Band 123
Die Cassiopeia
Kulag Milton will Fakten schaffen!
Autor: Nils Hirseland
Cover: Gaby Hylla
Innenillustrationen: Gaby Hylla
Handlungszeitraum: 23. Februar 2046 NGZ – 28. Februar 2046 NGZ
Handlungsschauplätze: Milchstraße
DORGON ist eine nichtkommerzielle Fan-Publikation der PERRY
RHODAN-FanZentrale. Die FanFiktion ist von Fans für Fans der PERRY
RHODAN-Serie geschrieben.
Hauptpersonen des Romans
Atlan
Der Arkonide nimmt an einer Kreuzfahrt teil, um mehr über die
Cairaner in Erfahrung zu bringen
Kulag Milton
Der ehrgeizige Tycoon präsentiert die CASSIOPEIA
Vopp ter Camperna
Er drückt gerne ab
Sagreta da Maag
Sie auch
Nathaniel Creen und Hunter
Die Rhodanjäger haben einen speziellen Auftrag
Eleonore
Die Positronik der NOVA versucht, menschlicher zu werden
Roch Miravedse
Der sternwestliche Konsulatssekretär der Cairaner stattet einen
Besuch ab
Inhalt
Hauptpersonen des Romans 2
Was bisher geschah 4
Prolog 5
Kapitel 1 – Die CASSIOPEIA 10
Kapitel 2 – Der sternwestliche Konsulatssekretär 17
Kapitel 3 – Rendezvous im All 24
Kapitel 4 – Abdrücken 29
Kapitel 5 – Im Mubiko 33
Kapitel 6Paradiesisch 36
Kapitel 7 – Paradiesisch 47
Kapitel 8 – Fakten schaffen 54
Kapitel 9 – Orchidee pflücken 60
Epilog 68
Vorschau 70
Glossar 71
Impressum 75
Was bisher geschah
Im Jahre 2046 NGZ beherrschen die Cairaner die Milchstraße. Terra
ist ein Mythos und das Wissen um die Geschichte der Galaxis
durcheinander geworfen und teilweise vergessen.
In jener Zeit agiert der Rhodanjäger Nathaniel Creen als
Kopfgeldjäger im Auftrag der Camperna Agency Cloud Company
er muss außerhalb der Lemurischen Allianz sogenannte
Rhodanmystiker jagen. Doch Creen bekommt ernsthafte Zweifel an
dem Mythos Terra.
Temporale Anomalien tauchen seit Anfang des Jahres in der
Milchstraße auf und sorgen für ein vorübergehendes Zeitchaos. Doch
die Anomalien weiten sich aus und devolutionieren die Welt
Stellacasa. Es sind Vorboten des Zeitchaos und der finstere Nistant
ist mit der STERNENMEER auf dem Weg in die Milchstraße,
ebenso wie der Saggittone Aurec, der einen Ausweg aus der Tiefe
des Chaos sucht.
Ohne von den drohenden Ereignissen zu wissen, nehmen Atlan und
Gucky aus diplomatischem Wohlwollen an einer Kreuzfahrt teil, die
vom egozentrischen rudynischen Tycoon Kulag Milton organisiert
wird.
Es ist der Flug mit seiner neuesten Attraktion: DIE CASSIOPEIA …
Prolog
Unter dem fahlen Schein einer blauen Sonne beobachtete Aurec den
täglichen Überlebenskampf, der auch in der Tiefe des Chaos nicht
ungewöhnlich war. Ein grüner Käfer zappelte mit den Vorderbeinen und
versuchte vergeblich, dem festen Biss der röhrenförmigen Pflanze zu
entrinnen. Doch ihre dolchscharfen Zähne hatten sich tief in das etwa
sechzig Zentimeter lange Insekt eingefahren und sonderten ein lähmendes
Gift ab. Dieser Fleischfresser war mit seiner braunen Farbe gut getarnt und
nicht von einem Baumstamm auf dem braunen, schlammigen Untergrund
zu unterscheiden.
Das verzweifelte Zappeln erschlaffte. Langsam saugte die Pflanze ihre
Beute aus.
Bencho knurrte, und Aurec streichelte ihn.
»Das ist nichts für dich, Kleiner. Wir sollten besser Abstand halten. Die
Wesen auf dieser Welt neigen zu großem Wachstum.«
Der Posbihund hechelte und wedelte mit dem Stummelschwanz. Aurec
sah sich um. Auf dem Planeten mit dem seltsamen Namen 138-Rückwärts
wirkte alles trostlos. Es war das gewohnte Bild eines Planeten auf dem es
eine Terra-Station gab. Es regnete hier sehr häufig, sodass der Boden
matschig war. Es gab einige Siedlungen, doch er beabsichtige nur noch eine
bestimmte Einrichtung aufzusuchen: eine Terra-Station! Während seiner
Suche nach dem geeigneten Portal zur Milchstraße, hatte er ein codiertes
Signal eines Kosmogenen Trägers empfangen. Nur ein Kosmogener Segler
vermochte die Botschaft zu lokalisieren und zu entschlüsseln, denn sie
mussten vorsichtig sein. Agenten der Kosmotarchen waren überall in der
Tiefe des Chaos und wenn sie nicht aktiv waren, dann waren es Fanatiker
der Harmonie von DORGON. Jene, die die Apokalypse unterstützten und
die Reformation des Universums als göttliche Bestimmung betrachteten.
Die Nachricht war kurz: »Terrapedia 138 RW
Terrapedia war die Bezeichnung für den Roboter und somit die Terra-
Station. 138 RW das Kürzel für den Planeten. Die Planeten waren
kategorisiert. Über 700 Jahre Arbeit zahlte sich manchmal aus. Die
Hauptarbeit hatten die Terrapedia-Roboter gemacht. Sie waren die
nützlichen Helfer, die Eorthor zurückgelassen hatte, um die Kosmogenen
Träger zu unterstützen.
Aurec hätte ihm nie soviel Nostalgie gegenüber Terra zugetraut, doch
vielleicht steckt in dem Alysker doch ein Herz oder es war ein Anfall von
seltsamen Humor. Er hatte sich immer gefragt, ob Eorthor seine Tochter
Elyn nicht vermisst hatte. Immerhin war sie genauso wie Kathy Scolar auf
dem Rideryon gefangen. Aurec hatte jeden Tag an Kathy gedacht, und sie
war noch immer so tief in seinem Herzen verankert wie am ersten Tag. Elyn
war wahrscheinlich sogar am Leben, da alle Alysker relativ unsterblich
waren. Ob Eorthor jemals versucht hatte, in das Rideryon vorzudringen?
Wo er wohl war? Sie hatten vermutlich weit mehr als einhundert Jahre
keinen Kontakt mehr gehabt.
Das Summen eines riesigen Insektes schreckte Aurec aus seinen
Gedanken auf. Instinktiv zog er seinen Strahler. Ein achtbeiniges Monstrum
mit Rüssel am Gesicht und einem Stachel am anderen Ende brummte auf
ihn zu. Aurec schoss, und das Insekt fiel leblos zu Boden.
»Lass uns verschwinden«, sagte er, während ihm ein Schauer über den
Rücken lief. Er watete durch den Matsch. Bencho schien sich wohl zu
fühlen und suhlte sich freudig in dem Dreck.
»Komm jetzt, Mister Terrapedia wird nicht begeistert sein, wenn du seine
Station verdreckst.«
Bencho kläffte und folgte seinem Herrchen. Sie gingen auf einen Hügel.
Von dort hatte Aurec einen Blick über das gesamte Tal. Im Zentrum lag eine
verlassene Stadt. Die rostigen Metallgebäude wirkten schon von weitem
verwittert. Im Osten lag etwas abseits die Terra-Station. Das markante
flache Dach mit den beiden Landeplattformen, deren Gangways
geschwungen zum Eingang verlief, waren unverkennbar. Doch selbst wem
das nicht auffiel, der wurde durch das Schild auf der Säule daneben
aufmerksam, an dem in Neo-Rot »Terra Station« prangte. Soviel zur
Geheimhaltung.
Aurec verzichtete auf einen Fußmarsch. Er kehrte mit Bencho zurück zum
Kosmogenen Segler und flog zur Landeplattform. Die Terra-Station wirkte
rostiger und verwilderter als jene auf 17-348-Kevon. Goldbraunes Laub und
Erde lagen im Eingang. Der Terrapedia-Roboter würde sich also über
Bencho nicht ärgern.
»Moin«, grüßte der Roboter, der von links auf ihn zuschwebte.
Die Terrapedia-Baureihe war immer gleich. Auf einem eiförmigen Torso
ruhten oben drei optische Sensoren, die Aurec am ehesten als Stielaugen
bezeichnen würde. Um den Antigrav am Ende des Torsos ragten drei
Greifarme heraus. Ein Oberlippenbart war aufgemalt, und er trug eine
Seemannsmütze.
»Das Wedder ist schiet heute«, schimpfte er in einem für Aurec
unbekannten Dialekt.
»Wollen Sie wat zum äten un Drinken? Äten un Drinken höllt Lief un Seel
tausamen.«
»Könntest du so reden, dass ich dich verstehe?«
»Du kannst mi an’ne Büx rüken.«
»Was?«
»Natürlich, Sir! Wie Sie wünschen. Meine Programmierung ist auf einen
norddeutschen Terraner eingestellt. Der Meister Eorthor hielt es wohl für
erstrebenswert, uns eigene Charaktere zu geben, so dass wir nicht alle
gleich und eintönig sind.«
Terrapedia schwebte hinter den blauen Tresen und wühlte mit zwei
Greifarmen in einer Truhe.
»Wir servieren Fischbrötchen, Zander, Seelachs oder zappeligen Aal.«
Ausgerechnet Fisch! Aurec mochte keinen terranischen Fisch. In einem
der wenigen ruhigen Momente, die ihm und Kathy vergönnt waren, war er
mit ihr essen gegangen. Es gab eine traditionelle Speise, doch der rohe
Fisch war nicht sein Geschmack gewesen.
Mister Terrapedia wedelte mit einem Fischbrötchen herum.
»Schönes Matjesfilet mit Remouladensoße.«
»Wenn es denn sein muss.«
Das Hologramm von Constance. © Gaby Hylla
»Fisch ist gesund, Sir! Was möchten Sie dazu trinken? Bier und einen
Korn?«
»Danke‹, sagte Aurec und nickte
Aurec sah sich um. Im anderen Raum befand sich das Restaurant.
Hellbraun, weiß und blau dominierte das Mobiliar und die Wände. Er setzte
sich auf eine Bank und blickte nach draußen.
»Was war das für eine Stadt?«
»Ich kann das nicht beantworten, Sir! Die Terra-Station wurde errichtet,
als das hier bereits eine Geisterstadt war. Vermutlich war 138-Rückwärts
ein devolutionierter Planet aus dem Normaluniversum.«
Die Temporale Devolution zog die Planeten aus dem Normaluniversum in
die Tiefe des Chaos. Sie lösten sich buchstäblich in ihrer Zeitlinie auf.
Manchmal geschah es auch, dass sich zurückentwickelten und Kopien in
der Tiefe des Chaos materialisierten. Deshalb trugen diese Welten auch die
Bezeichnung Rückwärts. Eine banale Bezeichnung für devolutionierte
Welten, die ganz oder teilweise aus dem Normaluniversum gerissen
wurden. Zu welchem Zweck, wusste keiner aus der Kosmogenen Loge.
Auch wenn sie mehr als 700 Jahre bereits die Tiefe des Chaos erforschten,
so hatten sie nicht alles vielleicht auch nur einen Bruchteil ihrer
Funktion herausgefunden.
Außerdem lebten die Kosmogenen Träger nicht die ganze Zeit hier.
Dauerte der Aufenthalt zu lange, legte sich entweder der Schleier der Lethe
über sie oder sie verloren zu viel Vitalenergie und alterten trotz des Segens
des Osiris.
Ein Sturm zog auf, Regen peitschte gegen die Fensterscheiben. Geäst und
Schrott flogen durch die Gegend. Ein Blitz ließ die Stadt kurz aufleuchten,
und prompt folgte der Donner. Bencho grummelte und verzog sich winselnd
unter den Tisch.
Eigentlich müsste ein Posbihund schlauer sein, doch seine Schöpfer hatten
versucht, ihn so gut es ging, einem normalen terranischen Hund
nachzuempfinden.
»Oh, ehe ich es vergesse«, sagte Mister Terrapedia.
»Du bist ein Roboter und kannst nicht vergessen«, erwiderte Aurec.
»Es sei denn, meine Programmierung sorgt dafür. Wenn Routinen
geschrieben werden, welche einen Ablauf generieren, der eine temporäre
oder dauerhafte Löschung der Speicher vorsieht oder Prozesse künstlich
verlangsamt, so könnte ich auch vergesslich sein, Sir
Ein Fach öffnete sich an seinem Bauch, er griff hinein und stellte den
Miniholoprojektor auf den Esstisch. Das Hologramm einer Frau erschien.
Sie trug ihr brünettes langes Haar offen. Ihre irisierenden Augen leuchteten
blaugrau. Die Lilim war vom Äußeren nicht von einer Saggittonin oder
Terranerin zu unterscheiden. Constance Zaryah Beccash war in einer
schulterfreien, grauen Kombination mit gelben Linien gekleidet. Sie war
immer noch eine wunderschöne Frau, auch wenn man ihr den Raub der
Vitalenergie trotz einer Zelldusche etwas ansah. Sie hatte auf der Suche
nach Cauthon Despair viel zu viel Zeit in der Tiefe des Chaos verbracht und
dabei etwas von ihrem jugendlichen Aussehen eingebüßt.
»Sei gegrüßt, Aurec! Ich hoffe, diese Botschaft erreicht dich. Nistant ist
auf dem Weg in die Milchstraße. Er hat Niada gefunden, doch nicht die
Kosmogene Chronik. Sein Pfad ging weiter nach Dorgon. Die Welt ist
inzwischen devolutioniert. Nun droht die ganze Milchstraße ins Zeitchaos
zu stürzen. Wir müssen ENGUYN finden.«
Aurec leerte das Glas Korn mit einem Zug. Er verzog das Gesicht. Was
war das für ein widerliches Gesöff? Doch die Worte von Constance waren
wichtiger als der Geschmack des Getränks. Die Nachricht kam jedoch nicht
überraschend. Aurec war klar, je mehr der sogenannten Anker zur
Milchstraße in der Tiefe des Chaos existierte, desto aktiver wurden die
Temporalen Anomalien dort, und das würde unweigerlich das Zeitchaos
einleiten.
Dass Nistant mit der STERNENMEER unterwegs war, verwunderte ihn
etwas. Nistant… dieser Bastard war jemand, der das Rideryon verlassen
hatte. Wenn es einen Weg heraus gab, musste es auch einen Weg rein geben.
Einen Weg zu Kathy. Falls sie überhaupt noch am Leben war.
Aurec schob den Gedanken an seine geliebte Kathy beiseite und hörte
Constance weiter zu.
»Ich breche über einen Anker bereits in die Milchstraße auf und versuche
ENGUYN zu finden. Wenn ich richtig gerechnet habe, sind zwei
Kosmogene Chroniken in der Milchstraße. Wir müssen sie finden und mit
ENGUYN verbinden, bevor das Zeitchaos ausbricht. Wir sehen uns bald,
Arkonide!«
Sie hielt kurz inne.
»Saggittone, oder? Ich meine Saggittone natürlich. Also, kein Famal
Gosner, sondern Ebi-Vino Scil.«
Sie zwinkerte mit dem Auge, legte zwei Finger an die Stirn und lächelte,
ehe sie die Finger in seine Richtung hielt. Das Hologramm erlosch.
Constance sprach kein saggittonisch, denn sie hatte ihm einen
halbtrockenen Wein gewünscht, was Ebi-Vino Scil in seiner Sprache
bedeutete.
Constance Zaryah Beccash war also in der Milchstraße. Sie war wie er
selbst eine Kosmogene Trägerin. Er musste jetzt in die Milchstraße
aufbrechen. Die Zeit drängte, denn ohne Kosmogene Chronik waren sie
dem Zeitchaos ausgeliefert.
Kapitel 1 – Die CASSIOPEIA
23. Februar 2046 NGZ
Eine halbnackte Amazone mit goldenem Haar ritt auf ihrem weißen Ross
durch die Sterne. Ihre üppigen Brüste in dem Push-Up Büstenhalter wippten
auf und ab. Neben ihr kam ein Mann mit weißem, hoch gekämmten Haar in
weißem Hemd und dunklen Hosen auf einem goldenen Streitwagen
angeflogen. Er breitete die Arme aus und sagte: »Cassiopeia war eine
Göttin der Antike von Olymp. Es hieß, sie sei auch eine Sexgöttin
gewesen.«
Der Mann blickte in die Menge und zwinkerte. »Das hätte ich gerne
gesehen. Ich bin Kulag Milton und heiße euch willkommen!«
Die Menge johlte, als hätte gerade Elvis Presley die Bühne betreten. Atlan
lehnte sich in den bequemen Stuhl und verschränkte die Arme vor dem
Bauch.
Der Mann auf dem Streitwagen war nicht Milton, sondern ein billiges
Double, das ihm nicht einmal ähnlich sah. Er stieg an den Rand des
Wagens, sprang in die Tiefe und verschwand im Dunkel.
Ein entsetztes Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer.
Dann tauchte Milton auf der Bühne auf und breitete die Arme aus. Die
Zuschauer applaudierten, pfiffen vor Freude und jubelten.
Es fehlt bloß noch, dass Unterwäsche auf die Bühne fliegt, meinte Atlans
Extrasinn.
Kulag Milton diesmal der echte und nicht sein unähnliches Stuntdouble
– ließ sich feiern.
»Doch eines Tages verließ Cassiopeia die Welt Olymp auf ihrem weißen
Pferde Zottel und reiste zwischen den Sternen, wo sie mit den Plejaden
nach Galactica zog und dort eine neue Dynastie gründete. Ich wäre gerne
dabei gewesen… also bei der Gründung.«
Kulag Milton lachte dreckig, und einige der Zuschauer stimmten mit ein.
Das Bild der blonden Amazone verblasste, und aus dem Dunkel des
Weltraums tauchten die Umrisse eines Raumschiffes auf.
Zuerst war die rechteckige »Nase« des Schiffes zu sehen, gefolgt von dem
seitlichen Wulst, ehe Atlan das Ausmaß der CASSIOPEIA im Licht
genauer betrachten konnte.
Im Hintergrund spielte eine symphonischemajestätische Musik, die ihm
aber unbekannt war. Vermutlich war es das Werk eines rudynischen
Komponisten aus den vergangenen 500 Jahren.
Das Vorderteil der CASSIOPEIA bestand aus einem Kugelraumer, der von
einem hufeisenförmigen Wulst umgeben war. An der Kugel lag der
quaderförmige Vorbau. Der hufeisenförmige Wulst und die Kugel waren
durch ein flaches Mittelteil verbunden. Das ovale Verbindungsstück bestand
aus mehreren Etagen und hatte ein abgeflachtes Dach. Das Mittelteil
erinnerte Atlan an eine Art kleine Stadt. Mittig befanden sich zwei
quadratische Gebäude, dahinter insgesamt fünf weitere Türme. Die
vorderen erinnerten ihn an eine Stufenpyramide aus dem alten Ägypten,
dahinter erstreckten sich zu jeder Seite ein zylinderförmiger Turm. Im
Zentrum der vier Gebäude thronte ein hoher Turm mit einer runden
Wohnplattform. Atlan wusste, dass sich hier einmal die Kommandozentrale
und der große Festraum befunden hatten.
Das Heck der CASSIOPEIA war rundlich und gewölbt. Es erinnerte an
den Panzer einer Schildkröte. Zwei Stahlröhren legten sich hufeisenförmig
um das Heck, an dessen Ende sich die Triebwerke befanden.
Das Design der CASSIOPEIA war vielfältiger als die übliche Bauweise
von galaktischen Schiffen, die zumeist rund waren.
Die Zuschauer konnten das Raumschiff nun in voller Pracht begutachten.
Natürlich war es nur eine Holografie, denn die CASSIOPEIA selbst war mit
einer Länge 1.000 Metern, einer Breite von 600 Metern und einer Höhe von
250 Metern etwas zu groß für eine Demonstration.
Das Schiff schwebte über dem Raumhafen der Milton-Werft, bereit, über
einige Gangways die etwa 500 Gäste zu aufzunehmen.
Kulag Milton hielt eine Lobpreisung auf sich selbst. Der Rudyner war
umringt von halbnackten und vollbusigen Terranerinnen, die nach Atlans
Geschmack zu dümmlich und oberflächlich grinsten.
Seit wann ist der Einsame der Zeit nicht mehr vom Antlitz schöner Frauen
angetan?
Atlans Extrasinn war scharfzüngig wie immer. Auch wenn er natürlich gar
keine Zunge besaß.
Mit solchen Frauen ist es wie mit leckeren Burgern einer Fast-Food-Kette.
Sie sehen zum Reinbeißen aus, doch jeder weiß, es steckt nichts Gutes drin,
antwortete Atlan im inneren Zwiegespräch.
Mit solchen Aussagen würdest du sicherlich den Titel Chauvinist des
Jahrtausends auf Rudyn bekommen.
Es bleibt ja unter uns, sagte Atlan zu seinem inneren Ich.
Milton selber sah weniger zum Anbeißen aus. Es war diese grundlegende
unsympathische Ausstrahlung, die der kräftige Rudyner mit den
wasserblauen Augen und schlohweißen Haaren hatte.
»Liebe lebende Existenzen, die CASSIOPEIA ist nur ein Teil der Reise!
Für ein unvergessliches Urlaubserlebnis wird die Camperna Agency Cloud
Company die CACC sorgen. Einen warmen Applaus für einen Mann,
der meinen tiefsten Respekt hat. Er ist ein Verkaufstalent, nein ein
Vertriebsgenie – der Super-duper-sales-Manager Yeremiah Cloudsky!«
Zu lauter Ska-Musik betrat Yeremiah Cloudsky die Bühne. Auch der
blauhäutige Glosneke mit den roten Pumucklhaaren kam hoch zu Ross,
doch anstatt auf einer Animation oder einem echten Pferd ritt er auf einem
Steckenpferd. Der Super-sales-Manager der CACC trug einen blauen
Anzug und ein weißes Hemd mit roter Krawatte. Er hüpfte auf dem Stab
mit dem Pferdekopf umher. Die Menge jubelte und lachte vor Freude.
Gucky materialisierte auf den leeren Sitzplatz neben Atlan.
»Na endlich«, sagte der Arkonide nur.
»Wieso schreien die denn so? Feiern die Cosmolodics ihr Comeback?«
Atlan zuckte mit den Schultern.
»Die neuen Superstars heißen Milton und Cloudsky
»Scheiße, so ein Hobby-Horsing-Dings hatte Jumpy auch mit drei
Jahren.«
»Ich sagte schon Sokrates damals, das sei lächerlich. Aber gut, die hatten
nichts anderes.«
»Kommt aber wohl gut an bei den Leuten.«
Atlan zuckte mit den Schultern.
»Wer weiß, was die genommen haben… Diese Reise wird sehr
anstrengend werden.«
Cloudsky stieg ab und hob den Stab mit dem Stoffpferdekopf in die Höhe.
Er spielte darauf, wie auf eine E-Gitarre, dann warf er das Spielzeug weg,
klatschte und ließ sich wie ein Rockstar feiern. Die Leute applaudierten,
und Cloudsky tanzte vor der Menge. Schrille Schreie begleiteten das
Spektakel.
Es wurde ruhiger, und der Glosneke rieb sich die Hände.
»Urlaub die schönste Zeit im Jahr in eurem Leben. Euer Spaß und
unsere Passion unsere Mission. Die CACC ermöglicht es euch, den
Moment zu genießen, einzutauchen und zu leben. Energie aus den
kosmischen Strahlungen der endlosen Freude zu tanken. Wir haben die
besten und freundlichsten mitarbeitenden Individuen, die förmlich
existieren, um euch unvergesslichen Urlaub zu bereiten. Unsere Company
steht für nachhaltige Diversität, Intersexualität und einen Fair-Clean-
Urlaub. Danke!«
Die Menge applaudierte lautstark.
Eine Arkonidin stöckelte in einem silbernen, kniehohen Kleid die Treppe
zur Bühne hinauf. Es war Sagreta da Maag. Ihr folgten zwei halbnackte,
muskulöse Männer mit langen, schwarzen Haaren. Offenbar sollten sie das
Pendant zu Miltons Miezen darstellen. Jeder trug ein Tablett mit Gläsern.
Atlan vermutete, dass die Gläser mit Champagner gefüllt waren. Als sich
die Arkonidin neben ihren Partner Milton stellte, stolperte einer der Männer
und verschüttete ein Glas Champagner. Einige Spritzer erreichten Hemd
und Hose von Milton.
Der Tycoon lachte, packte den Mann am linken Ohr und zupfte daran
grinsend. Dann nahm er ein volles Glas. Sagreta nahm auch eines, denn es
waren weitaus mehr Gläser auf den Tabletts als Redner auf dem Podium.
»Auf die CASSIOPEIA. Sie ist ein Inbegriff an Luxus, Schönheit und
Eleganz – ganz wie du, liebste Sagreta.«
Kulag Milton wirkte richtig charmant. Die Arkonidin lächelte.
»Greift am Buffet noch mal zu, meine Freunde. In einer Stunde beginnt
der Check-in. Danke!«
Kulag Milton leerte das Glas und winkte der Menge zu, die wieder jubelte
und ihrem großen Raumschiffbauer huldigte. Atlan stand auf und folgte
Milton mit etwas Abstand in den Backstagebereich. Der Rudyner riss sich
das Hemd vom Leib und warf es dem ungeschickten Träger des Tabletts zu.
»Du dumme Sau! Weißt du, was mein Hemd kostet? Mehr als dein
verschissenes Scheißleben!«
»Jetzt beruhige dich, Kulag«, forderte Sagreta da Maag ihn auf, doch der
Tycoon wurde noch wütender.
Sagreta gab der Sicherheit ein Zeichen, darauf zu achten, dass niemand
den Streit mitbekommen würde. Die zwei Rudyner sicherten die Tür und
dachten wohl, Atlan gehöre zum inneren Kreis.
»Hast du den Hurensohn eingestellt? Ist das auf deinem Mist gewachsen?
Der macht mich vor allen Leuten lächerlich mit seiner Spritzeinlage.«
Er stürmte auf den verängstigten Mann zu und packte ihn am langen Haar.
Myka Bilno kam zu ihm und wollte ihn sanft aus dem Bereich schieben,
aber das wollte er sich ansehen.
»Soll ich dich verklagen. Soll ich? Ja?«
Der Mann weinte und wimmerte nur »Nein!«
»Ach nein?«, schrie Milton. »Ich verklage dich. Und dann wirst du zahlen,
mein Junge! Und nicht nur du. Du wirst nicht mehr wissen, wie du dein
Fressen bezahlst, deine Energie, deine Miete. Am Ende muss deine Frau
anschaffen. Doch das reicht nicht. Die Klagen rasseln nur so in dein
Postfach. Dann müssen deine Kids auf den Straßenstrich, damit ihr euch
überhaupt eine Mahlzeit leisten könnt.«
Milton stieß den Mann von sich.
»Verpiss dich! Raus hier. Und bete, dass ich dich nicht verklage.«
Der Mann rannte wortlos weg. Kulag Milton drehte sich um und erblickte
Atlan. Er lächelte.
»Einmal mit Profis arbeiten. Der wird nie wieder tollpatschig sein in
seinem Leben. Er kann mir für diese Lektion danken.«
Atlan verzog den Mundwinkel.
»Er wird dir sicher dankbar sein, wenn seine Familie sich nicht
prostituieren muss.«
Milton winkte ab.
»Ich wollte dem kleinen Scheißer doch nur Angst machen.«
»Das war unnötig«, rügte ihn Sagreta.
»Dann hättest du mal besseres Personal auswählen sollen. Sagreta,
kümmere du dich um den Check-in der Gäste. Kannst du das, oder soll
Myka das übernehmen?«
Der Arkonidin blickte frustriert zur Sekretärin und atmete tief durch.
»Dafür brauche ich die ganz bestimmt nicht!«
Milton verließ mit Myka Bilno den Raum und ließ Sagreta einfach so
zurück. Atlan wusste, dass die stolze Arkonidin verletzt war.
»Nun«, sagte er und lächelte charmant. »Gucky und ich würden uns über
einen persönlichen Check-in freuen.«
Atlan und Gucky schritten die Gangway entlang. Der Boden war mit rotem
Teppich ausgelegt, die Wände bestanden zum Großteil aus einer
langgezogenen Fensterfront. Sagreta da Maag lief einen Meter voran und
zeigte Atlan nicht unbedingt die kalte Schulter, sondern ihr festes Hinterteil.
Neben ihr trottete der dreiköpfige Wolfshund Kerberus, ihr Haustier.
Witterst du etwa eine Gelegenheit nach dem Streit und bringst dich schon
einmal in Stimmung?
Sie hat durchaus ihre Vorzüge und scheint verletzt zu sein.
Verletzte Frauen sind besonders gefährlich.
Für denjenigen, der sie verletzt hat.
Nicht nur für ihn, Barbar. Nicht nur für ihn.
»Wenn du deinen Mentalblock öffnen würdest, könnten wir uns zu dritt
unterhalten«, warf Gucky ein, der ganz offenbar das mentale Zwiegespräch
zwischen Atlan und dessen Extrasinn erahnt hatte.
»Ich habe übrigens den armen Kerl noch abgepasst, bevor er rausgeworfen
wurde und gesagt, bei Problemen soll er sich an den Residenten persönlich
wenden und sagen, wir haben ihn geschickt.«
Atlan nickte. Das war Gucky mit seinem großen Herzen. Er selbst hatte
diesmal darauf verzichtet, sich mit Milton anzulegen. Immerhin hatten sie
den Auftrag, die LFG zu repräsentieren.
Sie durchschritten die Schleuse zur CASSIOPEIA und fanden sich in
einem großen und breiten Foyer mit Fußboden aus hellem Holz wieder. Die
Wände waren in einem dunkleren, spiegelnden Holz gehalten. Im Zentrum
befand sich ein großer Tresen, an dem diverse Terminals zum Check-in
standen. An den Seiten schwebten kugelförmige, weiße Roboter mit zwei
Greifarmen und einem roten Auge im runden Bauch.
»Der Check-in erfolgt automatisiert. Keine Einladung, keine Schlüssel-ID.
Roboter helfen, das Gepäck in die Kabinen zu tragen. Wie schon gesagt, es
gibt eigentlich kein Personal«, erklärte Sagreta da Maag.
Sie waren die ersten Passagiere, die eincheckten. Es war entsprechend leer
auf der CASSIOPEIA, deren Inneneinrichtung Atlan an einen Luxusliner
zur See erinnerte. Aber vielleicht ähnelten sich die Luxusschiffe zu Wasser
und im Weltraum ohnehin immer wieder. Es gab moderne Technologie,
aber in der Grundausstattung waren sie stets edel und anspruchsvoll
eingerichtet.
Gucky wollte seine Taschen telekinetisch anheben, doch sie blieben am
Boden stehen.
Sagreta da Maag lachte herzlich.
»Dafür stehen doch die Roboter zur Verfügung.«
Ich wurde misstrauisch, und Gucky seufzte leise.
»Oh«, machte Sagreta und winkte ab. »Lasst euch nicht durch unsere
Sicherheitsvorkehrungen stören. Wir verwenden Fünfdimensionale Psi-
Schirme. ENGUYN bezeichnet es als ein Paragitter
Dafür, dass die denken, ihr seid Schauspieler, sind sie auf Eventualitäten
gut vorbereitet, stellte Atlans Extrasinn fest.
Und er hatte recht damit, denn der Einsatz von Anti-Psi-Schirmen war
ausdrücklich gegen Gucky gerichtet. Jemand wusste um die Parafähigkeiten
des Mausbibers und wollte diese auf der CASSIOPEIA unterbinden. Durch
den fünfdimensionalen Schirm wurden die Psi-Fähigkeiten des Ilts
innerhalb des Raumschiffes neutralisiert. Gucky konnte nicht teleportieren,
Gedanken lesen oder telekinetisch Sachen bewegen. Er war ein ganz
normales Wesen – zumindest, was seine Parafähigkeiten anbelangte.
Atlan wurde jedenfalls misstrauischer.
Gucky war die ganze Zeit über angefressen. Er fühlte sich nicht wohl auf
der CASSIOPEIA. Atlan konnte es ihm nicht verdenken. Sie standen im
großen Sternenlicht-Saal auf dem Milton-Turm, wie der Erbauer den
Hochbau in seiner Bescheidenheit getauft hatte. Auf dem Milton-Turm
befanden sich die großen Festsäle sowie die Zentrale. Die Positronik
ENGUYN lag wohl im vorderen Bereich des Schiffes. Ohnehin schien die
Kommandozentrale mehr oder weniger unbenutzt zu sein, da die Positronik
die komplette Kontrolle und Steuerung autark vornahm.
Der Sternenlicht-Saal wirkte aufgrund von Monitoren und
Hologrammprojektoren gläsern. Die Außenbordkameras nahmen das
Umfeld auf und zeigten es in Echtzeit über den Köpfen der Gäste an. So
wirkte es, als wäre der Himmel zum Greifen nahe.
»The sky is the limit«, sagte der blauhäutige Glosneke Yeremiah Cloudsky
und lächelte. Er prostete Atlan mit einem Stielglas zu.
Der sah sich um. Die Gäste waren hauptsächlich Rudyner, Arkoniden,
Akonen, Springer und Tefroder. Hier und da mischten sich Topsider,
Unither, Cheborparner, Hasproner und Epsaler dazu. Atlan konnte keine
Haluter, Oxtorner, Ertruser oder Jülziish ausmachen. Vermutlich war
sowieso nur die High Society von Rudyn eingeladen, die Freunde und
Gönner des Reeders Kulag Milton.
Cloudsky winkte zwei Menschen herbei. Die Frau fiel Atlan besonders
auf. Sie war im mittleren Alter und von einer natürlichen Schönheit. Sie
trug ihr braunes Haar offen, ihre grünblau irisierenden Augen leuchteten
kräftig, und ihr Lächeln ließ wohl jedes Männerherz höher schlagen.
Nicht zu verschweigen ihre üppigen Brüste und ihr wohl geformter
Körper, kommentierte Atlans Extrasinn zynisch.
Der Mann neben ihr war von hagerer Gestalt, hatte einen Bartansatz und
wirkte eher schlicht im Geiste, gemessen an seinem Gesichtsausdruck. Er
torkelte etwas, da er vermutlich schon vor dem Start reichlich an der Bar
versorgt hatte.
»Das sind meine Assistenten Constance und Speedy Handrej.«
»Tatsächlich ist mir das ein großes Vergnügen, dich kennenlernen zu
dürfen tun, Herr Aslan«, sagte Handrej und schüttelte Atlans Hand.
Die Frau winkte.
Cloudsky klatschte in die Hände.
»Und? Mega oder was? Das ist das geilste Raumschiff im ganzen
Universum.«
Atlan grinste gequält.
»Alter, ich könnte hier wild onanierend durch die Gegend laufen, so nice
ist das Schiffchen«, meinte Speedy Handrej.
»Das glaube ich dem aufs Wort…« Die Brünette verdrehte die Augen und
leerte ein Glas Wein. Sie versuchte, den Ekel zu unterdrücken, offenbar war
es doch ein Schluck zu viel für ihn gewesen.
Atlan konnte es ihr nicht verdenken, denn der Nettoruna, den sie hier
servierten, verdiente den Namen nicht. Er wusste nicht, was sie hier sollten,
und Gucky kauerte sauer auf einem Stuhl und starrte vor sich hin. Der Ilt
hatte die Arme vor dem Bauch verschränkt und war in absolut schlechter
Stimmung.
Eine laute Fanfare ertönt, die Constance zusammenzucken ließ.
»Oh, das war jetzt plötzlich«, meinte sie und lachte aufgesetzt, während
Kulag Milton in lautem Beifall die Bühne am Ende des Sternenlicht-Saals
betrat. Er breitete die Arme aus.
»Willkommen auf der CASSIOPEIA. Sie ist wild, sie ist wunderschön
und megageil. Das ist mein neues Raumschiff.«
Die Anwesenden schrien, johlten und applaudierten in einer für Atlan
unangemessenen Euphorie.
»Und nun…«
Er hob den Finger und der Boden wurde transparent. Genauer gesagt
zeigte es sich, dass auch im Boden Holoprojektoren installiert waren. Die
Gäste blickten in die Tiefe, während die CASSIOPEIA langsam aufstieg. Es
war, als befände man sich in einer Glaskugel, die in den Himmel stieg.
»Was für ein billiger Mist«, meckerte Gucky. »Der Turm ist auf dem
Mittelteil der CASSIOPEIA gebaut. Wenn das authentisch wäre, würden
wir auf den nackten Stahl des Schiffes nach unten blicken und nicht auf
Rudyn.«
Atlan schenkte dem Mausbiber ein mildes Lächeln.
»Hier ist vieles offenbar mehr Schein als Sein. Die Außenkameras sind am
Bauch der CASSIOPEIA angebracht.«
Das Schiff nahm an Fahrt auf. Atlan beobachtete Sagreta da Maag, die in
einer schwarzroten Kombination mit kniehohem Rock gelangweilt an
einem Tresen stand und sich offenbar darüber ärgerte, dass Kulag Milton
sich gerade mit seiner Sekretärin Myka Bilno beschäftigte.
Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Die CASSIOPEIA überflog nun
Genzez und Neu Terrania. Die Solare Residenz kam näher, während die
CASSIOPEIA an ihr vorbeiflog.
»Ich würde ja auf die Residenz teleportieren, wenn ich das könnte«,
jammerte Gucky.
Cloudsky schien das Gespräch mitbekommen zu haben.
»Es ist schon etwas peinlich, dass du so an deiner Rolle festhältst, kleiner
Fuchs.«
Der Glosneke wedelte mit dem Zeigefinger vor Guckys Nase.
Speedy Handrej lachte schallend. Gucky sprang auf und watschelte
wütend davon. Atlan konnte es ihm nicht verdenken. Die Menschen des 21.
Jahrhunderts NGZ waren geistig weit zurückgeworfen, da ihnen das
komplette Wissen und Verständnis aus ihrer Vergangenheit fehlte. Sie
lebten in einer Galaxis und genossen den technologischen und
gesellschaftlichen Fortschritt, ohne zu wissen, wer in den Jahrtausenden
davor dafür gekämpft hatte. Es war einfach nur demütigend, dass diese
unwissenden Narren Gucky und ihm ihre Existenz abstreitig machten und
sie auslachten.
Atlan ging zu Sagreta und überreichte ihr ein volles Glas Wein.
»So allein im Augenblick des Triumphs.«
»Es ist sein Triumph und ich bin ausgeschlossen.«
Sie blickte ihn an.
»Er lässt sich feiern und vögelt die kleine rudynische Nutte in ein paar
Minuten, während er vorgibt, sich frisch zu machen.«
Sie leerte das Glas Wein in einem Zug und blickte Atlan tief in die Augen.
»Es heißt, dieser Atlan hätte sehr viel Erfahrung mit Frauen. Vielleicht
solltest du mir deine Erfahrung in meiner Kabine zeigen. Möglicherweise
glaube ich dir dann deine Geschichte…«
Der Sex mit Sagreta war schwungvoll, aber alles andere als zärtlich und
sinnlich gewesen. Sie hatte Positionen bevorzugt, in denen sie keinen
Augenkontakt gehabt hatten. Auch danach lag sie seitlich von Atlan
abgewandt, ließ es aber immerhin zu, dass er seinen Arm um ihre Schulter
legte.
»Bereust du es?«, fragte er schließlich.
»Nein, wieso denn? Das ist etwas, worin du in Längen besser bist als
Kulag.«
»Nun, dann habe ich in dieser Angelegenheit zumindest Fakten
geschaffen.«
Er spürte, wie sie kurz zuckte.
»Es hat für viel Aufsehen gesorgt, dass du über das Unternehmen
informiert bist. Wer hat es dir gesagt? Die kleine Nutte?«
Sie meinte zweifellos Myka Bilno.
»Wieso sorgt es für so viel Aufsehen?«
Sie lachte, dann löste sie sich aus seinem Griff und stieg aus dem Bett.
Sagreta stand nackt bis auf ihre Stockings vor ihm, die sonst so penibel
angelegten Haare waren zerzaust.
»Es ist Kulag Miltons Lebenswerk.«
Atlan hatte immer noch keinen blassen Schimmer, was sich hinter dem
Unternehmen “Fakten schaffen” verbarg, doch offenbar nahm Sagreta an, er
wüsste es. Er setzte sich auf.
»Sein Unternehmen ist geheimnisvoll. Ich muss Nachforschungen
betreiben, wenn es die Sicherheit der Liga gefährdet.«
Sie verzog das Gesicht und kniete sich auf das Bett.
»Ein Handelsabkommen mit den Cairanern wird kein Genickbruch für die
Liga sein. Es wird ihr wirtschaftlich schaden, ja. Aber das ist normal. Die
Milton Company wird galaxisweit von Bedeutung sein.«
Darum ging es also. Milton hatte einen geheimen Deal mit den Cairanern
geschlossen und wollte sich vermutlich auch deshalb auf der ATOSGO mit
diesem sternwestlichen Konsulatssekretär treffen. Atlan war erleichtert,
denn es ging wieder nur um Geld. Sicherlich würde der LFG die Milton
Company im Raumfahrtsektor fehlen, denn es schien auf einen Wechsel
vom Ephelegon-System hinaus zu laufen, doch Bull würde das verkraften.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte sie ihn und fuhr sich mit dem Finger über
ihren Busen.
»Wann wird Milton denn die Fakten verkünden?«
»Mit der Rückkehr der CASSIOPEIA ins Ephelegon-System. Es wird die
Börse in Aufruhr versetzen, wenn die Milton Company Rudyn den Rücken
kehrt. Deshalb auch die Geheimhaltung.«
Atlan zuckte mit den Schultern.
»Jeder soll seines Weges gehen. Was wirst du tun?«
»Ich werde brav seine Partnerin sein, doch erst morgen früh.«
Sie beugte sich über Atlan, sah ihm diesmal in die Augen und küsste ihn.
Atlan setzte sich an den Frühstückstisch und ließ sich vom Servoroboter ein
großes Glas mit Orangensaft einschenken und eine große Tasse starken
schwarzen Kaffee bringen. Vor ihm stand ein Korb mit Brötchen und
Croissants, daneben eine Schale mit Rührei und gebratenen Speckstreifen
und daneben wiederum ein Teller mit Wurst, Obst, Gemüse und Aufstrich.
Der Tisch war reichlich gedeckt – und Atlan hatte großen Hunger.
Während er sein Brötchen schmierte, schlug Kulag Milton ihm auf die
Schulter.
»Guten Morgen, alter Recke!«
»Morgen«, grüßte Atlan freundlich zurück.
Sagreta da Maag kam nun auch hinzu und schenkte ihm ein
bedeutungsvolles Lächeln.
Milton wuchtete sich auf den Stuhl und schnappte sich die Schale mit Ei
und Speck. Mit halb vollem Mund fragte der Tycoon: »Gut geschlafen?«
»In der Tat. Sport spät abends sorgt für einen geruhsamen Schlaf.«
»Das kann ich bestätigen, Kulag«, meinte Sagreta. »Ich durfte dem
Ausdauersport des Arkoniden beiwohnen, was ganz anders ist als die
Sprints mit dir
Kulag Milton öffnete den Mund und etwas Rührei und Speck fielen auf
den Tisch. Er schloss ihn wieder, kaute weiter und schluckte den Brei
herunter. Dann nahm er das Brotmesser und tippte mit der Spitze auf den
Tisch.
Atlan erwartete einen Wutausbruch, aber Milton blieb gelassen und
lächelte sogar. In seinen wasserblauen Augen stand jedoch der Zorn
geschrieben. Milton stand wortlos auf, schmiss das Messer zurück in den
Brotkorb und ging. Atlan warf einen Blick auf Sagreta, die ebenfalls
gelassen wirkte.
»Er wird sich davon erholen, dazu braucht er mich zu sehr. Nun,
entschuldige mich, ich muss mit Kerberus Gassi gehen. Einen schönen
Flug.«
Atlan nickte ihr höflich zu und lehnte sich zurück. Er hatte sich Kulag
Milton auf ewig zum Feind gemacht, doch darauf kam es nicht an. Der Typ
würde der Liga Freier Galaktiker sowieso bald den Rücken kehren.
Kapitel 2 – Der sternwestliche Konsulatssekretär
24. Februar 2046 NGZ
Der Augenraumer der Cairaner war gewaltig und mit einer elliptischen
Achse von 2.800 Metern und 300 Meter Dicke bedrohlich. Die Oberfläche
bestand aus einem silbrig weißen Material, in dem sich die Sterne
spiegelten. Im Zentrum des Raumschiffes lag eine Aussparung, in der sich
eine 600 Meter durchmessende, rötlich leuchtende Energiesphäre befand,
die von vier zangenförmigen Auslegern gehalten wurde.
Für einen sternwestlichen Konsulatssekretär war dieser Schiffstyp eine
Nummer zu groß. Es gab noch eine kleinere Klasse mit 1.400 mal 700
Metern und einer 350 Metern durchmessenden Energiesphäre. Vermutlich
wollten die Cairaner Stärke zeigen.
»Könnte ich beeindruckt sein, wäre jetzt wohl ein angebrachter Zeitpunkt.
Oder, Nathaniel?«, fragte Eleonore, die zusammen mit mir die Ankunft des
cairanischen Raumschiffes im Startek-Sonnensystem auf einem großen
Bildschirm im Labor der NOVA beobachtete.
Sie wandte sich von dem Geschehen ab. Es würde etwa eine halbe Stunde
dauern, ehe ein Beiboot aus dem Augenraumer in Richtung ATOSGO
aufbrach. Stattdessen kontrollierte sie die Entstehung ihres
Androidenkörpers. Fleisch bildete sich auf den Muskeln über dem
künstlichen Skelett.
»Es wird noch einige Tage dauern, doch ich bin zuversichtlich, dass diese
Erscheinung von Bestand sein wird.«
Sie meinte damit ihr Hologramm als blonde Rudynerin mit blauen Augen.
Sie hatte sich dazu entschieden, diese Erscheinungsform auf ihren
Androidenkörper zu übertragen.
Im Unterschied zu einem Roboter wurde der Körper für Eleonore auf
biologisch-chemischem Wege erzeugt. In ihrer Haut, im gesamten Körper
waren Rezeptoren verteilt, die Empfindungen erzeugen würden. Sie konnte
fühlen, würde Schmerzen spüren, aber auch Wind und die warme Sonne.
Der Körper würde einem Stoffwechsel unterliegen, sie würde Hunger und
Durst verspüren, um ihren Energiehaushalt auszugleichen. Sie wollte ihren
Körper so nahe an realem Leben halten, wie möglich. Einzig die
Ausscheidung vermied sie.
Der Androidenkörper war mit einem hochentwickelten künstlichen
Magen-Darm-Trakt ausgestattet, der die aufgenommene Nahrung effizient
in Energie umwandelte. Mittels spezieller Nanotechnologie und künstlicher
Enzyme wurde die Nahrung biochemisch zerlegt, wodurch die enthaltene
chemische Energie in elektrische Energie transformiert wurde – ähnlich wie
bei einer Brennstoffzelle. Dieser Prozess versorgte die verschiedenen
Systeme des Androiden mit der notwendigen Energie, während
unverwertbare Rückstände in komprimierter Form ausgeschieden wurden.
Auf diese Weise konnte der Android Energie aus organischem Material
gewinnen, ohne dabei den physikalischen Gesetzen zu widersprechen oder
übermäßige Abfälle zu erzeugen.Im Kopf war Platz für einen Prozessor und
der Speicher der Positronik.
Das Projekt hielt sie weiter vor unserem Kommandanten Hunter geheim.
Sie wollte ihn vor vollendete Tatsachen stellen. Ich befürchtete, dass Hunter
den Androidenkörper einfach zerstören würde. Soweit wollte ich es nicht
kommen lassen.
Seit unserer Rückkehr war mein Boss besonders gereizt, und auch Ragana
ter Camperna wirkte noch unhöflicher als sonst. Offenbar hätten beide
gerne das Artefakt aus Mashratan in den Händen gehalten, um es dem
sternwestlichen Konsulatssekretär überreichen zu können. Doch die Quelle
der Rhodanmystiker war mitsamt dem Raumschiff des Topsiders Ikasar-
Torn und der Rhodanmystikern Larida Yoon sowie dem Haluter Bordan
Hayk und dessen ophalischen Barden in der Temporalen Anomalie
vergangen.
Wir waren mit leeren Händen zurückgekehrt, sah man von Oberst
Kerkums Musiksammlung einmal ab, die Cilgin At-Karsin aber vor Ragana
verheimlicht hatte. Sie hätte sie ohnehin als Fälschung bezeichnet, da einige
der Künstler angeblich von Terra stammten. Der Rhodanmystiker Jevran
Wigth war wieder auf der ATOSGO inhaftiert. Der Tefroder hatte sich
widerstandslos festnehmen lassen und litt merklich unter dem Verlust seiner
Begleiterin Larida Yoon.
Am meisten von allen stand ich wohl mit leeren Händen dar. Diese
Jargon-Chronik, wie das Anubis-Hologramm sie bezeichnet hatte, sah
genauso aus wie mein Artefakt. Pyramidenförmig, dreißig Zentimeter lang,
goldweiße Hülle. Anubis hatte vom Vergessen gesprochen. Vielleicht hätte
die Jargon-Chronik Antworten auf meine Vergangenheit liefern und mir
einen Weg zeigen können, mein Artefakt zu öffnen.
Ich verließ das Labor durch den schmalen Korridor zur Ausstiegsluke, die
bereits geöffnet war. Langsam schritt ich die heruntergelassene Luke hinab
und betrachtete das Treiben im Hangar. Roboter schoben Frachtcontainer
auf Antigravplattformen durch die Gegend. Auf der ATOSGO lebten derzeit
fast 3.000 Gäste und Besatzungsmitglieder, und natürlich plante Ragana ter
Camperna eine große Gala zu Ehren der Ankunft der Cairaner.
Ich erkannte Tarnaite Grazus, die mit der Unitherin Cyba Kryz den Inhalt
eines Containers betrachtete und darin herumkramte. Die blauhäutige
Tarnaite mit den orangefarbenen Haaren und den blauen Augen stammte
wie ich von Gongolis und war von der Spezies her ein Mensch. Sie war
drall gebaut und von einer natürlichen Schönheit. Tarnaite wirkte immer so
zerbrechlich und traurig. Ich wusste, dass sie auf Gongolis kein leichtes
Leben gehabt hatte. Sie hatte einmal erzählt, dass ihre Mutter früh
gestorben war und der Vater unter Trunksucht und Glücksspielsucht litt, ehe
er wegen Spielschulden ermordet worden war. Tarnaite war als Waisenkind
in einer Kolonie von Terranern aufgewachsen, ehe Hunter diese 2035
ausgehoben hatte. Mein “charmanter” Boss hatte damals erreicht, dass alle
138 Rhodanmystiker Gongolis hatten verlassen müssen.
Ragana selber hatte das ausgenutzt und 75 von ihnen, darunter Tarnaite,
als niedere Arbeiter bei der CACC eingestellt. Natürlich durfte sich bis
heute niemand mehr als Terraner bezeichnen oder über Perry Rhodan reden.
37 von ihnen hatten es im Laufe der Jahre trotzdem getan. Einige von ihnen
verschwanden danach einfach, andere hatten Glück gehabt und waren nur
entlassen worden.
Die Unitherin Cyba sah sich zwei Vurguzzflaschen an. Ihr Rüssel tastete
die Flasche ab.
»Das ist für die Gäste«, rügte Tarnaite sie mit ihrer hohen Stimme.
Cyba erschrak so sehr, dass sie eine Flasche fallen ließ. Sie hielt dem
Aufprall jedoch stand und rollte zur Seite, ehe sie von einem Fuß gestoppt
wurde.
Hunter.
Er hob die Flasche auf und grinste.
»Du dumme Säuferin mit einem galaktischen Schwanz in der Fresse
wolltest wieder Eigentum der CACC stehlen, richtig?«
Er sagte es in einem Tonfall, als würde er sie über den höchsten Klee
loben.
»Ja, ja, Herr Hunter. Ja, ja, ich arbeiten«, antwortete die Unitherin, die
kaum Interkosmo verstand oder sprach, weil sie von einer Kolonie der
Unither stammte, die dort im Laufe der Jahrhunderte degeneriert waren. Für
normale Unither war Interkosmo quasi die Muttersprache.
»Sie hat doch nichts davon getrunken«, verteidigte Tarnaite sie.
»Vielleicht solltest du lieber als Nutte bei Topp arbeiten, statt als Sklavin
der alten Ragana die Scheiße aufzuräumen.« Hunter beäugte sie mit einem
Lächeln. »Du hättest Potenzial.«
»Es reicht jetzt«, sagte ich entschieden. »Wir sollen vermutlich jetzt den
Cairaner empfangen?«
Hunter blickte mich irritiert an. Er war Widerworte von mir nicht
gewohnt, wusste aber auch, dass ich mich für manche Schwache einsetzte,
was ihn immer gestört hatte. Für ihn waren Tarnaite und Cyba keine echten
Lebewesen, sie waren Spielzeuge. Er wusste nur zu genau, dass niemand
ihm einen Strick drehen würde, wenn er beide zum eigenen Vergnügen
umbringen würde. Dann waren sie auf einmal Rhodanmystiker und eine
Gefahr für das Unternehmen.
Hunter atmete tief durch und lächelte wieder.
»Korrekt, edler Ritter. Die Fähre von Roch Miravedse ist auf dem Weg.
Wir sollten ihn nicht warten lassen.«
Das Empfangskomitee hatte sich im zweiten Hangar versammelt. Hunter
und ich sorgten mit vier der zwölf Wachrobotern für die Sicherheit. Mit uns
befanden sich die gesamte Familie ter Camperna im Hangar.
Ragana ter Camperna hatte ihren Bart gespitzt und ihr graubraunes Haar
offen. Sie trug ein grünes Kleid, das bis zu den Knien reichte und die
behaarten Unterschenkel zeigte.
Rechts neben ihr stand der greise Heshnat ter Camperna. Der Gatte der
Ragana wirkte eingefallen und teilnahmslos. Seine spitzen Ohren hingen
geknickt zur Seite, und das Emot-Organ leuchtete grau, was so viel wie
Emotionslosigkeit bedeutete.
Zu ihrer linken Seite befanden sich ihre Stiefsöhne Vopp und Topp. Sie
waren die leiblichen Kinder von Heshnat und Onryonen.
Vopp ter Camperna war das Positronikgenie in der Familie. Der
hochgewachsene Onryone trug eine kurze beige Hose und einen viel zu
engen roten Pullover. Auf dem Kopf ruhte eine blaugelbe Propellermütze.
Die Füße steckten in Filzpantoffeln. Von Vopp ging ein säuerlicher Geruch
aus, so als hätte man einen Erdboden frisch aufgebrochen. Es war ein
Zeichen der Müdigkeit. Das Emot-Organ leuchtete dunkelrot, was bei
seiner Spezies Gleichmut ausdrückte.
Sein Bruder Topp ter Camperna, der Besitzer des Spielcasinos und
Bordells auf der ATOSGO und der SEESTERN, trug keine Schuhe, dafür
weiße Socken und einen Morgenmantel. Das Emot-Organ schimmerte in
Regenbogenfarben. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er berauscht war.
Dahinter befanden sich Vopps sieben Kinder um ihre unsympathische
Mutter. Wie immer war Stasya ter Campernas Make-up mit dem knallig
pinken Lippenstift und dem grünen Lidschatten viel zu übertrieben. Die
Kinder wirkten schmuddelig wie eh und je. Ihre Gesichter und ihre
Kleidung waren von Essensresten bekleckert. Sie quengelten und waren
ziemlich unruhig. Stasya versuchte, sie zur Ruhe zu bringen.
Abseits der Familie hatte sich die wichtigsten Mitarbeiter der CACC
aufgereiht. Zuerst die Arkonidin Bismaria da Enta. Die Vorsteherin mit den
weiten Schals roch bis hierher nach Raumhafentoilette. Ich hatte den Filter
in meiner Maske für eine Weile deaktiviert, weil ich die Umwelt bewusster
wahrnehmen wollte. Neben da Enta standen die grünhäutige und
kurzhaarige Imarterin Bytta Wolden, die hochgewachsene Blues
Gorüküüana Lorübüllyvalütün mit ihrem roten Fellsaum und die attraktive
Rudynerin Polly Kallos. Dahinter unterhielt sich die gedrungene
Personalreferentin Boffelia Bokk mit der sommersprossigen und kräftigen
Rezeptionistin Cirane Kinzz. Links von ihnen wankte der Leitende
Ingenieur Theofyr Sobrasky von links nach rechts. Cilgin At-Karsin wirkte
fehl am Platze und schien sich in der Traube seiner Kollegen nicht wohl zu
fühlen.
Das Beiboot des Augenraumers war ebenfalls ellipsenförmig, jedoch in
sich geschlossen und besaß keine Energiesphäre im Zentrum. Es glitt mit
einem leisen Surren in den Hangar, und aus dem Bauch fuhren
Landestützen aus. Das Schiff setzte auf, und die Landestützen hoben den
Rumpf etwa fünf Meter in die Höhe. Eine elliptische Öffnung bildete sich.
Langsam schwebte ein Cairaner durch den unsichtbaren Antigravstrahl
hinab. Das Aussehen der Cairaner war wohl den meisten Galaktikern
bekannt. Sie waren filigran gebaut, mit langen Armen, an deren Unterarm
ein weiteres Armpaar lag. Die Haut war golden, mit bronzenen Flecken am
haarlosen Kopf.
Der sternwestliche Konsulatssekretär Roch Miravedse war angekommen.
Der Antigravstrahl erlosch, und Miravedse blickte sich bedächtig um. Der
Cairaner trug eine blauweiße Kombination mit blauen Stiefeln, einem
weißen Einteiler, der mit seitlichen blauen Streifen verziert war und weiße
Handschuhe. Das Gesicht wurde von einer flachen, beweglichen Nase,
einem lippenlosen Mund und ockerfarbenen Augen mit waagerechten
Pupillen geprägt.
»Herzlich willkommen, Euer sternwestlicher Konsulatssekretär«, sagte
Ragana ter Camperna zur Begrüßung und breitete die Arme aus.
Miravedses Innenhände ballten sich zu Fäusten. Die feinen Gespürhände
nutzten die Cairaner zum Ausdruck ihrer Empfindungen. Die geballte Faust
war ein Zeichen von Ablehnung, so als würden wir Menschen angeekelt die
Mundwinkel verziehen.
»Ich bedanke mich für den Empfang der CACC. Jedoch muss ich zu
meinem Bedauern zum Ausdruck bringen, dass die mangelnde Ästhetik in
Bekleidung und Erscheinung einiger der Anwesenden eine allergische
Reaktion meines Immunsystems verursacht. Ich bitte um sofortige
Entfernung der Personen, ja?«
Roch Miravedse blickt an die Decke und faltete die zwei Handpaare vor
dem Schoß. Ragana blickte sich suchend um, und auch die anderen wirkten
völlig perplex. Nun gut, wenn es nach mir ging, störten fast alle in dem
Hangar mein ästhetisches Empfinden. Die CACC-Leute murmelten vor sich
hin, und ich hörte sowas wie »Der Hauri muss weg, der ist es bestimmt.«
von Boffelia Bokk.
»Es betrifft bedauerlicherweise eine Vielzahl der hier im Raum
befindlichen Existenzen, ja?«, sagte Roch Miravedse mit warmer Stimme.
»Die Rudynerin mit dem unsymmetrischen Gesicht und Brüsten gehört
ebenso dazu wie die unangemessen gekleideten Sprösslinge der ter
Camperna. Der Geruch der Arkonidin beleidigt meine Nase, die grelle
Farben der Schminke der Rudynerin mit den ungezogenen Kindern – sieben
auch noch an der Zahl – löst ein Brennen in meinen Augen aus, ja?
Lediglich Ragana ter Camperna, die beiden Rhodanjäger, die
Rezeptionistin mit dem dunkelvioletten Haar und der Hauri dürfen bleiben.
Die anderen Anwesenden lösen in mir, freundlichst ausgedrückt, einen Ekel
und Unbehagen aus, den ich leider nicht zu unterdrücken vermag.«
Immerhin durften Hunter und ich bleiben. Polly Callos und Cilgin At-
Karsin widerten den Cairaner auch nicht an. Der Rest musste gehen. Tat mir
nicht leid um ihr Ego.
»Alle raus, bis auf Hunter, Creen, Callos und At-Karsin. Los jetzt«, rief
Ragana und klatschte dreimal in die Hände. Dann wandte sie sich demütig
an Roch Miravedse und verneigte sich.
»Ich bitte mein Fehlverhalten zu entschuldigen.«
»Gegeben, Ihre Söhne wählen eine angemessene Garderobe, so dürfen sie
an unseren Gesprächen teilnehmen.«
Ragana nickte devot und deutete mit der Hand auf den Ausgang. Hunter
und ich folgten ihnen zur Linken, Polly und At-Karsin zur Rechten. Alles
musste in symmetrischer Harmonie sein, damit der Cairaner nicht noch
weitere allergische Reaktionen erleiden musste.
Der Speisesaal war in einem schlichten Beige gehalten. Die Tischdecken
waren gelb, die Servietten beige. Es waren warme, freundliche Farben, die
das Gemüt des Cairaners im Einklang halten sollten.
Roch Miravedse setzte sich hin und legte die vier Hände auf den Tisch.
Die vierfingrigen Außenhände waren größer und stärker als die feinen
Innenhände. Das innere Handpaar waren die Gespürhände, die neuronal
durchsetzt waren und deswegen über eine Vielzahl an Sinneseigenschaften
verfügten. Die Finger der Cairaner besaßen offene Nervenenden.
Ragana ter Camperna setzte sich zu ihm. Wir standen paarweise herum.
Inzwischen hatten wir die Positionen gewechselt, sodass Cilgin At-Karsin
neben mir stand und Polly neben ihrem Liebhaber Hunter.
»Ich danke Ihnen, ehrenwerte Ragana ter Camperna für die
Rücksichtnahme auf meine kulturellen Eigenarten, ja?«
»Und ich danke Ihnen für Ihre Offenheit und ebenfalls dafür, dass Sie
meinen Wunsch auf eine förmliche Anrede respektieren, welche im
Interkosmo nicht mehr üblich ist«, erwiderte die Mehandor.
»Hm, ich muss gestehen, dass mir die Unterscheidung nach förmlicher
und persönliche Ansprache durchaus gefällt.«
Ragana lachte und ließ sich ihr Glas mit Wein füllen. Ich sah, dass
Tarnaite Grazus als Kellnerin diente. Sie trug ein weißes Kleid mit
Blümchen. Bei ihr schienen die Ästhetik und die Proportion des Körpers
jedenfalls zu stimmen.
Cairaner waren in der Lage, Nahrung und Getränke der Galaxis zu
verzehren. So schenkte sie ihm auch Wein ein.
Tarnaite verließ den Raum.
»Wohl denn, ich bin gespannt auf die nächsten Tage und die Evaluierung
von Milton Kulag.«
»Wir werden am 25. Februar auf ihn treffen. Es werden auch zwei
Abgesandte der Liga Freier Galaktiker mit der CASSIOPEIA anreisen.
Atlan und Gucky
»Zwei Ikonen der Rhodanmystiker«, stellte Roch Miravedse fest und
schlürfte den Wein. »Sie haben in einem Kommuniqué berichtet, dass Sie
große Erfolge im Kampf gegen die Verschwörungstheoretiker und
galaktischen Schwurbler erzielt haben, ja?«
Sie lächelte und zeigte auf Hunter.
»Das ist ein besonderer Verdienst unserer Rhodanjäger
Roch Miravedse blickt hoch. Die Mimik des Cairaners war starr, und
allenfalls einige Handbewegungen ließen erahnen, was er fühlte. Doch es
war schwer, aus den unablässigen Bewegungen der Hände und Finger seine
Emotionen abzulesen. Dazu war ich einfach nicht geübt genug.
»Ah, Pawl Erfos. Wann wirst du…« Miravedse hielt inne. »Wann werden
Sie Ihr Vermächtnis antreten? Das Volk der Tefroder wird durch Lügen
unterdrückt. Ihr würdet der Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit im
Tamanium verträglicher sein und ein besseren Maghan darstellen als Vetris-
Molaud.«
Tarnaite Grazus brachte das Essen. Auf dem Teller von Roch Miravedse
befanden sich zwei Scheiben Seelachs aus dem Grünen Ozean, sechs
Kartoffeln mit Dill und vier gebackene Tomaten, die symmetrisch
angeordnet waren. Verlegen stellte sie den Teller ab und sah den Cairaner
erwartungsvoll an.
Ragana winkten Tarnaite zur Seite. Sie verstand diese Geste, verneigte
sich und brachte nun Raganas Teller.
»Ich bin bereit. Sobald die Cairaner mit einer Flotte Augenraumer meine
Legitimierung untermauern«, sagte Hunter und kam näher an den Tisch.
Roch Miravedse nahm die Gabel und stach in eine der gebackenen
Tomaten. Er nahm mit der linken Hand ein Messer und schnitt die Tomate
in zwei gleiche Hälften. Dann hob er die eine Hälfte mit der Gabel hoch
und schob sie sich in den Mund. Genüsslich schmatzend kaute er auf dem
Gemüse und schluckte es hörbar herunter. Dann lehnte er sich zurück und
sah zu Hunter.
»Wir sind in großer Sorge, wenn Regierungen Falschmeldungen und
Mythen fördern und ausnutzen, um die eigene Macht zu stärken. Doch
wollen wir keinen galaktischen Krieg auslösen. Die Lösung muss kreativer
sein, ja?«
Hunter seufzte.
»Nun, erzählen Sie mir doch lieber von Ihren Unterfangen auf Stellacasa
und Mashratan, ja? Es heißt, die Rhodanmystiker sind ausgemerzt?«
Hunter sah mich an. Offenbar wusste er nicht, was er sagen sollte, doch
ich schwieg. Der Tefroder seufzte.
»Wir haben ein Netzwerk von mehr als einhunderttausend
Rhodanmystikern auf Stellacasa ausfindig gemacht. Doch die gesamte
Bevölkerung des Planeten verging in einer Temporalen Anomalie.«
»Hervorragend, damit ist das Problem auf dieser Welt gelöst. Was geschah
auf Mashratan?«
Hunter nickte mir zu.
»Bevor ich über Mashratan spreche, gestattet mir eine Frage,
sternwestlicher Konsulatssekretär
Miravedse schnitt ein Stück vom Seelachsfilet ab und tunkte es in die
weiße Sauce am Tellerrand. Er legte es in den Mund. Diese Kaugeräusche
störten mein Ästhetikempfinden. Der Cairaner ließ sich viel Zeit, ehe er
sich zurücklehnte und mit dem Finger wedelte. Ich durfte meine Frage
stellen.
»Haben die Cairaner Stella Mortem in der Bevölkerung von Stellacasa
verteilt?«
»Creen, wie können Sie es wagen?«, rief Ragana aufgebracht und
donnerte mit den Fäusten auf den Tisch.
Roch Miravedse hob beschwichtigend die beiden linken Hände. Mit der
rechten Hand nahm er das Weinglas und trank daraus. Dann stellte er es
langsam ab und blickte zu mir.
»Ich erinnere mich noch gut an das Projekt Stellacasa. Wir haben
Satelliten in der Umlaufbahn verteilt. Es erschien mir als der wie sagt ihr
Galaktiker noch humanere Weg im Vergleich zu den Ausweglosen
Straßen. Stellacasa war durch die Rhodanmystiker toxisch geworden und
musste durch ausgeklügelte, aber friedfertige Maßnahmen entgiftet werden.
Ich sehe nun, dass unser Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde.«
»Erfolgreich?«, rief ich lauter als gedacht.
»Ihr wünscht etwas anzumerken, ja?«, fragte Miravedse und widmete sich
nun der zweiten Tomate auf seinem Teller.
»Ihr habt mehr als 90 Jahre lang die Bevölkerung eines ganzen Planeten
manipuliert, sie in eine unmenschliche Isolation gezwungen und ihre
Ausrottung eingeleitet. Die Rhodanmystiker hatten also demnach recht.«
Vor lauter Aufregung rutschte Miravedse beim Schneiden der Tomate mit
dem Messer ab und beförderte eine Kartoffel vom Teller. Ragana winkte
Tarnaite herbei, die die Kartoffel hastig aufhob und die Decke säuberte.
Roch Miravedse blickte mich an und ballte die Fäuste.
»Ich habe Leben gerettet! Die Alternative wäre ein bewaffneter Einsatz
gewesen, der Weg in die Ausweglosen Straßen. Ja, mir erschien dieser Weg
als human.«
Miravedse wollte sich wieder dem Essen widmen, doch er hielt inne und
blickte mich erneut an.
»Ich wünsche die sofortige Übergabe des Artefaktes von Mashratan sowie
die Auslieferung der beiden Rhodanmystiker, ja?«
»Die Quelle der Rhodanmystiker ging in einer Temporalen Anomalie
verloren, wie auch die Rhodanmystikerin Larida Yoon«, lautete meine
Antwort.
»Bedauerlich. Sie können die Aussagen Ihres Navigators bestätigen, ja?«
Miravedse sah zu Hunter rüber, der den Kopf schüttelte.
»Ich war nicht dabei. Allerdings ist Larida Yoon nicht wiedergekommen.«
Cilgin At-Karsin räusperte sich und trat hervor. Er verneigte sich demütig.
»Entschuldigt bitte, Herr sternwestlicher Konsulatssekretär. Ich war
ebenfalls auf Mashratan und kann die Aussagen des Herren Kopfgeldjägers
bestätigen. Sowohl die sogenannte Quelle als auch die Akonin gingen in der
Temporalen Anomalie verloren. Kein Verlust, wenn ich das anmerken
darf.«
Miravedse hob die Hände und bewegte die Finger.
»Ihr dürft, danke sehr. Nun entfernt euch wieder auf eure Position.«
»Ich muss mich für das Verhalten von Creen entschuldigen«, warf Ragana
ter Camperna ein.
Reizend, wie sehr sie ihrer Gefolgschaft den Rücken stärkte.
»Seine impertinente Anmaßung der cairanischen Strategie im Luce-
System hat meine Ästhetik nicht annähernd so beleidigt, wie die Mode Ihrer
Kinder, sehr verehrte CACC-Patriarchin. Doch es ist bedauerlich, dass wir
kein Artefakt haben.«
»Mein Navigator besitzt so eines. Es ist nicht das von Mashratan.«
Wie konnte Hunter nur? Das war mein Besitz, mein Eigentum und meine
Privatsphäre.
»Nun statt einer Entschuldigung Ihres Lakaien wünsche ich die
Aushändigung dieses Artefakts zu weiteren Untersuchungen. Ebenfalls
fordere ich weiterhin die Auslieferung des verbliebenen Rhodanmystikers
bei meiner Abreise.«
Ragana blickte mich auffordernd an.
»Sie haben den sternwestlichen Konsulatssekretär gehört. Bis zu seiner
Abreise übergeben Sie ihm beides ohne zu murren, verstanden?«
Das konnte sie nicht verlangen! Das Artefakt gehörte mir. Es war
vielleicht der einzige Schlüssel zu meinem alten, mir unbekannten Leben.
Das durfte man mir nicht nehmen. Wenn ich das Artefakt verlor, verlor ich
jede Chance darauf, meine Erinnerungen zurückzuerlangen.
Doch das kümmerte keinen in dieser Gesellschaft.
»Verstanden«, sagte ich und verließ den Saal. Sollte dieser goldene
Mistkerl doch an seiner Tomate ersticken!
Ich schob mich durch die Gruppe der CACC-Mitarbeiter, die sich vor dem
Speisesaal befand. Die Weiber in der Traube zeterten ungehalten. »So ein
Freak«, flüsterte Boffelia Bokk, die Personalreferentin.
Ich blieb stehen und baute mich vor der Rudynerin mit der blauen
Haarmähne auf. Sie starrte mich entsetzt an und wich mit erhobenen
Händen zurück, so dass sie Cirane Kinzz auf die großen Füße trat.
Ich drehte mich um und verließ wortlos den Raum. Ich wollte nur noch
zur NOVA zurück. Was sollte ich jetzt machen? Unter keinen Umständen
wollte ich das pyramidenförmige Artefakt aus den Händen geben und schon
gar nicht den Cairanern überlassen. Ich musste es verstecken. So komisch
es mir vorkam, ich machte mir auch Gedanken um Jevran Wigth. Sein
Schicksal war besiegelt, Roch Miravedse würde ihn in eine Ausweglose
Straße deportieren. Das hatte der Tefroder nicht verdient.
Mein Weg führte mich durch die Haupthalle, die bereits gut besucht war.
Es duftete nach frischem Brot und Kaffee.
»Hey, da ist ja der geheimnisvolle Ritter«, rief jemand mit säuselnder
Stimme.
Ich warf einen Blick nach rechts. Da stand diese Meinungsmacherin
Rasha und lächelte mir zu. Sie hielt in der linken Hand eine rauchende
Zigarette und in der rechten Hand eine Tasse Kaffee.
Sie hatte ihr schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden und war wieder
sehr offenherzig gekleidet, so dass man viel Haut und ihre Tätowierungen
sah. Ich trat näher. Ihre Augen waren wirklich fast völlig schwarz, nur ein
dunkles Violett trennte die Iris farblich von der Pupille.
»Was ist aus deinem Abenteuer geworden? Gefunden, was du gesucht
hast?«
»Ja, und es wieder verloren.«
Sie nahm einen Zug von der Zigarette und stieß den Rauch stöhnend
wieder aus.
»Ich bin nicht so blöde, wie ich aussehe. Ich weiß, dass du zwei
Rhodanmystiker an Bord hattest und nur einer davon zurückgekehrt ist. Der
Springer war außerdem sehr redselig nach ein paar Bierchen.«
Sie lächelte begeistert.
»Temporale Anomalien, Geister der Vergangenheit, ein Artefakt, das
beweisen könnte, dass der ganze Kram mit Perry Rhodan echt ist. Das ist
wirklich aufregend.«
Ich betrachtete Rasha. Sie war das, was man im 21. Jahrhundert NGZ eine
MeMa eine Meinungsmacherin nannte. MeMa waren Journalisten und
Selbstdarsteller. Sie sendeten Meinungen, Beiträge, Fotos und Videos über
sich im galaktischen Netz. Ihre Follower nannte man Stalkys. Rasha war ein
typisches MeMa-Girl, sie zeigte viel Haut und ihre Brüste, manchmal ihre
pedikürten Füße oder auch Aufnahmen ihrer Morgentoilette. Ich konnte
damit nicht viel anfangen. Sie war auf der Suche nach einer neuen Story für
ihre Stalkys, doch ich wollte ihr ganz gewiss nichts über mein Artefakt und
die komplizierte Beziehung zwischen Cairaner, CACC und den
Rhodanmystikern erzählen.
»Morgen kommt die CASSIOPEIA. Dann wirst du neue Storys haben.«
Ich ließ sie stehen.
»Warte«, rief Rasha. »Du hast doch auch so ein Artefakt.«
Ich blieb stehen.
»Was willst du?«
Sie trat näher und fuhr mit ihrem Zeigefinger der rechten Hand an meiner
Brust entlang.
»Ich wundere mich nur, wieso du ein Artefakt besitzt, das beweisen
könnte, dass Terra und Rhodan Realität sind. Das ist spannend. Und wieso
Ragana ter Camperna, die gerade mit einem Cairaner speist, dir erlaubt, es
zu behalten.«
Ich schwieg.
»Volltreffer«, sagte Rasha.
Ich wandte mich wieder ab.
»Du solltest das Artefakt besser vor ihnen verstecken«, rief sie mir
hinterher.
Als ob ich das nicht selber wusste. Der Kreis jener, die offenbar eine
Bedeutung in dem dreißig Zentimeter großen pyramidenförmigen Artefakt
sahen, wurde von Tag zu Tag größer.
Kapitel 3 – Rendezvous im All
25. Februar 2046 NGZ
Die CASSIOPEIA erreichte das Startek-System, das 985 Lichtjahre vom
Ephelegon-System entfernt war. Die ATOSGO war mit einem Durchmesser
von 2.000 Metern und einer Höhe von 600 Metern fast doppelt so groß wie
die CASSIOPEIA.
Die diskusförmige ATOSGO hatte transparente Kuppeln an der
Oberfläche. Atlan erkannte von weitem Hochhäuser, kleine Parks, Seen und
Strände darunter.
Yeremiah Cloudsky stellte sich neben ihn und betrachtete die ATOSGO.
»Ich bin jedes Mal zutiefst ergriffen, wenn ich das Raumschiff sehe. Es
erinnert mich an unsere Mission, an unsere Passion, Galaktiker glücklich zu
machen. Gibt es ein besseres Ziel im Universum?«
Atlan atmete tief durch.
»Galaktiker glücklich machen? Nur, wenn sie über genug Galax verfügen,
um sich so eine Luxusreise leisten zu können. Wenn ihr Galaktiker
glücklich machen wollt, dann fangt bei denen an, die unterdrückt werden,
die Hunger leiden oder kein anständiges Obdach haben.«
»Herr Aslan, innerhalb der Liga Freier Galaktiker gibt es keinen Hunger.
Und der Frieden der Cairaner hat für Wohlstand gesorgt. Es gibt keine
Notleidenden Galaktiker mehr
Das wäre schön, doch Atlan wusste, dass es anders war. Er erinnerte sich
daran, dass es ausgerechnet hier im Startek-System zu Zeiten des Solaren
Imperiums einen Stützpunkt der USO gegeben hatte. Ronald Tekener und
Sinclair Kennon hatten den Sitz der UHB, einer Scheinfirma der USO, auf
dem Planetoiden Satisfy gelegt. Doch der Firmensitz war schon lange
verlassen und vermutlich verfallen.
Die CASSIOPEIA flog langsam in den Hangar der ATOSGO. Kulag
Milton kam mit Sagreta da Maag und Myka Bilno auf die Gruppe zu. Von
der Seite stießen die beiden Assistenten von Cloudsky dazu.
»Na, alter Recke; bereit für die geile ATOSGO?«
Warum musste immer alles mega und geil sein?
Ein berechtigter Einwand, den Atlans Extrasinn vorbrachte.
Als Gucky müde und unwirsch angewatschelt kam, waren sie offenbar
vollzählig für einen Empfang auf dem Raumschiff der ter Campernas. Der
Weg zum großen Festsaal führte Atlan und die anderen durch die große
Haupthalle, die sich über mehrere Etagen erstreckte und vor allem aus
transparentem Material gebaut war, sodass sie eine Übersicht bis zur
höchsten Etage hatten. Atlan erinnerte der Aufbau an große
Einkaufspassagen, in denen sich das geschäftige Treiben über mehrere
Stockwerke verteilte, während das Zentrum meist offen war.
Zwei Frauen empfingen die Besucher der CASSIOPEIA.
Die eine Rudynerin war schlank, attraktiv und hatte einen beachtlichen
Vorbau, während die andere kräftiger Natur war und auch eine Ertruserin
hätte sein können. Sie hatte hübsch manikürte Hände, die aber so kräftig
waren wie die eines Bären. Es waren Polly Kallos und Cirane Kinzz, die
Rezeptionisten der ATOSGO.
Die beiden führten die Gruppe durch die Empfangshalle und erklärten
ihnen die Verkaufsshops und Attraktionen, was Atlan jedoch als langweilig
empfand.
Kulag Milton kam ins Schnaufen, da sie abseits der Rollbänder gingen,
was auch Gucky zu schaffen machte, der nicht gut zu Fuß war und lieber
teleportierte. Milton musste einige Hände schütteln und winken, ehe sie den
Antigrav erreichten. Sie schwebten nun in Richtung 25. Etage, wo sie von
einer Arkonidin in Empfang genommen wurden.
Sie hieß Bismaria da Enta und war von untersetzter Statur. Ihr
weißblondes Haar war kurz und gewellt. Sie trug bunte Schals und roch
markant.
Es erinnert mich an die Toilette im Hamburger Hauptbahnhof, sagte der
Extrasinn.
Das war lange, lange her. Es hätte auch der Münchner Hauptbahnhof sein
können, antwortete Atlan seiner inneren Stimme. Alles noch vor Perry
Rhodan. Aber es lag noch eine andere Duftnote darin, die Atlan lange nicht
mehr gerochen hatte und die nichts mit Fäkalien zu tun hatte. Es war der
Geruch von Chiwan, ein billigeres Parfüm, das vor gut 700 Jahren in Mode
gewesen war. Vermutlich war die Bahnhofsnote eine Ergänzung und jetzt
modern. Atlan schüttelte es, es roch nach Krankheit und Tod.
Bismaria wirkte genervt und geleitete die Anwesenden in den Festsaal, in
dem sich bereits gut zwei Dutzend Lebewesen befanden. Natürlich fiel
Atlan sofort der goldhäutige Cairaner auf, der neben zwei Onryonen im
Smoking stand.
Im Hintergrund lief Musik, die Atlan schon tausendmal in anderen
Variationen gehört hatte. Saxofon, Cello und Klavier, beruhigend und nicht
störend. Es war sogar wohltuend im Vergleich zu den Auftritten vor dem
Start der CASSIOPEIA.
Die bärtige Springerin Ragana ter Camperna kannte Atlan von
Trividaufnahmen. Sie begrüßte Kulag Milton und Sagreta da Maag. Abseits
davon standen mit dem sternwestlichen Konsulatssekretär ihr Stiefsöhne.
Sie wirkten nicht glücklich, denn ihre Emot-Organe leuchteten in einem
verunsicherten Magenta.
Ein Tisch weiter saßen sieben Kinder um eine Rudynerin herum. Die
gebräunte Hautfarbe und spitzen Ohren sowie das Fehlen des Emot-Organs
ließen darauf schließen, dass es sich um die Kinder von Vopp ter Camperna
und seiner rudynischen Ehefrau Stasya handelte. Die Kinder waren überaus
lebhaft, schrien und weinten. Eines fuchtelte mit dem Messer durch die
Gegend, ein anderes rammte eine Gabel in die Hand seines Bruders, der
anfing zu schreien, während Blut spritzte. Hastig eilten zwei Bedienstete
herbei, um das Kind zu versorgen.
Polly Kallos stellte sich zu einem Tefroder und küsste ihn. Im Abseits
stand ein Mann in abgehalfterter Rüstung mit Raumfahrerhelm. Er war
allein und wirkte auf Atlan entweder verloren oder desinteressiert oder
vielleicht auch beides.
Der Saal füllte sich langsam.
»Wollen wir einen trinken?«
»Ich muss ja nicht mehr teleportieren. Überall auf dem Schiff sind Psi-
Schirme aufgestellt«, meinte Gucky sarkastisch.
Man begab sich an die Bar. Ein weißer humanoider Roboter mit
schwarzen Knopfaugen fragte sie nach den Getränken.
»Einen Glen Grant.«
Der Roboter schwieg.
»Einen Malt Whiskey… egal welchen.«
»Ja, Sir. Und du wünscht?«
»Was Fruchtiges, was ordentlich knallt in der Birne. Einen Alaska-Sunset-
Cocktail oder so.«
Neben ihnen plauderten ein kleiner Springer mit langem Haar und Tattoos
im Gesicht und ein Rudyner mit weißem Haar und Schnauzbart über
Frauen.
»… Fell so flauschig«, sagte der Rudyner mit dem Schnauzbart.
»Ich weiß, was du meinst, doch ich mag lieber die rasierten Mädels. Und
große Euter müssen sie haben, weißt du? Auf großen Hupen tust du besser
tuten!«
Der Springer lachte laut und prostete dem anderen zu, der sichtlich
amüsiert war.
»Selbst wenn ich Gedanken lesen könnte, hier würde ich nur leere Seiten
finden«, meinte Gucky.
Atlan hörte dem Gespräch der beiden eine Weile zu. Der Springer nannte
sich Tai oder Dreibeiner. Sein Saufkumpane war Sobby und schien der
Leitende Ingenieur der ATOSGO zu sein. Interessant wurde es, als Tai, was
im Arkonidischen »groß« bedeutete, von seinem Abenteuer auf Mashratan
erzählte. Er prahlte damit, die »rothaarige Rhodanschlampe« ordentlich
durchgenommen zu haben. Doch sie sei jetzt tot, weil sie in eine Temporale
Anomalie geraten war. Es fielen noch Begriffe wie »Anubis, der Hund«,
»schillernder Oberst« und dass Tai es mit einem Haluter aufgenommen
hatte.
Sobby unterbrach das Gespräch mit einem Pfiff. Eine etwa 1,75 Meter
große, dunkelhaarige Schönheit in einem blauvioletten Kleid trat an die Bar.
Da ihr Kleid an den Schultern, Rücken und Bauch frei war und nur bis zu
den Oberschenkeln reichte, waren viel Haut und Tätowierungen zu sehen.
Atlan musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie trug hohe offene Schuhe. Die
Zehennägel waren schwarz lackiert. An den Waden beginnend, zog sich an
beiden Beinen je eine Schlange bis über die Oberschenkel. Die
Schlangenköpfe trafen sich am Sternum und fauchten sich gegenseitig an.
Natürlich war das zu sehen, da das Kleid nur die Brüste direkt verhüllte,
doch Sternum und Bauch unbedeckt ließ.
Am Hals trug die Frau zwei Bissspuren und tropfendes Blut. Die Arme
waren mit Mandala-Tätowierungen überzogen. Auf ihrem Rücken war ein
Geschöpf zu sehen, das durchaus der Fantasie eines mittelalterlichen
Zeichners von Terra hätte entsprungen sein können. Das Wesen war das
reinste Höllengeschöpf und ähnelte einem Unither mit Hörnern und
Stoßzähnen.
Atlan wusste, dass er das Wesen schon einmal gesehen hatte. Er wusste
auch, dass die Information darüber vermutlich nur noch in der Datenbank
der RAS TSCHUBAI abrufbar war. Jedenfalls musste das fotografische
Gedächtnis seines Extrasinns diese Information als sekundär betrachtet
haben, weshalb Details nicht abrufbar waren.
Atlan betrachtete die schöne Frau, die vermutlich Terranerin war. Ihre
Augen waren aber ungewöhnlich dunkel, denn die Iris war in einem
finsteren Violett gehalten und nur bei genauem Hinschauen von der
schwarzen Pupille zu unterscheiden.
»He, Schätzelein«, rief der Springer. Sie drehte sich um, lehnte sich an den
Tresen, kramte eine Zigarette aus der kleinen Handtasche und zündete sie
an. Sie blies den Rauch in Richtung Tai aus.
»Was?«
»Du bist doch eine von Topps Miezen aus dem Mubiko?«
Sie schwieg und blickte Atlan an, der sich über die ter Campernas
informiert hatte. Das Mubiko war der angesagte Club auf der ATOSGO, auf
dem auch Glücksspiel und Prostitution betrieben wurde.
Zwei hochgewachsene Männer stellten sich in die Nähe der Frau. Beide
hatten lange Haare und Bärte. Sie waren kräftig und wirkten hier völlig
deplatziert. Atlan hätte sie sich eher auf einem Schlachtfeld vorstellen
können. Jeder von ihnen hielt ein großes Glas Bier in der Hand. Atlan leerte
den Whiskey und fand, er sollte zu Bier wechseln.
»Was ist, Rasha?«, fragte der eine mit durchdringenden blauen Augen.
»Der Typ meint, ich bin eine Nutte, Wulfar!«
Wulfar und sein Begleiter sahen sich an.
»Was sagst du dazu, Otnand? Sieht Rasha wie eine Nutte aus?«
Atlan sah, wie der Springer immer bleicher wurde. Offenbar hatte er die
falsche Person beleidigt.
Der andere Bärtige namens Otnand antwortete: »Naja, manchmal sieht sie
schon so aus.«
Otnand und Wulfar lachten los und prosteten sich laut zu. Die Bierkrüge
klirrten aneinander, und etwas von der goldenen Flüssigkeit platschte auf
den Boden.
Als der Springer in ihr Gelächter einstimmte, wurden die beiden Männer
schlagartig wieder ernst. Wulfar baute sich vor Tai auf und zeigte mit dem
Finger auf ihn. »Das bedeutet nicht, dass du kleiner Wicht Rasha so
bezeichnen darf. Hast du verstanden?«
Die letzten drei Worte schrie Wulfar so laut, dass andere Gäste sich
umdrehten.
Tai nickte hastig. Sein Kumpel Sobby packte ihn am Kragen und zog ihn
weg. Tai hob die Hände und deutete an, er wolle keinen Ärger haben.
Wulfar und Otnand blickten ihnen böse hinterher.
»Ach ja, meine zwei Aufpasser sind goldig«, sagte Rasha in Richtung
Atlan und Gucky.
»Das wird sich der Springer nicht sagen«, meinte Gucky.
»Ich bin Rasha! Und ja… genau, die Rasha.«
Gucky zuckte mit den Schultern.
»Gibt es noch andere Rashas? Ich kenne nicht mal eine Rasha. Aber wir
sind auch noch nicht so lange wieder in der Milchstraße.«
Sie lachte laut.
»Ich bin Meinungsmacherin und habe 57 Millionen Stalkys. Was ich
sende, sieht die Galaxis, versteht ihr?«
Atlan war gelangweilt. Meinungsmacher waren im Grunde genommen
manipulative Nichtskönner, die an übermäßigem Narzissmus litten.
Dummerweise gab es offensichtlich genug Galaktiker, die eben das sehen
wollten, was diese Meinungsmacher boten.
Bismaria da Enta ging auf Atlan und Gucky zu. Ein Schwall an dem
billigen Parfüm drang in des Arkoniden feine Nase und ließ ihn beinahe
niesen.
»Die Herren werden an der Tafel erwartet«, sagte sie und verschwand
bereits.
»Nun, dann lassen wir die Gesellschaft nicht warten. Rasha!« Atlan
verbeugte sich vor der Meinungsmacherin, die mit einem Lächeln
zurückwinkte.
»Bis später
Gewiss, dachte Atlan.
Atlan saß mit Gucky an der großen Tafel, an der auch Kulag Milton,
Ragana ter Camperna, der Cairaner Roch Miravedse, Sagreta da Maag,
Yeremiah Cloudsky und Myka Bilno Platz genommen hatten. Die beiden
onryonischen Ziehsöhne der Ragana bedankten sich höflich und erklärten,
es liege nicht in der Natur ihrer Kultur, gemeinsam zu speisen. Sie luden
aber alle Beteiligten später zu einem heiteren Abdrücken ein. Das war
etwas, worauf Atlan gut verzichten konnte.
Er betrachtete das Gedeck. Es ruhte auf einem weißen Tischdeckchen, das
gehäkelt wirkte. Die silbernen Löffel, Messer und Gabeln waren nach der
Reihenfolge des Ganges angeordnet, wie es sich gehörte. Dabei musste man
sich von außen nach innen durcharbeiten, was bedeutete, beim ersten Gang
das äußere Besteckpaar zu benutzen.
Stasya ter Camperna setzte sich mit dreien ihrer Kinder ebenfalls an den
Tisch. Die anderen waren unpässlich, wie sie bemerkte. Doch die drei Jungs
wirkten auch nicht unbedingt brav.
»Krieg ich Süßigkeiten?«, fragte einer und sabberte dabei.
»Nein, nicht vor dem Essen.«
Er schrie los, als würde man ihn ausweiden. Das Gesicht lief rot an, dann
fing er an zu kotzen und verteilte das Erbrochene über seiner Mutter. Die
anderen zwei Kinder nahmen ihre Teller und schlugen sie sich gegenseitig
auf den Kopf. Nun fingen auch sie an zu weinen.
»Tarnaite«, schrie Ragana.
Offenbar war die blauhäutige Terranerin mit dem orangefarbenen Haar
eine Art Kammerzofe der ter Campernas, denn sie eilte herbei und nahm
sich eines Kindes an. Eine Unitherin lief ebenfalls herbei und kümmerte
sich um Stasya. Polly Kallos stand vom Nachbartisch auf und kümmerte
sich um die beiden Kinder, die sich die Teller auf den Kopf geschlagen
hatten.
»Alles eure Schuld«, keifte Stasya und nahm den Lappen mit dem
Erbrochenen, nur um ihn dieser Tarnaite ins Gesicht zu werfen.
Die fing nun angewidert an zu weinen. Die drei Kinder schrien weiter. Der
Kotzer bekam seinen zweiten Anfall und kletterte auf den Tisch. Er nahm
eine Schüssel, in der sich Obst befand und warf sie seiner Mutter ins
Gesicht. Das unschöne Knacken verriet Atlan, dass er wohl die Nase
getroffen hatte. Stasya ter Camperna blutete.
»Du Schlampe, ich will Süßigkeiten«, schrie die Göre.
Drei kegelförmige Roboter schwebten herbei, aktivierten ihre Antigravs
und erfassten je ein Kind. Diese wurden in die Luft gehoben, zappelten und
schrien. Atlan beobachtete den sternwestlichen Konsulatssekretär Roch
Miravedse. Aus dessen starrer Mimik wurde er nicht schlau, doch die
Finger seiner vier Hände wirkten verkrampft.
Die Kinder wehrten sich plärrend, doch die Roboter hatten sie mit ihren
Antigravstrahlen fest im Griff und zogen sie aus dem Saal. Stasya
beschimpfte die Unitherin und Tarnaite, obwohl die nichts für diesen
Mangel an Erziehung konnten. Dann entschuldigte sich die junge ter
Camperna bei den Gästen und verließ beschämt den Festsaal.
»Hat sich nicht prachtvolle Kinder?«, fragte Yeremiah Cloudsky und hob
sein Glas.
»Auf die rudynisch-onryonische Verbindung!«
Keiner stimmte in seinen Toast ein. Die Unitherin und Tarnaite säuberten
den Tisch und die Plätze. Gucky war sehr ruhig, vermutlich ging ihm der
Geruch gerade an die Nieren.
»Hast du Kinder?«, fragte Atlan schließlich den Cairaner.
Dieser blickte zu Atlan, die Finger in seinen Händen bewegten sich nun
eleganter, fast unablässig waren sie in Bewegung.
»Du bist?«
»Das sind Atlan und sein Begleiter Gucky«, stellte Kulag Milton sie vor.
»Abgesandte des Residenten Reginald Bull. Sie behaupten, sie seien
unsterblich…«
Milton lachte spöttisch, während Roch Miravedse mit seinen
Handbewegungen innehielt.
»Sehr verehrte Ragana ter Camperna, ich bin schockiert, dass Sie
Vertretern einer gefährlichen und manipulativen Ideologie, die auf
Falschinformationen und Lügen aufgebaut ist, Platz an diesem Tisch
gewähren.«
»Wir dachten, geehrter sternwestlicher Konsulatssekretär, dass dies zu
einer besseren Verständigung zwischen der LFG und den Cairanern führt.
Sie wissen ja, ich sehe mich als Vermittlerin zwischen zwei Machtblöcken«,
erwiderte Ragana.
»Ist das so?«, fragte Roch Miravedse. »Doch ich frage mich bei aller
Diplomatie, was soll vermittelt werden? Die Wahrheit ist nicht dehnbar…«
»Wieso dehnen die Cairaner sie dann?«, fragte Gucky schließlich.
Der Cairaner zuckte und hob den rechten Arm. Die beiden Handpaare
bewegten sich wieder.
»Tun wir das? Lasst uns einen Faktencheck machen, ja? Terra und der
Mond befinden sich nicht im Sonnensystem. Wo sind sie also? Vor 500
Jahren soll ein Mann, eine Frau oder eine intersexuelle Daseinsform mit
großen Taschen gekommen sein, hat beide Welten einfach so in die Tasche
gesteckt und ist dann fort?«
Atlan wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Roch Miravedse fuhr
einfach fort.
»Doch wartet, da fiel der Existenzform ein, dass es ja zu
Gravitationsproblemen in dem Sonnensystem kommen würde und brachte
dafür Ilya und Vira an dessen Position. Und siedelte auch gleich die Ayees
darauf an. Aber das Wesen war immer noch nicht zufrieden. Es löschte nun
jede einzelne Positronik in der Milchstraße und überschrieb sie
anschließend mit neuen Daten, damit auch niemand sich mehr an Terra und
Luna erinnern könnte.«
Roch Miravedse lehnte sich zurück und faltete alle vier Hände vor dem
Bauch.
»Natürlich ist das viel glaubwürdiger, als die Tatsache, dass es niemals
diese Planeten gegeben hat und der Posizid und die Datensintflut erfunden
wurden, um diese groteske Story zu untermauern. Terra und Luna sind ein
armseliger Mythos, der von Reginald Bull und Vetris-Molaud erfunden
wurde, um ihre eigenen Machtansprüche zu legitimieren. Du, Atlan und du,
kleiner Gucky, ihr seid nichts weiter als drittklassige Schauspieler im
Auftrag von Bull, ja?«
Roch Miravedse wandte sich an Ragana.
»Nun sagt Ihr mir, liebe Ragana ter Camperna, was ich mit diesen
offensichtlichen Verschwörungstheoretikern und Schwurblern besprechen
soll? Ihre Anwesenheit ist allenfalls belustigend, ja? Doch im nächsten
Moment gefährlich, da Sie deren Hirngespinsten und Falschmeldungen
Raum bieten.«
Atlan lehnte sich zurück und betrachtete den Cairaner, der mit einer
Selbstverständlichkeit so tat, als würde er die Galaxis repräsentieren. Es
wirkte so, als wäre Miravedse derjenige mit jahrtausendelanger Erfahrung.
»Ich verzeihe deine Unwissenheit und mangelnde Lebenserfahrung«,
begann Atlan. »In meinen gelebten Jahrtausenden habe ich viele kosmische
Wunder erlebt, darunter auch den Transfer von Planeten. Das ist dem
Solsystem nicht das erste Mal passiert. Es gab solch ein dunkles Zeitalter
schon einmal. Allerdings ist diese vehemente dümmliche Art des
Vergessens und Verdrängens in der Galaxis neu für mich. Gut, Terra und
Luna wurden entführt. Eure Spezies steckt entweder dahinter oder ist
Nutznießer. Mich erschüttert vielmehr, dass die Galaktiker selbst ihre
Vergangenheit so sehr ignorieren. Posizid, Datensintflut und Terranisches
Odium hin oder her…«
Roch Miravedse erhob sich. Alle Finger seiner vier Hände bewegten sich.
»Die Erklärung ist simpel. Die Galaktiker kennen ihre Vergangenheit und
wissen, dass es Terra und Luna sowie einen Perry Rhodan nie wirklich
gegeben hat. Ihr seid die psychisch kranken Existenzen. Ihr injiziert das
mentale Gift in eine friedliche, galaktische Gemeinschaft, ja? Ihr seid
diejenigen, die Hilfe benötigen.«
Roch Miravedse verließ den Tisch und verschwand wortlos aus dem
Festsaal. Ragana blickte wütend zu Kulag Milton, der jedoch belustigt
wirkte. Er genoss es offenbar, dass Atlan und Gucky keinerlei Chance bei
dem Cairaner hatten.
»Nun, dann ist das ja geklärt«, meinte Atlan gelassen. Er hatte auch nicht
erwartet, dass die Cairaner ihm freundlich und aufgeklärt gegenüberstehen
würden.
»Wann kommt das Essen?«
Kapitel 4 – Abdrücken
Gucky musste mal. Nach den wenig erhellenden Ereignissen im Speisesaal
hatte sich die Gesellschaft nach dem Essen schnell aufgelöst. Dieser
cairanische Sekretär war ein widerlicher, aalglatter Penner, fand der
Mausbiber. Offenbar befand sich Gucky in einem Abdrücksaal, denn die
Toiletten waren nicht durch Sichtschutz getrennt oder befanden sich, wie
seit Jahrhunderten üblich, in getrennten Kabinen. Diese offene Fäkalkultur
war bei den Terranern schon öfter gescheitert. Jene einstigen Aktivisten von
multisexuellen Toiletten würden bei den Onryonen ihre helle Freude
empfinden.
Gucky empfand, wie die meisten Wesen, den Toilettengang als etwas
Privates. Selbst als die Ilts noch vergleichsweise primitiv waren, hatten sie
ihr Geschäft nicht unbedingt vor dem Riechkolben des anderen verrichtet.
Gucky stellte sich an eine der weißen Porzellanschüsseln, die kreisförmig
um einen runden Tisch mit Monitoren und Interfaces angeordnet waren,
und ignorierte den Hinweis einer Computerstimme, die »Bitte hinsetzen«
sagte. Als er fertig war, hörte er die Tür aufgehen. Gucky versteckte sich
hinter drei aufgetürmten Körben mit Hand- und Putztüchern sowie
Reinigungsmaterial. Offenbar mussten die Bediensteten hier noch richtig
putzen, statt mit elektronischen Geräten zu reinigen. Doch das schien gut in
das Weltbild dieser Ragana ter Camperna zu passen.
Vier Männer betraten den Abdrücksaal und unterhielten sich. Kulag
Milton, Yeremiah Cloudsky, Vopp und Topp ter Camperna.
»Endlich raus aus den Klamotten. Ich fühle mich so unwohl und kriege
Ausschlag«, sagte Topp ter Camperna und zog das Smoking-Jackett aus. Er
warf es in die Ecke, es folgten das Hemd und die Hose. Er rieb sich den
Bauch und streifte die Unterhose ab. Gucky schloss die Augen. Endlich
setzte sich der Onryone auf die Toilette. Auch sein Bruder Vopp entledigte
sich zumindest des Jacketts, behielt aber zu Guckys Erleichterung den Rest
an. Er streifte die Hose herunter und setzte sich auf seinen Porzellanthron.
Mit heruntergelassenen Hosen setzten sich Cloudsky und Milton auf die
gegenüberliegenden Pötte.
»Mir tut Herr Aslan leid. Der sternwestliche Konsulatssekretär hat ihm ja
richtig die Leviten gelesen«, sagte Cloudsky.
»Ach«, meinte Milton und pupste.
Topp ter Camperna lachte und pupste auch. Sein Emot-Organ leuchtete
blau. Er sah zu einem Bruder, der mit zwei aufeinanderfolgenden Pupsen
noch einen drauf legte. Milton blickte Cloudsky erwartungsvoll an. Der
Glosneke lächelte verlegen.
»Ich kann nicht. Nicht vor euch.«
Milton legte die Hand auf dessen Schulter.
»Schon gut, Kleiner. Kann nicht jeder mit den großen Jungs um die Wette
furzen.«
Milton legte einen langgezogenen Pups nach.
»Oh, das duftet ja bis hierher«, meinte Topp.
Gucky musste tief durchatmen und bereute es, denn die Gerüche der
Onryonen und Terraner kamen nun auch in seine Richtung. Vopp ter
Camperna trampelte mit den Füßen auf den Boden und schrie laut. Dann
schoss er seine Ladung in die Schüssel und stöhnte erleichtert auf.
»Wie geht es nun weiter? Wann werden die Fakten geschaffen?«, fragte
Cloudsky.
»Nicht hier«, meinte Vopp völlig außer Atem.
Cloudsky lachte.
»Aber wir sind doch unter uns.«
»Nein, er hat recht. Man weiß nie, wo Spione lauern. Nichts darf das
Unternehmen “Fakten schaffen” gefährden. Gar nichts«, sagte Milton und
untermauerte seine Aussagen mit dem lauten Abdrücken seiner Notdurft.
Gucky musste sich so zusammenreißen, um nicht schreiend weg zu rennen.
Kulag Milon lässt sich feiern. © Gaby Hylla
»Na ja, dann ist ja heute Abend noch Zeit für Party in meinem
Etablissement«, erinnerte Topp der Camperna.
»Ich will eine mit grüner Haut und Titten bis zum Kinn«, forderte Kulag
Milton. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann die helle Haut von Sagreta und
Myka nicht mehr sehen.«
»Aber du hast eine Partnerin und eine Geliebte«, sagte Vopp zögerlich und
nickte dabei. »Reicht dir das nicht?«
»Mein lieber Scheißer, mein Motto lautet: Zwei sind nie genug!«
Milton lachte laut los und das Emot-Organ von Vopp leuchtete lila.
»Cool«, sagte er nur.
Dann fing Topp an zu jammern. Er winselte und presste die Lippen
zusammen. Das Emot-Organ flackerte goldorange. Dann schrie er und
presste und presste. Es war als würde ein Stein in die Schüssel fallen. Er
sprang hastig auf.
»Meine Güte, das müsst ihr euch angucken. So eine Wurst!«
Vopp erhob sich und ging mit heruntergelassener Hose schlurfend zu
seinem Bruder.
»Toll gemacht, Großer. Und wie sie duftet. Ich bin stolz auf dich.«
Beide klatschten sich mit den Händen ab.
Topp ging zum Tisch, er hatte ja keine Probleme, da er keine Hose mehr
trug und schnappte sich einen Strahler. Er aktivierte den Antigrav und hob
den Haufen Scheiße aus der Schüssel. Es erinnerte Gucky an den oberen
Schädel eines Stiers, wo zur Seite die Hörner rausragten. Anders konnte er
es nicht beschreiben.
»Vorsicht, schön vorsichtig, Brüderchen«, mahnte Vopp.
»Ja, ich mach ja…«
Langsam senkte er den Antigravstrahler und damit den Haufen Kacke in
die Mitte des runden Tisches.
»Respekt«, lobte Milton und zog sich die Hose hoch.
Auch Yeremiah Cloudsky erhob sich. Er wirkte verlegen. Es war
anzumerken, dass ein Abdrücksaal ihn viel Überwindung kostete, und es
kostete Gucky genauso viel Überwindung, nicht loszureihern.
»Auf Paradise-Isch wird es beginnen«, sagte Kulag Milton
bedeutungsvoll, während Cloudsky sich die Hose hochzog. »Dann, meine
Herren, dann werden wir Fakten schaffen!«
Vopp zog sich nun auch die Hose hoch, während Topp in Unterhose,
Socken und Schuhe Richtung Ausgang ging. Sein Bruder folgte ihm
schweigend. Milton und Cloudsky schlossen sie sich ihm an.
Endlich waren alle weg. Wieso gab es hier keine Luftfilter? Ach ja, die
Onryonen liebten ja den Gestank von Kot. Gucky wünschte, er könnte
einfach nur wegteleportieren, doch so wartete er noch einige Minuten, eher
er sich hinter den Körben hervortraute und Richtung Ausgang ging. Dann
blieb er am Tisch stehen und betrachtete den Haufen mit der Wurst. Es hatte
eine fast hypnotische Wirkung.
Er riss sich vom Anblick los und schüttelte sich. Dann rannte er aus dem
Abdrücksaal und stoppte abrupt, als ein Roboter vorbeihuschte. Gucky
blickte an der Türschwelle nach links und rechts. Niemand mehr da. Er eilte
auf den Korridor, lief einige Meter, ehe er aus der Puste kam. Vermutlich
würde er dieses traumatische Erlebnis niemals vergessen.
Atlan musste den aufgebrachten Mausbiber beruhigen, der wütend in der
Kabine auf- und abstapfte und mit den Ärmchen wedelte.
»… ekelhaft. Das sind keine Intelligenzwesen. Selbst der Affe, der an
seinem Finger schnupperte, nachdem er ihn im Hintern hatte, ist
kultivierter
Atlan erinnerte sich an so ein Video, welches gerne vor etwa 3.000 Jahren
auf Terra zur Belustigung gezeigt wurde.
»Und mehr über Unternehmen “Fakten schaffen” haben sie nicht erzählt?«
»Nein, das vorherrschende Thema war der Stuhlgang der Herren.«
»Hm, diese Geheimnistuerei macht mich misstrauisch. Vielleicht bin ich
auch schon zu alt, um mich in die Bedeutung solcher Wirtschaftsdeals
hineinversetzen zu können.«
Gucky zuckte mit den Schultern.
»Es ist ja nur Geld…«
»Doch für Milton ist es auch Prestige. Wenn ich Sagreta Glauben
schenken kann, dann will er der LFG den Rücken kehren. Sicherlich erst
einmal auf ziviler Raumfahrtebene ein Schock für die Liga. Doch würdest
du den Typen vermissen?«
»Nein«, sagte Gucky entschieden. »Keinen von den Scheißern. Diese
CACC-Heinis können auch gleich wegbleiben. Es wird neue Leute geben,
die ihre Lücken füllen. Hoffentlich bessere und menschlichere
Unternehmer. Sowohl Milton als auch die ter Campernas leugnen die
Existenz von uns und Terra. Dann gehören sie auch zu den Cairanern.«
Atlan gab Gucky im Grundsatz recht. Es beschäftigte ihn jedoch, was
Kulag Milton und Ragana ter Camperna an Geheimnissen zu den Cairanern
tragen würden. Immerhin durften beide in höchsten Kreisen verkehren,
hatten ein enormes Wissen über die Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und
auch das Militär der LFG angesammelt. Je eher Bully Bescheid wusste,
desto besser.
Doch Atlan besaß nur vage Informationen. Trotzdem aktivierte er den
Hyperkom des NDE, des Nachrichtendienstes Ephelegon, und sendete auf
einem verschlüsselten Kanal eine kurze Botschaft nach Rudyn.
Milton plant Deal mit Cairaner und will LFG verlassen. Deal soll bei
Rückkehr verkündet werden. Weitere Details nicht bekannt.
Die Hyperkomnachricht wurde verschlüsselt. Selbst wenn die Cairaner
oder die CACC die Nachricht abfingen, konnten sie den Inhalt nicht
dechiffrieren.
Gucky legte sich auf die Couch.
»Mir ist so schlecht…«
»Inhaliere doch etwas Blumenduft. Dann wird es dir besser gehen. Ich
werde derweil ins Mubiko gehen.«
Gucky seufzte.
»Da werde ich auch nicht mitkommen. Unser Aufenthalt hier ist die
reinste Zeitverschwendung. Das sind doch alles Psychopathen. Einzig die
Geschichte von dem betrunkenen Springer auf Mashratan wirkte
interessant.«
Atlan nickte.
»Ja, vielleicht werde ich im Mubiko mehr herausfinden. Du weißt ja, dass
die Zunge unter Alkoholeinfluss locker ist.«
»Bei denen hier sind auch ein paar Schrauben locker«, sagte Gucky und
tippte sich an die Stirn.
Kapitel 5 – Im Mubiko
Die Luft im Mubiko war rauchgeschwängert. Die laute elektronische Musik
wummerte durch jeden Winkel des Clubs. Männer und Frauen schwangen
ausgelassen Arme, Beine und Hüften, tanzten, schrien, hüpften und tranken.
Die Neonbeleuchtung verlieh dem Club einen fahlen blauen Schein.
Atlan würde hier bestimmt nicht Ragana ter Camperna oder Roch
Miravedse treffen. Das wollte er auch gar nicht, denn im Grunde
genommen war alles gesagt. Atlan wollte diesen versoffenen Springer
wiedertreffen, denn Gucky hatte recht: Das war eine Geschichte, der er
nachgehen sollte.
Und du Narr hoffst auf ein Stelldichein mit dieser verruchten
Meinungsmacherin, ergänzte der Extrasinn.
Atlan wollte ihm nicht widersprechen. Er schob sich an zuckenden
Lebewesen vorbei, die sich voller Ekstase der donnernden Musik hingaben.
Wie viel Drogen hier konsumiert wurden, wollte er gar nicht ausrechnen.
Er musste nicht lange suchen. An einem Tresen stand der Springer, wieder
in Begleitung des Leitenden Ingenieurs Theofyr Sobrasky, der Sobby
genannt wurde. Es war nicht schwer, etwas über die Stammbesatzung der
ATOSGO in Erfahrung zu bringen. Wer jedoch der kleine Springer war,
wusste er noch nicht.
Als Atlan auf ihn zuging, warf sich ihm Rasha m an den Hals. Sie rieb
ihren Körper an seinem und blickte ihm tief in die Augen. Er räusperte sich
und legte seine Hände um ihre Hüften. Sanft schob er sie von sich weg.
»Du scheinst in Feierlaune zu sein«, stellte er fest.
»Nicht nur das. Ich bin spitz wie eine Zinne, schau mal in meine Rinne.«
Atlan verstand das Wortspiel, doch Zinnen waren zumeist nicht spitz. Die
klassischen Formen waren die Rechteckzinne oder
Schwalbenschwanzzinne. Die Altassyrer hatten auch abgestufte Zinnen
verwendet. Einzig Dachzinnen waren spitz. Das musste er gelten lassen.
Schön, sie ist spitz wie eine Dachzinne, und du sollst sie genauer
begutachten. Was gibt es daran nicht zu verstehen, Narr?
Atlan deutete auf den Springer.
»Weißt du, wie der Typ heißt?«
Sie wirkte verdutzt.
»Echt jetzt? Entweder stehst du auf Männer oder das ist die dreisteste
Abfuhr, die ich jemals von einem Mann bekommen habe.«
»Weder noch, aber du hast noch nie einen Mann wie mich getroffen,
Kleines!«
Sie seufzte.
»Der Typ gehört zur Besatzung der NOVA. Das ist das Raumschiff der
Rhodanjäger. Also deiner Feinde. Deshalb das Interesse?«
Sie war doch nicht so blöd und oberflächlich, wie sie sich gab.
»Genau. Er scheint dich ja zu mögen, vielleicht stellst du uns mal vor
Sie zündete sich eine Zigarette an und blies Atlan den Rauch ins Gesicht.
»Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
Sie nahm Atlans Hand und führte sie zwischen ihre Schenkel.
»Die Nacht gehört uns«, sagte sie und zwinkerte. Dann stöckelte Rasha
zielstrebig auf den Springer zu und stellte sich vor ihn. Der Springer zuckte
kurz zusammen, dann wurde er wieder lockerer. Es dauerte zwei Minuten,
ehe Rasha Atlan zu ihnen winkte.
»Das ist Atlan«, stellte sie ihn vor.
»Ey, Kumpel. Du bist doch so ein Rhodanmystiker. Haste nicht Schiss,
dass sie dich dingfest machen?«
Atlan schwieg.
»Der Große hier ist Kuvad Soothorn, Chefingenieur der NOVA und
dreibeiniger Herrscher von Mashritun B. Er sagt, er gehört zur
Führungsetage der CACC.«
»Ich geh’ zu Ragana. Mutti braucht mich jetzt«, verabschiedete sich
Sobrasky und torkelte mit einer Flasche Vurguzz in der Hand davon.
Kuvad Soothorn lachte.
»Ja, ja! Der feine Herr Ingenieur und die Alte. Da läuft schon lange was.
Knick, knack.«
Der Springer sah Rasha lüstern an.
»Keine Chance, ich beiße dir dein drittes Bein ab und spucke es in den
nächsten Abdrücksaal«, antwortete sie giftig.
So langsam beneidete Atlan den guten Gucky für dessen Entscheidung,
nicht zu dieser Party gegangen zu sein. Rasha kippte sich einen Vurguzz in
den Rachen und winkte dem Barkeeper zu.
»Eine Runde, Süßer!«
»Oh, das höre ich gerne. Mach drei Runden draus«, meinte Soothorn.
Nach der ersten Runde hatte Atlan genug.
»Was hast du auf Mashratan gesehen?«
»Da war ich niemals«, log Soothorn.
Rasha stieß ihn an.
»Vorhin hast du noch damit geprahlt. Außerdem hat euer unfreundlicher
Navigator bestätigt, dass ihr dort gewesen seid. Er hat aber nicht viel
gesagt. Aber du, Süßer, willst Schnaps und Titten. Ich kann dir beides
besorgen.«
Sie drückte sich an den Springer. Gott, kannte die gar keine Grenzen?
»Ich dachte, du wolltest meinen großen Tai abbeißen?«
Sie lachte und winkte ab.
»Du weißt ja, das ist unsere Masche, bei Männern, die wir richtig geil
finden, erst einmal die Unnahbare zu spielen.«
Darauf fällt doch nur ein Idiot rein, kommentierte der Extrasinn.
Soothorn nickte eifrig.
»Ich wusste, dass du auf mich stehst.«
Dann begann er zu erzählen. Sie waren zuerst auf der Welt Trafalgar
gewesen, wo sie einen Umschlagplatz für verbotene Perry-Rhodan-
Geschichten ausgehoben hatten. Dann waren sie auf Stellacasa, wo seit 90
Jahren ein Virus grassierte und jeder in Quarantäne lebte. Das hätte sich
aufgelöst, weil eine Temporale Anomalie gewütet hatte. Zuletzt waren sie
auf Mashratan, um die Datenquelle für die Perry-Rhodan-Geschichten zu
suchen. Soothorn berichtete, dass sie in der im Sand versunkenen
Palastanlage zuerst das Hologramm eines Hundes namens Anubis gefunden
hätten, der ziemlich unsympathisch war.
»Nachdem ich ihm die Leviten gelesen hatte, hat er mir gesagt, wo wir
diese Quelle finden. Irgendeine Jaaron-Chronik war das. So eine dreißig
Zentimeter hohe Pyramide.«
Soothorn zeigte mit den Händen die ungefähre Größe.
»Na ja, die ging verloren, als die Rhodanmystiker-Schnepfe damit in der
nächsten Temporalen Anomalie verschwunden ist.«
Jaaron-Chronik? Ob damit Jaaron Jargon, der Chronist der Insel
Cartwheel gemeint war? Nach Atlans Informationen war Jargon im Jahre
1308 NGZ auf Objursha ermordet worden. Er war in dieser Zeit nicht dabei
gewesen und hatte die Berichte darüber erst einige Jahre später gelesen. Das
Quarterium hatte im Angesicht einer drohenden Niederlage mit einer
Arkonbombe den ganzen Planeten mit allen Häftlingen zerstört. Millionen
waren in einem Moment gestorben, in dem die Hoffnung auf Befreiung am
größten gewesen war.
Du schweifst ab. Höre dem Wicht zu, mahnte der Extrasinn.
»Was hast du nochmal gesagt?«
Soothorn blickte Atlan an, als sei er schwachsinnig.
»Ich sagte, dass Nathaniel Creen in seiner Kabine auch so ein Teil hat. Tai
entgeht nichts, denn ich weiß alles und kann alles.«
Der Springer lachte.
»Ich bin so schlau, Junge. Da kommst du dummer Rhodanmystiker nicht
hinterher
Rasha verdrehte die Augen.
»Sind wir jetzt fertig?«
»Ja, wir sollten mit Nathaniel Creen sprechen«, sagte Atlan.
Rasha ließ beide stehen und bewegte sich Richtung Ausgang.
»Was ist denn jetzt los? Ich dachte…«
Atlan lächelte.
»Tja, ich dachte, du bist so schlau, Junge.«
Er ging in Richtung Ausgang und war froh, diese Spelunke hinter sich zu
lassen. Doch er wusste nicht, ob eine Nacht mit dieser etwas
unberechenbaren Rasha so viel besser war.
Kapitel 6 – Paradiesisch
Ich wanderte durch die inzwischen recht leeren Gänge und Hallen der
ATOSGO. Die Gäste amüsierten sich im Mubiko oder in den Restaurants in
der großen Galerie. Meine Gedanken kreisten um das Artefakt. Was sollte
ich tun? Mit der NOVA fliehen? Sollte ich diesen Atlan um Asyl auf Rudyn
bitten oder das Artefakt vor der CACC verstecken?
Ich bezweifelte, dass die LFG einem Rhodanjäger Asyl gewähren würde.
Außerdem war es riskant, Atlan in meine Pläne einzuweihen. Ich wusste
nicht, wer er wirklich war. Durfte ich den Worten des sternwestlichen
Konsulatssekretärs Glauben schenken, dass Atlan ein Hochstapler im Sold
von Reginald Bull war? Aber waren die Cairaner selbst glaubhaft? Ich
zweifelte immer mehr daran. Was ich auf Stellacasa und speziell auf
Mashratan gesehen hatte, zeigte wohl, dass es Terra und Perry Rhodan
wirklich gegeben hatte.
Die Artefakte umgab ein Geheimnis. War auch meines ein Datenträger
und eine Ansammlung von verborgenem Wissen? Und wieso bildeten beide
Artefakte eine blaue Sphäre und schienen damit die Auswirkungen der
Temporalen Anomalie abzufedern?
In meine Gedanken vertieft, bemerkte ich gar nicht, dass ich bereits die
Mannschaftsquartiere erreicht hatte. Ich wollte eigentlich keinen dieser
Gestalten mehr über den Weg laufen. Aus einer Kabine auf der rechten
Seite trat Tarnaite Grazus. War es ein gutes Zeichen, dass ausgerechnet sie
mir über den Weg lief?
»Hast du Zeit? Ich brauche jemand zum Reden.«
Tarnaite starrte mich aus gläsernen Augen an und stützte sich an der Wand
ab.
»Hey«, sagte sie nur.
Hinter ihr tauchte ein Rudyner mit Glatze auf. Er legte seine Arme um sie
und küsste sie am Hals. Ich verstand sofort, dass sie Besseres zu tun hatte,
als mit einem Freak wie mir Unterhaltungen zu führen, und so ging ich
wortlos weiter. Die Tür zur Kabine, aus der Tarnaite gekommen war, stand
noch offen. Ich warf einen Blick hinein, weil mir eine Dunstwolke
entgegenwehte. Die Unitherin Cyba lag auf dem Schoß von Theofyr
Sobrasky. Aus ihrem Rüssel tropfte es. Beide rauchten irgendein Kraut, und
zu ihren Füßen lag eine leere Flasche Vurguzz. Offenbar hatte der Ingenieur
seinen üblichen Dienst bei Ragana schon absolviert oder er hatte ihn noch
vor sich und wollte dafür in Stimmung kommen. Rechts neben den beiden
lag Holga, die auch die Elendige genannt wurde, halb nackt auf der Couch
und starrte wie in Trance an die Decke.
Ich ließ das verstörende Bild hinter mir, ging weiter und erreichte die
Kabine von Jevran Wigth. Nur Sicherheitspersonal hatte Zutritt. Es war
unnötig, Roboter davor zu postieren. Die ATOSGO war ein Urlaubsresort
und kein Polizeischiff. Ich besaß natürlich den richtigen Zugangscode. Als
sich die Tür öffnete, hörte ich laute Musik. Ich war völlig verdutzt von dem,
was ich sah.
Cilgin At-Karsin tanzte!
Ich trat ein. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. »Der goldweiße Strand
von Rulu, so schön, so…«, sang der Hauri, doch als er mich sah,
verstummte er und blieb erschrocken stehen.
»Was geht hier vor?«, wollte ich wissen.
Jevran Wigth, der eine Flasche Whiskey in der Hand hielt, versuchte
aufzustehen, doch er plumpste wieder ins Sofa.
»Wir hören uns die Musiksammlung von Oberst Kerkum an. Terranische
und galaktische Evergreens. Selbst der Hauri hier hat begriffen, dass es
Terra einmal gab.«
Der Tefroder nahm einen Schluck aus der Flasche.
»Aufgrund von Musik? Die Texte sind doch erfunden«, sagte ich.
Hunter hilft Cilgin At-Karsin die Spuren zu verwischen. © Gaby Hylla
»Aber wer macht sich die Mühe, hunderte Lieder über Terra zu
komponieren? Das macht selbst mich stutzig, Herr Rhodanjäger
Ich sah mir auf dem Display des Players die Fülle an Songtiteln durch. Da
waren tausende von Liedern, und in der Beschreibung stand oft Terra als
Herkunftsort. Wieso hatten es diese Lieder nicht in die heutige Folklore
geschafft? Waren sie alle mit dem Posizid verschwunden?
»Das Vermächtnis von Terra, gefunden im Dreck einer Wüste einer
Kolonialwelt. Das ist doch mal was«, sagte Jevran und nahm einen weiteren
Schluck aus der Flasche. Er vermisste offensichtlich Larida Yoon. Ich
kannte den Schmerz der Einsamkeit nur zu gut.
»Wieso hast du dem sternwestlichen Konsulatssekretär nichts von deinem
Fund berichtet, wie es sich für einen anständigen CACC-Mitarbeiter
gehört?«, fragte ich und setzte mich auf einen Sessel.
Cilgin starrte mich grinsend an.
»Zweifel, Herr Kopfgeldjäger! Ich habe in meinem Leben noch nie so
etwas Schönes gehört. Doch die Cairaner sagen, das hier existiert gar nicht.
Wie kann das sein?«
Die Anlage spielte den Song »Heartbreak Hotel« von einem gewissen
Elvis Presley.
»Deshalb bin ich zum Herrn Rhodanmystiker, um ihn noch einmal zu
befragen. Ich hoffte, ich würde die Lügen erkennen, und sie würden meine
Zweifel ausräumen und ich..., ich könnte Ragana meine Loyalität zeigen.
Doch…«
»Deine Zweifel haben sich verstärkt«, vermutete ich.
Der Hauri nickte, während Jevran bitter lachte und den nächsten Schluck
aus der Pulle nahm.
»Musste Larida für diese Erkenntnis erst sterben?«
Über die Anlage trällerte Elvis Presley nun »Blue Suede Shoes«, und
Cilgin schwang im Takt mit und verkündete bei jedem Songwechsel den
Namen und Interpreten, der auf seinem Display angezeigt wurde.
Es folgte das Lied »Hound Dog« von »dem King«, wie er bezeichnet
wurde. Die Musikrichtung wurde als Rock’n’Roll bezeichnet.
Offensichtlich waren das große Interpreten der Welt Mashratan gewesen.
Das machte mich stutzig, da der Planet eher wie eine Einöde auf mich
gewirkt hatte, denn wie ein Quell für Inspirationen und Künstler. Es war
sehr surreal. So hatte ich mir ein Abend mit Freunden vorgestellt, die ich
nie hatte. Rumsitzen, Musik hören und sich unterhalten. Ich hatte weiterhin
keine Freunde, denn Jevran Wigth war als Rhodanmystiker mein Gegner,
und Cilgin At-Karsin, der Buchhalter der CACC, war mit extremer Vorsicht
zu genießen. Ich wusste nicht viel über ihn, außer, dass er auch auf
GONGOLIS gelebt hatte und sogar Concierge gewesen war.
Er hatte nie etwas über sein Privatleben preisgegeben. At-Karsin war ein
verschlossenes Wesen, das ebenfalls keine Freunde hatte und so seit 35
Jahren im Dienste der CACC lebte.
Dann war da noch Jevran Wigth, der tefrodische Rhodanmystiker und
Erbfeind meines Kommandanten Hunter. Ihre Familien waren zuerst
befreundet gewesen und sind verfeindet, seitdem ein Putsch von Hunters
Familie gegen den Maghan Vetris-Molaud fehlgeschlagen ist. Molaud hatte
den Großteil der Verwandten von Hunter ausradiert. Wigth hatte dabei wohl
eine größere Rolle gespielt, was Hunter Jevran noch heute übel nahm.
Doch Wigth war genauso arm dran wie At-Karsin oder ich. Als
Rhodanmystiker war er außerhalb der Lemurischen Allianz eine
unerwünschte Person. Mit Larida Yoon hatte er eine Mitstreiterin verloren,
die ihm wohl sehr viel bedeutet hatte.
Was waren wir nur für bedauernswerte Geschöpfe?
Die Musik sprang nun zu einem Lied, das von einer Frau gesungen wurde.
Sie trug den seltsamen Namen Lady Gaga, und der Song hieß »Poker
Face«. At-Karsin schrie verzückt auf. Via Hologramm erschien das
Musikvideo und die Sängerin mit den langen blonden Haaren hüpfte in
seltsamen Bewegungen zu ihrem Gesang.
»Diese Energie in dem Song… hach!«
Der Hauri sang den Refrain nach und wirkte ausgelassen und glücklich.
»Ich hätte auch gerne Haare. Richtig schöne, lange Haare«, sagte Cilgin.
»Hast du es schon mit Implantaten versucht?«, fragte Jevran und
betrachtete betrübt seine halb leere Flasche.
Cilgin winkte ab.
»Ja, die führen zu allergischen Reaktionen in der Kopfhaut. Ich habe aber
jede Menge Perücken. Hauptsächlich blonde Perücken. Und schöne
Seidenkleider in rot und weiß… Wollt ihr mal sehen?«
Cilgin At-Karsin sah uns erwartungsvoll an.
»Nein«, sagte ich.
»Ich darf hier eh nicht raus«, erwiderte Jevran diplomatisch.
Jetzt hatte der Hauri doch etwas über sein Privatleben verraten.
Ein neues Lied begann, und Synthesizermusik setzte an. Eine männliche
Stimme sang in einer Sprache, die ich verstand, aber nicht zuordnen konnte.
Jevran Wight berichtete, es sei Englisch, die Hauptsprache auf der Erde
bevor Interkosmos sie abgelöst hatte.
Turn around
Look at what you see
In her face
The mirror of your dreams
Das Lied schien Cilgin At-Karsin völlig in den Bann zu ziehen. Der Hauri
wurde mir unheimlich, denn ich hätte ihm diese zarte, musische Seite nicht
zugetraut. Dazu eben noch sein Geständnis, feminin angehaucht zu sein
das passte so gar nicht zu seiner äußeren Fassade.
Make believe I’m everywhere
Hidden in the lines
Written on the pages
Is the answer to a never ending story
Ah-ah-ah-ah-ah
»Der ist galaktisch gut. Von wem ist der?«, wollte At-Karsin wissen.
»Limahl steht auf dem Display. ›Never Ending Story‹ aus dem Jahre
1984«, sagte Jevran Wigth. »Also 1984 alter Zeitrechnung. Das Jahr, in
dem die Auseinandersetzung zwischen Terra und dem Robotregenten von
Arkon begann. Und jene Zeit, in der Terra seine Vernichtung vorgetäuscht
hatte, um in Ruhe das Solare Imperium aufzubauen. Ein großer Bluff in der
Geschichte der Galaxis.«
»Nicht der größte Bluff, wenn Terra doch kein Mythos ist«, fand ich.
»Und ihr wollt mich nicht in Perücke und Kleid sehen? Ich nenne mich
dann Cilgana…«
»Nein, aber wenn dir danach ist, höre Elvis Presley und Lady Gaga,
wandle dich in Ciligana um und feire im Mubiko«, schlug Jevran Wigth
vor.
»Meint ihr nicht, die würden mich auslachen?«
At-Karsin zuckte mit den Schultern.
»Ich meine, ein stattlicher Hauri in menschlichen Frauenkleidern und
Perücke – das ist doch ziemlich lächerlich.«
Jevran setzte sich auf.
»Es ist krank, die Geschichte der Menschheit zu verleugnen. Es ist krank,
Andersdenkende in Ausweglose Straßen zu deportieren und sie dort vor
sich hinvegetieren zu lassen. Ein Lebewesen, das sich in der Haut
präsentiert, in der es sich wohl fühlt, das ist doch nicht krank oder
lächerlich.«
Er legte seine Hand auf die Schulter des Hauri.
»Es…, es tut mir leid, Herr Rhodanmystiker«, fing At-Karsin weinerlich
an. »Es tut mir leid, dass ich so gemein zu deiner Freundin war, der Frau
Rhodanmystikerin Larida Yoon.«
At-Karsin sprang auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Danke – und tut mir leid.«
Er schnappte sich einige der Datenträger und verließ die Kabine eilig. Das
war jetzt ziemlich viel Gefühlsduselei. Ich konnte mit Männern in
Frauenkleider nichts anfangen und fand sie lächerlich. Aber dieser Jevran
Wigth war so ein herzensguter Mensch.
Und doch…, ausgerechnet dieser Mann war meine beste Chance.
Ich erhob mich.
»Das ist der Deal. Die Cairaner wollen dich und mein Artefakt. Ich weiß
nicht, was es kann, wie man es aktiviert, aber in den Händen der Cairaner
will ich es nicht sehen, denn ich hoffe herauszufinden, wer ich bin, wenn
wir es mal aktiviert bekommen. Bevor diese Kreuzfahrt zu Ende ist,
verhelfe ich dir mit dem Artefakt zur Flucht. Du beschützt mein Artefakt
und bekommst die Freiheit.«
Rasha wackelte mit ihrem wohlgeformten Gesäß, als sie auf der Suche nach
Nathaniel Creen voranschritt. Die NOVA befand sich in einem
Nebenhangar zur CASSIOPEIA.
Der Korridor endete auf einer Empore, von der Atlan und die
Meinungsmacherin einen guten Überblick über den zweiten Hangar hatten.
Die NOVA stand im Zentrum, während zwei weitere Space-Jets anderem
Bautyps und vier Gleiter um sie verteilt waren. Bei den zwei anderen
Space-Jets handelte es sich um runde Jets, während die NOVA Kanten und
Ecken hatte. Atlan vermutete, dass es Jets der VENUS-Klasse waren.
Die Space-Jets dieser Klasse waren schon vor der Einführung des
Suspensionsflugs im Einsatz. Wahrscheinlich war die Baureihennummer
nun deutlich höher.
Atlan stellte sich ans Geländer neben Rasha. Sie deutete nach unten.
Die geheimnisvolle Rasha in einem Lift. © Gaby Hylla
»Ich sehe nur den anderen Rhodanjäger, diesen Hunter
Ihm war Hunter bereits beim Empfang aufgefallen. Er war unfreundlich
und misstrauisch. Offenbar kontrollierte er das Zielsuchsystem des linken
MVH-Abstrahlkopfes.
Rasha drehte sich um.
»Besorg’s mir hier. Hier am Geländer
»Was?«
Sie legte ihre Arme um seine Schultern.
»Ich vertraue deiner männlichen Kraft, denn wenn du mich fallen lässt,
war es mein letzter Höhepunkt.«
Atlan schob sie beiseite und sah, dass Hunter sie beobachtete.
»Außerdem schöpft der Typ unten keinen Verdacht. Wir sind nur
Liebende, die geil aufeinander sind, hm?«
Atlan würde ihr den Wunsch dennoch nicht erfüllen. Hunter hatte ihn
sicherlich schon erkannt. Also ging er in die Offensive und winkte. Der
Tefroder erwiderte den Gruß nicht, also begab sich Atlan über die Treppe
hinunter. Rasha seufzte und stöckelte in ihren Absatzschuhen hinterher.
»Guten Abend«, sagte Atlan laut, als er auf die NOVA zuging. »Ein
schönes Raumschiff. Vor der Hyperimpedanz war die CORBIA-Klasse
noch in der Planung. Danach geriet sie längere Zeit in Vergessenheit.«
Hunter wanderte auf der Oberfläche entlang und machte einen Satz über
die Wartungsluke. Er spukte in meine Richtung auf den Boden.
»In deinen Phantasiegeschichten, Arkonide.«
»Wieso so unhöflich, Tefroder?«
»Was willst du?«
»Nun…« Atlan machte eine seitliche Kopfbewegung. »Die Kleine hier ist
Meinungsmacherin und findet deinen Navigator unheimlich mit seiner
Raumfahrerrüstung, die er nie ablegt. Ich will ihr einen Gefallen tun. Ist er
hier?«
»Nicht gesehen.«
Atlan hatte diese Antwort erwartet und warf Rasha einen vielsagenden
Blick zu.
»Darf ich eine Reportage über die NOVA machen? Kopfgeldjäger
kommen gut an«, fragte sie und blickte nach oben.
»Nein.«
Hunter ging die Hülle der Space-Jet etwas weiter hoch, bis er ganz oben
an den Düsen des Gravo-Jets und der Innenstrom-Turbinenbeschleuniger
stand. Auch sie überprüfte der schweigsame Tefroder.
»Danke für das nette Gespräch.«
Atlan deutete Rasha an, ihm zu folgen. Der Besuch im Hangar war
Zeitverschwendung. Immerhin konnte er sich jetzt dieser rassigen
Schönheit widmen.
Cilgin At-Karsin war glücklich. Es hatte gutgetan, mit den Herren
Rhodanjägern und Rhodanmystikern zu sprechen. Doch mehr hatte ihn die
Musik beschwingt. Nie in seinem Leben hatte er solch wundervolle Töne
gehört, die ihn anregten, inspirierten und sein Herz einfach höherschlagen
ließen.
Sollte er jetzt dem Rat des Herren Rhodanjäger folgen und als Cilgana ins
Mubiko aufbrechen? Wieso eigentlich nicht? 35 Jahre lang hatte er nie
gefeiert, sich nie nach außen hin präsentiert. Er war immer nur der
Buchhalter der CACC gewesen und hatte die Launen seiner weibischen
Vorgesetzten ertragen müssen. Seit seiner Verbannung von Gongolis war er
allein gewesen. Er war immer der Außenseiter auf der ATOSGO gewesen.
Ein Hauri, eine Seltenheit in der Galaxis und einzigartig bei der CACC.
Was hätten die Kollegen gesagt, wenn er als Transvestit erschienen wäre?
Auf Rudyn gab es eine Gemeinschaft, und auch auf anderen Welten waren
sie akzeptiert, doch sie waren die Minderheit, und auf der CACC herrschten
die strengen Regeln der konservativen Ragana ter Camperna.
Sie hätten ihn noch mehr in die Rolle des Sonderlings gestellt oder ihn
einfach gefeuert. Doch jetzt hatte sich einiges geändert. Cilgin lachte und
frohlockte. Er hatte sowas wie Freunde. Ausgerechnet seine Feinde waren
seine Freunde. Das war wahnsinnig. Dass dieser Atlan und Gucky an Bord
waren, war doch auch kein Zufall.
Wenn das kein Zeichen war, für einen Neubeginn, was dann?
Er hörte immer noch das Lied Never Ending Story in seinem Ohr und war
dankbar für die Übersetzung von Jevran ins Interkosmos. Dieses Englisch
war offenbar eine Singsprache eines geheimnisvollen Volkes. Jevran hatte
zwar behauptet, das sei eine terranische Sprache, aber das war absurd. War
es doch, oder? Cilgin zweifelte mehr und mehr an dem Mythos Terra. Was,
wenn es denn Wirklichkeit wäre?
Reach the stars
Fly a fantasy
Dream a dream
And what you see will be
Die Sterne hatte er erreicht, aber seine Phantasie und seinen Traum den
lebte er noch nicht. Cilgin blieb erschrocken stehen. Er hatte kein Make-Up,
kein Lippenstift, Lidschatten, keine Lashes und Wimpern und keine langen
Fingernägel mehr. Es war doch so lange her, dass er als Cilgana unterwegs
gewesen war, wenn auch nur heimlich in seiner Kabine. Oh nein, Cilgana
würde wie eine Vogelscheuche aussehen. Er konnte unmöglich jetzt in
einem Shop etwas kaufen. Nein, man würde ihn erkennen, und das
Getuschel würde wieder losgehen, bevor Cilgana ihren großen Moment
hätte. Vermutlich waren die Geschäfte um diese Uhrzeit geschlossen. Es
war immerhin zwei Uhr morgens.
Frau Buchhaltungsvorsteherin Boffelia Bokk hatte immer ein Schminkset
in ihrem gemeinsamen Büro. Die würde das vorerst sicher nicht vermissen.
Cilgin At-Karsin begab sich in die 25. Etage und ging dabei sehr
vorsichtig vor. Er wusste, wo die Sicherheitskameras waren. Sie waren
nicht im Foyer, sondern am Büro von Bismaria da Enta. Sein Büro lag aber
davor. Er ging hinein und vergewisserte sich, dass die Luft rein ist.
Boffelia schloss ihren Schrank nie ab. Er betätigte den Knopf, und die
Schublade fuhr nach vorne. Darin lagen jede Menge Lippenstifte, Parfüms,
Schminktuben, Stifte und Pinsel für die Schminke, ein Klebeset für Lashes
und Wimpern und ein paar verpackte Strumpfhosen. Er packte die
Strumpfhosen aus und legte sich den weichen, seidenen Stoff an die Wange.
Das fühlte sich so schön an. Er wollte sie tragen, sich richtig sexy fühlen.
Also zog er die Schuhe aus und streifte die schwarze Hose ab. Während er
sich die Strumpfhose überzog, öffnete sich die Tür.
Die Frau auf der Schwelle starrte ihn mit ihren weit aufgerissenen gelben
Augen an.
Boffelia Bokk!
Sie trug ein grünes Kleid, dass ihr bis zu den Knien ging. Darunter
ebenfalls schwarze Nylons. Ihr welliges Haar war so voll. Wieso dachte
Cilgin jetzt daran?
Boffelia lächelte und ging ein paar Schritte weiter, so dass sich die Tür
hinter ihr schloss.
»Ich habe es immer gewusst«, sagte sie triumphierend. »Du bist ein
kleiner perverser Freak. Willst du in meinen Strumpfhosen kommen? Ja,
darauf stehst du?«
Cilgin schüttelte den Kopf. Er fühlte sich so beschämt, zumal er halbnackt
in den Strumpfhosen vor ihr stand und auch nur eine Hälfte übergezogen
hatte.
»Bitte… bitte…, erzähl es nicht weiter
Sie betrachtete ihre Schublade und die Schminke auf ihrem Tisch.
»Ach, jetzt kapiere ich. Du bist eine Tunte.«
»Ja… nein… ich…«
Boffelia lachte laut.
»Das muss ich gleich Bismaria und den anderen erzählen. Also, wenn du
gerne Kleider tragen willst, kein Problem. Ab morgen kommst du jeden Tag
so zur Arbeit. Und wir schminken dich auch. Du wirst schön unser
Püppchen sein. Püppy nenne ich dich.«
Cilgin schüttelte den Kopf. Genau das hatte er befürchtet. Wieso war er so
dumm gewesen und hatte auf diesen Rhodanmystiker gehört? Nun war alles
aus. Er würde zum Gespött der ATOSGO werden, jeder würde über ihn
lachen.
»Nein«, rief er lauter als gewollt.
»Nein?«
Boffelia baute sich vor dem Hauri auf, der vierunddreißig Zentimeter
größer war als sie. Doch das störte sie nicht. Sie schubste ihn, und er
landete mit dem Hosenboden auf den Boden.
»Du bist nachts in mein Büro eingebrochen und klaust meine privaten
Sachen. Soll ich das Ragana Morgen erzählen? Mit Glück wirst du gefeuert,
mit Pech gleich in die Kloake unter dem Abdrücksaal geworfen.«
Kündigung oder Demütigung? Der Tod wäre die beste Option. Er hatte
sein Leben verwirkt. Diese Scham konnte er nicht ertragen. Er war
Concierge auf GONGOLIS gewesen. Da war er noch jemand gewesen. Sie
hatten ihn rausgeworfen wegen Nichtigkeiten. 35 Jahre lang hatte er den
unterwürfigen Buchhalter gespielt, dabei war er geistig all den Narren auf
in der CACC überlegen. Und nur, weil er auch phasenweise eine Frau sein
wollte, sollte er bestraft werden? Die Galaxis war grausam. Doch was
passierte, wenn sie ihm kündigten? Er war obdachlos, und die Rücklagen
reichten vielleicht für ein Jahr. Alles nur, weil er so unvorsichtig war. Dieser
werte Herr Rhodanmystiker hatte das gewusst. Es war seine perfide Falle
gewesen!
Boffelia beugte sich herab. Sie hatte so schönes volles Haar und Cilgin
nur eine Glatze. Sie zog ihm langsam die Strumpfhose wieder aus.
»Deine Entscheidung, Püppy! Komm schon, wir sind lieb zu dir…«
»Turn around…«
»Was?«
Cilgin hörte wieder das Lied von der »Never Ending Story«, diesem
terranischen Song aus dem Jahre 1984. Es beruhigte ihn.
»Turn around. Look at what you see in her face. The mirror of your
dreams.«
»Okay, jetzt bist du irre.«
Cilgin ging zum Stuhl mit seiner Hose, holte den Datenträger mit den
Songs heraus und steckte es in seine Positronik. Seine Hände zitterten, als
er in der Playlist das Lied in der Dauerschleife auswählte.
Der Song erklang, und er lächelte Boffelia an, während er mit dem Kopf
wippte.
»Was ist das für ein Mist? Also Püppy, bis morgen erwarte ich deine
Entscheidung.«
Sie drückte ihm die Strumpfhose in die Hand und drehte ihm den Rücken
zu. Er wickelte die Strumpfhose zu einem Strang, sprang auf und legte den
Stoff um ihren Hals und zog fest zu. Sie zappelte und warf sich auf den
Rücken. Er schrie, sie röchelte, sie wälzten sich auf dem Boden.
Make believe I’m everywhere
Hidden in the lines
Written on the pages
Is the answer to a never ending story
Ah-ah-ah-ah-ah
Boffelia konnte sich aufrichten und auf den Hosenboden setzen. Sie
zappelte mit den Füßen und streifte so ihre Schuhe ab. Cilgin schrie. Sie
wedelte mit den Armen. Er spürte ihren Speichel auf seinen Händen.
Reach the stars
Fly a fantasy
Dream a dream
And what you see will be
Plötzlich öffnete sich die Tür. Dort stand der Herr Rhodanjäger Hunter und
blickte die beiden verwundert an. Cilgin stammelte, während Boffelia
röchelte.
Hunter lächelte schelmisch.
»Weitermachen«, sagte er und verließ das Büro.
Cilgin lachte und zog fester an der Strumpfhose, die sich um den Hals von
Boffelia schnürten. Sie zappelte mit den Füßen und röchelte.
Rhymes that keep their secrets
Will unfold behind the clouds
And there upon the rainbow
Is the answer to a never ending story
Ah-ah-ah-ah-ah
Story
Ah-ah-ah-ah-ah
»Stirb doch endlich. Stirb doch«, rief Cilgin. Die Tränen schossen ihm in
die Augen. Das Zappeln wurde schwächer. Boffelia gurgelte.
Show no fear
For she may fade away
In your hands
The birth of the new day
Das war es. Er spürte keine Bewegung mehr. Ihr Haar duftete so gut. Das
würde eine schöne Perücke geben. Langsam ließ er den Strang los. Sie fiel
zur Seite, und er drehte sie auf den Rücken. Ihre Zunge hing seitlich aus
dem Hals, die Augen blickten starr ins Leere.
Cilgin lachte. Dann weinte er. Hastig holte er das Energiemesser aus
seiner Tasche. Er richtete Boffelia auf, damit er sich hinter sie setzen
konnte. Vorsichtig schnitt er die Haare im Stück von ihrem Kopf. Als die
Klinge aus reiner Energie das Fleisch durchdrang, kauterisierte die Wunde
sofort durch die immense Hitze. Es gab kein Spritzen von Blut, nur der
stechende Geruch verbrannten Gewebes erfüllte die Luft, während die Haut
an den Rändern versengte und verschlossen wurde. Er musste die Haut mit
dem Haar ganz vorsichtig vom Schädel trennen. Boffelia war noch ganz
warm und kuschelig. Sie fühlte sich gut an. Endlich war er fertig, stand auf
und setzte sich ihre Haare auf den Kopf. Es waren so weiche und schöne
Haare.
Plötzlich erkannte er, was er getan hatte. Es war wie ein Schlag in die
Magengrube. Cilgin erbrach sich und zitterte am ganzen Körper.
»Es tut mir leid«, sagte er und weinte.
»Was habe ich nur getan? Ich wollte das doch gar nicht…, nicht doch.«
Er richtete Boffelia wieder auf. Dann legte er die Haare auf ihren Kopf
und streichelte sie.
»Okay… okay…, nochmal von vorne. Wir hatten einen schlechten Start.
Du…, Du kommst nochmal rein und wir reden ganz vernünftig miteinander,
in Ordnung?«
Er starrte die Leiche erwartungsvoll an.
»Nun sag doch was!«
Sie war offenbar richtig sauer auf ihn. Er lachte, dann weinte er wieder,
nur um darauf wieder zu lachen. Was sollte er jetzt tun? Das war alles nur
die Schuld von dem Rhodanmystiker, dem feinen Herrn Rhodanmystiker.
Die Tür öffnete sich, und erneut stand Hunter an der Türschwelle.
»Fertig?«
Cilgin schrie nur und weinte. Er sank auf die Knie.
»Bitte… bitte…«
»Psst«, machte Hunter und kam ins Büro. Die Tür schloss sich. Er
betrachtete die Leiche von Boffelia Bokk.
»Die Alte konnte ich sowieso nicht leiden. Erster Mord?«
»Ahh… ah… ah…«
Hunter winkte ab.
»Komm erst einmal zur Ruhe. Wir müssen die Leiche entsorgen.«
Cilgin starrte ihn verdutzt an. Hunter wollte ihm helfen? Er würde nicht
die Polizei oder Ragana rufen?
»Aber, aber wieso?«
Hunter tätschelte der Toten ein paar Mal auf die Wange, wohl um sicher
zu gehen, dass sie wirklich tot war.
»Morgen fliegt die CASSIOPEIA nach Taris VI. Nichts, aber auch gar
nichts darf das stören. Ein Mord auf der ATOSGO würde zum Ende der
Kreuzfahrt führen. Du hast uns da eine ganz schöne Suppe eingebrockt.«
»Es... tut mir leid, Herr Rhodanjäger
Hunter zog einen länglichen Datenträger aus seiner Hemdtasche und
steckte ihn in At-Karsins Positronik. Er tippte etwas über das Interface.
»Mit meinen Sicherheitscodes lösche ich die Kamera- und
Trackingaufzeichnungen der letzten zwei Stunden in der 25. Etage.
Außerdem deaktiviere ich den Alarm für den Einsatz von
Energieschusswaffen«, erklärte der Tefroder dem verdutzten Hauri.
Hunter zog seinen Nadel-Desintegrator und schoss auf die Leiche. Er fuhr
mit der Handfeuerwaffe auf und ab und neutralisierte die Bindungskräfte
zwischen den Molekülen. Langsam löste sich der Körper von Boffelia auf,
bis er völlig verschwunden war.
Es war nichts mehr übrig von ihr. Auch ihre schönen Haare waren weg.
Sie war einfach weg. Die Frau, die Cilgin über Jahre schlecht behandelt
hatte, so als wäre er ein Niemand gewesen. Das hatte sie nun davon!
»Wie geht es weiter?«
»Du wirst mit auf die CASSIOPEIA gehen. Dann sollen die erst einmal
selber suchen. Weiß noch jemand davon?«
»Nein…«
»Gibt es Personen, die dir ein Alibi geben könnten?«
»Ich hatte mich mit deinem Herrn Navigator und dem Rhodanmystiker
über terranische Musik unterhalten.«
Hunter nahm den Stick und steckte ihn in seine Hemdtasche.
»Die beiden vertrauen dir etwa?«
Cilgin nickte hastig.
»Gut, dann wirst du ab jetzt mein Agent sein. Berichte mir über ihre
Ansichten und ob es Hinweise auf weitere Rhodanmystiker oder Artefakte
gibt. Und stelle keine Fragen, denn dann frage ich dich auch nicht, wieso du
ohne Hosen hier sitzt, lauter Schminke auf dem Tisch liegt und du die Alte
mit ihren Strumpfhosen stranguliert hast.«
Hunter verließ das Büro. Cilgin At-Karsin blickte auf die Stelle, an der
sich Boffelias Leiche befunden hatte. Und noch immer hörte er in seinem
inneren Ohr das Lied.
The birth of the new day das stand symbolisch für ein neues Leben für
Cilgin At-Karsin.
Kapitel 7 – Paradiesisch
Die CASSIOPEIA verließ am Morgen des 26. Februar die ATOSGO und
steuerte auf das Taris-System zu.
Atlan betrachtete die ATOSGO von außen, nachdem die CASSIOPEIA
den Hangar verlassen hatte. Gucky saß neben ihm und knabberte an einem
Brötchen mit Schokoladencreme-Aufstrich Der Mausbiber stupste Atlan an
und deutete mit dem Kopf auf die drei Personen, die auf sie zukamen.
»Dein Abenteuer und ihre beiden Begleiter«, murmelte Gucky und meinte
damit Rasha in Begleitung ihrer Freunde Otnand und Wulfar.
»Sie ist nicht mein Abenteuer, Kleiner! Da ist gestern nichts mehr
passiert.«
»Du überrascht mich, großer Lordadmiral. Du hast diesen süßen
Honigtopf stehen lassen?«
»Es schwirrten mir zu viele Hornissen darum. Irgendetwas gefällt mir an
dieser Frau nicht.«
Gucky zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht, weil sie selbstbewusst ist und nicht sofort seufzend in deine
starken Arme sinkt? Oh Atlan, oh Atlan!«
Gucky legte sein Kopf an Atlans Schulter, während er die letzten Worte
sprach. Atlan schüttelte ihn ab und erhob sich zur Begrüßung, wie es sich
für einen Gentleman gehörte, doch Rasha und ihre beiden Freunde gingen
wortlos an ihnen vorbei. Sie würdigte ihn keines Blickes.
»Oh, da bist du wohl unten durch«, kommentierte Gucky.
Atlan seufzte und setzte sich wieder.
»Ich werde es überleben. Ich habe die ganze Nacht über die Temporalen
Anomalien und dieses Artefakt nachgedacht.«
Atlan fiel auf, dass die NOVA ebenfalls den Hangar verließ und auf die
CASSIOPEIA zusteuerte.
»Vielleicht erhalte ich doch noch die Chance, mit diesem Nathaniel Creen
zu sprechen.«
*
»Ich werde heute den ganzen Tag in der Sonne liegen und Cocktails
schlürfen«, sagte Kuvad Soothorn sichtlich vergnügt im Cockpit der
NOVA.
»Solange du uns nicht auf die Nerven fällst«, erwiderte Hunter und legte
die Beine auf die Konsole.
»Ich habe den Hauri als neues Mannschaftsmitglied engagiert«, erwähnte
der Tefroder beiläufig und blickte aus dem Fenster.
Ich hätte beinahe vor Schreck die NOVA an der Außenhülle der
CASSIOPEIA zerschellen lassen, doch ich zog noch rechtzeitig nach rechts.
Dann drosselte ich die Geschwindigkeit, sodass wir nun sanft in den Hangar
der CASSIOPEIA glitten.
»Ausgerechnet At-Karsin? Warum?«
»Die NOVA ist ein Schiff mit einer Crew für vier Personen. Jetzt sind wir
vier«, antwortete Hunter.
»Mit Eleonore fünf«, ergänzte ich.
»Sie ist ein Ding und kein Lebewesen.«
Arschloch!
»Außerdem zeigte sich At-Karsin sehr engagiert, was die Jagd auf
Rhodanmystiker anbelangt.«
Wenn Hunter wüsste, dass At-Karsin gestern mit Jevran Wigth und mir
terranische Musik gehört hatte, würde er seine Aussage vermutlich
revidieren. Nun gut, es sollte mir recht sein. At-Karsin könnte mir vielleicht
bei der Flucht behilflich sein. Was wäre denn, wenn ich nicht nur Jevran
Wigth zur Flucht verhelfen würde, sondern selber mit ihm, Eleonore, At-
Karsin auf der NOVA das Weite suchen würde? Nach der Rückkehr auf die
ATOSGO musste ich eine Entscheidung treffen.
»Ach, Kuvad, lass uns mal alleine«, sagte Hunter
»Wieso denn, Boss, wollt ihr etwas Geheimes besprechen?«
»Ganz genau, nun hau ab!«
Soothorn sprang auf und lachte aufgesetzt. Dann verschwand der Springer.
Was kam jetzt? Wusste Hunter von meinen Fluchtplänen?
»Hör zu, die nächsten Tage werden interessant. Ich erwarte, dass du
meinen Befehlen bedingungslos folgst.«
Ich wurde neugierig.
»Was ist geplant?«
»Das erfährst du früh genug. Wenn der Plan aufgeht, hast du deine
Freiheit, versprochen.«
Der Tefroder reichte mir die Hand. Ich war überrascht über diese Geste.
Es war in all den Jahren selten passiert, dass er mir die Hand gereicht hatte.
Ich ergriff sie und spürte einen festen Händedruck.
*
Die CASSIOPEIA erreichte Taris VI. Atlan betrachtete den Planeten, der
immer größer wurde, je näher das Schiff kam. Die sechste von insgesamt
zweiundzwanzig Welten kreiste um eine gelbe Doppelsonne vom Typ
G2V/G3V. Beide Sonnen hielten einen Abstand von 12,7 Millionen
Kilometer zueinander.
Das Taris-System war 2.217 Lichtjahre vom Ephelegon-System entfernt.
Sie befanden sich also noch im direkten Umfeld zu Rudyn. Taris VI wurde
auch Paradise-Isch genannt. Die Welt war durchschnittlich 298,5 Millionen
Kilometer von der Zwillingssonne entfernt. Das blau bis türkise Wasser und
die größtenteils grünen Kontinente zeigten schon aus dem Orbit, dass es
sich um eine paradiesische Welt handelte.
Nicht alle waren auf der CASSIOPEIA mitgekommen. Der Großteil der
ter Camperna Familie war auf der ATOSGO geblieben. Nur das sogenannte
Positronikgenie Vopp ter Camperna befand sich hier. Auch der
sternwestliche Konsulatssekretär Roch Miravedse schien nichts für
Sonnenschein und Strand übrigzuhaben.
Das Sales-Team von Yeremiah Cloudsky stand um Kulag Milton und
Sagreta da Maag herum, die ihren dreiköpfigen Hund Kerberus zu
beruhigen versuchte. Sie hielt eine kleine Steuerung in der Hand und
drückte mit dem Daumen auf einen der Sensoren. Kerberus wurde ruhiger.
Atlan vermutete, dass die Steuerung einen Impuls an einen eingepflanzten
Chip sendete, wodurch sie das Temperament etwas kontrollieren konnte.
Cloudsky wirkte ängstlich und hielt Abstand zum Hund. Speedy Handrej
unterhielt sich mit Milton und glotzte abwechselnd auf den Hintern von
Sagreta da Maag und die Brüste von Constance Zaryah Beccash, die immer
wieder aufgesetzt lachte.
Sie zeigte auf das Fenster und ging darauf zu.
»Oh, wie toll es hier doch aussieht. Das ist ja ein Paradies«, sagte sie.
»Deshalb heißt es auch Paradise-Isch«, erklärte Myka Bilno, die von links
kam und freudig lächelte. »Der Alte Obglarch macht tolle Cocktails und
Pommes.«
Myka trug einen weißgrauen Hosenanzug mit einem weißen Hemd und
wirkte geschäftlich elegant. Sagreta musterte sie abfällig, während Milton
ihr zuzwinkerte. Er legte seine Arme um Myka und Constance.
»Meine Damen, wenn die beiden Sonnen untergegangen sind, ist
Nacktbaden angesagt. Ihr habt doch das Kleingedruckte in euren Verträgen
gelesen?«
Milton lachte schallend und starrte in den Ausschnitt der CACC-
Assistentin.
Mit gedämpfter Stimme sagte er zu ihr: »Ich habe gehört, dass
Schwertwale unterwegs sind.«
Constance lachte laut. »Wie gut, dass ich dann kein Badehöschen an habe,
das er mir zerfetzen könnte.« Sie kicherte debil, schon fast grunzend.
Milton und Speedy Handrej stimmten ein.
»Das wird mega, Ladys! Echt nice.«
Paradise-Isch bestand zum Großteil aus Wasser. Es gab zwei
Subkontinente und einige Inselketten. Atlan erinnerte jene Inselgruppe, die
sie ansteuerten, ein wenig an die Azoren auf Terra mit ihrem dichten grünen
Wuchs und den prachtvollen Blumen.
Die CASSIOPEIA stieß durch die dünnen Wolken. Die Passagiere
klatschten, als sie einen besseren Überblick über die vier Inseln hatten.
»Sonne, Sand, Bier, Cocktails und den besten Fisch in der Milchstraße,
meine Damen und Herren«, rief Yeremiah Cloudsky und erntete dafür
erneuten Applaus. Der blauhäutige Glosneke mit den roten Struwwelhaaren
verbeugte sich und stellte sich neben Kulag Milton.
Gucky seufzte.
»Meister Eder und sein Pumuckl.«
Atlan musste schmunzeln.
»Lass uns runter teleportieren. Die Insel ist so groß, so dass sie vermutlich
keine psionischen Fallen aktiviert haben.«
»Ich kann teleportieren«, rief Gucky und verschwand auch schon. Auf dem
Monitor sah Atlan auf der CASSIOPEIA den Mausbiber auf einem Hügel
stehen und winken. Dann tauchte er wieder neben ihm auf.
»Buh!«
Natürlich erschrak sich Atlan nicht, denn das war viel zu vorhersehbar
gewesen. Gucky teleportierte auf einen Baum, dann auf ein Dach. Er hob
telekinetisch Steine in die Höhe, ließ sie im Kreis drehen und warf sie
telekinetisch ins Wasser.
Atlan blickte über die Lagune mit dem türkisenen Wasser. Es war wirklich
paradiesisch in dieser Gegend. Etwas abseits, am Ende des weißen
Strandes, standen Hütten, unter denen ein Restaurant mit offenem Tresen
war. Atlan erkannte Myka Bilno dort und ging in ihre Richtung. Sie saß auf
einem Barhocker und unterhielt sich mit einem alten Einheimischen, der
offenbar Kellner oder Barkeeper war.
Der alte Tariser ähnelte stark einem Terraner, einzig das Fehlen der
Ohrmuscheln und Ansätze von verkümmerten Kiemen zeigten einen
Unterschied. Die Tariser hatten nach der Kolonisierung des Planeten über
Generationen im Wasser gelebt und waren umweltangepasst. Doch
inzwischen leben sie offenbar seit vielen Generationen wieder an Land, und
die Kiemen hatten sich zurückentwickelt.
Tariser hatten auch Gene der Aras in sich, was den Kegelkopf und das
fehlende Haupthaar erklärte. Dafür trug der Mann einen geflochtenen
Spitzbart über seinem halb geöffneten, bunten Hemd.
Atlan bemerkte Schwimmhäute zwischen den Fingern, als der Tariser
Myka Pommes mit einer grünen Sauce servierte.
»Oh, wie die Sauce nach Minze duftet. Herrlich.«
Myka lachte und strahlte Atlan regelrecht an. »Hey, möchtest du auch
Pommes?«
»Nur mit Ketchup«, erwiderte der Arkonide und winkte ab. Er nickte dem
Tariser zu und bestellte ein Bier.
»Bitte sehr, Arkonide! Beim Alten Obglarch findet man immer etwas
Passendes zum Essen oder zum Trinken.«
Atlan beobachtete, wie Gucky im Wasser planschte, und wandte sich
Myka zu.
Sagreta da Maag. © Gaby Hylla
»Die Reise scheint dir gut zu tun?«
Sie grinste und wippte mit ihrem Fuß auf und ab.
»Ja, schon bald werde ich Mrs. Milton sein. Mein Sternschnuppelchen
will Fakten schaffen, und Sagreta wird gehen müssen.«
»Nun, das steckt also hinter dem Unternehmen “Fakten schaffen”?«
Sie wurde ernst.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Du weißt doch, dass ich nichts weiß.«
Atlan nahm einen Schluck von dem kühlen, herben Bier. Offenbar wusste
Myka wirklich nicht viel, und ihm war auch nicht danach, sich in die
Dreiecksbeziehung einzumischen.
Der Strand füllte sich mit den Gästen. Die Kamerasonden der
Meinungsmacherin Rasha flogen etwa zehn Meter über ihren Köpfen in der
Luft. Kulag Milton und Sagreta da Maag blickten mürrisch in Richtung
Atlan und Myka.
Speedy Handrej zog sich die Klamotten vom Leib und sprang ins kühle
Nass. Cloudsky stand zögerlich vor den Wellen und schüttelte den Kopf,
während seine Assistentin Constance wohl versuchte, ihn zu ermuntern, ins
Wasser zu gehen.
Von rechts kam der Springer Kuvad Soothorn zu den beiden und setzte
sich auf einen Hocker.
»Ein Schnappes, Meister!«
»Talutscho-Tarsi«, grüßte Obglarch den Springer und stellte ein Glas auf
den Tresen. Er füllte es mit einem klaren Getränk.
Tai nahm das Glas, prostete ihm zu und leere es hastig. Er stieß auf und
ächzte freudig.»Noch zehn, Meister!«
Soothorn zündete sich eine Zigarette an und lachte Atlan und Myka an.
»Ja, ja. Die Sonne lächelt, die Zunge hechelt…«
Er streckte nach den Worten die Zunge raus und zwinkerte Myka zu.
Ihr Interkom brummte.
»Oh, das ist Sternschnuppelchen.« Sie stöpselte sich den
Kommunikationspad ins Ohr und tat etwas geheimnisvoll. »Ja, verstanden.«
Sie schmunzelte. »Bis gleich.« Sie stand auf.
»Picknick mit dem Chef«, sagte sie knapp, lächelte und ging. Atlan
blickte zum Strand. Milton und da Maag waren verschwunden.
Soothorn stieß Atlan an.
»He, Kumpel. Gibst du ein Bier aus?«
Atlan seufzte und bestellte zwei Bier.
Myka Bilno war mit sich im Reinen. Sie spürte die heilende Kraft der
Lichtwesen, die ihre Zellen regenerierten und ihren Geist von dunklen
Gedanken befreiten. Auf dem Weg zur Transmitterstation blickte sie in den
Himmel. Die CASSIOPEIA war auch nicht so bedrohlich wie die
SEESTERN. Sie wirkte gar nicht erdrückend, eher befreiend, majestätisch
und frei wie ein großer Vogel.
Sie schritt durch den Transmitter und verließ die Gegenstation, die sich
auf der anderen Insel befand. Sie befand sich auf einer Wiese, die von allen
Seiten von einem dichten Dschungel umgeben war. Niemand stand beim
Transmitter, außer ein grauer, humanoider Wartungsroboter.
Es duftete herrlich nach Sommer. Der warme Wind strich sanft durch ihr
Haar. Hätte sie sich für das kommende Pickweniger anziehen sollen nick?
Ach, wenn zu viel am Leibe trug, würde Sternschnuppelchen es schon
entfernen.
Das Gras auf der Wiese reichte ihr bis zu den Knöcheln. Hoffentlich
krabbelten keine Spinnen, Krabben oder sonstige Vielfüßler versteckt
zwischen den Halmen herum. Davor hatte sie wirklich Angst.
Myka blickte sich um. Wo war Kulag nur?
Sie sah etwa zweihundert Meter von ihr entfernt einen länglichen
Unterstand. Vögel flogen hoch und flatterten von links nach rechts, dann
folgte ein Energieschuss und traf ein Vögelchen. Myka erschrak. Wie
konnte man nur? Das war Mord!
Sie lief in Richtung Stand und war nach einhundert Metern ganz aus der
Puste. Sie musste das Tempo drosseln. Je näher sie kam, desto mehr
erkannte sie. Ihr Sternschnuppelchen stand dort und… sie blieb stehen.
Neben ihm Sagreta da Maag. Die Arkonidin hielt eine Waffe in der Hand.
Neben ihr hockte das Ungetüm mit den drei Köpfen. Sagretas Haustier
Kerberus war furchteinflößend und überhaupt nicht niedlich.
Sabber floss aus den Lefzen aller drei Mäuler. Zwei der Köpfe lagen auf
den Pfoten, doch der mittlere Kopf hatte sich in Mykas Richtung bewegt.
Kerberus knurrte.
»Aus jetzt«, rief Sagreta und aktivierte ihre Steuerung.
»Ich dachte, ich…«
»Ja?«
Sagreta blickte Myka aus ihren roten Augen an und hielt das Gewehr
gesenkt in ihren Händen.
»Ich…«
Jetzt war sie verunsichert. Sie hatte gedacht, dass Booboochen mit ihr ein
romantisches Picknick auf der Wiese machen würde. Stattdessen jagte er
mit Sagreta Wachteln oder was auch immer für Vögel das waren. Wie
grausam das war.
»Als ich auf Gosarkon aufwuchs, besaß mein Vater große Ländereien, da
er für die Versorgung des Militärs zuständig war. Er war Farmer, Chemiker
und Biologe. Wir bauten Obst und Gemüse an, hatten Nutztiere und
züchteten synthetisches Fleisch. Und wir gingen gerne auf die Jagd.«
Sagreta verzog die Mundwinkel.
»Aber… Ich dachte, wir machen ein Picknick?«, sagte Myka.
Kulag Milton deutete auf den großen Korb. Sie atmete erleichtert auf. Da
war ja das Essen. Doch Sagreta fuhr mit ihrer Geschichte fort, die Myka
total langweilig fand.
»Doch ich traute mich nie, ein lebendiges Tier zu erschießen. Mein Vater
lachte mich deswegen aus. Mit 15 bekam ich einen Okrill als Haustier.
Doch das Vieh hatte seinen eigenen Kopf und rannte immer weg. Als der
Okrill eines Nachts wieder fortgelaufen war, suchten wir ihn. Als wir ihn
gefunden hatten, nahm ich Vaters Gewehr und erschoss das Vieh. Mein
Vater war stolz auf mich. Wir gingen fortan immer zusammen auf die Jagd,
und ich wurde eine extrem gute Schützin.«
Milton drückte auf der Konsole vor ihnen auf das Display. Ein schriller
Ton erklang, der die Vögel hochscheuchte. Sagreta zielte, schoss und traf.
Wieder war ein Vögelchen tot. Wieso tat sie das nur?
Myka nahm ihren Mut zusammen. Sie wandte sich direkt an Kulag.
Immerhin hatte er ihr ja gesagt, dass er mit Sagreta Schluss machen würde.
»Sag ihr, sie soll aufhören, wehrlose Tiere umzubringen.«
Doch Sternschnuppelchen lachte nur.
»Sag du mir lieber, was du Atlan ins Ohr geflüstert hast, nachdem er dich
durchgenommen hat?«
Ihr Herz schlug höher und plötzlich wurde ihr ganz warm. Woher wusste
Kulag davon? Sie fühlte sich so schäbig.
»Oder hast du da etwa an mich gedacht, als er deine Titten geknetet hat?
Du Hure!«
Milton schrie die letzten Worte. Wie konnte er nur so grausam zu ihr sein?
Myka war wie gelähmt. Dabei hätte sie doch sagen können, dass er es
immer mit Sagreta trieb. Er betrog sie doch auch. Wieder und wieder. Aber
sie hatte Angst, fühlte sich trotzdem schuldig.
Milton zeigte mit dem Finger auf Myka.
»Und dann erzählst du ihm von dem Unternehmen ”Fakten schaffen”.«
»Nein«, rief Myka.
»Halt deine Fresse, Schlampe! Lüge mich doch nicht an. Einen Tag später
tauchte er bei Cloudsky auf und konfrontierte ihn damit. Und meine Sagreta
hat den Rest rausbekommen.«
»Sozusagen von Atlan direkt. Bettgeflüster ist gefährlich.«
Sagreta lächelte.
Es war sinnlos, es zu leugnen. Sie gestand unter Tränen.
»Ich habe ihm aber nicht gesagt, was es ist. Denn ich wusste das ja auch
nicht genau, bis mir klar wurde, dass Vopp ter Camperna darin involviert
ist, als Positronik-Genie. Aber ich verrate nichts, Kulag.«
Sie wollte ihn umarmen, doch er wich zurück. Myka fiel weinend auf den
Boden. Sie hasste sich selbst dafür, so würdelos zu sein, doch sie konnte
ohne Kulag nicht leben. Er war alles für sie.
»Bitte! Vergib mir doch, ich habe Mist gebaut. Aber ich bleibe dir von
jetzt an immer treu und ich sage auch niemand was. Niemand.«
Kulag Milton öffnete den Korb und griff eine Bockwurst. Er biss herzhaft
hinein, kaute genüsslich und schwang die Wurst in seiner Hand, während er
mit vollem Mund nuschelte: »Nö, wirst du auch nicht.«
»Myka Bilno, die Milton Company löst mit sofortiger Wirkung das
Vertragsverhältnis mit dir auf. Der Rückflug auf der CASSIOPEIA wird dir
verwehrt. Du kannst deine persönlichen Sachen abholen und dem
Sicherheitsdienst deine Zugangskarten geben.«
Sagreta sprach diese Worte kühl, und trotzdem war ihre Genugtuung
herauszuhören.
Myka stand auf und drehte sich um.
»Was? Das kannst du nicht tun!«
Kerberus stand auf und fletschte aus drei Mäulern mit den Zähnen.
»Ich bin auf menschlicher Ebene völlig enttäuscht von dir«, ergänzte
Milton und biss in die Bockwurst. Hastig schlang er den Rest der Wurst
runter und musste husten. Dabei spuckte er etwas von der Wurst wieder aus.
»Nun verpiss dich aus meinem Leben.«
»Ich dachte, du liebst mich?«
Kulag Milton räusperte sich und blickte verlegen zu Sagreta.
»Ich habe dich nicht eine Sekunde lang geliebt, Kleines. Du warst ein
warmes Stück Fleisch. Man mag ja auch ein saftiges Steak oder Spareribs.
Doch man liebt das Stück Fleisch nicht, man isst es auf und wirft den Rest
weg. Und jetzt hau ab. Verpiss dich!«
Milton zeigte Richtung Transmitter. Myka drehte sich um. Es war alles so
unwirklich. Noch vor zehn Minuten dachte sie, sie würde zusammen mit
Kulag in der Wiese schmusen, doch nun war ihre Welt zerbrochen.
Kein Job.
Keine Liebe.
Nichts.
Sie war gedemütigt.
Jeder Schritt fiel ihr schwer, denn ihre Beine zitterten. Es war so, als
würde sie auf Wolken oder Planken gehen.
»Kerberus, aufgepasst!«, hörte Myka ihre Rivalin rufen. Was bedeutete
das? Ihr Herz stockte. Sie musste hier weg. Schnell weg. Der Transmitter
war vielleicht noch etwa 150 Meter entfernt. Sie rannte, rannte um ihr
Leben.
»Fass, Kerberus«, rief Sagreta da Maag.
Sie spürte, dass der Hund loslief. Myka fing an zu schreien. Sie musste
rennen, doch ihre Beine waren wie aus Gummi. Vielleicht noch hundert
Meter. Durchhalten. Schneller. Nicht nach hinten sehen. Doch sie blickte
nach hinten. Kerberus hechtete regelrecht auf sie zu. Sie musste zum
Transmitter, dann wann sie sicher. Sie schrie und weinte. Dann spürte sie
einen stechenden Schmerz in der Schulter und hörte das Zischen eines
Energiestrahls. Ihre Schulter brannte für einen kurzen Moment, und die
Wucht des Einschlags schleuderte sie zu Boden. Hoch, nur hoch. Myka
sprang auf, sah Sagreta mit dem Gewehr, dann die drei Fratzen der Bestie,
die sich auf Myka stürzte.
Die Zähne bohrten sich in ihr Fleisch, in die Oberschenkel, Unterarme und
Füße. Der Schmerz war unerträglich. Es war vorbei. Myka gab auf, konnte
keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie schrie nur noch. Es sollte nur
noch vorbei sein.
»Aus«, hörte sie Sagreta rufen.
Der Hund ließ von ihr ab, doch sie wusste, es war zu spät. Sie spürte nur
noch Schmerz und Kälte. Sagreta stand über ihr und lächelte.
»Hast du Essoya wirklich gedacht, ein Mann wie Kulag Milton liebt dich?
Er liebt nur mich.«
Milton stand nun neben Sagreta, die sich ihm zuwandte und innig küsste.
Myka wurde schwächer, ihr Blut floss und spritzte aus Armen und
Schenkeln.
»Ich bin großzügig«, sagte Sagreta und richtete das Gewehr auf Myka.
Myka war nicht in der Lage, sich zu wehren. Sie war wie paralysiert. Das
musste ein Alptraum sein. Kulag, ihr Sternschnuppelchen. Das durfte nicht
wahr sein.
Dann drückte Sagreta da Maag ab.
Kapitel 8 – Fakten schaffen
Atlan sah von Weitem, dass etwas nicht stimmte. Die Sales-Assistentin
Constance musste sich auf den sandigen Boden setzen. Gucky legte
behutsam seine Hand auf ihre Schulter.
»Und als ich fertig mit der Alten war, da suchte ich mir einfach die
Nächste. So ist das Leben. See la wie, so sagt man bei den Franken,
Kolonisten vom Planeten Würzburg-Nürnberg in der Southside der
Milchstraße.«
Atlan ließ den Trottel Kuvad Soothorn stehen und eilte zu dem Ilt und der
Rudynerin.
»Stimmt etwas nicht?«
Constance blickte Atlan traurig an.
»Ich habe gespürt, dass jemand gestorben ist.«
»Was immer passiert, befolge einfach die Befehle, klar?«
Ich drehte meinen Kopf in Hunters Richtung, damit er auch verstand, dass
ich ihn ansah, denn ich trug weiterhin meinen Raumfahrerhelm mit dem
Visier.
Hinter uns lag eine Transmitterstation und vor uns eine Wiese. Etwa
zweihundert Meter entfernt sah ich eine Art Schießstand für Sportschützen.
Ich bemerkte eine Drohne etwa fünfzig Meter über uns und aktivierte einen
Störsender. Dann zückte ich meinen Strahler, betätigte den Regler mit drei
Klicks nach rechts und feuerte einen elektromagnetischen Impuls auf die
Drohne, die zu Boden fiel und im Gras verschwand.
»Wir holen das Teil, dann weiter nach rechts.«
Das Gras war etwa fünf bis zehn Zentimeter hoch. Mein Visor erfasste die
Drohne und sendete ein Signal, sodass wir sie einfach fanden. Ich hob sie
auf. Es war eine etwa faustgroße Kamera mit Mikrofon.
»Die Kamera gehört der Meinungsmacherin«, stellte ich fest. Sie war
überlastet und deaktiviert, jedoch würden wir schnell herausfinden, was sie
aufgenommen hatte. Es würde nur ein paar Minuten dauern.
»Eleonore, kannst du auf den Datenspeicher der Kamera zugreifen?«
»Sicher, wenn du den Speicher mit einem Interkom verbindest.«
Während wir weitergingen, suchte und fand ich die Öffnung an der
Kamera und zog den länglichen Speicherstift heraus. Ich warf die Kamera
auf den Boden, denn wir benötigten sie nicht mehr. Der Speicherstift war
gängige Peripherie. Ich steckte ihn ans Interkom an meinem Handgelenk.
»Dort«, sagte Hunter.
Vor uns lag die zerfetzte Leiche einer Frau. Sie war blutverschmiert, und
die Beine und Arme wiesen Bisswunden auf. Ich trat näher. Ihr war
außerdem in die Schläfe geschossen worden. Die Haut war versengt und
mit dem Haar verschmolzen. Ich brauchte ein paar Sekunden, dann
erkannte ich sie.
»Das ist die Assistentin von Kulag Milton.«
»Sie war es, Kumpel. Ich glaube, sie wurde gefeuert.«
Hunter zog seinen Strahler und richtete ihn auf die Leiche, als Eleonore
sich meldete. Ich streckte meinen Arm aus, sodass Hunter das Hologramm
ebenfalls gut sehen konnte. Wir sahen Rasha, die in die Kamera grinste.
Dann ging sie etwas zurück und kniete sich hin. Die Kamera schwenkte
nach unten und wir sahen die Leiche von Myka Bilno. Rasha legte sich
neben Myka, streckte die Zunge raus und zwinkerte.
»Komm jetzt, der Transmitter leuchtet auf. Es kommen welche.«
Rasha packte die Kamera und schien sie offenbar in die Höhe zu werfen,
denn sie war nun mit Otnand und Wulfar aus der Vogelperspektive zu
sehen. Die drei rannten zum Schießstand.
Hunter blickte zum Unterstand.
»Kommt raus«, rief er.
Warum sollten sie das tun? Offenbar hatten sie Myka Bilno umgebracht.
Da würde ich eher fliehen und untertauchen. Hunter zielte wieder auf Bilno
und desintegrierte sie. Nein, ich war ein Narr. Natürlich waren es nicht
Rasha und ihre beiden Kumpanen. Der Mörder musste Hunter informiert
haben, um die Leiche zu entsorgen.
Rasha, Wulfar und Otnand kamen aus dem Unterstand. Rasha war nicht
mehr offenherzig gekleidet. Ich hätte sie in einem Mikro-Bikini erwartet,
doch sie trug eine schwarzbraune Lederkombination mit Stiefeln. Wulfar
und Otnand sahen aus wie immer, nur, dass sie um ihre Leinenhemden
braune Ledergürtel trugen, die mich an Waffengurte erinnerten.
Hunter steckte den Strahler in das Holster.
»Habt ihr es mit angesehen?«
»Nein, wir haben Geschrei gehört und danach einen Schuss. Milton und
da Maag haben ein paar Minuten später die Wiese verlassen und haben den
Transmitter genommen«, erklärte Wulfar.
»Sie konnte gut lecken«, ergänzte Rasha. »Deshalb habe ich noch
Abschiedsaufnahmen gemacht.« Sie wandte sich an mich und streckte die
Hand aus. »Darf ich meinen Speicherstift wiederhaben?«
Offenbar hatte hier ja alles seine Richtigkeit mit dem Mord an einer
wehrlosen Frau. Ich nahm den Speicher und drückte ihn Rasha in die Hand.
»Für das kommende Unternehmen haben wir die drei engagiert. Ich habe
ein wenig über ihre dunkle Vergangenheit recherchiert.«
»Und die wäre?«, wollte ich wissen.
»Söldner und Betrüger. Wulfar und Otnand waren berüchtigte Söldner
während der Bandenkriege auf Lepso und Stiftermann III vor zwei Jahren.
Rasha nimmt es gerne von den Reichen und kompromittiert vornehmlich
betrügende Eheleute mit Sex-Tapes.«
Rasha lächelte und zuckte mit den Schultern.
»Jeder muss sehen, wo er bleibt.«
Dass die drei keine Kinder von Traurigkeit waren, war mir schon vorher
bewusst.
Plötzlich materialisierten mit einem »Plopp« der Mausbiber Gucky, Atlan
und die Assistentin von Yeremiah Cloudsky vor uns. Es war jedenfalls klar,
dass dieses Wesen ein Mutant war und kein Schauspieler, der einen
Mutanten spielte. Gucky war ein Teleporter.
»Drei unbekannte Raumschiffe haben das Taris-System erreicht«, meldete
Eleonore über das Interkom, doch ich konnte dem erst einmal keine große
Aufmerksamkeit widmen.
»Hier muss es gewesen sein«, sagte die Frau mit den braunen Haaren. Sie
war sehr schön und wirkte seltsam vertraut auf mich. Sie blickte mich an.
»Oh«, sagte sie nur.
»Was geht hier vor?«, wollte Hunter wissen.
»Nun, die Dame ist offenbar Empathin und hat gespürt, dass hier jemand
in Todesangst war«, erklärte Atlan, der sich umsah.
»Natürlich sind alle von euch Gestalten mentalstabilisiert. Das passt ja«,
stellte Gucky fest.
Atlan wanderte über die Wiese, während Gucky sich telekinetisch ein paar
Meter in die Luft hob, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Er
streckte die rechte Hand aus und hob die Kamera aus dem Gras hervor.
»Was haben wir denn da?«, fragte der Ilt und landete wieder auf dem
Boden.
»Ups, die habe ich verloren. Super, dass du sie gefunden hast«, meinte
Rasha sehr aufgesetzt.
Gucky nahm die Kamera und sah sie sich an.
»Der Datenspeicher fehlt leider. Den hat vermutlich keiner von euch, nicht
wahr? War eine rhetorische Frage.«
Donnern und Grollen riss uns aus der Diskussion. Ich blickte in den
Himmel. Drei keilförmige Raumschiffe stießen aus der Wolkendecke und
flogen in Richtung Inselgruppe.
Das waren Ladhonen. Die Form der Piratenraumer waren markant und
unverkennbar. Der Doppelkeil verlief zum breiteren Heck und verband sich
dort. Ich vermutete, es handelte sich um Schiffe der PODHUM-Klasse.
»Zum Strand! Wir müssen die anderen warnen«, schlug ich vor.
Hunter betätigte ein paar Schalter auf seinem Multikom.
»Ich hasse es zu sagen, aber der Mausbiber kann die Passagiere schneller
auf die CASSIOPEIA bringen. Ich habe den Psi-Abwehrschirm
deaktiviert.«
Atlan nickte Gucky zu, da verschwand der Ilt mit einem »Plopp«.
»Wir nehmen den Transmitter zur anderen Insel und helfen bei der
Evakuierung«, entschied Atlan und rannte voraus.
Der Mann bewies Tatendrang.
Ich lief hinterher und die anderen folgten. Kaum waren wir aus dem
Transmitter heraus, schnellte ein Beiboot der Ladhonen über unsere Köpfe
hinweg. Rund um das Restaurant des Alten Obglarch herrschte helle
Aufregung. Der Raumponton landete nahe am Wasser.
Atlan war inzwischen am Restaurant angekommen und schickte die etwa
200 Passagiere zum Transmitter. Immer wieder tauchte Gucky auf,
schnappte sich zwei Gäste und verschwand, um nur wenige Sekunden
später wieder aufzutauchen. Noch herrschte keine Panik, doch das war nur
eine Frage der Zeit. Viel zu behäbig bewegte sich die Masse in unsere
Richtung.
Dann verließen drei Ladhonen ihr Beiboot. Sie waren halbwegs humanoid
mit schwarzer Haut und einem durchtrainierten Körper mit drei Armen. Ihr
Kopf jedoch war alles andere als menschenähnlich. Das große violette Auge
beherrschte den breiten Schädel, auf dessen oberem Ende ein roter
Sichelkamm saß. Der Kopf endete unten in einem schmalen Kinn. Der
Mund bestand aus vertikalen Lamellen.
Alle drei Ladhonen waren bewaffnet.
Nun fing die erste Frau aus der Gruppe an zu schreien. Die Masse setzte
sich in Bewegung. Zwei weitere Raumpontons kamen auf uns zu, während
die drei großen Schiffe wieder aufstiegen.
Sie wollten zur CASSIOPEIA.
Aus den Beibooten kamen je vier weitere Ladhonen. Sie zückten ihre
Strahler und feuerten ohne Vorwarnung.
»Lauft«, rief Atlan.
Ich zog meinen Strahler. Außer mir war nur Hunter bewaffnet. Wieso
sollten auch Touristen Energiestrahler mitnehmen? Gucky rematerialisierte
und wandte sich den Ladhonen zu. Er schubste die ersten vier telekinetisch
zu Boden. Die andere Gruppe hob er zwanzig Meter in die Luft und ließ sie
einfach fallen. Dann hob er das Beiboot des Dreiertrupps an und ließ ihn
auf die drei Ladhonen fallen. Die umgeworfenen Ladhonen rappelten sich
auf. Der Ilt sprang zu ihnen, nahm zwei von ihnen und teleportierte. Er
kehrte zurück und wiederholte das Ganze. Als der Mausbiber wiederkehrte,
blickte er sich um. Einer der gefallenen Ladhonen schien tot zu sein, die
anderen verletzt und kampfunfähig.
Die ersten Leute erreichten den Transmitter. Kulag Milton, Sagreta da
Maag und Yeremiah Cloudsky wirkten sehr gefasst und riefen dazu auf,
Ruhe zu bewahren.
Gucky machte sich wieder an die Arbeit und teleportierte Passagiere auf
die CASSIOPEIA.
Ich blickte nach oben. Ein Piratenraumer änderte den Kurs und senkte
sich. Sieben weitere Beiboote flogen heraus. Jetzt mussten Gucky und er
sich beeilen. Der Alte Obglarch wollte gar nicht durch den Transmitter,
doch Atlan schob ihn hindurch.
Es folgte Sagreta da Maag, dann Cloudsky und Milton. Rasha und ihre
beiden Begleiter waren als nächste an der Reihe. Nun waren nur noch
Hunter, Atlan, die Assistentin von Cloudsky und ich übrig.
Gucky rematerialisierte wieder. Hunter tippte etwas auf das Interkom.
»Weg hier. Wir nehmen den Transmitter
Gucky schnappte sich Atlan und die Frau und war weg. Hunter grinste
und nickte mir zu.
»Na los…«
Ich materialisierte auf der CASSIOPEIA und aktivierte sofort mein
Interkom.
»Statusbericht, Eleonore?«
»Die PODHUM-Raumschiffe der Ladhonen nehmen direkten Kurs auf
uns. Die CASSIOPEIA sollte sofort aufbrechen.«
Wer steuerte eigentlich das Schiff? Ich suchte Kulag Milton und eilte zu
ihm. Wo waren Atlan und Gucky abgeblieben? Ich hätte sie längst hier
erwartet.
»Milton, wer steuert die CASSIOPEIA?«
Der Mann sah mich verdutzt an.
»Wer ist das eigentlich?«
»Was?«
Das durfte doch nicht wahr sein.
»Gehört zu mir«, meinte Hunter. »Milton, gib ENGUYN den Befehl, von
hier zu fliehen.«
Der Tycoon nickte. Er war völlig verschwitzt und erledigt. Er schien nach
Luft zu ringen.
»Ich glaube, sie haben meine Assistentin Myka Bilno ermordet. Ich habe
sie hier nicht mehr gesehen.«
Nun, ich schon, und sie war nicht Opfer der Ladhonen geworden.
»ENGUYN ist die Positronik der CASSIOPEIA und steuert das
Raumschiff alleine«, informierte mich Eleonore. »Ich stehe bereits im
Kontakt mit ihm.«
ENGUYN. Anubis hatte auf Mashratan gesagt, wir sollten die Jaaron-
Chronik ENGUYN geben. Was hatte die Positronik eines
Kreuzfahrtschiffes mit einer Kosmogenen Chronik zu tun? Ich hatte mich
damals vielleicht verhört. Doch es war jetzt nicht die Zeit, lange darüber
nachzudenken.
Hunter packte Kulag Milton an der Schulter.
»Wir müssen handeln.«
»Aber… Myka… sie ist tot…«
Milton schluckte hörbar. Was für ein Heuchler. Mir war klar, dass Hunter
die Leiche in seinem Auftrag desintegriert hatte. Die Piratenraumer kamen
immer näher. Wenn sie ihren Desintegrator am Bug einsetzten, war es um
die CASSIOPEIA geschehen.
»Ja«, sagte Milton schließlich. »Weg hier
Er hob die Arme.
»Weg hier. Auf nach Rudyn. Dort sind wir sicher
Die Passagiere blickten ihn an. Dann riefen sie auch »Nach Rudyn« und
»Weg hier«.
Das Hologramm eines androgynen, haarlosen Menschen mit spitzen
Ohren und großen Augen erschien.
»ENGUYN, bring uns nach Rudyn«, rief Kulag Milton.
»Sehr wohl, Sir!«
Das Hologramm der Positronik nickte devot. Wir nahmen an Fahrt auf.
Das Ephelegon-System war etwa 2000 Lichtjahre entfernt. Die Flucht vor
den Ladhonen hatte begonnen.
Die CASSIOPEIA verließ den Hyperraum und tauchte vor dem
TERRANOVA-Schutzschirm des Ephelegon-Systems im Einstein-
Universum auf. Nur wenige Sekunden später fielen die drei PODHUM-
Raumschiffe der Ladhonen aus dem Überlichtflug und eröffneten ohne
Vorwarnung das Feuer.
Zwei Energiesalven trafen die CASSIOPEIA. Die Passagiere schrien in
Panik auf.
»Der Schutzschirm der CASSIOPEIA hält«, berichtete mir Eleonore, die
das Monitoring der CASSIOPEIA übernommen hatte und im Austausch mit
der Positronik ENGUYN stand.
»Nun tut doch was«, rief Kulag Milton aufgebracht.
Er sah sich verängstigt um.
Was geschah hier eigentlich? Die letzte Stunde war turbulent gewesen,
nachdem wir von Taris IV geflohen waren. Milton war hilflos, und wenn
ich mich umsah, so erging es seinen Geschäftsfreunden genauso. Yeremiah
Cloudsky, Vopp ter Camperna, Speedy Handrej und die ganzen Bonzen und
Glamour-Leute von Rudyn waren völlig überfordert.
Wo waren Atlan und Gucky?
Ich wandte mich an Hunter. Er bemerkte, dass ich den Blick auf ihn
gerichtet hatte, auch wenn er meine Augen nicht sah.
»ENGUYN, sofort Notfallfunkspruch an die rudynische Heimatflotte«,
rief der Tefroder.
»Hergestellt.«
»Hier spricht die CASSIOPEIA. Wir erbitten sofort die Öffnung einer
Strukturlücke im TERRANOVA-Schirm und Beistand. Wir werden von
Ladhonen verfolgt und angegriffen. Knapp 500 Staatsbürger der Liga Freier
Terraner sind an Bord.«
Es dauerte nur zehn Sekunden, bis die Antwort kam. Die Koordinaten der
Strukturlücke wurden mitgeteilt. Es bestand die geringe Chance, dass die
Ladhonen in der Lage waren, den Hyperfunk abzufangen und mitzuhören.
ENGUYN musste schnell sein, und schon sprang die CASSIOPEIA mit
einer Transition vor die Öffnung des Schutzschirmes.
»Ich muss abdrücken«, rief Vopp ter Camperna.
»Begleite ihn und lass ihn nie aus den Augen«, befahl mir Hunter.
»Was? Jetzt?«
»Los!«
Vopp watschelte los und erreichte die 30 Meter entfernte Toilette, auf dem
ein Kopf mit spitzen Ohren und Emot-Organ gezeigt wurde. Das war der
spezielle Abdrücksaal für Onryonen. Kaum darin, riss sich Vopp die Hose
runter und setzte sich auf einen der Toilettensitze. Es folgten laute Furze. Er
stellte seine Minipositronik auf die runde Konsole vor ihm und tippte hastig
auf das Display. Das Emot-Organ leuchtete in safrangelb, ein Anzeichen für
Anspannung.
Er stöhnte auf, ein gedehnter Furz folgte. Dann platschten seine
Ausscheidungen in die Schüssel. Er schüttelte den Kopf und murmelte. »Ja,
ja. Gut, gut!«
»Eleonore, halte mich auf dem Laufenden«, sprach ich über das Interkom.
»Treffer durch die Ladhonen. Geringe Schäden. Der TERRANOVA-
Schirm hat sich geschlossen. Wir sind in Sicherheit.«
Ich atmete durch.
Vopp blickte mich an. Sein Emot-Organ leuchtete rosa, und er pupste.
*
Nachdem ter Camperna fertig war, kehrten wir zurück in den Hauptsaal
der CASSIOPEIA.
»Habt ihr Atlan und Gucky gesehen?«, fragte die Assistentin von
Yeremiah Cloudsky. Sie blickte mich wieder so an, als würde sie mich
kennen.
»Nein, ich vermisse sie auch«, antwortete ich.
»Ich fürchte, die sind auf Taris gestorben«, sagte Hunter. »Waren eben nur
Schauspieler
Diese Constance schüttelte den Kopf.
»Das ist doch Blödsinn. Jeder hat gesehen, dass Gucky Teleporter und
Telekinet ist. Er hat jede Menge von euch gerettet.«
»Ich weiß nicht, was ich gesehen habe«, gestand Yeremiah Cloudsky.
»Tatsächlich ich auch nicht. Das war tatsächlich so hektisch«, fügte dessen
Assistent Speedy Handrej hinzu und sah aus, als ob er auch in einen
Abdrücksaal müsste.
Ich blickte mich um und sah in ausdruckslose Gesichter. Niemand außer
Constance wollte offenbar zugeben, dass wir uns geirrt hatten. Ja, dieser
Gucky war ein Mutant. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Das war
kein Trick gewesen. Atlan und er waren auch auf die CASSIOPEIA
zurückgekehrt. Etwas stimmte hier nicht, und ich hatte das untrügliche
Gefühl, dass Hunter etwas damit zu tun hatte. Doch ich wollte ihn nicht vor
den anderen bloßstellen.
Das Hologramm von Reginald Bull tauchte im Saal auf, und ein Raunen
ging durch die Menge. Milton Kulag stellte sich davor und breitete die
Arme aus.
»Die Ladhonen haben uns auf Taris IV aufgelauert. Das war ein Anschlag
auf die LFG. Wir müssen reden. Jetzt!«
»Also gut, ich unterbreche die Kabinettssitzung. Kommt an Bord der
Solaren Residenz und erstattet sofort Bericht.«
Milton lächelte.
»Wir sind gleich da.«
Die Verbindung wurde beendet.
»Natürlich nicht alle auf einmal. Ich werde mit einer Auswahl an Zeugen
zur Solaren Residenz gehen und mit Bull reden. Dieser Angriff wird nicht
ungesühnt bleiben«, versprach Milton.
Die Passagiere wirkten zunächst verhalten. Dann klatschte Yeremiah
Cloudsky. Speedy Handrej stimmte ein und auch Sagreta da Maag. Dann
klatschten immer mehr und jubelten.
Milton, da Maag, Cloudsky und ter Camperna verließen den Raum.
Hunter winkte mir zu, dass ich mitkommen sollte. Neben mir setzten sich
auch Rasha und ihre beiden Begleiter in Bewegung.
Wir versammelten uns im Transmitterraum.
»Es wird Zeit, dass wir Fakten schaffen«, sagte Kulag Milton.
Das Emot-Organ von Vopp ter Camperna leuchtete in einem
entschlossenen hellen Violett.
Hunter legte seine Hand auf meine Schulter.
»Das solltest du noch sehen, bevor wir auf die Solare Residenz gehen.
Milton, wir kommen gleich.«
Der weißhaarige Tycoon nickte und atmete tief durch. Was hatten die nur
vor? Hunter begab sich mit mir in einen Korridor. Wir gingen etwa
einhundert Meter, ehe wir auf zwei TARA-IX-Kampfroboter stießen, die
einen Raum bewachten. Die Tür glitt zur Seite, und ich sah Atlan und
Gucky. Der Raum war keine normale Kabine. Er war spartanisch
eingerichtet mit zwei Liegen, zwei Stühlen und einem Tisch. In der Ecke
befand sich ein Hygienebereich. Die Hälfte der Kabine war durch ein
Energiefeld abgeschottet. Dahinter befanden sich der Arkonide und der
Mausbiber. Sie waren Gefangene auf der CASSIOPEIA.
»Erklär mir das«, forderte ich Hunter auf.
Atlan erhob sich und ging bis zum Energieschirm.
»Genau, erkläre uns das ebenfalls.«
Hunter grinste.
»Wie ihr festgestellt habt, habe ich die Psi-Fallen natürlich wieder
aktiviert, bevor ihr das letzte Mal gesprungen seid. Gucky landete in dieser
Zelle. Ihr seid Gefangene von Kulag Milton. Die Zeit eurer Charade ist
vorbei.«
Gucky schüttelte den Kopf.
»Was denn nun? Entweder bin ich ein Laiendarsteller oder ein Mutant.
Oh, warte, ich bin ein Schauspieler. Du brauchst die Parafallen nicht.«
Gucky hüpfte auf den Stuhl und wedelte mit den Armen.
»Ich weiß nicht, in welchem Mutantenzoo dich Bull gefunden hat. Ich
streite dir nicht deine Fähigkeiten ab. Doch du bist kein 3.000 Jahre alter
Zellaktivatorträger. Und du Arkonide bist auch nicht Jahrzehntausende alt.
Ihr gehört zur verlogenen Clique von Bull und Molaud, die mit Lügen,
Desinformationen und Fake-News die Lemurische Allianz korrumpieren.«
Er hielt inne und lächelte überlegen.
»Doch nun kommt der Faktenfinder. Es ist Zeit, Fakten zu schaffen. Und
danach knalle ich euch zwei Arschlöcher persönlich übern Haufen.«
Hunter verließ die Kabine. Ich blickte ihm hinterher, dann warf ich wieder
einen Blick auf Atlan und Gucky.
»Ist das auch deine Meinung, Raumfahrer?«, wollte Atlan wissen.
Ich schwieg und folgte Hunter. Er ging den Korridor entlang und lief ihm
hinterher.
»Bewache weiterhin Vopp ter Camperna.«
»Was wird hier gespielt?«
Hunter stoppte und drehte sich um. Er legte seine Hand auf meine
Schulter.
»Die Befreiung der Lemurischen Allianz von Lügen und Unwahrheiten
steht bevor. Und wenn du hier mitziehst, bist du ein freier Mann. Ich
schenke dir die NOVA und du kannst mit Eleonore hin, wohin du willst.«
Ich dachte über die Worte nach.
»Das ist der Deal«, bestätigte Hunter noch einmal.
Freiheit. Weg von der CACC. Ich konnte mein eigenes Leben führen und
hatte mit der NOVA ein Raumschiff. Eleonore war sowieso das einzige
Wesen, das mir etwas bedeutete. Der Deal klang gar nicht mal so schlecht.
Sollten diese ganzen verrückten Rhodanmystiker und Rhodanjäger doch
ihren Glaubenskrieg ohne mich führen.
Ich legte nun auch meine Hand auf seine Schulter.
»Das ist der Deal.«
Kapitel 9 – Orchidee pflücken
Die Stahlorchidee, wie sie genannt wurde, schwebte in einem Kilometer
Höhe majestätisch über der Stadt Neu Terrania. Ich steuerte die NOVA aus
dem Hangar der zwei Kilometer entfernten CASSIOPEIA und flog in
Richtung Residenz.
Die »Blätter« der Orchidee waren gläsern. Die Sonne reflektierte sich auf
ihnen.
Ich blickte auf das Chronometer. Wir schrieben den 27. Februar 2046
NGZ. Alle wichtigen Politiker des Ephelegon-Systems, dem politischen
Machtzentrum der LFG, waren heute wegen einer Kabinettssitzung auf der
Residenz. Der offene Angriff der Ladhonen auf ein touristisches
Raumschiff musste sie vermutlich schockieren.
Die NOVA war vollgepackt mit Passagieren. Ich saß mit Hunter im
Cockpit, hinter mir Kulag Milton und Sagreta da Maag.
Im Unterdeck hielten sich die Meinungsmacherin Rasha mit ihren
Begleitern Wulfar und Otnand sowie Vopp ter Camperna und Yeremiah
Cloudsky auf. Warum all diese Leute mitkommen mussten, war mir nicht
bekannt. Ich wusste aber, dass sie etwas planten. Vielleicht ein Attentat auf
Reginald Bull?
Die Residenz war 1.010 Meter hoch und in Form der bekanntesten
Variante der Blütenblätter einer Orchidee gestaltet, die vornehmlich auf
Welten wie Rudyn, Plophos oder Olymp wuchs. Der Hauptteil des
Gebäudes befand sich in den fünf Blütenblättern. Am Stiel lag eine
Landeplattform für Besucher, die ich mit der Space-Jet ansteuerte.
Langsam setzte ich die NOVA auf
Hunter stand auf und forderte Milton und da Maag auf, sich auch auf den
Weg zu machen. Es war seltsam ruhig gewesen, als ob sie nicht in meiner
Gegenwart reden wollten.
Ich packte Hunter, während Milton und die Arkonidin sich in die untere
Etage begaben.
»Was muss ich wissen?«
Hunter grinste verschmitzt.
»Gar nichts, Kumpel. Pass auf Vopp ter Camperna auf. Er muss auf einen
Donnerbalken, damit er in Höchstform ist. Und er muss seine tragbare
Positronik dabeihaben. Sucht euch ein stilles Örtchen abseits.«
Hunter ging weiter. An der Ausstiegsluke begegneten wir den anderen und
verließen die NOVA.
Der Innenraum der Solaren Residenz war hell, wirkte edel und vermittelte
eine gewisse Geborgenheit. Wir befanden uns im unteren Empfang.
Gegenüber lag das Restaurant Marco Polo.
Die Residenz war heute für Besucher gesperrt, da die Regierung der LFG
tagte und deshalb aus Sicherheitsgründen das administrative und
gesellschaftliche Leben in der Stahlorchidee ruhte.
Zur Begrüßung standen vier Sicherheitskräfte, zwei Männer und zwei
Frauen, in blauweißer Uniform und mit ovalen Helmen vor uns. An der
Seite schwebten je zwei Wachroboter der TARA-XI-S-Baureihe. Der Name
war die Abkürzung von Tactical Robot Advanced dann die Nummer der
Baureihe Security. Sie waren kegelförmig gebaut und leuchteten violett.
Sie scannten uns nach Waffen.
»Sicherheitstest bestanden«, verkündete einer der Roboter.
»Herzlich willkommen, ihr lieben Galaktiker und Galaktikerinnen«, sagte
eine der Wachfrauen. Sie war offenbar die befehlshabende Offizierin. »Ich
hoffe, die Strapazen waren erträglich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie
es ist, überfallen zu werden.«
Wir folgten ihr zum Lift, der genug Platz für alle bot, und schwebten
hunderte Meter in die Höhe. Die Fahrt dauerte etwas. Im Hintergrund
spielte leise Instrumentalmusik.
Die Meinungsmacherin und ihre Begleiter fehlten. Ich schrieb Eleonore
über das Interkom eine Nachricht. Sie bestätigte, dass die drei mit Erlaubnis
von Hunter auf der NOVA blieben.
»Ihr seid sicher kampferprobt«, sagte Kulag Milton.
Die Offizierin mit dem dunkelblonden Haar winkte ab. Sie war mit 1,60
Meter sehr klein und hatte eine auffällige spitze Nase. Ihre Augen waren
strahlend blau.
»Wo denkst du hin? Wir haben selbstverständlich eine Ausbildung
genossen, aber praktische Kampferfahrung gibt es ja kaum. Hier und da
etwas Kriminalität und Polizeidienst zuvor. Von den 100 Sicherheitskräften,
die sich derzeit auf der Solaren Residenz befinden, haben vielleicht sechs
oder sieben einmal für den NDE gearbeitet. Aber mit 1000 TARA-XI-UH-
S-Robotern haben wir die beste Sicherheit, die es gibt. Außerdem bin ich
natürlich mega gut ausgebildet.«
»Ich… weiß. Ich habe jahrelang an der Sicherheitssoftware gearbeitet«,
sagte Vopp ter Camperna und schüttelte den Kopf.
»Ach, wirklich? Mensch, dann bist du ja von der CACC, oder?«
Sie fuchtelte mit dem Zeigefinger.
»Mir ist da aber letztens ein kleiner Bug aufgefallen.«
Sie lachte heiter.
»Weißt du, als ich vor drei Tagen einen Routinecheck durchführte,
informierte mich LAOTSE über ein Software-Update der TARA-XI-UH-S-
Einheiten, das fehlgeschlagen ist. Seitdem reagieren einige Modelle
verzögert.«
»Oh, tatsächlich? Ich sehe mir das gleich einmal an«, sagte Vopp ter
Camperna.
»Wirklich? Das ist aber mega lieb von dir«, freute sich die Sicherheitsfrau,
die sich als Mikela Rex vorstellte. Sie sei die Sicherheitsleiterin des
Holografie-Museums.
»100 Sicherheitsleute für das Regierungszentrum sind wenig«, fand
Hunter.
»Ja, immerhin machen wir hier den wichtigsten Job ever«, bestätigte Rex.
»Doch fast zwei Drittel sind krank oder im Urlaub. Es grassiert seit Wochen
die rudynische Grippe, und da fallen einige flach. In diesem Jahr sind es
mehr als sonst. Deshalb bin ich auch dieser Tage die Leiterin der
Konferenz, obwohl das ja wenig mit dem Museum zu tun hat.«
In jedem ihrer Worte schwang ein gewisser Unterton mit, als ob sie
besonders wichtig für die Solare Residenz sei.
»Du bist doch Yeremiah Cloudsky«, fragte Offizierin Rex plötzlich den
Glosneke.
Dieser räusperte sich und antwortete: »The one and only… schuldig,
schuldig im Sinne der Anklage.«
Er lächelte breit.
»Geht es Speedy Handrej gut? War er nicht auch auf der CASSIOPEIA?
Wir sind befreundet.«
»Oh ja, ihm geht es gut. Der Schock über den heimtückischen Angriff der
Ladhonen steckt ihm in den Knochen.« Cloudsky breitete die Arme aus.
»Uns allen natürlich. Das war so schlimm.«
Er seufzte.
Wir passierten nun die Stationen mit den beiden Transitionstriebwerken.
»Meine Assistentin Myka ist gestorben«, erwähnte Kulag Milton
bedrückt.
Sagreta da Maag legte ihm mit gesenktem Blick ihre Hand auf die
Schulter.
»Das macht mich unglaublich fassungslos. Das ist mega schlimm. Das
muss der Residenz-Rat wissen«, sagte Mikela Rex.
Der Lift durchstreifte die Etagen für Ersatzteile und Robotermagazine.
Hier waren die über 1000 TARA-XI-UH-S Roboter stationiert, wenn sie
nicht auf ihren Stationen waren. Es folgte der Bereich der
Schwerekrafterzeuger. Wir passierten danach die ersten vier HAWK-IV
Konverter. Zwei weitere befanden sich in den »Blütenblättern« weiter oben.
»Hier seid ihr jedenfalls sicher. Die Solare Residenz ist neben den Augen
des Riesen der wohl sicherste Ort in einem sowieso ganz sicheren
Ephelegon-System. Heute ist die Solare Residenz für Besucher sowieso
gesperrt aufgrund der Ratsversammlung.«
Mikela Rex lächelte.
»Du wirkst überaus kompetent. Ich fühle mich auch sicher hier«,
bestätigte Kulag Milton.
»Danke, Sir! Vielen Dank. Dein Vertrauen ist völlig angebracht.«
Der Lift erreichte den Defensiv-Sektor, in dem sich Paratronkonverter und
die HÜ-Feldgeneratoren und Projektoren für die Schutzschirme befanden.
Außerdem lagen hier die Aggregate zur Erzeugung eines Paros-
Schattenschirms und Prallschimgeneratoren und Projekten.
Es folgte der öffentliche Bereich. Hier war aus dem transparenten Lift
auch mehr zu sehen als Lagerräume, Konverter und Aggregate. Der
öffentliche Museumsbereich barg eine große Halle mit Hologrammen der
goldenen SOL und der MARCO POLO.
Der Konferenzraum für die Residenten lag im Lebensbereich B.
Der Lift stoppte und die Tür öffnete sich. Zwei TARA-XI-UH-S Roboter
schwebten heran und führten erneut Scans durch.
»Überprüfung positiv. Ihr könnt weitergehen.«
Wir wurden in eine Transmitterhalle gebracht.
»Keine Sorge, der bringt euch sicher wieder nach Hause«, sagte Rex.
»Wir wollen aber zu Bull. Sofort!«
Milton wurde offenbar ungeduldig und ungehalten.
»Was? Ach so, ja. Das meine ich ja. Sorry, ich mache sonst nur
Rundführungen und bin auch mit der Situation überfordert. Wisst ihr, wie
viel ich arbeite? Und bis wann? Spät in die Nacht hinein! Das kann sich
keiner vorstellen, oder?«
Mikela Rex wirkte ungehalten.
»Das interessiert mich nicht, Schätzchen. Ich verdiene in einer Minute
mehr Galax als du in deinem ganzen beschissenen Arbeitsleben. Also, stiehl
mir nicht meine Zeit!«
Rex war sprachlos und lief rot an.
»Der Transmitter bringt uns in den Konferenzraum im Bereich B. Es gibt
auf dieser Ebene keine direkte Verbindung, nur einige Etagen tiefer«,
erklärte Vopp ter Camperna langsam und sah sich um. »Hier sind wir in der
Kommandoebene mit den Sekundärkomponenten der Positronik LAOTSE
und den Projektoren für die hypermagnetischen Abwehrkalotten.
Spannend.«
Sein Emot-Organ leuchtete wieder rosa.
»Ganz genau, und das ist Hochsicherheitstrakt. Also, geht jetzt durch den
Transmitter und stehlt mir nicht meine Zeit«, sagte Mikela Rex ungehalten.
Kulag Milton zeigte mit dem Finger auf sie.
»Dafür bist du deinen Job los und darfst zukünftig seinen Abdrücksaal
putzen.«
Er deutete auf Vopp ter Camperna. Mikela atmete tief durch und ging drei
Schritte zurück.
»Apropos, ich muss abdrücken«, sagte Vopp ter Camperna und sank auf
die Knie.
»Es ist wohl dringend«, meinte Hunter und wandte sich wieder Mikela zu.
»Der sollte sich doch eh den Bug ansehen. Wie wäre es, wenn du ihn mal
richtig abdrücken lässt, dann seht ihr euch das technische Problem an, ich
rede mit Mister Milton.«
Hunter grinste charmant. Er hatte es gut drauf, wie ein galanter Schurke
auf Frauen zu wirken, und offenbar mochten diese das, denn Mikela
lächelte verlegen und nickte.
»Gut, Creen, du begleitest Vopp ter Camperna.«
»Wieso noch einer?«, fragte Rex.
»Onryonen gehen nicht gerne alleine kacken. Das sind ihre kulturellen
Besonderheiten. Ich dachte, das weißt du«, rügte Hunter sie.
»Äh ja… natürlich. Ihr Raumfahrer darf ihn begleiten.«
Milton, da Maag, Cloudsky und Hunter verschwanden durch den
Transmitter, während Vopp ter Camperna ächzte und sich nach vorne
beugte. Ich packte ihn und zog ihn hoch. Fehlte nur noch, dass er sich in die
Hosen machte!
»Wo ist der nächste Lokus?«
»Was?«
Rex war verdutzt.
»Toilette…«
Sie beschrieb den Weg, und ich eilte mit Vopp ter Camperna auf die
Toilette. Als wir den Raum erreichten, blieb er wie erstarrt stehen und sah
sich um.
»Was?«, wollte ich wissen.
»Das… das ist kein Abdrücksaal.«
Nein, das war es nicht. Die Toiletten hatten alle Kabinen. Es gab kein
Gruppenscheißen bei den Rudynern. Rechts befanden sich Waschbecken
und Handtrockner, links vier große Kabinen fürs Geschäft. Vopp seufzte
und starrte auf den Toilettensitz.
»Der ist so schmal.«
»Jetzt mach endlich«, forderte ich ihn auf.
Er zog die Hose runter.
»Sichtschutz aktivieren«, sagte ich.
Vopp nickte.
»Nein, dann kann ich aber nicht. Ich muss dich sehen können.«
Ich wollte aber ihn nicht sehen und auch nicht hören. Diese Onryonen
machten mich wahnsinnig! Endlich saß er auf der Kloschüssel und legte
seine MiTron auf den Schoß. Er tippte hastig darauf. Sein Emot-Organ
verriet große Anspannung. Was tat er da?
Ein Hologramm baute sich auf. Es wurde von seiner Mikropositronik
erstellt und zeigte die Solare Residenz. Einige Punkte leuchteten auf, wie
das Robotermagazin im Stil und die primäre Energieversorgung zwischen
den Blütenblättern und die sekundäre Versorgung in den Blütenblättern,
nahe der Korvettenverankerungen. Ein neues Leuchten zeigte sich am Kern
der Positronik und deren Sekundärsysteme.
Vopp pupste, und sein Emot-Organ wechselte die Farben zwischen
unsicherem Magenta, entschlossenem hellviolett und wachsamen
safrangelb.
Er pupste erneut und ächzte.
»Aktivierung Veebee Phase IV«, murmelte der Onryone.
Dann reichte er mir die Minipositronik. Ich nahm sie, während er
aufsprang und sich die Hosen hochzog.
»Wir müssen jetzt wieder zu der Offizierin.«
Während wir durch den Korridor gingen, flackerte das Licht, und ein
leiser Warnton war zu hören, offenbar eine Art Alarm für die Besatzung.
»Oh…, noch ein Bug«, flüsterte Vopp ter Camperna.
Nach einer Minute erreichten wir die Wachstation. Der Raum war rund.
Im Zentrum stand Mikela Rex an der Konsole und wirkte panisch. Sie
bemerkte uns und winkte uns zu sich.
Wieso kontrollierten uns die TARA-Roboter nicht mehr? Das war ein
Standard beim Betreten eines sensiblen Bereichs.
»Der Bug hat sich verschlimmert. Mach das weg. LAOTSE meldet, ich
soll die Systeme abschalten. Irgendwas mit Viruswarnung.«
Sie seufzte.
»Ich bin doch nur die Aushilfe und sonst für den Museumsbereich
zuständig. Warum sind nur alle krank?«
»Ich repariere das«, sagte Vopp. »Darf ich deine ID-Codekarte bitte
haben?«
»Ja, natürlich«, sagte Rex und reichte ihm die weiße Karte. Sie lachte.
»Du wirst ja keinen Unfug damit machen.«
Vopp nickte und sagte »nein«.
Er steckte die Karte in den Slot der Konsole. Rex trat näher und ließ sich
scannen, um zu verifizieren, dass die Besitzerin der Codekarte anwesend
ist.
Vopp legte die Minipositronik neben das Display der Konsole.
»LAOTSE hat recht. Wir müssen das System einmal neu starten. Es wirkt
so, als wäre LAOTSE abgekoppelt von den Systemfunktionen.«
»Ach?«, machte Rex nur. Der Schweiß lief ihr von der Stirn. »Hör zu«,
sagte sie. »Das wirft ein total schlechtes Licht auf mich. Kannst du das
schnell reparieren und bitte kein Wort darüber verlieren?«
»Klar, bitte das Security-Masterpasswort hier eintragen.« Vopp zeigte auf
das Interface.
»Hier spricht LAOTSE. Ich rate der verantwortlichen Sicherheitsbeamtin
von der Eingabe des Security-Masterpassworts dringend ab, da es in
Kombination mit den bereits getätigten Verifizierungen und einhergehenden
Fehlfunktionen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellt.«
Rex sah Vopp fragen an, dessen Emot-Organ gestresst dunkelbraun
leuchtete.
»Nur mit vollem Zugriff kann ich das Problem beheben. Wir können
natürlich auch Residenzminister für Inneres und Sicherheit Gom Simonon
fragen oder den NDE-Chef Opiter Quint?«
»Was? Nein! Wie stehe ich denn dann da? Wie eine Idiotin.«
Sie tippte hastig auf das Display und war merklich angespannt.
»Hier spricht LAOTSE. Leite Notfallprotokoll ein. Ich übernehme die
Kontrolle über die Solare Residenz.«
Rex sah zuerst Vopp, dann die drei anderen ihrer Besatzung an.
»Ich muss wieder abdrücken«, sagte Vopp, schnappte sich die
Minipositronik und lief los.
»Auf dem Klo kann er am besten arbeiten«, sagte ich zur verdutzten
Offizierin und folgte ter Camperna.
Kaum hockte er auf dem Pott, sagte der Onryone: »LAOTSE kann kein
Notfallprotokoll durchführen. Er ist isoliert. Und jetzt, und jetzt…« Er
pupste dreimal. »Jetzt aktiviere ich das Veebee Phase 5 Protokoll.«
Das Emot-Organ leuchtete blau. Vopp ter Camperna lehnte sich zufrieden
zurück und ließ seinem Hobby freien Lauf. Zum ersten Mal sah ich ihn
lächeln.
»Es ist vollbracht. Jetzt schaffen wir Fakten!«
Ich verstand immer noch nicht, was genau hier gespielt wurde. Eleonore
informierte mich über eine Textnachricht.
Offenbar wurde LAOTSE von der Kontrolle der Solaren Residenz isoliert.
Dieser Vorgang muss über längere Zeit vorbereitet worden sein. Ich finde
nun Zugriffsrechte zu den Sicherheitskameras der Solaren Residenz, und
ENGUYN hat mir bestätigt, dass er Zugriffsrechte auf die Residenz hat.
Die Solare Residenz wurde von Vopp ter Camperna gehackt? Dieser
onryonische Teufel! Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Doch es ergab Sinn,
denn Vopp ter Camperna war die letzten fünf oder mehr Jahre für
Softwarekomponenten in der Solaren Residenz verantwortlich gewesen. Er
musste das über Jahre vorbereitet haben.
Zwei TARA-XI-UH-S-Roboter tauchten vor der Toilette auf. Vopp sprang
auf und verließ den Raum. Die Roboter begleiteten ihn zur Wachstation.
Mikela Rex starrte den Onryonen ungläubig an.
»Ist das Problem gelöst? Ich verstehe nicht, was LAOTSE redet.«
Das Emot-Organ leuchtete belustigt blassrot.
»Ich bin dir zu Dank verpflichtet. Du hast dich als genauso inkompetent
erwiesen, wie es die Analysen im Vorfeld vermuten ließen. Roboter
Die TARA-XI-UH-S schossen auf die vier Wachleute. Die Art, wie der
Strahl sie für einen kurzen Moment einhüllte, verriet mir, dass die Roboter
Paralysestrahlen verwendeten. Ehe die vier begriffen, was geschah, lagen
sie schon bewusstlos auf dem Boden.
Vopp ter Camperna aktivierte den großen Monitor an der Wand und
schaltete in den Konferenzraum. Auf einem zweiten, kleinen Bild im Bild
sahen wir zwölf TARA-Roboter, die einen Korridor entlangschwebten.
Kulag Milton erzählte noch immer von den Ereignissen auf Taris VI.
Reginald Bull wanderte sichtlich aufgeregt umher.
»Aber Atlan und Gucky können nicht tot sein. Sie wurden von den
Ladhonen entführt. Das muss doch jemand gesehen haben«, sagte Bull.
»Ihre Schauspieler sind tot, Herr Residenzminister«, meinte Hunter lässig.
Bull schüttelte den Kopf.
»Können wir diesen Glaubenskrieg einmal sein lassen? Ich will verstehen,
wieso ihr von Ladhonen angegriffen wurdet und sie euch bis ins Ephelegon-
System verfolgt haben. Das ist unlogisch.«
Etwa 30 weitere Politiker saßen in dem Konferenzsaal. Ich erkannte
Ayano Cantor, Minister für Forschung und Wissenschaft, und den besagten
Gom Simonon sowie Jer Trasgaard, Minister für Verteidigung, und Seran
Cassd als Minister für Angelegenheiten in der Lemurischen Allianz.
»Es ist wirklich unüblich. Werden die Ladhonen nun aggressiver?«, fragte
Yvonne Omeriga, die Stellvertreterin des Residenten.
Sie seufzte und fuhr mit der Hand durch ihr zerzaustes Haar.
»Nein, die Ladhonen nicht…«, sagte Kulag Milton.
In dem Moment schwebte das Dutzend TARA-XI-UH-S-Roboter in den
Saal und verteilte sich um die Politiker. Hunter ging zu einem Roboter und
ließ sich ein Energiegewehr geben.
Einer der drei Wachleute wollte seinen Strahler nehmen, doch Hunter war
schneller. Der Paralysestrahl streckte den Ertruser nieder. Die Roboter
feuerten präzise je einen Schuss auf die weiteren Wachleute.
Die Politiker schrien auf, redeten und brüllten wild durcheinander.
»Ruhe«, rief Bull. »Was soll das, Milton?«
Der Rudyner mit dem weißen Haar und mächtigen Bauch stieg auf das
Podium und stellte sich hinter das Redner-Pult.
»Heute werden Fakten geschaffen! Denn ihr alle…« Er zeigte mit dem
Finger auf die Politiker. »... habt Hochverrat an der Liga Freier Galaktiker
begangen. Ihr habt zugelassen, dass Reginald Bull unsere Gesellschaft mit
Lügen und Fake-News vergiftet. Ihr habt seinen religiösen Wahn unterstützt
und den Glauben an einen nicht existierenden Planeten gefördert. Ihr habt
unsere Gesellschaft vom Rest der Galaxis isoliert und die friedlichen Hände
der Cairaner ausgeschlagen. Doch damit ist es jetzt vorbei! Ihr seid
abgesetzt. Reginald Bull ist abgesetzt.«
»Mit dem Irrsinn kommst du nicht durch, Milton«, rief Bull.
»Ach nein?«
Milton lachte und stützte sich auf dem Pult ab, während er zurück brüllte.
»Die Solare Residenz ist in meiner Hand. Und ich werde neuer Resident
werden von cairanischen Gnaden. Hunter, los!«
Hunter stürmte voran und schlug mit dem Gewehrkolben auf Bull ein. Der
Resident sank auf die Knie. Dann packte Hunter ihn und schob ihn zu
einem Sessel.
»Hinsetzen!«
Bull blickte in den Lauf des Strahlengewehrs. Yvonne Omeriga setzte sich
zu Bull. »Er wird keine Dummheiten machen. Wir anderen sind keine
Krieger, in Ordnung?«, versicherte sie.
Hunter grinste wieder.
»Ich weiß.«
Eleonore meldete sich über Interkom. Ich wandte mich von dem Video ab.
Sie erklärte, Rasha und ihre Begleiter hätten die NOVA verlassen. Sie
wären zu Fuß auf dem Weg zur Residenz.
Was wollten die dort? Sie waren jedenfalls unbehelligt, da die
Wachmannschaften gerade reihenweise von den TARA-Robotern
paralysiert wurden oder einfach in ihren Sektionen eingeschlossen wurden.
Innerhalb weniger Minuten wurde die gesamte Abwehr der Solaren
Residenz vollautomatisch ausgeschaltet.
Vopp ter Camperna hatte die Kontrolle über 1000 TARAs. LAOTSE war
von der Kontrolle ausgeschlossen und isoliert. Die Kommunikationskanäle
waren blockiert, sodass nicht zu früh Notsignale gesendet wurden.
Zweifellos würde es dem NDE innerhalb der nächsten Viertelstunde
auffallen, dass etwas mit der Solaren Residenz nicht stimmte.
Ich beobachtete Rasha und ihre beiden Begleiter. Sie befanden sich in
luftiger Höhe auf einer Plattform am Fuß der Solaren Residenz. Erste
Gleiter mit LFG-Emblem schwirrten herum. Wir wurden auffällig.
Vermutlich wurden gerade viele Interkomgespräche geführt.
Die Außenkameras waren nach außen gerichtet, und so sah ich nur einen
Teil der schmalen Plattform mit dem Geländer. Rasha stand dort. Ich konnte
noch erkennen, dass Wulfar und Otnand vor etwas knieten. Dann standen
sie wieder auf, und Wulfar hielt einen weißen, pyramidenförmigen
Gegenstand in den Händen.
Das war ein Artefakt, wie ich es besaß und wie wir es auf Mashratan
gefunden hatten. Es gab also noch mehr davon. Woher wussten die drei
das? Wieso war es an diesem Ort versteckt und was bedeuteten diese
Artefakte? War es auch eine Wissensquelle? Die drei eilten in die Residenz.
Ich musste später mit ihnen sprechen.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte ich Vopp ter Camperna.
Der schüttelte den Kopf.
»Ich kenne den Ablaufplan. Es wird Zeit, von hier zu verschwinden.«
Ich folgte dem Onryonen in die Kommandozentrale der Solaren Residenz.
Sie war ebenfalls rund gebaut, und im Zentrum befand sich ein
Kommandosessel. Davor waren zwei Stationen mit Sitzplätzen und
Konsolen. Die anderen Arbeitsplätze waren an den Wänden entlang
eingerichtet. Sieben Besatzungsmitglieder lagen bewusstlos auf dem Boden.
»Räumt sie weg«, befahl Vopp ter Camperna den Robotern.
Nachdem sie die Crewmitglieder fortgeschafft hatten, aktivierte Vopp die
Verbindung zum Konferenzsaal.
Kulag Milton klatschte in die Hände.
»Da ist er ja. Unser bester Mann.«
Er lachte und rieb sich die Hände.
»Alles verläuft nach Plan, mein lieber Vopp. Alles läuft wie am
Schnürchen.«
Kulag Milton blickte sich um. Er sah offenbar aus dem Fenster auf die
Stadt. Dann wandte er sich wieder dem Onryonen zu.
»Die ersten Gleiter und Kreuzer kommen. Lass uns verschwinden.«
»Aye, mein Kapitän«, bestätigte Vopp, dessen Emot-Organ wieder in
blassrot leuchtete und zeigte, dass er amüsiert war.
Das musste ich mit eigenen Augen sehen. Ich verließ den
Kommandoraum und ging durch eine Transmitterstation auf die obere
Landeplattform.
Die Solare Residenz setzte sich in Bewegung.
Dutzende Gleiter und sieben Kreuzer schwebten um sie herum und wichen
mit Notfallmanövern aus. Die Solare Residenz beschleunigte so stark, dass
ich beinahe nach hinten gefallen wäre. Der Wind nahm stark zu, dann legte
sich der Schutzschirm um die komplette Residenz. Ich blickte nach unten.
Die Wolkenkratzer von Neu Terrania und Genzez wurden immer kleiner.
Die Residenz tauchte in eine Wolkendecke ein. Rechts aus den Wolken
schälten sich zwei Kugelraumer. Am Himmel konnte ich hunderte
Raumschiffe erkennen. Die Liga-Flotte war in Alarmbereitschaft. Was
würde sie tun? Von links stieß die CASSIOPEIA in die Höhe.
Ein Funkspruch wurde über alle Kanäle gesendet, so dass ich ihn auch
empfing.
Achtung: Die Solare Residenz mitsamt der Regierung der Liga Freier
Galaktiker befindet sich in Obhut der CACC und Milton-Company. Sowohl
die CASSIOPEIA als auch die Solare Residenz sollten freies Geleit aus dem
Ephelegon-System bekommen, um Todesopfer zu vermeiden.
An die Bürger der LFG: Die Zeit der Verschwörungen und Fake-News
sind vorbei. Bull ist entlarvt, und der Faktenfinder wird nun endlich Fakten
schaffen!
Ich kehrte über den Transmitter zurück in die Kommandozentrale. Dort
waren inzwischen auch Rasha, Wulfar und Otnand. Die beiden Männer
trugen Strahler mit sich.
»Ist das nicht aufregend?«, fragte Rasha.
»Solltet ihr nicht schon vorher helfen?«, lautete meine Gegenfrage.
»Och, wir hatten noch was zu tun, und ihr hattet das ja gut im Griff«,
erwiderte Rasha und zwinkerte mir zu.
Die THORA sendete fast im Sekundentakt Funksprüche an die Solare
Residenz. Die Flotte positionierte sich so, dass sie Energiefelder von einem
Schiff zum anderen aufbauen konnten. Es würde schwer werden für die
Solare Residenz, hier vorbeizukommen, zumal am TERRANOVA-
Schutzschirm sowieso Schluss wäre.
Die Solare Residenz und CASSIOPEIA hatten den offenen Weltraum
erreicht. Die CASSIOPEIA wurde in einen Traktorstrahl genommen. Die
Residenz wurde von dutzenden Raumschiffen in ebenso viele
Traktorstrahlen genommen.
Vopp ter Camperna blickte auf den zugeschalteten Kulag Milton.
»Was jetzt?«
Milton lachte verächtlich.
»Sie wollen mehr Fakten, an denen sie sich halten wollen? Die sollen sie
kriegen. Stell eine Verbindung zu den Kommandanten her
*
Kulag Milton und Hunter befanden sich auf der Bühne des
Konferenzsaals, auf dem die Reden gehalten wurden. Vor ihnen erschienen
die Hologramme zweier Menschen.
Der eine war ein zwei Meter großer Bardhorner mit verwuscheltem
schwarzen Haar. Der Mann hieß Opiter Quint und war Leiter des
Geheimdienstes NDE. Der Rudyner neben ihm hatte blondes Haar und war
klein, was man sogar über das Hologramm erkennen konnte. Der
Kommandant der THORA hieß Holger Bendisson und war für sein
freundliches Lächeln bekannt. Diesmal war er ernst.
»Wir fordern dich umgehend auf, dich zu ergeben. Alle Geiseln müssen
sofort freigelassen werden«, sagte Opiter Quint.
Kulag Milton lachte abfällt und winkte ab.
»Und wenn nicht? Was dann?«
»Wir werden die Solare Residenz und CASSIOPEIA entern«, sagte
Bendisson entschlossen.
»Dann werden alle sterben. Das ist euch klar?«
Milton winkte einen TARA-XI-UH-S her. Der Roboter trug eine Frau mit
sich. Ich erkannte sie wieder. Es war diese Mikela Rex, die uns unfreiwillig
geholfen hatte. Sie war aus der Paralyse erwacht.
Hunter packte sie und warf sie auf den Boden.
»Auf die Knie!«
Sie schrie und weinte. Hunter zerrte sie hoch und legte seinen Strahler auf
ihren Hinterkopf.
»Das ist…?«
Milton ließ sich von dem Roboter einen Reader geben.
»Ah, das ist Mikela Rex. Sie ist Leiterin der Sicherheitsmannschaft für das
Museum und nur durch Krankheit der Kollegen macht sie heute die Leitung
der kompletten Sicherheit. Zufälle gibt es…«
Er wandte sich wieder Quint und Bendisson zu.
»Sie wird als erstes sterben. Ich will sie nicht töten, doch große
Unternehmen erfordern auch Verluste. Das Leben von Mikela Rex liegt in
euren Händen. Löst die Traktorstrahlen und sie darf leben, darf zu ihrer
Familie zurück. Tut ihr es nicht, so wird sie für die Freiheit der LFG sterben
müssen. Eure Entscheidung.«
Hunter drückte den Strahler noch dichter an ihren Kopf. Sie weinte
hemmungslos.
Die Traktorstrahlen wurden deaktiviert.
»Brav«, sagte Milton und gab Hunter ein Zeichen. Er schubste Mikela
Rex von der Bühne.
»Es ist Zeit für eine weitere Demonstration«, meinte Milton.
Nun tippte Vopp ter Camperna eifrig auf dem Display. Ich verfolgte die
Anzeige auf der dreidimensionalen Karte. Eine Strukturlücke im
TERRANOVA-Schutzschirm entstand. Sie durchmaß etwa 10.000
Kilometer und bot genug Platz für einen Verband cairanischer Raumschiffe.
Vopp tippte wieder auf das Display und der Schutzschirm schloss sich.
»Haltet ihr mich hier fest, kann ich den TERRANOVA-Schirm
kontrollieren. Die Cairaner warten nur darauf, ins Ephelegon-System
einzufallen. Bis ihr das Virus im System gefunden habt, sind die Cairaner
längst hier
Kulag Milton breitete die Arme aus.
»Es ist ganz simpel: Die Solare Residenz verlässt das Ephelegon-System
und niemand stirbt. Ihr haltet uns hier fest und wir öffnen den
TERRANOVA-Schutzschirm und bieten Ladhonen und Cairanern Einlass.
Die Residenten werden allesamt erschossen. Eine gerechte Strafe für
Hochverrat.«
Kulag Milton machte eine unschuldige Geste.
»Ich will das nicht. Ich will die Cairaner nicht zu Hause haben. Zwingt
mich also nicht dazu. Es liegt an euch, den Herren Quint und Bendisson.«
Die beiden Hologramme blickte sich an. Kam Kulag Milton wirklich
damit durch?
Reginald Bull stand auf. Hunter richtete sofort seinen Strahler auf ihn,
doch Milton blieb gelassen. Er winkte den Residenten auf die Bühne. Bull
ging die Stufen hinauf und war nun auch im Aufnahmebereich der
Holokamera.
»Wir kämpfen an einem anderen Tag. Ich will keine Verluste. Lasst sie
durch.«
Bull wandte sich ab, sprang von der Bühne und setzte sich hin.
Milton blickte erwartungsvoll in die Holokamera.
»Wir lassen euch passieren«, sagte Opiter Quint.
Milton lachte.
»Weise Entscheidung, Jungs! Das sichert euch vielleicht einen Job unter
meiner Regierung.«
Milton zwinkerte und beendete die Verbindung. Der Rest geschah
automatisch. Milton saß in seinem Sessel auf dem Podium des
Konferenzraumes und sah zu, wie sich eine Strukturlücke im sonst dunklen
Schutzschirm bildete. Sterne wurden sichtbar, die Wachflotte mit der
THORA hielt ihre Position. Die CASSIOPEIA verließ als erstes Schiff das
Ephelegon-System und ging auf Überlichtgeschwindigkeit. Nun folgte die
Solare Residenz.
Es war geschafft. Kulag Milton und die CACC hatten die Regierung der
Liga Freier Galaktiker und den Regierungssitz entführt. Das war das Ende
der Rhodanmystiker und würde die LFG in ihren Grundfesten erschüttern.
Der Diner in der Terra-Station © Thomas Röhrs
Epilog
Aurec reparierte sein Equipment an den Werk- und Waffenbänken in der
Terra-Station. Das Sublicht-Multivariable-Hochenergiegewehr musste
justiert werden. Es setzte sich aus einem Thermostrahler, Desintegrator und
Paralysator zusammen. Als Zweitwaffe benutzte Aurec einen Nadelstrahler,
dessen elektromagnetischen Generator er soeben erneuert hatte.
Am Gürtel lagen zwei Vibrodolche in den Holstern. Das musste reichen.
Er blickte sich um. Die Wände waren aus rotem Backstein, der Boden aus
grauem Beton. Es war, was es sein sollte eine Werkstatt. An den Wänden
befanden sich Regale mit Ersatzteilen und Rohmaterial, die in den
Werkbänken und Druckern verarbeitet wurden.
Mr. Terrapedia schwebte zu ihm.
»Entschuldigung, Sir! Ich habe einen passenden Anker gefunden. Es sind
inzwischen sehr viele, die in die Milchstraße reichen. Nach meinen
Berechnungen ist der Anker bei der Welt 766-Rückwärts am besten
geeignet, da er in die Nähe des terranischen Solsystems führt.«
Der Roboter hatte seinen norddeutschen Akzent abgelegt, was Aurec nur
recht war, denn er hatte ihn kaum verstanden.
»Wie weit ist der Anker entfernt?«
»237 Lichtjahre.«
Aurec nickte, während er die Justierung des Gewehrs abschloss. Er
betrachtete das Energiegewehr und musste an Kathy Scolar denken. Sollten
die Kosmotarchen erfolgreich sein, würde sie vermutlich niemals existiert
haben. Zumindest das Andenken an sie wollte er bewahren. Zumindest das.
Sonst blieb ihm ja nichts.
»Auf 611-Rückwärts gibt es noch eine Terra-Station. Zugegeben, mein
Kollege ist etwas exzentrisch, doch wenn Sie ihm eine Dose Kaffee
überreichen, wird er kooperativ sein.«
Terrapedia hielt mit einem Greifarm eine rundliche, weiße Dose in die
Höhe.
»Kaffee?«
»Das ist spezieller Kaffee aus brasilianischen Bohnen, Sir!«
Das war unmöglich, denn Brasilien war ein Bundesstaat der Erde.
Außerdem konnten die Roboter nichts trinken oder etwas schmecken. Doch
Eorthor hatte ihnen Verhaltensweisen einprogrammiert, die sie menschlich
wirken ließen. Dadurch hatten sie ihre eigenen Marotten entwickelt. Aurec
nahm die Dose und bedankte sich. Er hatte keine Zeit für Diskussionen und
musste das Spiel mitspielen.
Er packte seine Sachen zusammen und rief Bencho. Der Posbihund kam
angelaufen und bellte. Aurec streichelte ihn.
»Es wird Zeit.«
Aurec und Bencho verließen die Terra-Station, die fast festlich leuchtete
in dieser traurigen Ruinenstadt. Mr. Terrapedia schob mit einem Antigrav
die Ladeplattform mit den Materialien und der Nahrung zum Kosmogenen
Segler. Aurec half dem Roboter, die Ladung zu verstauen, während Bencho
an einen blätterlosen Busch sein Geschäft verrichtete.
»Sir, bitte sorgen Sie dafür, dass Ihr Hund nicht wieder gegen Eigentum
der Liga Freien Terraner macht, andernfalls muss ich ein Ordnungsgeld
verhängen.«
Aurec zuckte mit den Schultern.
»Schick die Rechnung an die Hundertsonnenwelt der Posbis.«
»Wie Sie wünschen. Alles Gute, Sir!«
Der Roboter winkte mit den drei Greifarmen und schwebte zurück in die
Terra-Station. Aurec pfiff, und Bencho gehorchte. Der Hund rannte über die
Laderampe in den Kosmogenen Segler.
Aurec warf einen letzten Blick auf die Ruinen der Stadt und auf die Terra-
Station, dann betrat er den Kosmogenen Segler. Sein nächstes Ziel war die
Terra-Station auf 611-Rückwärts.
Danach würde es zurück in die Milchstraße gehen, um nicht nur das
Vermächtnis seiner geliebten Kathy Scolar aufrecht zu halten, denn es ging
um das Vermächtnis von allen. Von Saggittonen, Estarten und Terranern.
Er brach auf, um Perry Rhodan zu retten.
ENDE
Vorschau
Die Solare Residenz wurde von der CACC und Kulag Milton entführt.
Reginald Bull und der gesamten Regierung der LFG droht nun die
Auslieferung an die Cairaner. Im nächsten Roman schildert Nils Hirseland
den vorläufigen Höhepunkt der Entführung der Solaren Residenz und des
drohenden Zeitchaos. Der Roman trägt den Titel »The Sky is The Limit«.
Im Alpha Centauri System kommt es zum vorläufigen Finale. THE SKY IS
THE LIMIT ist der Titel von Band 124, geschrieben von Nils Hirseland.
Glossar
Kulag Milton
Kulag Milton ist Billionär und ein einflussreicher Geschäftsmann in der
Liga Freier Galaktiker.
Steckbrief
Geboren: 19.09.1950 NGZ
Geburtsort: Rudyn, Ephelegon-System
Spezies: Rudyner
Größe: 1,86 Meter
Gewicht: 120 Kilogramm
Aussehen
Hautfarbe: hell
Haarfarbe: weiß
Augenfarbe: blau
Tätowierungen: keine
Beschreibung: kräftig gebaut, wirkt vom Leben gekennzeichnet
Charakter
Eitel und von sich überzeugt, brillanter Redner, legt die Wahrheit gerne
nach seinen Vorstellungen aus, droht anderen, sie mit seinen finanziellen
Mitteln zu vernichten.
Geschichte
Kulag Milton wuchs als Sohn eines Nahrungsmitteldesigners in New
Terrania auf. Seine Faszination lag von frühester Jugend an bei schnellen
Dingen wie Gleitern und Raumschiffen. Seine Lehre in der väterlichen
Firma brach er nach zwei Jahren ab und wurde Vertriebler in einer
Gleitergesellschaft. Aufgrund seiner herausragenden kommunikativen
Fähigkeiten stieg er schnell auf. Sein Vertriebsleiter sagte einmal, Milton
könne jedem einen Haufen Mist andrehen. Milton erkannte sein Potenzial
und wurde Finanzberater. Allerdings waren seine Methoden zweifelhaft und
ruinierten einige Menschen. Im Jahre 1980 zog sich die Schlinge zu, und
Milton Kulag wurde wegen mehrfachen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe
von zwei Jahren verurteilt. Nach Entlassung aus der Haft 1982 lernte er die
reiche Immobilienmaklerin Krozana Demin kennen und heiratete sie. Als
sie 1989 starb, erbte er ihr ganzes Vermögen und baute sich bis 2000 NGZ
ein Immobilienimperium auf.
Allerdings hielt Milton Kulag Kontakte zu Verbrechersyndikaten aufrecht,
auch außerhalb von Rudyn, um seine Macht auszubauen. Mit den
Einnahmen kaufte er nur teure Luxusartikel und protzte damit. Er
investierte 2004 in eine Raumwerft im Ephelegon-System. Die Milton
Company machte sich einen Namen in der LFG und durfte sogar auf
Geheiß der Cairaner in mehreren Sektoren der Milchstraße handeln.
Bis 2020 NGZ festigte Milton seine Position in der LFG und ging in die
Politik. Zunächst als Berater, dann als Abgeordneter und seit 2040 NGZ
auch im Residenzrat für Ökonomie.
Die Milton Company und CACC sind eng verstrickt. Kulag baut
Hotelraumschiff für ter Camperna, während Vopp ter Camperna die
Positroniken für die Schiffe entwickelt.
Trotz seiner Erfolge ist Kulag nicht unbedingt hochintelligent. Er versteht
sich auf die Kunst der Kommunikation und bildet sich etwas auf sein
Vermögen ein. 2010 heiratete Milton Kulag erneut. Diesmal eine reiche
zalitische Witwe, die mehrere Fabriken zur Produktion von HAWK-
Konvertern besaß. Nach ihrem Tod 2026 NGZ auf Benjamin wurde die
Firma in die Milton Company einverleibt. Seit 2031 NGZ ist er mit der
Arkonidin Sagreta da Maag liiert, die seither in seinem Unternehmen als
Geschäftsführerin arbeitet. Kulag hat einen großen Appetit nach Frauen und
lockt sie mit finanziellen Vorteilen. Entsprechend frustriert ist Sagreta da
Maag, bleibt jedoch Kulag und dessen Vermögen treu.
Zusammen mit Ragana ter Camperna und Vopp ter Camperna entwickelt
Kulag Milton den Plan, die Regierung der LFG zu stürzen. Mittels der
Technologie der CASSIOPEIA und der Erweiterung des Veebee-Virus
durch Vopp ter Camperna bereiten sie fast fünf Jahre ihr Unternehmen vor.
Die Hobbys des Billionärs sind außer Frauen, protzige Gleiter, protzige
Häuser und große Raumschiffe. Sein größtes Projekt ist das Fernraumschiff
CASSIOPEIA.
Myka Bilno
Steckbrief
Geboren: 1.9.2020 NGZ
Geburtsort: Rudyn
Spezies: Rudynerin
Größe: 1,63 Meter
Gewicht: 51 Kilogramm
Aussehen
Hautfarbe: hell
Haarfarbe: braun
Augenfarbe: grün
Tätowierungen: Sternschnuppe am Fußgelenk (Knöchel bis zum
Fußrücken), Strahler über dem Genitalbereich.
Beschreibung: gepflegtes, aristokratisches Erscheinungsbild
Charakter
Sehr labil aufgrund traumatischer Erfahrungen; esoterisch, grüblerisch,
unsicher
Geschichte
Myka Bilno, von ihren Eltern Eyilon-Delap genannt. Der Spitzname rührt
davon her, dass sie im ersten Monat des arkonidischen Kalenders (Eyilon)
in den Kristallbaronien Urlaub machten und viel von der olympischen
Delap-Frucht gegessen hatte. Während dieses Urlaubs wurde Myka wohl
gezeugt. Die Rudynerin ist sehr schüchtern und wurde in der Vergangenheit
immer wieder ausgenutzt. Um ihren damaligen Lebenspartner (einem
Drogenschmuggler) zu decken, log sie vor den Behörden, was ihr eine
Gefängnisstrafe einbrachte. Zu dieser Zeit hatte sie sich bereits bei der
Milton-Company beworben, und ihr potenzieller Arbeitgeber wurde darauf
aufmerksam. Kulag Milton ließ seine Beziehungen bei Gericht spielen, und
so wurde die Gefängnisstrafe in eine Bewährungsstrafe ausgesetzt.
Bilno wurde bei der Milton Company 2041 NGZ eingestellt und fing
schnell eine Affäre mit Kulag Milton an, da sie in dessen Schuld stand. Er
half ihr finanziell bei der ersten Wohnung aus, sie durfte Firmengleiter
fahren die übliche Geschichte, um junge, naive Frauen zu angeln. Mit der
Zeit entwickelte sie Gefühle für ihren Gönner, der sie jedoch nur als
Geliebte hielt und leere Versprechungen machte.
Myka verlebt im Februar 2046 eine leidenschaftliche Nacht mit Atlan
NGZ und verplappert sich, als sie über das Unternehmen »Fakten
schaffen!« sprach. Das wurde ihr zum Verhängnis, als Sagreta da Maag und
Kulag Milton das herausfanden. Auf Taris VI wurde Bilno von da Maag
ermordet.
Yeremiah Cloudsky
Yeremiah Cloudsky war im Jahre 2046 NGZ Sales-Manager der CACC und
Mitverschwörer im Unternehmen »Fakten schaffen«.
Steckbrief
Geboren: 1991 NGZ
Geburtsort: Glosnek
Spezies: Glosneke (Ferrone)
Größe: 1,71 Meter
Gewicht: 56 kg
Aussehen
Hautfarbe: blau
Haarfarbe: rot
Augenfarbe: graugrün
Tätowierungen: keine
Beschreibung: abstehende Ohren, charakteristische ferronische Stirnwulste,
sehr drahtig.
Charakter
Feige, hat Minderwertigkeitskomplexe und hält sich dabei doch für
besonders intelligent, ist sehr geldgeil und will sich beweisen.
Geschichte
Motto: The Sky Is The Limit
Der VIP Senior Top Expert Sales Manager der CACC. Cloudsky ist der
Top-Verkäufer der CACC oder glaubt zumindest, er sei das. Eigentlich hat
er seine Anstellung nur der Frau des CEO zu verdanken, die mit der Frau
von Cloudsky eng befreundet ist.
Yeremiah wuchs auf Ferrol auf und führte ein langweiliges Leben. Er
wurde Positronik-Berater und lernte seine spätere Frau auf einer Messe
kennen. Die Familie zog nach Plophos und von dort nach Olymp.
Nirgendwo konnte der ewige Verlierer Cloudsky richtig Fuß fassen. So
ergriff seine Frau die Initiative. Sie kontaktierte ihre beste Freundin, von
der sie wusste, dass sie einen reichen Onryonen geheiratet hatte, und
verschaffte Cloudsky einen Job bei der CACC sowie die
Migrationserlaubnis für das Ephelegon-System. 2040 NGZ zog Yeremiah
mit Frau und den zwei Kindern nach Rudyn.
Seitdem gilt Cloudsky als enger Vertrauter des CEO Vopp Camperna und
hat Narrenfreiheit im Unternehmen.
Cilgin At-Karsin
Der Hauri war Buchhalter im Dienste der CACC. Er war ein treuer Sekretär
der Ragana ter Camperna.
Steckbrief
Geboren: 1968 NGZ
Geburtsort: GONGOLIS, Milchstraße
Spezies: Hauri
Größe: 2,04 Meter
Gewicht: 77 kg
Aussehen
Hautfarbe: orangebraun (hellere Töne eher)
Haarfarbe: keine
Augenfarbe: grün
Tätowierungen: keine
Beschreibung: dünn, ausgemergelt, lederartige Haut, eingefallene
Wangenknochen, unruhige, unstetiges Augenflackern
Charakter
Devot, zurückhaltend, sehr unzufrieden mit seinem Leben. Fühlt sich seinen
Kollegen geistig überlegen, ist jedoch mutlos und hat zu viel Angst, um aus
dem Schatten zu treten.
Geschichte
Cilgin ist von ruhiger Art. Er betont gerne Wörter, während er redet, und ist
heiter aufgesetzt, fast unterwürfig. Er ist ein gewissenhafter Buchhalter, der
jedoch komplett mit seinem Leben unzufrieden ist. Cilgin ist der einzige
Hauri auf der ATOSGO, und das macht ihn einsam. Eine Liebesbeziehung
mit einem Rudyner oder anderen Humanoiden scheint ausgeschlossen.
Auch glaubt er, dass er zu Höherem berufen ist, doch ihm wird keine
Anerkennung zuteil.
Cilgin wächst auf GONGOLIS als Sohn haurischer Händler auf. Er ist ein
Einzelgänger, da es kaum Hauris auf GONGOLIS gibt und er nie recht
Anschluss zu anderen Spezies findet. Er ist ein Mitläufer und wird durch
die nötige Schleimerei sogar von 2004 2009 NGZ Concierge der
Gastloge. Jedoch gab es einige Vorfälle, weshalb er entmachtet wurde. Ihm
wurde sogar der Status als Vollbürger aberkannt und zum Gastbürger
degradiert. 2009 NGZ verließ er GONGOLIS und heuerte auf Frachtern der
Springer an. 2020 NGZ stößt er auf die Sippe der ter Camperna, die gerade
die CACC aufbaut. Er wird engagiert. Zunächst arbeitet er als Handlanger
und Wartungstechniker, ehe er als unauffälliger Buchhalter sein Dasein
fristet.
Cilgin liebt Musik und das Gefühl von sanftem Stoff auf seiner Haut. Er
ist Transvestit, trägt gerne Kleider von Frauen, schminkt sich und zieht sich
eine pinke Perücke auf, doch er lebt seine Orientierung nicht offen aus.
Seine Angst ist viel zu groß, dass die Mitarbeiter der CACC sich darüber
lustig machen.
Impressum
Die DORGON-Serie ist eine Publikation der
PERRY RHODAN-FanZentrale e. V., Rastatt (Amtsgericht Mannheim, VR
520740 )
vertreten durch Nils Hirseland, Redder 15, 23730 Sierksdorf
www.dorgon.net
Text: Nils Hirseland
Titelbild: Raimund Peter
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Raimund Peter
Lektorat: Norbert Fiks
Korrektorat: Arndt Buessing, Jens Hirseland
Layout und digitale Formate: Burkhard Lieverkus
Sofern nicht anders vermerkt, bedarf die Vervielfältigung, Verbreitung und-
öffentliche Wiedergabe der schriftlichen Genehmigung der Rechteinhaber.
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