welcher Tag heute war und was
ich hier überhaupt machte. Ich kramte in meiner Hosentasche und fand
Hartgeld. Dann suchte ich die Preistafel.
»Det macht eene Mark zwanzsch«, sagte Mira und lachte. »Du bist heute
besonders meschugge. Haste einen vor den Deez bekommen?«
Nicht erst heute, kommentierte Harry in meinen Gedanken.
Ich legte ihr das Geld auf den Tresen. Dann nahm ich die Schale mit der
klein geschnittenen Currywurst in der roten Sauce und das dazugehörige
Brötchen.
»Vielen Dank. Schönen Tag noch.«
Ich hielt inne und drehte mich um. Scharfes Zeug ohne etwas zum
Runterspülen war eine schlechte Idee.
»Eine Cola bitte noch.«
»Dachte ich mir doch …«
Sie reichte mir die kleine Flasche. Ich nahm sie, legte fünfzig Pfennig hin
und war nun versorgt.
Ich ließ Mira in ihrem Imbisswagen zurück. Wo war ich überhaupt? Ich
sah fünfstöckige Häuser und jede Menge Autos, die in Blechlawinen die
Straße entlangrollten. Der Himmel war bewölkt und es waren um die 20
Grad. Ich blieb an einer Litfaßsäule stehen und betrachtete das Werbeplakat
für ein Fußballspiel zwischen Hertha BSC Berlin und Arminia Bielefeld im
Olympiastation. Es war der 34. Spieltag der Bundesliga, und nun hatte ich
auch endlich ein Datum.
Die Begegnung würde morgen, am Samstag, 5. Juni 1971, stattfinden.
Ich befand mich in Berlin. Genauer gesagt in West-Berlin.
Beruhigend, dass du jetzt weißt, wo und wann du bist, warf Harry ein.
Gehen wir jetzt endlich nach Hause, oder weißt du auch nicht, wo wir
wohnen? Und iss deine Currywurst, bevor sie kalt wird.
Ich blickte auf die Pappschale mit der Currywurst. Harry hatte recht. Ich
stach mit dem Piecker hinein und vertilgte die leckere Wurst so hastig, als
hätte ich Angst, jemand würde um die Ecke springen und sie mir klauen.
Oder der Ostblock startet eine Invasion.
Olaf Peterson isst eine Currywurst © Gaby Hylla
Das würde sicher nicht so schnell passieren. Obwohl die Situation zwischen
dem Ostblock, dem Westblock und der Asiatischen Föderation angespannt
war, nachdem die Mondfähre der Sowjets auf dem Mond abgestürzt war.
Das Wettrennen zum Mond befand sich auf dem Höhepunkt. Die US-
Space-Force würde in zwei Wochen die STARDUST zum Mond schicken.
Wie hieß der Pilot noch einmal?
Michael Freyt, rief Harry mir in Erinnerung.
Oh ja, er hatte recht. Wie so oft.
Der Co-Pilot hieß Rod Nyssen. Doktor Eric Manoli war für die
Gesundheit verantwortlich. Der vierte Astronaut hieß Clark G. Flipper. Die
vier wurden von der Presse als die Musketiere der US-Space-Force
hochstilisiert.
Ich dachte jetzt wieder an die Bundesliga. Da war ja was. Hertha gegen
Bielefeld. Hertha würde auf jeden Fall als Dritter die Bundesligasaison
beenden. Da durften sie sogar gegen Bielefeld verlieren, auch wenn das
nicht unbedingt dufte wäre. Eintracht Braunschweig würde selbst bei einem
Sieg gegen Rot-Weiß Oberhausen die alte Dame nicht mehr überholen
können. Der Hauptstadtfußball war in der nächsten Saison international,
und wir durften im neuen UEFA-Pokal mitspielen.
Doch eine Niederlage gegen Braun schweig, ich meinte Bielefeld ach
was, das klang sowieso wie dasselbe würde nicht mit rechten Dingen
zugehen. Da müssten schon die Spieler bestochen werden. Jedenfalls waren
die Blau-Weißen auf einem Höhenflug.
Fiffi Kronsbein würde es schon richten mit der Hertha.
Ob dieser Freyt und seine Crew auch so einen Höhenflug auf dem Weg
zum Mond hatten? Oder würden sie wie die Sowjets auf dem Mond
abstürzen und sterben?
Wo zum Teufel befand ich mich und wo musste ich hin?
Suche doch einmal in deiner Brieftasche nach deinem Personalausweis.
Dort steht vermutlich deine Adresse. Es sei denn, du trägst ein Halsband
mit der Aufschrift »abzugeben in …«
Harry konnte manchmal so ätzend sein.
Ich holte meine Brieftasche aus der linken Hosentasche der Bluejeans.
Meinen Namen kannte ich ja nun. Ah, Steinstraße in 1 Berlin 49
Lichtenrade. Ich fand auch einen Schlüssel, auf dem Haus 1, Whg. 61 stand.
Jetzt lass uns mal ganz angestrengt darüber nachdenken, wo du wohnst.
Oder bist du vielleicht ein roter Volksgenosse aus der Deutschen
Demokratischen Republik und das ist nur deine Tarnung?
»Quatsch«, murmelte ich. »Ich bin kein Kommunist. Auch wenn ich
schizophren bin und du in mir wohnst, lieber Harry. Aber Spione der DDR
sind wir nicht. – Sind wir doch nicht, oder?«
Nein, das wüsste ich vermutlich.
Zufrieden nahm ich den letzten Bissen der Currywurst und spülte sie mit
dem Rest Cola runter.
Ich ging die Straße weiter, bis ich an eine S-Bahn-Station kam. Jetzt
wusste ich auch, wo ich war. Das hier war die Yorckstraße in Neukölln.
Gut, ich musste nach Lichtenrade.
Ich blickte auf die runde Stationsuhr. Ich hatte noch vier Minuten. Der
Bahnsteig war schmucklos. Ein langes Dach zog sich, gestützt von
grauschwarzen Säulen, den Bahnsteig entlang. Aus Backstein errichtete
Gebäude standen darunter mit Bänken für Wartende. Gegenüber stand eine
eher brüchig aussehende Lagerhalle.
Eine S-Bahn der Linie 152 rollte heran. Der Zug war oben gelbweiß und
unten rot lackiert.
Ich stieg ein. Es war voll. Der Gestank von Schweiß und Urin stieg mir
beißend in die Nase.
Das nennt man Großstadtcharme.
Was war an dem Geruch von Pinkel denn bitte charmant?
Ich setzte mich auf eine der Holzbänke.
Die S-Bahn hielt an der Papestraße. Einige Fahrgäste stiegen aus, neue
stiegen ein. Zwei hochgewachsene Blondinen in Minirock und weißen
Stiefeln fielen mir sofort auf.
Alter Schwerenöter.
Ich war kein Schwerenöter. Zumindest wusste ich nichts davon. Im
Priesterweg stiegen zwei waschechte Hippies mit langen Haaren, vollen
Bärten und roten Sonnenbrillen ein, die Badelatschen und eine Art Toga
trugen.
Ich blickte aus dem Fenster. Der nächste Halt war Mariendorf. Eine Frau
im mittleren Alter mit Dauerwelle setzte sich mir gegenüber hin. Sie wirkte
echauffiert. Sie stellte eine Tasche neben sich. Das Grün von Gemüse und
ein Brot lugten heraus. Sie seufzte.
»Ist alles in Ordnung?«.
Die Frau winkte ab.
»Ja, ja, guter Herr. Ich habe mich nur verfahren. Eigentlich müsste ich in
die andere Richtung und jetzt mit dieser Bahn bis zur Endstation und
wieder zurück. Das ist alles sehr kompliziert, wissen Sie?«
Ich nickte nur und lächelte. Sie musste in den 40ern sein, war wohlgenährt
und schien aus der gehobenen Mittelschicht zu kommen.
»Früher war das ja alles übersichtlicher. Aber die Kommunisten haben
Deutschland kaputt gemacht. Unsere schöne Stadt.«
Sie schüttelte den Kopf und stöhnte.
»Und dann die ganzen Ausländer! Diese Türken. Nein, das hätte es so
früher nicht gegeben. Fehlt nur noch, dass sie noch mehr Wilde aus Afrika
ins Land holen. Ich bin ja kein Nazi, aber das geht doch etwas zu weit.
Finden Sie nicht auch?«
»Nun«, fing ich an. »Sie sind also Patriotin und fühlen sich Deutschland
und dessen Geschichte und Tradition verbunden?«
»Selbstverständlich!«
Sie wirkte brüskiert.
»Sie etwa nicht?«
Fast schon anklagend sah sie mich an. Sie gehörte bestimmt nicht zu den
Willy-Brandt-Wählern. Immerhin war Brandt von 1957 bis 1966
regierender Bürgermeister von West-Berlin gewesen, ehe er in die
Bundespolitik gegangen war und 1969 Bundeskanzler der Bundesrepublik
geworden war.
Vergiss die Alte nicht.
Ach so! Stimmte ja. Danke, Harry!
Sie blickte mich erwartungsvoll an.
»Alle Religionen sind gleich gut, wenn nur die Leute, die sie bekennen,
ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das
Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.«
Sie starrte mich angewidert an. Sie schüttelte langsam den Kopf und
blickte mich irritiert an, so als sei ich nicht ganz dicht im Oberstübchen.
Du redest mit Harry, deinem schizophrenen anderen Ich. Du bist nicht
ganz dicht.
Reizend, Harry.
»Da haben Sie sich aber etwas ausgedacht, mein Herr!«
»Oh, das stammt nicht von mir, sondern von einem der größten Bürger
Berlins. Das Zitat stammt von König Friedrich, dem Großen. Dem alten
Fritz.«
Ich lächelte, und sie verstummte. Dann stand sie auf und setzte sich
einfach um.
Die S-Bahn erreichte die Buckower Chaussee. Ich sah auf den Bahnhof
und das provisorisch errichtete Vordach. Schmuck war diese Haltestelle
nicht. Sie war wohl kurz nach dem Krieg aus Trümmerschutt errichtet
worden.
Wir fuhren weiter.
»Lichtenrade, Endstation«, knarrte es aus dem Lautsprecher, kaum zu
verstehen. Nun, zumindest konnte ich die richtige Station nicht verpassen.
Denn hinter Lichtenrade endete die Welt. Zumindest die westliche Welt
fand ihr Ende, denn dort lag hinter der Berliner Mauer die DDR mit Ost-
Berlin.
Ich stieg aus und sah das Schild »Lichtenrade« zwischen den Symbolen
der S-Bahn. Der überdachte Durchgang war in einen Ein- und Ausgang
aufgeteilt. Rechts daneben befand sich ein Haus aus rotgrauem Backstein
mit weißen Fensterrahmen. Dort stand ebenfalls Lichtenrade auf weißem
Hintergrund. Dahinter befand sich eine abgerundete Fassade. Vor dem
weißen Zaun waren Fahrräder. Das war es auch mit der Herrlichkeit des
Lichtenrader Bahnhofs.
Ich verließ den Bahnhof. Immerhin lag er nahe bei meiner Wohnung.
Nach zwanzig bis dreißig Metern erreichte ich die Steinstraße und ging sie
entlang. Die John-Locke-Siedlung lag zwischen der gleichnamigen Straße
und der Steinstraße.
Die Siedlung war ein moderner Plattenbau. Bis zu 18. Stockwerke hohe
Häuser in Kastenform waren hier seit Mitte der 1960er-Jahre hochgezogen
worden und boten recht günstigen Wohnraum.
Ich blickte auf mein Haus, in dem ich eine Mietwohnung hatte. Der
rechteckige Klotz sah futuristisch aus, denn ein Teil des unteren Bereichs
war offen und wurde von großen Pfeilern gestützt.
Meine Wohnung im 12. Stock hatte einen kleinen Balkon mit grandiosem
Blick auf die Berliner Mauer. Immerhin funktionierte der Aufzug. Der
Korridor war eng, die Treppen und der Gang weiß. Endlich erreichte ich
meine Wohnung.
Home sweet home, kommentierte Harry.
Ich setzte mich auf die grüne Couch. Auf dem runden Tisch stand eine
Flasche Wasser. Außerdem lag die Fernbedienung vor mir. Ein Hoch auf die
Technik, denn so musste ich nicht immer zum Fernseher gehen und ihn
aktivieren.
Im ZDF lief »Aktenzeichen XY ungelöst«.
Es wurde über die Schrottwagen-Bande gesprochen und dann über
Juwelendiebe. Ich wurde müde und machte die Glotze aus. Dann ging ich
auf den Balkon und blickte Richtung Mauer. Es war ein Wahnsinn. Berlin
war eine geteilte Stadt. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs war es in
Sektoren aufgeteilt, doch aufgrund der Flucht vieler ihrer Bürger hatte die
DDR 1961 Nägel mit Köpfen gemacht und eine Mauer quer durch die
Hauptstadt Deutschlands gezogen. Das war Adolf Hitlers Vermächtnis an
die Deutschen gewesen. Ein besiegtes und geteiltes Land voll beladen mit
Schuldgefühlen aufgrund ihrer Verbrechen aus dem Krieg.
Der Blick auf die graue Mauer war beunruhigend. Es stand auch für eine
geteilte Menschheit. Es gab den Westblock aus Westeuropa, Nordamerika,
Japan und Australien auf der einen und den Ostblock mit Osteuropa und der
UdSSR auf der anderen Seite. Die dritte Fraktion war die Asiatische
Föderation, die hauptsächlich aus China und einigen ihrer Satellitenstaaten
bestand. Der Rest der Welt war nur Statist, denn diese drei großen Blöcke
besaßen Atomwaffen und konnten damit mehrmals die Erde vernichten.
Ich musste an die STARDUST denken. In knapp zwei Wochen würde die
Mondmission des Westblocks starten. Sollte es ein Segen oder ein Fluch
sein, wenn sie gelingen und Major Michael Freyt als erster Mensch seinen
Fuß auf den Mond setzen würde?
22. Juni 1971
Es klingelte. Ich schreckte aus dem Schlaf. Unablässig schrillte das Telefon.
Ring, ring. Ich hatte Kopfschmerzen. Das Bimmeln machte es nicht besser.
Ächzend stand ich auf und schlurfte in den Flur. Ich griff nach dem Hörer
des Wandtelefons. Es war Björn aus der Redaktion. Ich sollte sofort zu ihm
kommen.
Er erzählte, dass etwas Weltbewegendes passiert sei, ohne ins Detail zu
gehen. Er verriet nur, dass es sich um die STARDUST handelte.
Ich zog mich an und wusch mir das Gesicht, gelte die Haare und sprühte
mich mit Deo ein. Zu einer Dusche reichte die Zeit nicht. Wenn Björn
»sofort« sagte, dann sollte ich schon vor zehn Minuten da sein. Hastig eilte
ich zur S-Bahn. Ich musste ins Zeitungsviertel nach Kreuzberg.
Es dauerte etwas, bis ich das Axel-Springer-Haus erreichte. Das Hochhaus
war Heimat der Berliner Morgenpost, meines Arbeitgebers. Immerhin die
bekannteste Berliner Zeitung. Zu allem Überfluss regnete es und es war
kalt. Für meinen Geschmack zu kalt für Ende Juni.
Erzähl das mal einem Inuit, bemerkte Harry. Während der Regen meine
Haare durchnässte, dachte ich über das Wort Inuit nach. Der Groschen fiel,
kurz bevor ich die große Eingangstür zur Lobby erreichte. Harry meinte
Eskimos.
Ich musste mich am Empfang melden. Barbara schob heute Dienst. Ihre
Dauerwelle war ebenso ausladend wie der Rest ihres Körpers. Sie war eine
freundliche Person.
»Oh je, biste in den Regen jekommen, wah?«
»Tja, das Wasser ist nass«, bemerkte ich wenig geistreich und eilte die
Treppe hoch. Unterwegs holte ich mir einen Becher frischen Kaffee aus der
Küche für die Redakteure. Dann sah ich in die grauen Augen eines Mannes
mit grau melierten Haaren.
»Ah, Olaf! Endlich. Unser überaus unpünktlicher Olaf«, deklamierte
Björn Lessing.
Selbstzufriedenheit machte sich in seinem Gesicht breit, sobald er diese
Alliteration, wie er es nannte eine Folge gleich klingender Wortanfänge
zum Besten gegeben hatte. Björn Lessing brüstete sich damit, ein
Nachfahre des legendären Dichters Gotthold Ephraim Lessing zu sein.
Deshalb sei er auch zur Zeitung gegangen. Björn hatte es sich zur Aufgabe
gemacht, die deutsche Sprache zu schützen und zu kultivieren. Eigentlich
hatte er seine Karriere im Haus als Lektor und Korrekturleser begonnen,
doch gewisse organisatorische Fähigkeiten und Vitamin B hatten ihm die
Stelle als Resortleiter Wissenschaft bei der Berliner Morgenpost
eingebracht.
Er hielt mir ein Blatt entgegen.
CONTACT WITH MOON VESSEL LOST IS THE CREW OF THE
STARDUST DEAD?
Die Nachricht schockierte mich. Zunächst war von einer erfolgreichen
Mondlandung am 20. Juni gesprochen worden. Das historische Ereignis war
sogar im Fernsehen übertragen worden. Ich hatte mir die Nacht um die
Ohren geschlagen, um die Landung zu beobachten. Es war ein
denkwürdiger Moment gewesen. Major Michael Freyt hatte als erster
Mensch den Mond betreten, gefolgt von seinem Co-Piloten Rod Nyssen.
Ich betrachtete das Blatt Papier. Es war ein schlechter Ausdruck.
»Das ist die Titelseite der Washington Post von heute.«
Lessing blickte auf die Uhr.
»Es ist hier 9.35 Uhr. In Washington ist es jetzt noch 3.35 Uhr. Die
Zeitung wird bald ausgeliefert. Die Kopie haben wir über unseren
Fernkopierer erhalten.«
Björn lachte schelmisch.
»Wissen Sie, was ein Fernkopierer ist? Damit kann ein Kollege am
anderen Ende der Welt ein Blatt Papier einlesen und über das Telefonnetz
an uns schicken. Dann druckt unser hochmoderner Fernkopierer das
empfangene Blatt aus.«
Er sah mich erwartungsvoll an, so als müsste ich überwältigt sein. Dabei
war mir das alles doch bekannt. Viel interessanter fand ich diese neuartigen
Computer. Ich hätte gerne so einen gehabt. Was musste das für ein Genuss
sein im Vergleich zu einer Schreibmaschine. Irgendwann würde es
bestimmt ganz normal sein, eine Zeitung als Datei zu schicken, vielleicht in
zehn oder zwanzig Jahren.
Wenn es die Menschheit dann noch gibt. Das wissen wir nicht, unkte
Harry. Aber vergiss nicht, deinem Chef den nötigen Respekt zu erweisen.
»Ah… ich… ringe nach Worten«, stotterte ich gespielt naiv.
Lessing klatschte in die Hände.
»Das hatte ich mir gedacht. Nun, mein lieber Olaf, kommen wir zurück
zur Mission der STARDUST. Meine besten Leute habe ich für Recherchen
angesetzt.«
Wie schmeichelhaft. Ich wusste sofort, dass er nicht mich damit meinte.
»Und was ist meine Aufgabe?«
Er zeigte grinsend mit dem Finger auf mich. Dann nahm er einen Stapel
zusammengebundenes Papier, einen Haufen Akten, hob sie an und reichte
mir das Informationspaket.
»Backgroundgeschichten. Hier steht alles über die Mission und ihre
Helden, die vermutlich alle verblichen sind. Suchen Sie das beste für die
Zeitung raus. Sie können täglich eine Seite bekommen in nächster Zeit.«
»Danke«, sagte ich verlegen, denn das war kein schlechter Job.
»Wie kamen die Leute zur Raumfahrt? Was wurde aus dem
ursprünglichen Piloten? Freyt und Nyssen sind Raucher. Qualmten die auch
auf der STARDUST? Waren Eric Manolis Eltern italienische Faschisten
oder Freiheitskämpfer? Versuchen Sie, die Frau von Clark Flipper zu
erreichen. Sie ist schwanger. Fragen Sie, wie es ist, Witwe zu sein.«
Das würde ich bestimmt nicht machen. Es stand ja noch nicht fest, ob sie
wirklich tot waren. Ich hob den schweren Stapel an.
»Ich mache mich sogleich daran.«
Ich brauchte jedenfalls eine ausreichende Menge an Zigaretten, Kaffee
und Snacks. Miras Grillimbiss war zu weit entfernt, doch es gab eine feine
italienische Pizzeria in der Nähe. Ansonsten mussten Buletten mit
Kartoffelsalat herhalten.
»Los jetzt, ich habe Ihnen ein eigenes Büro gegeben, damit Sie die
nächsten Tage ungestört sind.«
Der Kaffee war stark. Ich drückte die vierte Zigarette für heute aus. Zum
zweiten Mal las ich den offiziellen Missionsbericht der US Space Force. Ihr
Kommandant war ein General Lesly K. Pounder, der das Vertrauen des US-
Präsidenten genoss.
Die STARDUST war eine dreistufige Rakete, auf der die Mondlandefähre
montiert war. Die technischen Details verstand ich nicht, jedoch waren sie
für Harry überhaupt kein Problem. Es war schon seltsam, dass mein
schizophrenes Ich klüger war als ich selbst.
Die erste Stufe war eine Trägerrakete mit einer Schubleistung von 13.600
Tonnen. Das war entscheidend für den Start und die Beschleunigung. Das
Triebwerk erzeugte den Schub, der benötigt wurde, um die Gravitation der
Erde zu überwinden und in den Weltraum vorzudringen. Das Pluto-D-
Triebwerk galt als sehr zuverlässig. Es war ein chemisches
Flüssigkeitstriebwerk mit 42 Großbrennkammern. Jede Brennkammer
erreichte eine Schubleistung von 324 Tonnen. Interessanter war die
maximale Geschwindigkeit von 10.115 Stundenkilometern. Das war für
mich ein greifbarer Wert.
Die zweite Stufe war ein kernchemisches Atomstrahl-Triebwerk mit
einem Reaktor auf Plutoniumbasis. Flüssigwasserstoff als Strahlmedium
diente als Treibstoff. Sie erreichte eine Schubleistung von 1.102 Tonnen bei
10.102 m/s. Ich musste überlegen, was m/s bedeutete. Harry erklärte es mir:
m steht für Meter und s steht für Sekunde. Also bedeutet das, wie viele
Meter pro Sekunde die zweite Raketenstufe zurücklegt. Das ist keine höhere
Mathematik, Herr Journalist. Das bedeutet, die Rakete legt im Weltraum
etwa zehn Kilometer in der Sekunde zurück. Das sind dann 36.000
Kilometer in der Stunde. Die STARDUST war also bei maximaler
Geschwindigkeit in knapp elf Stunden beim Mond. Du musst aber
Bedenken, dass sie erst einmal beschleunigen muss, bis sie 36.000
Stundenkilometer erreicht, und rechtzeitig wieder abbremsen muss. Und die
Berechnung erfolgt auf der durchschnittlichen Entfernung von der Erde zum
Mond, nämlich 384.400 Kilometer.
Also war die erste Stufe grundsätzlich dazu da, erst einmal die Erde zu
verlassen. Die zweite Stufe für den Flug zum Mond und die dritte Stufe war
der Mond-Lander selbst, der wie die zweite Stufe ein Atomstrahl-Triebwerk
besaß.
Die Mondkapsel wurde von der Space Force Mond-Lander genannt. Das
war das eigentliche Raumschiff mit dem Namen STARDUST. Es war
aufgeteilt in eine Kabine für die Crew, einen Laderaum, den
Maschinenraum und das Triebwerk. Die STARDUST verfügte über
ausziehbare Leitersprossen, um sie zu verlassen. Allerdings hatten Freyt
und Nyssen diese beim ersten Mondspaziergang nicht benutzt. Die Leiter
strahlte aufgrund des Atomstrahl-Triebwerks radioaktiv nach, weshalb sie
mit einem Kran aus dem Laderaum herabgelassen wurden.
Ich versuchte mir, die Enge an Bord vorzustellen. Die Astronauten hatten
in ihrem Mond-Lander nicht viel Platz. In der Kabine saßen sie in
Zweierreihen hintereinander. Es gab eine kleine Küche und eine
Bordtoilette. Die Sitze konnten in die horizontale Position gebracht werden,
was beim Start gemacht wurde, damit die Piloten den Schub überstanden.
Während des Starts musste die Rakete einen enormen Schub erreichen,
um der Schwerkraft der Erde zu entkommen. Während der Schubphase
mussten Freyt und die anderen eine hohe g-Kraft erdulden, welche das
Vielfache der Erdbeschleunigung von einem g betrug. In den Akten war
nicht zu finden, wie hoch die tatsächliche g-Kraft war, doch sie lag bei der
STARDUST zwischen drei und sechs g.
Natürlich wurden die Astronauten auf die g-Kräfte in Trainings
vorbereitet. Es war schon bemerkenswert, welche Anstrengungen der
Mensch in Kauf nahm, um den eigenen Planeten zu verlassen. Ich hatte mir
das einfacher vorgestellt.
Du stammst ja auch von einer höher entwickelten Zivilisation und bist
ganz andere Technologien gewohnt, warf Harry ein, der mich mal wieder
verarschen wollte.
Ich war ein gewöhnlicher Reporter, der in Berlin geboren worden war und
und bei Kriegsausbruch mit seiner Familie in die Heimat seines Vaters, ins
neutrale Schweden, übergesiedelt war. In der Nachkriegszeit war ich dann
zurückgekehrt. Eigentlich hatte ich mit Astronomie und Wissenschaft nichts
am Hut. Doch wozu war man schließlich schizophren und hatte eine innere
Persönlichkeit namens Harry?
Ich kenne mich dafür aber gut mit Geschichte aus. Und das Unternehmen
STARDUST war ein großes Stück Menschheitsgeschichte.
Was war also passiert?
In den Morgenstunden des 19. Juni 1971 startete die STARDUST-Rakete
von der Erde. Sie nutzte nicht die maximal mögliche Geschwindigkeit und
erreichte am 20. Juni den Erdtrabanten. Sie tauchte in den Orbit von Luna
ein und umrundete den Mond. Das nahm etwa zehn Stunden in Anspruch.
Es folgte dann am 21. Juni die Landung, die wir alle im Fernsehen
mitverfolgen konnten. Michael Freyt betrat als erster Mensch den Mond,
gefolgt von Rod Nyssen. Anschließend sollten sie mit dem Mondpanzer auf
dem Mond herumfahren und Gesteinsproben sammeln.
Der Mondpanzer musste auf dem Mond zusammengebaut werden. Das
klang schwierig, doch die amerikanischen Wissenschaftler hatten ein
ausgeklügeltes Gefährt geschaffen. Es wurde im Laderaum des
Raumschiffes mitgeführt und war natürlich für das zerfurchte und
zerklüftete Gelände konzipiert. Der Raupenpanzer war flach konstruiert und
besaß eine große Druckkabine für die vier Astronauten. Sie bestand aus
einer dünnen Haut aus Molverdinststahl. Was war das nun wieder?
Molverdinststahl wird auch MV-Stahl genannt und ist eine Entwicklung
des Westblocks, lieber Olaf. Die oberflächenmolekülverdichtete
Stahllegierung verformt sich erst bei etwa 7.600 Grad Celsius oder
extremer Belastung.. Im Grunde genommen ist es ein extrem
widerstandsfähiger Stahl und geeignet für die Zusammenwirkung mit
Atomstrahl-Triebwerken. Klar?
Nein…
Aber du weißt, welchen Charakter Raquel Welch in »Phantastische Reise«
spielte?
Natürlich wusste ich das. Cora Peterson.
Allerdings könntest du weniger die wissenschaftlichen Aspekte des Films
erläutern?
Nun, es ging um eine Gruppe Leute, die so weit verkleinert wurden, dass
sie in den menschlichen Körper gelangen konnten. Mit Mikrotechnologie
kannte ich mich aber nicht aus.
Aber mit den Makroeigenschaften von Raquel Welch offenbar.
Ich grinste zufrieden vor mich hin, als ich an die schöne Schauspielerin
denken musste.
Ganz offensichtlich spielte Harry wohl darauf an, dass ich mir das Gesicht
und den Körper einer schönen Frau besser merken konnte als
wissenschaftliche Zusammenhänge. Na ja, der Körperbau von Raquel
Welch war auch interessanter als die Stahllegierung der STARDUST.
Nun, weil du allerdings nicht für die BRAVO schreibst und jetzt etwas über
die Mission STARDUST recherchierst, solltest du dich auf die Mondkrater
konzentrieren und nicht die Hügel der Welch.
Harry verstand es, mit treffenden Aussagen so unendlich gemein zu sein.
Also zurück zum Mondpanzer.
Über der Druckkabine war eine durchsichtige Kuppel aus Stahlplastik
montiert. Sie gewährte einen Rundumblick. Um eine Überhitzung zu
vermeiden, konnte sie im Bedarfsfall mit Hochglanzfolien abgedeckt
werden. Ein kleiner Laderaum befand sich hinter der Kabine. Betrieben
wurde der Panzer mit einem kleinen und stark abgeschirmten Kernreaktor
und zwei Elektromotoren für die Ketten.
Jetzt wurde es interessant. Der Mondpanzer verfügte über einen sehr
starken UKW-Sender. Das bedeutete, auch wenn die STARDUST ausfiele,
könnte der Mondpanzer über die Raumstation FREEDOM Verbindung zur
Erde aufnehmen. Doch weder die STARDUST noch der Mondpanzer
stellten Kontakt über Funk her.
Ich seufzte, lehnte mich in den Sessel zurück und zündete die nächste
Zigarette an. Was sollte ich mit diesen Informationen anfangen? Wie sollte
ich daraus eine Artikelserie schreiben, die zunächst einmal Björn Lessing
gefallen musste? Schließlich schrieb ich in erster Linie für den Redakteur,
denn ohne ihn würden es meine Texte nicht in die Zeitung schaffen.
Ich stand auf und schaltete das Radio ein. Beim Sender Freies Berlin lief
der Song »Rose Garden« von Lynn Anderson.
Ich nahm die Akte über die ehemaligen Astronauten. Es waren diejenigen,
die zuerst für die Mission STARDUST ausgewählt worden waren, aber erst
vor Kurzem durch Freyt und Nyssen ersetzt worden waren: Major Perry
Rhodan und Captain Reginald Bull. Sie galten als Risikopiloten und damit
als ideale Besetzung. Weshalb waren beide so kurzfristig ersetzt worden?
Perry Rhodans Vater war ein deutscher Migrant, die Familie seiner Mutter
hatte französisch-deutsche Wurzeln. 1936 geboren hatte Rhodan den
Zweiten Weltkrieg als Kind miterlebt.
Ab 1955 war er in West Point.
Hörst du?
1958 graduierte Rhodan als 2nd Lieutanant.
Hörst du, Olaf?
Was war denn nun schon wieder? Offenbar meinte Harry das Radio.
»… gestellt, wie die US-amerikanische Regierung bestätigt hat. Der
Kontakt war in der Nacht auf den 22. Juni abgebrochen. Laut Erklärung
waren atmosphärische Interferenzen dafür verantwortlich. Major Michael
Freyt und seine Crew haben den Kontakt wieder hergestellt«, sagte der
Nachrichtensprecher.
Damit hatte sich mein Auftrag wohl erledigt. Alle waren am Leben.
Irgendwie war ich froh darüber.
Die Mondmission war größer als ein paar Mark Honorar.
Der kleine Perry Rhodan
Ich war noch nie in Wisconsin gewesen und war in meinem Leben noch nie
so schnell gereist. Gerade eben waren wir noch auf den Schlachtfeldern der
Normandie gewesen und nun befanden wir uns in den Vereinigten Staaten
von Amerika. Was geschah hier nur? Es kam mir vor, als würde das Gefüge
der Erde auseinanderfallen.
Ich blickte auf Werner Niesewitz, der beeindruckt die Kommandozentrale
der HAUNEBU XI betrachtete. Mir ging es nicht anders. Das war wie in
einem Science-Fiction-Roman von Kurd Laßwitz oder Paul Eugen Sieg.
Der geheimnisvolle Sturmbannführer Lars Born stand an einer Konsole und
befehligte die schwarzen Roboter. Auf einer großen Leinwand man
nannte sie wohl Monitor oder Bildschirm sah ich eine Karte der USA.
Wisconsin lag im Norden Amerikas, fast an der Grenze zum Nachbarland
Kanada.
Unser Ziel war ein Bauernhof; die Amis nannten so etwas Farm. Ich sah
die Umrisse des Guts. Ein brauner Zaun umschloss das Weideland und das
Ackerfeld. Auf dem großen Hof befanden sich zwei Gebäude, eine
langgezogene Scheune mit blauem Anstrich und ein weißes dreistöckiges
Haus. Es waren die typischen Holzhäuser, die wir aus dem Kino oder aus
Büchern kannten. Die Amerikaner bauten offenbar lieber mit Holz als mit
Stein.
»Niesewitz, stellen Sie einen Trupp aus fünf Leuten und einen
Kampfroboter zusammen«, befahl Born.
»Jawohl, Herr Sturmbannführer!«
Niesewitz winkte fünf Soldaten zu sich und instruierte sie.
»Woher haben Sie diese fliegenden Festungen?«, fragte ich.
Born lächelte milde.
»Herr Feldwebel, das sind Raumschiffe. Sie sind konzipiert für den Flug
im Weltraum. Sie sind ein Geschenk vom Fürsten, der den Führer
auserkoren hat, die Erde und diese Galaxis zu beherrschen.«
Das war Wahnsinn! Raumschiffe? Wo kamen die her? Für Born schien so
was normal zu sein. War er ein Außerirdischer? Und wer war dieser Fürst?
Ich stellte ihm genau diese Fragen, doch der Sturmbannführer winkte
freundlich ab.
»Alles zu seiner Zeit, Feldwebel. Nun konzentrieren wir uns auf unsere
Mission.«
Ich sah mir die Karte auf dem Monitor an.
»Die Eroberung eines amerikanischen Bauernhofs mitten im Nichts? Was
erwartet uns dort?«
Born blickte mich aus seinen kleinen grauen Augen ernst an.
»Der einzige Mensch, der den Aufstieg des Führers verhindern kann.«
Die Region war von großen und kleinen Seen geprägt. Die HAUNEBU XI
war zwischen zwei dieser Seen gelandet. Ich betrachtete das Raumschiff
nun von außen – und fühlte mich winzig. Es musste fünfzig Meter hoch und
zweihundert Meter breit sein. Was würden wir mit solch einem Kampfgerät
alles anstellen können?
Es war etwa Mitternacht in Wisconsin. Jedenfalls war es dunkel.
Der schwarze Roboter ging surrend an mir vorbei. Er war unheimlich. Die
Konstruktion sah aus wie ein Mensch aus schwarzem Metall. Der Kopf mit
dem Helm und der Maske, falls es eine war, erinnerte mich entfernt an
einen deutschen Soldaten mit Gasmaske.
Lars Born und ein Roboter der HAUNEBU. © Roland Wolf
Die fünf anderen Soldaten schwiegen. Wo kamen sie her? Wer hatte sie
beim HAUNEBU-Geschwader ausgebildet? Oder waren sie etwa auch
Aliens?
Niesewitz fühlte sich sichtlich wohl. Der Feldwebel hatte in Russland
gedient, ehe er aufgrund einer Verletzung an die Westfront versetzt worden
war. Glück für ihn, würde ich sagen. Denn Niesewitz war Nationalsozialist
aus Überzeugung. Er glaubte an die Ideologie der überlegenden Herrenrasse
und an unsere göttliche Mission. Ich hingegen war hier, weil ich eingezogen
worden war und keine andere Wahl hatte.
Das Kommando marschierte drei Kilometer zu Fuß. Werner summte
immer wieder Marschlieder wie »Westerwald«, »Erika« und »Wozu ist die
Straße da zum Marschieren«. Wir stoppten an der Straße, die zur Farm
führte. Die Soldaten sicherten die Umgebung und vergewisserten sich, dass
weit und breit niemand zu sehen war. Dann ging meine Gruppe den
sandigen Weg weiter und erreichten den Zaun, der den Hof umgab.
Vor dem Gatter stand ein Pfahl mit einem Briefkasten.
Ich las den Namen: Rhodan!
Drei Männer gingen voran. Es folgten der Kampfroboter, Niesewitz, Born
und ich. Zwei Soldaten bildeten die Nachhut.
Im Haus brannte Licht. Vermutlich schliefen die Bewohner noch nicht.
Drei Mann bewegten sich zur Scheune. Die Kühe und Pferde gaben Laute
von sich. Ein weiteres Licht ging im Haus an. Dann wurde die Haustür
geöffnet. Ein vierschrötig wirkender Mann mit dunklem Haar lugte aus der
Tür.
Er drehte sich um und sagte etwas Unverständliches. Nach einigen
Momenten verließ er das Haus bewaffnet mit einem Gewehr. Ich würde
aus der Entfernung sagen, dass es sich um eine Schrotflinte handelte. In der
anderen Hand hielt er eine Winkeltaschenlampe. Mit bedächtigen Schritten
ging er auf die Scheune zu.
Born deutete Niesewitz und mir, dass wir ins Haus gehen sollten. Ich
bestätigte stumm, schlich zur Veranda und betrat leise das Haus. Die Dielen
knirschten. Links von mir glaubte ich einen Schatten an der Tür zu sehen.
Ich ging schneller, entsicherte die MP 40 Maschinenpistole und schnellte in
den Raum. Dort stand eine hübsche blonde Frau in einem Morgenmantel.
Ich legte den Finger auf die Lippen und bedeutete ihr, still zu sein.
Niesewitz deutete auf das Sofa. Sie setzte sich schweigend hin.
»Du bewachst sie«, sagte ich zu Werner und ging die Treppe hoch.
Systematisch suchte ich die Zimmer ab. Dann ging ich auf den Dachboden.
Das Zimmer dort hatte schräge Wände und war keineswegs unbewohnt.
Das Bett war nicht gemacht, es lagen Kindersachen im Schrank, und auf
dem Tisch befand sich ein Buch über Astronomie.
Mit einem Ruck riss ich das Bett um. Darunter lag der Junge, der mich aus
seinen graublauen Augen anstarrte, mit einer Mischung aus Furcht und
Neugier im Gesicht. Der Knirps war vielleicht sieben oder acht Jahre alt.
Ich senkte die Waffe.
»Haben wir verloren?«
»Was?«
»Du bist ein deutscher Soldat. Haben wir verloren?«
»Jawohl, die Alliierten haben heute verloren.«
»Aber …« Der Kleine stand auf, ich half ihm dabei auf die Beine. »Wie
seid ihr so schnell hierher gekommen? Sind New York und Washington
bereits gefallen?«
Der Kleine war ganz schön neugierig. Doch er stellte die richtigen Fragen.
Die Präsenz von Wehrmachtssoldaten im verschlafenen Wisconsin war
nicht nachvollziehbar. Weder besaß die Luftwaffe genügend
Langstreckenbomber und Transporter, noch wäre ein Gegenangriff derart
schnell verlaufen. Außerdem wären die ersten Ziele an der Ostküste
gewesen.
»Wie ist dein Name?«, wollte ich wissen.
»Perry. Perry Rhodan, und Sie sind?«
»Carl Nathan, Feldwebel in der 352. Infanterie-Division.«
Der kleine Perry hob die Hände.
»Ich bin dann wohl Ihr Gefangener
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Der Junge war keine Gefahr für
uns. Oder doch? Mir dämmerte jetzt, dass Born und Hitler sich in der
Normandie über Perry Rhodan unterhalten hatten.
»Komm jetzt runter und mach keine Dummheiten. Deine Mutter ist auch
unten.«
»Sie meinen Tante Laura.«
»Von mir aus auch die…«
Wir gingen die Treppe mit dem knarzenden Stufen hinunter. Kaum waren
wir unten, betrat der Farmer von vorhin das Haus mit gestreckten Armen.
Hinter ihm folgten die Kameraden der HAUNEBU IX. Auch der Farmer
setzte sich ins Wohnzimmer.
»Leutnant, sichern Sie den Außenbereich. Die Feldwebel Niesewitz und
Nathan reichen für das Verhör. Schließen Sie die Tür von außen«, befahl
Born.
Der Leutnant bestätigte. Nun waren wir allein, drei deutsche Offiziere und
drei Amerikaner.
»Entschuldigen Sie die nächtliche Störung, Mister Rhodan. Sie sind Karl
Rhodan, ja? Ich bin sicher, Sie haben einige Fragen. Aber Befehl ist Befehl.
Dafür haben Sie sicherlich Verständnis.«
Karl Rhodan wirkte trotz der kantigen Statur freundlich, fast sympathisch
mit seinem offenen Gesicht. Doch seine Worte trieften vor Sarkasmus.
»Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir eine Torte mit
Hakenkreuzglasur gebacken.«
Lars Born lachte. Er verhielt sich, als wären wir auf einer Feierlichkeit bei
Freunden.
»Sie kommen aus Oberbayern? Wir sind Landsleute, mein Lieber. Und du,
kleiner Perry, bist eigentlich auch ein Deutscher
»Ich stamme aus dem Raum München. Mein Vater ist mit mir und
meinem Bruder nach dem ersten großen Krieg in die USA gezogen.«
»Ah ja, ich verstehe das. Es war keine schöne Zeit nach dem
Schandvertrag von Versailles. Armut, Demütigungen, Novemberverbrecher
an der Macht.«
Born seufzte.
Er nahm auf einem Stuhl Platz.
»Aber der Führer hat alles wieder ins rechte Lot gebracht. Anstand, Ehre
und Ordnung herrschen im Deutschen Reich. Das werdet ihr Amerikaner
auch noch herausfinden. Eines Tages weht das Hakenkreuz auch über dem
Kapitol in Washington.«
»Ihr Führer hat Chaos und Tod über den Rest der Welt gebracht«,
widersprach Karl Rhodan verächtlich.
Born verstummte, starrte auf den Boden und lächelte dann wieder. Er
schlug sich leicht mit beiden Händen auf den Bauch.
»Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe einen Bärenhunger. Ihr
Vorschlag mit der Torte hat mich hungrig gemacht. Es ist zwar schon spät –
oder früh –, aber vielleicht kochen Sie uns doch ein bezauberndes
amerikanisches Essen, bitte? Einen schönen Braten mit Kartoffeln und
Gemüse, ja?«
Laura und Karl blickten sich an. Dann stand sie auf und sagte: »Ich fange
dann mal damit an.«
Born lachte wieder.
»Vielen Dank, Mrs. Rhodan. Und der kleine Mann deckt schon einmal den
Tisch.«
Nach knapp 90 Minuten in denen die meiste Zeit geschwiegen wurde
war der Tisch gedeckt und das Essen serviert. Es war gegen zwei Uhr
morgens. Niesewitz, Born und ich saßen auf der einen Seite des großen,
langen Holztisches. Uns gegenüber saßen die drei Rhodans.
Das Fleisch, es musste ein Rinderbraten sein, duftete köstlich. Es gab
Bratensoße dazu, Mais und angebratene Kartoffeln. So ein Essen hatte ich
seit Monaten nicht mehr gesehen. Die Feldrationen waren nicht unbedingt
delikat und obendrein rationiert.
»Gar kein Tischgebet?«, fragte Born.
Rhodan schüttelte den Kopf.
Born zuckte mit den Schultern.
»Ich bin sowieso kein Freund von religiösem Wahn. Die Welt ist doch viel
besser geworden, seitdem die Kirche an Macht verloren hat, stimmen Sie
mir nicht zu?«
Schweigen.
Perry musterte uns fragend.
Der Junge musste große Angst haben und wirkte dennoch offen und
neugierig. Der schlimmste Feind saß buchstäblich in seinem Haus, ohne
genau zu sagen, was er eigentlich wollte. Ich wusste es auch nicht. Born tat
sich das Essen auf. Dann waren wir an der Reihe. Keiner von uns zeigte
falsche Scham, und wir füllten uns die Teller voll. Die Rhodans nahmen nur
kleine Portionen. Das war angesichts der Situation verständlich.
»Mensch, Leute, eigentlich wäre mein Tag nicht so gut verlaufen«, meinte
Niesewitz mit vollem Mund. »Ich meine, wir würden jetzt mit
Maschinengewehrsalven die anstürmenden Amis am Strand niedermähen.«
»Die Invasion«, stellte Karl Rhodan fest. »Sie wurden vom Dienst in
Frankreich freigestellt?«
»Feldwebel Niesewitz möchte damit sagen, dass das Schicksal heute einen
anderen Verlauf genommen hat. Wir haben die Invasionsflotte mit
modernen Waffen auf den Meeresgrund des Atlantiks geschickt«, erklärte
Born, schnitt das Fleisch und nahm einen Bissen davon. »Hm, exzellent,
Mrs. Rhodan.«
»Sie lügen«, rief Perry.
»Was? Doch, doch, das Fleisch ist wirklich hervorragend, mein kleiner
Lausebub!«
»Ich meine die Invasion. Keiner auf der Welt hat die Macht, so eine Flotte
zu vernichten.«
Born lachte und blickte die am Tisch Sitzenden fröhlich an.
»Der Junge ist schlau.«
Er beugte sich vor.
»Aber unsere Waffen stammen nicht von dieser Welt. Sie fliegen zwischen
den Sternen.«
Perry runzelte die Stirn.
Karl Rhodan schmunzelte nun.
»Oh, Sie finden das amüsant, Herr Rhodan?«, fragte Niesewitz
aufgebracht.
»Ja, bis vor Kurzem war ich noch in Sorge. Doch jetzt habe ich eine
Theorie. Sie sind aus einem Kriegsgefangenenlager ausgebrochen und
spielen sich hier noch einmal auf. Hören Sie, ich kann Ihnen Vorräte geben,
und Sie können sich Richtung Kanada durchschlagen. Vielleicht können Sie
sich dort verstecken.«
»Aber Onkel Karl«, warf Perry ein, »du darfst den Feinden nicht helfen!«
Interessiert blickte Born den Jungen an.
»Perry sei ruhig, wenn Erwachsene sich unterhalten«, herrschte Karl
Rhodan seinen Neffen an.
Perry ballte die Fäuste, die Augen wurden wässrig, dann nahm er Messer
und Gabel und begann mit sichtlich unterdrückter Wut zu essen. Karl
blickte seinen Neffen traurig an. Natürlich hatte er Angst um das Leben der
Seinen, und das Angebot war sogar vernünftig. Kein Mann würde gegen
acht bewaffnete Soldaten der Wehrmacht kämpfen, wenn Frau und Kind
dabei waren. Ihre Lage war aussichtslos. Der Vorschlag Rhodans hatte nur
einen Haken. Er beruhte auf falschen Voraussetzungen. Lars Born hatte die
Wahrheit gesprochen. Der schob seinen Ärmel hoch und offenbarte dieses
Funkgerät, welches aussah wie eine futuristische Armanduhr, aber ein
Miniaturfunkgerät beinhaltete. Dann drückte er auf einen Knopf, und das
Bild der HAUNEBU IX erschien, als ob es eine Projektion wäre.
Karl und Laura zuckten zusammen, während Perry ruhig das Besteck auf
den Teller legte und fasziniert die HAUNEBU IX betrachtete.
»Ist… ist das Ihr Raumschiff?«, fragte Perry.
»Eines von vielen«, antwortete Born.
»Ein Zaubertrick, nichts weiter«, warf Laura Rhodan ein.
»Und wie gelangen Ihrer Meinung nach Kriegsgefangene auf der Flucht
an so ein Gerät?«, fragte ich.
Laura breitete die Arme aus.
»Keine Ahnung, vielleicht sind Sie ja aus einem geheimen amerikanischen
Forschungslabor entflohen und haben das mitgehen lassen.«
»Hach, diese Rhodans sind so phantasievoll und kreativ«, freute sich Born
und aß vergnügt weiter.
Er betätigte einen weiteren Schalter.
»Leutnant, bringen Sie den Roboter bitte in die gute Stube.«
Die Tür öffnete sich, und der schwarze Roboter betrat mit surrenden
Geräuschen das Esszimmer der Rhodans. Perry stand auf. Er schien
überhaupt keine Angst zu haben und ging zu unserem metallischen Freund.
Zögerlich streckte er die Hand aus, dann fasste er ihn an.
»Ganz kalt…«
Karl Rhodan schüttelte den Kopf. »Da steckt doch jemand drin.«
»Roboter, würdest du freundlicherweise dein wahres Gesicht zeigen«, bat
Born.
Der Roboter hob beide Arme, fasst sich an den Helm und drückte zu jeder
Seite einen Verschluss. Dann hob er den Helm mit dem Visier hoch. Der
Anblick erschreckte selbst mich. Es waren Kabel und Platinen zu sehen
allerlei Technik, deren Komplexität ich nicht verstand. Das war definitiv
kein Mensch. Laura schrie und sprang auf. Der Roboter blieb stehen. Perry
Rhodan blickte ihn mit Faszination an.
»Wo kommen Sie denn her? Vom Mond oder vom Mars?«
»Viel weiter entfernt, kleiner Perry«, antwortete Born, räusperte sich und
stand auf. Ich war mir jetzt sicher, dass er ein Außerirdischer war. So was!
»So erheiternd ich das Gespräch finde. Leider haben wir eine Mission. Mr.
Rhodan, Mrs. Rhodan, ich danke Ihnen für die Gastfreundschaft und diese
wirklich deliziöse Mahlzeit. Ins Wohnzimmer, bitte.«
Er deutete mit der Hand in die Richtung.
»Werner, würden Sie den kleinen Perry in sein Zimmer bringen und ihn
mit Ihren Kriegsgeschichten ergötzen, bis wir fertig sind?«
Werner packte Perry an der Schulter und schob ihn Richtung Treppe. Der
Junge riss sich los, ging aber ansonsten widerstandslos nach oben. Er wollte
nur nicht geschubst werden. Born signalisierte mir mit einem Nicken, dass
ich mit ihm und den Rhodans in das Wohnzimmer sollte. Offenbar wurde es
nun ernst, was unsere Mission anbelangte.
Sturmbannführer Born schlug mit den flachen Handflächen auf seine
Oberschenkel.
»Nun geht es ans Eingemachte«, sagte er grinsend.
Woher nahm dieser Mann seine unerschütterlich gute Laune? Der konnte
nicht von dieser Welt sein, sondern musste ein Außerirdischer im Gewand
eines SS-Offiziers.
»Wir befinden uns bedauerlicherweise in einem Dilemma, welches mir
aufgetragen wurde zu lösen.«
Karl Rhodan und seine Frau Laura saßen auf der Couch. Born saß auf
einem Stuhl, ich zog es vor zu stehen.
Rhodan zuckte mit den Schultern.
»Wie können wir Ihnen denn helfen? Wir sind einfache Farmer in
Wisconsin. Perry ist der Sohn eines Elektrikers aus Manchester in
Connecticut. Wir sind eine unbedeutende Familie.«
»Oh, wie Sie sich doch irren, Herr Rhodan!«
Born kramte ein silbernes Etui aus seiner Tasche. Er öffnete es. Darin
befanden sich Zigaretten. Freundlich bot er jedem eine an. Karl Rhodan und
ich nahmen eine, Laura lehnte dankend ab. Ich hatte selbst Streichhölzer,
Born hingegen brauchte drei Anläufe, bis das Holzstäbchen brannte. Karl
Rhodan nahm ein Feuerzeug vom Beistelltisch.
Genüsslich zog Born an seiner Zigarette. Mir diente sie eher zur
Beruhigung, denn ich empfand so etwas wie Sympathie für diese Familie.
Sie hatten doch niemandem etwas getan.
»Sehen Sie, Herr Rhodan, Ihr Neffe ist aus mir völlig unerfindlichen
Gründen der auserwählte Anführer der Menschheit. In elf Monaten wird
die Superintelligenz ES den kleinen Perry genau hier aufsuchen. Während
eines Gewitters angeln Sie und Klein-Perry, und dann unterhält sich ES mit
ihm. Damit werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Im Jahre 1971
landet Perry auf dem Mond, findet die Arkoniden und gründet mit ihrer
Hilfe die Dritte Macht, dann das Solare Imperium, aus dem dann die Liga
Freier Terraner und später die Liga Freier Galaktiker wird.«
Karl Rhodan zog ruhig an seiner Zigarette und stieß den Rauch aus. Es
war eine phantastische Geschichte, die Born uns auftischte. Doch nach der
Vernichtung der Invasionsflotte in der Normandie war ich bereit, alles zu
glauben. War er vielleicht ein Zeitreisender?
»Und Ihnen würde diese Zukunft der Menschheit missfallen?«, fragte Karl
sachlich.
Born kicherte.
»Ach, wissen Sie, ich persönlich habe ja nichts gegen Perry Rhodan. Doch
es gibt nun einmal Wesenheit in dem Universum, welche die Aktionen
Perry Rhodans nicht tolerieren. Er hat sich einfach zu oft in Dinge
eingemischt, die ihn nichts angehen…«
Karl nickte langsam.
»Das klingt nach Perry…«
»Außerdem und das verstehen Sie sicherlich kann es nun einmal nur
einen Führer geben. Und der ist Adolf Hitler. Er wird das Sonnensystem
erobern, die Milchstraße erobern und darüber hinaus.«
Der Roboter betrat den Raum. Mit surrenden Geräuschen stellte er sich
hinter die Couch. Laura blickte sich unbehaglich um. Karl Rhodan drückte
die Zigarette aus.
»Verstehe…«
Er sprang auf, wollte auf Born zu, doch die Stahlpranken des Roboters
hielten ihn am Nacken fest. Rhodan stieß einen erstickten Schrei aus. Dann
packte die linke Hand des Roboters den Hals Lauras. Es knackte. Sie war
sofort tot.
»Perry, lauf weg«, rief Karl voller Schmerzen, dann knackte auch sein
Genick, und er sackte schlaff zur Seite.
Lars Born rauchte in Ruhe auf und drückte die Kippe in dem
Aschenbecher vor ihm aus.
»Nun, dann schauen wir einmal, was der kleine Racker da oben macht.«
Die Beine waren schwer. Jede Stufe war so, als würde ich einen steilen
Berg erklimmen. Ich dachte an Karl und Laura Rhodan. Der Roboter hatte
ihnen einfach so das Genick gebrochen. Ich hatte weiß Gott schon viele
Tote gesehen und im Krieg weitaus grausamere Tode mit ansehen müssen.
Ich hatte auch unschuldige Zivilisten sterben sehen. Es war vielmehr die
Tatsache, dass ein Roboter sie umgebracht hatte. Was, wenn es Hunderte
oder Tausende davon gab? Sie waren die perfekten erbarmungslosen
Mörder. Was wäre, wenn sie sich irgendwann gegen uns wenden würden?
Wir erreichten den Dachboden. Werner Niesewitz saß auf dem Stuhl,
Perry auf seinem Bett. Perry hielt diese Stoffente mit dem Matrosenanzug.
Ich glaubte, der Junge wusste, dass er als Nächstes dran war. Einmal hatte
ich miterlebt, wie so etwas gemacht wurde. In Polen hatte es noch nicht
diese saubere Trennung zwischen Wehrmacht und den Einsatzgruppen
gegeben. Dem ein oder anderen Kameraden war es doch an die Nieren
gegangen, Frauen und Kinder abzuknallen. Allerdings hatte ich gehört, dass
in Russland, gerade in der Ukraine, auch Landser an Exekutionen beteiligt
waren, um die Einsatzgruppen zu unterstützen. Es schienen ihnen eine
gewisse Freude gemacht zu haben, Herr über Leben und Tod zu spielen.
Manchmal gaukelte man den Todgeweihten Sicherheit vor, versprach
ihnen, sie würden an einen anderen Ort umgesiedelt werden. Man wollte
das Geschrei vermeiden. Andere gingen nicht so zimperlich vor und
erschossen sie einfach an Ort und Stelle. Meistens blieben die Mütter ruhig,
redeten sanft auf ihre Kinder ein, obwohl sie wussten, dass man sie
umbringen würde. Ich hatte das nie verstanden. Hatten sie wirklich
geglaubt, sie würden irgendwie mit dem Leben davonkommen?
»Wo sind Onkel Karl und Tante Laura?«
»Sie ruhen sich im Wohnzimmer aus«, antwortete Sturmbannführer Born
freundlich.
Ich nahm das Buch über Astronomie und schlug es auf. Darin waren
einige Fotos vom Mond, der Sonne und sogar vom Jupiter und Saturn mit
seinen Ringen drin. Wenn ich Born glauben sollte, würde Perry Rhodan im
Auftrag einer Superintelligenz an diese Orte und weit darüber hinaus reisen.
Wir hatten ihm vor wenigen Minuten seinen Onkel und seine Tante
genommen.
Nun würden wir ihm diese phantastische Zukunft stehlen. Dieser Junge
sollte das großartigste Leben haben, wenn ich die Worte des seltsamen
Sturmbannführers für bare Münze nehmen sollte.
Wir würden ihm sicherlich nun das Leben nehmen.
»Wie heißt dein Stofftier?«, wollte ich wissen.
»Das ist Donald. Donald Duck. Und er tritt Nazis in den Hintern!«
»Dann kuschel dich einmal ganz fest an Donald Duck«, sagte ich nur.
Und Perry drückte die Stoffente wirklich stärker an sich.
Lars Born zog die Luger und richtete die Pistole auf den Knirps. Ich sah
die Angst in den graublauen Augen von diesem Perry.
»Schließe die Augen, kleiner Perry. Denke an den Mond und träume
davon, wie du dort entlang wanderst«, sagte Born sanft.
Perry zitterte.
Born wandte sich an mich und drückte mir die Waffe in die Hand. Ich? Ich
sollte dieses amerikanische Kind erschießen?
»Führerbefehl«, sagte Born und grinste schelmisch.
Ich nahm die Pistole, zielte und atmete tief durch. Dann drückte ich ab.
Der Knall ließ mich zusammenzucken, obwohl ich so viel Donner und
Explosionen gewohnt war. Die Kugel traf Perry in die Brust. Der kleine
Mann streckte die Arme von sich und fiel nach hinten. Ich ging zu ihm. Er
atmete schnell, die Augen waren weit aufgerissen, starrten ins Leere.
Lars Born stellte sich neben mich und blickte mit einer Mischung aus
Verachtung und Bedauern hinab.
»Die Ära dieses Menschen wird nie beginnen. Sie haben Ihre Pflicht
erfüllt, Kamerad!«
Der Junge hörte auf zu atmen. Die graublauen Augen wurden starr.
Perry Rhodan war tot.
CASSIOPEIA
Gucky stieß einen wütenden Schrei aus. Atlan war verschwunden, ihm
durch einen temporalen Blitz entrissen. Sein Freund hatte sich buchstäblich
in Luft aufgelöst.
War Atlan tot?
Reginald Bull war definitiv tot.
Gucky sah aus der Dachkuppel, während der Boden wankte, und
betrachtete mit wässrigen Augen das abgebrochene Blütenblatt der Solaren
Residenz. Andere Teile der Residenz waren ebenfalls in diesem
verheerenden Hypersturm der Temporalen Anomalie vergangen.
Die ATOSGO brannte. Galaktiker verschwanden in den Temporalen
Schlieren und Blitzen, schemenhafte Wesen aus der Vergangenheit
erschienen und lösten sich wieder auf. Gucky kniete im Trümmerfeld des
Foyers und fühlte sich wie ein Zuschauer in einem apokalyptischen
Schauspiel.
Die Gruppe der Takhal Gud Looter schoss sich durch die
durcheinanderrennenden Massen. Es kümmerte Gucky nicht. Atlan war
weg. Bully war tot.
Die Familie der ter Campernas verließ das Foyer in Richtung
CASSIOPEIA. Sollten sie nur. Es war so unwichtig.
Gucky lauschte in den Äther der Gedanken der temporalen
Erscheinungen. Ein Mann namens Edmond V. Pontonac war heilfroh, das
Alpha-Centauri-System erreicht zu haben. Die Dummheit der Anderen
nervte den Raumfahrer der GIORDANO BRUNO JUNIOR, doch viel mehr
bewegten ihn seine Abenteuer während des Fluges in das System: das
fremde Rochenraumschiff, die Statue des Gelben Götzen und dessen
telepathische Stimme, die »Es ist Y’Xanthymr, das tötet und dabei rote
Steine weint« rief. Pontonac war erleichtert, denn die INTERSOLAR
wartete im Alpha-Centauri-System. Die INTERSOLAR. Er erlebte die
Anfänge der Schwarm-Krise mit. Oder erlebte sie erneut.
Bully, bist du da? Zumindest die Version aus dem Jahre 3441?
Nichts!
Die Gedanken Pontonacs verblassten.
Gucky ballte die Fäuste und atmete tief durch. Er spürte eine Hand auf
seiner Schulter.
»Kleines Opossum, wir müssen weg.«
Gucky zog eine Grimasse und zeigte den großen Nagezahn.
»Ich bin kein Opossum, du dumme Pflaume!«
Er blickte traurig die schöne Frau mit langen braunen Haaren an, die vor
ihm kniete und ihm ein warmes Lächeln schenkte.
»Wir müssen in die CASSIOPEIA, oder wir werden in den Zeiten verweht
werden. So wie es Atlan passiert ist.«
»Verweht?«
Sie seufzte. Gucky musste die Tränen zurückhalten.
»Woher weißt du das?«
»Zeit ist im Moment das einzige, was wir nicht haben. Komm jetzt.«
Sie stand auf und nahm den Mausbiber an der Hand. Er riss sich los. Das
musste nicht sein. Er war kein kleines Kind. Sie mussten nach
Überlebenden suchen und wurden schnell fündig.
Vor ihnen stand eine Gruppe, die verzweifelt versuchte, die Trümmer vor
dem Eingang zum Hangar freizu graben.
Es war in etwa ein Dutzend Galaktiker, die zur CACC gehörten. Allen
voran die Familie der ter Camperna. Warum sollte er diesen Typen helfen?
Er konnte einfach mit seiner Begleiterin hinter die Trümmer teleportieren.
Welchen Wert hatte das Leben dieser Verräter noch?
Gucky ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen. Das Positronikgenie
Vopp ter Camperna war mit einer braunen, sehr, sehr übel riechenden Sauce
bedeckt. Sein Bruder Topp trug nur eine Unterhose und weiße Socken. Die
Mutter wirkte angegriffen, musste von ihrem Liebhaber Theofyr Sobrasky
gestützt werden. Der rothaarige und blauhäutige Glosneke Yeremiah
Cloudsky versuchte, zusammen mit der kräftigen Rezeptionistin Cirane
Kinzz, der Unitherin Cyba und der blauhäutigen Humanoiden Tarnaite
Grazus, die Trümmer zu bewegen. Es war vergeblich. Der geschmolzene
Stahl musste Tonnen wiegen. Die Arkonidin Bismaria da Enta murmelte
sinnloses Zeug und war in der Situation keine Hilfe. Bytta Wolden und die
Blues Gorlü, die anderen beiden Rezeptionistinnen, wirkten wie vor Angst
erstarrt.
Gucky stieß einen Seufzer aus. Ihm war nicht danach, heute den Retter des
Universums zu spielen. Die meisten dieser Wesen kannten ihn nicht einmal
und verdammten das, wofür er 3.000 Jahre lang gekämpft hatte.
»Wir müssen ihnen helfen«, sagte die Frau neben ihm. Er konnte ihre
Gedanken nicht lesen und wusste nicht, wer sie war. Er hatte sie in
Begleitung von Cloudsky gesehen, aber sie wirkte nicht wie eine
Mitarbeiterin der CACC. Denn sie zeigte in dieser Notsituation Mitgefühl
und Aufopferung für andere, statt hysterisch zu schreien.
»Hey, ihr nutzlosen Einzeller, tretet mal zur Seite«, rief Gucky und machte
eine unmissverständliche Geste mit den Armen.
Gucky und Constance © Raimund Peter
Cloudsky, Grazus, Cyba und Kinzz drehten sich um. Grazus ging zuerst
weg und zog die Unitherin mit sich. Dann ging Cloudsky. Gucky hatte nicht
die Zeit, um auf die Reaktion der Rudynerin zu warten, streckte die Arme
aus und hob den Stahl an. Es war schwierig, denn er war zu Klumpen
verschmolzen und verdammt schwer, selbst für einen Telekineten. Doch
langsam bewegte sich das Metall mit ächzenden Geräuschen. Mit seinen
Parakräften schob Gucky die Stahlfront zur Seite und machte den Weg frei.
»Los jetzt, zur CASSIOPEIA!«, rief Yeremiah Cloudsky und rannte los.
Dabei gab er seltsame Geräusche von sich, als ob er hysterisch lachen
würde. Die anderen liefen dem Glosneken nach.
Eine Explosion erschütterte die ATOSGO. Gucky packte die Frau und
teleportierte direkt in die CASSIOPEIA.
»Oh, herzlich willkommen, Gucky, Retter des Universums, Alles…«
Gucky teleportierte zurück und ignorierte die Begrüßung durch die
Positronik. Er nahm Tarnaite Grazus und Cyba und brachte sie zur
CASSIOPEIA. Nach einigen Teleportersprüngen waren alle gerettet. Falls
es denn überhaupt Rettung gab.
Die CASSIOPEIA wurde von einem starken, blauen Leuchten umgeben.
Gucky esperte, versuchte die Gedanken von Lebewesen zu erfassen. Da
war ein Lebenszeichen, auch wenn die Gedanken nicht lesbar waren. Es
reichte aus. Er sprang. Als er rematerialisierte, war er von Feuer umgeben.
Dann sah er den Tefroder und packte ihn. Im nächsten Moment waren sie
auf der CASSIOPEIA. Erst jetzt erkannte er den Typen Hunter.
Ausgerechnet der Penner, der sie umbringen wollte.
»Herzlich willkommen an Bord der CASSIOPEIA. Ich rate Ihnen, an
Bord zu bleiben. Die Stabilität der ATOSGO nimmt rapide ab«, sagte die
Positronik ENGUYN über Lautsprecher.
»Ich übergebe das Kommando an die Trägerin einer Kosmogenen
Chronik, der Lilim Constance Zaryah Beccash.«
»Das bin wohl ich«, sagte die Frau mit den braunen Haaren.
Gucky erinnerte sich nicht an das Gesicht der Frau, doch der Name sagte
ihm etwas. Sowohl Constance Zaryah Beccash als auch der Begriff Lilim.
Sie gehörte zum Volk der Entropen. Genauer gesagt war sie eine Lilim, die
aber unter dem Großbegriff der Entropen eingeordnet wurden. Die Lilim
waren psionisch begabte Wesen. Sie wurden auch Hexen genannt.
Zusammen mit den Entropen waren die Lilim aus der DNA von Terranern,
Galornen und Bestien gezüchtet. Hinzu kam die DNA einer offenbar
augestorbenen Spezies, der Lilitu, die vor 200 Millionen Jahren auf dem
Rideryon gelebt hatten und Gegner von Nistant waren. Jedenfalls waren die
Entropen gezüchtet worden, um als eine starke Fraktion gegen das
Quarterium zu kämpfen.
Gucky wusste aus seiner Erinnerung, dass Constance die Rolle einer
Vermittlerin eingenommen hatte und sich sogar mit ihrer Chefin Adelheid,
einer alten, schrumpeligen Hexe von außergewöhnlicher Bösartigkeit,
angelegt hatte. Sie war dann in Cartwheel gewesen, als DORGON seine
Harmonie eine psionische Sphäre, in der jedes Lebewesen keine Gewalt
ausüben konnte – dort etabliert hatte. Schon damals war es schwer gewesen,
in Kontakt mit den Bewohnern der Milchstraße zu treten. Mit Beginn der
Hyperimpedanz 1331 NGZ war der Kontakt endgültig abgebrochen.
»Hey, Lady, für 800 Lenze siehst du noch echt gut aus. Hast du auch einen
Zellaktivator?«
Sie sah Gucky irritiert an.
»Du erinnerst dich an mich?«
»Ich habe ja kein fotografisches Gedächtnis, wie der Herr Lordadmiral,
aber nun hat es Klick gemacht. Du weißt mehr über das ganze
Schlamassel?«
Sie nickte.
»Ich habe mich über 700 Jahre lang darauf vorbereitet. Die Kosmotarchen
lösen das Zeitchaos aus, und Nistant ist ihr Vollstrecker. Die Zeitlinie ist
zusammengebrochen.«
»Das habe ich auch schon gemerkt. Aber wieso? Warum? Und wie können
wir das wieder reparieren?«
Constance sah ihn ernst an. Sie wollte zur Erklärung ansetzen, als
ENGUYN sie unterbrach: »Ich erbitte nun weitere Instruktionen in
Anbetracht der Tatsache, dass Raumschiffe des Quarteriums sich unserer
Position nähern. Ebenfalls befindet sich eine Sternenburg der Takhal Gud
Looter unweit von uns. Ich rate dringend dazu, unseren Standort zu
wechseln.«
Gucky horchte auf. Raumschiffe des Quarteriums? Hier? Das waren keine
guten Nachrichten.
Constance starrte ihn fragend an. Sie war ganz offensichtlich ratlos.
»Die ATOSGO wird keinen Angriff mehr überstehen«, meldete
ENGUYN.
Einen Angriff von zwei Fronten würde die waffenlose CASSIOPEIA
ebenfalls nicht überstehen. Schon gar nicht mit dieser Crew. Gucky seufzte
tief. Er war völlig entmutigt.
Das Schicksal der CASSIOPEIA war besiegelt.
Mythos vom Ukleisee
Als Aurec aufwachte, blickte er in treue, braune Hundeaugen. Bencho saß
in einem Holzkäfig. Aurec war wieder gefesselt. Was war passiert? Es
dämmerte inzwischen, und ein Feuer loderte am Lagerplatz. Die Fische
waren in Reihe auf einem Spieß gesteckt und wurden von Grutter über dem
Feuer gebraten.
Von links kam eine Frau. Sie war alt, vielleicht 50 Jahre oder älter, aber
kräftig. Die Frau war und groß und untersetzt und hatte breite
Schultern.Graues, dünnes Haar hing ihr verschwitzt ins Gesicht. Früher
musste sie mal blond gewesen sein, denn die Augenbrauen waren es noch.
Sie blickte ihn aus ihren kleinen blauen Augen verächtlich an. Das Gesicht
war mager und blass. Die Wangen waren eingefallen, die Nase dick und rot.
Sie grinste ihn an und zeigte dabei die verbliebenen braunen Zähne.
»Geh nicht zu dicht an ihn ran, Anna. Er ist verteufelt«, rief Andreas
Grutter.
Sie ging viel zu dicht heran. Aurec roch ihren fauligen Atem.
»Wo kommt der feine Manne denn her?«, wollte sie wissen.
Aurec fiel ein alter terranischer Film ein. Kathy hatte die Hauptfigur in
einem der wenigen Filmabende, die sie zu zweit hatten, sogar mal mit ihm
verglichen.
»Ich bin Don Diego de la Aurec, werte Lady. Und ich komme aus
Kalifornien.«
Sie glotzte mich entgeistert an.
»Ist das hinter Eutin?«
»So gesehen. Sehr weit hinter Eutin.«
»Ist das noch im Herzogtum?«, fragte Grutter.
Aurec schüttelte den Kopf.
»Es ist nicht im Herzogtum. Es liegt in Übersee.«
Die Alte erschrak.
»Schwede oder Däne dann? Die wollen uns wieder erobern. Wir sollten
ihn ersäufen.«
»Nein, nein, nein! Ich bin weder Däne noch Schwede. Kalifornien liegt
auf dem Kontinent Amerika. Ich bin… Spanier
Anna mit den schlechten Zähnen blickte Aurec misstrauisch an. Sie
wandte sich ab. »Und mach ja den Fisch zart. Ich kann nicht mehr gut
beißen«, meckerte sie mit dem jungen Grutter.
Lübcken und Freese saßen etwa fünf Meter entfernt und kramten in den
beiden Truhen herum. Sie betrachteten ihr Diebesgut.
»Was gedenkt ihr damit zu machen?«, wollte Aurec wissen.
Der große Lübcken faltete die Hände und sagte: »Wi verköpt ehr op ’n
Markt to Eutin.«
»Hm«, machte Aurec diplomatisch.
Eutin, Fürstbistum, Schweden, Dänemark. Aurec musste sich auf dem
Kontinent Europa befinden. Vermutlich in der Nähe der Ostsee. Es war
inzwischen klar, dass er auf Terra weilte. Es war nur die Frage, was für eine
Erde? War das womöglich die aus der Milchstraße entführte Erde oder
hatte ihn die Temporale Anomalie in eine andere Zeit versetzt?
Nun, zunächst musste er sich abermals befreien. Bencho saß zwar in
einem Käfig, doch die Zähne und der Kiefer des Posbi waren stark und
konnten das Holz durchbeißen.
Sie mussten auf den richtigen Moment warten.
»Der Fisch ist fertig«, rief Freese und legte die drei Fische auf einen
Teller. Dann schnitt er den einen auf und puhlte die Gräten heraus. Er
stopfte sich den Fisch in den Mund, kaute und spuckte ihn dann in eine
Schale. Aurec wurde übel. Anschließend gab er der Frau die Schüssel, die
eine Gabel mit zwei Zinken nahm und anfing, das Vorgekaute zu essen.
Aurec hätte sich auf der Stelle übergeben können, doch er riss sich
zusammen.
»Bon appétit«, sagte er nur.
»Das ist Italienisch«, stellte Grutter fest.
»Ich denke, das stammt aus dem Französischen«, korrigierte Aurec.
»Neunmalkluger Fatzke, du«, meckerte die Alte und spuckte dabei ein
paar Fischbrocken aus.
Aurec hörte wieder die Glocken aus dem See. Die Abenddämmerung war
hereingebrochen. Grutter zuckte zusammen.
»Wees doch nich so en Schieter, mien Jung«, sagte Lübcken und lachte.
Seine Gespielin Anna stimmte ins Gelächter ein. Dabei sabberte sie. Aurec
wandte den Blick ab und sah den jungen Mann an. Grutter wirkte wenig
amüsiert. Er nahm den Degen und starrte zum Ufer.
Dunkelheit brach herein, und es wurde windig. Aurec spürte ein paar
Tropfen, dann wurden es mehr und Regen setzte ein. Anna gab einen
verächtlichen Laut von sich und zog eine zerlumpte Decke über den Kopf.
Freese starrte Aurec gleichgültig an und zerkleinerte seinen Fisch.
»Das sind die Fische der schwarzen Frau. Sie ist wütend«, flüsterte
Grutter entsetzt.
Freese winkte ab.
»Welch ein Unsinn, Bub! Das sind allenfalls die Fische des Herzogs, und
wir angeln hier nicht das erste Mal. Sommerunwetter gibt es immer wieder.
Der Schauer geht gleich vorbei.«
Es raschelte überall, und der junge Grutter wurde zusehends nervöser. Er
drehte sich erschrocken nach links, als ein Busch Geräusche machte. Das
Knacken der Äste der Bäume ließ ihn mit gezücktem Degen nach rechts
schnellen.
»Nun mach uns nicht alle kirre«, keifte das Weib. Grutter drehte sich ihr
zu, dann wurde er ins Gebüsch gerissen. Er schrie, während Freese und
Lübcken aufsprangen. Sie ihm nach, doch dann blieben sie stehen und
sahen sich ängstlich an. Die Schreie verstummten.
»Wo ist er hin? Wo ist er hin?«, schrie Anna.
Aurec sah eine schwarze Gestalt hinter der Frau. Sie riss Anna die
Lumpendecke vom Kopf und streckte sie mit einem Hieb ins Gesicht
nieder. Dann sprang die Gestalt hoch, klammerte sich an einen Baum und
warf sich auf Freese. Sie schlug mehrmals zu, bis sich der Mann nicht mehr
rührte. Lübcken rannte davon, doch das schwarze Wesen verfolgte ihn.
Aurec konnte beide nicht mehr sehen.
»Bencho, beiße dich durch die Stäbe«, rief Aurec.
Der Hund begann sofort, sich ans Werk zu machen. Dann hörte Aurec die
Schreie eines Mannes. Es waren die des Tagelöhners aus Grömitz. Auch er
wurde ein Opfer des schwarzen Wesens. Bencho hatte das Holzgitter fast
durchgebissen, da stand die dunkle Gestalt unmittelbar vor Aurec. Er war
wehrlos.
Es war eine Frau. Sie war völlig in Schwarz gekleidet. Ihre langen
blonden Haare waren unter der Kapuze nass, und während er hinsah,
verformte sich das Gesicht von einer Fratze zu einem schönen weiblichen
Antlitz. Aurec erkannte etwas Trauriges in ihren blauen Augen. Sie neigte
den Kopf.
»Ihr seid anders«, flüsterte die Frau.
Ihre Haut war fahl, fast schon weiß. Es wirkte wahrlich so, als wäre sie
aus einem nassen Grab vom Grund des Sees auferstanden. Sie ging um
Aurec herum und löste ihm die Fesseln. Dann stellte sie sich wieder vor ihn.
»Ihr seid fremd in dieser Welt. So wie die Anderen …«
Sie blickte ihn neugierig an.
»Seid Ihr ein Freund des Atlan?«
Atlan! Aurec suchte nach den passenden Worten. Er wusste, dass Atlan
mehr als 10.000 Jahre lang in der Menschheitsgeschichte gewirkt hatte,
doch es war ein allzu großer Zufall, dass er ausgerechnet hier jemanden
traf, der den Arkoniden kannte.
»Wir … sind einander bekannt und haben gemeinsame Freunde.«
Sie ging zu den Leichen der Anna und des Johann Freese, packte sie an
den Haaren und zog sie fort. Während sie das Lager verließ, sagte sie:
»Dann richtet ihm aus, dass das Bauernmädchen aus dem Ukleisee immer
noch auf ihren innig liebenden Ritter wartet.«
Sie verschwand mit den beiden Leichen im Dunkel des Waldes, suchte
vermutlich ihren Weg zum See zurück. Aurec wartete einige Minuten, doch
sie kehrte nicht zurück. Er versuchte einzuordnen, was ihm widerfahren
war. Wer war dieses Wesen, das offenbar der Ursprung für die
Gruselgeschichte um diesen Ukleisee war? Die Männer hatten von einem
Bauernmädchen berichtet, dessen Liebe zu einem Ritter verschmäht worden
war und die aus Rache auf dessen Hochzeit alle umgebracht und die
Kapelle im See versenkt hatte. Ihre Kräfte schienen übermenschlich. Für
einen Moment hatte Aurec an eine Ylors gedacht, und es war nicht
ausgeschlossen, dass Ylors vor der Ära von Perry Rhodan auf der Erde ihr
Unwesen getrieben hatten.
Ein Ylor wäre kräftig genug, um zwei Tote gleichzeitig mitzunehmen.
Diese Vampire waren ursprünglich Alysker gewesen, ein Volk, das von den
Hohen Mächten, den Kosmokraten vor allem, begünstigt und gefördert
worden war. Unter ihrer Leitung war der einmalige Versuch unternommen
worden, einen Kosmokraten und Chaotarchen zu verschmelzen, um eine
neue Evolutionsstufe zu erreichen.
Doch das Kosmische Projekt war gescheitert. Vor 190 Millionen Jahren
waren die Kosmotarchen DORGON und MODROR daraus entstanden, was
die Kosmokraten nicht beabsichtigt hatten. Groß war ihr Zorn. Die Alysker
waren zu relativer Unsterblichkeit verflucht worden, zu einem endlos
langen, sinnlosen Leben. Jene, die doch einen Weg in den Tod gefunden
hatten, waren zu Ylors geworden, die Blut zum Überleben brauchten, das
Licht der Sonnen mieden und sich in reißende Bestien verwandeln konnten.
Die Ylors lebten fern der Alysker. Medvecâ war seit Millionen von Jahren
ihr Anführer. Vor 738 Jahren hatte er Kathy Scolar zu einer Ylors gemacht,
doch Aurec war es gelungen, Kathy mit einem Serum der Alysker vor der
völligen Verwandlung zu retten und ihre mentale Verbindung zu dem
Fürsten der Ylors zu beenden. Aber nur kurze Zeit darauf waren sie
getrennt worden, als das Rideryon von der Harmonie von DORGON
umgeben wurde und es keinen Weg für Aurec gab, zu seiner Liebsten
zurückzukehren.
DORGON hatte an jenem 9. August 1308 Neuer Galaktischer
Zeitrechnung zu ihm gesprochen.
Trenne dich von deiner Geliebten nicht im Schmerz. Verabschiede dich
nicht von deinen Freunden in Trauer. Blicke mit einem Lächeln zurück auf
eure Erinnerungen und wünsche ihnen viel Glück. Gewöhne dich daran,
denn nur die Erinnerungen werden dir noch bleiben.
Konzentriere dich auf dein Schicksal.
Der Rat des Kosmotarchen hatte Aurec das Herz gebrochen. DORGON
sollte recht behalten, denn einzig die Erinnerungen waren ihm geblieben.
Aurec kramte den Holostift aus seiner Brusttasche und aktivierte ihn. Er
sah das schönste Gesicht im Universum: seine Kathy Scolar. Er verlor sich
in ihren rehbraunen Augen und ihrem Lächeln.
Sie war vielleicht schon lange tot, auch wenn die Terranerin Gene der
Ylors in sich trug und die Ylors relativ unsterblich waren. Allerdings war
das Rideryon abgeschottet in der Tiefe des Chaos eingebettet und offenbar
Zentrum der Manipulationen des Moralischen Kodes. Bisher war es für ihn
und alle aus der Kosmischen Loge unerreichbar gewesen. Die Harmonie
von DORGON schützte das Rideryon.
Aurec verfluchte DORGON und MODROR, verfluchte Nistant und die
Söhne des Chaos, die das Universum ins Chaos stürzten.
Schwermütig blickte er auf Bencho.
Er beugte sich herab und öffnete den Holzkäfig, den Bencho nicht ganz
durchgebissen hatte. Sanft streichelte er den Posbihund und ließ sich
abschlecken. Er betrachtete das Lager. Das Feuer erlosch langsam im
Regen. Aurec musste herausfinden, in welcher Zeit er sich befand, und vor
allem den Kosmogenen Segler finden, um das Zeitchaos zu verhindern.
Da kam ihm ein schrecklicher Gedanke: Was war, wenn das Zeitchaos
schon begonnen hatte und er nun die Auswirkungen erlebte? Das war sogar
wahrscheinlich. In dem Fall musste er trotzdem den Kosmogenen Segler
finden, um zur CASSIOPEIA zu gelangen.
»Bencho, führe mich zu unserem Raumschiff. Na los, Kleiner
Der Hund bellte und lief los. Aurec folgte ihm.
Krise zwischen den Blöcken
West-Berlin im Juli 1971
Es war ein großer Schritt für die Menschheit und ein großer Rückschritt für
meine Karriere. Die Rückkehr der STARDUST am 25. Juni 1971 war
relativ unspektakulär verlaufen. Das Raumschiff war unter Ausschluss der
Öffentlichkeit in Nevada gelandet.
Björn Lessing hatte mich dazu verdonnert, über die Fernsehserie
»Polizeiruf 110« aus dem Osten zu schreiben, die am 27. Juni Premiere
gefeiert hatte. Gut, wir konnten meistens auch das DDR-Staatsfernsehen
empfangen, aber was die boten, war wirklich nicht besser als die Edgar
Wallace-Filme mit Blacky Fuchsberger oder Heinz Drache im
Westfernsehen.
Die erste Folge war »Der Fall Lisa Murnau«. Lessing wollte, dass ich in
der Handlung kommunistische Tendenzen und Volkserziehung entdecke,
um gegen die DDR zu wettern. Der Krimi packte mich nicht. Das Intro
zeigte, wie jemand auf einer Telefonwählscheibe 110 wählte. Da begann ich
schon zu gähnen. Ein Oberleutnant Peter Fuchs und dessen Assistentin
Leutnant Vera Arndt ermittelten. Am Ende war Rudi Schulden der Täter
und sein Motiv waren Schulden. Es war sehr viel Alltag drin und ganz
definitiv kein Wallace-Streifen, auch wenn selbst die langsam schlechter
wurden. Auch »Der Teufel kam aus Akasava« und »Die Tote aus der
Themse« waren nun wirklich keine Hits.
Lag es am Kampf mit dem Einschlafen oder an meiner Einstellung? Mein
Artikel war recht neutral verfasst. Die Ossis durften doch auch ihre Filme
und Serien produzieren und solange nicht Karl-Eduard von Schnitzler
darin auftrat, konnte ich es nicht als antiwestlich einstufen. Wer weiß,
vielleicht würde die Serie »Polizeiruf 110« noch lange nach dem Ende der
DDR laufen.
Solange sich Kommunismus und Kapitalismus nur mit Fernsehserien und
Filmen bekriegten, war die Welt in Ordnung.
Am 3. Juli 1971 war die Welt nicht mehr in Ordnung. Die Sowjetunion
beschuldigte die USA, geheime Technologie auf dem Mond gefunden zu
haben und versteckt zu halten. Der Erste Sekretär der UdSSR verlangte bis
zum 10. Juli die Offenlegung der Geheimnisse. Die Russen behaupteten
also, dass Freyt und seine Crew etwas auf dem Mond gefunden und
mitgenommen hätten. Nicht ganz zu unrecht forderten sie deshalb eine
Erklärung, die die Welt verdient hätte. Außerdem erklärte der Erste
Sekretär, dass diese geheimnisvolle Technologie für die Vernichtung ihrer
Mondrakete im März verantwortlich gewesen sei.
Am 5. Juli 1971 unterstützte die Asiatische Föderation die Forderung der
UdSSR.
Die USA dementierten am 10. Juli und wiesen die Anschuldigungen als
lächerlich zurück. Michael Freyt, Rod Nyssen, Clark G. Flipper und Dr.
Eric Manoli sagten aus, dass sie nichts als Gestein gefunden hätten.
Wissenschaftler berichteten einhellig, dass das Mondgestein aus drei
unterschiedlichen Arten bestand. Luna bestand zum Großteil aus diesem
Basaltgestein, das aus geschmolzenem Magma entstanden, an die
Oberfläche gelangt und dort abkühlt war. Analysen zufolge war das dunkle
Gestein reich an Eisen und Magnesium.
Die zweite Gesteinsart hieß Brekzie und war eine Art Mischgestein, das
entstand, wenn Fragmente zusammenklebten. Das waren Regolith-
Fragmente, Teile der Mondkruste oder Basaltische Gesteine. Offenbar ergab
sich diese Kombination aus Meteroiteneinschlägen, die es ziemlich häufig
auf dem Mond gab.
Die dritte bekannte Art war Anorthosit, ein helles Gestein, reich an
Plagioklas-Feldspat. Davon ist viel in der Mondkruste zu finden.
Anscheinend war es recht ähnlich beschaffen wie die Erdkruste. Plagioklas-
Feldspäte waren Mineralien wie Kalzium oder Natrium. Das Material auf
dem Mond war reich an Kalzium.
Doch kein Mondgestein war außergewöhnlich oder verbarg ein
Geheimnis. Also ging es nicht darum. Die Russen sprachen von einer
geheimen Technologie, die die Amerikaner versteckten.
Die wird bestimmt nicht in einem Stein drin sein. Denk doch mal nach.
Technologie ist künstlich und kein Mineral. Sie haben etwas gefunden, was
gar nicht auf den Mond gehört.
Harry hatte recht. Doch wie konnte man das beweisen? Tausende Spione
und Journalisten würden nachforschen. Was sollte ich da schon ausrichten?
Ich befand mich nicht in Washington oder in Nevada, sondern in einer
Hochhauswohnung in Berlin-Lichtenrade.
Und eigentlich solltest du gleich mit Tina im Restaurant am Tiergarten
sitzen. Doch du sitzt ja in deiner Wohnung.
Verdammt, Tina! Ich hatte die Verabredung vergessen. Ich Idiot! Nach
Charlottenburg war es mit der Bahn über eine Stunde, doch wir wollten uns
in einer halben Stunde treffen. Die Bahn konnte ich vergessen. Ich nahm
den Telefonhörer in die Hand und rief ein Taxi.
Nachdem ich mich ausgehfertig gemacht hatte, war das Taxi, neu jetzt mit
dem weißen Anstrich, auch schon da und wartete am Vorplatz der John-
Locke-Siedlung. Es war wolkig und es nieselte ein wenig.
Der Taxifahrer trug eine Schiffermütze und hatte eine breite Nase.
»Kommse rin, könnse rauskieken«, sagte er wenig geistreich. Aber das
war normal. Die Taxifahrer sollten während der Fahrt die Gäste unterhalten
und witzig sein. Ich war aber in Eile und kannte die Berliner Sprüche in-
und auswendig.
»Schnell zur Kongresshalle am Tiergarten«, sagte ich.
»Haste ne Scheibe oder wat? Kennste nicht den Verkehr um die Uhrzeit?«
»Bitte einfach so schnell es geht. Ich habe eine Verabredung mit einem
Mädchen.«
»Na wenn dat so ist, drücke ich mal uff die Tube.«
Nach 25 Minuten erreichten wir die Kongresshalle mit dem markanten frei
hängenden Dach, das in der Mitte eingeknickt war. Sie sah wie eine
gigantische, futuristische Muschel aus. Ich eilte über den Bassinsteg in
Richtung Gebäude.
Das Restaurant war fein und nicht die Imbissbude um die Ecke oder das
rustikale »Die Dicke Wirtin«. Ich entdeckte Tina. Sie hatte ihr blondes Haar
hochgesteckt und trug ein grünes Sommerkleid. Doch sie war nicht
allein. Der Mann mit dem graubraunen Haar neben ihr dreht sich um. Björn
Lessing! Was zum Teufel …? Als er mich erkannte, winkte er mich zu ihm.
Am liebsten wäre ich sofort nach Hause gegangen.
Tina sah bezaubernd aus in ihrem Blümchenkleid, Lessing trug einen
grauen Anzug, und ich kam mit Jeans und Hemd daher und sah eher aus, als
ob ich ein Taxifahrer oder Bote wäre.
»Schön, dass Sie es noch einrichten konnten, Olaf. Ich habe derweil Ihre
Stellung eingenommen und Tina etwas vertröstet. Sie musste ja doch etwas
länger warten. Aber ich habe Ihr erzählt, dass Sie emsig an einem
sensationellen Artikel für uns arbeiten.«
Ich nahm Platz.
Der verarscht dich doch nur und schnappt dir Tina vor der Nase weg.
Darauf wäre ich ohne Harrys Hinweis nicht gekommen. Tina Peters
arbeitete als Sekretärin in der Redaktion, und es hatte mich viel gutes
Zureden gekostet, sie zu einem Essen zu bewegen.
»Was für ein Zufall, dass Sie auch im Restaurant waren, um Tina
Gesellschaft zu leisten«, sagte ich verbittert. Lessing grinste. Tina zündete
sich eine Zigarette an und wirkte eher genervt als froh, mich zu sehen.
»Björn war so galant, mich hierher zu fahren. Dann stellten wir fest, dass
du noch nicht da bist, und er leistete mir Gesellschaft. Ich finde das
charmanter, als eine Dame warten zu lassen.«
Das saß!
»Es tut mir leid, Tina! Ich habe viel über die Mondmission nachgedacht.«
Eine Kellnerin brachte Björn ein großes Bier und Tina einen Weißwein.
Ich bestellte ebenfalls ein Bier, welches mir auch prompt gebracht wurde.
Auch ich zündete mir eine Zigarette an, schließlich Björn auch.
»Die Vorwürfe der UdSSR sind haltlos. Was sollen denn die Astronauten
dort entdeckt haben?«, fragte ich in die Runde.
Tina zuckte mit den Schultern, Björn lehnte sich zurück.
»Wissen Sie noch, als es Ende der 40er Jahre so ein Aufsehen um Nevada
gab?«
Das konnte er unmöglich ernst meinen. Damals, es muss so 1947 oder
1948 gewesen sein, hatte man geglaubt, ein Raumschiff von Außerirdischen
sei auf der Erde abgestürzt. Angeblich waren die Überreste in die Area 51
gebracht worden. Das war doch absurd.
»Kleine grüne Männchen vom Mond? Oder vom Mars? , sagte ich nur und
nahm einen Schluck Bier. »Das halte ich für sehr weit hergeholt.«
»Wirklich?«, fragte Lessing. »Halten Sie sich selbst und die menschliche
Rasse für die höchstentwickelte Zivilisation im ganzen Universum? Das
Universum ist gigantisch. Milliarden von Lichtjahren groß. Billiarden
Erden könnte es geben, und nur unser kleiner Planet ist bewohnt?«
Er lachte abfällig.
»Wenn das so wäre, dann ist das Universum wirklich die größte
Verschwendung von Raum und Zeit.«
Ich winkte ab.
»Ich meine das gar nicht in diese Richtung. Aber wieso sollte eine
intelligente, raumfahrende Spezies auf unserem Mond warten? Wenn sie
Kontakt aufnehmen wollen, dann fliegen sie doch direkt zum bewohnten
Planeten und kauern nicht auf einem leblosen Stück Stein.«
»Und was ist, wenn sie uns beobachten wollen? Wenn sie einfach
unauffällig agieren wollen?«
Das war ein Argument. Doch dann passte die Mondmission nicht in diese
Geschichte.
»Wenn ich eine technisch höher entwickelte Spezies bin, dann orte ich die
STARDUST frühzeitig und ziehe mich zurück. Die Menschheit hätte bei so
einer Entdeckung nie die Zügel in der Hand.«
»Schreiben Sie drüber, Mann!«
»Was?«
»Sie verstehen mich, Olaf! Schreiben Sie einen Bericht. Was wäre, wenn
man außerirdisches Leben auf dem Mond gefunden hat? Diskutieren Sie
das Pro und Contra der russischen These. Das bringen wir morgen früh in
der Zeitung.«
Ich nahm einen weiteren Schluck Bier.
»Aber ich bin gerade zum Essen verabredet«, warf ich ein.
»Mich langweilt das sowieso hier«, gestand Tina und nippte lustlos an
ihrem Wein.
Björn Lessing klatschte in die Hände.
»Dann habe ich eine famose Idee. Sie werden jetzt ins Büro zurückkehren,
mein lieber Olaf, und schreiben einen beeindruckenden Artikel. Ich leiste
der lieben Tina Gesellschaft, und nach einem wunderbaren Essen mit ihr
werde ich mit der Lady in ein Hotel gehen, wo wir beide uns bis in die
Morgenstunden vergnügen, während Sie einen grandiosen Artikel
schreiben, der Ihnen den Pulitzerpreis einbringen könnte.«
Tina lachte über Lessings Worte. Mir war nicht zum Lachen zumute.
»Nun sein Sie doch nicht so prüde. Ich finde meinen Vorschlag
vorzüglich.«
Lessing blickte vergnügt zu Tina, und sie erwiderte seinen Blick.
»Ich auch. Bei der Gelegenheit könnten wir ja auch einmal über eine
Gehaltserhöhung reden.«
Er kicherte dreckig.
»Ich werde heute Nacht eine intensive Betrachtung und Bewertung Ihrer
Anfrage durchführen.« Dann sah er zu mir. »Ist noch etwas, Olaf? Ich
möchte es nicht so deutlich sagen, aber Sie sind derzeit das fünfte Rad am
Wagen.«
Tust du mir den Gefallen und sagst denen, was ich dir sage?
Also gut! Und ich wiederholte das, was Harry mir in den Kopf flüsterte.
»Die Einmalzahlung einer Nutte wäre sicherlich günstiger als eine
dauerhafte Gehaltserhöhung. Wieso mehr bezahlen für die gleiche
Leistung?«
Zuerst sahen mich beide verdutzt an, dann fing Lessing prustend an zu
lachen und zeigte mit dem Finger auf mich.
»Sie lernen dazu, Olaf! Das ist die richtige Geschäftseinstellung.«
Er nahm sein Glas Bier und prostete mir zu.
»Frauen, lieber Olaf, Frauen sind so anmutig, so zart und weich
zumindest die Schönen unter ihnen. Doch im Endeffekt bleiben sie nur
Beiwerk eines Mannes. Ein warmer Körper in der Nacht, das schöne
Gesicht am Tage doch es lohnt sich nicht für einen Mann, sich deswegen
in Unkosten zu stürzen.«
»So hatte ich das nicht gemeint. Doch diese Frau dort ist es definitiv nicht
wert. Ich habe mich schrecklich in ihr getäuscht.«
Ich konnte meine Abneigung nicht verbergen. Am liebsten würde ich
kündigen. Lessing winkte ab. »Aber Sie haben doch Recht. Wissen Sie, es
gab da im Mittelalter einen Mann, der hatte mehr als ein Dutzend Geliebte,
während seine Gefährtin schlief.«
»Sie hatte wohl einen guten Schlaf«, meinte ich trocken.
»Sie konnte Jahrhunderte verpennen«, erklärte Lessing und wollte weiter
trinken, doch das Bier war leer. Er rief die Kellnerin und orderte zwei
weitere Gläser. Er kicherte grunzend.
»Setzen Sie sich wieder
»Was soll das jetzt?«, fragte Tina und zog die Augenbrauen zusammen
Lessing wurde todernst.
»Das bedeutet, mit Olaf Peterson hat meine Zeitung einen guten Schreiber.
Du bist eine austauschbare Braut auf dem Bürostuhl und mit deinen
mickrigen Titten deutlich unterqualifiziert für den Job. Du bist gefeuert.
Das Gehalt für drei Monate bekommst du morgen, nachdem du deinen
Tisch geräumt hast.«
»Was?«
Tina wirkte völlig verdutzt. Dann stand sie auf.
»Das … das kannst du nicht tun.«
»Natürlich kann ich das. Und nun Kindchen, mach keine Szene. Ich
bezahle auch den Wein. Jetzt aus meinen Augen. Husch!«
Er machte eine unmissverständliche Geste mit der Hand. So eiskalt hatte
ich Björn Lessing noch nie erlebt. Tina starrte mich an, doch Mitleid konnte
sie nicht von mir erwarten. Wer wusste schon, wie oft sie es schon mit
Lessing getrieben hatte? Und ich dachte wirklich, ihr hatte etwas an mir
gelegen. Den Hohn und Spott vor einigen Minuten konnte ich nicht
vergessen. Sie würde schon einen anderen Bürojob finden. Tina nahm ihre
Tasche und ging wütend davon.
»Und nun setzen Sie sich wieder, Olaf! Sie haben Biss gezeigt. Sie sind
der Kerl aus meiner Geschichte mit den über zwölf Eisen im
mittelalterlichen Ofen.«
Ich nahm erneut Platz.
Pass auf mit dem. Der ist gefährlich.
Natürlich war er das, Harry! Ich traute meinem Chefredakteur keinen
halben Meter weit. Seine Gleichung mit dem ritterlichen Schwerenöter
konnte er sich schenken. Als ob es jemanden geben würde, dessen
schläfrige Frau zwölf Affären nicht mitbekommen hatte. So eine Trantüte
gab es gewiss nicht.
Die Kellnerin brachte die nächsten Biere.
»Nun zurück zum Geschäft. Wir kommen sicher nicht an Interviews mit
der US Space Force heran. Ich kriege weder ein Ticket für Sie zum Flug
nach Nevada noch haben sie eine geheimdienstliche Ausbildung, um
Agenten des FBI zu trotzen. Hoover und Colonel Kaats werden sicher alles
tun, um Entdeckungen geheimzuhalten. Außerdem gibt es da diesen
anderen Typen, Allan D. Mercant. Das ist der Chef des O-Geheimdienstes
IIA. Das sind keine Anfänger
»Ich dachte auch in eine andere Richtung«, warf ich ein.
»Ich bin ganz Ohr …«
Lessing verschränkte die Arme vor dem Bauch.
»Zwei Astronauten wurden kurz vor der Mission aussortiert, Perry
Rhodan und Reginald Bull. Wieso? Dem möchte ich nachgehen. Vielleicht
wissen die etwas. Wir sollten nicht vergessen, dass Rhodan eine
Mondumrundung mitgemacht hat. Rhodan hat den Mond kartografiert. Was
ist, wenn er etwas entdeckt hat?«
Lessing wirkte nachdenklich. Die Kellnerin kam erneut und fragte, ob wir
noch ein Getränk wünschten. Er schüttelte nur den Kopf.
»Wissen Sie, wo Sie Perry Rhodan finden?«
Ich lächelte. Es war nun Zeit, meine Trumpfkarte auszuspielen.
»Perry Rhodan und sein Kamerad Reginald Bull wurden nach
Deutschland versetzt. Sie sind auf der Hahn Air Base. Etwa 100 Kilometer
südlich von Köln in Rheinland-Pfalz.«
Lessing grinste.
»Sie sind ein Fuchs, Olaf! Ganz ehrlich, was hatten Sie mit Tina vor?
Einmal rüber und dann weg mit ihr?«
Ich verstand nicht, was er meinte und wieso er wieder auf Tina kam. Ich
empfand etwas für sie. Ich sehnte mich nach Liebe und Zweisamkeit. Doch
bei der würde ich das ganz bestimmt nicht finden. Ich war auch nicht der
gewissenlose Schwerenöter, wie Lessing es mir offenbar zutraute. Ich zog
es vor, das Thema zu wechseln.
»Was ist jetzt mit Perry Rhodan?«
Lessing atmete tief durch und kam mir näher.
»Kaufen Sie sich ein Ticket bei der Bahn und fahren Sie nach Hahn.
Sprechen Sie mit diesem Rhodan. Die Story ist heiß.«
Die Neuordnung der Erde und ihr Untergang
Die aufwühlende Musik von Richard Wagners »Ritt der Walküren« erklang,
während Aufnahmen den Untergang der alliierten Flotte vor der Normandie
zeigten. Die Musik wechselte in eine modernisierte Version. Sie war von
Franz Friedl geschrieben worden, dem Komponisten der Wochenschau.
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Nie
würde ich den Anblick vergessen, als eine Flotte von 5.000 Schiffen im
Kanal zwischen Großbritannien und Frankreich von den
Reichsflugscheiben versenkt worden war. Eine Woche war das jetzt her.
Harry Giese, der Stammsprecher der Deutschen Wochenschau, drückte
meine Gedanken aus: »Der Untergang der Invasoren ist ein Anblick, den
wir niemals vergessen werden. Er wird uns ständig in Erinnerung bleiben.
Unser Führer hat niemals daran gezweifelt, niemals aufgegeben, niemals
geschwankt oder gewankt. Dank der Wunderwaffen wurden 10.000 Schiffe
auf den Grund des Atlantiks geschickt. Deutschland hat de facto den Krieg
gewonnen.«
Die Reichsflugscheiben wurden eingeblendet. Jener geheimnisvolle,
unbekannte Fürst hatte Deutschland ins gesamt 50 dieser Raumschiffe zur
Verfügung gestellt. Zehn davon hatten die alliierte Flotte zerstört. 50 davon
würden die Welt vernichten, wenn sie dazu den Befehl bekämen.
Hitler hatte den USA und England ein Ultimatum gestellt, das am 30. Juni
1944 auslief. Die Sowjetunion würde diese Chance nicht bekommen. Ich
war dem Geschwader HAUNEBU zugeteilt, gehörte zum Führungsstab des
geheimnisvollen Lars Born. Die SS, die Wehrmacht und die Luftwaffe
buhlten um unsere Streitkräfte. Formell gehörten wir der Luftwaffe an, doch
offenbar gab es Spezialeinsätze, welcher der SS unterstanden.
Ich konnte meinen Aufstieg kaum fassen. Noch vor einer Woche war ich
ein einfacher Landser in Frankreich gewesen, und nun gehörte ich zu einem
Sondereinsatzkommando auf höchster Ebene. Doch um welchen Preis? Ich
würde auch niemals die starren Augen des kleinen Perry vergessen, eines
unschuldigen amerikanischen Jungen, den ich getötet hatte –weil es mir
befohlen wurde.
Ich war Soldat und befolgte Befehle. Aber ich hatte auch ein Gewissen.
Perrys leblose Augen verfolgten mich in meinen Träumen. War ich zu
schwach, um meine Pflichten zu erfüllen?
Die Wochenschau war vorüber, und es wurde hell im Vorführraum. Ich sah
hinüber zu Werner Niesewitz, denn auch er gehörte zum Spezialkommando
HAUNEBU.
Wir verließen den kleinen Saal, in den etwa 100 Besatzungsmitglieder der
HAUNEBU-IX passten. Die roten Sessel erinnerten an die Einrichtung
eines Kinosaals. Wir gingen den Korridor entlang. Ich starrte auf den
schwarzen Boden und erschrak, als einer dieser sogenannten Roboter an mir
vorbei ging. Sie bildeten den Großteil der Besatzung des Schiffes, denn die
Ausbildung von Soldaten, Piloten und Bodenpersonals an den Geräten der
HAUNEBU-Klasse erfolgte erst jetzt. Nur wenige Spezialkräfte waren
bisher in das Geheimnis eingeweiht, und ich wusste bis heute nicht, wann
Hitler selbst von diesen Reichsflugscheiben erfahren hatte, wann Lars Born
den Führer im Namen seines Fürsten informiert hatte.
Der Besprechungsraum lag neben der kreisförmigen Kommandozentrale
und wirkte auf mich finster. Boden und Wände waren auch hier in einem
dunklen Grau gehalten. Die Fußleisten spendeten ein weißes Licht, ebenso
weiße Lampen, welche in die dunklen Wände eingelassen waren.
Lars Born saß an dem schwarzen Tisch und betrachtete etwas auf einem
Display. Die Anzeige war in den Tisch integriert, so wie eine Leinwand.
Nur war sie kleiner und schärfer, und sie konnte ganze Bücher, Karten und
Bilder speichern und anzeigen.
Diese Technologie war uns mindestens 50 bis 100 Jahre voraus. Oder
1.000 Jahre? Ich hatte keine Vorstellung, wie sie funktionierte. Die von den
Reichsflugscheiben ausgestrahlten Blitze waren Energiestrahlen, wie man
mir erklärte. Die Legierung der HAUNEBU-Raumschiffe war aus einem für
unsere bekannten Waffen undurchdringlichen Metall, und ein Schutzschirm
aus Energie wehrte alle Kugeln und Geschosse ab. Der Antrieb brachte die
HAUNEBU-Schiffe bis in den Orbit jenseits der Erdatmosphäre und
darüber hinaus. Wir konnten theoretisch wohl zwischen den Sternen reisen.
Was gab es dort?
»Ah, die Herren sind hier. Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Born und
deutete auf die freien Plätze. Niesewitz und ich setzten uns.
Born wirkte gut gelaunt.
»Nun, das HAUNEBU-Geschwader hat ja wie eine Bombe
eingeschlagen.« Er kicherte grunzend. Dann wurde er wieder ernst.
»Aber ein HAUNEBU-Raumschiff muss letzten Endes von Menschen
bedient werden können. Eine Stammbesatzung von etwa 50 Leuten ist
vorgesehen. Der Rest wird durch die Roboter und die Positronik gesteuert.
Das bedeutet, wir werden in den kommenden Wochen und Monaten
Personal rekrutieren und ausbilden. Mit Ihnen beiden fangen wir an.«
Er widmete sich wieder den Aufzeichnungen auf dem Tischdisplay. Ich
sah Niesewitz an.
»Warum wir, Herr Sturmbannführer?«
»Obersturmbannführer inzwischen«, antwortete Born. »Sie haben sich als
äußerst loyal in Wisconsin erwiesen. Ich kann mir denken, dass die
Eliminierung eines achtjährigen Kindes auf Ihrem Gewissen lastet, Herr
Nathan.« Born sah wieder hoch. »Deshalb habe ich mich beim Führer für
Sie beide eingesetzt. Sie beide werden mit sofortiger Wirkung zum
Leutnant befördert und sind fester Bestandteil der Einsatzgruppe
HAUNEBU. Herzlichen Glückwunsch.«
Niesewitz sprang auf und riss den linken Arm in die Höhe.
Born winkte ab.
»Lassen Sie das, wir sind ja hier unter uns. Wir haben noch viel Arbeit vor
uns. Während Roosevelt und Churchill nun nichts anderes als die
bedingungslose Kapitulation übrig bleibt, müssen wir dem Russen noch
unseren Stiefel ins Gesicht drücken.«
Vor uns baute sich eine dreidimensionale Karte in der Luft auf. Das war
der Frontabschnitt in Weißrussland der Heeresgruppe Mitte. Sie erstreckte
sich von Rossony bis Gorki.
»Der Russe bereitet eine Offensive vor, doch auch Stalin ist in
Schockstarre. Er zögert aufgrund der Ereignisse in der Normandie. Wir
werden noch heute die Sowjetarmeen vernichten.«
Born lächelte und nahm einen Schluck Kaffee.
»Sie können sich ja nicht verstecken.«
Weißrussland stand in Flammen. Von Rossony bis Gorki eröffneten die
HAUNEBU-Schiffe das Feuer und belegten die russischen Panzer,
Lastwagen, Artillerie und Infanterie mit einer vernichtenden Feuerwalze.
Alle 50 HAUNEBU-Reichsflugscheiben waren im Einsatz. Zuerst wurde
die Angreifer im Norden vernichtet. 1,4 Millionen Soldaten, über 5.000
Panzer und 31.000 Geschütze, Mörser und Raketenwerfer. Über 5.000
Flugzeuge wurden wie Tontauben abgeschossen.
Die Sommeroffensive der Russen war beendet. Lars Born betrachtete
zufrieden die Übertragungen der Außenbordkameras. Sie zeigten brennende
Panzer und Lastwagen, abgestürzte Flugzeuge und vereinzelt fliehende
Soldaten. Die Masse war im Feuersturm bereits umgekommen. Die
Energiestrahlen der HAUNEBU-Raumschiffe waren apokalyptisch.
»Informieren Sie Generalfeldmarschall Busch über den Sieg. Seine
Soldaten können nun mit der Gegenoffensive beginnen«, sagte Born und
klatschte ein die Hände.
»Nun denn, wie geht es weiter?«
Ich stellte mich neben ihn und blickte auf den Kartentisch.
»Unsere Truppen sind dezimiert und angeschlagen. Es wird Monate, wenn
nicht Jahre dauern, bis wir die Gebiete wieder besetzen können. Ich schlage
vor, dass wir mit dem HAUNEBU-Geschwader auf Zerstörungsmission
gehen. Wir vernichten die Armeeverbände, die Industrieanlagen und die
Nachschublinien. Überall, wo ein Russe auftaucht, feuern wir mit unseren
…«
»Energiestrahlen«, ergänzte Born freundlich.
»Korrekt: Energiestrahlen.«
»Ein guter Plan. Mit einer Ausnahme. Der Führer wünscht die
Vernichtung von Moskau oder zumindest von Teilen der Stadt. «
Am 15. Juni 1944 stand Moskau in Flammen. Ein Feuersturm wütete im
Stadtzentrum. Der Kreml war nicht mehr zu erkennen, vermutlich wurde er
einfach pulverisiert. Die Abwehr hatte uns zuvor versichert, dass sich Josef
Stalin in Moskau befand. Das HAUNEBU-Geschwader wütete in
Osteuropa. Stalingrad und Leningrad waren vernichtet.
Dem Endsieg stand nichts mehr im Wege.
Am 30. Juni 1944 kapitulierten die USA und England. Der 2. Weltkrieg
endete an diesem Tage mit dem Deutschen Reich als Sieger.
Es gab noch eine Angelegenheit zu erledigen. Die HAUNEBU-IX flog zu
den Azoren, einer Inselgruppe im Atlantik bei Westafrika. Born wusste
genau, zu welchen Koordinaten das Schiff musste. Es tauchte vor der Insel
Sao Miguel in das Meer ein. Die HAUNEBU Reichsflugscheiben waren
nicht nur Flugzeug und Raumschiff, sondern auch U-Boot.
Ich blickte auf die Anzeigen. Wir befanden uns in einer Tiefe von 2.852
Metern. Vor uns lag eine 120 Meter durchmessende und etwa 60 Meter
hohe Station. Die Kuppel leuchtete blau und thronte auf einem Zylinder, der
in den Felsen eingelassen war.
Was war das? Eine Stadt im Meer? Kam Born von dort?
Ein zweites Schiff, die HAUNEBU-V tauchte ins Wasser und nahm
Position neben der IX ein. Dann erteilte Born den Feuerbefehl. Doch
diesmal wehrte sich der Gegner. Die Station im Wasser feuerte zurück. Die
HAUNEBU wurde kräftig durchgeschüttelt. Zum ersten Mal waren wir in
Gefahr. Ich war mir sicher, dass diese Station nicht von Menschenhand
erbaut war.
Zwei weitere Reichsflugscheiben unterstützten uns. Die HAUNEBU-V
wurde schwer getroffen und zog sich zurück. Die III und VII ersetzten sie.
Bei jeder Detonation vor der fremden Unterwasserstation flammte der blaue
Schirm rötlich auf. Dann blieb das Rot, und der Energieschirm brach
schließlich zusammen. Alle drei Schiffe feuerten aus allen Rohren, und der
Stahl der Tiefseekuppel schmolz dahin und wurde zu einem Lavastrom, der
sich über den Ozeangrund ergoss. Drei Explosionen erschütterten die
Tiefseekuppel. Das Licht dort erlosch und Wasserdruck tat sein Übriges.
»Was oder wen haben wir vernichtet?«, wollte ich von Lars Born wissen.
Dieser war ausgesprochen ernst.
»Eigentlich nur einen Roboter mit dem Namen Rico. Doch viel wichtiger
ist, dass wir dem Besitzer dieser Tiefseekuppel die Rückkehr zur Erde
verwehrt haben. Perry Rhodan ist tot und Atlan sitzt auf der Welt Miracle
fest. Adolf Hitler, euer Führer, hat nun freie Hand, die Geschicke dieses
Planeten zu lenken.«
Born sah mich bedeutungsvoll an.
Der Endsieg kostete viele Menschen das Leben. Die Slawen wurden brutal
vernichtet. Sie wurden von unserem HAUNEBU-Geschwader bis nach
Wladiwostok gejagt und vernichtet.
Es dauerte jedoch noch weitere fünf Jahre, bis die Welt geordnet war. Es
benötigte unzählige Einsätze der Vernichtung.
Reichsführer Heinrich Himmler nutzte die Technologie der HAUNEBU-
X, um Staatsfeinde zu eliminieren. Wir verwendeten eine Waffe mit dem
Namen Desintegrator. Die Waffe war äußerst human. Mittels eines
Hyperfeldes wurden die Bindungskräfte zwischen den Molekülen
neutralisiert. Als Ergebnis löste sich die beschossene Materie in dem
betroffenen Bereich ohne Wärmeentwicklung zu atomarem Feinstaub und
Gasen auf. Das beseitigte die Körper einfach und rückstandslos. Schlimme
Eindrücke wie die leblosen Augen des kleinen Perry, von denen ich immer
noch hier und da träumte, gab es mit dem Desintegrator nicht.
Theodor Roosevelt, der amerikanische Präsident, war am 01. Juli 1944
abgesetzt worden, genauso wie der britische Premierminister Winston
Churchill. Roosevelt starb wenige Monate darauf an einem Hirnschlag,
Churchill fristete sein Dasein im Exil.
Der japanische Tenno, Kaiser Hirohito, wurde zu Hitlers Stellvertreter.
Deutschland und Japan teilten sich die Welt faktisch auf.
175 Jahre später…
»Diese verfluchten Schweinehunde haben mich verraten. Überall Verräter
und Versager. Ich sollte sie alle desintegrieren. Schickt ein Schlachtschiff
und pulverisiert sie, die arkonidischen Herrn da und ta! Allesamt
Schweinepriester und Dilettanten!«
Adolf Hitler schrie sich die Seele aus dem Leib. Seine Wutausbrüche
waren gefürchtet. Er war in fast zwei Jahrhunderten nicht ruhiger
geworden.
»Raumgeneral Nathan, berichten Sie!«
Ich atmete tief durch und stellte mich an den Kartentisch, auf dem die
Milchstraße holographisch dargestellte wurde. Ich aktivierte die interaktive
Karte. Blaue Punkte symbolisierten unsere Reichsraumstreitkräfte, die roten
Punkte stellten die akonisch-jülziishe Allianz dar.
»Gos’Ranton hat kapituliert. Die Roboterflotte der Arkoniden steht unter
Kontrolle des Feindes. Der Feind nimmt Kurs auf das Sonnensystem. Sie
sind uns zahlenmäßig weit überlegen.«
Hitler donnerte die Faust auf den Tisch.
»Wir sind Herrenmenschen! Wir sind Germanen. Germania wird diesen
Tellerköpfen und Menschenverrätern niemals in die Hände fallen. Niemals!
Born!«
Der grauhaarige Reichsminister zählte neben Himmler und Bohrmann zu
den Führern des Sternenreiches Germania. Immerhin unterstand Born die
Galaktische Staatspolizei. Ich musste an die Ereignisse vom 06. Juni 1944
zurückdenken. Damals hatte der kometenhafte Aufstieg Borns begonnen.
Einzig Himmler hatte dem ehrgeizigen Unbekannten trotzen können.
Borns geheimnisvolle Reichsflugscheiben waren im Kampf unbesiegbar
gewesen. Zuerst war Moskau zerstört worden, dann Stalingrad, Leningrad,
Minsk und Kiew. Nachdem die Sowjetunion förmlich pulverisiert worden
war, hatten sich Großbritannien und die USA schließlich ergeben.
1950 hatte Hitler alle Länder erobert und die Erde kurzerhand Germania
getauft. Die Eroberung des Sonnensystems folgte, bis Hitler und seine
engsten Vertrauten und fähigsten Gefolgsleute Zellduschen erhielten, die
uns relativ unsterblich machten. Ich hatte diese Vorteile mit dem Mord an
einen unschuldigen Jungen namens Perry Rhodan und der Auslöschung von
ganzen Ethnien, welche dem Fortschritt des Reiches im Wege gestanden
hatten, teuer bezahlen müssen. Richtig froh war ich seitdem nie wieder
gewesen.
Born und Hitler diskutierten. Hitler brüllte Born an, der winkte gelassen
ab.
»Nun, mein Führer, Sie haben es trotz bester Voraussetzungen nicht
geschafft, ein stabiles Sternenreich zu etablieren. Sie können nur kämpfen
und vernichten. Sie sind kein Schöpfer, Sie sind nur ein Zerstörer«
Born vollzog den Hitlergruß und verließ den Besprechungsraum im
Führerhauptquartier. Ich atmete tief durch. Hitler war still geworden und
ließ sich in seinen Sessel fallen.
29 Tage später…
Germania brannte. Das Sonnensystem war hart umkämpft. Unsere tapferen
Menschen stritten um jeden Asteroiden, doch die Übermacht war zu groß.
Die Bombardements der Jülziish und Akonen hatten bereits ganze Städte
vernichtet.
»Das wars«, sagte Werner Niesewitz und hob die Flasche mit
französischem Cognac. »200 Jahre hatten sie uns gegeben, um aus den
Fehlern zu lernen, doch wir haben es vergeigt.«
»Wer sind ›sie‹?«, fragte ich. Das Donnern der Bomben konnte mich nicht
mehr aus der Ruhe bringen.
»Na Born und sein geheimnisvoller Fürst, den noch nie jemand außer
Hitler zu Gesicht bekommen hatte. Woher kamen die Wunderwaffen? Das
war ein Geschenk. Das war eine Prüfung. Die Alliierten hätten uns am 06.
Juni 1944 besiegt und wären ein paar Monate später in Berlin gewesen.
Nein, die haben uns gerettet, weil wir die auserwählte Herrenrasse waren.
Doch wir haben es versaut.«
Niesewitz nahm einen kräftigen Schluck aus der Pulle.
»Ein Hoch auf den Führer!«
Ich winkte ab.
»Jetzt sei still. Er hat noch genug Freunde, die uns in die nächste
Desintegrationskammer bringen können.«
Niesewitz lachte bitter.
»Es ist eh vorbei.«
Der Boden vibrierte. Doch diesmal war es anders. Das war keine einfache
Detonation einer Bombe. Das war ein Erdbeben, und es war konstant. Ich
ging an die Konsole und rief mir den Statusbericht auf. Ich erstarrte.
»Arkonbombenalarm.«
Das war wahrlich das Ende. Die Arkonbombe war die grauenvollste Waffe
in der Milchstraße. Sie startete einen unaufhaltsamen Atombrand auf einem
Planeten, bis alles vernichtet war. Damit war das Schicksal Germanias
besiegelt.
Ich wusste, dass keine Evakuierung möglich war. Wohin sollten wir auch?
Auf ein Raumschiff und vor den Horden der Tellerköpfe fliehen? Wenn
unsere stolze Rasse unterging, blieb ich an Bord.
Ich verließ den Raum, schritt den Korridor des Führerhauptquartiers
entlang, ließ mich von panisch schreiendem Personal anrempeln und
erreichte den inneren Kreis. Ich sah Hitler, der sich von seinen Generälen
und Mitarbeitern verabschiedete. Ausgerechnet Lars Born schüttelte ihm als
letztes die Hand. Hitler hatte ihm den Disput vor einem Monat verziehen.
Und nun starben sie zusammen. Born sah mich und winkte mich näher.
»Kommen Sie, Carl! Erweisen wir dem Führer die letzte Ehre.«
Welche Ehre? Er hatte die Menschheit in den Untergang geführt. Und wir
waren ihm blind gefolgt. Wir folgten unserem ehemaligen Anführer in sein
privates Quartier. Dort saß seine Frau Eva Hitler und blickte uns ängstlich
entgegen. Born holte lächelnd eine Schatulle mit zwei Kapseln aus der
Hosentasche und öffnete sie.
»Das ist ein Toxin der Aras. Es wirkt innerhalb von drei Sekunden und ist,
wenn ich mir dieses Wortspiel in Anbetracht der Lage erlauben darf,
todsicher
Born kicherte grunzend.
Er reichte Eva Hitler die Schatulle, und sie nahm mit zitternden Händen
eine Kapsel. Dann wandte sie sich an ihren Mann.
»Gibt es keinen anderen Weg, Adi? Wir sind schließlich unsterblich.«
Doch Hitler schüttelte den Kopf.
»Mein Schicksal ist mit Germania verflochten. Geht diese Welt unter,
gehe ich auch unter. Außerdem …«
»Ja?«
»Nun ja«, mischte sich Born ein. »Mein Auftraggeber, der Fürst, ist nicht
bereit, gescheiterten Existenzen noch eine weitere Zelldusche zu gewähren.
Da Ihre nächste Zelldusche bereits in zwei Jahren fällig ist, hätten Sie
sowieso nicht länger zu leben. Wollen Sie diese Zeit als verachtenswerte,
obdachlose Flüchtlinge in der Milchstraße hausen? Wie Zigeuner?«
Sie starrte Born erschrocken an und schüttelte langsam den Kopf.
Hitler nahm nun auch die Kapsel aus der Schatulle und zog seinen
Nadelstrahler. Born legte die Hand auf meine Schulter.
»Lassen wir dem Ehepaar Hitler ihre letzten Momente für sich alleine«,
sagte er.
Ich verließ mit Born das Quartier. Die Tür glitt aus der Wand und
verschloss den Raum. Wir gingen den Korridor entlang und hörten ein
lautes Zischen. Wir blieben stehen, sahen uns an. Dann folgte der nächste.
Ich seufzte.
Es war der 30. April 2119. Adolf Hitler war tot, und auf der Erde wütete
ein Atombrand. Mit schweren Beinen ging ich die Treppe aus dem Bunker
zur Reichskanzlei hoch. Ich hätte den Antigrav nehmen können, doch mir
war nicht danach. Born folgte mir ächzend. Nach etwa zehn Minuten
erreichten wir das Dach der Reichskanzlei, auf der sich seit 100 Jahren eine
große Terrasse befand.
Der Himmel flackerte rot. Es waren die Vorzeichen des nahenden
Atombrands. Schutzschirme würden sie nicht aufhalten, denn sie
verursache einen Kernbrand, der den Planeten regelrecht zusammenfallen
ließ. Die Erdbeben waren weitere Vorzeichen, und sie wurden jeden
Moment stärker. An einigen Stellen brach bereits Magma an die
Oberfläche. Lavaseen überfluteten Deutschland, Tsunamiwellen spülten San
Francisco und New York vom Antlitz der Erde.
Es wurde schwieriger zu stehen.
»Möchten Sie nicht die letzten Minuten mit Ihren Liebsten verbringen?«
Ich dachte an Hannelore. Sie war längst nicht mehr bei mir und wartete im
Paradies auf mich. Ich hatte niemals das Bedürfnis gehabt, mir eine andere
Frau zu suchen. Niemand hätte sie ersetzen können.
»Es gibt niemanden. Eine Frage habe ich noch.«
»Wir werden sehen, ob ich noch Zeit habe, sie zu beantworten«, sagte
Born regelrecht vergnügt, während erste Gebäude einstürzten.
»Der Junge Perry Perry Rhodan. Weshalb mussten wir ihn töten?
Weshalb war Hitlers Schicksal mit ihm verknüpft?«
Born seufzte.
»Rhodans Tod gab Adolf Hitler die Gelegenheit, die Erde zu regieren.
Doch dieses Experiment ist ganz offensichtlich fehlgeschlagen.«
»Das bedeutet, Perry Rhodans Tod war umsonst?«
Der Boden tat sich vor uns auf. Die Straße, Häuser, parkende Gleiter
stürzten in die Tiefe.
»Nun, in dieser Zeitlinie schon. Hitler ist ein gescheiterter Versuch. Doch
wir werden einen anderen starten.«
Ich starrte Born verwirrt an. Wer war dieser Mann? In welchen
Dimensionen dachte er? Dann fiel ich in die Tiefe, und nach einem kurzen,
brennenden Schmerz wurde es dunkel um mich.
Die CASSIOPEIA entfernt sich von der ATOSGO. © Raimund Peter
Die Temporale Anomalie
Thora starrte ungläubig auf das Hologramm des einhundert Meter
durchmessenden Kugelraumers mit dem Namen BURMA. Sie ging auf die
Knie, stützte sich mit einem Arm auf dem Boden ab. Ihr Kopf schmerze
schrecklich.
»Eure Hoheit?«, hörte sie dumpf.
Es musste die Stimme von Captain da Norian sein. Sie spürte eine Hand
auf ihrer Schulter. Sie schüttelte sich. Wer wagte es, sie anzufassen? Sie war
Imperatrice des Quarteriums! Niemand begrapschte sie. Sie erhob sich. Die
Beine waren schwach. Ihren Kopf schien jemand mit einer Säge zu
malträtieren, so stark waren die Kopfschmerzen. Sie öffnete die Augen und
sah alles verschwommen. Was war los mit ihr?
Der Schmerz in der Brust. Ein Schuss! Ein Ara entriss Ishi Matsu die
Waffe. Er schoss. Traf sie. Sie wusste, dass es vorbei war. Conrad
Deringhouse war in ihren letzten Minuten bei ihr. Sie dachte an Perry,
dachte an ihren Sohn Thomas. Er musste nun ohne Mutter aufwachsen und
Perry ohne Frau weiterleben. Sie konnte ihm keinen Rückhalt mehr geben
für seine altruistische Aufgabe. Sie hatte versagt. Wäre sie doch nur
vorsichtiger gewesen und nicht so egoistisch.
Thora schüttelte sich. Das war doch ein böser Traum. Diese seltsame
Anomalie trieb ein unheimliches Spiel mit ihr. Zuerst dieser Albtraum in
der Nacht, nun diese Vision, diese Vermischung mit einer Thora, die
offenbar aus einem anderen Universum oder einer anderen Zeit stammte
und im Sterben lag. Doch diese andere Thora war nicht tot, sondern
geisterte in ihrem Kopf herum. Es war, als wäre etwas von dieser fremden
Thora plötzlich in sie übergegangen. Sie hatte bruchstückhafte
Erinnerungen an … an Perry Rhodan.
Ein Mann, von dem sie bis diese Nacht nie etwas gehört hatte. Ein Mann,
mit dem sie angeblich verheiratet war und ein Kind namens Thomas hatte.
Welch ein Unfug. Sie war die Gemahlin des Emperador Don Philippe de la
Siniestro, eines Edelmannes, eines Aristokraten von Terra.
Thora betrachtete die dreidimensionale Karte. Die BURMA löste sich auf,
doch die Erinnerungen der anderen Thora blieben. Dieses verachtenswerte
Gefühl der bedingungslosen Liebe zu diesem Rhodan war ihr zuwider.
Diese Schwäche verängstigte sie und machte sie zugleich zornig.
Sie wollte dieses Gefühl aus ihren Gedanken verbannen, doch sie wusste
nicht wie. Thora ermahnte sich zur Konzentration. Sie musste jetzt so
emotionslos wie möglich handeln, mechanisiert, präzise wie eine
Positronik.
Disziplin! Reiß dich zusammen, mahnte ihr Extrasinn.
Vor ihr lag ein scheibenförmiges, schwer beschädigtes Raumschiff. Einige
tausend Kilometer dahinter flogen zwei weitere Raumschiffe das größere
war kegelförmig, das kleinere erinnerte Thora an einen Raubvogel. Alle
drei Schiffe waren von einem blauen Leuchten umgeben. Sie wusste nicht,
welche Bewandtnis es damit hatte. Vielleicht war es eine Art Schutzschirm.
Es tat sich nun etwas auf dem scheibenförmigen Raumschiff, auf dessen
weißen Außenhülle der Name ATOSGO stand. Aus dem Hangar schob sich
ein weiteres Raumschiff. Der Bug bestand aus einer Kugel, um die ein
hufeisenförmiger Ringwulst verlief. Dann folgte ein längliches Mittelteil,
an dessen Ende Türme hervorragten. Das Heck war eine dicke Scheibe. Das
blaue Leuchten schien von diesem Raumschiff zu kommen.
Auf der Außenhülle stand der Name CASSIOPEIA.
Die CASSIOPEIA entfernte sich von der ATOSGO und nahm die blaue
Sphäre mit sich. Die KASTILIEN wurde erneut durchgeschüttelt. Zwei
Besatzungsmitglieder lösten sich buchstäblich auf.
Thora musste handeln.
»Da Norian, machen Sie sofort die Beiboote startklar. Manövrieren Sie die
KASTILIEN zu dieser CASSIOPEIA. Informieren sie den Verband, dass er
ebenfalls darauf zu steuern soll.«
Der Kommandant der KASTILIEN bestätigte. Thoras Extrasinn
unterstützte sie in ihrer Idee.
Das Leuchten könnte wirklich ein Schutz sein. Sieh dir die ATOSGO an,
hörte sie das mentale Wispern.
Die ATOSGO brach auseinander. Teile lösten sich einfach auf, als hätten
sie niemals existiert. Blitze durchschlugen das Schiff. Eine Explosion folgte
der nächsten, bis das fremde Raumschiff in dutzende Teile zerbarst, die in
alle Richtungen davontrieben.
»Die Korvetten und Space-Jets sind bereit. Wir lauten Ihre Befehle,
Imperatrice?«
Da Norian blickte sie erwartungsvoll an.
»Wir entern die CASSIOPEIA.«
Der Verband des Quarteriums war durch die Vibad-Klüfte um vier Schiffe
dezimiert worden. Insgesamt standen ihr außer der KASTILIEN sechs
weitere Raumschiffe vom Typ Supremo zur Verfügung.
Das Enterkommando durfte nicht zu lange ungeschützt in der Temporalen
Anomalie manövrieren. Sie mussten die Distanz zum fremden Schiff
verringern. Das adlerförmige Raumschiff setzte Kurs auf die sechs
Supremo-Schiffe. Thora starrte ungläubig auf die Anzeige. Das war ein
Angriff.
»Ausweichmanöver! Der Verband soll sich um die KASTILIEN
formieren.«
Das große kegelförmige Schiff nahm ebenfalls Fahrt auf und eröffnete das
Feuer auf die sechs Schiffe des Quarteriums. Das Adlerraumschiff
manövrierte geschickt um die Vibad-Klüfte, was den Einheiten des
Quarteriums schwer fiel.
Thora musste mit ansehen, wie ein weiteres Schiff in einen Schlund
gerissen wurde. Der nächste Raumer explodierte unter dem Beschuss des
Kegelschiffes, und das dritte Schiff wurde von dem Adlerraumschiff schwer
beschädigt, driftete durch die Anomalie und verschwand in einer der
Schlieren.
Thora atmete tief durch.
»Rufen Sie die Angreifer. Vielleicht können wir Zeit schinden oder einen
Waffenstillstand aushandeln.
Sie wandte sich an die Kommunikationsoffizierin, der sie noch am Anfang
des Tages Inkompetenz unterstellt hatte. Leutnant Deria Perron sah sie
fragend an.
»Senden Sie außerdem einen Funkspruch an die CASSIOPEIA und bitten
um Unterstützung.«
Sie ging damit ein Risiko ein, denn es war möglich, dass alle drei Schiffe
zusammenarbeiteten und die CASSIOPEIA Abstand zwischen den
quarterialen Supremos und ihr gewinnen wollte. Es bestand die Chance,
dass das Adlerraumschiff und das gigantische Kegelschiff eben jener
CASSIOPEIA zu Hilfe kamen.
»Zwei Funksprüche, Imperatrice«, rief die Zaliterin Deria Perron
aufgeregt. »Beide Schiffe antworten.«
»Öffnen Sie zuerst den der Angreifer«, forderte Thora.
Vor ihr baute sich das Bild eines Mannes auf, der schon einige Kämpfe
geschlagen hatte. Eine Narbe an der Stirn und eine an der Wange zierten das
markante Gesicht.Seine Augen waren durchdringend, die Natur des Typen
wirkte roh und männlich. Das Haar war an beiden Seiten abgeschoren, in
der Mitte voll.
»Ich bin Imperatrice Thora da Zoltral de la Siniestro des Quarterium.
Weshalb greift ihr uns an?«
Ihr Gegenüber verzog sein Gesicht zu einem abfälligen Grinsen.
»Erlauchte Hoheit. Ich bin nur Wulfar, Sohn des Wulgast vom Atilla-Klan
der Takhal Gud Looter Die Betonung der Worte war aggressiver Spott.
»Im Namen unseres großen Takas Raym und des Krigsleder Taka Amelus
fordern wir eure Kapitulation.«
Thora schnappte nach Luft. Welche Impertinenz dieser Fremden! Doch sie
wusste auch, dass deren Technologie der ihren offenbar überlegen war.
»Eure Forderungen sind hoch. Ihr befindet euch im quarterialen
Hoheitsgebiet«, gab sie zurück.
Wulfar lachte, dann zog er hörbar seinen Nasenschleim hoch und spuckte
auf den Boden. Wie widerlich.
»Diese Zeit gehört nicht dem Quarterium. Ihr wisst doch nicht einmal,
wann ihr seid, Prinzessin auf der Erbse.«
»Gewiss doch, wir haben das 2043 nach Christus.«
»Ist das so?«, fragte Wulfar lauernd. »Mylady, der Kosmotarchax ist
ausgebrochen, und Eure Schiffe sind Opfer des Zeitchaos geworden. Im
Grunde ist es ein Gnadenakt, Euch ehrenvoll im Kampf zu vernichten.«
Thora wurde wütend.
»Was habt ihr Barbaren von unserem Tod?«
Wulfar beugte sich vor.
»Was haben wir davon, Euch am Leben zu lassen?«
Thora gab Perron ein Zeichen, die Verbindung zu unterbrechen.
»Hoffen wir, dass die anderen uns etwas weniger nach dem Leben
trachten.« Sie nickte Deria Perron zu, und vor ihr baute sich das
Hologramm eines Mausbibers auf.
Sollte das ein Witz sein?
Ihr Ehemann hielt sich Mausbiber im Zirkus. Das waren niedliche
Tierchen mit Parafähigkeiten, aber doch keine Gesprächspartner. Der Ilt
wirkte verdutzt – so, als hätte er einen Geist gesehen.
»Guten Tag«, sagte der Mausbiber.
»Du kannst sprechen?«, fragte Thora.
»Das siehst du doch, Weißlöckchen!«
»Du bist ein Zirkustier. Ich will mit dem Verantwortlichen reden. Ich
fordere sofort …«
Der Mausbiber hob den Finger.
»Gar nichts hast du zu fordern. Die Takhal Gud Looter verfolgen dich und
zerstören deine Schiffe. Du bittest uns also um Hilfe. Wieso sollten wir dir
helfen? Außerdem bin ich der Kommandant des Schiffes. Gucky, zu
Diensten!«
Der Mausbiber machte eine kurze Verbeugung.
Thora verfolgte auf der Sternenkarte, dass die Takhal ihre Angriffe auf die
vier Supremo-Schiffe fortsetzten. Die Zeit lief ihr davon.
»Könnt ihr die Takhal davon abbringen, uns weiter anzugreifen?«, fragte
sie nun ganz unverblümt.
»Ich fürchte nicht, denn wir sind uns nicht ganz grün. Allerdings wissen
wir, dass sie uns nicht vernichten werden. Denn die CASSIOPEIA trägt
etwas bei sich, das für sie wertvoll ist«, erklärte Gucky. »Wir wissen aber
auch, dass das Quarterium alles andere als eine friedliche und ungefährliche
Organisation ist. Sie haben also auch einen berechtigten Grund, euch
anzugreifen.«
Das wollte Thora nicht auf sich beruhen lassen.
»Wir kennen keine Takhal Gud Looter. Woher kennen sie uns? Was geht
hier vor? Warum muss ich mit Zirkustierchen reden, die am kaiserlichen
Hofe zur Belustigung gehalten werden?«
Nun schien der Mausbiber wütend zu werden.
»Warum muss ich mich mit einer Möchtegern-Thora unterhalten? Lady, es
ist ein Zeitchaos ausgebrochen. Von wo auch immer Ihr herkommt, aus
welcher Zeit Ihr auch immer stammt, kehrt dorthin zurück.«
Diese bornierte Ratte schien es nicht zu verstehen.
»Ich bin Thora da Zoltral de la Siniestro. Kaiserin des Quarteriums.
Unsere Zeit ist das Jahr 2043 nach Christus. Nun sagt mir nicht, dass Ihr
aus der Zukunft oder Vergangenheit kommt. Das ist doch lächerlich.«
»Ich stamme aus dem Jahre 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Das
entspricht dem Jahr 5633 nach Christus. Uns trennen also 3590 Jahre. Und
es kommt jetzt noch härter: Ich kannte Thora. Sie war keine de la Siniestro,
sie war eine Rhodan.«
»Zwei weitere Schiffe vernichtet«, rief da Norian.
Thora blickte zu ihm, dann wieder ins Hologramm. Was faselte diese
braune Maus über sie?
»Sie war die geliebte Frau von Perry Rhodan. Thora starb am 18. Oktober
2043«, sagte Gucky.
Thora stieß einen wütenden Laut aus.
»Ja, ich weiß. Diese Thora wurde auf der BURMA erschossen. Ihre
Erlebnisse brannten sich heute in mein Hirn ein, Ratte! Ich verstehe das
nicht. Ich bin doch nicht diese Thora!«
Schweigen. Gucky starrte sie entsetzt an. Die Crewmitglieder beäugten
Thora, als sei sie von einem Dämon besessen.
»Das große Schiff nimmt Kurs auf uns. Das Adlerraumschiff umkreist
uns. Wir müssen handeln. Es sind nur noch zwei Supremos übrig«, warnte
da Norian. Thora sah ihn erneut an, doch sie wusste nicht, was sie sagen
sollte.
5633 nach Christus. Hatte sie einen Zeitsprung von 3500 Jahren in dieser
Temporalen Anomalie gemacht? Stammte sie aus einem anderen
Universum, und die Thora aus dem hiesigen Universum starb 2043?
Sei dir sicher, dass das eure Gemeinsamkeit ist. Wenn wir wirklich in der
Zukunft eines anderen Universums oder einer anderen Zeitlinie sind, wirst
du auch in unserer ursprünglichen Welt im Jahre 2043 gestorben sein oder
zumindest für vermisst und später für tot erklärt worden sein.
Ihr Extrasinn brachte es auf den Punkt. Wie konnte das möglich sein? Es
war nicht möglich. Sobald diese Temporale Anomalie sich auflöste, würde
sie zur Erde zurückkehren. Nicht sie war irgendwo anders gestrandet,
allenfalls diese Ratte und diese Takhal. Sofern sie überhaupt Zeitreisende
waren und nicht einfach nur Rebellen.
Es gab keine Beweise für die Behauptungen der Fremden.
Doch uns fehlt es ebenfalls an Beweisen für das Gegenteil, warf der
Extrasinn ein.
»Ratte, könnt ihr diese Temporale Anomalie verlassen?«
Gucky drehte sich um und redete mit jemanden. Der Ton war
abgeschaltet.
»Jau«, kam als Antwort.
Thora hätte diesen Kasperle am liebsten in den nächsten Zoo gesteckt,
doch die Zeit drängte.
»Wir stellen die KASTILIEN und unsere beiden Begleitschiffe unter
euren Schutz. Anschließend verlassen wir die Temporale Anomalie. Sollten
wir in eurer Zeit gestrandet sein, so bitten wir um Hilfe. Sollte es meine
Zeitlinie sein, so gewähren wir euch Hilfe. Dafür garantiere ich als Thora
da Zoltral!«
Gucky verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ihr habt Angst vor den Takhal Gud Looter. Kann ich verstehen. Fliegt die
Schiffe in den Wirkungsbereich der blauen Aura. Dann seid ihr vor den
Schlünden und Schlieren geschützt. Den Rest klären wir, wenn wir die
Temporale Anomalie verlassen haben.«
Das vorletzte Supremoraumschiff explodierte soeben. Das
Kegelraumschiff und das feindliche Adlerraumschiff nahmen nun die
KASTILIEN ins Visier und eröffneten das Feuer. Da Norian wandte sich an
Thora. »Steigen Sie mit einer Eskorte in die Beiboote. Wir halten die
Schiffe so lange auf, bis Sie an Bord der CASSIOPEIA sind.«
»Das ist Wahnsinn, da Norian. Die KASTILIEN muss zu dem Schiff.«
Der Arkonide packte Thora an den Schultern. Unter anderen Umständen
würde sie ihn sofort unter Arrest stellen, doch sie ließ ihn gewähren.
»Ich habe die Möglichkeiten durchdacht. Die KASTILIEN fliegt zur
CASSIOPEIA. Dort findet sie im blauen Leuchten Schutz vor den
Anomalien, aber nicht vor den Schiffen der Takhal. Ergo wird sie
vernichtet. Allein kann sie nicht aus der Anomalie fliehen. Ergo wird sie
vernichtet. Die Crew der CASSIOPEIA wird auch aus Sicherheitsgründen
nicht alle aus dem Quarterium aufnehmen. Sie müssen fliehen. Ihr Leben ist
wertvoll. Wir leben nur, um Ihnen zu dienen.«
Seine Analyse der Situation der KASTILIEN ist zutreffend, bemerkte
Thoras Extrasinn.
Das war ihr egal. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Mannschaft sich für
sie opferte.
»Da Norian, besetzen Sie alle Beiboote. Wir evakuieren die KASTILIEN.
Die Positronik wird das Schiff steuern, und wir setzen uns ab.«
Der Arkonide starrte sie an.
»Los jetzt!«
Dann wandte sie sich der Zaliterin zu.
»Kanal zu Wulfar öffnen.«
Der Takhal Gud Looter trank ein Getränk.
»Wir ergeben uns und bitten um eine halbe Stunde, um die
Kapitulationsvorbereitungen abzuschließen.«
Wulfar trank genüsslich sein Bier weiter und rülpste herzhaft.
»Ihr habt zehn Minuten.«
»In Ordnung«, sagte Thora und beendete die Verbindung.
Die Evakuierung war in vollem Gange. Thora sah das letzte Begleitschiff.
Es war zu weit weg, um gerettet zu werden. Vielleicht hatten die Takhal ja
Erbarmen.
Captain da Norian, Navigator Blackthorne, Funkerin Perron und Thora
waren die letzten in der Zentrale. Es waren noch drei Minuten übrig.
»Positronik, sobald die Rettungsboote gestartet sind, steuerst du mit voller
Geschwindigkeit auf das Kegelraumschiff und rammst es. Eröffne zuvor
das Feuer und wähle einen Kurs, der dem Gegenfeuer so gut es geht
ausweicht.«
Sie nickte den drei anderen zu und verließ mit ihnen die Brücke. Eine
Minute später erreichten sie die Korvette. Nach einer weiteren Minute
starteten insgesamt zwanzig Beiboote von der KASTILIEN. Die Frist von
zehn Minuten war abgelaufen. Die KASTILIEN eröffnete das Feuer auf das
Adlerraumschiff. Der letzte Supremo unterstützte die KASTILIEN, die
beschleunigte. Das Gefecht dauerte nicht lange. Nach zwei Minuten war der
letzte Supremo-Begleitraumer pulverisiert. Die KASTILIEN wurde unter
schweren Beschuss genommen und der Schirm brach zusammen.
Unerwartet unternahm sie einen Transitionssprung und tauchte unmittelbar
vor dem Kegelschiff auf – und rammte es. Eine riesige Explosion hüllte das
Schiff in Flammen. Die KASTILIEN existierte nicht mehr. Der komplette
Verband war vernichtet.
Das Kegelraumschiff war beschädigt, aber nicht vernichtet. Das
Adlerraumschiff brach die Verfolgung ab und flog zum Mutterschiff zurück.
Sie waren vorerst gerettet.
Thora betrachtete diese geheimnisvolle CASSIOPEIA. Sie wusste nicht,
was sie dort erwarten würde. Plötzlich stand der Mausbiber neben ihr.
Thora schrie kurz auf. Bei allen She’Huan, damit hatte sie nicht gerechnet.
Der Ilt Gucky grinste, entblößte dabei seinen Nagezahn und sagte: »Und
jetzt besprechen wir erst mal die Bedingungen, unter denen wir euch an
Bord der CASSIOPEIA aufnehmen.«
Graf von Stolberg
Es hatte aufgehört zu regnen. Trotzdem war es dunkel. Die Sterne funkelten
trüb und der Mond spendete nur ein fahles Licht. Bencho führte Aurec
zurück zum Ufer. Er zweifelte langsam daran, ob der Hund wirklich wusste,
wo der Kosmogene Segler stand.
Der Mond spiegelte sich im ruhigen Wasser. Aurec sah auf der Anhöhe
ein Licht. Vermutlich lag dort das Haus. Er musste dorthin, benötigte
Wasser und Nahrung. Die Positronik hatte den Segler vermutlich abseits
versteckt und das Tarnfeld aktiviert. Wieso jedoch keine Funkverbindung
und Ortung über seinen Multikom möglich war, blieb Aurec ein Rätsel.
Er erreichte einen Bootssteg. Von dort führte eine lange Treppe hinauf
zum Haus. Er stieg sie empor und erreichte das kleine, aber offenbar einer
wohlhabenden Familie gehörende einstöckige Haus. Es war sauber und
wirkte neu. Eine weiße Tür wurde von zwei großen weißen Fenstern an der
Front begleitet. Darüber waren drei kleine, runde Fenster angeordnet. Zur
linken und rechten Seite befanden sich je ein versetzter Anbau, offenbar mit
einem weiteren Zimmer. Aus dem mittleren, größeren Raum schien Licht
nach draußen.
Die große Tür in der Mitte öffnete sich, und ein Mann trat heraus. Er trug
eine schwarze Jacke, aus der an der Brust die Rüschen eines weißen
Hemdes hervorstachen. Sein Haar war lockig, die Nase war spitz und groß.
Blaue Augen sahen Aurec neugierig an.
»Guten Abend, edler Herr. Wie kann ich euch dienlich sein an diesem
schönen Abend?«, fragte er höflich.
Aurec machte den Ansatz einer Verbeugung.
»Ich war auf der Durchreise, als ich von Wegelagerern überfallen wurde.
Mein mein Pferd und die Kutsche sind durchgegangen, und ich suche
sie.«
»In der Dunkelheit sind die Möglichkeiten begrenzt, Euer Hab und Gut
wieder zu finden, Herr. Ihr seid kein Vagabundierender, nicht wahr? Seid
Euch gewiss, ich stehe in den Diensten des Herzogs, und seine Wachen
würden Euch schnell finden und in Gottes Namen richten.«
Etwas Angst schwang in der Stimme des Mannes. Er war sicherlich kein
Krieger. Es war aus seiner Sicht vernünftig, misstrauisch zu sein.
»Es droht euch keine Gefahr. Ich bin Don Diego de la Aurec aus
Kalifornien.«
»Oh, sagtet Ihr das doch gleich. Ich weiß, Ihr werdet im Schloss
erwartet.«
Aurec war überrascht.
»Werde ich das?«
»Freilich, teurer Freund. Welch unschickliches Ungemach euch
widerfahren ist. Ich muss mich für die Taten der Verbrecher entschuldigen.
Sobald der erste Sonnenstrahl uns küsst, entsenden wir Reiter, um nach
eurem Hab zu suchen.«
Aurec winkte ab.
»Ein Pferd würde mir reichen, damit ich selber suchen kann. Meine Fracht
ist sensibler Natur
»Doch vorerst müsst Ihr Euch ausruhen. Wir brechen sogleich zum
Schloss auf«, sagte der Mann und kam näher. Er schien Vertrauen zu
gewinnen. Dann sah er in den Himmel.
»Oh, welch Anblick. Der Mond in seiner vollen Pracht.«
Aurec blickte ebenfalls in den Himmel. Der Mond in dieser Zeit, welche
es auch immer war, war anders als zu jener Zeit, als er auf Terra zu Besuch
gewesen war. Es gab keine Städte auf Luna, keine Mondpositronik
NATHAN.
Friedrich Leopold Graf zu Stolberg am Jagdschlösschen von Eutin. © Gaby Hylla
»Wo bleiben meine Manieren«, sagte der Mann und machte eine
Verbeugung. »Mein Name ist Friedrich Leopold Graf zu Stolberg,
Kammerherr unserer Hoheit Friedrich August, des Herzogs zu Oldenburg
und des Fürstbistums zu Lübeck. Wohl aber ebenso leidenschaftlicher
Poet.«
»Hm«, machte Aurec nur.
»Erlaubt mir noch ein Gedicht, um unseren Mond zu huldigen, ja?«
»Gewiss«, meinte Aurec. Stolberg schien ganz vernarrt in den Mond zu
sein.
»Schied dir ein Freund, oh Mond? Du blickst so traurig.
Durch die hängenden Maien oder trübt dir Mitleid deine Wange, weil
diese Träne fließen du flähest?
Oh, so erhelle meines Freundes Pfade,
der dich schmachtend beschaut und flüster ihm freundlich:
An der Leine Krümmungen weint dein Stolberg Tränen der Sehnsucht.«
»Sehr tiefsinnig«, bezeugte Aurec.
»Oh, kommet doch ins feine Häuschen, ehrenwerter Don. Dort lodert ein
Feuer, an dem Ihr euch wärmen könnt.«
Aurec folgte Stolberg ins Haus.
»Das ist das Lustschloss des Herzogs und seiner Gemahlin. Es ward
kürzlich fertiggestellt, und ich soll es unter meinem prüfenden Blicke
begutachten, ob es für die Ansprüche der Hoheiten angemessen sei.«
Aurec sah sich um. Als erstes fiel ihm auf, dass das Licht von Kerzen
stammte, die auf Leuchtern an der Decke hingen oder auf den Tischen
standen. Demnach musste er sich in einer Zeit befinden, in der die
Menschheit noch keine Elektrizität entdeckt hatte. Das Haus wirkte eher
wie ein Ausflugsdomizil. In einer Ecke standen ein Flügel und ein Cello.
Die Kleidung des jungen Stolberg erinnerte ihn an die Klamotten von
Perry Rhodans Sohn Michael und ein wenig an den Aufzug des Emperador
Don Philippe de la Siniestro. Der Herrscher des Quarteriums war im Jahre
1761 geboren worden. Roi Danton hatte sein Aufzug Freibeutern aus dem
frühen 18. Jahrhundert und der barocken Mode gegen Ende des 18.
Jahrhunderts ausgewählt. Immerhin hatte er sich in dem Revolutionär
Georges Danton einen Namensgeber für sein Alter Ego gewählt.
Ob sowohl de la Siniestro als auch Georges Danton in dieser Zeit schon
lebten? Wenn er nur wüsste, in welchem Jahr er sich befand.
»Ihr habt sicherlich bereits ein Buch mit euren Werken veröffentlicht?«,
fragte er in gespielter Neugier.
Stolberg winkte ab.
»Ach, noch nicht, teurer fremder Freund. Es ist schließlich kein Leiden
des jungen Werther
Aurec hatte ihm zwar nun einen Buchnamen entlockt, wusste aber nicht,
wann und von wem es geschrieben wurde.
»Hm«, machte er nur.
»Wusstet Ihr, dass ich mit Goethe auf Reisen war?«
»Oh? Und wann?«
»Letztes Jahr im Sommer und im Winter. Wir verkehrten in der Schweiz,
und ich hatte die Ehre, ihn bis nach Weimar begleiten zu dürfen. Dort
offerierte mir der Herzog Carl August eine Stelle. Ich hätte am Hofe von
Weimar meinen Dienst verrichten können, doch ich entschied mich für den
Herzog von Oldenburg. Zwei von der Muse geküsste Dichter und Denker
hätte der Hof zu Weimar vermutlich nicht vertragen.«
Stolberg lachte.
»Nun, zwei geniale Geister brauchen ihren Freiraum«, erwiderte Aurec
und lächelte.
»Oh, welch Schmeichelei. Sie tut gut.«
Er klatschte in die Hände.
»Wohlan denn. Berni? Berni?«
Stolberg blickte erwartungsvoll nach draußen. Dann öffnete sich die Tür
zum anderen Eingang und ein großer, junger Mann trat ein.
»Bernhard, Herr Graf. Mein Name ist Bernhard.«
Der hochgewachsene Mann hatte braune Augen. Die langen, braunen
Haare waren zum Zopf gebunden. Er trug ein weißes Leinenhemd und
darüber eine schwarze Weste, eine schwarze Hose und Kniestrümpfe, genau
wie Stolberg.
»Entschuldigt, lieber Bernhard. Darf ich vorstellen, dies ist Don Diego de
la Aurec, unser Besucher aus Neuspanien. Don Aurec, das ist Bernhard von
Hollen, er steht im Dienste des Herzogs im Schloss als Kutscher und
Gärtner
»Erfreut, seit wann seid Ihr im Dienste des Herzogs?«
Aurec erhoffte sich ein Datum als Antwort.
»Seit zwei Jahren, Herr«, sagte der Kammerdiener mit dunkler Stimme
und warf einen Blick auf Bencho. »Der Hund wird doch seine
geschäftlichen Angelegenheiten nicht im Lustschloss verrichten?«
Aurec winkte ab.
»Er ist stubenrein. Wohlan, die Herren, brechen wir auf?«
Aurec würde mit der Suche nach dem Kosmogenen Segler wohl bis
Morgen warten müssen. Eine warme Mahlzeit und ein Bett würden ihm
vermutlich auch nicht schlecht tun.
»Besitzt der Herr aus Neuspanien kein Reisegepäck?«, fragte von Hollen.
»Nun sei nicht so impertinent, lieber Bernhard. Don Diego de la Aurec
wurde Opfer eines ruchlosen Überfalls. All sein Gepäck ist mitsamt seiner
Kutsche verschwunden. Morgen will er mit der Suche beginnen. Wisst Ihr
was, lieber Don Aurec?«
»Nein, lieber Graf Stolberg.«
»Ich gedenke, Euch Bernhard bei der Suche zur Seite zu stellen. Er ist ein
braver Mann. Jedoch bedenket, er ist kein Adliger. Der Zusatz von
beschreibt seine Herkunft.«
Die drei verließen das Lustschloss. Auf dem kleinen Hof stand eine
Kutsche, vor die zwei Pferde gespannt waren. Von Hollen öffnete die Tür.
Der Graf stieg als erstes ein.
Aurec wandte sich von Hollen zu.
»Woher stammt ihr?«
»Aus Holland. Mein Urahn war Willem und gehörte zu den ersten
Siedlern, der Herr. Bitte steigt ein.«
Aurec stieg in den Innenraum der überdachten Kutsche. Er hörte und
spürte, wie sich von Hollen auf den Kutschbock begab. Da setzten sich die
Pferde auch schon in Bewegung.
»Wir reisen nun nach Eutin«, erklärte Stolberg.
»Oh, das hier gehört nicht zu Eutin?«
Aurec und Friedrich Leopold Graf zu Stolberg im Jagdschlösschen von Eutin. © Gaby Hylla
»Die Ländereien schon. Das Dörfchen Sielbeck grenzt hier an. Und
dahinter, nach etwa einer halben holsteinischen Meile Weide und
Ackerlandschaft erreichen wir das Stadttor
Die beiden blickten aus dem offenen Fenster der Kutsche ins Dunkel der
Nacht.
»Verzeiht Ihr mir meine schier aufdringliche Neugierde, doch erzählt mir
von Neuspanien und Euren Ländereien.«
Mist! Aurec hatte keine Ahnung, wie das damals aufgebaut war. Bis auf
Informationen aus alten Trivid-Filmen besaß er darüber kein Wissen.
»Nun, es ist weitläufig und spärlich kolonisiert«, vermutete er. »Doch es
ist eine schöne Gegend mit Kakteen.«
Stolberg blickte ihn fragend an. Aurec räusperte sich. Es war seltsam,
denn er war Saggittone, dessen ursprüngliche Heimat mehr als vierzig
Millionen Lichtjahre von Terra entfernt war und erklärte einem auf der Erde
geborenen etwas über dessen Planeten.
»Kakteen sind Pflanzen mit Stacheln. Sie wachsen in der Wüste und
benötigen nur wenig Wasser, um zu überleben.«
»Ah, ich hörte schon einmal davon. Ich frage mich, ob wir solche auch im
Küchengarten im Schloss haben?«
Stolberg streckte den Kopf aus dem Fenster und wich zurück, weil ihm
beinahe ein Ast ins Gesicht schlug. Dann versuchte er es erneut.
»Bernhard, haben wir Kakteen im Küchengarten?«
»Ja, Herr Graf. Wir haben zwei Kakteen. Jedoch sind sie nicht zum
Verzehr geeignet. Es sind eher Zierpflanzen.«
Stolberg nickte wohlwollend.
»Ein Stück Ihrer Heimat, Don Aurec.«
Dann beugte er sich vor und hob den Zeigefinger.
»So sagt mir doch, lieber Begleiter. Mir ist just vor wenigen Tagen die
Nachricht von der Unabhängigkeitserklärung der abtrünnigen Kolonien des
Vereinten Königreiches zu Ohren gekommen. Hat das auch Auswirkungen
auf die Kolonien der Krone Spaniens?«
Aurec wurde hellhörig. Die Unabhängigkeitserklärung der USA? Das war
ein geschichtliches Ereignis, an dessen Datum er sich sogar aus den
rudimentären Informationen über die terranische Geschichte erinnerte.
»Nein«, sagte er vorsichtig. »Kalifornien liegt am anderen Ende des
Kontinents Amerika. Wir haben keine Berührungspunkte. Doch wann habt
Ihr von der Unabhängigkeitserklärung gehört?«
»Nun, sie ist vor knapp sechs Wochen verkündet worden. Ich denke,
König Georg wird nun erst recht den Krieg erweitern. Ich verstehe ja ein
wenig die Kolonisten. Der König hätte ihnen ein Platz im Parlament
anbieten sollen.«
»Gewiss«, meinte Aurec und rechnete nach.
Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung war am 4. Juli 1776 von
Vertretern der dreizehn Kolonien verabschiedet worden. Sechs Wochen
später, es war also August 1776. Aurec hatte endlich eine Zeit und einen
Ort.
Er befand sich im August 1776 an der Ostsee, vermutlich in den
Vorgängerstaaten des Bundesstaates Deutschland. Weshalb hatte ihn der
Kosmogene Segler an diesen Ort und in diese Zeit transportiert und war
dann verschwunden?
195 Jahre vor der Landung Perry Rhodans mit der STARDUST auf dem
Mond. 195 Jahre bevor Rhodan auf die Arkoniden auf dem Mond treffen
und mit ihrer Hilfe die Dritte Macht gründen würde. Zweifellos war das
eine bewegte Epoche mit dem Unabhängigkeitskrieg in Amerika, einer
Aufklärungswelle und in dreizehn Jahren würde Frankreich gegen ihren
König revoltieren und das Ende der Absolutismus einleiten.
Die Menschheit war trotz der Aufklärung und einer Blütezeit von Dichtern
und Denkern noch lange von einem friedvollen Dasein entfernt. In den 195
Jahren würden die Menschen sich noch oft den Kopf einschlagen und die
größten Kriege in ihrer Geschichte gegeneinander führen.
Aurec musste herausfinden, weshalb er hier war und wo sein Raumschiff
war. Vielleicht würde er im Schloss von Eutin Antworten finden.
Epilog
5. August 1971
Die Reise nach Köln war anstrengend gewesen. Sie begann am Bahnhof
Zoologischer Garten und führte durch das Gebiet der DDR. Dort gab es
Kontrollen durch unfreundliche Grenzbeamte. Es könnte ja sein, dass ich
gar nicht aus West-Berlin stammte, sondern ein Flüchtling aus der
Deutschen Demokratischen Republik war. Es wurden die Pässe kontrolliert,
Fragen gestellt und generell ein Gefühl der Angst vermittelt. Der Zug folgte
einer speziell vorgegebenen Transitstrecke und hielt im Staatsgebiet der
DDR nur für Kontrollen.
Mit Erreichen der Bundesrepublik wurde die Fahrt etwas angenehmer. Das
einzige Problem waren die Passagiere, die jetzt dazustiegen und den Zug
füllten. Ich mochte kein Zugfahren, weil sich so viele Menschen auf so
engem Platz aufhielten.
Am Abend des 5. August erreichte ich den Hauptbahnhof von Köln und
lief zu Fuß ins Hotel Excelsior Ernst, das direkt am Bahnhof lag. Nachdem
ich eingescheckt hatte, ging ich in das Restaurant »Hanse Stube« auf ein
Bier und um etwas zu essen. Während ich auf die Bestellung wartete, nahm
ich die Akte aus meiner Tasche und betrachtete das Bild. Die graublauen
Augen, das braune Haar und die feine Narbe auf dem Nasenflügel waren
markante Zeichen der Person, die ich suchte.
Ich war auf der Suche nach Perry Rhodan.
ENDE
Vorschau
Die Zeitlinien sind in einem Zeitchaos auseinandergefallen. Aurec,
Nathaniel Creen, Atlan und Thora erleben alternative Zeitebenen und
wissen nicht, wie dieses Chaos endet. Es scheint jedoch klar zu sein, dass
Perry Rhodan nicht mehr existiert. Nils Hirseland führt die Geschichte in
Band 126 »Zeitreisen« fort.
Glossar
Zeitchaos
Das Zeitchaos war ein Ereignis, das im Jahre 2046 NGZ eintrat und ganze
Zeitlinien und Ebenen durcheinander brachte. Initiiert wurde es von Nistant.
Das Zeitchaos entstand durch Manipulationen des Moralischen Kodes. Das
in Cartwheel liegende Kosmonukleotid TRIICLE-3 spielte dabei als
Einstieg zum Kode eine wichtige Rolle. Um das Kosmonukleotid schuf der
Kosmotarch MODROR einen interdimensionalen Raum die Tiefe des
Chaos.
Vorboten des Zeitchaos waren Temporale Anomalien, die Zeitrisse im
Raumzeitkontinuum verursachten. In einer Anomalie überlappten die
Zeiten, so dass es zu geisterhaften Erscheinungen kam.
Anfang 2046 NGZ suchten solche Temporalen Anomalien die Milchstraße
heim und schienen die gesamte Zeitlinie verändert zu haben.
Hitler-Zeitlinie
Die Hitler-Zeitlinie war eine alternative Zeitlinie, die aus dem Zeitchaos
entstanden war. Die genauen Umstände waren nicht bekannt, doch am 6.
Juni 1944, dem sogenannten D-Day, gewannen nicht die Alliierten, sondern
das Deutsche Reich. Hitler bekam 50 Raumschiffe von einem unbekannten
Verbündeten, der der Fürst genannt wurde. Zehn Schiffe reichten aus, um
die Invasionsflotte im Atlantik zu versenken.
Mit dem HAUNEBU-Geschwader gewann Hitler den Zweiten Weltkrieg.
Die Sowjetunion wurde in den folgenden Wochen vernichtet. Die USA und
Großbritannien kapitulierten. Der Zweite Weltkrieg wurde offiziell am 30.
Juni beendet, es dauerte aber bis ins Jahr 1950, ehe Hitler seine »Vision«
umgesetzt hatte und einen Massenmord an allen Menschen beging, die nicht
in sein Konzept passten.
Die Welt wurde zwischen Deutschland, Italien und Japan aufgeteilt. Hitler
und sein innerer Kreis erhielten Zellduschen. Die geeinte Menschheit
eroberte den Weltraum, doch knapp 200 Jahre später übernahm sich Hitler
mit seinen Kriegen. Eine Allianz aus Akonen und Jülziish besiegte die
Arkoniden und führte Krieg gegen das Germanische Sternenreich.
Am Ende wurde Terra durch eine Arkonbombe ausgelöscht. Hitler starb
und die Zeitlinie erlosch. Sie wurde von dem geheimnisvollen Initiator des
HAUNEBU-Projekts, Lars Born, als gescheitert bezeichnet.
Olaf Peterson
Olaf Peterson war 1971 ein deutsch-schwedischer Journalist in West-Berlin.
Er arbeitete für die Berliner Morgenpost. Peterson hatte eine innere Stimme
namens Harry, von der er jedoch niemandem erzählte, da er Angst hatte,
man würde ihn für geistesgestört halten.
Im Juni 1971 recherchierte Peterson im Auftrag seines Redakteurs Björn
Lessing über die Mondlandung der STARDUST unter dem Kommando von
Michael Freyt. Die STARDUST kehrte Ende Juni auf die Erde zurück. Der
Ostblock behauptete, die amerikanische Besatzung hatte etwas auf dem
Mond gefunden und behalten. Er reiste nach Köln, um Perry Rhodan zu
suchen, der kurz zuvor zusammen mit seinem Co-Piloten Reginald Bull als
Kommandant der Mission STARDUST entbunden wurde. Peterson wollte
herausfinden, was genau passiert war.
Er lebte demnach auch in einer der alternativen Zeitlinien, denn die
Geschehnisse um die Mondlandung hatten sich im Vergleich zur normalen
Zeitlinie verändert, da Perry Rhodan und Reginald Bull nicht zum Mond
geflogen waren, wo sie auf Crest und Thora trafen.
Thora da Zoltral
Thora da Zoltral war im Jahre 2043 einer neuen Zeitlinie die Imperatrice
des Quarteriums. Sie war Gemahlin des Emperador Don Philippe de la
Siniestro.
Thora geriet im Oktober 2043 mit der KASTILIEN und einem
Flottenverband des Quarterium in eine Temporale Anomalie und traf dabei
in kurzen Momenten auf die Thora aus dem Jahre 2043 und dem
Rhodanuniversum auf der BURMA, kurz bevor diese verstarb.
Der Verband des Quarterium wurde vernichtet, doch Thora und einige
Getreue fliehen auf zwanzig Beibooten..
Impressum
Die DORGON-Serie ist eine Publikation der
PERRY RHODAN-FanZentrale e. V., Rastatt (Amtsgericht Mannheim, VR
520740 )
vertreten durch Nils Hirseland, Redder 15, 23730 Sierksdorf
www.dorgon.net
Text: Nils Hirseland
Titelbild: Raimund Peter
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Raimund Peter, Roland Wolf, Foto
Povolen
Lektorat: Norbert Fiks
Korrektorat: Arndt Büssing, Jens Hirseland, Alexandra Trinley
Layout und digitale Formate: Burkhard Lieverkus
Sofern nicht anders vermerkt, bedarf die Vervielfältigung, Verbreitung und-
öffentliche Wiedergabe der schriftlichen Genehmigung der Rechteinhaber.
Perry Rhodan®, Atlan®, Icho Tolot®, Reginald Bull® und Gucky®
sind eingetragene Marken der Heinrich Bauer Verlag KG, Hamburg.