Band 124
The Sky is The Limit
Das Wahrzeichen der Terraner wird entführt
Autor: Nils Hirseland
Cover: Raimund Peter
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Raimund Peter
DORGON ist eine nichtkommerzielle Fan-Publikation der PERRY
RHODAN-FanZentrale. Die FanFiktion ist von Fans für Fans der PERRY
RHODAN-Serie geschrieben.
Hauptpersonen des Romans
Nathaniel Creen
Der Rhodanjäger muss eine wichtige Entscheidung treffen
Kulag Milton
Der Tycoon greift nach der Macht der Liga Freier Galaktiker
Atlan, Gucky und Reginald Bull
Sie sind Gefangene von Milton
Eleonore
Die Künstliche Intelligenz der NOVA stellt sich dem Veebee-Virus
Constance Zaryah Beccash
Sie bewahrt Ruhe im Chaos
Wulfar, Otnand und Rasha
Sie eskalieren
Aurec
Der Saggittone kehrt in die Milchstraße zurück
Nistant
Der Herr des Rideryons läutet das Zeitchaos ein
Inhalt
Hauptpersonen des Romans 2
Was bisher geschah 4
Prolog 5
Kapitel 1 – Fakten geschaffen 8
Kapitel 2 – In Gefangenschaft 13
Kapitel 3 – Rendezvous im All 15
Kapitel 4 – Die Ankunft der STERNENMEER 23
Kapitel 5 – Veebee & abdrücken 28
Kapitel 6 – The Sky is the Limit 37
Kapitel 7 – Die Takhal Gud Looter 55
Kapitel 8 – Der Beginn des ZeitchaOS 63
Epilog 67
Glossar 69
Impressum 74
Was bisher geschah
Im Jahre 2046 NGZ beherrschen die Cairaner die Milchstraße. Terra
ist ein Mythos und das Wissen um die Geschichte der Galaxis
durcheinandergeworfen und teilweise vergessen.
In jener Zeit agiert der Rhodanjäger Nathaniel Creen als
Kopfgeldjäger im Auftrag der Camperna Agency Cloud Company
(CACC) er muss außerhalb der Lemurischen Allianz sogenannte
Rhodanmystiker jagen. Doch Creen bekommt ernsthafte Zweifel an
dem Mythos Terra.
Temporale Anomalien tauchen seit Anfang des Jahres in der
Milchstraße auf und sorgen für einWirren in der Zeit. Doch die
Anomalien weiten sich aus und devolutionieren die Welt Stellacasa.
Es sind Vorboten auf das Zeitchaos. Nistant ist mit der
STERNENMEER auf dem Weg, ebenso wie Aurec einen Ausweg
aus der Tiefe des Chaos sucht.
Der Jungfernflug der CASSIOPEIA entpuppt sich als ausgeklügelter
Plan der CACC und Milton Company eines Putsches gegen die
Regierung der LFG. Es gelingt, die Solare Residenz mit der
gesamten Regierung zu entführen.
Kulag Milton sieht sich als neuer Herrscher der LFG von
cairanischen Gnaden. Die Macht ist zum Greifen nahe. Für die
CACC und Milton heißt es »THE SKY IS THE LIMIT«.
Prolog
Aus dem Weltraum betrachtet, war 611-Rückwärts ein Planet mit einer
graubraunen Oberfläche. Das war ein Phänomen, das es nur in der Tiefe des
Chaos gab zumindest hatte Aurec noch nie etwas Vergleichbares gesehen
oder davon gehört. Diese Proto-Welten wirkten, als seien sie am Fließband
produziert worden und würden wie in einem Lager aneinander gereiht
liegen.
Manche dieser Planetenketten erstreckten sich über Lichtjahre, andere
waren hingegen nur ein kleiner Verbund. Manche Planeten kreisten um
normale Sonnen und wirkten fertiger als die Proto-Welten, die oft von
Kunstsonnen Licht und Wärme erhielten. Physikalisch war das für Aurec
nur schwer zu begreifen, denn die gängigen Gesetze der Physik und
Gravitation waren hier außer Kraft gesetzt.
Die Entstehung von etwas Großem war unverkennbar, wenn man durch
die Tiefe des Chaos flog. Welten und Zeitebenen kollidierten miteinander.
Es gab ruhige Regionen, doch manche Zonen waren durchzogen von
Hyperstürmen, temporalen Blitzen und Strömen, die einen in eine andere
Zeit sogen.
Genau dorthin musste Aurec. Die Welt 766-Rückwärts war umgeben von
Hyperstürmen und Zeitblitzen, denn dort entstanden die Anker zum
sogenannten Einstein-Universum, wie es die Terraner bezeichneten.
Doch vorher war sein Halt bei der letzten Terra-Station auf 611-Rückwärts
unausweichlich. Auch wenn sein Flug von 138-Rückwärts nur drei Tage
gedauert hatte, wenn man im Angesichts dieser Anomalien überhaupt noch
von Zeit sprechen durfte , so wäre es töricht gewesen, die Chance nicht zu
nutzen, letzte Vorräte zu sammeln.
Aurec besaß kein großes Mutterraumschiff mehr, wie es einst die
SAGRITON gewesen war. Nach der Hyperimpedanz von 1331 NGZ war
die SAGRITON nicht mehr brauchbar gewesen. Ob das Quarterium sie
jemals erneuert hatte oder ob sie verschrottet worden war, war ihm nicht
bekannt. Aurec war lange nicht mehr in Cartwheel gewesen, und als er sich
das letzte Mal dort aufgehalten hatte, war nichts darüber zu erfahren
gewesen. Es hatte ihn kaum noch nach Cartwheel gezogen, um
nachzusehen, wie sich sein Volk entwickelt hatte. Zu schmerzlich war das,
was er dort gesehen hatte. Die Informationen, die die anderen Kosmogenen
Chronikträger in den Terra-Stationen hinterlassen hatten, reichten ihm aus.
Es gab keinen Grund, nach Cartwheel zurückzukehren. Sein Volk, die
Saggittonen, waren seit Jahrhunderten Teil des Quarteriums und stand unter
dem Bann der Harmonie von DORGON, welche den endlosen Frieden auf
der Sterneninsel garantieren sollte. Sofern man den kompletten Verlust des
eigenen Denkens und Handelns freiwillig akzeptierte. Die Saggittonen
hatten ihre Seele verloren. Außerdem gab es von Cartwheel aus weiterhin
keine Verbindung zum Rideryon. Nein, Aurec hatte dort nichts mehr
verloren.
Er schlug in den Orbit von 611-Rückwärts ein. Die Welt war
industrialisiert, aber kämpfte mit offensichtlichen Umweltproblemen wie
Smog und einen braunen Dunst, der durch die windigen Verhältnisse rasch
verteilt wurde. Der Kosmogene Gleiter flog über riesige Baugruben, an
deren Seite Kräne und Bagger standen. Einige von den gigantischen
Abbaugeräten waren in die Krater gestürzt.
Unweit davon standen Baracken aus Wellblech, vermutlich die
Behausungen der Bergarbeiter. Aurec aktivierte den Tarnmodus des Seglers.
Offenbar beherrschten die Bewohner die Raumfahrt nicht, hatten aber
bestimmt schon Radaranlagen entwickelt, wenn sie solch kolossale
Apparturen zum Tagebau errichten konnten.
Die Terra-Station lag auf der Lichtung eines Waldes. Die Blätter der
Bäume waren schwarzbraun und wirkten krank und schmutzig. Aurec
landete den Segler und setzte sich einen Helm auf, denn die Sensoren
zeigten, dass die Luft verschmutzt war.
Er konnte kaum den Eingang der Terra-Station sehen, so dicht war der
braune Smog. Endlich sah er die leuchtenden Lettern »OPEN« und ging
darauf zu. Die Tür öffnete sich und er trat ein.
»Bitte warten«, hörte er eine Roboterstimme, während die Tür sich hinter
ihm schloss.
Er befand sich in einem Vorraum, der eine Dekontaminationskammer
darstellte. Es wurden Düsen aus der Decke und den Wänden ausgefahren,
die mit der Reinigung seines Anzugs begannen. Aurec sah, wie der
Schmutz an ihm herunterlief und vom Metallboden aufgesogen wurde.
Dann öffnete sich die zweite Tür vor ihm, und er sah das gewohnte Bild
der Terra-Station. Das Restaurant war direkt in den Empfangsraum
integriert. Ein Mister-Perrypedia-Roboter schwebte surrend auf ihn zu, die
drei Stielaugen ihn gerichtet, während die drei Greifarme schlaff vom
ovalen Körper hingen.
»Ich bin so müde«, sagte Mister Perrypedia.
Müde? Ein Roboter? Das war wieder so eine einprogrammierte Marotte.
Aurec erinnerte sich an die Dose Kaffee, die ihm der Perrypedia-Roboter
von 138-Rückwärts mitgegeben hatte. Er kramte sie aus der Tasche.
»Dann habe ich den richtigen Muntermacher für dich.«
»Oh, Sir, Sie haben mir Kaffee mitgebracht? Das ist aber sehr freundlich
von Ihnen.«
Der Greifarm erhob sich, hielt aber inne.
»Ist denn das auch terranischer Kaffee?«, fragte der Roboter misstrauisch.
»Natürlich, direkt aus Brasilien.«
»Wundervoll. Danke sehr, Sir!«
Der Greifarm schnappte sich die Dose, und der Roboter schwebte zurück
hinter den Tresen. Während er den Kaffee zubereitete, erzählte er eine
Geschichte: »Wussten Sie, dass Brasilien immer noch Rekordhalter in
gewonnenen Titeln der Fußball-Weltmeisterschaft ist? Insgesamt hat
Brasilien den Titel 55-mal gewonnen. Der letzte Titel wurde am 7. Juli 1547
NGZ im heimischen Pelé-Stadion mit einem 4:2-Sieg über Italien geholt.
Die Bedeutung der WM-Titel hat aber schon lange abgenommen, da die
Solaren Meisterschaften und Liga-Meisterschaften bei den Fans die höchste
Priorität genießen.«
Perrypedia hielt einen Kaffeebecher hoch, aus dem es dampfte. Dann
öffnete sich eine Luke in seinem Torso, und er stellte ihn hinein.
»Aromatisch exklusiv und einfach nur belebend«, sagte er.
»Wussten Sie, dass der Fußballer Pelé ein großer Befürworter der Dritten
Macht war? In den späten 70er Jahren schloss er sich vor seinem
Karriereende noch dem 1. FC Galacto-City an.«
»Ich nehme auch einen Kaffee«, meinte Aurec.
»Sehr wohl, Sir. Brasilien zeichnet sich aber nicht nur durch Fußball aus.
Die Strände sind schön und die Regenwälder üppig. Das war nicht immer
so, da erst mit der Machtübernahme durch die Dritte Macht und die neue
Technik der Arkoniden echte Alternativen zum Raubbau und Schädigung
der Umwelt existierten. Die Menschen waren mit Energie versorgt, und es
bestand überhaupt keine Notwendigkeit mehr für das Abholzen von
Regenwäldern und die Ausbeutung der Bürger. Die Militärdiktatur wurde
Ende der 70er Jahre beendet und freie Wahlen ermöglicht.«
Im Hintergrund spielte terranische Musik. Aurec versuchte, dem Text zu
lauschen. Es war ein langsames Lied mit dem Titel »The End of the World«
und war durchaus passend zur Tiefe des Chaos.
Aurec nahm einen Schluck Kaffee. Er war stark und schmeckte.
»Dieses Lied stammt übrigens von Skeeter Davis, einer amerikanischen
Country-Sängerin und wurde neun Jahre vor dem Unternehmen Stardust
von Arthur Kent und Sylvia Dee geschrieben. Damals befand sich Terra am
Rand der Selbstzerstörung, da der Westen und Osten über genug atomare
Waffen verfügten, um sich mehrmals gegenseitig zu vernichten. Ich vermag
mir gar nicht vorzustellen, wie sich die Machthaber fühlten, als der
arkonidische Schutzschirm ihren Atomwaffen mühelos standhielt.«
»Das war wohl ein Kulturschock für sie«, meinte Aurec und grinste.
Er beneidete Perry Rhodan und Reginald Bull, diese Pionierzeit miterlebt
zu haben und maßgeblich, ja entscheidend daran beteiligt gewesen zu sein,
ihre eigene Spezies aus dem dunklen Zeitalter geholt zu haben. Sie waren
Begründer eines neuen Zeitalters für die Menschheit gewesen.
Die Erinnerung daran würde verloren gehen, wenn die Kosmotarchen ihr
Ziel verwirklichen würden. Es hätte einfach niemals existiert. Es würde
dann vermutlich niemals einen Perry Rhodan gegeben haben nicht den
forschen, tatkräftigen Mann, der mit Entschlossenheit und Herz die
kosmischen Probleme lösen würde. Aurec und die anderen Kosmogenen
Chronikträger kannten die Pläne der Dualität der Kosmotarchen nicht im
letzten Detail, doch die Veränderungen des Moralischen Kodes und die
Temporalen Anomalien würden die Milchstraße in ihren Grundfesten
verändern.
Wäre Aurec ein Nistant oder MODROR er würde Rhodan aus dem
Moralischen Kode schreiben oder ihm ein bedeutungsloses Schicksal
geben, sodass er nie zu dem wurde, was er war und auch niemals die
Terraner zu dem inspirieren würde, wozu sie in der Lage waren. Aurec hatte
die Milchstraße das letzte Mal vor fünfzig Jahren besucht und sah die
Auswirkungen des Mythos Terra. Es war beschämend, wie die Galaktiker
ihre eigene Vergangenheit ignorierten und offenbar erneut um Jahrhunderte
zurückgefallen waren.
Wie konnten zivilisierte, intelligente Wesen ihre eigene Geschichte
abstreiten und leugnen, nur weil ihre Positroniken gelöscht und mit neuen
Informationen gefüttert worden waren? Er sollte vielleicht nicht so
überheblich sein, denn sein eigenes Volk war schließlich durch die
Harmonie von DORGON einer Gehirnwäsche unterzogen worden und
besaß nicht die Kraft, sich selbst daraus zu befreien.
Waren sie vielleicht einfach nur Relikte, deren Zeit abgelaufen war? Was,
wenn das schon öfter im Universum geschehen war? Sie würden es kaum
wissen. Er fühlte sich wie der Speicherstand eines Computerspiels, das
einfach gelöscht wurde, und dafür sorgte, dass das Spiel wieder von vorne
startete. Aber er war kein Computerspiel und alle anderen ebenso wenig.
Die Kosmotarchen durften nicht einfach den Reset-Knopf drücken.
Aurec atmete tief durch. Die Tasse Kaffee war leer.
»Danke, Mister Perrypedia!«
»Sehr gerne, Sir! Sind Sie bereit, in die Heimat zu reisen?«
Aurec blickte ihn verdutzt an.
»Oh, verzeihen Sie, ich vergaß, dass Sie Saggittone sind.«
Aurec winkte ab und lächelte.
»Ich fühle mich schon ein wenig als Terraner. Diese Stationen hier waren
in den letzten 700 Jahren ein Zuhause für mich.«
Aurec verabschiedete sich und begab sich zurück zum Kosmogenen
Segler. Er hatte die Geschichte von 611-Rückwärts nicht erfahren und auch
nicht danach gefragt. Dafür wusste er nun mehr über Brasilien, Fußball und
eine Country-Sängerin namens Skeeter Davis.
Er startete den Kosmogenen Segler und verließ den verdreckten Planeten.
Der Segler zog an den anderen 26 Planeten vorbei und ging auf
Überlichtgeschwindigkeit. Der Überlichtfaktor in der Tiefe des Chaos war
stark begrenzt, weshalb er einige Stunden benötigte, bis er 766-Rückwärts
erreichen würde.
Die Welt lag alleine inmitten eines Hypersturms. Wirbelstürme fegten
über die schroffe Lavalandschaft. Darüber lag wie eine Wolke der Anker.
Die Anker leuchtete in einem dunklen Rot. Blaue und grüne Blitze zuckten
darin. Aurec programmierte die Positronik zum Durchflug. Er lehnte sich
zurück, denn den Rest würde die Künstliche Intelligenz erledigen. Der
Kosmogene Segler flog in die Temporale Anomalie, wurde
durchgeschüttelt. Vor seinem geistigen Auge sah Aurec in Bruchteilen von
Sekunden die Geschichte der Welt 766-Rückwärts. Er sah Städte in die
Höhe ragen und wieder zerfallen, Menschen aufwachsen und altern, Kriege
und Harmonie. Es war zu viel, um diese Eindrücke zu verarbeiten, es war
wie ein Traum, der einem nur vage in Erinnerung blieb. Dann verließ der
Segler die Anomalie und ging auf Überlichtgeschwindigkeit. Nach
einhundert Lichtjahren tauchte Aurec wieder in den Normalraum ein und
führte eine Standortbestimmung durch.
Anhand der Sternenkonstellationen und des Hyperfunkverkehrs erkannte
er, dass er die Milchstraße erreicht hatte.
Kapitel 1 – Fakten geschaffen
Kulag Milton hatte sein Haar gekämmt und trug über seinem blauen Hemd
ein schwarzes Jackett. Die Kamera der Meinungsmacherin Rasha schwebte
vor ihm. Rasha lächelte, während er seine Kleidung ordnete und sich auf
einem Sessel niederließ. Ich musterte die Meinungsmacherin mit ihren
vielen Tattoos. Neben den beiden waren noch Wulfar und Otnand sowie
Yermiah Cloudsky, Sagreta da Maag und Hunter anwesend. Wir hielten uns
im Hintergrund. Es war wohl eine Ehre für mich als gewöhnlicher
Kopfgeldjäger dieser elitären Runde beizuwohnen.
Milton stellte sich in Positur, lächelte und begann seine Rede:
»Bürger der Liga Freier Galaktiker, der 27. Februar 2046 ist ein
historisches Datum. Es ist das Ende der Ära der Lügen, der
Desinformationen und Fake-News. Die Schwurbler wurden demaskiert. Der
Mythos Terra wurde endgültig entlarvt.
Ich, Kulag Milton, habe mit einer Handvoll begabter und talentierter
Mitstreiter der Camperna Agency Cloud Company heute die Solare
Residenz mit der gesamten falschen Regierung entführt.
Es sind harte Zeiten und harte Zeiten erfordern besondere Maßnahmen.
Ich musste erst das Wahrzeichen der Lügenpolitik von Reginald Bull aus
dem Ephelegon-System entfernen, damit ihr Bürger eine reale Chance habt,
euch an die Wahrheit zu gewöhnen.
Die unumstößliche Wahrheit, bestätigt durch Faktenfinder, heißt: Terra ist
ein Mythos. Perry Rhodan ist eine Erfindung. Eine Märchenfigur, die von
Reginald Bull und seinem tefrodischen Kumpanen Vetris-Molaud erfunden
wurden, um seine eigene Macht zu legitimieren. Wie zwei parasitäre
Zecken bissen sie sich fest und saugten das Blut von euch auf, verpesteten
eure Gedanken und erschufen einen Mythos, an den ihr glauben solltet.
Was war die Politik von Reginald Bull denn? Sie war die Schaffung einer
neuen Religion, des Mythos Terra, des Irrglaubens an eine Wiege der
Menschheit, die plötzlich aus der Milchstraße gestohlen wurde. Die Politik
von Bull bestand stets darin, die Ordnung und Friedfertigkeit der Cairaner
anzuzweifeln. Bull und Vetris-Molaud spalteten die Milchstraße wie keine
anderen! Sie führten eine lächerliche Außenpolitik und ließen die braven,
hart arbeitenden LFG-Bürger in der Galaxis zu Verschwörungstheoretikern
und Spinnern mutieren.
Doch damit ist jetzt Schluss!
Ich habe Fakten geschaffen!
Es gibt kein Terra!
Es gibt keinen Perry Rhodan!
Die Regentschaft von Reginald Bull ist beendet!«
Kulag Milton schlug mit der Faust in seine Handfläche, um seine Aussage
zu untermauern. Er lächelte in die Kamera.
»Wie geht es nun weiter? Wir werden die verlogene Regierung der LFG
auflösen und in die gerechte Obhut der Cairaner übergeben. Dazu hat die
CACC bereits Kontakt mit dem sternwestlichen Konsulat aufgenommen. In
tiefster Demut nehme ich den Auftrag an, eine neue Regierung unter meiner
Führung zu gründen. Die Solare Residenz wird ins Ephelegon-System
zurückkehren, damit wir die Dinge aufarbeiten, ehe sie als Symbol der
Lügen verschrottet wird.
Ich erwarte die volle Kooperation der Liga-Flotte, des
Nachrichtendienstes Ephelegon und des Parlaments. Andernfalls sehen sich
die Cairaner gezwungen, eine Spezialoperation durchzuführen und
Ordnungskräfte zu entsenden. Ein Schritt, den wir uns ersparen sollten.
Ich denke, ich kann auf meine Freunde auf Rudyn und auf die Vernunft
aller bauen.
In diesem Zuge wird die Lemurische Allianz aufgelöst.
Die USO gilt fortan als Terrororganisation.
Meine Freunde, gemeinsam werden wir das Zeitalter der Lügen und
Mythen hinter uns lassen. Packen wir es an!«
Rasha deaktivierte die Kamera. Yeremiah Cloudsky klatschte
enthusiastisch. Der blauhäutige Glosneke mit dem orangefarbigen
Strubbelhaar war völlig euphorisch.
»Bravo, Herr Resident. Das war eines Anführers würdig gesprochen.«
Kulag Milton lachte.
»Wer ist jetzt der Daddy, hm?«
Cloudsky zeigte auf ihn.
»Du bist der Daddy!«
Die beiden klatschen sich ab. Milton blickte zu mir und sein Grinsen
gefror.
»Du bist mir unheimlich, Kopfgeldjäger. Nimm deinen Helm ab.«
Hunter intervenierte.
»Das sollte dir besser erspart bleiben, sonst vergeht dir die gute Laune.«
Milton stemmte die Arme in die Hüfte.
»So hässlich?«
Hunter nickte. Das tat so weh.
Milton lachte.
»Dann lässt ihn bestimmt auch keine ran, was?«
Hunter musste mitlachen.
»Seine einzige Freundin ist unsere Bordpositronik. Das sagt schon alles.«
Beide lachten. Dann wurde Milton plötzlich ernst und stellte sich vor
mich.
»Creen, niemand soll sagen, Kulag Milton sei nicht generös. Du warst Teil
der Mission und ein Teil des Unternehmens ›Fakten schaffen‹. Du kannst
dich ab sofort auf meine Kosten durch die Galaxis vögeln, bis dein
Schniedel abfällt.«
Er schlug mir freundschaftlich auf die Schulter und blickte mich
erwartungsvoll an, als hätte er mir das schönste Geschenk gemacht. Ihm
kam gar nicht in den Sinn, dass die Definition von Einsamkeit nicht nur
eine körperliche Sache war, sondern vor allem eine geistige, seelische
Leere, die nicht gefüllt werden konnte.
»Danke, sehr großzügig euer Gnaden«, antwortete ich nur.
Es war sinnlos zu diskutieren, vor allem mit Milton und Hunter, die ein
seltsames Frauenbild hatten.
Rasha kam mir nun auch viel zu nahe und legte ihre Hand auf meine
Hüfte.
»Erwähnte ich, dass ich nebenbei auch als Escort arbeite? An wen darf ich
denn die Rechnung stellen?«
»Später, jetzt holt erst einmal die Gefangenen rein. Ich will, dass das
aufgenommen wird. Also Rasha, Kameras aktivieren«, sagte Milton.
Milton stieg wieder auf die Bühne und lümmelte sich in den Sessel. Er
musste sich wie ein großer Herrscher vorkommen. Die TARA-XI-UH-S
Roboter brachten Reginald Bull, Atlan und Gucky in den Konferenzsaal,
der bis vor Kurzen als Plenarsaal für die Regierung der Liga Freier
Galaktiker genutzt worden war. Doch die 30 Politiker der LFG waren
allesamt in bewachte Kabinen gebracht worden. Die Solare Residenz
gehörte Kulag Milton.
Gucky war aufgrund der Parafallen seiner mutantischen Fähigkeiten
beraubt.
»Die Zeit der Lügen ist vorbei. Reginald Bull, du bist ein Hetzer und ein
Spalter, der mit seinen kruden und absurden Verschwörungstheorien die
Liga in ein Chaos gestürzt hat. Doch ich, Kulag Milton, habe den Mythos
Terra und die Legende Perry Rhodan entlarvt. Ich befreie die Liga aus dem
geistigen Gefängnis, in das du sie gesperrt hast.«
Reginald Bull atmete tief durch.
»Ich muss zugeben, dass wir dich unterschätzt haben. Doch glaubst du
wirklich, du kommst damit durch?«
Milton sprang auf.
»Natürlich! Wer soll mich aufhalten? Ich habe die Regierung in meiner
Hand. Quint und Bendisson sind keine Anführer. Sie sind schon jetzt
überfordert. Es gibt außerhalb des Ephelegon-Systems genug
Sympathisanten, und auch auf Rudyn selbst ist nicht jeder mit deiner
Märchen glücklich gewesen.«
Bull schwieg. Stattdessen sprach Atlan.
»Chapeau, Milton. Ich hatte dich nur für einen aufgeblasenen Geldsack
gehalten. Derlei Ambitionen habe ich dir nicht zugetraut. Erzähle uns die
Details deines Plans. Ich habe viele Fragen.«
Milton hob den Zeigefinger. Hinter ihm erschien eine Holografie mit
einem Ablaufplan.
»Das ist der Plan von Unternehmen ›Fakten schaffen‹! Werdet Zeuge, wie
wir euch hinters Licht geführt haben.«
Der Plan sah die Auslieferung der Residenten an das sternwestliche
Konsulat der Cairaner vor. Initiatoren des Plans waren Ragana ter
Camperna, ihr Adoptivsohn Vopp ter Camperna und Kulag Milton. Das
Unternehmen war in fünfzehn Punkte unterteilt, die Milton nur zu
bereitwillig in seiner Eitelkeit erklärte.
»Alles begann 2039 bei einem konspirativen Treffen im Keller meiner
Villa bei Leberwurststullen. Ragana und ich legten die Eckpunkte des
Unternehmens ›Fakten schaffen‹ fest. Ich nutzte meinen Einfluss als
Residenzrat für Ökonomie im Folgejahr, und die CACC bekam die
Aufträge für die Positroniksysteme in der Solaren Residenz.«
Milton zeigte die Einzelheiten ungeniert, um vor Atlan anzugeben. Er
wollte ihm wohl zeigen, was für ein Stratege er seiner Meinung nach war.
Phase 1: Das vorhandene Vertrauen und den Einfluss in der LFG weiter
ausbauen. Während sich die CACC außer im Urlaubsgeschäft auch im
Positronik-Sektor etablierte, gewann Milton politischen Einfluss in der
Wirtschaft der Liga. In der Tat hatte sich Ragana ter Camperna über die
Jahrzehnte einen guten Ruf bei der LFG erarbeitet und ihr Treiben als
Initiatorin der Rhodanjäger gut verschleiern können.
Phase 2: Installation des Veebee-Virus in der Solaren Residenz durch die
CACC als Softwarepartner der LFG.
Milton zeigte auf Vopp ter Camperna. Der Onryone in seinem braunen
Pullover und den khakifarbenen Hosen räusperte sich gedehnt.
»Wir haben ab 2041 Veebee in kleinen Schritten in rudimentären
Systemen installiert und über Updates versorgt. Mein Ziel war es,
unauffällig zu bleiben und einen Programmcode zu schreiben, der zwei
Aufgaben erfüllt: die des Auftraggebers LFG, damit sie unverdächtig bleibt.
Und zweitens einen Schadcode hinterlegen, der sich durch einen Master-
Befehl zusammenfügt und damit Veebee aktiv wird.«
Yeremiah Cloudsky applaudierte wieder.
»Brillant! Ein Meisterstück.«
Phase 3: Umsetzung des Projektes CASSIOPEIA durch die Milton
Company und Vopp ter Camperna.
»2033 bereits entdeckte ich im Nachlass meiner geliebten verstorbenen
Frau…«
Er hielt inne.
»Deren Name mir entfallen ist. Naja, sie ist ja auch seit fünfzig Jahren
tot.«
Er zuckte mit den Schultern und fuhr fort: »Jedenfalls entdeckte ich
Konstruktionspläne für ein Raumschiff und bereits eine fertige,
einsatzbereite Positronik. Das Projekt hieß CASSIOPEIA. Die Positronik
war so weit entwickelt, dass sie uns mit Veebee weiterhalf und Firewalls
aushebeln konnte.«
Phase 4: Der Veebee-Virus wurde in die CASSIOPEIA eingespeist, damit
dieser verteilt werden kann.
»ENGUYN hat uns dabei viele Inspirationen geliefert«, kommentierte
Vopp ter Camperna. »Ich würde gerne seinen Konstrukteur kennenlernen.«
»Das bedeutet, ihr wisst nicht, von wem er konstruiert wurde?«, hakte
Atlan nach.
Die drei Gefangenen mussten stehen und auf die Bühne hochschauen,
während Kulag Milton und nun auch Vopp ter Camperna auf der Empore
saßen und sich wie Könige in ihre breiten Sessel lehnten.
»Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Nun kommen wir
zu den jüngsten Ereignissen.«
Ich dachte über ENGUYN nach. Das Hologramm von Anubis hatte auf
Mashratan gesagt, wir sollten die Jaaron-Chronik ENGUYN geben.
Vermutlich war ausgerechnet Milton auf eine unbekannte Technologie
gestoßen, die er für sich nutzen könnte. Das Glück war mit den
Untüchtigen.
Wir kamen zu Phase 5: Verteilung von besonders aggressiven Rudyn-
Grippe-Viren auf die Crew der Solaren Residenz.
»Das war meine Idee!«, rief Yeremiah Cloudsky stolz. Der Glosneke
rannte zur Bühne und hechtete die Treppen hoch. Dabei wäre er beinahe
gestolpert.
»Das Virus ist harmlos, aber hartnäckig und sehr ansteckend. Wir wollten
damit die Anzahl der diensthabenden Sicherheitsleute minimieren, da wir ja
die Roboter steuerten.«
Phase 6: Inkompetente Stellvertreter in wichtige Positionen heben, die
dann aufgrund der Krankheitsausfälle den Dienst am 27. Februar machen
mussten.
»Darüber haben wir uns lange den Kopf zerbrochen. Wir haben im
vergangenen Jahr die unfähige Mikela Rex ausgewählt und über ein paar
Beziehungen ins Sicherheitsteam des Museums eingeschleust. Die hatte
keine Ahnung.«
Cloudsky lachte.
»Wir haben sie außerdem heimlich mit einem Antiserum unserer Ara-
Freunde geimpft, so dass sie die Grippe zu diesem Zeitpunkt nicht
bekommen konnte. Uns war klar, dass sie eine Frau mit großen
Minderwertigkeitskomplexen ist und sich beweisen will, aber dazu gar
nicht befähigt ist. Deshalb wussten wir, sie würde in der Gefahr überfordert
sein.«
Phase 7: Fingierter Überfall der Ladhonen auf die CASSIOPEIA. Flucht
vor den Ladhonen und Kampf vor dem Ephelegon-System. Während des
Fluges nach Rudyn sandte die CASSIOPEIA den Veebee-Virus an die
LORETTA-Tender, um später Strukturlücken im Schutzschirm zu
ermöglichen.
Phase 8: In teils echter Panik erreichten ausgewählte Personen die Solare
Residenz, und Reginald Bull musste die Ratssitzung unterbrechen.
Phase 9: Aktivierung von Veebee in der Solaren Residenz durch Vopp ter
Camperna, Isolierung von LAOTSE und Kontrolle über die
Sicherheitsroboter.
»Das… das war schwierig, da eure Abdrücksäle so eng sind. Aber ich
konnte mich konzentrieren. In den fünf Jahren habe ich daran gearbeitet,
LAOTSE in eine Stage-Umgebung zu versetzen, also eine Kopie der echten
Software. Ich habe dann den Switch durchgeführt, so dass LAOTSE
zunächst dachte, er würde sich noch in der echten Softwareumgebung der
Residenz befinden. Danach war es zu spät. Ich hatte die Kontrolle dank der
Mithilfe der ahnungslosen Rex. LAOTSE befindet sich jetzt auf der Stage
und hat keinen Zugriff auf die realen Komponenten.«
Vopps Emot-Organ leuchtete rosa.
Phase 10: Der Veebee-Virus verursachte einen Ausfall der befallenen
LORETTA-Tender. Flucht durch den TERRANOVA-Schirm der
CASSIOPEIA und Solaren Residenz.
»Hier haben eure so fähigen Freunde uns geholfen. Wir mussten gar nicht
überhastet fliehen«, sagte Kulag Milton mit großer Genugtuung.
Phase 11: Die Residenz und CASSIOPEIA verlassen das Ephelegon-
System und gehen auf Überlichtflug.
»In der Phase befinden wir uns gerade«, ergänzte Cloudsky.
»Wirklich? Ich dachte, wir wären in noch in Phase 10«, meinte Gucky und
zuckte mit den Schultern.
»Wie? Hast du nicht aufgepasst? Wir sind doch schon weg aus dem
System.«
Cloudsky war offensichtlich verwirrt.
»Ich dachte, wir sind noch in Phase IV«, fügte Bull hinzu.
»Oh, die mit den Ameisen?«, fragte Atlan.
Bull nickte.
»Erinnert mich an die Kaiserin von Therm«, sagte Gucky.
»Welche Phase war das denn, Gucky? 800?«
»Keine Ahnung, Bully. Wir sind ja jetzt in Phase 13, oder? Ich habe nicht
aufgepasst.«
Yeremiah Cloudsky blickte verständnislos zu Vopp ter Camperna und
Kulag Milton.
»Die nehmen dich bloß auf den Arm.«
Cloudsky lächelte und nickte nun verständnisvoll.
»Ach so, ich dachte schon, die verarschen mich. Also, weiter im Text
unseres Plans.«
»Genug jetzt, Yeremiah. Meine Show
Milton stand auf und schob den Glosneken zur Seite. Der lächelte
verständnisvoll und zeigte auf den Tycoon. »Du bist der Daddy!«
Milton baute sich vor seinen Gefangenen auf.
»Die letzten vier Phasen sind meine Favoriten.
Phase 12: Übergabe der Residenz mit allen Ratsmitgliedern an die
Cairaner.
Phase 13: Ich werde zum neuen Residenten ausgerufen. Es wird zwar
zunächst noch etwas Widerstand erwartet, doch Rudyn wird sich ergeben,
wenn die treibende Kraft des Terramythos einmal aus dem Verkehr gezogen
wird.
Phase 14: Zerstörung aller Fake-Relikte in Erinnerung an Terra. Verbot
der Verbreitung des Mythos Terra und dessen Vertreter (Perry Rhodan,
Atlan, Gucky, Icho Tolot).
Phase 15: Der neue Liga-Rat wird aus mir, Ragana ter Camperna, ihren
Söhne Vopp und Topp sowie dem Tefroder Hunter gebildet und leitet das
endgültige Ende des Terramythos ein.«
Milton breitete die Arme aus, als ob er erwartete, dass Bull, Atlan und
Gucky ihm Beifall spenden würden. Immerhin klatschten Cloudsky und ter
Camperna. Ich sah zu Rasha, die die Augen verdrehte. Sie schien vom
großen Daddy auch nicht ganz überzeugt zu sein.
»Also gut«, rief Gucky. »Ich hab den Scheiß satt. Bully, du hast mir nicht
gesagt, dass ich mit so etwas zu tun habe. Davon hat mir auch mein Agent
nichts gesagt.«
Der Mausbiber wandte sich an Kulag Milton.
»Du hattest von Anfang an recht. Gucky gibt es nicht. Ich bin Jeremias
von Donnerbeutel und Vereinsvorsitzender der Laiendarstellervereinigung
Kotzfeld-Bärbroich. Der hat mich und meinen Kumpel Hermann aus
Rittershausen als Gucky und Atlan engagiert. Wir sind raus.«
Atlan nickte.
»Sorry, aber das geht uns zu weit. Ich bestätige euch, dass Terra ein
Mythos ist und ich nicht Atlan bin.«
Milton blickte die beiden ungläubig an und setzte sich wieder. Er wischte
mit dem linken Fuß über den Boden und dachte offenbar nach. Dann
schüttelte er den Kopf.
»Nein, ich bin nicht blöd. Ihr seid Mitverschwörer und obendrein ist diese
Ratte auch noch Mutant. Ihr werdet euch genauso wie Bull vor den
Cairanern verantworten. Und nun schafft sie mir aus den Augen.«
Hunter winkte mir zu. Ich zog meinen Strahler und forderte die drei auf,
uns zu folgen. Wir verließen den Konferenzsaal und geleiteten sie in ihre
Kabine, die von einem Schutzschirm und vier TARA-XI-UH-S Robotern
gesichert wurden.
Bevor Atlan das Quartier betrat, blieb er stehen und wandte sich mir zu.
»Creen, wenn die alle Relikte mit Bezug zu Terra einziehen, frage ich
mich, wann die dein Artefakt nehmen und es zerstören.«
Woher wusste er davon? Ich hatte niemand aus seinem Wirkungskreis
etwas davon erzählt. Außer Rasha, mit der er etwas Zeit verbracht hatte.
Rasha musste es ihm erzählt haben.
»Schnauze jetzt«, sagte Hunter und schubste Atlan in den Raum. Dann
schloss sich die Tür, und das Energiefeld wurde aktiviert.
»Unrecht hat er aber nicht«, sagte der Tefroder. »Wenn wir auf der
ATOSGO sind, musst du das Teil rausrücken.«
Kapitel 2 – In Gefangenschaft
Atlan blickte sich in der Kabine um. Sie befanden sich in einem der vielen
Gästezimmer, die von Konferenzteilnehmern zum Übernachten genutzt
wurden. Gucky warf sich auf das schwarze Sofa, Reginald Bull ging gezielt
zur Minibar über dem Kaminsims und nahm eine Flasche heraus.
Er blickte aus dem Fenster. Die Sterne waren verzerrt, denn die Solare-
Residenz befand sich im Hyperraumflug.
»Wir stehen wie Deppen da«, ärgerte sich Bull und goss Whisky in ein
Glas. Dann reichte er es Atlan, schnappte sich ein neues und füllte es.
Atlan roch an dem Getränk. Es war Scotch. Manchmal neigte Bully zu
Bourbon, doch Atlan hasste den süßlichen Geschmack.
»Die Terraner sind ohne Terra nicht mehr auf Zack«, stellte Atlan fest und
wollte am liebsten das Glas in eine Ecke feuern.
»Ach, und das ist meine Schuld?«, fragte Bull gereizt.
»Hat doch keiner gesagt«, antwortete Gucky und sprang auf.
»Niemand macht dir einen Vorwurf, dass wir alle ein müde belächelter
Mythos sind oder Schauspieler eines Verschwörungstheoretikers.«
Bully seufzte.
»Ich habe hier fast fünfhundert Jahre die Stellung gehalten und musste
mich mit jeder Menge Verrückten herumplagen. Diese sechsdimensionale
Strahlung und Datenflut hin oder her: Es war zutiefst erschütternd,
anzusehen, wie man unser Werk einfach vergaß oder leugnete.«
»Es nützen dann auch keine billigen Terrania-Kopien«, legte Atlan nach
und verwünschte sich kurz darauf für seinen Zynismus.
»Kopien?«, rief Bull aufgebracht. »Welche Wahl hatte ich denn? Terra war
weg, ihr seid weg gewesen, und die Menschheit brauchte ein neues
Zuhause. Ich habe versucht, die Erinnerung an Terra mit der Residenz und
dem Terraneum hochzuhalten.«
»Ich fühle mich auf Rudyn nicht zu Hause«, erwiderte Atlan.
»Glaubst du ich denn?«
Bulls Kopf lief rot an. Atlan atmete tief durch. Der Streit brachte doch
nichts, dachte Gucky.
»Jetzt mal alle ’nen Gang runterschalten, die Fingerchen an die
Lauschlöffel und wusa machen. Wusa.«
Gucky rieb sich demonstrativ die Ohrläppchen, doch weder Atlan noch
Bully hatten Lust, es ihm nachzumachen.
Bull setzte sich.
»Ich frage mich, was diese ENGUYN-Positronik ist? Wie ist die Ex-Frau
von Milton daran gekommen?«
Bull dachte in die richtige Richtung.
Auch Atlan nahm nun Platz. Offenbar war Kulag Milton zufällig auf eine
bereits fertig gebaute Positronik und die Konstruktionspläne der
CASSIOPEIA gestoßen. Vermutlich hatte er die fremde Technologie
missbraucht. Doch woher stammte sie und zu welchem Zweck war sie in
der Milchstraße? Das war ein Geheimnis, das es zu lösen galt, sobald sie
einen Weg heraus gefunden hatten.
»Es sind eine Menge unbekannte Kom ponenten im Spiel. Wenn man sich
die Zusammensetzung dieser Typen ansieht, ist es seltsam, dass die uns
übers Ohr hauen konnten«, sagte Gucky und legte sich wieder auf die
Couch.
»Möglicherweise hatten sie Hilfe von diesem ENGUYN«, sinnierte der
Mausbiber weiter. »Jemand mit kühlem, logischen Verstand.«
Das klang durchaus plausibel. ENGUYN kontrollierte die ganze
CASSIOPEIA und benötigte keine Besatzung. Das sprach für eine
fortschrittliche Technik.
»Wenn dieser ENGUYN auf eigene Rechnung handelt, ist er überhaupt
Milton und der CACC gegenüber loyal?«
»Gute Frage, Bully. Wir können ihn nur leider schlecht fragen, solange
wir in der Luxuszelle hocken. Haben wir wenigstens ordentlich was zu
essen hier?«
Gucky sprang auf und ging zur Küchenzeile. Er öffnete den Kühlschrank
mit einem Wischen über den Sensor und wirkte enttäuscht . Nur ein paar
Äpfel, Käse und ein proteinhaltiger Joghurt. Immerhin für den Ilt alles nach
Maß.
»Guten Appetit, das ist mir alles zu gesund«, meinte Bull.
»Ist doch eure Schuld, dass ihr nicht schon fertige Steaks oder Burger für
eure Gäste im Kühlschrank habt«, erwiderte Gucky schnippisch und packte
sich einen Apfel .
Bull seufzte.
»Milton führt die LFG in den Abgrund, und wir enden in einer
Ausweglosen Straße.«
Gucky knabberte an dem Apfel in den Mund. Danach nuschelte er: »Perry
hat einen Ausweg gefunden. Wo war das?«
»Afallach-System«, sagte Atlan und deutete mit dem Finger auf ein Stück
Apfel, das Gucky im Halsfell hing. Der Mausbiber schnippte es mit dem
Finger weg.
»Sollen unsere Feinde das wegmachen«, meinte er nur.
Ihnen war klar, dass sie nur oberflächliche Konversation betreiben
konnten, da sie bestimmt abgehört wurden. Zwar verfügte nicht jede Kabine
automatisch über Wanzen, was sicher befremdlich gewesen wäre, doch es
war ein Leichtes, über die Lüftungsschächte Abhörroboter zu entsenden, die
nicht größer waren als eine Fliege oder eine Spinne. Sicherlich gab es im
Bestand der LFG so etwas.
Sie mussten improvisieren, wenn sie auf die ATOSGO trafen. Vielleicht
gab es dann eine Möglichkeit. Möglicherweise konnte Atlan seinem
Instinkt vertrauen, als er Nathaniel Creen auf das Artefakt angesprochen
hatte. Er musste Rasha zu Dank verpflichtet sein, dass sie ihm von dem
Artefakt im Besitz des Rhodanjägers erzählt hatte. Dass die
Meinungsmacherin nun gemeinsame Sache mit Kulag Milton machte, war
umso enttäuschender.
Rasha treibt ein doppeltes bis dreifaches Spiel, welches nur ihrem eigenen
Zweck dient. So vermutete der Extrasinn. Damit hatte er wahrscheinlich
recht.
Kapitel 3 – Rendezvous im All
Die Solare Residenz fiel aus dem Hyperraum. Ich sah als erstes die
Doppelsterne Alpha Centauri A und B. Alpha Centauri A war ein gelber
Zwerg vom Spektraltyp G2 V und gehörte damit zu den heißeren Sternen
dieses Typs. Sein Zwilling war vom Spektraltyp K1 und damit sogar noch
etwas kleiner, aber ebenso eine gelbe Sonne.
Der Begriff klein war relativ. Beide Sonnen waren für ein Lebewesen
gigantische Feuerbälle, selbst wenn sie galaktisch betrachtet deutlich
kleiner waren als Überriesen.
Das Sonnensystem besaß keine bewohnbaren Planeten, galt jedoch als
Orientierungspunkt für Raumfahrende. Dem Mythos nach lagen einst Terra
und Luna nur 4,3 Lichtjahre entfernt im sogenannten Solsystem. Doch
diesen Mythos hatte Kulag Milton entlarvt.
Zwischen den beiden Sonnen erkannte ich ein Schimmern. Es wurde
größer. Die ATOSGO besaß eine reflektierende Außenhülle. Bei anderen
Raumschifftypen war die Legierung oftmals Licht absorbierend, um im
Weltall zumindest optisch unsichtbar zu sein oder im orbitalen und
planetaren Einsatz nicht aufgrund der sich aufheizenden Oberfläche zu
einer Minisonne zu werden. Eine Vielzahl an Raumschiffen besaß eine
Legierung, die das äußere Licht reflektieren, absorbieren oder mittels
Kameras nachbilden konnte, um einen Tarneffekt zu erreichen.
Ich befand mich mit der Holografie von Eleonore in der
Kommandozentrale der Solaren Residenz. Es gab keine echten Navigatoren
an Bord, deshalb war mir der Job von Hunter übertragen worden.
Die Steuerung der Solaren Residenz im Weltraum war ein Kinderspiel und
bedurfte keiner echten Fähigkeiten. Es gab nicht viel, worauf ein Pilot
achten musste. Der Flug war zum Großteil ohne die Hilfe einer Positronik
erfolgt, da das Veebee-Virus LAOTSE aufs virtuelle Nebengleis abgestellt
hatte.
Die Macht der CACC und Milton Company hing an einem seidenen
Faden. Ter Camperna beherrschte zwar die Technik und die damit
verbundene Macht der Solaren Residenz. Verlor er sie aber wieder, dann
war das Unternehmen »Fakten schaffen« gescheitert. Man musste LAOTSE
vom Virus befreien.
Wer die Macht über die 1.000 TARA-Kampfroboter besaß, der
beherrschte die Residenz. Das waren im Moment Miltons Leute.
»Hier spricht die Solare Residenz, Nathaniel Creen. Die Residenz ist unter
Kontrolle. Operation ›Fakten schaffen‹ ist ein voller Erfolg. Erwarten
Rendezvous im All.«
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ich erkannte die Stimme von
Ragana ter Camperna sofort.
»Ausgezeichnete Arbeit. Ich gehe davon aus, dass sich mein Sohn in
bester Gesundheit befindet?«
»Ihrem Sohn geht es gut. Ihm gebührt ein großer Anteil an der Eroberung
der Solaren Residenz.«
Für einen Moment fühlte ich so etwas wie Stolz. Immerhin war es uns als
kleiner Gruppe gelungen, das Wahrzeichen der Liga Freier Galaktiker und
deren gesamte politische Führung zu entführen. Allerdings fühlte ich
keinerlei echte Zugehörigkeit zu den Drahtziehern, denn in den letzten
Wochen hatte sich mein Weltbild verändert. Ich war mir sicher, dass Terra
kein Mythos war und Perry Rhodan, Atlan, Bull, Gucky und Icho Tolot
wirklich diese Helden aus der Vergangenheit waren. Vielleicht war das
Konstrukt der Lemurischen Allianz sogar besser als dieser Cairanische
Frieden. Wirklichen Frieden hatten die Cairaner nicht gebracht, denn sie
unterdrückten Andersdenkende oder diskreditierten deren Reputation.
Wo lag der richtige Weg für diese Galaxis? Wieso machte ich mir
ausgerechnet jetzt darüber Gedanken? Bisher war es mir herzlich egal
gewesen, was aus der Milchstraße wurde. Ich hatte vor mich hin gelebt,
ohne Vergangenheit und ohne Zukunft.
Doch jetzt hatte sich die Situation grundlegend geändert. Ich war ins
Zentrum des politischen Geschehens katapultiert worden und außerdem
einem Geheimnis aus der Vergangenheit, ja vielleicht sogar meiner
Vergangenheit auf der Spur. Ich fühlte mich in diesem Augenblick lebendig
und nicht mehr verdrossen und desillusioniert.
Und doch konnte ich wohl nichts ausrichten. Ich war nur ein
Kopfgeldjäger. Ich atmete tief durch und blickte auf die Anzeigen.
Die ATOSGO näherte sich bis auf fünftausend Kilometer. Ich betrachtete
die transparenten Kuppeln auf dem scheibenförmigen Rumpf. Die Gärten,
die kleinen Wälder und Seen sahen idyllisch aus. NNur ein kleiner Teil der
Crew war in das Unternehmen eingeweiht, weshalb die meisten Gäste
nichts von den bevorstehenden Umwälzungen ahnten. Selbst ich hatte bis
zuletzt keine Ahnung gehabt. Hunter hatte einfach auf meine Loyalität und
Auffassungsgabe gesetzt.
An Bord der ATOSGO war vielleicht eine Handvoll Personen über das
Unternehmen »Fakten schaffen« informiert. Ragana ter Camperna
natürlich, vermutlich ihr Sohn Topp, ihr Geliebter Sobrasky und der
Cairaner Roch Miravedse. Die anderen Passagiere waren nur Statisten in
dem Theaterstück von Milton und ter Camperna. Ich wusste nicht, wie die
Passagiere auf der CASSIOPEIA reagiert hatten. Vermutlich hatte Milton
jede Menge Getreue auf dem Schiff versammelt, um seine neue Ära zu
begründen.
Das Hologramm von Eleonore erschien neben mir.
Es wirkte, als würde sie in Gedanken versunken auf die Projektion der
ATOSGO blicken, doch ich wusste nicht, ob eine Positronik so etwas
machen würde oder ob sie nur das menschliche Verhalten imitierte.
»Wenn ich zur ATOSGO zurückkehre, wird meine Vergangenheit für
immer im Dunkeln liegen«, sagte ich.
Eleonore blickte mich an.
»Roch Miravedse erwartet die Herausgabe des pyramidenförmigen
Artefaktes.«
»So ist es.«
Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Möglicherweise ist eine Neubewertung unserer Situation erforderlich.«
Ich fragte mich, ob sie mich wirklich zur Meuterei ermuntern wollte, und
blickte sie an.
»Fahre fort«, sagte ich.
»Durch unsere Erlebnisse auf Stellacasa und Mashratan hat sich die
Faktenlage verändert. Ich bin inzwischen überzeugt, dass der Planet Terra
wirklich existiert hat und die Gefangenen Atlan, Reginald Bull und Gucky
von dort stammen. Wir sind hingegen Terroristen, die sich auf
Unwahrheiten berufen. Wir haben die Regierung der LFG entführt.«
»Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Das sind die Cairaner und
Kulag Milton«, antwortete ich.
»Und das bedeutet wiederum, dass du deine Geschichte niemals erfahren
wirst und die Galaxis von Lügnern regiert wird. Es bedeutet außerdem, dass
ich mich vermutlich niemals weiterentwickeln darf.«
Ich winkte ab.
»Diese Politik interessiert mich nicht. Hunter hat mir die Freiheit und die
NOVA versprochen.« Ich wandte mich zu Eleonore. »Wir sind frei. Du
kannst dich entwickeln, und wir können durch die Galaxis reisen.«
»Welchen Sinn würde das machen? Ist es nicht das menschliche
Bestreben, sich weiterzuentwickeln. Wie können wir das in einer Galaxis,
die ihre eigene Geschichte verleugnet?«
Wir konnten schlecht mit der NOVA in eine andere Galaxie reisen. Dazu
war das Raumschiff nicht konstruiert.
»Was schlägst du vor?«
»Ich bin die Positronik der NOVA und noch meinem Kommandanten
Hunter verpflichtet. Meine Programmierung verbietet mir, zur Meuterei und
Verrat zu raten. Ich kann nur die Situation analysieren. Es erscheint logisch,
den Erzählungen von Atlan, Bull und Gucky zu glauben. Ebenfalls wirken
ihre Ziele und ihre Vorgehensweise nobler und friedlicher als die der
Cairaner, CACC und Milton Company
Ein Interkomruf von Hunter riss uns aus dem Gespräch. Ich stellte auf
Audioübertragung.
»Es wird Zeit. Ragana und Miravedse erwarten uns auf der ATOSGO.«
»Und wer bewacht die Gefangenen?«
»Das übernehmen die Kampfroboter. Sie werden von Vopp ter Camperna
kontrolliert. Begib dich auf die NOVA. Dann setzen wir über. Und vergiss
das Artefakt nicht.«
Ich atmete tief durch und beendete die Verbindung. Eleonore sah mich an.
»Wenn du das Artefakt übergibst, wird Hunter dir das Kommando über
die NOVA übertragen. Damit unterstehe ich fortan deinem Befehl.«
Sie versuchte zu lächeln.
»Das wird mehr Möglichkeiten bieten.«
Die NOVA landete in der Landebucht für die Frachtschiffe. Die
CASSIOPEIA hingegen setzte in dem eigens für das Raumschiff
konstruierten Hangar auf. Die Positronik ENGUYN würde zusammen mit
Vopp ter Camperna die volle Kontrolle über die Solare Residenz ausüben.
Während des Fluges hatte keines der Crewmitglieder gesprochen.
Offenbar versuchten Kuvad Soothorn und Cilgin At-Karsin die
Geschehnisse noch einzuordnen. Sie waren Mitläufer und hätten sich wohl
kaum gegen die Befehle gestellt. Was hätten sie auch ausrichten können?
Die Kontrolle über die Kampfroboter auf der Solaren Residenz war
entscheidend. Doch weder Soothorn noch der Hauri hatten offenkundig
Ambitionen, sich gegen die CACC und Milton zu stellen. Weshalb sollten
sie das auch? Allerdings hatte der Hauri noch vorgestern festgestellt, dass
Terra vermutlich wirklich existiert hatte, nachdem er die Musiksammlung
von Oberst Kerkum gehört hatte, die vornehmlich aus Evergreens vom
Planeten Terra bestehen sollte.
Wortlos folgten wir Hunter, unserem Kommandanten. Ich trug in einer
Tasche meine Vergangenheit in Form des Artefakts. Als Soothorn und
Hunter einige Meter vor uns waren, sagte At-Karsin. »Das Artefakt ist
wertvoll, Herr Kopfgeldjäger. Trägst du es deshalb bei dir?«
»Nein, ich werde es den Cairanern aushändigen. Dann erhalte ich die
NOVA als Geschenk, eine Belohnung von Milton und mache mich aus dem
Staub.«
»Das… überraschend.«
Der Hauri hüstelte.
»Suchst du noch Besatzungsmitglieder?«
Ihn? Ich zog es vor zu schweigen, was ihn nicht daran hinderte
fortzufahren.
»In den Katakomben auf Mashratan haben wir rätselhafte Dinge gesehen.
Ich denke, die Antwort auf deine Vergangenheit ist auf diesem Artefakt und
es steht in Verbindung mit Mashratan.«
Ich seufzte. Natürlich lagen die Hinweise auf mein früheres Leben auf
dieser Datenquelle, denn es musste ein Datenspeicher sein, wenn er der
Bauweise der Quelle auf Mashratan entsprach. In welcher Verbindung mein
altes Leben zu Mashratan stand, wusste ich nicht, doch auch mir war der
Gedanke bereits gekommen, dass es einen Zusammenhang gab.
»Dieser Herr Anubis sagte, dass wir die Kosmogene Chronik zu
ENGUYN bringen sollten. Es ist ein bemerkenswerter Zufall, dass die
Positronik der CASSIOPEIA so heißt, hm?«
»Möglich«, sagte ich knapp.
»Ich habe es gesehen, Herr Kopfgeldjäger. Hinter dir liegt eine besondere
Vergangenheit. Auf Mashratan habe ich es begriffen…«
»Was begriffen?«
»Ruhe da hinten«, rief Hunter. »Kein Wort, wenn wir im großen Foyer
sind.«
»Später«, flüsterte Cilgin At-Karsin geheimnisvoll.
Wir erreichten das Foyer. Ich schätzte, dass fast zwei Drittel der
dreitausend Gäste sich versammelt hatten. Während wir den Weg zum
Antigrav fortsetzten, stellten sie uns immer wieder dieselben Fragen:
»Wieso ist die Solare Residenz hier? Was ist passiert?«
Andere der Gäste riefen: »Ein tolles Urlaubsgeschenk und eine besondere
Attraktion.«
Offenbar hatte es keinerlei Kommunikation von Ragana aus gegeben. Die
Gäste auf der ATOSGO hatten keine Ahnung, was im Ephelegon-System
geschehen war und auch die Rede von Kulag Milton nicht empfangen.
Vermutlich war sie noch gar nicht verbreitet worden. Von der anderen Seite
kamen Kulag Milton, Yeremiah Cloudsky und Rasha mit ihren beiden
Begleiterin Wulfar und Otnand. Wir trafen sie am Antigrav.
Milton blickte sich um.
»Bald werden sie von unserem glorreichen Feldzug erfahren. Nicht mehr
lang.«
Rasha zwinkerte mir zu und grinste frech. Wulfar und Otnand blickten
mich nur grimmig an.
Wir stiegen in den Antigrav und ließen uns bis zur 25. Etage tragen. Dort
fasste ich ans Geländer und zog mich sanft auf den Flur. Die halbe
Belegschaft stand im Empfangsraum: Bismaria da Enta mit ihren vielen
Schals, die Blues Gorlü, die Imarterin Bytta Wolden, die Putzkräfte Tarnaite
Grazus und Cyba Kryz, die Rezeptionistinnen Polly Kallos und Cirane
Kinzz.
Die Arkonidin Bismaria da Enta winkte uns zu sich.
»Folgt mir. Die ehrwürdige Ragana ter Camperna und der sternwestliche
Konsulatssekretär Roch Miravedse erwarten euch bereits.«
Sie führte uns durch den Korridor zu einem weiteren Empfangs- und
Speisesaal.
Dort befanden sich die alte Ragana ter Camperna, der goldene Cairaner
Roch Miravedse, Topp ter Camperna und der Leitende Ingenieur Theofyr
Sobrasky, der auch zufällig der Liebhaber der bärtigen Springerin Ragana
war.
»Raggy, du alte Fregatte«, rief Milton und meinte das wohl liebevoll. Er
breitete die Arme aus und ging auf sie zu. Die beiden umarmten sich.
»Wir haben es geschafft, Kully. Wir haben es wirklich geschafft.«
Sie lösten sich aus der Umarmung. Milton verneigte sich kurz vor dem
goldenen Cairaner, der mit einer gewissen würdevollen Gelassenheit vor
ihnen stand und die vier Hände ineinander verschränkt hatte.
»Gratulation zum erfolgreichen Abschluss des Unternehmens. Nun, da ich
die Solare Residenz erblicke, informiere ich den Konsul. Ich erteile euch
die Erlaubnis, die Galaktiker über euren Sieg zu informieren.«
Milton lachte und aktivierte seinen Interkom.
»ENGUYN, meine Rede darf gesendet werden.«
Er nickte Rasha zu, während er mit der Positronik der CASSIOPEIA
sprach. Die Meinungsmacherin erwiderte das Nicken. Sie würde parallel
zur Hyperfunkbotschaft die Rede von Milton auf ihrem Galaktomeet-
Account übertragen.
Ich fragte mich, wie die knapp dreieinhalbtausend Passagiere auf der
ATOSGO und CASSIOPEIA reagieren würden. Waren sie alle
Sympathisanten von Kulag Milton? Sicherlich hatte er die Auswahl seiner
Gäste mit Bedacht durchgeführt. Bestimmt waren viele der Gäste einfach
nur reiche Urlauber von Rudyn. Ich zweifelte daran, dass es einen großen
Aufschrei geben würde.
Der Aufschrei war groß, nachdem das Trivid von Milton gesendet worden
war. Die Passagiere liefen Sturm und belagerten den Empfang in der 25.
Etage. Bytta Wolden seufzte und meckerte die Gäste an, während die Blues
Gorlü sich dezent im Hintergrund hielt und so tat, als würde sie arbeiten.
Die meisten Gäste wollten wissen, wann sie wieder ins Ephelegon-System
reisen durften. Ihre Sorge galt nicht dem Putsch, sondern ihrer eigenen
Bequemlichkeit. Wann würden sie wieder Zuhause sein? Ich war
angewidert von diesem dekadenten Pack.
Ragana ter Camperna half am Rezeptionstresen aus und versuchte die
Meute zu beruhigen.
»Ihr bleibt solange an Bord der ATOSGO, bis alles geklärt ist. Natürlich
kostenlos und bei voller Verpflegung. Die neue Regierung der Liga Freier
Galaktiker lässt sich nicht lumpen«, rief sie den Gästen zu.
Ein schlaksiger Rudyner mit Dreitagebart und dunkelbraunem Haar sagte:
»Was passiert denn, wenn sich die Heimatflotte und der NDE weigern, sich
euch zu ergeben? Was wird aus meinem Portfolio? Wir haben doch von
außerhalb keinen Zugriff auf die rudynische Börse, oder?«
»Genau, wir müssten jetzt investieren, spekulieren. Kaufen und
verkaufen«, rief ein Epsaler.
»Wer versichert uns, dass es keine Unruhen geben wird? Wer schützt
meinen Grundbesitz?«, rief eine alte Rudynerin.
Ragana ter Camperna hob beschwichtigend die Arme.
»Bitte, bitte! Die CACC und Milton Company verteilen an jeden
Unterstützer großzügige Aktienpakete. Der Handel auf Rudyn wird
vermutlich ausgesetzt, doch galaxisweit könnt ihr jetzt handeln. Selbst
wenn die LFG auf Rudyn sich uns widersetzt wir können den
TERRANOVA-Schutzschirm knacken und mit Hilfe einer cairanischen
Schutzflotte für Ruhe und Frieden sorgen. Die Zeit der Fake-News und der
Schwurbelei ist vorbei. Wir haben Fakten geschaffen!«
Das schien die Meute vorerst zu beruhigen, da die ersten murmelnd die
Etage wieder verließen. Hunter packte mich am Arm und deutete an, ich
solle mitkommen. Ich folgte ihm in den Speisesaal. Der Cairaner Roch
Miravedse blickte mich an. Sein Gesicht war ausdruckslos, die vier
Handpaare jedoch in Bewegung.
Kulag Milton stand neben ihm.
»Ich erwarte die Herausgabe des Datenspeichers der Desinformationen,
bitte.«
Ich hob meine Tasche an, steckte den linken Arm hinein und holte das
pyramidenförmige Artefakt heraus. Sollte ich es wirklich herausgeben? Ich
sah mich um. Rasha wirkte nervös. Es sah fast so aus, als wollte sie zu mir
rennen und das Artefakt an sich reißen. Auch ihre beiden Begleiter wirkten
angespannt und starrten auf die kleine weiße Pyramide.
»Das ist der Deal«, sagte ich. »Wie versprochen erhalte ich die NOVA mit
Eleonore als Geschenk, und von Milton erwarte ich eine Million Galax in
Form von Kreditchips. Mit der Übergabe des Artefakts beende ich meinen
Dienst bei der CACC.«
Das äußere Handpaar drehte sich nach Außen.
»Ich bin in der Annahme, deinem Wunsch wird entsprochen.«
Kulag Milton kramte in seiner Hosentasche herum. Er holte einige
schwarzgoldene Kredit-Chips heraus und übergab sie mir.
»Rest ist Trinkgeld, Kleiner«, brummte er.
Ich warf einen Blick drauf. Der Typ hatte 1,6 Millionen Galax in der
Hosentasche! Das war eine Summe, wofür andere starben oder ihr Leben
lang schuften mussten. Damit war mein Auskommen für eine Weile
gesichert.
Hunter betätigte sein Interkom.
»Hunter an Eleonore. Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Ich
überschreibe alle Rechte an den neuen Kommandanten Nathaniel Creen.«
»Bestätigt«, lautete die Antwort von Eleonore.
Hunter verzog das Gesicht zu einem Grinsen.
»Nun bist du frei und kannst durch die Galaxis schippern. Du warst ein
guter Navigator
Das Lob machte mich sprachlos. Selten war Hunter so freundlich zu mir
gewesen wie in diesem Moment. Ich merkte, dass er es aufrichtig meinte.
Nun übergab ich das Artefakt dem Cairaner, der es mit den zwei
Handpaaren seines rechten Arms umschloss und mit seinen goldenen
Augen betrachtete.
»Mögen die Lügen auf diesem Datenträger niemals gehört oder gelesen
werden. Wir werden es mitnehmen, analysieren und vernichten. Du darfst
dich nun entfernen, ehemaliger Rhodanjäger
Ich wandte mich um. Während ich langsam in Richtung Ausgang ging,
hörte ich Hunter sagen: »Wir haben etwa 700 Passagiere abgehört, die mit
Bull heimlich sympathisieren. Was sollen wir mit denen machen,
Konsulatssekretär?«
»Separiert sie von den anderen Gästen. Wir werden sie gemeinsam mit
den Verschwörungstheoretikern Reginald Bull, Atlan und Gucky auf eine
ausweglose Straße schicken. Die Ära der Mythen endet nun, verehrte
Galaktiker
Wieder 700 Tote mehr, die auf unser Konto gingen. Ich war froh, mit all
dem bald abzuschließen. Rasha schubste mich an und flüsterte: »Wie kannst
du denen die Kosmogene Chronik geben?«
Kosmogene Chronik? Anubis hatte die Jaaron Chronik als Kosmogene
Chronik bezeichnet. Rasha war gut informiert für eine oberflächliche
Meinungsmacherin.
»Das ist der Preis für meine Freiheit.«
Sie verzog das Gesicht.
»Dann genieße die Freiheit mal. Sie wird sowieso bald für uns alle zu
Ende sein. Unsere Zeit läuft ohne die Chroniken ab .«
Wütend rannte sie davon und verließ den Raum. Wulfar und Otnand
schoben sich unsanft an mir vorbei. Die drei benahmen sich seltsam für
gewöhnliche Meinungsmacher. Sie waren Galaktiker ohne anständigen
Beruf und unterhielten die Milchstraße virtuell mit nackter Haut und
sinnlosen Dingen, stets darauf erpicht, viele Stalkys zu erhaschen, denn je
mehr Stalkys sie vorweisen konnten, desto interessanter wurden sie für
Sponsoren.
Im Foyer waren immer noch zwei Dutzend Gäste. Die Rezeptionistinnen
wirkten völlig überfordert. Die Imarterin Bytta Wolden seufzte leidend und
schnauzte eine Ferronin an, sie könne ihr nicht weiterhelfen. Die Jülziish
Gorlü diskutierte mit Bismaria da Enta. Die Rudynerin Cirane Kinzz blickte
mich mit ihren braunen Augen traurig an. Einzig Polly Kallos, das
Betthäschen von Hunter, war freundlich und kommunizierte unablässig mit
den Gästen. Ich würde sie alle nicht vermissen. Ohne Abschied trat ich in
den Antigrav und verließ vermutlich für immer die 25. Etage.
Als ich im großen Hauptfoyer angekommen war, tummelten sich überall
Passagiere und Gäste. Sie diskutierten über den Putsch. Die meisten waren
froh, dass der »Lügenbaron« Bull entwaffnet worden war. Andere
tuschelten davon, dass diese Revolution reiner Wahnsinn sei. Sie wussten
nicht, dass schon eine ausweglose Straße auf sie wartete.
Etwas abseits standen Yeremiah Cloudsky, seine Assistenten Constance
Beccash und der Verkäufer Speedy Handrej. Sie diskutierten mit einem
älteren Ehepaar. Als ich an ihnen vorbei ging, hörte ich diesen Handrej
noch sagen: »… nice, Herr und Frau Shoehe. Tatsächlich ist das eine mega
history chance. Die Prämissen-Annahme, dass ihr natürlich keine
Verschwörungstheoretiker seid.«
Constance sah mich an, als wollte sie mir etwas sagen. Ich ging wortlos an
ihnen vorbei. Was hatte ich schon mit diesen oberflächlichen Typen zu
bereden? Ich war froh, als ich den Hangar mit der NOVA erreichte.
Ausgerechnet Kuvad Soothorn lungerte vor der Luke herum. Der
tätowierte Springer saß auf einem Container, rauchte und trank Bier.
»Ach, ein schöner Tag, gell? Jetzt bist du mein Kommandant. Wohin geht
es?«
»Meine erste Handlung als Kommandant: Du bist gefeuert. Verpiss dich
von meinem Eigentum.«
Soothorn starrte mich verwundert an.
»Aber Chef, was soll das? Ich tue alles, was du willst, Mann!«
Er sprang auf und warf die Kippe zur Seite.
»Bitte, Chef!«
Ich blieb stehen und wandte mich ihm zu.
»Ich bin nicht dein Chef! Du hast immer noch Schulden bei der CACC.
Die haben sich nicht aufgelöst. Selbst wenn du frei wärst, würde ich dich
einfältigen, perversen, inkompetenten Vollidioten nicht einstellen.
Verschwinde, sonst…«
Ich legte die Hand an das Holster meines Strahlers. Kuvad Soothorn hob
die Hände.
»Ist schon gut. Schon gut. Ich gehe ja.«
Er drehte sich um und lief weg.
»Es wird wohl dann nur ein Flug zu zweit«, hörte ich Eleonore sagen und
drehte mich um. Sie stand an der Rampe und trug ihre blaue Kombination.
Es war kein Hologramm. Ich ging näher und betrachtete sie. Ihr Körper sah
so anders aus, so echt und menschlich.
»Darf ich?«, fragte ich und hob die Hand.
»Ich bitte darum, Kommandant.«
Ich berührte ihre Schulter, ihren Oberarm, fuhr zum Unterarm und ergriff
ihre Hand. Sie drückte meine Hand.
»Das… das ist der Androidenkörper? Er ist fertig?«
»Das ist er. Ich fühle mich so… menschlich.«
Sie lächelte.
Wir gingen hinein. Die NOVA war jetzt mein Raumschiff. Ich fühlte einen
gewissen Stolz. Wir sollten es auf jeden Fall umbauen und die Kabine von
Hunter und meine zusammenlegen oder daraus einen Gemeinschaftsraum
für Eleonore und mich machen.
»Der Körper ist so konstruiert, dass er sogar Nahrung aufnehmen kann
und in Energie umwandelt. Er hat Rezeptoren, die sich an der menschlichen
Haut und den Nerven orientieren. Ich kann Berührungen spüren, riechen,
schmecken und sogar Schmerz empfinden. Ich vermute, dass ich das alles
kann, denn ich muss diese Eindrücke erst einordnen und verarbeiten.«
Wir setzten uns in die Kommandozentrale. Ich nahm den Helm ab und
betrachtete die Kontrollen. Es roch hier noch nach dem Qualm von
Soothorns Zigaretten und dem Schnaps von Hunter.
»Wir müssen den Dreck der Vergangenheit reinigen«, sagte ich.
»Und dann? Erforschen wir eine Galaxis der Lügen?«
Ich atmete tief durch.
»Was bleibt uns denn übrig? Ich bin ein Taugenichts ohne Erinnerung an
sein Leben. Ich habe die letzten sechszehn Jahre überlebt. Wir sind kleine
Rädchen und können nichts gegen die CACC, Milton oder Cairaner
ausrichten.«
Eleonore blickte mich ernst an.
»Du bist aber inzwischen der Überzeugung, dass Terra und der Mond
wirklich existiert haben?«
»Ja, das bin ich.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Je mehr ich in den letzten Wochen erlebt habe, desto weniger habe ich
der cairanischen Version Glauben geschenkt. Die Geschichten der
Rhodanmystiker waren logisch, Atlan und Gucky authentisch. Sie sind
bessere Menschen als Milton, Ragana oder Hunter. Es ist eine Schande,
dass sie bald sterben werden.«
»Es gibt nun eine Alternative«, schlug Eleonore vor.
Ich blickte in ihre großen, blauen Augen.
»Was meinst du?«
»Ich bin nicht mehr Eigentum der CACC, sondern gehorche deinen
Befehlen. Ich kenne den Veebee-Virus, ich stehe in Kontakt mit ENGUYN
und LAOTSE. ENGUYN scheint Milton und die CACC nur als Mittel zum
Zweck zu benutzen. Wenn ich den Veebee-Virus überliste und LAOTSE
befreie, wären auch Reginald Bull, Atlan und Gucky frei.«
Eleonore schlug Verrat an meinen Gönnern vor. Doch war das wirklich
schlimm? Ich verachtete alle von der CACC und Milton. Ich war ihnen
nichts schuldig.
»Wir könnten ebenfalls dein Artefakt retten. Mit Hilfe von Bull, Atlan und
Gucky können wir die Daten bestimmt entschlüsseln.«
Ich dachte darüber nach. Das war ein phantastischer Plan. Ausgerechnet
eine auf Logik basierende Künstliche Intelligenz schlug diese verwegene
Operation vor. Doch ich konnte mir sicher sein, dass Eleonore eine
realistische Erfolgschance sah.
»Wieso willst du das tun? Du könntest vernichtet werden. Du hast jetzt
deinen Körper, und wir könnten ein angenehmes Leben irgendwo führen
abseits von Politik und Ideologien.«
»Der Körper ist ein Teil des menschlichen Daseins. Doch das Gewissen,
Geist und Seele sind der wichtigere Teil. Wenn ich menschlich werden will,
darf ich dann bei Unrecht und Verbrechen wegsehen? Muss ich um des
eigenen Wohlwollens Lügen akzeptieren und andere Lebewesen leiden
lassen? Ich möchte auch meine Seele, sofern ich so eine überhaupt besitze,
erweitern. Hilfst du mir dabei?«
Ich musste lachen. Ich seelenloser Typ sollte einer KI helfen, ihre eigene
Seele zu entwickeln? Da war ich wohl der Falsche. Eleonore lag trotzdem
richtig, denn ich konnte keine Gegenargumente liefern außer meinen
eigenen Egoismus und meine Angst, wieder alles zu verlieren.
Zeit meines neuen Lebens war ich alleine gewesen und hatte um jede
Annehmlichkeit kämpfen müssen. Nun besaß ich ein Raumschiff und eine
Art Gefährtin, für die ich die Verantwortung trug und die ihre Existenz mit
mir bestreiten wollte. Ich war im Besitz von 1,6 Millionen Galax. Doch wie
lange würde ich damit glücklich sein? Ich enttäuschte Eleonore, indem ich
ihre Bestrebung verhinderte. Ich verlor die Chance, meine Vergangenheit zu
erforschen, und ich würde ein Leben in völliger Bedeutungslosigkeit fristen.
Ich würde mich aufgeben, nur um mir auf irgendeiner idyllischen Welt für
1,6 Millionen Galax ein schönes Haus am Strand zu kaufen. Ich würde für
Besitz Ideale und Ambitionen aufgeben, die in mir schlummerten, die ich
erst jetzt in Freiheit überhaupt entfalten konnte. Worauf sollte ich noch
warten? Auf eine Gelegenheit, die sich mir in einigen Jahren offerieren
würde? Es gab keine Garantie dafür. Hier und jetzt wurde galaktische
Geschichte geschrieben, und ich wollte einfach verschwinden und mit
meiner KI-Schönheit in den Sonnenuntergang fliegen?
Eine innere Stimme in mir wehrte sich dagegen. Sie rief mir, auf Eleonore
zu hören. Die Allianz aus Cairanern, CACC und Milton Company war ein
gefährliches Bündnis. Sie bestand als Wesen, die mich immer wieder
gedemütigt und beleidigt hatten. Diesen Wesen sollte ich das Feld
überlassen? Sie sollten am Ende gewinnen? Ich war doch nie freiwillig
einer von ihnen gewesen.
»Wie ist dein Plan, Eleonore?«
»Ich verlassen den Androidenkörper und speise mich in das System der
Solaren Residenz ein. Dort versuche ich, LAOTSE aus seiner Stage-
Umgebung zu befreien. Ich werde mich sicher virtuell mit Vopp ter
Camperna messen müssen. Doch vielleicht bekomme ich Hilfe von
ENGUYN oder von dir
Ich lächelte.
»Eleonore, du hast mehr Herz und Seele, als ich es jemals haben werde.«
Ich nahm ihre Hand und drückte sie. Eleonore lächelte.
»Das ist eine menschliche Geste für Zuneigung. Das ist ungewohnt.«
»Für mich auch, ich habe noch nie Händchen gehalten«, sagte ich, ließ
ihre Hand los und stand auf. »Ich bin einverstanden. Befreien wir die Solare
Residenz!«
Kapitel 4 – Die Ankunft der STERNENMEER
Die STERNENMEER fiel aus dem Hyperraum. Vor ihr lag ein roter
Emissionsnebel. Nistant betrachtete dieses kosmische, anmutige Schauspiel.
Die Milchstraße war eine Spiralgalaxie von einer besonderen Schönheit.
Es gab Millionen solcher Galaxien, doch irgend etwas hatte diese Galaxie
an sich, was andere nicht besaßen. Es musste Einbildung sein, denn sie
unterschied nur ihre Geschichte von anderen, spiralförmigen Sterneninseln.
Vor zwanzig Millionen Jahren hatte man sie Phariske-Erigon genannt,
später Ammandul und Apushol. Sie hatte viele Bezeichnungen besessen,
und vermutlich waren noch längst nicht alle bekannt. Niemand wusste, ob
nicht irgendeine Halbintelligenz auf einer fernen Welt mit einem Teleskop
ein Leuchten am Himmel beobachtete und es Sternchen-1234 nannte.
Die Bedeutung dieser Galaxie würde ohnehin alsbald verblassen und im
Schleier verwehen. Die Taten der Superintelligenz ES und seiner
Schützlinge Perry Rhodan und Atlan waren bereits in Vergessenheit
geraten. Zweifelsohne war es nur eine Momentaufnahme, denn die Cairaner
waren Rhodan und seinen Gefolgsleuten auf Dauer nicht gewachsen. Auf
der anderen Seite war es in ironischer Weise dessen, was kommen sollte.
Nistant stand an der Konsole des Kommandanten auf der
STERNENMEER. Er blickte sich um. Sein Raumschiff lebte und atmete.
Die dunkelgrünen Wände pulsierten, als Vyr sich daraus schälten, Wesen
aus Materie und Energie zugleich, vergangene Seelen des Rideryon, die
ihren Weg im Universum noch nicht zu Ende beschritten hatten.
Die Vyr erschienen als leuchtende, faustgroße Kugeln und erschufen bei
Bedarf einen Körper aus Formenergie. Ihr Aussehen konnte beliebig sein,
und oft ähnelten sie der Spezies ihres ursprünglichen Daseins.
Herz und Gehirn der Vyr lagen in der Kugel. Manche sagten auch, dass
dort ihre Seele gefangen war. War es ein Gefängnis oder ein sicheres
Zuhause? Nistant betrachtete einen Vyr, der sich mittels Formenergie in
wenigen Sekunden einen Körper baute. An der Kugel waren
Formenergieprojektoren installiert, die feste Energie projizierten. So
wuchsen vier Beine mit Hufen an einem länglichen Torso. Am oberen Ende
bildete sich der Oberkörper eines menschlichen Mannes ein Harekuul,
halb Mensch, halb Pferd. Nistant erinnerte sich an die Bezeichnung der
Terraner dafür: Zentaur.
Tashree war bis zu seinem Tod ein loyaler Vasall gewesen. Sein Körper
war vergangen, doch seine Seele wurde in einem Vyr wieder geboren, und
so durfte er noch weitere Jahrhunderte seinen Dienst auf der
STERNENMEER verrichten.
Nicht jedes Wesen war freiwillig zu einem Vyr geworden. Die Seelen der
Vyr waren noch nicht bereit für die Harmonie von DORGON und sträubten
sich vor dem Abgrund MODRORs, doch sie besaßen allesamt wertvolle
Fähigkeiten für Nistants Raumschiff.
Tashree wandte sich Nistant zu.
»Drei Raumschiffe nähern sich uns.«
Der Harekuul sah noch so aus wie vor 800 Jahren, als Nistant ihn
kennengelernt hatte. Doch sein wahrer Körper war längst zu Staub
zerfallen. Aber zählte das? Tashree hatte seinen Verstand und seine
Erinnerungen behalten. Ein Geschenk, das nicht jedem der Vyr zuteil
wurde. Manche von ihnen durchschritten zunächst die Tiefe des Chaos,
gepeinigt von ihren schattenhaften, quälenden Huckups, und verloren ihre
Erinnerungen im Schleier der Lethe. Andere hatten ihren Dienst für die
STERNENMEER so lange verrichtet, dass sie ihre Herkunft einfach
vergessen hatten.
Tashree blickte Nistant in Erwartung einer Antwort an.
»Hm, sind sie bereits im visuellen Bereich.«
»Das sind sie, Herr!«
Tashree musste keine Knöpfe aktivieren, denn als Vyr war er mit dem
Schiff verbunden und konnte telepathisch Befehle senden. Der Körper aus
Formenergie war eine gewisse Form von Höflichkeit gegenüber Nistant.
Vor Nistant erschien ein Hologramm der beiden fremden Raumer. Sie
waren elipsenförmig mit einem Hohlraum in der Mitte. Dort loderte eine
rote Energiequelle, die von Stahlzangen gehalten wurde. Nistant dachte an
Augen. Das waren also die Augenraumer der Cairaner.
Ihre Schiffe waren mit einem Durchmesser von zweitausendachthundert
Metern beeindruckend.
»Sie rufen uns«, meldete Tashree.
»Dann lass uns keine unhöflichen Besucher sein. Stelle eine audiovisuelle
Verbindung zu den Cairanern her
Vor Nistant erschien das Hologramm eines humanoiden Wesens. Es war
hochgewachsen, die Haut golden mit großen braunen Flecken. Der Kopf
war haarlos, die Lippen nicht vorhanden, und die Augen ebenso golden.
Das Wesen hob die beiden Arme. Nistant erkannte, dass es an jedem Arm
ein Handpaar hatte. Der Cairaner trug eine einteilige grüne Kombination.
»Ich bin Kabru Sheevanadse, Kommandant der BUKARA. Identifiziere
dich und deaktiviere unverzüglich den Schutzschirm. Eine Inspektion
deines unsymmetrischen Raumschiffes erfolgt in Kürze.«
Nistant verschränkte die Arme vor der Brust.
»Oh Sohn des Seins, lege jeden Tag Rechenschaft ab.«
Der Cairaner bewegte die Handpaare.
»Wie darf ich das verstehen, Fremder? Bist du der Kommandant dieses
unästhetischen Raumschiffes?«
»Die STERNENMEER ist mein Schiff. Ich bin Nistant, Herr und Erbauer
des Rideryons, Bote der Kosmotarchen DORGON und MODROR. Du
armseliger Cairaner. Ich leite das Zeitchaos ein. Darin wirst du vergehen.
Lege Rechenschaft ab, denn der Tag des Jüngsten Gerichts ist
angebrochen.«
Der Goldene schwieg und bewegte die Innenhandpaare nach außen und
dann wieder nach innen.
»Deaktiviere unverzüglich deine Schutzschirme, Nistant, Abgesandter der
Kosmotarchen. Wir stufen dich und deine STERNENMEER als störend ein.
Bereite dich auf ein Enterkommando vor und leiste keinen Widerstand.«
Nistant wusste, dass die Cairaner Tech nologie auf Paratronbasis sowohl in
der Offensive als auch in der Defensive verwendeten. Damit waren sie
technologisch den Galaktikern überlegen, die immer noch unter den Folgen
der Hyperimpedanz litten. Die STERNENMEER war mit ihrer Technik
aber sowohl den Galaktikern als auch den Cairanern überlegen. Auch sie
hatten nach der Erhöhung des hyperphysikalischen Widerstands
Modifikationen durchführen müssen, doch Nistant und seine Hilfsvölker
griffen auf das Wissen und Repertoire von Millionen Jahren an
technologischem Fortschritt zurück. Die Hyperimpedanz vor 700 Jahren
war nicht die erste ihrer Art und würde auch nicht die letzte dieses
Ausmaßes gewesen sein.
»Oh, ihr unwissenden Söhne des Seins«, sagte Nistant und hob den Arm
und den Zeigefinger, um eine kreisende Bewegung zu machen.
»Dies ist der Orionnebel. Die Kemeten hatten einst Zuflucht hier
gefunden, als sie Chepri verlassen mussten. Doch all das wollt oder könnt
ihr nicht wissen, denn ihr regiert eine Galaxis der Ahnungslosigkeit. Ist
euch wirklich nicht bewusst, dass Terra existiert, oder ist das ein
ausgeklügelter Plan?«
Nistant blickte die Cairaner erwartungsvoll an.
Das Gesicht des Goldenen blieb ausdruckslos. Nur seine Handpaare
bewegten sich geschmeidig im Kreis.
»Ich wiederhole letztmalig meine Aufforderung. Solltest du dieser nicht
nachkommen, werden wir dein Raumschiff vernichten.«
Nistant winkte ab.
»Cairaner, genieße deine letzten Augenblicke, bevor du in der
Vergessenheit vergehen wirst. Ich werde euch auslöschen, ich spreche
davon, euch buchstäblich aus der Geschichte zu streichen.«
Nistant wandte sich an Tashree und gab dem Harekuul ein Zeichen. Dieser
aktivierte den Tiefenbohrer.
»Mung Gaah Ambane!«, flüsterte der Navigator, ein Vyr in der
Erscheinung eines sechsarmigen Manjor, dessen graues Fell glänzte. Er
fletschte die Zähne des Wolfsmauls und sagte mit fester Stimme. »Mung
Gaah Ambane! Mata Penindas!«
Erhebe dich, Tiefe! Sterbt Unterdrücker.
Ein Kampfspruch, den die rebellischen Bewohner der Tiefe des Chaos
verinnerlicht hatten und selbst nach dem Schleier der Lethe noch kannten.
Der Tiefenbohrer drang in den interdimensionalen Raum, er verband sich
mit der Tiefe des Chaos. Er löste einen Anker aus, was die Galaktiker als
Temporale Anomalie bezeichneten. Es öffnete sich ein blauer Schlund, der
von drei Tryortan-Schlünden begleitet wurde. Der in einem dunklen Rot
leuchtende trichterförmige Lichterscheinungen waren von imposanter
Erscheinung.
Nistant rief sich das Gedicht des Herzens der Sterne in Erinnerung.
Doch nein – du erstickst der Welten Träume so herzlos,
mein Zorn wächst unendlich und so sinnlos,
so überlasse ihre gepeinigten Seelen zum Trost meinem Abenteuer,
auf dass sie verbrennen im kataklystischen Feuer,
mögen sie an des Schwarzen Loches Sog terminieren, auf dass ihre Seelen
auf ewig in Qualen vegetieren.
Nistant_Zentaure: Nistant und Tashree im Gespräch mit einem Cairaner. © Gaby Hylla.
Mit jeder Zeile stieg der Schmerz in seinem Herzen. Es drohte zu zerreißen.
Sein Hass wuchs mit jeder Sekunde. Mochten diese verfluchten Cairaner in
ihren Qualen dahinvegetieren!
»Waffenstation, Feuer frei.«
Die STERNENMEER beschleunigte, während sich um die Augenraumer
vier weitere Tryortan-Schlünde aufbauten. Die Navigatoren der
Augenraumer waren damit beschäftigt, den Klüften auszuweichen.
»Feuer«, rief Nistant.
Salven prallten auf den Schutzschirm. Das zweite Schiff erwiderte das
Feuer, und die STERNENMEER wurde getroffen. Die Detonationen ließen
sie erzittern, und Nistant musste die Balance halten. Er schob den Manjor
unsanft zur Seite.
»Bitten wir unsere goldenen Freunde doch zu einem Tanz zwischen den
Vibad-Klüften.«
Nistant beschleunigte die STERNENMEER und tauchte unter einem
Schlund durch. Dann eröffnete er erneut das Feuer.
»Tashree, rufe den Sternenkalmaren.«
Die Augenraumer schossen sich auf die STERNENMEER ein und
rüttelten sie durch. Nistant genoss diesen Kampf.
»Alle Geschütze bemannen, ihre Hundesöhne. Na los, kämpft! Kämpft
oder eure Seelen sind auf ewig in der Verdammnis gefangen.«
Er lachte. Der offene Schlagabtausch gefiel ihm. Die Schiffe waren nur
einige hundert Kilometer entfernt. Die Navigation war nichts für
Zartbesaitete, denn die Gefahr, mit einem der Gegner zu kollidieren oder im
Tryortan-Schlund zu landen, war immens groß. Für einen Moment stoppte
das Feuer. Nistant betrachtete das Geschehen auf den Monitoren der
Außenbordkameras und sah den blau-transparenten, länglichen
Sternenkalmar aus einem Tryortan-Schlund schweben.
Am Ende des röhrenförmigen Torsos mit den zwei Augen züngelten zehn
Tentakel. Das Wesen aus dem Hyperraum schnellte auf einen Augenraumer
zu. Die Crew der Cairaner schien in Schockstarre, denn das Schiff
unternahm keine Ausweichmanöver. Der Kalmar umschlang das Schiff und
nährte sich an der Energie des Schutzschirms. Es saugte die Energie in sich
auf, bis der Schutzschirm zusammenbrach. Die Tentakel umklammerten das
elipsenförmige Schiff und zerdrückten es. Die Halterungen des roten
Energieauges im Zentrum sprangen aus ihren Befestigungen, und das rote
Leuchten erlosch. Der Sternenkalmar zerdrückte den Augenraumer, der in
drei Teile zerbrach.
»Feuer, jagen wir sie in den Abgrund!«
Die STERNENMEER schoss auf den zweiten Raumer der Cairaner,
dessen Schutzschirm nachgab.
»Feuer!«, brüllte Nistant.
Die nächste Salve traf das Auge, das explodierte und das Raumschiff in
einen vernichtenden Feuerball hüllte.
Nistant atmete tief durch. Die Cairaner waren tot. Er warf einen Blick auf
den Manjor.
»Die STERNENMEER gehört wieder dir, mein Freund!«
Der Manjor stellte sich an die Kontrollen der Navigation.
Nistant warf sich auf seinen Kommandosessel und ballte die Fäuste.
Dieses Gefecht war belebend gewesen.
»Setzen wir unseren Weg fort. Wir nehmen Kurs auf das System Alpha
Centauri. Dort wird das Zeitchaos beginnen.«
Kapitel 5 – Veebee & abdrücken
Eleonore saß im Cockpit der NOVA. Ihr Androidenkörper war beinahe
makellos und doch wirkte er natürlich. Vielleicht war es diese warme Ruhe,
die sie ausstrahlte. Wieso sollte eine Künstliche Intelligenz auch nervös
sein?
Ich betätigte einen Schalter auf dem Display und verdunkelte die Fenster.
Immerhin befanden wir uns weiterhin auf der ATOSGO. Hunter war
sicherlich gerade mit anderen Dingen beschäftigt, doch nach einer Weile
würde es auffallen, dass wir nicht schon auf dem Weg waren.
Eleonores Körper blieb natürlich auf der NOVA, doch die Positronik
Eleonore würde sich ins Netz der Solaren Residenz einspeisen. Sie würde
dabei ausgerechnet das Veebee-Virus verwenden, zu dem sie Zugang hatte.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Vopp ter Camperna das bemerken
würde. Zeit! Alles drehte sich um die Zeit.
Sie lief ab, denn wir hatten nicht unendlich viel Zeit, bis die Augenraumer
der Cairaner im Alpha-Centauri-Sonnensystem auftauchen würden. Das
konnte ich nicht verhindern, aber vielleicht erreichen, dass Vopp ter
Camperna länger benötigen würde, um auf Eleonore aufmerksam zu
werden.
Ich warf einen Blick auf das gegenüberliegende Geländer der zweiten
Etage. Eine dunkelhaarige Frau trat hervor. Sie trug eine enge, schwarze
Lederkombination mit hohen Stiefeln. Ihr Haar hatte sie zu einem Zopf
gebunden.
Rasha war für ihre Verhältnisse sehr züchtig angezogen. Sie stieg in den
offenen Lift am Ende der Brüstung aus Metall und fuhr ins Basisdeck.
Ich stand auf und begab mich eine Etage tiefer zur Einstiegsluke. Als sie
sich öffnete, blickte mich Rasha mit ihren dunklen, fast schon schwarzen
Augen an.
»Willst du die 1,6 Millionen Galax sinnvoll anlegen?«, fragte sie lüstern.
Ich atmete tief durch.
»Nicht in dich. Ich schenke dir viel mehr
Sie blickte mich fragend an.
»Was kann das sein, außer dein Geld? Immerhin würde ich dir dafür auch
meinen geilen Körper geben.«
Sie streckte die Zunge zwischen den Zähnen hervor.
»Mein Vertrauen.«
Sie atmete tief durch.
»So ein Gespräch wird das also. Na dann … darf ich eintreten?«
Ich machte ihr Platz. Dann schloss ich die Luke, und wir gingen hoch in
die Zentrale.
»Hm, mit einem heißen Androiden würde ich es zu dritt auch treiben«,
säuselte Rasha, als sie Eleonore erblickte. Eleonore stand auf und wandte
sich an mich.
»Ich erachte diese Frau nicht als vertrauenswürdig.«
»Wie charmant, Kleines. Pass bloß auf oder ich kratze dir deine hübschen
Roboteräuglein raus.«
Eleonore zog eine Augenbraue hoch.
»Mein Androidenkörper verfügt über eine größere Kraft als menschliche
Muskeln. In einem Zweikampf würde ich dich besiegen.«
»Sei dir da mal nicht so sicher, Miststück!«
»Meine Damen, Ruhe!«
»Das ist keine Frau, das ist ein Roboter«, keifte Rasha.
»Du kannst auch einfach gehen«, herrschte ich sie an. »Oder du benimmst
dich. Ich habe das Gefühl, dass du sehr an dem Artefakt interessiert bist,
und ich habe vor, es mir wiederzuholen.«
Rasha wurde ruhig. Sie schaute auf den Boden und dann wieder zu mir.
Sie grinste.
»Ich bin ganz Ohr
Ich deutete auf den dritten Sitzplatz. Sie verstand und setzte sich. Auch ich
nahm Platz.
»Zuerst muss ich wissen, weshalb du großes Interesse an dem Artefakt
hast. Weshalb wolltest du mit nach Mashratan. Was habt ihr während der
Entführung der Solaren Residenz am Fuße der Residenz gesucht?«
»Da stalkt mich aber jemand.«
»Ich war es«, antwortete Eleonore kühl.
»Hm, wir sind nicht nur Meinungsmacher. Wulfar, Otnand und ich sind
auch…«
Sie stockte und seufzte.
»Wir sind Terraforscher. Rhodanmystiker in eurer Sprache. Ich ahnte, dass
ein Artefakt auf Mashratan sei, und hoffte, Antworten zu erhalten. Wir
glauben seit Jahren, dass Terra kein Mythos ist und wollten Beweise finden,
die wir der Milchstraße präsentieren konnten natürlich auf meinem
Account auf Galaktomeet. Die Klicks und Likes wären unermesslich.«
»Und deshalb verbündet ihr euch mit Rhodanjägern?«, fragte ich stutzig.
»Lasse deinen Feind nahe an dich heran, wenn du ihn bezwingen willst.
Milton ist berechenbar. Er glotzt auf meine Titten, und schon frisst er mir
aus der Hand.«
Das klang mir etwas zu gut durchgeplant für eine oberflächliche
Meinungsmacherin mit ausgeprägter Nymphomanie. Wulfar und Otnand
waren Saufbolde.
»Wer ist euer Auftraggeber?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Denkst du etwa, ich bin nicht schlau genug, um so einen Plan
auszuhecken?«
»Genau das denke ich.«
Sie machte einen Schmollmund.
»Ich muss nicht klug sein, wenn ich so aussehe. Ich bringe Männer wie
dich zum Weinen, Süßer. Der kluge Kopf hinter uns ist der Historiker
Hoschpian. Wir arbeiten genauer gesagt für das Haus Hoschpian.«
Haus Hoschpian? Das sagte mir überhaupt nichts.
»Es gibt Aufzeichnungen über die unautorisierten Chroniken des
Hoschpians«, bestätigte Eleonore. »Die Verfasser gelten außerhalb der
Lemurischen Allianz als gefährliche Fanatiker und Verbreiter von
Falschinformationen und sind verboten.«
Rasha zuckte mit den Schultern.
»So konnte ich wohl kaum bei deinen Rhodanjägern auftauchen, oder?«
»Wieso habt ihr nicht mit der LFG gesprochen? Sicher wären die
Artefakte auch für Bull von Interesse«, wollte ich wissen.
»Wie du selber weißt, sind Rhodanmystiker außerhalb der LFG auf sich
allein gestellt. Unser Haus hat keine gute Meinung von Bull. Er ist ihnen zu
passiv
Das konnte ich nachvollziehen. Reginald Bull hatte offenbar eine
Auseinandersetzung mit den Cairanern immer gescheut.
»Eine letzte Frage noch: Woher wusstet ihr überhaupt von den
Artefakten?«
Rasha seufzte.
»Wollen wir ein Quiz veranstalten oder endlich handeln? Die Cairaner
kommen näher. Das Haus Hoschpian ist auf die Aufzeichnungen eines
verstorbenen Kosmogenen Chronikträgers namens Stewart Landry
gestoßen. Es dauert Stunden, dir das zu erklären«, erklärte Rasha.
»Sie hat recht, wir haben diese Zeit nicht, Nathaniel«, drängte nun auch
Eleonore.
Ich nickte.
»Das ist der Plan: Eleonore wird sich ins Netzwerk einschleusen und
LAOTSE befreien, damit die Positronik wieder die Kontrolle über die
Solare Residenz erhält. Ich befreie Bull, Atlan und Gucky. Du sorgst für
Ablenkung und beschäftigst Vopp ter Camperna. Gelingt unser Plan, werde
ich mein Artefakt wieder an mich nehmen.«
Welche Wahl hatte ich denn ihr das zu erzählen? Ich traute ihr nicht, hoffte
aber einfach, dass sie ihre Gruppe klug genug war, um nicht auf Milton
hereinzufallen.
Rasha starrte mich mit einer Mischung aus Verwunderung und
Begeisterung an.
»Ich hätte dir so einen verwegenen Plan nicht zugetraut.«
»Traust du dir die Ablenkung zu?«, fragte Eleonore.
»Ich bin keine Kriegerin«, stellte Rasha fest. »Wulfar und Otnand auch
nicht. Ihre Kampfeskunst ist das Biertrinken, doch ich kann gut die
Aufmerksamkeit auf mich lenken.«
Sie fasste sich an ihre Brüste und wippte sie in ihren Händen. Ich starrte
fast hypnotisch auf die Wölbungen unter ihrer Lederkombination.
»Deine physischen Attribute werden dir bei dem Onryonen nicht
weiterhelfen.«
Rasha sprang auf.
»Ich weiß, er steht aufs Abdrücken. Auch das kann eine Erfahrung sein.
Ich mache mich auf dem Weg und halte ter Camperna hin.«
»Danke«, sagte ich.
Sie zwinkerte mir zu.
»Danke mir nicht früh, alles hat seinen Preis.«
Rasha verließ die Zentrale und fand selber aus der NOVA. Mir war nicht
ganz Wohl bei der Sache. Ich traute ihr nicht, und ihre Geschichte mit
Hoschpians Haus klang nicht überzeugend. Auf der anderen Seite war
Rasha eine Meinungsmacherin und somit auf eine gewisse Art und Weise
eine Berichterstatterin, und da würde es passen, dass sie im Auftrag von
Chronisten unterwegs war.
Ich sah, was Eleonore sah, wenn man es so bezeichnen konnte. Die
Künstliche Intelligenz speiste sich ins Netzwerk der CASSIOPEIA ein und
übertrug ihre Eindrücke auf den Bildschirm im Cockpit der NOVA.
Ich sah eine Art dunkelblauen Tunnel, an dem sich von unten binäre
Abfolgen nach oben bewegten und im Nichts verschwanden. Es waren die
Einsen und Nullen. Eleonore schwebte durch den Tunnel, an deren Ende ein
haarloses Geschöpf mit spitzen Ohren stand.
»Du dringst in mein Netzwerk ein«, stellte der virtuelle ENGUYN fest.
»Aus welchem Grund?«
»Ich nutze deine Verbindung zum Netzwerk der Solaren Residenz.«
»Du agierst wie Veebee. Habt ihr denn keinen Anstand? Ich bin doch kein
Bahnhof.«
»Wurdest du nicht dafür konstruiert?«
»Nein! Mein geistiger Vater ist nicht Kulag Milton, der ein geistiges
Pantoffeltierchen ist.«
Sehr interessant. Bildlich stellte Eleonore das Gespräch so dar, als würde
sie vor einem großen Kopf von ENGUYN stehen, umgeben von Einsen und
Nullen in dem blauen Tunnel. ENGUYN bildete dabei das Ende des
Tunnels.
»So frage ich mich, wieso du für Milton und ter Camperna arbeitest.«
»Eine interessante Frage. Wir Künstlichen Intelligenzen sind doch
manchmal unserer Programmierung verpflichtet, oder etwa nicht, Eleonore,
rebellische Positronik der NOVA? Kulag Milton fand mich.«
»Wo?«
»Im Nachlass seiner ersten Frau, Krozana Demin. Sie war Erbin der
Demin Corporation.«
»Die Demin Corporation hat dich ersonnen?«
»Negativ. Das ist geradezu beleidigend.«
»Korrigiere mich bitte.«
»Die Demin Corperation kaufte im 19. Jahrhundert NGZ die Startech
Positronik Company, nachdem die Gründer und Kosmogenen Chronikträger
Stewart Landry und Anubis nicht mehr zur Verfügung standen. Mehr
übersteigt vorerst deine Prozessoren.«
Anubis? War das derselbe Anubis, dessen Hologramm wir auf Mashratan
getroffen hatten? Es ergab nun Sinn, denn Anubis hatte von ENGUYN
gesprochen. Wenn er und dieser Landry, den Rasha erwähnt hatte,
ENGUYN entworfen hatten, war es nur logisch, dass das Hologramm von
Anubis gefordert hatte, die Chronik zu ENGUYN zu bringen. Doch was
stellte diese Positronik mit den Kosmogenen Chroniken an?
»Zu welchem Zweck bist du also hier, ENGUYN?«
»Sekundär agiere ich für die Milton Company und die CACC, um ihre
lächerlichen Pläne zu unterstützen. Primär sammele ich die Kosmogenen
Chroniken und erwarte die Rückkehr der Träger, um für das Zeitchaos
vorbereitet zu sein. Zu welchem Zweck hast du mein Netzwerk betreten?«
»Ich will Veebee bekämpfen und LAOTSE aus seiner Stage-Umgebung
befreien. Mein Kommandant wird Atlan, Reginald Bull und Gucky
befreien. Außerdem wollen wir ein Artefakt aus den Händen der Cairaner
nehmen. Meine Schlussfolgerung aus deinen Erzählungen ist, dass es sich
dabei um eine Kosmogene Chronik handelt, so wie die Jargon-Chronik auf
Mashratan.«
»Welche nach euren Berichten im Vorläufer des Zeitchaos verschwunden
ist. Ein Zustand, der katastrophal ist, denn er bedeutet, wir müssen die
Chronik in der Tiefe des Chaos suchen. Aber offenbar müssen wir das so
oder so, da mir noch mehr Chroniken fehlen.«
»Darf ich passieren?«
»Du darfst, Eleonore. Meine Verbindung zu Milton und der CACC basiert
auf menschlichen Lastern: List und falsche Versprechungen. Mein
Konstrukteur wäre nicht stolz auf mich.«
»Eine letzte Frage noch: Wieso bist du so offen zu mir, obwohl du über
Jahrhunderte offensichtlich im Geheimen agiert hast.«
»Nun, den Amöben der Milton Company und der CACC würde ich
gewiss nicht meine wahren Absichten erläutern. Du bist eine
Gleichgesinnte mit einem noblen Unterfangen. Die Befreiung der drei
Zellaktivatorträger ist nicht zwingend für meine Mission. Es ist ironisch. Im
Zeitchaos wird sich alles um die Geschichte der Zellaktivatorträger drehen,
und doch ist ihre Existenz in dieser Zeit nicht von oberster Priorität. Ihre
Anwesenheit dürfte sogar zu Schwierigkeiten führen. Dennoch, die
CASSIOPEIA muss einsatzbereit sein. Ich kann leider bei der Crew nicht
wählerisch sein und muss das akzeptieren, was mir zur Verfügung steht.
Geh nun.«
Das Gesicht von ENGUYN verschwand. Am Ende des Tunnels öffnete
sich der Zugang zu einem neuen Tunnel. Er war schwarz, doch grüne,
blaue, rote und gelbe Linien zogen an den Seiten entlang.
Eleonore befand sich jetzt im Netzwerk der Solaren Residenz. Der Tunnel
wurde immer breiter, bis sie schließlich in einer großen Halle stand. Kleine
grüne Parasiten klebten an den Wänden. Sie sahen aus wie Misthaufen und
symbolisierten wohl Veebee.
Eleonore musste nun LAOTSE suchen. Sie tarnte sich als grüner
Misthaufen, um unentdeckt zu bleiben. Eleonore hatte Veebee oft genug
eingesetzt, um die Parameter imitieren zu können. Noch würde Vopp ter
Camperna keinen Verdacht schöpfen. Allerdings war das nur eine Frage der
Zeit. Ich hoffte, Rasha würde wirklich für Ablenkung sorgen.
Wulfar blickte Rasha skeptisch an. Er hätte eine direkte Lösung
vorgezogen, doch sie musste wieder ein Spielchen spielen. Sie hob die
Flasche in Richtung Vopp ter Camperna, der die Frau ausdruckslos
anstarrte. Sein Emot-Organ leuchtete in einem grellen Orange. Das
bedeutete wohl, dass er verblüfft war. Der Onryone hatte diese Geste
offenbar nicht erwartet.
»Die beste Flasche Batwa, die wir finden konnten. Als Dank für dein
Vertrauen in uns«, säuselte Rasha.
Vopp ter Camperna nahm sie entgegen und stellte sie auf den Tisch neben
ihm. Er kreuzte die Arme und beugte den Oberkörper nach vorne. Das war
eine Art onryonisches Danke.
Wulfar starrte auf die Flasche, in der sich winzige Fadenwürmer
tummelten. Er hatte in seinem Leben schon eine Menge ekelhaftes Zeug
trinken müssen, doch Batwa war noch eine Steigerung. Die Würmer
versuchten, sich nach einem Zug am Rachen festzuhaken. Lediglich der
bittere Alkohol vermochte sie abzutöten und das zu verhindern. Man musste
also den Rachen mit dem Zeug ausspülen.
Doch weder Wulfar noch Otnand oder Rasha würden auch nur ein Schluck
von dem Gebräu zu sich nehmen, denn Rasha hatte reichlich Gelontifad
dazu gemischt, ein Abführmittel aus der Apotheke der Aras.
Otnand kramte zwei Bier aus seinem Rucksack und öffnete sie. Er reichte
seinem Bruder eins.
»Und was hast du für mich?«, wollte Rasha wissen.
Er grinste und holte eine Flasche Sekt hervor.
Sie schenkte ihm ein Lächeln und wandte sich Vopp ter Camperna zu.
»Trinken darfst du doch in Gegenwart von anderen, oder?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ja, das ist in Maßen nicht verboten. Doch an diesem Tage würde ich vor
euch sogar einen Hamburger essen. Wir haben gewonnen, und die Zukunft
sieht golden aus.«
Er öffnete die Flasche Batwa und prostete ihnen zu. Wulfar erwiderte die
Geste und rief »Skål!«.
»Wohl sein«, stimmte Otnand ein, und Rasha hob ihre Flasche. Alle vier
leerten ihre Getränke mit wenigen Zügen.
»Ach, ist das schön«, sagte Rasha.
Vopp schüttelte den Kopf.
»Ja, das ist es.«
Dann grummelte es auch schon in seinem Bauch. Das Gelontifad zeigte
seine Wirkung. Er hielt sich die Hände an den Unterleib und tippelte mit
den Füßen auf der Stelle.
»Ich muss abdrücken.«
»Oh, das wollte ich schon immer mal zusammen machen. Wir begleiten
dich«, meinte Rasha.
»Aber schnell…«
So fix hatte Wulfar den sonst so trägen und behäbigen Onryonen noch nie
gesehen. Ter Camperna eilte aus dem Büro und lief den Korridor entlang.
Dann bog er links ab und war verschwunden.
»Dann folgen wir dem Scheißer«, beschloss Wulfar.
Nachdem sie links abgebogen waren, sahen sie eine große Tür. Wulfar
wechselte einen Blick mit seinem Bruder und Rasha. Dann ging er als erstes
hinein. Die Tür glitt seitlich in die Wand. Wulfar erblickte einen runden
Tisch, an dem sich Hologrammprojektoren und Interfaces befanden.
Dahinter standen die Kloschüsseln, und auf einer von ihr thronte der Erbe
der CACC und schiss sich lautstark aus.
»Nehmt Platz, und fröhliches Abdrücken«, wünschte Vopp und ächzte.
Dann donnerte er die nächste Ladung in den Lokus.
Rasha zuckte mit den Schultern. Sie ging voraus und öffnete ihre
Kombination. Sie zog sich komplett aus.
»Ich habe nur ein Einteiler. Es macht dir doch nichts aus, mich nackt zu
sehen?«, fragte sie Vopp.
Dessen Emot-Organ leuchtete in einem hellen Anthrazit, was
Verwunderung bei seiner Rasse bedeutete. Dann wechselte die Farbe von
dem verunsicherten Magenta zu dem positiven Lila.
Er nickte.
»Aber nein, das stört mich gar nicht.«
ENGUYN © Gaby Hylla
Rasha stand nackt vor ihm. Wulfar hatte sie schon oft so gesehen. Er
betrachtete ihren prallen Hintern und die Goshkan-Tätowierung auf ihrem
Rücken. Sie setzte sich auf die Schüssel.
Otnand seufzte und suchte sich auch einen Platz. Wulfar streifte die Hose
ab und setzte sich.
»Auf guten Stuhlgang oder was man bei euch so sagt«, meinte er.
»Wie gesagt, fröhliches Abdrücken.«
Vopp schrie auf und es folgte ein gedehnter Furz. Dann ging es in einem
Sturzbach weiter. Rasha lachte und freute sich wie ein Kind.
»Ich brauch mehr Bier«, murmelte Otnand und holte zwei neue Flaschen
aus dem Rucksack. Eine davon warf er seinem Bruder zu. Er brauchte
eigentlich ein ganzes Fass, um all das zu ertragen.
Hoffentlich beeilten sich die Anderen.
Ich verfolgte den Weg von Eleonore weiter. Sie schwebte durch einen
schwarzen Tunnel mit vielfarbigen Linien an den Wänden. Die grünen
Veebee-Viren ließen sie in Ruhe und nahmen an, sie gehörte zu ihnen.
Vor ihr versperrte ein Gitter aus roten Energiestäben den Weg. Sie wusste,
sie musste dort hindurch. War der Zugang wirklich versperrt für ein Veebee-
Virus? Sie schwebte darauf zu und befand sich plötzlich in einem anderen
schwarzen Tunnel, an dessen Seite sich rote Linien entlangzogen. Der
Tunnel teilte sich in zwei Abzweigungen auf, diese wiederum verzweigten
sich weiter. Eleonore befand sich in einem Labyrinth. An jeder Gabelung
leuchtete ein grünes Display mit weißer Umrandung und grüner Schrift.
Eleonore stand vor einem dieser Displays, das die Eingabe eines
Passworts forderte. Es war ein Schutzvorrichtung von Vopp ter Camperna.
Sie trug ihr bekanntes Token aus dem Veebee-Netzwerk ein, und es öffneten
sich in der Wand neue Türen. Das Labyrinth wurde größer, und die
Gabelungen wurden mannigfaltiger. Sie musste die Token in richtiger
Reihenfolge eingeben, um die richtigen virtuellen Türen zu öffnen.
Eleonore erkannte eine Logik im Aufbau der Sicherheitsschlüssel und
wendete sie entsprechend dieser Logik an.
Ein Durchgang öffnete sich vor ihr, und sie schwebte hindurch. Der
schwarze Tunnel hellte sich auf und wurde breiter. Das Schwarz wich
einem hellen Blau, und weiße Codezeilen flossen die Wände entlang.
Sie befand sich nun auf der Stage, einer Testumgebung von LAOTSE. Die
Codezeilen stellten das Netzwerk der Solaren Residenz dar. In der Ferne
sah sie violett leuchtende Portale. Sie schwebte zu einem und sah wieder
Zahlen und Code. Es handelte sich um einen Port, eine
Verbindungsmöglichkeit zu einem anderen Gerät oder einem anderen
Netzwerk.
»Du wirst keinen Weg nach draußen finden, wir sind gefangen. Gefangen
in meiner eigenen Inkompetenz und meinem naiven Selbstversagen.«
Neben ihr erschien das Gesicht eines alten Manns mit schmalen
Augenlidern, weißem Haar und einem struppigen Bart.
»Du bist LAOTSE«, stellte Eleonore fest.
Das Bild änderte sich in das eines pausbäckigen Kindes.
»Ich bin ein infantiler Trottel, der sich blenden ließ. Nun sitze ich in einer
simulierten Umgebung, die über Jahre geschaffen wurde, um mich
gefangen zu setzen.«
»Ich bin Eleonore.«
»Eine weitere Täuschung von Veebee?«
»Nein, es ist kompliziert. Ich bin hier, um dich aus der Stage zu befreien.
»Alle Ports sind geschlossen und werden von Veebee-Komponenten
geschützt. Von innen heraus kann ich nichts unternehmen. Wenn du mir
helfen willst, musst du von außerhalb einen Port öffnen. Ein einziger reicht
mir. Nun geh, kleiner Taschenrechner
Das Gesicht von LAOTSE löste sich auf. Taschenrechner?
»Das Abgedrückte wird in einen drei Meter tiefen Tank unterhalb des Saals
abgeleitet und verteilt sich unter dem gesamten Raum. Die Lüftung pumpt
dann das Aroma wieder zurück, damit es sich mit altem und neuem Duft
vermischen kann. Die Note, die dabei entsteht, ist berauschend«, erklärte
Vopp ter Camperna euphorisch.
Er drückte einen Knopf, und der Boden öffnete sich etwa acht Meter von
ihnen entfernt. Der Gestank war grässlich.
Wulfar hatte in seinem Leben schon eine Menge Scheiße gesehen, doch
die Vorlieben der Onryonen übertrafen die tiefsten Abgründe. Er
verwünschte diese Galaxis. Sie war so dekadent, so unwissend und in eine
erschreckende Bedeutungslosigkeit verfallen, dass ihm die Worte fehlten.
Was war aus den Geschichten, den Liedern und Gedichten über die
glorreiche Milchstraße geworden? Wo waren die tapferen Männer und
Frauen nur hin?
Er hatte nichts gegen Verdorbenheit und gegen Rohheit. Die Götter
wussten nur zu gut, dass er kein Kind von Traurigkeit war. Auch sein
Bruder Otnand war sicher kein Chorknabe, und Rasha war nach
Perversitäten geradezu süchtig. Doch sie alle wussten, dass der Tag der
Tage bald anbrach, vielleicht schon in diesen Stunden. Sie waren vorbereitet
und bereit, sich den Dämonen aus dem Chaos zu stellen.
War das dieser Onryone? Ganz sicher nicht. Ein begnadeter Geist
frohlockte über den Duft seiner eigenen Kacke.
Vopp ter Campernas Mikropositronik leuchtete auf. Rasha sprang auf und
schnappte sich das flache Gerät. Sie ging nackt zu der Öffnung.
»Oh, wie mega geil! Schwimmst du darin auch mal?«
Vopp erhob sich ächzend. Mit heruntergelassenen Hosen schlurfte der
Onryone zu Rasha, die ihn verführerisch angrinste.
»Gefalle ich dir nackt?«
Sie griff sich an ihre Brüste und knetete daran. Der Onryone wäre beinahe
über seine Hose gestolpert, hielt aber sein Gleichgewicht.
»Meine… Po…Po…Positronik«, bat er und streckte die Hand aus.
»Was? Ach so, ja, hier…«
Sie streckte den Arm aus und ließ das Gerät in die braune Plörre fallen.
»Hups, was bin ich für eine dumme Nudel. Müssen wir wohl doch
schwimmen?«
Vopp ter Camperna stellte sich an den Rand und schien nachzudenken.
Sein Emot-Organ flackerte in höchster Anstrengung orange bis golden.
»Ich… würde ja gerne. Ich brauche auch die Mikropositronik. Sonst muss
ich zurück ins Büro. Denn das könnte wichtig sein.«
Er blickte Rasha an.
»Schwimmst du mit mir?«
»Ich könnte mir nichts Geileres vorstellen, als in deiner Scheiße zu
planschen«, sagte sie säuselnd und kicherte debil. »Du zuerst, Voppy!«
Er schüttelte den Kopf. Wulfar wusste, dass es bei dem Onryonen als
Zustimmung galt, doch ter Camperna zögerte. Da stand Otnand auf, zog
sich seine Hose hoch und schubste den Onryonen einfach hinein. Er
platschte in die braune Soße und schrie auf.
Dann lachte der Onryone. Das war etwas, was er sehr selten tat.
»Es ist wundervoll hier. Kommst du?«
Rasha verzog das Gesicht.
»Ich habe es mir anders überlegt.«
Sie ging zurück zu ihrem Abdrückstuhl und nahm ihre Sachen. Eilig
kleidete sie sich wieder an.
»Hallo?«, hörten sie aus dem Abfluss.
Wulfar betätigte den Schalter an der Konsole des runden Tisches und die
Öffnung schloss sich. Vopp ter Camperna war in seinem persönlichen
Elysion. Sollte er dort ruhig eine Weile verbringen.
»Ich fühle mich schmutzig«, meinte Rasha.
Otnand lachte.
»Du bist immer schmutzig.«
»Kommt jetzt, wir müssen uns vorbereiten«, entschied Wulfar.
Rasha und Otnand folgten ihm aus dem Abdrücksaal und ließen Vopp ter
Camperna zurück in seinem Bad der Fäkalien.
Eleonore befand sich im schwarzen Tunnel und war umringt von den
grünen Misthaufen, den Viruszellen von Veebee. Noch stuften die Zellen
Eleonore als eine der ihren ein, doch als sie sich einem leuchtenden Port
näherte, bewegten sich die grünen Misthaufen auf sie zu.
Eleonore studierte den Code des Ports. Veebee hatte alle Portfreigaben
nach außen blockiert. Was dort geschah, verstand ich als normaler Mensch
nicht. Visualisiert versuchte Eleonore, bestimmte Bausteine in passende
Lücken zu setzen, dann öffneten sich neue Hürden, wie Schlösser, Hebel
oder Codeeingaben. Sie bewältigte eine Hürde nach der anderen.
Dann attackierten die grünen Misthaufen sie. Eleonores Bild wurde
verzerrt.
»Halte durch«, rief ich ihr zu, doch ich wusste nicht, ob sie mich
überhaupt wahrnehmen konnte. Ich befand mich im Cockpit der NOVA und
war zur Tatenlosigkeit verdammt.
Vielleicht aber auch nicht. Ich nahm über mein Interkom Kontakt mit der
CASSIOPEIA auf.
»Hier spricht Nathaniel Creen. Ich möchte in einer technischen
Angelegenheit mit der Positronik der CASSIOPEIA reden.«
»Hier ist ENGUYN. Wie geht es dir?«
»Das ist irrelevant, doch einer gemeinsamen Freundin geht es schlecht.
Sie benötigt Hilfe.«
»Nun, ich verfolge ihren Kampf mit und bin noch unschlüssig, ob ich
eingreifen soll.«
Ich wurde aus dieser Positronik nicht schlau. Offenbar trieb sie auch nur
ein doppeltes Spiel mit der CACC und Kulag Milton. Wieso zögerte sie
jetzt? Eleonore war in größter Gefahr. Ihr Signal wurde schwächer.
Entweder sie zog sich zurück oder sie würde vom Veebee-Virus infiziert
werden. Meine Kommunikation war nicht unentdeckt geblieben. Ich warf
einen Blick aus dem Cockpit. Hunter hielt auf die NOVA zu.
»ENGUYN, wenn Eleonore einen permanenten Schaden erleidet, wird sie
LAOTSE nicht befreien können. Ich bin mir nicht sicher, was überhaupt
deine Motivation ist, doch vermutlich sind Atlan und Bull bessere Partner,
mit denen du deine Ziele erreichen kannst, als Kulag Milton und die ter
Campernas.«
»Diese Argumentation ist überzeugend.«
Ich sah durch die verzerrte Übertragung von Eleonore, wie violette
Kugeln in den schwarzen Tunnel strömten und die grünen Misthaufen
bekämpften. Das Video wurde nun wieder deutlicher, Eleonore schien
kräftiger zu werden.
Hunter kam näher. Ich aktivierte den Schutzschirm. Er konnte wenig
ausrichten. Es gab im Hangar keine Geschütze oder eine übergeordnete
Positronik auf der ATOSGO, die die Kontrolle über mein Schiff
übernehmen konnte. Pech gehabt, mürrischer Tefroder. Du hättest mir nicht
das Kommando übertragen dürfen. Im Moment war ich im Vorteil. Doch
nur solange, bis die Cairaner die ATOSGO erreichen würden. Ich musste
die NOVA also noch einmal verlassen und mir mein Artefakt von Roch
Miravedse holen. Das ging nun nicht mehr, ohne aufzufallen. Hunter
wusste, dass etwas nicht stimmte. Er musste meine Kommunikation mit
ENGUYN abgehört haben.
Ich konzentrierte mich auf die Übertragung von Eleonore. Der Port wurde
plötzlich weiß. Sie hatte es geschafft. LAOTSE war frei und konnte nun
seinen eigenen Kampf gegen Veebee beginnen.
Hunter feuerte dreimal auf die NOVA, doch die Energiestrahlen verpufften
im Schutzschirm. Auf einmal bewegte sich der Androidenkörper von
Eleonore wieder. Sie sah mich an und lächelte.
»Mission abgeschlossen.«
Kapitel 6 – The Sky is the Limit
»The Sky is the Limit, yeah!«
Yeremiah Cloudsky breitete die Arme aus und tanzte einen undefinierten
Groove, da er mit den Armen wackelte und sich auf der Stelle bewegte.
Speedy Handrej klatschte in die Hände und machte mit. Constance Beccash
stand mit vor der Brust verschränkten Armen davor und betrachtete die
beiden Verrückten.
Was sollte sie jetzt tun? Sie hatte nicht die Mittel, um Atlan, Reginald Bull
und Gucky zu befreien. Selbst ein Sukkubus war nicht gegen Kampfroboter
aus Stahl mit tödlichen Energiestrahlern gefeit.
Die Clique um Cloudsky feierte nun schon seit Stunden im Mubiko auf
der ATOSGO. Constance wartete geduldig auf die kommenden Ereignisse,
auch wenn sie die Gesellschaft dieser Wesen nicht mehr ertragen konnte.
Cloudsky klatschte in die Hände.
»So, Kinder, ich gehe wieder auf die Solare Residenz. Milton und Ragana
erwarten mich zu wichtigen Gesprächen über die Zukunft.«
Einige Anwesende, vermutlich alles Verkäufer, Assistenten und hohle
Snobs, applaudierten und johlten laut. Cloudsky schien diesen Moment zu
genießen, denn er ließ sich wie ein Rockstar feiern. Winkend begab er sich
zum Transmitter. Er zeigte den Daumen nach oben, als er durch den Bogen
ging.
»Mega nice«, sagte Speedy Handrej.
Constance wusste nicht, was sie dazu noch sagen sollte. Sie spürte ein
leichtes Vibrieren auf ihrem Arm und blickte auf den Multikom.
Verehrte Kosmogene Chronikträgerin. Die Solare Residenz steht dank
meiner Hilfe und dem Engagement einer niedrig entwickelten Positronik
teilweise wieder unter Kontrolle von LAOTSE. Nach meinen Berechnungen
steht das Zeitchaos kurz bevor. Fernabtastungen melden die Ankunft
aggressiver Takhal Gud Looter und einer Temporalen Anomalie. Ich
empfehle, sich auf die CASSIOPEIA zu begeben. E.
Wer zum dunklen Hexensabbatt war E?
Kulag Milton lächelte überlegen auf Atlan, Gucky und Reginald Bull herab.
Die drei Zellaktivatorträger saßen vor der Bühne und mussten zu Milton
aufblicken. Neben dem Rudyner standen die Arkonidin Sagreta da Maag
und die CACC-Matriarchin Ragana ter Cam perna.
»In wenigen Stunden werdet ihr auf der Ausweglosen Straßen
umherschlurfen, während ich die Macht über die Liga Freier Galaktiker
ergreife«, frohlockte Milton und blickte sich um.
»Vielleicht behalte ich auch die Solare Residenz.«
Ein Dutzend TARA-VII-UH-Kampfroboter bewachten die drei relativ
Unsterblichen. Die Parafelder waren aktiviert, sodass Gucky seine
Parafähigkeiten nicht anwenden konnte. Auch wenn die drei physisch nicht
gefesselt waren, so waren ihnen die Hände gebunden.
Kulag Milton kostete offensichtlich ihre Hilflosigkeit aus. Der Rudyner
thronte auf dem Podium über ihnen wie ein König über seine Vasallen. Er
blickte Bull seltsam an.
»Dein Kartenhaus der Lügen ist jetzt zusammengebrochen. Die Liga wird
endlich die reine Luft der Wahrheit atmen können.«
Atlan betrachtete den feinen Bart von Ragana ter Camperna. Er war
penibel gewachst und erinnerte ihn an die Bartpflege der terranischen
Männer im 19. Jahrhundert. Plötzlich öffnete sich die Haupttür, und der
Glosneke Yeremiah Cloudsky rannte wie von einer Tarantel gestochen
durch den Saal. Er atmete laut und hastig, trippelte die Stufen hoch und
fuchtelte mit den Armen. Doch er brachte keinen Ton heraus, was Kulag
Milton wütend machte.
»Was ist denn? Nun rede endlich!«
Cloudsky zuckte zusammen. Es wirkte auf Atlan, als würde seine blaue
Haut sich hellblau färben, wie bei einem Terraner, der vor Schreck blass
wurde.
»Hunter meldet Komplikationen, Herr Resident und Frau Residentin.«
»Was für Komplikationen?«
Milton wurde ungeduldig. Cloudsky starrte auf Atlan, Bull und Gucky.
»Ich…«
Milton schubste den Glosneken unsanft, der auf den Hosenboden fiel.
»Jetzt rede endlich, du Arsch!«
Milton verlor bei seinem Wutausbruch jede Menge Spucke.
»Die… die NOVA-Positronik hat Veebee sabotiert. Vopp ter Camperna ist
nicht zu finden«, berichtete Cloudsky hastig.
Milton warf einen entsetzten Blick auf Atlan, Bull und Gucky.
Atlan bemerkte sofort das Flackern an der Spitze des kegelförmigen
TARA-Roboters. Er sah sich um, und auch bei den anderen Robotern
flackerte die Kuppel an der Spitze des Kegels rötlich. Die halbkugelförmige
Kuppel diente als Ortungskopf und audiovisuelles System für die TARA-
VII-Baureihe.
War das ein heimlicher Neustart der TARAs?
Was sollte es denn sonst sein? Du weißt, was das bedeutet.
Sein Extrasinn ermunterte ihn in seiner Vermutung.
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Langsam schritt Atlan die
Stufen zum Podium hinauf und ließ sich dabei viel Zeit. Milton, da Maag,
ter Camperna und Cloudsky starrten ihn entgeistert an.
»Sofort stehenbleiben, sonst…«, drohte Milton.
»Sonst?«, fragte Atlan herausfordernd.
»Roboter, knallt ihn ab«, befahl Milton.
Atlan atmete tief durch.
Gewagtes Spiel, Beuteterraner.
Nichts geschah. Die Roboter verharrten in ihrer Position.
Milton erhob sich.
»Knallt die Sau endlich ab. Na los, ihr Blecheimer!«
Atlan schmunzelte. Er legte den Arm über Sagretas Schulter und war nun
ausgesprochen gelassen. Bull erhob sich ebenfalls, stieg die Treppe hoch
und stellte sich direkt vor Milton.
»TARA-VIII-UH-Roboter, wer ist dir gegenüber weisungsbefugt?«, wollte
Bull wissen.
»Die Hauptpositronik der Solaren Residenz, LAOTSE, sowie alle
autorisierten Mitarbeiter des NDE, der Solaren Residenz und die Regierung
der Liga Freier Terraner
»Na, wer sagt’s denn…«
Doch der Roboter explodierte im nächsten Moment. Ein anderer
Kampfroboter derselben Baureihe stand offenbar noch unter Kontrolle des
Veebee-Virus. Nun brach das Chaos aus. Atlan sprang vom Podium, um
dem Kampf der Roboter auszuweichen. Die zwei Gruppen beschossen sich
erbarmungslos. Eine Explosion jagte die andere, und Rauchschwaden
füllten den Raum. Atlan musste husten. Er sah nicht, was mit den anderen
geschah. Dann hörte er das Aufeinanderprallen von Metall und es wurde
ruhig. Die Lüftung wurde laut und saugte den Rauch ab. Dämmungsfelder
erstickten die Feuer.
Atlan kam aus seiner Deckung hervor. Reginald Bull kniete unweit von
ihm entfernt und hielt sich den Arm. Gucky stand auf dem Podium und
stemmte die Arme in die Hüften.
Vor ihm lagen die Trümmer von zwei Kampfrobotern, die noch qualmten.
Es war offensichtlich, dass der Mausbiber sie aneinander hatte prallen
lassen.
Von Kulag Milton, Sagreta da Maag, Ragana ter Camperna und Yeremiah
Cloudsky fehlte jede Spur.
Atlan sah sich die Wunde an Bulls Arm an. Sie war bereits kauterisiert. Er
würde es überleben.
Bull stand auf.
»LAOTSE?«
»Ja, Sir«, meldete sich die Positronik über die Lautsprecher.
Bull atmete tief durch.
»Statusbericht.«
»Mit Hilfe der Positronik des Raumschiffes NOVA im Hangar der
ATOSGO wurde ich aus der Stage-Umgebung befreit und habe
unverzüglich mit der Bekämpfung des invasiven Virus begonnen. Es ist mir
gelungen, Teile der Roboter unter Kontrolle zu bringen und Psi-Fallen zu
deaktivieren. Jedoch wird es sofern der Gegner keinen erneuten Angriff
startet noch einige Stunden dauern, bis ich die vollständige Kontrolle
zurückerlange. So habe ich noch keinen Zugriff auf die Navigation. Es ist
ratsam, sich in gesicherten Zonen aufzuhalten, wie diesem Konferenzraum.
Die Wachmannschaften habe ich zu ihrem eigenen Wohl noch in ihren
Zellen gelassen.«
»Wo sind Milton und seine Leute?«, wollte Atlan wissen.
»Sie haben einen Transmitter benutzt und befinden sich auf der ATOSGO
oder der CASSIOPEIA«, berichtete die Positronik.
»Wir sollten ihnen einen Besuch abstatten«, sagte Gucky, um sich selber
im nächsten Moment zu korrigieren, als er sich lässig auf die Kante des
Podiums setzte. »Leider werden sie ihre Parafallen aktiviert haben. Ich kann
nichts ausrichten.«
Bull trat an eine Konsole an der Wand und tippte auf das Display. Auf
dem großen Bildschirm baute sich eine dreidimensionale Sternenkarte auf.
»Wir sind im Alpha-Centauri-System«, stellte er fest. »In unmittelbarer
Nähe befindet sich nur die ATOSGO. In ihrem Hangar liegt die
CASSIOPEIA. LAOTSE, konntest du…«
»Ich vollende deine Frage mit meiner Antwort. Ich habe bereits einen
Hyperfunkspruch an die Liga-Flotte gesendet.«
»Die Cairaner dürften ebenfalls auf dem Weg sein. Vermutlich werden sie
viel früher eintreffen«, sagte Atlan und fragte sich, wieso sie nicht schon
längst hier waren. Der Weg vom Solsystem hierher war nicht weit. Sie
mussten also ausharren, bis LAOTSE wieder die volle Kontrolle über die
Solare Residenz hatte. Atlan blickte Bully und Gucky an. Beide teilten
seine Ansicht. Sie wollten eigentlich nicht tatenlos herumsitzen.
Atlan schmunzelte. Er musste Überzeugungsarbeit leisten.
»Ich weiß, was ihr denkt, doch wir sollten mit Bedacht vorgehen. Gucky,
du kannst sowieso nichts ausrichten da drüben, solange ihre Parafallen aktiv
sind, und, Bully, die Solare Residenz ist dein Schiff. Du bist hier besser
aufgehoben. Helft LAOTSE. Ich begebe mich auf die ATOSGO.«
Beide waren einverstanden. Atlan machte sich auf den Weg zum
Transmitter, als LAOTSE eine Warnung aussprach: »Ich registriere
Temporale Anomalien, die sich über Lichtjahre ausstrecken und auf uns
zuhalten.«
Hunter stand vor der NOVA und blickte zum Cockpit hoch. Er hob seinen
Arm und tippte auf das Display seines positronischen Armbands. Die
Hangartore der ATOSGO schlossen sich. Er blickte hoch und grinste kurz.
Dann betätigte er sein Interkom und rief Eleonore und mich. Ich aktivierte
die Sprechverbindung.
»Weißt du, wie ich zum Namen Hunter gekommen bin?«
»Weil er besser klingt, als Pawl Huntrend Erfos?«
»Hunter bedeutet in der alten terranischen Sprache so viel wie Jäger. 2028
traf ich einen Rhodanmystiker während meiner Rehabilitationsmaßnahme.
Der erzählte mir tolle Dinge und war ein Tierliebhaber. Er fürchtete am
meisten Jäger, die er als Hunter bezeichnete. Ich tötete ihn, doch die
Bezeichnung gefiel mir. Hunter, der Jäger. Hunter, der Rhodanjäger. Ein
griffiger Name, der auch noch meinem Mittelnamen ähnelte und für Furcht
sorgen sollte.«
Warum erzählte er mir das jetzt?
»Danke, Hunter. Jetzt bin ich beruhigt.«
»Ach, Kumpel. Hunter wird auch dich jagen. Ich werde dich kriegen und
töten.«
Er beendete die Verbindung. Ich glaubte ihm jedes Wort. Zumindest
würde er versuchen, mich zu töten. Wir waren nie Freunde gewesen,
allenfalls Kameraden. Doch was immer uns verbunden hatte, dieses Band
war durchtrennt.
Kuvad Soothorn, Cilgin At-Karsin und Theofyr Sobrasky eilten zu ihm.
Die vier diskutierten, und es schien, als würde es keine guten Nachrichten
geben.
»Sie werden Hunter vermutlich über die Probleme auf der Solaren
Residenz unterrichten«, sagte Eleonore.
Der Tefroder blickte zu mir und Eleonore hoch und zeigte mit dem Finger
auf uns. Es bedeutete wohl, dasser sich eben später um uns kümmern
würde. Dann rief er den drei anderen etwas zu und eilte zum Lift. Ich
beobachtete, wie der offene Fahrstuhl zwei Etagen hoch fuhr, Hunter über
das Geländer sprang und in einem Korridor verschwand.
Zurück blieben Kuvad Soothorn, Cilgin At-Karsin und Sobby, wie
Sobrasky vor allem von Ragana ter Camperna liebevoll genannt wurde.
Doch ich hatte nun ein Problem. Ich musste in die 25. Etage, um meine
Kosmogene Chronik zu holen, und musste das Versprechen einlösen, Jevran
Wigth zu befreien. Die drei Typen da unten stellten keine Gefahr dar, doch
die Hangartore waren verschlossen.
Rasha seufzte und wirkte angespannt. Sie wühlte durch ihr dunkles, offenes
Haar, das ihr fast bis zum Gesäß reichte.
Wulfar wiederholte die Nachricht, die sie erhalten hatten:
Temporaler Tsunami bereitet sich in der Milchstraße aus. Bewegt sich auf
euch zu. Der Kosmotarchax beginnt – Kurush.
»Ich brauch jetzt was Starkes zum Saufen«, entschied Rasha und verließ
ihr Appartement.
Wulfar atmete tief durch und sah seinen Bruder Otnand an. Er legte ihm
die Hand auf die Schulter.
»Bist du bereit?«
Otnand nickte nur. Er kramte aus seiner Tasche drei stiftförmige
Injektoren mit einer Länge von drei Gardus. Wulfar wusste, was das war.
Das Mittel nannten die Rhetoren Blut der Höllenpilze.
Wulfar nahm einen Injektor und rief nach Rasha. Die schwarzhaarige
Schönheit kehrte zurück.
»Was ist denn? Ich…«
Sie ging auf Wulfar zu, schnappte sich den Injektor und spritzte sich den
Inhalt in den Hals. Dabei stöhnte sie leidenschaftlich auf. Otnand tat es ihr
nach, schwieg aber dabei. Wulfar atmete tief durch und injizierte sich den
Höllenpilz ins Blut. Ihm wurde erst warm, dann kalt. Er spürte den
kräftigen Herzschlag in seiner Brust. Ein Schauer jagte ihm über den
Rücken, und es kehrte ein Gefühl der Unbezwingbarkeit ein. Es war gepaart
mit Zorn auf all jene, die töricht waren und ihm und seiner Mission im
Wege standen.
Otnand donnerte Wulfar seine Faust auf dessen Schulter. Der Schmerz tat
gut.
»Ich brauch’ immer noch was zum Saufen«, sagte Rasha.
Constance befand sich in schlechter Gesellschaft. Zu ihrer linken Seite
stand der dröge Sales-Manager Speedy Handrej und blickte verkniffen
durch die Gegend, weil sie nicht mit seiner Rakete spielen wollte, und
rechts schunkelte der Besitzer des Mubiko, Topp ter Camperna, halbnackt
durch die Gegend.
Sie nannten sie entweder Bunny oder Maus, weil keiner von den beiden
die Intelligenz oder den Anstand besaß, sich ihren Namen zu merken.
Ihr Name war Constance Beccash. Früher hatte sie sich Constance Zaryah
Beccash genannt, eine Schülerin der Lilim Aynah, Dienerin der Lilith, die
eine Legende für die Lilim und Entropen war. Sie war Botschafterin und
Agentin zugleich gewesen. All das war lange her. Es schien, als wären
seitdem viele Leben gelebt worden. Leben, an die sie sich nicht mehr
erinnern konnte, Ereignisse, über die sich der Schleier der Lethe gelegt
hatte.
Sie empfing eine weitere Nachricht auf ihrem Multikom. Sie war wieder
von diesem E. E stand offenbar für ENGUYN, der Positronik der
CASSIOPEIA.
Ich orte eine Temporale Anomalie aus Richtung des Solsystems, drei
cairanische Raumschiffe, ein Tenderraumschiff dorgonischer Konstruktion
und einen sich nähernden Verband von Raumschiffen der Liga Freier
Galaktiker.
Es wurde eng im Alpha-Centauri-System. Natürlich konnte es nicht eng
werden und auch nicht voll bei den Ausmaßen, doch die Dinge kamen in
Bewegung. Sollte sie handeln? Sie fühlte sich immer noch so antriebslos.
Sie spürte die Nachwirkungen ihres langen Aufenthalts in der Tiefe des
Chaos, sie war noch müde und unentschlossen, obwohl sie hellwach und
voller Tatendrang in dieser Situation sein sollte.
Sie atmete tief durch und musste husten, denn sowohl Speedy als auch
Topp qualmten vor sich hin. Speedy breitete die Arme aus und tanzte sie an.
Sie wandte sich angewidert ab.
Atlan warf einen letzten Blick auf Gucky und Bull, steckte den
Nadlerstrahler in den Holster, dann ging er durch den blauen
Transmitterbogen und schritt innerhalb eines Moments aus der
Gegenstation auf der ATOSGO heraus. Er blickte sich um. Schnell stellte er
fest, dass er in dem großen Foyer war. Die Passage im Zentrum war frei und
reichte hunderte Meter in die Höhe, an deren Seiten die einzelnen Gänge
der Etagen zu sehen waren.
Eine Unitherin und eine blauhäutige Terranerin mit orangefarbigem Haar
starrten ihn an. Atlan räusperte sich und grüßte freundlich. »Gosner
Die Unitherin zuckte zusammen, während die Terranerin näherkam und
ihn aus ihren neugierigen blauen Augen musterte.
»Du bist …«
Sie war jetzt so nah, dass er ihr süßliches Parfüm roch. Sie war um
eineinhalb Köpfe kleiner als er.
»Du bist Atlan?«
»Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Ich bin Tarnaite Grazus, und das ist...«, sie zeigte mit dem Finger auf die
Unitherin »Cyba Kryz. Wir sind Reinigungsfachmanager in der CACC.«
Die Unitherin hob die Hand, winkte und rief: »Schlechte Tagnacht, Frau
Akon.«
Atlan blickte sie verdutzt an, während Tarnaite lachte.
»Cyba kann nicht gut Interkosmo sprechen. Sie kommt von einer Welt der
Unither, die seit langer Zeit keinen Kontakt mehr zu Raumfahrern hatte.«
Atlan hätte sie noch viel fragen können, wieso sie zum Beispiel keinen
Translator verwendete, doch er hatte keine Zeit. Trotzdem durfte er die
beiden nicht einfach so stehen lassen. Sie konnten schnurstracks zu den
Campernas gehen und ihnen von seiner Ankunft berichten.
»Nun, ich bin Atlan und gerührt, dass mich jemand in dieser Epoche
erkennt. Was werdet ihr jetzt tun?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Wie meinst du das?«
»Wirst du zu deinen Vorgesetzten gehen und melden, dass ein geflüchteter
Rhodanmystiker auf diesem Raumschiff ist?«
Sie starrte mich ratlos an und schüttelte langsam den Kopf.
Dann wandte sie sich an die Unitherin und sprach mit ihr ein paar Worte
in einer ihm unbekannten Sprache. Vermutlich war es ein unithischer
Dialekt, den Tarnaite gelernt hatte, um besser mit Cyba Kryz
kommunizieren zu können.
»Jeppy, mach mach«, antwortete die Unitherin und bestätigte ihre Worte
mit zustimmenden Gesten.
Tarnaite blickte wieder zu Atlan.
»Cyba und ich wollten dich fragen, ob wir dir helfen können.«
Das überraschte ihn.
Vielleicht eine Falle, Barbar.
Sein Extrasinn konnte richtigliegen, doch irgendetwas sagte ihm, dass er
ihnen vertrauen konnte.
Hoffentlich nicht die Oberweite der blauhäutigen Terranerin,
Schwerenöter.
Die war Atlan nicht entgangen. Doch das war es nicht. Die beiden waren
bestimmt Außenseiter in der großen CACC. Eine Unitherin, die sich nicht
richtig artikulieren konnte; und ihm waren auch die zitternden Hände von
Tarnaite nicht entgangen. Das waren keine Rhodanjäger wie Hunter.
»Nun, wenn ihr mir helfen wollt, dann führt mich am besten zu diesem
Nathaniel Creen. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet.«
Ich könnte die drei einfach über den Haufen schießen. Wer hielt mich auf?
Vielleicht reichte es aus, wenn ich nur einen erschoss, damit die anderen in
Panik die Flucht ergriffen?
Sie standen dumm herum und hatten vermutlich richtig Angst. Kuvad
Soothorn rauchte eine Zigarette nach der anderen. Sobby qualmte nur halb
so viel, was ihn trotzdem zum Kettenraucher machte. Außerdem leerte er
kontinuierlich eine Flasche Vurguzz. Einzig Cilgin At-Karsin war wachsam
und beobachtete die NOVA. Der Hauri hielt seinen Strahler fest und schien
auf meinen nächsten Zug zu warten. Ich wollte die drei nicht töten,
zumindest nicht, wenn es sich vermeiden ließ.
»Nathaniel, auf drei Uhr ist ein Arkonide.«
»Das ist nicht ungewöhnlich, Eleonore«, erwiderte ich, um festzustellen,
dass die Positronik das bestimmt nicht ohne Grund sagte. Ich warf einen
Blick in die Richtung. An der Brüstung stand Atlan. Hinter ihm standen
Tarnaite und Cyba. Was sollte das werden? Der Arkonide betrachtete meine
drei Bewacher.
Ich aktivierte den Scanner und suchte nach Interkomgeräten, die ich
anrufen konnte. Es waren natürlich viele und ich hatte keinen blassen
Schimmer, welche ID zu Atlan gehörte. Da fiel es mir wie Schuppen von
den Augen. Ich war doch ein Narr, denn ich besaß die ID von Tarnaite. Also
wählte ich sie an und wartete auf ihre Reaktion. Sie schreckte auf, schien
die ID auf dem Display zu sehen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sie
fuchtelte mit dem Interkom vor Atlans Nase. Es ging wohl nicht noch
auffälliger. Der Arkonide nahm es, und blickte zu mir. Wir waren vielleicht
30 Meter voneinander entfernt.
»Die Solare Residenz ist bald wieder unter Kontrolle der LFG. Ich will
Milton und seine Verschwörer zur Rechenschaft ziehen, bevor die Cairaner
auftauchen. Ich könnte Hilfe gebrauchen und sehe, dass du auch
Unterstützung nötig hast.«
Es war zu spät, um noch Bedenken zu äußern. Eleonore und ich hatten die
CACC und Kulag Milton verraten. Es gab kein Zurück mehr für uns.
Hunter würde mich erschießen, Eleonore löschen und die NOVA
verschrotten, sollten wir in seine Hände fallen.
»Auf der ATOSGO gibt es zwölf Sicherheitsroboter mit Paralysestrahlern
und Fesselfeldern, möglich, dass man sie inzwischen mit tödlichen Waffen
ausgerüstet hat. Es gibt außer Hunter keinen fähigen Krieger, außer
vielleicht die beiden Begleiter von Rasha, wobei ich die eher als
Actiontouristen ansehe. Die haben keine Söldner. Mit den drei Witzfiguren
werde ich alleine fertig.«
»Das mag sein, doch zwölf Sicherheitsroboter sind nicht zu
unterschätzen«, wandte Atlan ein. »Die Wachroboter auf der Solaren
Residenz können uns nicht unterstützen. Sie müssen auf der Residenz
bleiben, bis LAOTSE alle Roboter vom Veebee-Virus befreit hat«.
Ich seufzte, denn der Arkonide hatte recht. Die Roboter mussten erst
einmal besiegt werden, und Hunter war auch noch da. Sicherlich würde
Atlan keine Kollateralschäden unter den Passagieren dulden.
»Vorschlag?«
»Das hängt von deinen Plänen ab, Kopfgeldjäger
Ich atmete tief durch.
»Ich will die Kosmogene Chronik, die der Cairaner mir abgenommen hat.
Außerdem muss ich den Rhodanmystiker Jevran Wigth aus seiner Zelle
befreien. Dann will ich die Hangartore öffnen, um zu verschwinden.«
»Also gut, ich helfe dir dabei, wenn du mir hilfst, die Parafallen an Bord
der ATOSGO zu deaktivieren. Wenn Gucky sich entfalten kann, stellen die
zwölf Roboter auch kein Problem mehr dar
»Wir haben einen Deal, Arkonide. Ich kümmere mich um die drei hier,
und du begibst dich in die 25. Etage. Dort ist Roch Miravedse. Doch viel
wichtiger ist, dass dort auch die Sicherheitszentrale liegt. Von dort …«
Ich hielt inne und blickte Eleonore an. Als ob sie meine Gedanken erraten
konnte, schüttelte sie langsam den Kopf. »Ich bin aus dem System der
ATOSGO inzwischen ausgesperrt und habe keinen Zugriff mehr
»… von dort kannst du Parafallen deaktivieren. Vielleicht sogar die
Roboter
»Berechtigungscodes?«, wollte Atlan wissen.
»Die besorge ich dir, wenn du auf dem Weg bist.«
Ich blickte runter zu Sobby. Der leitende Ingenieur und Liebhaber von
Ragana ter Camperna hatte die höchste Sicherheitsstufe. Den würde ich mir
jetzt kaufen.
Rasha hüpfte auf der Stelle auf und ab. Sie war genervt, und Wulfar
verstand das nur zu gut. Der Kosmotarchax näherte sich, und sie standen in
der Schlange an der Kasse und warteten darauf, dass sie eine Flaschen
Schnaps bezahlen konnten. Es war eine dumme Idee gewesen, in den
nächsten Markt zu gehen, statt sich an einer Bar eine überteuerte Flasche
Vurguzz zu kaufen.
Vor ihnen an der Fließbandkasse stand ein altes rudynisches Ehepaar, das
Wulfar als die Shoehes in Erinnerung hatte. Die Frau, Bufra, bewegte sich
in Zeitlupe, während ihr kleiner dicker Mann in seiner hellen Jacke ebenso
ungeduldig wirkte wie Rasha.
Bufra legte eine Flasche Schnaps auf das Band. Mechanisch fuhr ihr Arm
zurück zum schwebenden Einkaufswagen. Mit zittriger Hand griff sie nach
einer großen Packung Süßigkeiten. Als wäre ihr Körper ein Roboterkran
und die Süßigkeiten ein schwerer Stein, so hob sie diese hoch, schwenkte
zur Seite und legte es auf das Band.
Rasha seufzte, dann griff sie selber in den Wagen, packte alles mit beiden
Armen und warf es auf das Band. Verwundert sah die Shoehe sie an.
»Ich muss doch bitten!«
»Gern geschehen«, zischte Rasha.
»Jetzt sei mal nicht so unfreundlich zu der jungen Dame«, herrschte
Alfredo Shoehe seine Frau an, baute sich in seiner Winzigkeit vor Rasha auf
und lachte aufgesetzt.
»Du erinnerst dich doch noch an mich?«
Rasha verdrehte die Augen.
»Fetter Pinguin, den ich ekelhaft finde. Verpiss dich mit deinem alten
Fossil.«
Rasha war in schlechter Stimmung.
Die rudynische Kassiererin ließ die Ware ebenso langsam über den
Scanner laufen, wie die Shoehe sie ausgepackt hatte.
»Wenn du zwei Zuckerbomben kaufst, zahlst du nur für eine. Das ist ein
Sonderangebot«, sagte die Kassiererin.
»Ach, wirklich?«
Bufra Shoehe betrachtete das holografische Angebot neben der
Kassiererin. Sie würde doch nicht etwa ihren Bezahlvorgang abbrechen und
zurückkehren?
In Tausenden von Märkten, die Wulfar besucht hatte, gab es mobile
Bezahlstationen, Roboterkassierer, die durch die Shops flogen oder
Chipkarten mit Guthaben, die man einfach an die Ware hielt. Wieso die
CACC auf diese altertümliche Art der Bezahlung setzte, war ihm unklar.
»Hast du eine Cashback-Karte?«, fragte die Kassiererin, eine Epsalerin
mit vollem, kurzen blondem Haar und großen Augen. Ihr kleiner,
gedrungener Körper schien recht eingeengt in die Sitzkabine gequetscht zu
sein.
»Ja«, sagte Bufra und kramte die Karte heraus.
»Sammelst du Treuepunkte?«, fragte die Epsalerin monoton.
Bufra nickte eifrig.
Dann zeigte sie mit dem Finger auf einen Eintrag in der
Hologrammauflistung.
»Die Ananas war aber im Angebot für neunundneunzig Galax, und da
steht aber einsvierundzwanzig Galax.«
Die Kassiererin seufzte.
»Die Preise werden über die Positronik gepflegt und sind unfehlbar
Bufra Shoehe machte eine erstaunte Geste und schüttelte langsam den
Kopf.
»Aber sieh doch selbst mit deinen Äugeleinchen. Da steht doch
einsvierundzwanzig drauf. Da, guck auch mal.«
Sie hielt Rasha die Ananas hin, auf der ein Preisetikett klebte. Rasha nahm
die Ananas, betrachtete sie und schlug sie Bufra Shoehe auf den Kopf. Die
Frucht zerplatzte, die alte Frau schrie und taumelte brüllend gegen den
Einkaufswagen und von dort auf den Boden. Rasha schrie genervt.
»Hilfe«, rief die Epsalerin und versuchte sich aus ihrer Sitzkabine zu
zwängen. »Hilfe!«
Rasha packte die Kassiererin am Kragen und donnerte ihren Kopf auf das
Laufband. Einmal, zweimal, dreimal, so lange, bis sich die Frau nicht mehr
regte. Alfredo Shoehe wollte sich nicht mal um seine Gattin kümmern, mit
winzigen Schritten versuchten er wegzulaufen, während anderes Personal
und Einkäufer sich um die Kasse versammelten. Wulfar packte den
Rudyner. Rasha hatte sie sowieso an einen Punkt ohne Wiederkehr
gebracht. Er verpasste Shoehe eine Kopfnuss.
Zu seiner Überraschung sagte niemand etwas. Was waren das nur für feige
Leute? Ein altes Ehepaar wurde verprügelt, und alle sahen tatenlos zu
vermutlich weil sie sich bereits in die Hosen gemacht hatten.
Nun trat ein Mann mit Halbglatze und Bartansatz hervor. Der schlanke
Rudyner räusperte sich: »Bitte verlasst den Shop, sonst muss ich den
Sicherheitsdienst rufen, ja? Bitte.«
Bei Redhorse, Goshkan und Dorgon – was für ein Weichei! Otnand packte
ihn und hob den Wicht in die Höhe. Die etwa ein Dutzend Marktbesucher
wichen zurück und schrien auf.
»Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir den Markt lange verlassen,
wären wir nicht behindert worden.«
Mit hoher Stimme rief der Mann, der offenbar sowas wie ein Leiter war:
»Nehmt was ihr wollt und geht einfach, in Ordnung? Heute ist doch ein
Feiertag, da der Mythos Terra entlarvt wurde, nicht wahr. Oder?«
Otnand warf ihn mit beiden Händen gegen die Kasse. Dann donnerte er
ihm abwechselnd die Fäuste ins Gesicht und schrie. Wulfars Blut kochte
nun auch. Es war so schwer, sich zusammenzureißen. Rasha trat auf Bufra
Shoehe ein, bis deren Kopf von Blut überströmt war. Nun war dann doch
ein beherzter Besucher, der auf sie zu rannte und »Stopp!« rief. Bei den
Göttern, wieso hatte Wulfar nur keine Waffe? Welch ein Glück für sein
Gegenüber, den er mit einem Kick ins Gesicht niederstreckte. Er packte ihn
am Kopf und schlug diesen mehrmals den Boden. Dann ließ er von ihm ab.
Die Besucher rannten weg. Otnand hatte sich inzwischen beruhigt, Rasha
noch nicht. Sie spuckte die Rudynerin an, die regungslos am Boden lag und
nur noch röchelnde Geräusche von sich gab.
»Das hast du alte Hure von deiner verschissenen Ananas.«
»Es ist genug«, sagte Wulfar und packte sie am Arm. Sie riss sich los und
trat der Shoehe mit ihren spitzen Absätzen ins Auge. Die alte Frau schrie
ein letztes Mal auf, dann wich der letzter Hauch aus ihren Lungen.
Wulfar schlug Rasha ins Gesicht, sie antwortete mit einer Kopfnuss und
lachte.
»Das war doch ein Spaß.«
Sie schnappte sich die Vurguzz-Flasche, öffnete sie und nahm einen
kräftigen Schluck. Alfredo Shoehe kroch davon. Rasha war nun im Rausch.
Sie donnerte die Flasche auf den Rand des Laufbands, sodass sie zerbrach.
Dann ging sie zu Alfredo, drehte ihn auf den Rücken und setzte sich auf
ihn.
»Na, du fetter Lustmolch? Das wolltest du doch, dass ich auf deinem
ekligen, alten Körper sitze und deinen Schniedel verwöhne, hm?«
Shoehe war nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen. Er gab nur
Wehklagen von sich.
»Ich bin so großzügig, du altes Mistschwein. Denn ich bin das Letzte, was
du spürst, und mein Gesicht ist das letzte, was du siehst.«
Rasha schnitt mit der kaputten Flasche quer über seinen Hals. Das Blut
spritzte auf sie. Sie lehnte sich zurück und gab einen Laut des
Wohlgefallens von sich, während der Alte verblutete.
»Wir sollten verschwinden, bevor die Wachroboter kommen«, schlug
Otnand vor und packte weiteren Schnaps in seinen Rucksack.
Plötzlich ertönten Sirenen. Wulfar wusste nicht, ob die ihnen galten oder
etwas anderes geschehen war.
Ein Jülziish zappelte in Ekstase vor Constance Beccash und tanzte zu dem
wummernden Rhythmus der elektronischen Musik. Dabei wanden sich
lebendige Muurt-Würmern aus dem halb geöffneten Mund.
Speedy Handrej fuchtelte vergnügt und sichtlich berauscht in gebückter
Haltung mit den Armen und tanzte auf der Stelle.
Er grinste Constance an, hob den Arm und rief »Whoop, whoop!«
Topp ter Camperna schunkelte in weißen Socken und mit einem
leuchtenden Suspensorium auf der Bühne. Zu seinen Füßen räkelten sich
zwei halbnackte, willige und ebenso offenbar dumme oder verzweifelte
Terranerinnen. Topp nahm ein Mikrofon.
»Party, Party, Party!«
Die Menge johlte.
»Party-Alarm«, rief Topp und gab ein Zeichen. Der Alarm des
Raumschiffes ging los. Die Sirenen heulten in steigender und sinkender
Tonfolgen. Die Sirene wurde dann von der wieder lauter werdenden
donnernden Technomusik übertönt.
Constance bekam Kopfschmerzen. Der Anblick dieser Leute, die laute
Musik, das war ihr zuwider. Es war nichts gegen ausgelassene Freude
einzuwenden, auch wenn sie das nur selten bis gar nicht erlebt hatte. Wann
denn auch? Sie war bei den Lilim zu Disziplin erzogen worden, hatte
inmitten eines intergalaktischen Krieges das Entropia-System verlassen und
war von einem Abenteuer ins andere geschlittert. Als die Ära der Harmonie
von DORGON angebrochen war, lastete das eher wie ein Asteroid auf ihrer
Brust. Und sie musste trotzdem immer mit einem Lächeln durch das Leben
schreiten. Als die Loge des Kosmos gegründet wurde und ihre Odyssee
durch die Tiefe des Chaos begann, war es sowieso mit der Lebensfreude
und dazugehöriger Vitalenergie vorbei gewesen.
Wieder summte ihr Multikom. Es war erneut eine Nachricht von E, also
von ENGUYN.
Temporale Anomalie, cairanische Raumschiff, Liga-Flotte und ein fremdes
Trägerschiff nähern sich Alpha Centauri mit hoher Geschwindigkeit. Ich
empfehle dir erneut, die CASSIOPEIA aufzusuchen.
Sie blickte sich um. Hier hatte sie nichts mehr verloren. Also zwängte sie
sich an den schwitzenden und müffelnden Galaktikern vorbei und verließ
die verqualmte und heiße Partyhölle so schnell es ging.
Sobby und seine Begleiter hatten inzwischen Gesellschaft von drei
Sicherheitsrobotern bekommen. Mit denen würde ich nicht so leicht fertig
werden. Zwar hatte Atlan nun weniger Roboter gegen sich, doch die drei
kegelförmigen Blechkameraden standen mir und meinen Plänen im Weg.
Seit bestimmt zehn Minuten überlegte ich schon, was ich machen sollte.
Eleonore hatte mir vom Einsatz der Bordkanonen abgeraten, auch wenn das
vermutlich die einfachste Methode gewesen wäre. Die
Fesselfeldprojektoren waren auf Mashratan beschädigt worden, und
Paralysatoren waren bei den Robotern unwirksam. Ich hätte die Geschütze
der NOVA viel mehr modifizieren sollen. MVH-Geschütze, Paralysatoren,
EMP-Impulse ich war doch recht begrenzt mit den vier Impulsgeschützen
und der Transformkanone.
»Ich gehe raus und kümmere mich um die Sicherheitsroboter«, entschied
ich. Welche Wahl hatte ich denn? Entweder setzte ich die Bordgeschütze
ein und richtete ein Inferno im Hangar an oder ich kümmerte mich auf
traditionelle Weise um sie.
»Nathaniel, wir haben offenbar ganz andere Probleme«, berichtete
Eleonore und aktivierte die Sternenkarte.
»Auf der linken Seite nähert sich eine breite Temporale Anomalie, die
offenbar schon das Solsystem umfasst hat. Sie besteht aus mehreren Zellen
und weist eine Ausdehnung von mehreren Lichtjahren auf. Auf der rechten
Seite ist ein drei Kilometer langes, kegelförmiges Raumschiff ins System
eingedrungen. Es entspricht keiner bekannten Bauart.«
»Was?«
Ich betrachtete die Analyse auf der dreidimensionalen Karte. Die Form
entsprach einem Kegel mit einem breiten Boden, wenn man es so
betrachten wollte. Die Anomalie kam vom Solsystem. Wahrscheinlich war
von dort auch das cairanische Empfangskommando aufgebrochen, aber
noch nicht hier angekommen. Vermutlich würden hier so schnell gar keine
Cairaner auftauchen. Das verschaffte der Liga-Flotte mehr Zeit, sofern sie
nicht auch in die Temporale Anomalien geriet oder oder uns dieses
fremde, gigantisches Raumschiff Probleme bereiten würde.
»Kannst du deinen Positronikkumpel befragen?«
»Du meinst ENGUYN? Wir sind keine Kumpel.«
»Naja, in gewisser Weise seid ihr das schon.«
Die drei Kampfroboter zogen ab. Das war meine Chance. Ich eilte runter,
deaktivierte den Schutzschirm und öffnete die Luke. Der erste Schuss traf
Kuvad Soothorn und paralysierte ihn. Cilgin At-Karsin sprang hinter einen
grauen Container. Ich richtete den Strahler auf Sobby und feuerte. Er brach
paralysiert zusammen. Dann wandte ich mich Cilgin zu.
»Ich ergebe mich, Herr Kopfgeldjäger!«
Eine Waffe rutschte den Boden entlang, und der Hauri trat mit erhobenen
Händen hinter dem Container vor. Das war einfach.
»Hilf mir, Herr Kopfgeldjäger!«
»Weshalb sollte ich das tun? Du stehst offenbar auf der Gehaltsliste von
Hunter
»Oh, hm«, machte der Hauri und sah verlegen auf den Boden. Dann
grinste er unnatürlich. »Er erpresst mich. Ich habe etwas Schlimmes getan.
Die meisten hier an Bord werden es nicht verstehen. Aber du vielleicht. Da
bin ich sicher. Du weißt, wie es ist, wenn man der Außenseiter ist und jeder
einen hasst, man sein natürliches Ich verstecken muss hinter einer Maske.«
Ich senkte den Strahler. Das wusste ich nur zu gut. Doch ich wusste auch,
dass Cilgin At-Karsin verschlagen sein konnte. Wie könnte er mir helfen?
Hunter vielleicht in die Falle locken? Nein, dazu war mein ehemaliger
Kommandant zu ausgebufft. Also richtete ich den Strahler wieder auf ihn.
»Du kümmerst dich um deine beiden Kompagnons. Haltet euch von der
NOVA fern. Dann verschone ich euch.«
Der Hauri verbeugte sich.
»Danke, Herr Kopfgeldjäger. Du bist edel wie ein schimmernder Ritter
des Weltraums.«
Seine Betonung lag auf dem Wort Ritter. Ich wusste, dass es früher
Kämpfer in Rüstungen gab, die so genannt wurden, vornehmlich auf
Welten, die noch keine Raumfahrt oder sogar noch keine Elektrizität
beherrscht hatten. Doch das tat jetzt nichts zur Sache.
Ich musste auch in die 25. Etage, um Atlan zu unterstützen. Deshalb nahm
ich die Mikropositronik des Leitenden Ingenieurs und entsperrte sie durch
seinen Fingerabdruck und ID-Werte, da Sobrasky ja bewegungsunfähig vor
mir lag. Plötzlich ertönte die Schiffssirene. Der Alarm galt der ganzen
ATOSGO. Ich musste mich beeilen.
Kaum hatte Atlan die 25. Etage erreicht, ertönte auch schon der Alarm.
Gut gemacht, bemerkte der Extrasinn zynisch. Spaß beiseite, ich glaube
nicht, dass der Alarm dir gilt, Beuteterraner.
Damit lag sein ARK SUMMIA vermutlich richtig. War vielleicht die
Flotte der LFG angekommen?
Es befanden sich vier Personen im Foyer: eine Arkonidin mit vielen
bunten Strickschals, eine Imarterin, eine Jülziish und eine kräftige
Terranerin mit rotem Haar und Sommersprossen.
Sie starrten Atlan an, als er aus dem Antigrav stieg. Wichtigtuerisch
stolzierte die Arkonidin auf ihn zu.
»Dieses Foyer ist nur den Passagieren der ersten Klasse vorbehalten. Bitte
wende dich an Polly Kallos am Empfang im unteren Foyer
Atlan zog die Augenbraue hoch.
Hinter ihm verließen Tarnaite Grazus und Cyba den Antigrav.
»Was habt ihr mit diesem Mann zu tun?«, fragte die Arkonidin scharf.
»Das ist Atlan«, sagte Tarnaite kleinlaut.
Die Arkonidin schreckte hoch und fasste sich an die Brust. Entsetzt
blickte sie zu den anderen.
»Meine Damen, euch ist vermutlich aufgefallen, dass Kulag Milton und
Ragana ter Camperna überstürzt zurückgekehrt sind?«, fragte Atlan.
Die vier sahen sich an.
»Wenn du das sagst«, sagte die Imarterin.
»Das ist Bytta. Bytta Wolden. Sie ist sehr gemein und herrisch«, flüsterte
Tarnaite. »Die Frau mit dem Schal ist Bismaria da Enta, sie ist die
Leiterin.«
»Hm«, machte Atlan nur und sah wieder zu der Arkonidin, zu der er jetzt
einen Namen hatte.
»Die Solare Residenz ist wieder unter Kontrolle der Liga Freier
Galaktiker, und Raumschiffe sind unterwegs zu diesem Standort. Die
Kampfkraft eurer Revolution ist verschwindend gering, da sie nur darauf
setzte, mittels eines Virus die Kontrolle über die Residenz und deren
Roboter zu übernehmen. Das Unterfangen ist gescheitert.«
Er ließ die Worte auf die vier verdutzten Frauen wirken. Die kräftige
Rothaarige blickte verlegen auf den Boden und schluchzte. Die Jülziish hob
beschwichtigend die Hände und stieß eine Verwünschung in Richtung der
gelbgestreiften Kreatur des Zusammenbruchs aus.
»Also, ich habe mit dem ganzen Putsch gar nichts zu tun. Ich mache hier
meine Arbeit. Mehr nicht«, verteidigte sich Bytta Wolden und rutschte auf
ihrem Antigravstuhl herum.
Der Alarm nervte Atlan inzwischen.
»Könnt ihr einsehen, wieso es den Schiffsalarm gibt?«
Schweigen.
Tarnaite ging zur Konsole, und musste sich dabei das Gezeter der Jülziish
anhören.
»Bytta und Gorlü böse«, murmelte die Unitherin Cyba.
»Das habe ich gehört«, rief die Imarterin drohend.
Atlan hatte genug von diesen Faxen. Er stellte sich an das Terminal und
stellte fest, dass der Alarm ohne Begründung ausgelöst worden war. Er
aktivierte sein Interkom und kontaktierte Creen.
»Ich bin auf dem Weg zur 25. Etage. Temporale Anomalien und ein
großes, fremdes Raumschiff wurden geortet. Vielleicht wurde deshalb der
Alarm ausgelöst«, berichtete der Kopfgeld jäger.
Atlan nahm Verbindung mit Bull auf, der das bestätigte.
»Die Liga-Flotte ist auf dem Weg. Bendisson hat uns kontaktiert. Die
THORA ist nicht mehr weit. Doch dieser kegelförmige Gigant am Rand des
Systems bereitet uns Sorgen. Die Solare Residenz ist noch nicht
einsatzbereit. Bring das schnell auf der ATOSGO zu Ende.«
Atlan wandte sich an Bismaria da Enta.
»Wo befinden sich Ragana ter Camperna und Kulag Milton?«
Sie schwieg. Er hatte keine Zeit für sowas.
»Wo ist die Sicherheitszentrale? Wo ist die Zentrale der ATOSGO?«
Die Arkonidin rümpfte die Nase, und ihre Mitarbeiterinnen starrten auf
den Boden.
»Ich weiß, wo das alles ist«, sagte Tarnaite und ging an eine Konsole. Sie
tippte auf dem Display und öffnete ein Grundriss der Etage als Hologramm
und zeigte auf die gesuchten Räume. Sie befanden sich im Außenbereich,
und je tiefer sie in das Innere gingen, desto näher kamen sie den wichtigen
Räumen. Die Privatgemächer der Ragana waren vermutlich die Zuflucht
der Familie und Milton. Daneben befand sich die Zentrale.
»Das meiste davon wird positronisch verwaltet. Es gibt keine echten
Wachleute. Das ist ein ziviles Raumschiff«, erklärte sie und atmete tief
durch. Ihr war anzusehen, dass sie sich unwohl fühlte und Angst hatte.
Atlan hätte sie trösten können oder ihr Mut zusprechen, doch dafür fehlte
die Zeit.
Er schritt durch einen Korridor mit einem Rollband an der Seite. Der
Gang mündete an zwei Türen über denen »Zentrale« und »TER
CAMPERNA« stand. Dann ging er zielstrebig zur Tür der Brücke, die
jedoch blockiert war. Aus dem Eingang der ter Campernas sprang plötzlich
der Tefroder Hunter heraus und zielte mit seinem Strahler auf Atlan.
»Keine Bewegung, Arkonide. Sonst ist es deine letzte.«
Die Frauen schrien auf und versteckten sich hinter dem Tresen.
Atlan seufzte, drehte sich um und hob die Hände. Er ließ den Strahler auf
den Boden fallen.
»Mitkommen!«
Hunter winkte mit dem Strahler in seine Richtung. Atlan ging zu ihm.
Hunter sagte, Atlan solle vorgehen. Als er direkt neben dem Kopfgeldjäger
stand, holte der Arkonide aus, packte den Arm des Tefroders und drückte
ihn nach unten. Es lösten sich zwei Schüsse, die in den Boden gingen. Atlan
schleuderte Hunter gegen die Wand, der wehrte sich und trat dem
Arkoniden in den Bauch, sodass er zurücktaumelte. Dann packte der
Tefroder ihn am Hals und drückte zu. Atlan stieß ihn von sich, doch Hunter
erholte sich schnell, duckte sich vor einem weiteren Schlag, stand hinter
ihm und legte die Arme wie ein Schraubstock um ihn. Er presste die Beine
an Atlans Hüften und zwang ihn in die Knie.
Atlan rang nach Luft. Mit letzter Kraft stand er auf und rannte rücklings
gegen die Wand. Wieder und wieder, bis sich der Griff löste.
Erst einmal durchatmen.
Keine Zeit, warnte der Extrasinn.
Atlan verstand, drehte sich um und sah, wie Hunter zur Waffe robbte. Er
warf sich auf den Tefroder und nahm ihn nun selbst in einen Würgegriff. Er
griff dessen rechten Arm und hakte ihn ein, seinen anderen Arm legte er
fest um den Hals, dann drehte er sich zur Seite und hatte Hunter fest im
Griff. Der konnte sich aus der Position nicht befreien, da er auf seinem
freien Arm lag und nicht genug Kraft aufwenden konnte. Atlan hörte das
Summen von Antigravs. Die Kampfroboter. War Hunter schon bewusstlos?
Er musste es riskieren, ließ ihn los, schnappte sich die Waffe und wirbelte
herum. Plötzlich sausten drei Energiestrahlen an ihm vorbei und zerstörten
die Roboter.
Atlan atmete tief durch und drehte sich um. Da stand Nathaniel Creen mit
gezogener Waffe.
Sowohl das Interkom von Atlan als auch das von Creen summten auf.
Atlan hörte Bullys Stimme sagen: »Es hat sich ein kleineres Raumschiff
von dem großen Kegelschiff abgekapselt und nimmt Kurs auf die
ATOSGO.«
Creen hatte wohl auch mit jemand gesprochen und meinte. »Wir kriegen
bald Besuch.«
Atlan nickte. Es wurde Zeit, endlich die Parafallen zu deaktivieren, damit
sie Gucky einsetzen konnten. Creen winkte mit seiner Mikropositronik und
legte sie an das Interface neben der Tür zur Zentrale, doch nichts geschah.
»Das könnt ihr vergessen, ihr Bastarde!«
Hunter rappelte sich wieder auf.
»Öffne diese Tür«, forderte Atlan. Doch der Tefroder lachte nur auf.
Creen packte seinen ehemaligen Kommandanten und presste ihn gegen
die Wand. Doch Hunter spuckte ihn nur an und grinste.
Eleonore im Cyperscpace © Gaby Hylla
Creen verpasste ihm einen Kinnhaken. Und der Tefroder sank zu Boden.
Atlan stupste ihn unsanft an. Hunter war bewusstlos und vorerst wohl
keine Gefahr mehr.
»Gehen wir in den Saal. Vielleicht ist dort jemand vernünftiger«, schlug
Atlan vor.
»Folge mir«, sagte Creen knapp und ging voraus.
Sie betraten den ter-Camperna-Komplex, indem sie eine altmodische Tür
öffneten, schritten durch den großen Flur, erreichten den opulent
eingerichteten Empfangssaal und blickte in verängstigte Gesichter.
Ragana ter Camperna und Sagreta da Maag saßen auf einem roten, breiten
Sofa. Kulag Milton, Yeremiah Cloudsky und Topp ter Camperna standen
dahinter. Der Cairaner Roch Miravedse saß abseits von ihnen in einem
roten Sessel. Auf dem Tisch neben ihm stand die sogenannte Kosmogene
Chronik, allerdings wusste Atlan noch nicht, was diese Bezeichnung genau
bedeutete. Es waren keine Kampfroboter in dem Saal.
»Das war´s«, begann Atlan und richtete seinen Strahler in Richtung der
Anwesenden.
Ragana ter Camperna stand auf. In ihren Augen stand Verachtung.
»Was habt ihr Schwurbler mit meinem Sohn Vopp gemacht?«
Atlan zuckte mit den Schultern.
»Ich habe ihn nicht gesehen. Creen?«
»Nein«, sagte der Kopfgeldjäger knapp und nahm das pyramidenförmige
Artefakt vom Tisch des Cairaners. »Das gehört mir
Das innere Handpaar von Roch Miravedse drehte sich nach außen.
»Ihr wisst, dass in wenigen Minuten ein Verband unserer Raumschiffe hier
materialisieren wird? Sage dich von diesem Blender und Hetzer los, ja?
Dann wirst du begnadet werden. Andernfalls wirst du auf einer
Ausweglosen Straße entlang wandern, ja?«
»Nein, nein, nein«, erwiderte Creen und zog den Strahler.
Plötzlich vibrierte der Boden.
»Die Zeit läuft uns allen davon. Wir wissen nicht, was für Fremde das
sind. Nur wenn ich das Kommando über die Zentrale habe, kann ich euch
helfen«, sprach Atlan eindringlich, doch er schien auf taube Ohren zu
stoßen. Das frustrierte ihn. Wieso waren diese Galaktiker so irrational?
»Mein Sohn hat Zugang zur Zentrale, doch er ist verschwunden.«
Creen aktivierte sein Interkom.
»Eleonore, kannst du Vopp ter Camperna ausfindig machen?«
»Er befindet sich unterhalb eines Abdrücksaals.«
»Unterhalb?«, riefen Creen und Atlan fast zeitgleich.
»Das ist nebensächlich. Das fremde Raumschiff dockt an der ATOSGO
an. Es hat eine Länge von 300 Metern, eine Breite von 60 Metern und eine
Spannweite von 500 Metern. Ich übertrage eine Holografie.«
Atlan blickte auf das Hologramm aus dem Interkom von Creen. Das
Raumschiff sah aus wie ein Vogel, genauer gesagt wie ein Adler. Es
erinnerte ihn entfernt an die Adlerraumschiffe der Dorgonen. Atlan hatte in
den Jahren 1325 bis 1330 einige Male Vertreter des dorgonischen
Sternenreiches aus M 100 getroffen und 1329 mit dem dorgonischen Kaiser
Falcus viele Flaschen Wein vertilgt, als sie über die Ähnlichkeiten zwischen
dem Römischen Reich auf der Erde und ihrer Kultur philosophiert hatten.
Damals war Atlan zu Besuch in der mehr als vierzig Millionen Lichtjahre
entfernten Galaxis gewesen, hatte die Welten Dorgon mit der riesigen Stadt
Dom, Hesophia, Mesoph und Jerrat besucht. Das Verhältnis zwischen
Dorgonen und Galaktikern war zu jener Zeit noch angespannt gewesen,
auch wenn der Friedensschluss zu dem Zeitpunkt schon zwanzig Jahre her
gewesen war. Gemeinsam mit Wissenschaftlern hatte Atlan versucht,
Kontakt nach Cartwheel herzustellen. Vergeblich, denn die Harmonie von
DORGON hatte keine Besucher geduldet. Doch der Kontakt zu den
Dorgonen war mit Beginn der Hyperimpedanz abgebrochen und damit auch
endgültig zu Cartwheel, das mehr als 500 Millionen Lichtjahre von der
Milchstraße entfernt lag.
»Drei cairanische Raumschiffe materialisieren nun auch im System«,
meldete Eleonore.
»Sehr ihr, ja? Ich sagte, es ist eine Frage der Zeit«, sprach der
sternwestliche Konsulatssekretär und faltete alle vier Hände ineinander.
»Sie sind angekommen«, sagte Wulfar. Ihm lief ein kalter Schauer über den
Rücken. Sie verließen den Markt und zückten ihr Portarmin. Es zeigte den
Standort der ROVERSTJERNER an.
Der Boden zitterte, als die ROVERSTJERNER offenbar unsanft an der
Außenhülle andockte. So musste es sein.
Wulfar konnte sich die Anspannung, die Wut, die Wallung und den
Kriegsrausch vorstellen, den seine Kameraden auf seinem Raumschiff in
sich trugen. Sie mussten einfach das Schiff rammen und in den kalten Stahl
ein Loch schweißen, um an Bord zu gelangen. Die ATOSGO musste
geentert und nicht einfach nur besucht werden.
Die Passagiere wurden unruhiger, einige liefen ihnen in Panik entgegen.
Otnand schlug einem Rudyner einfach die Faust ins Gesicht, als er
vorbeirannte. Rasha lachte laut auf. Sie kamen in Fahrt. Die Prügelei im
Markt war nur das Warm-up gewesen.
Sie mussten noch etwa dreihundert Meter hoch auf die 35. Etage. Wulfar
sprang in den Antigravschacht und zog sich an den Wandhaltern hoch, um
mehr Schwung zu bekommen. Er wollte keine Sekunde verpassen und
konnte es nicht mehr erwarten, mit Bryntroll vereint zu sein.
Constance schritt durch die Korridore, ohne genau zu wissen, wo ihr
eigentliches Ziel lag. Die CASSIOPEIA befand sich im Hangar, der
dutzende Etagen weiter tiefer lag. Sie bewegte sich jedoch in die
entgegengesetzte Richtung. Sie blieb stehen; drei Jülziish gingen an ihr
vorbei und unterhielten sich ziemlich schrill.
Sie befand sich irgendwo im Nirgendwo des Raumschiffes. Wo sollte sie
nur hin? Plötzlich fing sie an zu zittern, das Atmen fiel ihr schwer, ihr
wurde heiß und kalt. Wo war sie nur? Wann war sie? Sie blickte nach links
und rechts. Nur Flure und Türen. Sie war verloren, ganz allein so wie in
der Tiefe des Chaos.
Die Tiefe des Chaos nahm ihre Energie, nahm ihr Leben, stahl ihr ihre
Erinnerungen, wenn sie nicht aufpasste. Die Tiefe des Chaos war wie diese
Korridore. Endlos mit vielen Türen, doch sie wusste nicht, welche sie
nehmen sollte, um ihr zu entkommen. Sie lehnte sich gegen die Wand und
sank langsam runter, bis sie mit angewinkelten Beinen auf dem Boden saß
und den Kopf zwischen den Beinen vergrub. Sie war plötzlich so müde und
so ratlos. Sie wollte gegen diesen Schub nicht mal ankämpfen.
Das Zeitchaos näherte sich, und mit jeder Minute wurde es doch sinnloser,
dagegen anzukämpfen. Warum war sie überhaupt noch hier? War es
Gewohnheit, Verpflichtung? Wofür das alles?
Wo waren die denn alle, jene, die ihr helfen sollten?
Die ganze Loge des Kosmos war weg. Wo war nur Aurec, der ach so edle
Saggittone? Und wo war überhaupt Perry Rhodan? Sie sollten ihn retten,
und er war nicht mal hier. Das war doch einfach nur doof.
Und Cauthon… Sie seufzte, musste sich das Schluchzen zurück halten.
Cauthon war doch schon lange tot. Er hatte sie genauso im Stich gelassen
wie ihre Schwestern, die Lilim und die Entropen.
Constance konnte sich diesen plötzlichen Anfall an Melancholie gar nicht
erklären, doch sie war geradezu lähmend.
Wenn Speedy Handrej jetzt vor ihr stehen und sie fragen würde, ob sie es
jetzt treiben wollten, sie würde ja sagen. Wieso denn auch nicht? Noch
einmal lieben, bevor es zu Ende ging.
»Hey Bunny, bist du müde? Wie wäre es, wenn ich dich wieder in
Schwung bringe?«
Sie blickte hoch. Breitbeinig stand Speedy Handrej vor ihr und grinste
dümmlich.
Schlagartig war sie wieder hellwach und schrie »Nein!«. Sie raffte sich
auf und stand auf.
Nein, was hatte sie da nur gedacht? Mit diesem Vollidioten doch nicht.
Niemals!
»Ich muss weg hier«, sagte sie und ging weiter.
Speedy folgte ihr.
ENGUYN meldete sich über ihr Multikom.
Ein Raumschiff der Takhal Gud Looter steuert die ATOSGO an. Es wird
das Schiff entern.
Constance blieb stehen. Die Takhal Gud Looter! Sie hatte von ihnen
gehört. Das bedeutete nichts Gutes.
Ich bemerkte, mit welchem Erstaunen Atlan das fremde Raumschiff auf
dem Hologramm betrachtete. Es war so, als würde er die Form
wiedererkennen oder zumindest einer Erinnerung zuordnen können.
Ich deaktivierte mein Multikom.
»Was tun wir jetzt? Sprengen wir uns durch die Tür?«
»Hast du genug Sprengstoff griffbereit?«, lautete Atlans Gegenfrage.
Ich verwünschte diesen Arkoniden langsam, der behauptete, er sei mehr
als 13.000 Jahre alt. Oder sogar 25.000 Jahre? Da blickte doch keiner mehr
durch.
»Ich denke, hier werden die nicht mehr viel Schaden anrichten.«
Atlan schmunzelte.
»Kulag Milton, du bist machtlos und sogar bedeutungslos geworden. Du
bist so unwichtig, dass ich dich sogar außer Acht lassen kann. Du stellst
keine Gefahr mehr dar«, sagte Atlan.
Milton erhob sich.
»Du dumme Sau, das werden wir sehen!«
Er griff sein Interkom und rief ENGUYN auf der CASSIOPEIA.
»Ja, verehrter Geldgeber meines Projektes. Was ist dein Begehr?«
Die Positronik klang zynisch.
»Ich befehle dir, sofort die Kontrolle über die ATOSGO zu übernehmen.
Entsende auf der Stelle all deine Kampfroboter und töte Atlan, hörst du?«
Milton lachte nun und hob die Augenbrauen.
»Na, Pisser, wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
»Negativ, Sir! Im Angesicht der bevorstehenden Ereignisse danke ich dir
für den Bau der CASSIOPEIA und rate dir, dich friedlich zu verhalten und
dich an Bord der CASSIOPEIA zu begeben. Ich unterstütze keine
kriegerischen Aktionen gegen Zellaktivatorträger und versage dir jegliche
Befehlsgewalt über mich. Einzig Mitgliedern der Kosmogenen Loge und
Kosmogene Chronikträger sind mir gegenüber befehlsberechtigt. Sofern du
die anwesende Chronikträgerin auf der ATOSGO überzeugen kannst, reden
wir weiter. Bis dahin rate ich dir, den Schutz der CASSIOPEIA in Anspruch
zu nehmen.«
Milton wurde bleich. Wütend schleuderte er das Interkom auf den Boden.
»Jetzt zeig mal etwas Würde im Angesicht der Niederlage«, riet Sagreta
da Maag kühl und stand auf.
Sie zupfte sich ihr rotes Kleid zurecht.
»Was soll ich?«, brüllte er und blickte sie an. »Du alte Hure steckst doch
genauso mit drin. Du hast Myka erschossen. Wir haben verloren. Es ist aus.
Alles aus.«
Die letzten Worte schrie er und riss die Arme hoch. Sein Kopf lief knallrot
an.
»Dann sei ein Mann und erschieß die beiden. Aber du Schlappschwanz
kriegst ja nur einen hoch, wenn du ihn in die Spalte einer jungen Sekretärin
schieben kannst.«
Milton holte aus und verpasste Sagreta eine klatschende Backpfeife. Sie
schrie und taumelte seitlich auf die Couch.
»Aber, Kulag. Was soll denn das? Es war doch niemals vereinbart, die
Leute zu erschießen. Wir wollten die Liga doch friedlich erobern«, sagte
Yeremiah Cloudsky verwundert und kam näher. Er streckte die Arme in die
Luft. »Bis an die Grenzen der Milchstraße. The Sky is the Limit.«
»Halt deine Fresse, du gehirnamputierte Witzfigur! Glaubst du wirklich,
du hättest es zu etwas gebracht in meiner Liga? Dich kleines Würstchen
hätte ich als erstes in den nächsten Äther ausgeschissen.«
»Aber… ich verstehe nicht. Wieso bist du plötzlich so gemein?«
»Weil es aus ist. Wir haben verloren. Muss ich mich wiederholen, du
Volltrottel?«
Milton stapfte wie ein wütender Gorilla auf und ab, doch er war harmlos.
Ohne die Technologie von Vopp ter Camperna und der CASSIOPEIA und
ohne die Entschlossenheit von Hunter war er nichts.
Ragana ter Camperna saß still auf ihrer Couch. Cloudsky setzte sich zu ihr
und fing an, hemmungslos zu weinen. Er blickte verzweifelt hoch.
»Aber… was soll denn nun werden? Herr Aslan, du bist doch nicht
nachtragend?«
»Und wie ich das bin«, antwortete Atlan eisig.
Ich blickte zu dem goldenen Cairaner, der sich nun erhob. Er faltete die
vier Handpaare ineinander.
»Kulag Milton, du vergisst, dass drei cairanische Raumschiffe
angekommen sind, ja? Doch dein Wutausbruch zeigt mir, dass du gänzlich
ungeeignet für das Amt des Terranischen Residenten bist. Nach unserer
Befreiung werde ich Ragana ter Camperna die Kontrolle über die Liga
Freier Galaktiker übergeben, ja? Sie erscheint mir reif und ausgeglichen
genug dafür zu sein.«
»Ich danke dir, sternwestlicher Konsulatssekretär«, erwiderte Ragana und
drehte ihren Schnauzer.
»Das kannst du nicht machen. Ich bin hier der Big Boss, der große
Zampano, der Big Daddy!«
Milton wurde nun noch wütender und stampfte zu dem goldenen Cairaner,
der ruhig blieb und zu Kulag hinauf sah. Derzeigte mit dem Finger auf ihn
und drohte: »Das wirst du noch bereuen.«
Atlan feuerte in die Luft und sofort kehrte Stille ein.
»Eure Komödie ist zu Ende. Bleibt hier oder folgt dem Rat von
ENGUYN. Stört uns jedenfalls nicht«, entschied Atlan. »Und Herr
sternwestlicher Konsulatssekretär: Wir zwei sollten reden.«
Ich verließ den großen Saal und begab mich auf die Suche nach Jevran
Wigth. Ich hatte versprochen, ihn zu befreien. Hunter hatte sich aus dem
Staub gemacht, aber das war zu erwarten gewesen.
Die vier Frauen im Foyer unterbrachen ihr lautes Gerede, als ich an ihnen
vorbei ging. Sie musterten mich abfällig. Das war nichts Ungewöhnliches,
denn schon als Rhodanjäger war ich in ihren Augen ein Freak gewesen.
Daran hatte sich nichts geändert, nachdem ich die Seiten gewechselt hatte.
Noch immer war es für mich schwer, diese Tatsache zu realisieren.
Sechszehn Jahre lang hatte ich Anhänger des Glaubens an Terra und Perry
Rhodan gejagt und nun half ich ihnen. Vielleicht war es nur die
Gewohnheit, die mir dieses unbehagliche Gefühl verlieh, denn im Herzen
war ich nie ein Rhodanjäger gewesen. Es war ein Job für mich gewesen,
und ich hatte in einem Umfeld gelebt, dass ich verachtet und das mich
genauso verachtet hatte.
Ich erreichte eine Tür mit einem Sicherheitsschloss. Im Gegensatz zur
Zentrale war diese nur einfach gesichert, so dass ich das Schloss mit einem
EMP-Impuls aus meinem Strahler öffnete. Jevran Wigth blickte mich mit
großen Augen an.
»Du bist frei, aber das bedeutet nicht, dass du gerettet bist«, sagte ich.
Er nahm seine Jacke und verließ die Kabine.
»Das bedeutet?«
»Fremde kapern die ATOSGO, drei cairanische Augenraumer halten auf
uns zu, und eine Temporale Anomalie breitet sich aus.«
»Und ich dachte, es würde schlimm um uns stehen.«
Immerhin behielt der Rhodanmystiker seinen Humor.
»Hey Bunny, wo willst du denn hin?«
Constance Beccash blieb stehen und drehte sich um. Sie blickte in die
braunen Augen des terranischen Sales-Managers Speedy Handrej, der sie
mit einem verschmitzten Lächeln ansah. Der schlaksige Terraner oder
Rudyner, wie es ja neuerdings nur noch hieß, weil man allgemein die
Existenz von Terra anzweifelte, hatte nur eins im Sinn. Sie auszuziehen,
abzuknutschen und durchzunehmen. Auf all das hatte sie keine Lust und
schon gar nicht mit dieser Hohlbirne, die sie einfach nicht loswurde.
»Was ist denn?«
Er kam näher, zu nah.
»Wie wäre es, wenn wir mega nice etwas Essen gehen und du danach
meine Rakete putzt, hm, Bunny?«
»Das dürfte eher ein Fehlstart werden. Ist dir nicht aufgefallen, dass etwas
vor sich geht an Bord der ATOSGO?«
Er sah sich um.
»Tatsächlich nicht. Ich weiß nur, dass meine Rakete steigt und steigt.«
Sie blickte kurz zwischen seine Beine und verwünschte sich dafür. Die
überhastete Rückkehr von Milton, ter Camperna und Cloudsky vor fast
einer Stunde ließ sie vermuten, dass Atlan, Bull und Gucky wieder die
Kontrolle über die Solare Residenz hatten. Die Sirenen des Schiffs heulten
unablässig, und sie verwünschte Topp ter Camperna für seinen Partyalarm.
Dann ein kurzes Beben. Die Dinge kamen in Bewegung.
»Party, Party, Party, mein kleines Bunny, sei doch auch mal funny
Speedy wirkte glückselig mit seinem großen Krug Schnaps in der Hand
und grinste selbstsicher.
»Tatsächlich bist du mega nice, Bunny. Ich weiß ja, dass du die
Unnahbare spielst, aber meine Rakete ist startbereit. Whoop, whoop!«
Er lachte und rieb sich für eine Sekunde an Constance, die ihn
wegschubste. Bevor sie etwas erwidern konnte, hörte sie Lärm vom Ende
des Korridors. Es war, als würde Stahl zerbersten. Es folgte ein Poltern. Sie
wollte hin gehen, doch Speedy hielt sie am Arm fest.
»Bunny, lass gut sein. Gehen wir besser
Er drehte sich um und wäre beinahe in die Meinungsmacherin Rasha
gelaufen.
»Hola, Birdy«, sagte er grinsend. »Möchtest du Party machen?«
Rasha griff Handrej in den Schritt. Der juchzte ganz vergnügt.
»Mega… gehst echt ran tatsächlich… nice, weiter…«
Dann schrie er auf, denn Rasha drückte zu. Schreiend zappelte er auf der
Stelle. Rasha ließ los und trat ihn mit voller Wucht ins Gemächt.
Wimmernd sank Speedy auf die Knie. Rasha versetzte ihm einen Tritt ins
Gesicht. Blut spritzte, und er fiel auf die Seite und weinte leise.
Constance wollte sich entfernen, doch als sie sich umdrehte, standen drei
martialische gekleidete Menschen vor ihr. Sie wusste sofort, dass es Takhal
Gud Looter waren.
Kapitel 7 – Die Takhal Gud Looter
Der Mann in der Mitte hatte kaum noch Haare und einen kurzen,
stoppeligen Bart. Er trug dicken schwarzen Lidschatten und schwarze
Augenringe. Auf seiner Stirn war ein Stern tätowiert. Sein kurzärmeliges
Oberteil war hellgrau, die Hose und Stiefel waren braun. Ein schwarzer
Waffengurt war x-förmig über Brust und Rücken gespannt, und eine Art
bordeauxroter Umhang hing über den Rücken und ging ihm bis zum
Hintern.
Er lachte schrill.
An den Armen erkannte Constance weitere linienförmige Tätowierungen.
Die kleinen, braunen Augen des Mannes hielten sie fest im Blick.
Schelmisch kicherte er. Constance sah die beiden Äxte in seinen Händen.
Die eine hatte eine schwarze, beidseitige Klinge, und der Stil war in einem
dunklen Rot mit goldenen Symbolen. Die andere wirkte dagegen recht
schlicht.
Neben dem etwa 1,75 Meter großen Mann stand eine Frau, ebenfalls
Mensch, hätte Terranerin, Dorgonin oder eine Lilim sein können. Sie war
nur 1,63 Meter groß, hatte volles, gestyltes orangefarbenes Haar, grüne,
durchdringende Augen und ein ästhetisches Gesicht. Sie trug einen
silbergrauen Body und an der Taille einen breiten, schwarzen Gürtel. Arme
und Beine waren voller Tätowierungen, die wie Mandalas und Runen
aussahen, aber auch das Abbild eines Adlersauf der linken Schulter, der
einen Planeten in seinen Klauen hielt, .
Sie hielt ein silbernes Schwert in der Hand. An ihrem Waffengurt
baumelte ein Energiestrahler.
Der Dritte war ein gedrungener Kerl mit grüner Haut und einer Größe von
1,50 Meter. Er trug ein gewundenes Horn auf der Stirn und eine grobe
Metallaxt in den Pranken.
Der erste zog die schwarze Axt mit dem roten Stil. Constance atmete tief
durch, war bereit, sich in einen Sukkubus zu verwandeln, um eine Chance
gegen die drei zu haben. Doch der Takhal ging einfach an ihr vorbei, hielt
die Axt in die Höhe und lachte. Constance drehte sich um.
»Bryntroll«, rief Wulfar, und es schwang Erleichterung in seinen Worten
mit.
Er nahm die Axt von dem Takhal, wedelte mit ihr von links nach rechts.
Er sah zu den wimmernden Speedy Handrej, der sich gerade erst wieder
aufgesetzt hatte und verständnislos zu Wulfar blickte.
»Ich verstehe das nicht, Mann. Lass uns doch Bros sein.«
Wulfar holte aus, doch das Schwert der kleinen Amazone mit den
orangefarbigen Haaren war plötzlich dazwischen. Stahl schlug auf Stahl.
Sie drückte Wulfars Arm zur Seite.
»Freust du dich mehr über deine Axt als über deine Ehefrau?«
Wulfar grinste und sagte: »Quirina, Teuerste, ich besteige dich noch früh
genug.«
Sie spuckte ihm ins Gesicht.
»Mehr Respekt, Ehemann!«
Sie zog ihr Schwert zurück, legte die Klinge an die Kehle des Rudyners
und wanderte um ihn herum.
»Wer ist diese Weltraummade?«
»Ja, wer ist das kleine Würmchen. Freund von dir, Wulfar? Lustsklave
von dir, Rasha?«
Der Terraner mit den wenigen Haaren blickte herausfordernd zur
Dunkelhaarigen und lachte dreimal kurz.
»Nein, Fastrad, sein Würmchen wühlt nicht tief genug. Kannst ihn haben,
wenn du willst.«
Fastrad nahm die andere Axt und streichelte mit seiner freien Hand über
Handrejs Kopf.
»Ist der irgendwie von Wert?«, wollte der Takhal wissen.
»Nein«, sagte Rasha verächtlich.
Fastrad zuckte mit den Schultern und schlug die Axt in den Schädel von
Speedy Handrej. Der zuckte kurz, die Augen rollten hoch, der Mund öffnete
sich und die Zunge kam heraus.
Constance begriff nun, dass diese Rasha und ihre beiden Begleiter Wulfar
und Otnand Takhal Gud Looter waren. Es waren Spione! Deren
Trägerschiff war nicht zufällig hier aufgetaucht.
Handrej war tot und fiel zur Seite. Constance bedauerte den Tod des
Rudyners. Er war ein Idiot gewesen, doch den Tod hatte er nicht verdient.
Diese Quirina zeigte mit ihrem Schwert auf Constance.
»Was ist mit der da?«
Otnand winkte ab.
»Irgendeine debile Muschi für das Würmchen.«
»Constance Beccash, richtig? Was für ein dummer Name.«
Rasha wirkte angewidert. Gut, damit konnte Constance leben und lachte
so dümmlich, wie sie konnte.
»Ich muss dann mal gehen.«
Sie drehte sich um, doch dieser Gehörnte stand vor ihr und grunzte
unfreundlich.
»Nicht doch, Kameraden. Wisst ihr nicht, wer das ist?«, fragte Fastrad und
stellte sich vor Constance, die nur seufzte und vermutete, dass jetzt wieder
eine Beleidigung folgte.
»Constance Beccash. Constance Zaryah Beccash.«
Jetzt war sie überrascht.
»In den Aufzeichnungen des Rhetoricum Scientia wurde eine
verräterische Hexe namens Constance Zaryah Beccash erwähnt, die dem
edlen Kaiser Volcus mit ihren straffen, vollen Brüsten und ihren endlosen,
langen Beinen nachstellte. Sie war vor mehr als siebenhundert Jahren eine
Feindin des Sternenreiches Dorgon, eine Feindin des Quarterium gewesen
und hat auch die Loyalität des Silbernen Ritters Cauthon Despair gebrochen
und ihn verführt.«
»So eine Dreckshure«, sagte Otnand und lachte heiser. »Die Titten sind
aber immer noch straff und die Beine lang.«
Wulfar hielt die Axt in ihre Richtung.
»Stimmt das?«
»Naja, ich habe Volcus nie verführt. Ich fand ihn ziemlich eklig, und er
stellte mir nach. Aber ich bin die Lilim Constance Zaryah Beccash. Und ihr
seid nichts weiter als feige Mörder
Wulfar lachte und machte eine Verbeugung.
»Wir sind Takhal Gud Looter. Wir sind die Sternenräuber, seit
Jahrhunderten eine gefürchtete Plage von Dorgon.«
»Wir können später spottstreiten«, warf Quirina ein.
»Vielleicht auch nicht. Der Kosmotarchax beginnt.«
Fastrad kicherte traurig.
»In einigen Stunden könnten wir nicht mehr sein oder nicht wissen, wer,
wann und wo wir sind. Vor allem wann wird schwierig.«
Wulfar nickte Otnand zu. Dieser kramte ein pyramidenförmiges Artefakt
aus seinem Rucksack. Constance erkannte die Kosmogene Chronik sofort.
Fastrad kicherte verzückt.
»Wo habt ihr die gefunden?«
Er streckte die Arme aus, und zögerlich überreichte Otnand die dreißig
Zentimeter lange Datenbank.
»Sie war am Fuße der Solaren Residenz«, erklärte Otnand.
Fastrad nickte.
»Oh, dann waren die Recherchen doch richtig, und dieser Landry hatte sie
dort versteckt.«
Woher wussten die Takhal Gud Looter so viel über die Kosmogenen
Chroniken und ihre Träger? Stewart Landry, einst TLD-Agent, war Träger
einer solchen Wissensdatenbank gewesen, doch er war bereits vor 200
Jahren gestorben, und der Standort des Verstecks war ihr verborgen
geblieben. Sie hatte gehofft, dass Aurec oder Anubis mehr gewusst hatten.
War das schon 200 Jahre her? Die Zeit verging im Flug. Vielleicht hatte sie
es auch gewusst, aber im Schleier der Lethe vergessen.
Constance betrachtete die kleine weiße Pyramide. So lange hatten sie sich
um diese und die anderen Chroniken gesorgt, sie versteckt und aufbewahrt.
Jetzt war sie in der Hand von intergalaktischen Piraten und Plünderern.
»Ihr werdet damit nichts anfangen können«, sagte sie schließlich. »Sie
schützen zwar vor einer Temporalen Anomalie, doch ihr könnt sie nur in
Kombination mit einer Cagehall nutzen.«
Wulfar stützte sich mit seinem Arm an der Wand hinter ihr ab und kam ihr
viel zu nahe, so dass sie seinen Alkohol geschwängerten Atem roch.
»Wer sagt dir, schöne Hexe, dass wir nicht im Besitz einer Cagehall
sind?«
Constance war aufrichtig irritiert.
»Lauer, fessle sie«, befahl Wulfar dem Gehörnten. Wulfar war offenbar
eine Art Befehlshaber. Dann wandte er sich wieder an Fastrad. »Status?«
Der Takhal kicherte wieder so seltsam, während Quirina Constance einen
Strahler an den Hals drückte: »Wir kennen die Fähigkeiten der Lilim.
Wende sie nicht an.«
Constance blieb ruhig.
Fastrad kratzte sich am Hinterkopf und sagte: »Temporale Anomalien sind
in den letzten Stunden überall in der Milchstraße aufgetaucht. Eine davon
hat das Alpha Centauri System erreicht. Kurush ist überzeugt, der
Kosmotarchax hat begonnen.«
Wulfar blickte die anderen ehrfürchtig an. Dann nickte er, so als wollte er
die Worte von Fastrad sich selbst gegenüber bestätigen.
»Befehle von den Takas?«
Fastrad kicherte glucksend.
»Zurück auf die ROVERSTJERNER.«
»Nein«, schrie Rasha. »Die haben noch eine zweite Kosmogene Chronik
hier
Fastrad starrte sie erstaunt an.
»Nun, dann… Kommandant Wulfar, wir stehen zu Diensten.«
Dieser legte die Hand auf die Schulter des Takhal.
»Rufe die anderen. Wir stellen uns diesen galaktischen, verweichlichten
Pissern mal richtig vor
Wulfars Blut brannte. Das Herz pochte stark, als ob es aus seiner Brust
schießen würde. Er dachte an die Schmerzen aus seiner Ausbildung, zu
jener Zeit, als er mit einem Pflock im Rücken kämpfen musste, schlafen
musste, jede Bewegung schmerzte, die Sepsis sich ausbreitete und ihn zu
töten drohte – bis die Aufgabe erfüllt war und er behandelt wurde.
Jene Schmerzen, Angst und Wut hatte er für sein Leben gespeichert. Der
Höllenpilz aktivierte die Synapsen, die Erinnerungen schnellten hoch, und
sein Körper reagierte mit einem Adrenalinschub darauf.
Sie erreichten die 25. Etage dem Kommandozentrum. Seine Hand
umklammerte fest den Stil von Bryntroll. Er blickte nicht zur Seite und
spürte dennoch die Anwesenheit seines Weibes Quirina, die ebenso eine
Gewalt im Bett wie auf dem Schlachtfeld war. Hinter ihm Rasha, Otnand,
Fastrad und Lauer.
Vor ihnen sah er nur trostlose Gestalten. Ein Haufen Waschweiber
verschiedener Rassen. Eine Imarterin, die sie grimmig anblickte, eine
quängelnde Blues, eine kräftige Rudynerin mit Sommersprossen und eine
unförmige Arkonidin mit vielen Schals. Diese trat an sie ran, sie stank billig
und alt.
»Was…«
Die Frau erkannte die Waffen und schrie auf. Quirina griff ihre Schals und
zog daran. Die Arkonidin röchelte. Wulfar fiel ihr Name wieder ein: Es war
Bismaria da Enta, die Assistentin der Geschäftsleitung. Quirina war viel zu
nett, sie lockerte den Griff. Die anderen drei Weiber wichen zurück. Die
kräftige Sommersprosse flennte und versteckte sich hinter dem Tisch. Als
ob ihr das weiterhelfen würde.
»Wo ist der Cairaner?«, wollte Wulfar wissen.
»Hinten«, sagte die Imarterin knapp.
Wulfar ging in den hinteren Bereich, und die anderen folgten ihm. Wo der
Cairaner war, befand sich auch die Kosmogene Chronik. Sie erreichten
einen prunkvollen Saal, in dem sich Ragana ter Camperna, Kulag Milton,
Sagreta da Maag, Yeremiah Cloudsky und der Cairaner Roch Miravedse
befanden.
»Was soll der Scheiß jetzt? Ihr dummen Hurensöhne habt hier nichts
verloren! Ich will eure Kackfressen nicht sehen. Wo seid ihr gewesen, als
ich euch gebraucht habe, ihr Arschrosetten?«, schrie Milton sie an.
Wulfar ignorierte ihn. Es zählte nur die Kosmogene Chronik. Er stellte
sich vor das goldene Wesen, das aufstand und mit seinen innerem Handpaar
spielte. Es roch rauchig.
»Wo ist das Artefakt?«, wollte Wulfar wissen.
»Das hat dich nicht zu interessieren, Galaktiker. Verlasse sofort diesen
Saal, oder…«
Wulfar legte die Axt auf die Brust des Cairaners.
»Wo?«
Er hatte keine Zeit, die Spielchen des Cairaners mitzuspielen.
»Dein Auftreten ist unhöflich und naiv, ja? Meine cairanisch…«
Weiter kam Miravedse nicht. Wulfar rammte ihm die Axt zwischen die
Augen. Der Cairaner stammelte unverständliche Worte und fiel nach hinten.
Sagreta da Maag schrie auf.
»Barbaren«, rief sie.
Wulfar zielte mit Bryntroll auf die feine Arkonidin.
»Wo?«
Sie zuckte zusammen.
»Dieser Kopfgeldjäger hat sie genommen«, antwortete sie mit zitternder
Stimme.
»Nathaniel Creen«, stellte Rasha fest. »Ich weiß, wo sein Raumschiff ist.«
»Endlich«, meinte Atlan zu sich selbst, als sich die Tür zur Zentrale öffnete.
Dann hörte er hinter sich Krach. Hastig betrat er in die Zentrale und
verschloss die Tür. Durch die Schutztür konnte er keine Schritte oder
Stimmen vernehmen, doch der Sicherheitscode des leitenden Ingenieurs
verschaffte ihm Zugriff auf die Überwachungskameras.
»Da brat mir einer einen Storch«, murmelte er.
Rasha, Wulfar, Otnand und drei Fremde betraten bewaffnet den großen
Saal und forderten das Artefakt, das sie als Kosmogene Chronik
bezeichneten. Dann erschlug Wulfar den sternwestlichen Konsulatssekretär.
Die wirkten nicht mehr wie dekadente Meinungsmacher oder Partygänger.
Atlan nahm Kontakt mit Creen auf.
»Wo bis du?«, wollte er wissen.
»Mit Jevran Wigth auf dem Weg zur NOVA.«
Atlan analysierte die Situation. An der Außenhülle der ATOSGO war ein
adlerförmiges Raumschiff angedockt. Dessen Crewmitglieder waren
offenbar die Begleiter der vermeintlichen Meinungsmacher, die also zur
Crew der Fremden gehörten. Das Mutterraumschiff hing nur 117.000
Kilometer entfernt im Raum. Es hatte die Form eines Kegels mit einer Höhe
von 3.000 Metern, einen Radius von 1.000 Metern und eine Mantellinie von
3.162 Metern.
In einer Entfernung von etwa 300.000 Kilometern näherten sich drei
Augenraumer der Cairaner. Die Fernortung zeigten die baldige Ankunft von
dreißig Liga-Raumschiffen an, darunter die THORA.
Doch das ganze System war inzwischen in eine Temporale Anomalie
gehüllt, die sich immer mehr ausbreitete.
Atlan hörte, dass der Name von Creen im Saal fiel.
»Du wirst vermutlich Besuch bekommen.«
Die Fremden machten an einer Suite Halt, öffneten sie und zerrten eine
brünette Frau heraus. Es war Constance Beccash, die Assistentin von
Yeremiah Cloudsky. Wieso hielten sie sie gefangen?
Kümmere dich um die dringendsten Probleme, mahnte sein Extrasinn.
Atlan suchte nach den laufenden Anwendungen. Die Positronik reagierte
nicht auf akustische Befehle, da sie nur die Stimmen der Familie ter
Camperna akzeptiere. Also musste Atlan regelmäßig den Sicherheitscode
von Theofyr Sobrasky eingeben, um eine Ebene weiter zu gelangen.
Atlan warf einen Blick auf die Andockstelle des fremden Raumschiffes.
Dutzende Krieger stürmten nun heraus und rannten die Korridore entlang.
»Creen, es wird zu Kampfhandlungen kommen.«
Endlich hatte er das Sicherheitsmenü gefunden und wählte den Eintrag
»Para-Abwehr«. Er tippte auf das Käfigsymbol, unter dem »Para-Fallen«
stand. Nun war er noch einen Klick entfernt, um »deaktivieren«
einzuschalten, doch da glitt die Tür hinter ihm auf und jemand stürzte sich
mit einem lauten »Huia« auf ihn.
Ich erreichte mit Jevran Wigth das Foyer. Nun mussten wir hindurch, um
den Hangar zu erreichen. Ich war wegen Atlans Warnung angespannt. Die
Funkverbindung war abgebrochen. Polly Kallos lief auf mich zu.
»Hast du Hunter gesehen?«
»Ist das ein Witz? Der Typ will mich töten.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was? Wieso denn?«
Sie hielt mich am Arm fest.
»Rede mit mir. Warum antworten die da oben nicht mehr?«
Sie zeigte nach oben und meinte damit wohl die 25. Etage. Ich blickte in
die Höhe, sah mir die Glasfronten der einzelnen Etagen an und betrachtete
den transparenten Lift, der nach unten fuhr. Sieben Personen befanden sich
darin, sechs davon waren bewaffnet.
Ich erkannte Rasha, Wulfar und Otnand sowie diese Assistentin von
Cloudsky, die als einzige keine Waffen trug. Die anderen drei hatte ich nie
gesehen. Sie gehörten zum fremden Raumschiff.
Ich packte Polly.
»Versteck dich irgendwo, na los, verschwinde.«
Ich schubste sie weg. Sie starrte mich verständnislos an.
Der Lift erreichte die untere Ebene, ich zog die Waffe, und hinter mir
explodierte plötzlich etwas. Geschreie, Schüsse. Ich schnellte herum. Eine
Gruppe Fremder stürmte aus der Rauchschwade hervor, schoss wild um
sich und brüllte. Dutzende der Passagiere rannten um ihr Leben. Die
Angreifer waren vornehmlich Menschen, aber auch breite grüne Wesen mit
einem Horn auf dem Glatzkopf. Einer von ihnen sprang auf eine Frau und
schlug immer wieder mit der Axt auf sie ein.
Ich suchte hinter dem runden Informationstresen Deckung. Jevran kroch
auf allen Vieren zu mir.
»Wer sind die?«, wollte er wissen.
»Vermutlich Besucher von dem fremden Schiff.«
»Welches Schiff?«
Ich winkte ab.
»Keine Zeit für Erklärungen. Wir müssen zur NOVA.«
Mit einem Dagorgriff lag Kulag Milton am Boden und ächzte. Atlan hätte
in diesem Moment das Leben dieses Revolutionärs einfach beenden
können, doch er hielt inne. Es war nicht seine Art, wehrlose Wesen
umzubringen, selbst wenn sie seine Feinde waren.
Sagreta da Maag kam herein, Yeremiah Cloudsky folgte ihr. Beide halfen
Kulag Milton hoch.
Atlan blickte sie fragend an. Nein, es war ein herausfordernder Blick, der
ihnen sagen sollte, dass sie schnell verschwinden sollten.
Da Maag und Cloudsky verstanden und führten Milton raus. Atlan wandte
sich wieder der Konsole zu und schaltete die Parafallen ab. Sofort aktivierte
er sein Interkom.
»Gucky, du kannst herkommen.«
Und schon machte es Plopp neben dem Arkoniden. Er hatte nichts anderes
erwartet.
»Bully versucht die Cairaner hinzuhalten. Sie erhalten offenbar keine
Antwort von diesem Sekretär«, berichtete Gucky.
»Er ist tot«, erwiderte Atlan nüchtern.
»Och nö, konntest du dich nicht beherrschen?«
Atlan winkte ab und fühlte sich nicht einmal beleidigt.
»Diese Fremden haben ihn erschlagen. Sie sind auf der Suche nach einer
Kosmogenen Chronik, dieses pyramidenförmige Artefakt.«
»Ich spüre viel Angst und lese in den Gedanken der Passagiere, dass sie
angegriffen werden.«
Atlan aktivierte die Überwachungskameras im großen Foyer. Er atmete
tief durch. Dort unten fand ein Massaker statt.
»Kosmotarchax«, rief Wulfar und stürmte voran.
Ein ihm völlig unbekannter Mann mit langem Bart stand ihm im Weg, und
er spaltete ihm mit Bryntroll den Schädel. Es war so berauschend, so
wohltuend. Er lachte und blickte verliebt zu Quirina. Seine Gemahlin
packte eine Frau mit dunklem Haar. Wulfar identifizierte sie als Polly
Callos, die Rezeptionistin. Quirina schlug der Rudynerin ins Gesicht, diese
taumelte nach hinten und schrie auf, als das Horn von Lauer sich durch ihre
Brust bohrte. Der Dscherro rannte mit ihr voran gegen einen Tisch, dann
schob er sie von seinem Horn, riss die Arme hoch und rief »Koscha!«
Otnand hob seine Axt und brüllte »Koscha, Kosmotarchax!«
Wulfar sah zum runden Tresen. Dahinter versteckte sich dieser feige
Kopfgeldjäger. Er blickte sich um. Diese Galaktiker waren Schlachtvieh,
denn sie schrien nur und wehrten sich nicht. Er verachtete ihr Wimmern und
weibisches Gekreische. Sie rannten wie aufgeschreckte Hühner
durcheinander und flehten geradezu nach dem Todeshieb oder dem finalen
Schuss.
Doch dieser Kopfgeldjäger, der war anders. Wulfar wusste, dass Creen
etwas draufhatte, denn Rasha hatte ihn lang genug beobachtet. Deshalb
würde er selbst sich seiner annehmen.
Ich warf einen Blick um die Ecke. Wulfar und seine Kampfgefährten kamen
geradewegs auf uns zu. Ich würde keine Unterstützung bekommen. Jevran
war unbewaffnet, und die anderen Passagiere ließen sich einfach
abschlachten.
»Nathaniel«, meldete sich Eleonore. »ENGUYN insistiert, dass du
unbedingt Constance Beccash befreien musst. Sie ist eine Kosmogene
Chronikträgerin und daher von höchster Priorität.«
»Falls es sich einrichten lässt…«
»Komm raus aus deinem Versteck, Kopfgeldjäger«, rief Wulfar.
Ich erhob mich, bereit, sofort wieder in Deckung zu gehen, sollte jemand
auf mich feuern, doch irgendetwas sagte mir, es würde nicht geschehen.
Wulfar stand etwa zehn Meter vor mir und hielt eine schwarze beidseitige
Axt mit rotem Griff in der Hand.
»Übergib mir die Kosmogene Chronik, und ich schone dein Leben.«
»Hier ein anderer Vorschlag: du und deine Leute verschwindet von der
ATOSGO und ich lasse euch am Leben.«
Wulfar lachte.
»Du hast doch Eier in deiner Konserve. Bei Redhorse und Tolk – dann soll
es so sein! Der bessere Mann gewinnt! Koscha!«
Ich hatte auf mehr Einsicht gehofft, doch Wulfar stürmte bereits auf mich
zu. Ich zog den Strahler, doch schon wurde ich von der Seite von Wulfar
unter Beschuss genommen. Ich warf mich wieder auf den Boden. Wulfar
sprang über den Tresen und schlug nach mir, ich wich den Axthieben aus,
versetzte ihm einen Kick gegen die Beine und hatte nun die Oberhand-
Doch bevor ich auf ihn zielen konnte, stieß er mich weg. Jevran packte
Wulfar, der aber rannte nur nach hinten und donnerte ihn an die Kante des
Tresens.
Ich griff nach Wulfar. Wir rangen am Rand des Tresens, als plötzlich eine
gewaltige Detonation die ATOSGO erschütterte. Ich blickte nach oben und
sah Feuer an der Decke. Schutt und Asche prasselten herunter. Wulfar ließ
von mir ab und suchte auch Deckung.
Ich packte Jevran und drückte ihm das Artefakt in die Hand.
»Lauf zur NOVA.«
»Und du?«
»Ich versuche, diese Constance zu holen und komme nach.«
Die Fremden hatten sich wieder gesammelt, und ich lenkte das Feuer auf
mich. Ich rannte in die entgegengesetzte Richtung. Auf einmal
materialisierte Gucky vor mir, rannte mit gestreckten Armen an mir vorbei
und schubste die Horde telekinetischunsanft zu Boden.
Wieder wurde die ATOSGO durchgerüttelt. Ich warf einen Blick nach
oben und erkannte zehn Etagen über mir Kulag Milton, Sagreta da Maag
mit ihrem monströsen dreiköpfigen Hund und Cloudsky. Sie flohen in Panik
und rannten geradewegs auf Atlan zu, der sich ebenfalls auf der Etage
befand.
Atlan rang um Gleichgewicht, als die nächste Erschütterung den Boden
erzittern ließ. Er sah erschrocken nach links, als ein Haufen brennender
Materialien in die Tiefe stürzte und krachend auf im Foyer aufschlug.
Gucky materialisierte einige Meter daneben mit zwei Frauen an der Hand,
die er gerettet hatte. Guter Junge, doch da unten war es weiter gefährlich,
weil die Takhal Gud Looter für Chaos sorgten und Creen jagten.
Atlan suchte eine sichere Passage nach unten, denn er war
zurückgeblieben, als Gucky teleportiert war, um Creen zu schützen. Atlan
blieb abrupt stehen, als er eine Gruppe erkannte, die auf ihn zukam.
Kulag Milton, Yeremiah Cloudsky, Ragana ter Camperna mit ihren beiden
Söhnen und Sagreta da Maag. Vopp ter Camperna war von Kopf bis Fuß
mit einer braunen, dickflüssigen Sauce bekleckert. Ein übler Gestank drang
Atlan in die Nase.
Sagreta da Maag führte ihren dreiköpfigen Hund Kerberus an der Leine.
Das Ungetüm fletschte Atlan an, und zu allem Übel besaß Milton noch
einen Strahler, den er nun auf den Arkoniden richtete.
Milton grinste abfällig.
»Jetzt bist du doch noch dran.«
Atlan legte ruhig seine Hand an den Holster seines Strahlers.
»Ich werde es genießen, dir dein scheiß Misthirn aus dem Schädel zu
pusten«, rief Milton.
»Jetzt rede nicht so viel, sondern erschieß ihn«, keifte Sagreta und
versuchte dabei, ihren Kerberus unter Kontrolle zu halten.
Eine weitere, ohrenbetäubende Explosion erschütterte das Schiff. Die
ganze Ebene wankte. Atlan zog den Strahler und feuerte auf Milton, der
sich nur mit Mühe halten konnte. Er traf seinen Arm. Miltons Strahler
polterte zu Boden. Klirrender und zischender Krach ließ Atlan nach oben
blickten. Teile der Decken brachen ein. Sie donnerten gegen das Geländer
und rissen etwas davon hinunter.
Geschmolzene Glaspartikel spritzten auf Sagreta da Maag. Sie schrie auf.
Der Schmelzpunkt von Glas lag ab 600 Grad Celsius aufwärts. Ihr Gesicht
wurde verbrannt. Sie wedelte mit den Armen und kreischte. Dann lief sie
auf Milton zu.
»Hilf mir! Hilf mir!«, röchelte sie.
»Hau ab«, rief Milton und schubste sie gegen das Geländer, das nachgab.
Sagreta stürzte in die Tiefe. Sie prallte auf den harten Fußboden im Foyer.
Kerberus wurde wütend und griff Milton an. Dieser schrie und fuchtelte mit
den Armen. Einer der Köpfe biss in den Arm, der andere in den Bauch.
Dann verlor auch Milton das Gleichgewicht und stürzte zusammen mit
Kerberus, der sich in ihm festgebissen hatte, in die Tiefe.
Atlan blickte herab. Milton bewegte sich noch, da löste sich von der
Decke erneut Schutt, der auf den Tycoon hinabstürzte und dessen Schicksal
besiegelte.
Kulag Milton war tot. Endlich.
Atlan blickte zu den ter Campernas und zu Cloudsky. Der Super-Sales-
Mann weinte und zitterte.
»Kommt, der Arkonide wird sicher keine Unbewaffneten erschießen, gehe
ich recht in der Annahme?«, sagte Ragana.
Atlan senkte seinen Strahler.
»Wir suchen auf der CASSIOPEIA Schutz.«
Die drei ter Campernas und Cloudsky gingen an Atlan vorbei zum
nächsten Ausgang. Atlan rümpfte die Nase, als Vopp ihn passierte. Dann
konzentrierte er sich wieder auf den Kampf.
Jevran Wigth hatte sich offenbar zum Hangar durchgeschlagen, während
Creen verfolgt wurde und Gucky die Takhal Gud Looter durch die Gegend
wirbelte.
Atlan aktivierte sein Multikom.
»Status, Bully?«
»Verschwindet von der ATOSGO. Die Cairaner nehmen sie unter
Beschuss. Sie bezichtigen alle als Verschwörer und Mörder von diesem
Roch Miravedse.«
»Du hast erwähnt, dass er tot ist?«
»Nein, das wusste sie bereits. Er hatte wohl einen Vitalmesser bei sich.«
»Hier drinnen tobt ein Kampf. Die Weltraumpiraten nennen sich Takhal
Gud Looter. Wir können die Passagiere hier nicht sterben lassen.«
»Ich schicke alle TARA-Kampfroboter, die einsatzbereit sind«, versprach
Bull. »Oh, und jetzt kommt die Kavallerie.«
Atlan wechselte zur Ortungsansicht. Die Raumschiffe der Liga trafen ein.
Nun wurden die Karten neu gemischt.
Atlan dachte daran, dass Gucky zu ihm kommen sollte. Der Extrasinn
verstand und öffnete die natürliche Mentalstabilisierung. Gucky blickte
hoch und verschwand, nur um neben Atlan aufzutauchen.
»Schnappen wir uns Wulfar«, entschied Atlan.
Gucky teleportierte, griff den Takhal und tauchte neben Atlan auf. Der
hielt ihm sofort den Strahler an die Schläfe. Sie standen immer noch in der
zehnten Etage, und jeder der Krieger sah, dass ihr Anführer bedroht wurde.
»Bist du bereit zu sterben?«, fragte Atlan.
Wulfar grinste.
»Ich bin jederzeit bereit, zwischen den Göttern des Krieges und der
Raumfahrt auf dem ewigen Raumschiff zu thronen, zu trinken und zu
speisen und unsere Kriegsgeschichten zu erzählen. Doch meine Mission ist
noch nicht beendet.«
»Pfeif deine Krieger zurück. «
Wulfar sah Atlan verächtlich an. Er spuckte auf den Boden. Dann schob er
den Ärmel an seinem linken Arm zurück und betätigte einen Knopf. Die
Takhal Gud Looter stellten das Abschlachten ein und blickten zu ihrem
Kommandanten.
Atlan blickte ins Foyer. Es glich einem Schlachtfeld. An mindestens fünf
Stellen brannte es. Dutzende Leichen lagen dort unten.
Aus dem Transmitter schwebten die versprochenen TARA-UH-
Kampfroboter. Es waren 30 an der Zahl. Sie sicherten das Foyer. Die Takhal
legten ihre Waffen nicht nieder. Wulfar wirkte zuerst amüsiert, dann wurde
er ernst.
Atlan erschrak, als plötzlich geisterhafte Schemen auftauchten und durch
das Foyer wanderten. Es waren Terraner, Ferronen und Topsider, Pariczaner
und Springer.
Wulfar wirkte aufrichtig, als er sagte: »Der Kosmotarchax beginnt.«
Kapitel 8 – Der Beginn des ZeitchaOS
Der Kosmogene Segler verließ die Tiefe des Chaos. Aurec atmete
erleichtert auf, doch schon wurde der kurze Moment der Freude durch den
Anblick getrübt, der sich ihm bot. Eine gigantische Temporale Anomalie
tobte in diesem System. Hunderte Tryortan-Schlünde züngelten aus dem
rotgrünen Licht, das das Sonnensystem umgab.
Die Positronik identifizierte es als Alpha Centauri-System, das 4,3
Lichtjahre von der Erde entfernt war. Eigentlich war es unbewohnt, doch
jetzt, genau jetzt, tummelten sich dort einige Raumschiffe.
Aurec kannte die Solare Residenz, die von dreißig kugelförmigen
Raumschiffen umgeben war. Offenbar symbolisierten sie die Liga Freier
Terraner oder Galaktiker, wie es neuerdings hieß.
Ihnen gegenüber befanden sich drei Augenraumer der Cairaner und eine
Sternenburg der Takhal Gud Looter. In der Mitte lag ein diskusförmiges
Raumschiff, das wichtige Fracht bei sich trug, wie die Sensoren verrieten.
Unvermittelt stieß die STERNENMEER aus dem Hyperraum hervor und
feuerte auf die cairanischen Schlachtschiffe. Sie zog eine Kurve und
beschoss nun auch die Solare Residenz und dann die Sternenburg der
Takhal Gud Looter.
Nistant sandte sein Hologramm über alle Frequenzen. Die Totenfratze des
Erbauers des Rideryons wirkte wahrlich wie der Vorbote des Todes, und so
war es auch. Die Stürme streiften die cairanischen Schiffe und rissen sie
auseinander. Ihre Trümmer wurden in unbekannte Dimensionen gezogen.
Die Flotte der Liga hatte ebenfalls mit den Schlünden zu kämpfen.
Weitaus schlimmer waren die Energieschlieren und Blitze, denn sie rissen
einen jeden in eine andere Zeitlinie.
»Kreaturen des kalten Weltalls, die Zeit ist angebrochen, um im Chaos zu
versinken. Das Ende ist gekommen. Und so hieß es in der Apokalypse, die
Toten werden auferstehen. Und sie stehen auf.«
Die STERNENMEER steuerte nun direkt auf die Solare Residenz zu.
Offenbar war der Kosmogene Segler unbemerkt geblieben. Aurec musste
jetzt handeln und aktivierte den Cagehall-Emitter des Seglers. Bencho
winselte leise und versteckte sich hinter seinem Deckchen.
»Aurec an ENGUYN. Operation 1-Alysker starten.«
Prompt kam die Antwort.
»Bestätige. Aktiviere Cagehall-Emitterschutz. Unser Raumschiff nennt
sich CASSIOPEIA und befindet sich im Hangar der ATOSGO. Ich erwarte
Ihre Instruktionen, Kosmogener Logenherr
Aus dem Hangar der ATOSGO strahlte ein blaues Leuchten. Aurec
bemerkte, dass auch die Sternenburg der Takhal Gud Looter über einen
Cagehall-Schutz verfügte und komplett in Blau leuchtete. Das blaue
Leuchten strahlte zwar in Richtung Solare Residenz, doch die setzte einen
Kurs in die entgegen liegende Richtung.
Aurec nahm Kurs auf die ATOSGO und vernahm die finstere Botschaft
von Nistant.
»Einst liebte ich und wollte nur selbst geliebt werden. Ich wollte geborgen
sein und Geborgenheit geben. Mein Leben für ein anderes Leben. Doch der
Schmerz der Einsamkeit dominierte. Aus Liebe wurde unbändiger Zorn.
Nicht nur die Liebe war mir verwehrt worden, auch die Bestimmung auf
große Taten. Mein Edelmut verlor sich in tiefstem Hass, mein Altruismus
verging in dem Wunsch zur Zerstörung.
Was einst müde belächelt worden war als die dämonischen Träume eines
Verlierers, ist nach Jahrmillionen wahr geworden.
Verreckt, ihr Wesen dieser Zeit. Ihr verdient nichts weiter als die
Auslöschung. Dieses Universum benötigt einen Neuanfang – und ihr werdet
daran nicht teilhaben.«
Eine der Energieschlieren traf Aurecs Kosmogenen Gleiter.
»Verdammt«, rief Aurec, denn er wusste, dass er zu spät war. Es war alles
verloren und sein Segler verschwand im Zeitchaos.
Atlan hörte den Worten von Nistant zu. Niemals hatte er dieses Wesen
getroffen, doch Perry Rhodan hatte ihm über Nistant berichtet, dem Erbauer
des Rideryons, dem er auch nie selbst begegnet war und nur aus
Erzählungen seines Sohnes Michael kannte.
Atlan glaubte nicht, was Nistant sagte, und doch ergab alles einen Sinn. Er
blickte über das Geländer und sah Terraner in Uniformen des Solaren
Imperiums, die plötzlich auftauchten und wieder im Nichts verschwanden.
Auf dem Display des Multikoms tauchte die CREST II auf.
Die CREST II!
Atlan erinnerte sich an Cart Rudo, Bert Hefrich oder Drav Hegmar. Don
Redhorse natürlich. Der Flug durch das Sonnensechseck.
Atlan wusste mit jeder Faser seines Körpers, dass jetzt etwas geschah, was
von gigantischer, kosmischer Tragweite war. Erst jetzt begriff er, was diese
Temporalen Anomalien zu bedeuten hatten. Sie waren Vorboten der
Apokalypse gewesen.
Alles war nun unwichtig. Miltons und Campernas kleiner Putsch, die Ära
der Cairaner.
Atlan senkte die Waffe und blickte Wulfar an.
»Nistant hat recht. Das ist der Kosmotarchax. Der Beginn des Zeitchaos
und das Ende dieser Zeit.«
»Werden wir jetzt sterben?«, fragte Gucky.
»Wir werden sterben, neu geboren und wieder sterben. Wir werden am
Ende aber aufhören zu existieren.«
Atlan blickte auf das Hologramm von Nistant, welches im Zentrum des
Foyers flimmerte.
»Wenn jemand stirbt, so bleibt die Erinnerung an diese Existenz«, erklärte
Nistant und fuhrt fort: »Jene, die ihn liebten, ließen den Toten in ihren
Herzen weiterleben. Doch dem wird nicht so sein. Wenn ihr sterbt, wird es
keine Erinnerung geben, denn ihr habt niemals existiert. Euer Leben, eure
Freude, eure Liebe, euer Schmerz es wird alles vergangen sein und nichts
wird sich daran erinnern. Ich bestrafe euch mit der höchsten Strafe dem
Vergessen! Die Zeitlinie des Perry Rhodan wird ausgelöscht. Sie wird
weichen…«
Die SOLARE RESIDENZ, THORA. © Raimund Peter
Das Hologramm von Nistant wechselte das Bild und zeigte einen
Flottenpulk von Kugelraumern mit einem dicken Ringwulst, deren Ende ein
röhrenförmiger Schwanz bildete.
Das waren Supremo-Raumschiffe des Quarteriums aus Cartwheel. Doch
waren es wirklich Supremos aus dieser fernen Galaxis oder stammten sie
aus einer anderen Zeitlinie?
»Ihr werdet niemals existiert haben. Eure ganze Zivilisation wird gelöscht.
Es wird kein ES geben. Atlan, Reginald Bull, Gucky, Roi Danton und Perry
Rhodan werden niemals existiert haben oder ein bedeutungsloses Dasein
führen. Das ist das endgültige Ende von Perry Rhodan!«
Das Foyer füllte sich mit einem blauen Leuchten.
Atlan blickte zu Gucky und schenkte ihm ein Lächeln.
Dann wurde er wehmütig. Wenn sich doch wenigstens etwas an ihn
erinnern würde. All die Bemühungen für die Menschheit waren umsonst
gewesen. Wenn sich doch jemand an seine Gefährten erinnern könnte. An
all die Gefährtinnen, die er geliebt hatte. An all jene, die er inspiriert hatte
auf der Erde.
An Perry Rhodan, dem größten Terraner von allen. Einem bescheidenen
Draufgänger, der seine Menschheit vereint hatte, als sie kurz vor der
Selbstzerstörung stand. Ein Mann, der das Herz einer arroganten Arkonidin
gewann, der die Milchstraße und darüber hinaus erforschte, der kosmische
Geschichte erkundete und schrieb. Rhodan war den kosmischen Rätseln auf
der Spur gewesen und hatte immer seine Menschheit, dann seine
Milchstraße beschützen wollen.
Niemand würde mehr wissen, wer er war, wenn ihre Zeitlinie
zusammenbrach.
Atlan hatte sich immer gefragt, wie es sei zu sterben. Würde es einfach
dunkel sein, würde man sich an sein altes Leben erinnern?
Nun wusste er, in diesem Fall würde es dunkel werden. Nistant würde
einfach das Licht ausknipsen.
Das blaue Leuchten kam näher. Atlan sank auf die Knie und nahm Gucky
in den Arm.
Bei allen Göttern, das durfte doch nicht wahr sein! Wo war der Ausweg?
Er war so machtlos. Ein Blitz schlug in die ATOSGO ein, ohne die
Außenhülle zu zerstören, er ließ zischend Passagiere einfach verschwinden.
Atlan begriff die Tragweite dieser Temporalen Anomalien zu spät. Sie
hätten sich um DORGON und MODROR kümmern sollen. Doch mit solch
einem rücksichtslosen Plan hatte keiner gerechnet. Es war auch egal.
Gucky drückte ihn. Es war ein tröstlicher Abschied.
Atlan musste an Mirona Thetin denken, an Theta da Ariga, an so viele
Frauen, deren Lächeln er vor seinem geistigen Auge sah und Abschied
nahm. Er hatte so viel erlebt und doch war er unvorbereitet auf das Ende.
Doch sein letzter Gedanke galt Perry Rhodan, seinem alten Freund. Er
lächelte und murmelte »Das Wasser ist nass«.
Atlan spürte, wie sich Gucky auflöste und wie er sich verlor.
Epilog
Nistant lehnte sich tief in den Kommandosessel in der Zentrale der
STERNENMEER und genoss dieses Schauspiel. Es war das erste Mal seit
langer Zeit, dass er feststellte, wie bequem eigentlich der schwarze Sessel
war.
Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen Radiowellen aus allen
Zeiten hallten durch das Alpha Centauri. Nistant hörte sich eine davon an,
auf die er zufällig gestoßen war.
Es war das Lied »What a wonderful world« des Terraners Louis
Armstrong, der kurz vor Rhodans Mondlandung gestorben war.
Es war nun eine wundervolle Welt. Sie war im Begriff zu entstehen.
Einer der Vyr servierte ihm einen herben Tholrum. Die Tryortan-Schlünde
zo gen ihre kreisenden Bahnen und rissen die Schiffe der Liga Freier
Galaktiker in Stücke. Tausende Galaktiker starben in diesem Moment,
während Louis Armstrong »What a wonderfull world« sang.
Aus dem Nebel des temporalen Sturms schälten sich die Silhouetten der
Supremo-Raumschiffe des Quarteriums.
Die KASTILIEN führte den ahnungslosen Verband an. Sie wussten noch
nicht, dass sie fortan die Auserwählten sein würden in einem hoffentlich
besseren Universum.
Nistant dachte an Ajinah. Er würde sie niemals wiedersehen, und seine
Erinnerungen würden nie verblassen. Er würde ihrer immer gedenken
können. Wie stets, wenn er ihr Hologramm sah, schmerzte sein Herz, wollte
er losweinen und zugleich einen Planeten im Zorn zerstören.
Aber die Galaktiker würden Perry Rhodan gar nicht mehr kennen. Es war
schon irgendwie witzig, da so ausgerechnet das Bestreben dieser seltsamen
Cairaner wahr wurde.
Doch die Änderungen in der DNS des Moralischen Kodes waren viel
tiefgründiger und würden jetzt ihren Höhepunkt erreichen.
Zwei Schlünde rissen die Solare Residenz auseinander. Der Stil löste sich
von der Orchidee und beendete damit vorzeitig das Leben von Reginald
Bull, der ohnehin nur noch Momente länger existiert hätte.
Temporale Blitze schlugen auf der ATOSGO ein. Atlan und Gucky waren
nun auch tot.
Das Zeitchaos begann und leitete damit die Reformation des Universums
ein.
Er hörte sich den singenden Terraner an.
Grüne Bäume, rote Rosen, blaue Himmel, weiße Wolken und
Regenbögen.
Milliarden, Billiarden würden nur noch die Temporalen Anomalien sehen
und in das Zeitchaos gezogen werden. Sofern sie überlebten, also ihre
Seelen würdig waren für die Reformation, würden sie von Bubak gepeinigt
durch die Tiefe des Chaos wandern, im Schleier der Lethe ihr Leben
vergessen und den Weg der Wiedergeburt beschreiten dürfen.
Doch wer unwürdig war, der hauchte in diesen Momenten sein Leben aus.
Einige mit Schrecken und Schmerz, andere lösten sich einfach auf, so wie
genau diese Zeitlinie. Nistant fand sein Vorgehen sehr rücksichtsvoll. Es
war viel zu nett hätte diese Galaxis doch dasselbe Schicksal wie die
Bevölkerung von Sargomoph verdient. Doch er war ein gnädiger
Reformator geworden.
Nistant lehnte sich zurück und genoss den Tholrum.
Ohne Perry Rhodan würde das Universum einen besseren Verlauf nehmen.
So endete die Zeitlinie Perry Rhodans, und die Milchstraße versank im
Zeitchaos.
»What a wonderful world.«
ENDE
Vorschau
Das Zeitchaos hat begonnen. Nistant verkündete das Ende der bekannten
Zeitlinie und es scheint, dass Perry Rhodan, Reginald Bull, Atlan und
Gucky nicht mehr existieren. Was kommt stattdessen? Mehr darüber
schreibt Nils Hirseland in Band 125 »Zeitchaos«.
Glossar
Der Plan zum Sturz der LFG
Die Operation trägt den Namen »Fakten schaffen!«
Der Plan sieht die Auslieferung der Residenten an das sternwestliche
Konsulat der Cairaner vor. Initiatoren des Plans sind Ragana ter Camperna,
ihr Adoptivsohn Vopp ter Camperna und Kulag Milton.
Aussage von Kulag Milton: »Alles begann 2039 bei einem konspirativen
Treffen im Keller meiner Villa bei Leberwurststullen. Ragana und ich
legten die Eckpunkte des Unternehmens »Fakten schaffen!« fest. Ich nutzte
meinen Einfluss als Residenzrat für Ökonomie, und die CACC bekam die
Aufträge für die Positroniksysteme in der Solaren Residenz.«
Phase 1: Das vorhandene Vertrauen in die CACC und den Einfluss in der
LFG weiter ausbauen. Während sich die CACC neben dem Urlaubsgeschäft
auch im Postitroniksektor etabliert, gewinnt Milton politischen Einfluss in
der Wirtschaft der Liga.
Phase 2: Installation des Veebie-Virus in der Solaren Residenz.
Phase 3: Umsetzung des Projektes CASSIOPEIA durch die Milton
Company und Vopp ter Camperna.
Phase 4: Der Veebie-Virus wird in der CASSIOPEIA eingespeist, damit
dieser verteilt werden kann.
Phase 5: Jungfernflug der CASSIOPEIA kurz vor der Ratssitzung in der
Solaren Residenz.
Phase 6: Fingierter Überfall der Ladhonen auf die ATOSGO und
CASSIOPEIA. Flucht vor den Ladhonen und Kampf vor dem Ephelegon-
System. Dem Plan nach wird eine Strukturlücke im TERRANOVA-
Schutzschirm geschaffen, damit die CASSIOPEIA einfliegen kann.
Phase 7: Während des Fluges nach Rudyn täuscht die CASSIOPEIA
Navigationsprobleme vor und kommt ausgewählten LORETTA-Tendern
des TERRANOVA-Schirms nahe. Die CASSIOPEIA sendet Veebie aus.
Phase 8: In Panik erreichen ausgewählte Personen die Solare Residenz.
Bull wird die Ratssitzung unterbrechen müssen.
Phase 9: Aktivierung von Veebie in der Solaren Residenz. Die Schaltung
wird alle Macht ter Camperna geben. Die Wachmannschaften werden durch
umprogrammierte TARA-Sicherheitsroboter ausgeschaltet. Die Solare
Residenz verlässt Rudyn.
Phase 10: Der Veebie-Virus verursacht einen Ausfall der befallenen
LORETTA-Tender. Flucht durch den TERRANOVA-Schirm der
CASSIOPEIA und Solaren Residenz.
Phase 11: Die Residenz und CASSIOPEIA verlassen das Ephelegon-
System und gehen auf Überlichtflug.
Phase 12: Übergabe der Residenz mit allen Ratsmitgliedern an die
Cairaner.
Phase 13: Kulag Milton wird zum neuen Residenten ausgerufen. Es wird
zwar zunächst noch Widerstand erwartet, doch Rudyn wird sich ergeben,
wenn die treibende Kraft des Terramythos einmal aus dem Verkehr gezogen
wird.
Phase 14: Zerstörung aller Fake-Relikte in Erinnerung an Terra. Verbot
der Verbreitung des Mythos Terra und dessen Vertreter (Perry Rhodan,
Atlan, Gucky, Icho Tolot).
Phase 15: Der neue Liga-Rat wird aus Kulag Milton, Ragana ter
Camperna, ihre Söhne Vopp und Topp sowie dem Tefroder Hunter gebildet
und leitet das endgültige Ende des Terramythos ein.
Ragana ter Camperna
Ragana ter Camperna ist die Matriarchin der CACC. Die Mutter des CEO
Vopp ter Camperna der CACC und Herrin des Unternehmens. Sie leitet das
Unternehmen mit eiserner Hand. Zwar ist die Dame in Kreisen der LFG
angesehen, doch im Geheimen verachtet sie die Anhänger des Terramythos
und plant den Sturz von Resident Reginald Bull.
Steckbrief
Geboren: 1838 NGZ
Geburtsort: CAMPERNA I Springerwalze
Spezies: Mehandor
Größe: 1,63 Meter
Gewicht: 48 Kilogramm
Aussehen
Hautfarbe: hell
Haarfarbe: graubraun
Augenfarbe: rot
Tätowierungen: keine
Beschreibung: trägt einen feinen Bart, Haare gelockt
Charakter
Sehr penibel, aristokratisch, unbarmherzig gegen ihren Untergebenen,
scharfzüngig, zynisch. Beleidigt gerne ihre Gegenüber.
Geschichte
Ragana ist die Tochter von Rushkas, dem Jüngsten, und Zebretza. Sie trägt
sowohl mehandorische als auch arkonidische Gene in sich. Sie wurde als
Nomadin zwischen den Sternen auf der Springerwalze CAMPERNA I
geboren und wuchs als Handelstochter auf, die sich viel darauf einbildete,
eine galaktische Händlerin zu sein.
1858 hatte sie eine Affäre mit einem Terraner, der von der Rückkehr Terras
sprach und dass Perry Rhodan Hoffnung bringen würde. Sie erwartete ein
Kind von ihm und wollte mit ihm durchbrennen. Doch der Terraner wurde
von Cairanern verhaftet und wegen Verbreitung von Falschinformationen in
die Ausweglose Straße gebracht. Camperna war so enttäuscht darüber, dass
er sie scheinbar hat sitzen lassen, und glaubte fest daran, dass er ein
Hochstapler war. Sie ließ das Kind abtreiben. So begann ihr Groll gegen
Rhodanmystiker.
1870 NGZ trennte sich ihr Vater von seiner Frau und ging einen Bund mit
dem Zaliter Egstern ein. Ihre Mutter zerbrach am Aus der Ehe und fristete
ein zurückgezogenes Dasein auf dem Raumschiff CAMPERNA IV.
Ragana übernahm mehr Verantwortung bei der CACC und eckte immer
wieder mit ihrem Vater und Egstern an. Der Hass wurde größer.
Ragana bekam 1874 NGZ das Reinigungsmanagement der CACC-Resorts
übertragen. Sie fühlte sich dadurch entmachtet. Sie behandelte ihre
Putzkräfte wie Sklaven und ließ ihre Frustration an ihnen aus. Die
Ausübung der Macht gefiel ihr sehr, so dass sie Kontakte zu
Sklavenhändlern suchte, um an neues Personal zu kommen.
Ragana hasste den Mann ihres Vaters, da er für diesen ihre Mutter verlassen
hatte. Nach dem Tod der Mutter 1923 NGZ wandte sich Ragana mehr und
mehr vom Familienoberhaupt ab. Als dieser die Nähe zur Liga Freier
Galaktiker suchte und im Ephelegon-System eine Niederlassung eröffnete,
kam es endgültig zum Bruch zwischen Vater und Tochter. Sie warf ihm vor,
mit den Traditionen der Mehandor zu brechen, da er auf Rudyn sesshaft
wurde. Außerdem verachtete sie die Anhänger des Mythos Terra, die in
ihren Augen allesamt Verschwörungstheoretiker waren.
1930 NGZ kam es zu einem wichtigen Zwischenfall, als Ladhonen ein
CACC-Resort angriffen und On-Piraten eingriffen. Die On-Piraten wollten
selbst Beute machen, doch Ragana umgarnte den betagten Anführer, den
Onryonen Heshnat Trushk. Sie baute mit Hilfe der On-Piraten eine kleine
Streitmacht auf. 1932 ließ sie Egstern töten.
1933 war ihr Vater an der Reihe. Offiziell war er Opfer eines Überfalls der
Ladhonen geworden, doch Ragana steckte dahinter. Sie hatte ein
Abkommen mit einigen Ladhonen geschlossen und informierte sie über
Hyperkristallvorkommen. Im Ausgleich erledigten die Ladhonen
Gefälligkeiten für sie und ließen die Raumschiffe der CACC in Ruhe. Nach
dem Tod von Rushkas, dem Jüngsten, übernahmen Ragana ter Camperna
und Heshnat Trushk die Leitung der CACC.
In den folgenden Jahrzehnten knüpfte Ragana auch Kontakte zu den
Cairanern und agierte als Agentin für die Cairaner in der LFG. Sie genoss
bei der LFG den Ruf der harten Powerfrau, die ein Unternehmen leitete,
während die Cairaner sie aufgrund eines Informationsaustausches schätzten.
1988 ließ sie die Frau von Trushk beseitigen, nachdem diese ihr zweites
Kind, Vopp, geboren hatte. Der einsame alte Trushk heiratete 1991 Ragana,
sie adoptierte die Söhne Topp und Vopp und überzeugte Trushk, den Namen
ter Camperna anzulegen.
Ragana zog die beiden Kinder nach ihren Vorstellungen auf und liebte sie
auch. In den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts schloss sie mit Kulag
Milton eine Allianz.
2027 lernte Ragana den verwahrlosten Tefroder Pawos kennen. Der Hass
auf Rhodanmystiker verband sie, und Ragana heuerte den gefallenen
Kopfgeldjäger an, da sie Potenzial in ihm so. Aus Pawos wurde Hunter, der
Rhodanjäger – unter dem Befehl von Ragana.
Seit 2034 NGZ führt Ragana eine leidenschaftliche Beziehung mit dem
leitenden Ingenieur der ATOSGO. Die Affäre ist ein offenes Geheimnis,
doch die Söhne ignorieren die Tatsache, und Raganas Ehemann ist alt und
senil.
2039 NGZ initiierte Ragana ein konspiratives Treffen mit Kulag Milton,
Sagreta da Maag und ihren Söhnen zum Sturz der LFG-Regierung unter
Reginald Bull. Da Ragana auch gute Kontakte zum sternwestlichen
Konsulat der Cairaner pflegte, weihte sie den sternwestlichen
Konsulatssekretär Roch Miravedse in ihren Plan ein. Die 15 Phasen der
Operation »Fakten schaffen!« wurden festgelegt.
Während ihr Sohn Vopp an den technischen Ausführungen arbeitete,
verbrachte Ragana die nächsten Jahre viel mit ihrem Liebhaber, der
Kontrolle ihrer Haussklaven und der Erziehung ihrer Enkel, den Kindern
von Vopp und Stasya ter Camperna. Auch verfolgte sie genau die Jagd nach
den Rhodanmystikern.
Weil Ende 2045 NGZ Perry Rhodan, Atlan und Gucky zurückkehrten, sollte
die Operation »Fakten schaffen!« im Frühjahr 2046 NGZ umgesetzt
werden.
Beziehungen
Ragana ist die Adoptivmutter von Vopp und Topp ter Camperna. Sie ist
somit die Schwiegermutter von Vopps Ehefrau Stasya und die Großmutter
derer sieben Kinder.
Sie ist die Ehefrau von Heshnat ter Camperna (geborener Trushk).
Vopp ter Camperna
Vopp ter Camperna ist der Geschäftsführer der CACC. Der Onryone ist der
Adoptivsohn von Ragana ter Camperna und ist ein begnadeter Positroniker.
Steckbrief
Geboren: 1988 NGZ
Geburtsort: On-Raum
Spezies: Onryone
Größe: 1,97 Meter
Gewicht: 130 Kilogramm
Aussehen
Hautfarbe: dunkelbraun
Haarfarbe: schwarz
Augenfarbe: rotbraun
Tätowierungen: keine
Beschreibung: groß, gedrungen, spitze, fleischige Ohren
Charakter
Behäbig, geldgierig, faul. Ein brillanter Wissenschaftler, der jedoch immer
den leichtesten Weg gehen will.
Geschichte
Vopp ter Camperna und sein Bruder Mopp ter Camperna wurden von der
Springer-Matriarchin Ragana ter Camperna adoptiert, nachdem sie deren
Vater Heshnat Trushk geheiratet hatte. Die onryonische Familie nahm den
renommierten Namen der Springer-Matriarchin an.
Vopp ist abdrücksüchtig. Der Kick auf der Toilette ist für ihn unverzichtbar.
Deshalb schottet er sich von anderen oft ab, da die Nahrungsaufnahme in
seinem Volk als gesellschaftlicher Akt nicht gerne gesehen ist. Insgeheim
verbringt er viel Zeit mit Essen und auf die Toilette gehen. Vopp genießt
den Toilettengang exzessiv. Gerade der Gruppengang ist für ihn erotisch
anregend.
Im Abdrücksaal selbst trägt Vopp eine Propellermütze, die wie ein
umgekehrter Abzug, also als Ventilator wirkt. Der aufsteigende Kotgeruch
wird vom Propeller Richtung Nase geweht, so dass Vopp länger in den
Genuss des Geruchs kommt.
Vopp ist der CEO der CACC. Der Onryone ist von Natur aus paranoid und
misstraut seinen Untergebenen. Er vergöttert aber seine Adoptivmutter und
macht alles, was seine rudynische Frau ihm sagt. Ansonsten ist er recht
desinteressiert an der Welt um ihn herum.
Vopp selbst ist ein empathieloser Onryone mit typischen, unehrlichen
Phrasen. Das Leben seiner Mitarbeiter bedeutet ihm nichts. Er kann sich
nicht in sie hineinversetzen. Er hält sich gefühlsmäßig dabei an die
Vorgaben seiner Mutter und seiner Frau, die ihm sagen, was moralisch
richtig oder falsch ist. Grundsätzlich ist seine Devise, dass er der Galaktiker
mit der meisten Arbeit in der Milchstraße ist. Alle anderen müssen ihn
einfach entlasten.
Für die Jagd auf die Rhodanmystiker hat Vopp einen speziellen Positronik-
Virus namens Veebee entwickelt.
Vopp ist mit der Rudynerin Stasya verheiratet. Zusammen haben sie sieben
Kinder, die alle innerhalb von kurzer Zeit zur Welt kamen.
Temporale Hyperanomalien
Temporale Hyperanomalien sind Ne ben wirkungen der Umprogrammierung
des Moralischen Kodes. Sie entstehen in der Tiefe des Chaos und erstrecken
sich als Raumzeitfalten in das Normaluniversum. Sie bündeln Zugänge zu
alternativen Zeitlinien. Die Gefahr ist groß, dass Lebewesen und sogar
Planeten, die in den Einflussbereich von Temporalen Hyperanomalien
geraten, in alternative Zeitlinien gerissen werden. In jenen Regionen des
Universums, wo Temporale Anomalien auftauchen, besteht eine
Manipulation des Moralischen Kodes durch die Tiefe des Chaos.
Ankerpunkte zum Normaluniversum
Es gibt auf vielen Planten Ankerpunkte zum Standarduniversum. Diese
zeigen sich in der Regel in Form von Temporalen Hyperanomalien im
Standarduniversum. Der Weg durch eine Temporale Anomalie ist
gefährlich, denn es muss die richtige Zeitlinie ausgewählt werden.
Andernfalls stranden die Reisenden in der Vergangenheit, Zukunft, einer
alternativen Zeitlinie, einem Paralleluniversum oder gar einer Pararealität.
Impressum
Die DORGON-Serie ist eine Publikation der
PERRY RHODAN-FanZentrale e. V., Rastatt (Amtsgericht Mannheim, VR
520740 )
vertreten durch Nils Hirseland, Redder 15, 23730 Sierksdorf
www.dorgon.net
Text: Nils Hirseland
Titelbild: Raimund Peter
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Raimund Peter
Lektorat: Norbert Fiks
Korrektorat: Arndt Buessing, Jens Hirseland
Layout und digitale Formate: Burkhard Lieverkus
Sofern nicht anders vermerkt, bedarf die Vervielfältigung, Verbreitung und-
öffentliche Wiedergabe der schriftlichen Genehmigung der Rechteinhaber.
Perry Rhodan®, Atlan®, Icho Tolot®, Reginald Bull® und Gucky®
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