Band 122
Das Artefakt
Die Quelle der Rhodanmystiker liegt verborgen im Sand
Autor: Nils Hirseland
Cover: Gaby Hylla
Innenillustrationen: Gaby Hylla
DORGON ist eine nichtkommerzielle Fan-Publikation der PERRY
RHODAN-FanZentrale. Die FanFiktion ist von Fans für Fans der PERRY
RHODAN-Serie geschrieben.
Hauptpersonen des Romans
Creen
Ein Kopfgeldjäger sucht nach Rhodanmystikern und seiner
Vergangenheit
Atlan
Der Zellaktivatorträger wird mit den Temporalen Anomalien
konfrontiert
Eleonore
Die Positronik der NOVA beginnt mit einem Lebensprojekt
Kuvad Soothorn, Cilgin At-Karsin, Larida Yoon und Jevran Wigth
ie suchen auf Mashratan nach der Quelle der Rhodanmystiker
Constance Beccash
Sie taucht plötzlich wieder auf
Inhalt
Hauptpersonen des Romans 2
Inhalt 3
Was bisher geschah 4
Prolog 5
Kapitel 1 – Der WIDDER auf Stellacasa 9
Kapitel 2 – Das ist ENGUYN 16
Kapitel 3 – Rufe aus der Vergangenheit 23
Kapitel 4 – Die Temporalen Anomalien 33
Kapitel 5 – Die neue Assistentin 35
Kapitel 6 – In der Wüste von Mashratan 41
Kapitel 7 – Die CASSIOPEIA 48
Kapitel 8 – Die Wüstenräuber 52
Kapitel 9 – Die Quelle der Wahrheit 61
Kapitel 10 – Der Zwerg 67
Epilog 71
Vorschau 74
Glossar 75
Impressum 77
Was bisher geschah
Wir schreiben das Jahr 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, was
dem Jahre 5633 alter terranischer Zeitrechnung entspricht. Ein
Begriff, mit dem die Galaktiker nichts mehr anzufangen wissen. Es
ist die Epoche des Cairanischen Friedens, in der Terra ein Mythos ist
und Perry Rhodan eher eine Märchengestalt.
Terra wurde geraubt und förmlich aus der Geschichte der
Milchstraße getilgt. Durch den Posizid wurden galaxisweit Daten
von Positroniken gelöscht. Mit der Datensintflut wurden Unmengen
an sich widersprechenden Daten eingespielt.
Die Rhodanjäger jagen im Auftrag der CACC nach Anhängern von
Perry Rhodan außerhalb des Einflussbereichs der Lemurischen
Allianz. Sie suchen eine Quelle für die Geschichten rund um Perry
Rhodan.
Es ist DAS ARTEFAKT.
Prolog
Der kurze Schmerz war verflogen, und ich befand mich in der Dunkelheit.
Es war, als würde ich in einem schwarzen See treiben. An mir zogen kalte
Schatten vorbei, obwohl ich keinen Körper mehr besaß, um Kälte zu fühlen.
Es war ein mentales Frösteln. Ich spürte die Trauer der Schatten, ihren
Verlust, ihre Perspektivlosigkeit, und die Angst war überall greifbar.
Mentale Wehklagen hallten stumm über den finsteren See des Todes. Sehen
konnte ich nichts, denn ich besaß keine Augen, ich besaß auch keine Arme,
Beine und keinen Kopf. Mein Leib war verbrannt worden, er war in einem
Konverter des Entsorgungslagers Objursha desintegriert worden. Doch ich
fühlte die Umgebung, und es war, als würde Asche über unsere gepeinigten
Seelen regnen. War es unsere eigene Asche? Zweifellos eine makabre
Symbolik, denn die Desintegration durch einen Konverter hinterließ keine
physischen Rückstände.
Ich fühlte die gepeinigten Seelen.
Da war Eshkis, die Somer. Sie war als Kollaborateurin vor zwei Jahren
aus Erendyra nach Objursha deportiert worden. Ihre Gedanken hatten stets
ihren Kindern gegolten, denn sie wusste nicht, ob sie noch lebten. Zwei
Jahre lang hatte sie in ständiger Angst gelebt und nun schwebte sie den
dunklen Strom entlang.
Ägützi war eine junge Gataserin. Sie war mit ihrer ganzen Familie 1307
NGZ nach Objursha gebracht worden. Siebzehn Geschwister hatte sie
verloren und beide Eltern. Sie betete zur goldenen Kreatur des
Wohlwollens, dass sie ihre Familie im Jenseits wiedersehen möge. Agützi
war erst zehn Jahre gewesen, sie war schon vor Monaten innerlich
gestorben, als ihre ältere Schwester Asüül entsorgt worden war. Sie war
seitdem endgültig allein gewesen.
Sie hatte nie wirklich gelebt, sie hatte sich nie verliebt, nie lieben und
geliebt werden und Kinder haben dürfen.
Da war der verkrüppelte Ingsten, ein Saggittone, der während der Angriffe
auf Saggittor 1306 NGZ schwere Verletzungen erlitten hatte, einen
Schlaganfall und ein Schädel-Hirn-Trauma. Als unwertes Leben war er
nach Objursha verschleppt worden und hatte seitdem in Angst gelebt. Er
hatte nicht verstanden, was mit ihm geschehen war. Die Gräuel hatten sein
Verstand vernebelt, und Angst hatte sein Denken beherrscht. Ingsten hegte
nur noch den Wunsch nach Schutz und Geborgenheit. Ein Drang, nach dem
sich wohl jedes Lebewesen sehnte; doch statt einer beruhigenden
Umarmung hatte er nur Häme erfahren und war zum Clown für die
herzlosen Aufseher geworden. Nun waren sie seiner überdrüssig geworden
und hatten ihn entsorgt. Erst als er die Hitze im Konverter gespürt hatte,
hatte Ingsten begriffen, dass er sterben würde.
Den Zug des Todes erfüllte ein stummes Klagen nach dem verlorenen
Leben und der verpassten Zukunft. Ihr Leben war ihnen geraubt worden,
und noch immer fragten sich die geplagten Seelen: Wieso? Was hatten sie
falsch gemacht? Wieso waren sie unwertes Leben, das entsorgt wurde?
Dabei hatten
Sanna Breen empfängt Jaaron Jargon in der Harmonie von DORGON. (C) Gaby Hylla
die armen Geschöpfe doch nichts falsch gemacht. Sie waren nur anders
gewesen als die herrschende Kaste. Fremdenhass, der Dünkel der
Überlegenheit der eigenen Existenz, der eigenen Spezies das waren die
Gründe für ihren Tod gewesen. Das Gefühl der Anderen, einer
auserwählten, über allen überlegenen Rasse zugehörig zu sein. Rassismus
war ein Grund ihres Todes gewesen.
Fehlende Empathie, Gefühllosigkeit, Skrupellosigkeit. All das, gepaart mit
Sadismus, Pflichtbewusstsein, Obrigkeitshörigkeit und Angst vor den
Vorgesetzten, war zu einem tödlichen Mix geworden, der aus normalen
Terranern, Arkoniden aus Menschen furchtbare gewissenlose Mörder
gemacht hatte.
Schuld am Genozid von Millionen Lebewesen auf Objursha waren nicht
nur die Machthaber, die verkommenen Individuen wie der Quarteriumsfürst
Uwahn Jenmuhs und seine Clique. Es waren vor allem jene, die den
Befehlen folgten. Sie folgten dem Quarterium aus Angst vor dem eigenen
Ende bei Befehlsverweigerung, aus gewissenhafter Staatstreue, aber auch
aus tiefster Überzeugung oder der eigenen Karrieregeilheit.
Nur wenige hinterfragten ihre Taten und beruhigten ihr Gewissen mit
Schnaps und fadenscheinigen Ausreden, dass es doch zum Wohle des
Quarteriums und der gesamten Menschheit sei….
Bei DORGON, hätten sie doch nur mich allein ermordet, hätte ich es
verstanden. Ich sprach mich gegen die Ideologie des Todes aus, klagte sie
öffentlich an. Doch Ingsten? Agützi oder Eshkis?
Was waren ihre Verfehlungen gewesen? Sie waren schwach und gehörten
zur falschen Rasse. Für sie war kein Platz im großen quarterialen Traum
nach einer Super-Menschheit. Rassismus war wahrlich kein Problem,
welches den Menschen allein anhaftete, doch die Menschen des
Quarteriums hatten den Rassismus mit erschreckender, industrieller
Kaltblütigkeit vollzogen. Die Artenbestandsregulierung war ein Projekt mit
Managern, Angestellten und Arbeitern. Sie hatte Unternehmensziele, die es
zu erfüllen galt. Nur dass es dabei nicht um schnöde Gewinnmaximierung
ging, sondern um die Auslöschung von Existenzen.
Welch trauriger Wahnwitz…
Unser Ende war gekommen. Unser physischer Tod war vollbracht. Doch
was nun? Es herrschte Dunkelheit, doch meine Gedanken lebten. War es
nur ein Echo, das verblasste? Mein Gehirn konnte mir jedenfalls keinen
Streich spielen, denn es existierte nicht mehr. Es war meine Seele. Manche
nannten es IBEA-Faktor oder ÜBSEF-Konstante. Mein Intellekt, meine
Intelligenz, meine Empfindungen und Erinnerung all das, was mich auch
ausmachte, als noch ein Herz in meiner Brust schlug.
So mussten sich meine Urahnen gefühlt haben, als sie im Hyperraum
lebten und der eine Ast aus dem Hyperraum eine Brücke in den
Normalraum schlug. Nie fühlte ich das Kima, unsere Lebensart Kima
intensiver als in diesem Moment.
Ich fühlte auf einmal eine erdrückende, fremde Furcht, die wie ein kalter
Tsunami über den See fegte und das Leid von hundert Millionen getöteter
Seelen widerspiegelte. Es waren die Gefühle Anderer, die mich plötzlich
auf meiner Reise begleiteten. Es dämmerte mir nun. Der Planet Objursha
war völlig vernichtet worden und die Anzahl der im schwarzen See
ertrinkenden Seelen hatte sprunghaft gigantische Ausmaße angenommen.
Sie durften keine Angst haben, denn sie würden nicht im dunklen See
ertrinken. Sie mussten es einfach mit sich geschehen lassen und dem Pfad
folgen.
Ich jedenfalls ließ mich auf dem schwarzen See weitertreiben. Die Reise
eines Linguiden ging weiter. Ich war neugierig, legte meinen Gram für
einen kurzen Moment nieder. Die Kälte wich, und der schwarze See
schimmerte nun golden. Ein Gefühl der Glückseligkeit umgab mich. Ich
hörte das Lachen von Kinderstimmen, das melodische Zwitschern von
Vögeln. War das das Paradies?
»Öffne die Augen«, sagte eine weibliche Stimme.
Augen? Ich besaß doch keine Augen mehr. Doch ich tat, wie gewünscht
und… Ich starrte in das wunderschöne Gesicht einer Frau mit grünen
Augen. Sie war Terranerin, trug ein weißes Kleid, und eine blasse, weiße
Aura umgab sie. Der goldene Schein der Umgebung blendete mich. Wo war
ich nur? Zögerlich blickte ich mich um. Ich saß auf einem Feld, auf dem
goldbraunes Korn wuchs. Der Himmel war türkisfarben, und bunte Vögel
flogen am Horizont. Unweit von mir spielten Somer und Blues miteinander.
Ein junger Saggittone tollte lachend über die Wiese und warf sich ins Korn.
Waren das Ingsten, Agützi und Eshkis?
»Willkommen in der Harmonie von DORGON«, sprach die Frau und
lächelte.
Sie kam mir bekannt vor und schien meine Gedanken zu erraten.
»Du kennst mich als Sanna Breen, die Terranerin, die zum Konzept des
Kosmotarchen DORGON wurde.«
Sanna Breen! Die TLD-Agentin, die im Jahre 1291 NGZ den Silbernen
Ritter Cauthon Despair für eine kurze Zeit bekehrt und für die richtige Seite
gewonnen hatte. Ein Jahr später war sie auf Dorgon gestorben
ausgerechnet durch das Schwert Despairs. Es war ein Unfall gewesen, doch
ihr Tod hatte Despair zu einem echten Sohn des Chaos gemacht. DORGON
hatte das Bewusstsein der Terranerin aufgenommen und sie immer wieder
als Botschafterin zwischen der Entität und den normal Sterblichen
eingesetzt.
Sanna Breen beugte sich herab.
»Deine schmerzhafte Tortur hat ein Ende gefunden. DORGON hat sich
deiner Seele erbarmt. Du bist nun Teil in unserem paradiesischen
Kollektiv
Sie reichte mir die Hand. Ich ergriff sie und stand auf. Ich entdeckte keine
Sonne am türkisfarbenen Himmel und doch fühlte ich die wohltuenden
Strahlen auf meiner neuen Haut. Es war unbegreiflich.
»Was ist die Harmonie von DORGON?«
Sanna lächelte verständnisvoll.
»Die neue Ordnung in Cartwheel. Der Schrecken wird weichen.
DORGON ist nun hier, und MODROR wird besiegt. Frieden und Liebe
werden fortan in Cartwheel Einzug halten. Der Schmerz und die Trauer
werden dem Glück weichen. Und dessen wirst du Zeuge werden.«
Sie ging weiter. Ich blieb stehen. Sie drehte sich um, streckte mir die Hand
entgegen.
»Komm, es wird Zeit für ein neues Kapitel, Chronist.«
Ich ergriff erneut ihre Hand und folgte ihr. Ja, es war Zeit. Die Chroniken
Cartwheels waren nicht zu Ende. Jaaron Jargon würde über die Harmonie
von DORGON berichten.
Es würde ein schönes Kapitel werden.
Kapitel 1 – Der WIDDER auf Stellacasa
Nathaniel Creen an Bord der NOVA
11. Februar 2046 NGZ
Stellacasa, Lucesystem
Die NOVA flog über einen blauen See, der zum Großteil von einem
Gebirge mit üppiger Fauna umgeben war. Ich ließ die Space-Jet dicht über
der Wasseroberfläche dahingleiten. Die Sonne schien. Wir waren auf dem
Weg zur Siedlung Jana, um den Rhodanmystikern den Kopf abzuschlagen.
In der Thermosphäre flimmerte ein Wetterleuchten. Die Farben wechselten
von grün über blau und rot. Es erinnerte mich an jene temporalen
Anomalien, die derzeit die Milchstraße heimsuchten. Es gab das Gerücht,
die Zeit würde stehen bleiben, befand man sich in so einer Anomalie.
Erscheinungen aus der Zukunft und Vergangenheit würden auftauchen, und
am Ende erinnerten sich die Augenzeugen nur bruchstückhaft an das
Geschehen. Es wirkte wie ein Traum, den man intensiv geträumt, aber am
Morgen nach dem Aufwachen im Detail vergessen hatte.
Möglicherweise handelte es sich aber um ganz normale
Ionosphärenstürme. Ich war immer noch neugierig über diesen Planeten,
dessen Bewohner sich offenbar seit fast 90 Jahren mit Isolation und völliger
Selbstkastrierung aller eigenen Rechte abgefunden hatten.
Nebenbei lief eine Sendung im stellacasischen Trivid.
Das hagere Gesicht Gesundheitsadministrators von Stellacasa mit der
markanten, spitzen Nase erschien auf dem breiten Trivid-Monitor. Edwin
Klausenfluss war der Anführer dieser Welt, der Vorsitzender der IPO, des
Infektionsschutz- und Pandemiebekämpfungsordnungsamtes. Seit 73 Jahren
regierte Klausenfluss mit einer Notfallverordnung und war offenkundig ein
klassischer Diktator. Nicht, dass mich das störte, denn die sogenannten
Demokraten waren selbst alles Heuchler und hatten nur ihren eigenen
Vorteil im Sinn. Jeder verarschte die Bevölkerung nach seinen
Möglichkeiten. In einer Diktatur konnte man freier agieren, konnte das tun,
was man für richtig empfindet, ohne wie in einer Demokratie beim Volk,
das ohnehin keinen Durchblick hatte, fragen müsste.
Demokratie war ein seltsam unehrliches Spiel. Ein Kind würde dazu
sagen: »So tun als ob«. Es gab Regeln in der Demokratie, die den Bürgern
ein schönes Leben versprachen, und die Machthaber mussten so tun, als ob
sie diese Regeln auch einhielten, doch jeder Politiker kochte sein eigenes
Süppchen. Ziel war es, sich selbst und seine Gönner zu bereichern. Dazu
musste man gewählt werden, Gesetze zum Wohl der Gönner verabschieden
und durfte sich dabei nach Herzenslust bestechen lassen. Nur eines führte
hin und wieder zum Game Over: sich erwischen zu lassen. Jeder spielte
dieses Spiel, doch jene, die erwischt wurden, hatten dann oft Pech. Dann
galt es, den Erwischten fertig zu machen. Es war paradox, denn man selber
hatte ja genauso viel Dreck am Stecken. Politik war wie Theater. Die
Politiker spielten nur die aufrichtigen Volksvertreter.
Naja, ich konnte mir diesen Zynismus ja auch leicht erlauben. Ich legte die
Beine auf die Konsole. Hier war ich ganz frei. Hunter bereitete sich unten
vor, und Kuvad Soothorn bastelte am HAWK-IV-Konverter. Die NOVA war
immerhin mehr als 400 Jahre alt. Sie war 1615 gebaut worden. Die
CORBIA-II-Reihe war danach eingestellt worden und von den knapp 200
fertiggestellten Jets waren wohl keine anderen mehr im Einsatz. Jedenfalls
gab es an der NOVA immer etwas zu schrauben. Soothorn hatte sich in den
letzten Tagen in diese Rolle eingefügt.
Ich befasste mich wieder mit Edwin Klausenfluss. Wirres Haar, runde
Brille, schlechte Zähne und wenig rhetorische Begabung. Er war ein
Verwalter und kein charismatischer Despot. Alles in allem wirkte er blass
und langweilig.
»… müssen, also tun, was immer für uns, also die Bevölkernden des
Planeten, schützt«, hörte ich ihn sagen. »Deshalb danke ich allen für ihre
Entbehrungen. Doch der Weg des Verzichts ist nicht vorbei. Das Virus
mutierte auch im Jahre 2045 und bleibt diffus und unberechenbar. Jede
Lockerung führt zu einem höheren Infektionsrisiko und zu einer höheren
Todeszahl! Die Notfallverordnung des Infektionsschutz- und
Pandemiebekämpfungsordnungsamtes bleibt daher auch 2046 bestehen,
also komplett mit allem, was dazu gehört. Essentiell bleibt dabei die
Einhaltung der Vorschriften. Ich bin sehr zufrieden mit den Bevölkernden
dieser Welt, die das tadellos umgesetzt haben. Jene kleine Minderheit, also
die Rhodanmystizierenden zum Beispiel, die sich nicht daran halten, also
die haben wir
Jetzt wurde es interessant. Ich horchte auf, doch dieser Typ verhaspelte
sich ständig in seiner eigenen Ansprache.
»Also die werden und sind nach der Härte des Gesetzes zu bestrafen. Ich
baue dabei auf die Aufmerksamkeit der Bevölkernden. Achtet auf eure in
Nachbarschaft Wohnenden. Verdächtiges meldet ihr bitte direkt an die IPO.
So wird alles Bevölkernde mit gesundem Verstand handeln. Nur so können
wir Stella Mortem besiegen. Gesundheit mit allen.«
Das Volk sollte sich also gegenseitig bespitzeln.
Eine gespaltene Bevölkerung war für jede Diktatur hilfreich. Die Bürger
waren mehr damit beschäftigt, sich gegenseitig zu diffamieren, als darüber
nachzudenken, wer ihr wirklicher Unterdrücker war. Das lag wohl darin
begründet, dass das durchschnittliche Intelligenzwesen eben doch nur
eindimensional dachte. Eine große Gefahr war nur schwer zu erfassen.
Leichter wurde es, diese Gefahr auf etwas im Umfeld herunterzubrechen.
Dann war der Nachbar für die große Gefahr verantwortlich, und den konnte
man gut beobachten. Das Individuum fühlte sich deswegen wichtig und
schnupperte am Duft des Heroismus. Wie dieser Klausenfluss festgestellt
hatte: Jeder mit gesundem Verstand würde so handeln.
Woher ich meine Abneigung gegenüber Politikern hatte, konnte ich mir
selber gar nicht beantworten. Auf GONGOLIS war ich fast nie mit einem
der Concierges in Berührung gekommen, wenngleich mich diese
Kasteneinteilung stets angewidert hatte. Die Doktrin, die Bewohner in
Fristbürger und Gastbürger zu unterteilen, war pervers. Die meisten Wesen
waren eher in Verzweiflung nach GONGOLIS gekommen und wollten dort
nicht wohnen, weil es eine tolle Gegend war. Als ob drei miteinander
verbundene Kugelraumer der JUPITER-Klasse ein schönes Zuhause wären.
Ich schweifte ab. Nun erschien auch noch Eleonore als Hologramm. Sie
trug ihr blondes Haar offen und ihre blauen Augen strahlten hell. Hätte sie
gelächelt, so hätte es sicherlich zauberhaft ausgesehen. Aber vielleicht
lernte unsere Künstliche Intelligenz das noch. Die Bordpositronik der
NOVA arbeitete im Labor an einem eigenen Androidenkörper. Sie verbarg
ihr Projekt vor unserem Kommandanten Hunter, denn der Chef hatte nichts
übrig für ihre Weiterentwicklung. Möglicherweise hätte er ihren
Androidenkörper zum Sex benutzt, doch dafür schien ihm auch ein Körper
aus Formenergie zu reichen, während wir im Weltraum unterwegs waren.
Auf dem CACC-Resort SEESTERN wartete seine Freundin Polly Kallos
auf ihn. Ob sie von seinen Eskapaden wusste?
»Wir haben die Stadt Jana erreicht«, meldete sie. Ich betrachtete Eleonore
bereits als Frau. Dabei war sie streng genommen natürlich geschlechtslos.
Doch sie hatte ihre äußere Erscheinung der einer rudynischen Frau
angeglichen. Es war ihr bewusster Schritt in Richtung Individuum.
»Wir haben die Stadt Jana erreicht«, meldete sie.
Ich rief mir die Daten dieser Stadt auf, die offenbar nach einer SolAb-
Agentin benannt worden war, wenn man den Worten von Meshku Feldon
trauen durfte. Jana D’Allessandro war Agentin des Solaren Imperiums
gewesen und einst auf Atlan angesetzt worden. Das Problem daran war,
dass das Solare Imperium nie existiert hatte und Atlan kein
Zellaktivatorträger war, sondern ein Schauspieler im Sold von Reginald
Bull. Wie also konnte eine Stadt nach einer nie existierenden Person
benannt worden sein? War ihre Existenz jedoch eine Lüge, wieso hatte
Feldon so sehr daran geglaubt? Offenbar hatten die Rhodanmystiker ihre
eigene Geschichte um die Stadt Jana gesponnen.
Jana war in konzentrischen Kreisen mit großzügigen Grünflächen
angelegt. Die Häuser waren hunderte Meter voneinander entfernt. Im
Gegensatz zur Enge von Presto und Vennecia wirkte diese Ansiedlung
idyllisch und lebenswert. Die Anwesen waren von pilzförmigen
Schutzschirmen bedeckt, deren Generatoren auf den jeweiligen
Grundstücken standen. Die Bewohner hatten offenbar das Privileg, sich
außerhalb ihrer eigenen vier Wände in den Gärten aufzuhalten. Hohe
Mauern aus Energie trennten die Bereiche voneinander. Jeder schien vor
sich hin zu leben.
Die Ortung lokalisierte das Haus von Cordelius Crouch. Er wohnte dort
unter dem Namen Conrad Deringhouse. Der Name sagte mir etwas. Ich
hatte über ihn in diesem Perry-´Rhodan-Roman gelesen. Deringhouse war
während des Konflikts mit den Topsidern im Wega-System Pilot gewesen.
Ein durchaus sympathischer Charakter. Ich konnte ihm einiges abgewinnen,
war ich doch selbst Pilot. Die Reise zwischen den Sternen war beruhigend
und entspannend. Es sei denn, man befand sich in einem Raumkampf. Dann
war es aufregend und man fühlte sich lebendig.
»Hunter, wir sind da«, meldete ich über Interkom.
Ich aktivierte die Laurin-Tarnvorrichtung. Langsam ließ ich das Schiff
sinken, bis es direkt vor dem Schutzschirm schwebte. Die NOVA war zu
groß. Sie passte nicht zwischen der Energiewand und dem
Schutzschirmdach, also landete ich sie direkt vor der Einfahrt. Ein großes,
schweres Tor beschützte diesen Crouch offenbar vor ungebetenen
Besuchern und neugierigen Blicken. Hunter befand sich schon an der
Ausstiegsluke. Ich folgte ihm, aktivierte den Strahler und verließ die
NOVA.
Hunter öffnete das Schloss mit einem feinen, leisen Präzisionsschuss. Er
hielt kurz inne. Große Bäume mit mächtigen, üppig bewachsenen Ästen
ragten über das Tor, und die Vögel zwitscherten friedlich. Das Wabern des
Wetterleuchtens über uns wirkte jedoch beunruhigend. Sollte es tatsächlich
eine temporale Anomalie sein, war Eile geboten. Ich wollte definitiv nicht
in die Ausläufer solch einer Anomalie geraten. Misstrauisch sah ich auf
mein Chronometer am Handgelenk. Die Zeit lief normal und nicht
rückwärts. Noch war alles in Ordnung. Ein Blick in den Himmel ließ mein
Unbehagen jedoch wachsen. Blaue Blitze zischten quer durch die rot-grüne
Anomalie.
Hunter schob das Gatter auf. Vor uns lag ein sandiger Weg, der gepflegt
wirkte. Steine säumten den Weg zu dem dreistöckigen weißen Haus mit
dem flachen Dach, auf dem sich eine Terrasse befand. Hinter dem Haus
ragte der Schutzschirmgenerator in die Höhe. Die Etagen der Villa waren
stufenförmig gebaut. Ein weißer, kegelförmiger Roboter mit schwarzen
Streifen und einem roten Auge kam surrend auf uns zu.
»Euer Betreten ist widerrechtlich.«
Hunter zog den Strahler und schoss auf den Roboter. Das Surren
verstummte, und das rote Leuchten im Auge erlosch. Hunter setzte seinen
Weg unbeirrt fort. Er wollte genauso wie ich die Sache schnell zu einem
Ende bringen. Die Tür der Villa öffnete sich. Ein schlaksiger Mann mit
halblangem weißen Haar und Vollbart trat heraus. Er trug ein weißes
Leinenhemd über der ebenso weißen Hose. Er war barfuß.
»Cordelius Crouch«, stellte Hunter fest und grinste.
Der Mann wirkte perplex. Dann straffte sich die Haltung. Er zog eine
Augenbraue hoch.
»Ich nehme an, ihr glaubt mir nicht, wenn ich sage, dass ich Conrad
Deringhouse bin. Nun gut, wollt ihr mich gleich hinrichten oder möchtet ihr
noch auf einen Kaffee ins Haus kommen?«
Cordelius Crouch überspielte seine Todesangst ganz geschickt. Er wirkte
gefasst und diszipliniert. Tatsächlich servierte er uns frischen Kaffee. Wir
gingen auf die Veranda hinter dem Haus. Der Garten war üppig voller
Blumen mit violetten, pinken und gelben Blüten. Wie ein großer Baum
stand der Schutzschirmgenerator in der Mitte des Gartens. Vor uns lag ein
etwa sechs Meter langer Teich. Ich beobachtete das Wasser und sah kleine,
goldene Fische darin schwimmen. Auf der gegenüberliegenden Seite
thronte ein rot-gescheckter Frosch auf einem Stein und schien die Sonne zu
genießen. Es war idyllisch hier und stand in krassem Kontrast zu dem, was
wir bisher auf Stellacasa erlebt hatten.
Crouch füllte die weißen Tassen auf dem runden Holztisch. Er setzte sich
in einen Korbstuhl und deutete mit der Hand auf die anderen beiden freien
Stühle. Diese Rhodanmystiker waren seltsam. Sie alle blickten dem
nahenden Tod mit so viel Gelassenheit entgegen, die mich aufrichtig
erstaunte.
Hunter setzte sich, während ich es vorzog, stehen zu bleiben.
Mein Chef nahm die Tasse, schlürfte daraus und stellte sie wieder auf den
Tisch. Er nickte zufrieden. Der Kaffee war nach seinem Geschmack.
»Sparen wir uns also die Maskerade. Wir sind Rhodanjäger, du bist der
Anführer der Rhodanmystiker auf diesem Planeten.«
Crouch lehnte sich zurück. Der Korbstuhl knarzte.
»Ich gehe davon aus, dass der abgebrochene Kontakt zu Tumesy und
Feldon auf euer Konto geht?«
Hunter machte eine entschuldigende Geste und schmunzelte.
»Die armen Kerle«, sagte Crouch leise. Er zündete sich eine Zigarette an.
»Nun, wie werdet ihr mit mir verfahren?«
»Das ist der Deal«, begann ich. Hunter hob die Hand und gebot mir zu
schweigen.
»Wir haben die Koordinaten von 123.000 Rhodanmystikern auf diesem
Planeten. Sie sind enttarnt. Wenn du nicht willst, dass wir sie der IPO
melden, sagst du uns, wo sich diese ominöse Quelle befindet.«
»Quelle?«
Hunter winkte ab.
»Du beleidigst meine Intelligenz. Wir wissen, dass ihr diese Geschichten
über Hyperkomnachrichten empfangt und daraus Romane schreibt. Der
Deal ist, nenne uns den Standort der Quelle, und ich lösche die Daten der
123.000 Rhodanmystiker
Crouch lächelte milde und drückte die Zigarette aus.
»Ein Deal, den du nicht einhalten wirst.«
Hunter zuckte mit den Schultern.
»Hast du eine andere Wahl, alter Mann?«
Crouch räusperte sich. Er blickte in den Himmel und atmete tief durch.
»Stellacasa war früher eine paradiesische Welt. Vor dem Virus und vor der
Angst. Die Gesellschaft war durchaus korrupt bis ins Mark. Doch die Natur
war schön, und man konnte hier unbehelligt vor den Cairanern leben.
Deshalb bin ich vor 120 Jahren hierhergezogen. Doch die Cairaner schlafen
nicht. Nachdem sie herausgefunden hatten, dass unser Netzwerk an
Terraforschern sehr aktiv war, haben sie ab 1940 systematisch angefangen,
unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Sie förderten die Korruption.
Stellacasa war vor allem aufgrund der Administration der Bodenschätze auf
den anderen Planeten im Luce-System bekannt. Die Gesellschaft
fokussierte sich auf den Abbau der Erze. Gierige Konzerne diktierten die
Bedingungen. Der Galax floss, nur nicht in die Taschen der Bevölkerung
oder die Infrastruktur des Planeten. Dann kam der nächste Schicksalsschlag.
Stella Mortem. Das Virus, das ab 1957 alles veränderte.«
Crouch seufzte und zündete sich eine weitere Zigarette an. Hunter
bediente sich ebenfalls. Beide quarzten vor sich hin. Es wirkte wie eine
gemütliche Plauderei zwischen Bekannten, doch jeder der Beteiligten
wusste, dass sie mit dem Tod von Cordelius Crouch enden würde.
»Unsere Gesellschaft war nicht darauf vorbereitet. Wir hatten den
Gesundheitssektor aus Kostengründen systematisch abgebaut. Import und
Export war die Devise. Wir importieren aus der Milchstraße, was wir
benötigten, und spezialisierten uns auf den Abbau der Rohstoffe. Doch als
die Quarantäne über das System verhängt wurde und keine Erze mehr
abgebaut wurden, sprangen die Investoren ab. Es fehlte an Geld für die
Modernisierung. Es wurden keine Lieferungen mehr in unser Sonnensystem
geschickt. Medikamente und Medoroboter fehlten. Wir waren nicht fähig,
diese zu entwickeln, denn es fehlte an Know-How und Fabriken. Stellacasa
musste von vorne anfangen. Und wer Stella Mortem bekam, konnte eines
grausamen Todes sterben. Durch Zellwucherungen platzte der Körper. Die
Bevölkerung war in Angst und schluckte alle notwendigen Maßnahmen.
Doch das Virus ging nicht – ebenso wenig wie die Verbote.«
»Ja, traurig, alter Mann. Sicher wirst du mir sagen, dass die Cairaner auch
dahinterstecken.«
Er nickte. Hunter lachte zynisch auf und sah mich an. »Der Kopf der
Schwurblervereinigung. Vermutlich haben die bösen Cairaner das Virus
selber gezüchtet, nur um euch Verschwörungsidioten zu bekämpfen?
Einfach nur lächerlich.«
»Unsere Gesellschaft von Stellacasa balancierte auf einem Drahtseil. Die
Cairaner haben uns von diesem Seil geschnippt«, erklärte Crouch.
»Wieso hat die galaktische Gemeinschaft nicht geholfen?«, wollte ich
wissen.
»Sie hat es versucht. Doch die Cairaner haben die Hilfslieferungen
beschlagnahmt. Sie haben der LFG erklärt, sie hätten diese weitergegeben.«
»Beweise, Mann! Hast du Beweise?«
Hunter schnippte die Zigarette weg.
Ein Blitz zuckte über den Himmel und blendete die beiden. Mich
schützten die Brillengläser meines Helms. Es folgten nur wenige Sekunden
später ein scharfes Zischen und ein grollender Donner.
Crouch erhob sich.
»Ich habe in den 87 Jahren der Quarantäne einen Haufen Beweise
gesammelt. Ihr findet sie im Speicher meiner Positronik.«
Er blickte nach oben, hob den Finger und kreiselte damit in der Luft.
»Die Cairaner haben im ganzen Luce-System Satelliten installiert. Nach
einem regelmäßigen Muster infizieren sie einige Bewohner mit dem Virus,
der dann von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Die Annahme, er wird
durch die Sonnenstrahlung verursacht, ist falsch. Die Cairaner spielen mit
dem Leid und der Angst der Bevölkerung. Unsere Regierung ist überfordert
und verkriecht sich seit fast neun Jahrzehnten in der Quarantäne. Der
anfängliche Widerstand ist längst erloschen. Mit Applaus aus der
Bevölkerung wurden unsere Rechte abgeschafft. Aus einer
Notfallverordnung wurde Normalität.«
Hunter stand auf und streckte sich.
»Diese Diskussion ist ermüdend. Eine große, geheime Verschwörung.
Eure Gesellschaft hat einfach Pech gehabt. Das Virus ist gefährlich und
nicht kontrollierbar. Eine Quarantäne eures Sonnensystems war die einzige
Möglichkeit, damit es sich nicht verteilt. Wenn ihr mich fragt, hätte ich eure
ganzen Welten mit einer Arkonbombe zerstört.«
»Das Virus wäre längst besiegt, wenn die Liga Freier Galaktiker, das
Tamanium oder die Kristallbaronien freien Zugang gehabt hätten. Durch
medizinische Versorgung und Fürsorge hätten viele Leben gerettet werden
können. Fähige Mediker hätten zunächst ein Serum entwickelt, andere
kluge Wissenschaftler die Ursache entdeckt und die cairanischen Satelliten
zerstört«, sagte Crouch und erhob sich. »Doch Stellacasa war allein. Isoliert
von der galaktischen Gemeinschaft. Das Virus war nicht kontrollierbar für
uns. Unvermögen, Inkompetenz und Machtlosigkeit paarten sich mit der
Furcht vor dem Tod. Jetzt sind wir ein trauriger Planet. Die Gesellschaft ist
zerfallen, tröstet sich in virtuellen Welten und stirbt langsam aus.«
Eine galaktische Gemeinschaft existierte nach meiner Auffassung nicht.
Es gab auf der einen Seite die Konsulate der Cairaner und ihnen gegenüber
die Lemurische Allianz. Dazwischen bekriegten sich die Ladhonen,
Kristallbaronien und die Föderation der Naats. Stellacasa war ein Beispiel
dafür, dass sich eigentlich etwas Gravierendes ändern musste. Doch wer
sollte das bewerkstelligen? Etwa ein Perry Rhodan?
Nun, da waren wir wieder beim Thema. Eine fiktive Legendengestalt
sollte der Heilsbringer für diese armen Geschöpfe auf Stellacasa sein? Es
wunderte mich nicht, dass sie an einen Messias glaubten. Fest im Griff einer
Krankheit, gebeutelt und entmutigt von den Verboten, die das Leben nicht
mehr lebenswert machten. Sie waren immer tiefer in aberwitzige Theorien
abgerutscht. Perry Rhodan war eine Ersatzreligion und Terra das erhoffte
Elysion.
Ich erhielt eine Textnachricht über mein Multikom. Sie stammte von
Eleonore.
Die Interferenzen nehmen stark zu. Ich rate zum Aufbruch.
Ich las die Textnachricht von Eleonore. Ein besorgter Blick von Hunter in
meine Richtung verriet mir, dass er diese Nachricht ebenfalls erhalten hatte.
Ich musste einen anderen Weg einschlagen.
»Sollte die Geschichte von Terra belegbar sein, ist das der einzige Weg,
Stellacasa aus der Isolation zu befreien. Es beweist, dass die Cairaner lügen.
Rhodan, Atlan und Gucky sind angeblich mit einem Raumschiff namens
RAS TSCHUBAI zurückgekehrt. Wieso hast du die Quelle nicht an die
LFG übergeben?«
Hunter wollte aufbegehren, doch er bewahrte Ruhe. Gut so!
Crouch winkte ab.
»Wir haben diese Quelle 1912 bei Ausgrabungen entdeckt. Mein Mentor
Kumush Komin hielt es für besser, das Geheimnis erst einmal als ein
solches zu belassen. Wir hatten den Traum, die Geschichte Terras
rekonstruieren zu können, um sie dann stolz der LFG und dem Rest der
Galaxis präsentieren zu können. Also gründeten wir unser Netzwerk.
Niemand weiß, ob die Quelle echt ist, doch ihre Angaben decken sich mit
den Neo-Historien im Terraneum. Sie ergänzen sie im Detail, geben uns
einen Ausblick über den Tellerrand. In ferne Galaxien wie die Estartische
Föderation, Druithora, Dorgon oder Cartwheel. Das Wissen, das durch den
Posizid verloren geglaubt schien, ruht noch immer in ihrem Versteck. Doch
wir wollten sicher sein, bevor wir Reginald Bull damit unter die Augen
treten würden. Außerdem hatten wir Angst vor den Cairanern. So verging
die Zeit. Komin nahm den Standort der Quelle mit ins Grab. Ich war seit
1957 auf dieser Welt gefangen, und es war viel zu riskant, das Wissen als
Hyperkomnachricht zu versenden. Im Nachhinein hätte ich vor dem
Ausbruch des Virus mutiger sein sollen.«
Der alte Mann nahm wieder Platz und zündete sich seine dritte Zigarette
an.
»Es konnte ja niemand ahnen, was dieser Welt widerfahren würde.«
Er legte die Zigarette in den Aschenbecher.
»Oh, ich habe da etwas für euch. Moment.«
Er ging in ein Zimmer und kam mit einer Schachtel zurück. Behutsam
stellte er die Schatulle auf den Tisch und öffnete sie. Darin lagen ein
Datenträger und eine Injektionsspritze mit einer Ampulle. Er schob den
Datenträger in Hunters Richtung.
»Dort enthalten sind alle Beweise für eine Manipulation. Außerdem der
DNS-Code des Virus. Wenn ihr noch etwas Mitgefühl besitzt, übergebt es
der LFG oder den Aras. Zieht diese Welt aus dem Abgrund.«
Hunter nahm den schmalen Datenträger und steckte ihn in die obere
Jackentasche.
Crouch nahm die Spritze.
»Und das ist das Virus selbst. Ein Teufelskerl. Es scheint zu selektieren.
Von hundert Infizierten merken achtzig Prozent nichts davon. Bei zehn
Prozent gibt es milde Krankheitssymptome. Die anderen bringt er auf
grausame Art und Weise mit Zellwucherung um. Es war nicht totzukriegen,
denn es gab immer neue Varianten. So regelmäßig wie der Wechsel der
Jahreszeiten erhöhten sich die Infektionen und damit die Todesrate. Die
Abschaffung unserer Freiheit war in den Augen der Administratoren der
einzige Weg, um das Leid zu reduzieren. Zeit meines Lebens hatte ich
dagegen angekämpft.«
Er starrte auf die Spritze.
»Das hier ist das Virus in Reinkultur. Es tötet rasch.«
Crouch seufzte, setzte den Injektor an den Hals und injizierte sich den
Virus.
Verdammter alter Narr.
»Was! Halt!«, rief Hunter und sprang auf.
Es war zu spät. Zufrieden lehnte sich Crouch zurück.
»Ihr beide seid Rhodanjäger. Wenn ihr die Quelle findet, werdet ihr sie
zerstören. Das kann ich nicht zulassen.«
Der Himmel färbte sich komplett grün. Rote Blitze zuckten, und ein Sturm
zog auf. Wir mussten dringend weg.
Crouch fing an zu schwitzen. Hunter zog seinen Strahler und
desintegrierte den Rhodanmystiker. Der Stuhl war nun leer und nichts
deutete mehr darauf hin, dass der Anführer der Rhodanmystiker darauf
gesessen hatte, außer dem Glimmen der halb abgebrannten Zigarette im
Aschenbecher.
»Gehen wir. Wir durchsuchen das Anwesen später«, befahl Hunter und
war schon auf dem Weg.
Ich folgte ihm. Das Wetter wurde ungemütlicher. Über uns braute sich ein
violetter Wirbelsturm zusammen, der sich bedrohlich Richtung Boden
senkte. Ich blickte auf mein Chronometer und erschrak. Die Zeit lief
rückwärts. Am Gatter spielten Kinder. Sie sahen uns an, dann
verschwanden sie einfach. Sie lösten sich auf. Waren sie jemals dagewesen?
Wir eilten zur NOVA.
Noch 100 Meter.
Einige Meter von uns entfernt marschierten ein paar Soldaten. Sie trugen
lindgrüne Uniformen und sangen ein Lied mit dem Refrain »Ad Astra,
Terraner!«
Sie trugen keine Schutzanzüge. Wo kamen die plötzlich her?
Die NOVA war von einem feinen blauen Schimmern umgeben. Was ging
hier nur vor?
Ich eilte die Luke hoch und sie schloss sich sofort. Ich sah auf mein
Chronometer. Die Zeit lief nun nicht mehr rückwärts. Ich schwebte hoch
zum Deck, auf dem sich die Zentrale befand. Schnell hatte ich das Cockpit
erreicht. Die NOVA befand sich auf dem Flug in den Orbit des Planeten.
Hunter saß bereits an der Steuerung und übernahm sie. Das Hologramm
von Eleonore stand daneben.
»Ich erhalte laufend Radiowellen und speichere sie. Es sind
Funknachrichten, Interkomanrufe, Hyperkomnachrichten. Sie stammen
jedoch aus unterschiedlichen Epochen.«
Sie wandte sich an mich.
»Dein pyramidenförmiges Artefakt fing an zu leuchten und hüllte die
NOVA in eine mir völlig unbekannte Sphäre ein. Während für einen kurzen
Moment die Bordzeit rückwärts lief, stoppte dieser Vorgang unverzüglich,
nachdem die NOVA in diese Sphäre eingehüllt war
Ich setzte mich an die Kontrollen. Der Space-Jet hatte den Orbit erreicht.
Der halbe Planet war in einer grünen Anomalie eingehüllt. Blaue Energie
bildete Stürme, rote Blitze zuckten durch die Exosphäre des Planeten. Die
Ortung meldete die Ankunft von Raumschiffen. Es waren Kugelraumer mit
Ringwulst. Sie erschienen aus dem Nichts. Andere Kugelraumer verließen
den Planeten und verschwanden dort, wo die Anomalie endete. Wir hatten
genug Abstand zu Stellacasa erreicht. Die Welt war nun fast vollständig in
die grüne Anomalie eingehüllt.
Ich traute der Ortung nicht. Die Ergebnisse mussten falsch sein. Die
Messung ergab einen Populationsanstieg, und die Energiewerte stiegen
drastisch. Dort war viel Leben, und die Bürger nutzten die
Raumfahrttechnologie. Schlagartig sanken die Werte jedoch wieder. Die
Population nahm ab und war schließlich verschwunden. Die Energiewerte
sanken auf Null. Ich ortete nur tierisches Leben und keine Anzeichen einer
Zivilisation mehr. Die Anomalie verblasste nach einigen Minuten und
verschwand.
Stellacasa lag nun wieder ruhig und friedlich vor uns.
»Ich orte kein höher entwickeltes Leben. Es gibt keine Städte mehr.
Vennecia, Presto und Jana sind verschwunden. Der Planet wirkt nach diesen
Ergebnissen unbewohnt«, bestätigte Eleonore meine Beobachtungen.
»Was für ein Psychofick ist das?«, murmelte Hunter.
Er steuerte die NOVA zurück nach Stellacasa. Wir flogen zu den
Koordinaten von Vennecia, doch dort gab es keine Stadt mehr. Wir flogen
nach Presto, doch dort stand nur ein tiefer Wald mit großen Bäumen. Und
dort, wo sich Jana befunden hatte, ruhte ein großer See, an dem sich
saurierähnliche Reptilien tummelten.
»Sind die Daten noch gespeichert?«, wollte ich wissen.
»Ja, ich habe weiterhin Zugriff darauf.«
Gut, ich hatte befürchtet, die Daten wären ebenso abrupt verschwunden
wie die Anomalie und die Zeugnisse der Kultur von Stellacasa. Was hier
geschehen war, war für mich nicht begreifbar. Selbst Hunter, der für seine
coolen Sprüche bekannt war, wirkte verunsichert.
»Ihr wertet die Daten aus. Ich fliege uns zurück zur ATOSGO«, entschied
er.
Ich drehte mich um und wollte das Cockpit verlassen, als ein zerknitterter
Kuvad Soothorn vor mir stand.
»Morgen! So ein Nickerchen tut echt gut. Müde bin ich aber immer noch.
Und, ist irgendwas Besonderes passiert?«
Ich schob mich unsanft an ihm vorbei.
»Eleonore, wir treffen uns im Labor
Kapitel 2 – Das ist ENGUYN
13. Februar 2046 NGZ
Rudyn
Atlan
»Bereit?«, grollte es aus dem Interkom. Atlan warf einen Blick zur Seite. In
der transparenten Cockpitkanzel saß Milton höchstpersönlich und sah Atlan
herausfordernd an.
Neben seinem Gleiter schwebte ein 2045er Milton Goldracer. Der Name
war in die goldene Lackierung graviert. Ein protziger, breiter Gleiter, der in
einem Vintage-Design konstruiert war. Die breiten Seitenflügel erinnerten
an einen Raubvogel. Nachempfunden war das Design dem Oldtimer
»Stromwing«, einem beliebten Renngleiter aus dem 25. Jahrhundert, der bei
Marsrennen eingesetzt wurde.
Die Schnauze des Flugvehikels war langgezogen. Das ausladende
Hinterteil des Gleiters mündete in vier vertikalen Flügeln.
Der Goldracer war neun Meter lang, drei Meter hoch und vier Meter breit
und bot für vier Personen Platz. Vier Innenstrom-Gravojettriebwerke, ein
Gleitfeldgenerator, Prallfelder, Andruckabsorber und ein Antigravtriebwerk
setzten das Gefährt bei einer Beschleunigung von 35 m/sec² in Bewegung.
Atlans Gleiter war im Vergleich damit schlicht.
Sein Stratosphärengleiter Typ SSFV-RT 700-/3X Rudyn war gut drei
Meter kürzer als der Luxusschlitten von Milton und mit einer Masse von
3,4 Tonnen auch leichter. Er war mit zwei Innenstrom-Gravojettriebwerken,
die über drei nachgekoppelte Hyperschall-Zusatzbooster verfügten, einem
leichten Gleitfeldgenerator, einem Andruckabsorber und zwei
Antigravtriebwerken ausgestattet. Die Beschleunigung lag sogar bei 37
m/sec², jedoch war Atlans Stratosphärengleiter in der langen Distanz
langsamer. Die Maximalgeschwindigkeit lag bei Mach 6,0, je nach Höhe,
Luftdruck und Atmosphärentemperatur. Die Goldracer konnte immerhin
Mach 6,1 schaffen.
»Bereit. Einmal durch Sznavala und wieder zurück zu deiner Werft.«
»Ich werde warten«, rief Milton.
Da zischte der Gleiter auch schon los. Sie hatten Etappenziele festgelegt.
Diese mussten erreicht werden - wie, war egal. Atlan folgte mit heulenden
Triebwerken. Die Gleiter verließen das Voltara-Tal und steuerten in
Richtung Nordwesten des Kontinents, vorbei an Wäldern, Seen und
Siedlungen.
Milton und Atlan folgten dem Strom Dwadunaj, bis dieser in den Ozean
mündete. An der Küste zogen sie gleichauf nach Norden. Es war ein
langsames Abtasten. Mal lag Atlan vorn, mal Milton. Sie passierten die
Siedlung Simbalein einen der Checkpoints und erreichten das hohe
Gebirge im Norden. Hinter ihnen lag das Meer der grüne Ozean. Milton
drängte Atlan ab, als sie auf gleicher Höhe waren.
Atlan schmunzelte, denn damit hatte er gerechnet. Er wich dem Angriff
aus, zog nach unten, beschleunigte und überholte den Goldracer. Das
schaffte etwas Abstand, doch dann war Milton plötzlich verschwunden. Die
Ortung zeigte ihn mitten im Berg. Verdammt, hier zeigten sich, dass
Ortskenntnisse von Vorteil waren, denn es gab offenbar eine Passage in
Form eines Hohlraums durch das Gebirge. Atlan zog hoch, so dass er über
dem Gebirge flog, und setzte Kurs Richtung Osten.
Die grünen Flächen verschwanden, und Sanddünen prägten nun das Bild.
In der Mitte des Kontinents lag die große Wüste. Atlan nahm Kurs
Richtung Süden. Mit voller Geschwindigkeit überquerten sie die trostlose
Landschaft.
Atlan hielt sich im Windschatten des Goldracers. Mit voller
Geschwindigkeit überquerten sie die trostlose Landschaft. Sie flogen in
einer Höhe von 3.000 Metern. Atlan setzte zu einem Überholmanöver an,
aber als er unter dem Goldracer vorbeiziehen wollte, drückte Milton seinen
Gleiter nach unten und schrammte Atlans Vehikel. Der Stratosphärengleiter
driftete nach unten. Atlan aktivierte den Hyperschall-Zusatzboost und zog
an Milton vorbei. Dieser setzte mit seinen Hyperschall-Boostern nach und
überholte Atlan, noch ehe die Wüste vorbei war.
Es ging zurück in den Süden.
Atlan holte auf. Unter ihnen lagen weitere Städte, Flüsse, Ackerflächen
und Wälder.
Genzez und Neu Terrania lagen nun vor ihnen. Atlan warf einen Blick auf
die Solare Residenz. Unter ihm befand sich das Dwadunaj-Delta. Da
brauste Milton an ihm vorbei, schnitt seine Flugbahn und zwang ihn zu
einem waghalsigen Manöver. Atlans Gleiter driftete ab und drohte gegen
ein kelchförmiges Haus zu krachen. Atlan drosselte den Schub und
aktivierte den Antigrav. Der Gleiter verlor an Tempo und stabilisierte sich,
dann zog er links am Haus vorbei und reaktivierte das Feldtriebwerk.
Der Goldracer hatte die Residenz erreicht, zog nach oben und verharrte
einen Moment über der stählernen Orchidee. Atlan beschleunigte und
nutzte die Phase der Arroganz seines Gegenspielers, um aufzuholen. Der
Goldracer stieg schräg in den Himmel und änderte den Kurs Richtung
Westen. Dort lag in 200 Kilometern Entfernung die Raumschiffwerft im
Voltara-Tal.
Atlan holte auf, während sie über Industrieanlagen im Slalomkurs
zwischen hohen Gebäuden und Energiekonvertern flogen. Es galt jetzt, den
Gegner abzuschütteln. Er flog direkt unter dem Goldracer und aktivierte
den Prallschirm, der den Gleiter von Milton aus der Bahn drückte, so dass
der nach rechts ausscherte und sich mehrmals um die eigene Achse drehte.
Atlan hatte das Ziel vor Augen. Bereits von weitem sah er den
rechteckigen, zwei Kilometer langen und siebenhundert Meter breiten
Hangar der CASSIOPEIA, umgeben von einem Dutzend kuppelförmiger
Anlagen, Ersatzteillager, schweren Maschinen und Kränen. Etwa
dreihundert Meter davor lag die Empfangshalle. Der breite Weg zum
Hangar war verglast. Die Sonne spiegelte sich in den Scheiben. Ein Blick
auf die Ortung verriet Atlan, dass Milton mit seinem Goldracer aufholte.
Atlan beschleunigte seinen Flitzer und landete hinter der Empfangshalle.
Eine halbe Minute später setzte der Goldracer auf.
Atlan hatte das Rennen gewonnen.
Kulag Milton wirkte sichtlich angefressen über die Niederlage.
Schnaubend wuchtete er sich aus dem goldenen Flitzer. Ein Techniker in
blauer Montur wollte ihm helfen, doch der Tycoon schubste ihn unsanft
beiseite.
»Was ist das für ein Scheißdreck, du Sau? Der Müllhaufen taugt nichts«,
schrie er den verdutzten Rudyner an, nachdem der sich vom Boden
aufgerappelt hatte.
»Du Stück Scheiße hast Mist gebaut. Du bist gefeuert. Verpiss dich!«
Milton zeigte mit dem Finger in eine Richtung. Offenbar deutete er damit
an, dass der Techniker die Milton-Raumschiffwerft schnellstens verlassen
sollte. Atlan stieg aus, richtete den Kragen seines blauweißen Oberteils und
räusperte sich.
»Nun, du schuldest mir einen 1952er Nettoruna.«
Miltons Kopf lief rot an. Da er den Techniker entlassen und verjagt hatte,
ließ er seine Wut an dem Gleiter aus und trat dagegen. Das schien ihm mehr
wehzutun, als dass es den Goldracer beschädigte, denn er verzog das
Gesicht und humpelte wortlos Richtung CASSIOPEIA-Halle. Ein
Einmann-Schwebegleiter stellte sich vor ihn. Milton stieg auf und flog
davon.
Atlan nahm sich alle Zeit der Welt und schlenderte amüsiert die Gangway
entlang. Immerhin hatte Milton ihn herausgefordert. Der Tycoon hatte eine
Flasche zalitischen 1952er Nettoruna-Wein aufs Spiel gesetzt. Hätte Atlan
verloren, hätte er ihm das Anwesen wieder verkaufen müssen, das er vor
ein paar Tagen von Milton erworben und an eine Jülziish-Familie vermietet
hatte. Er hatte gewusst, dass es nicht soweit kommen würde.
Atlan erreichte die Konstruktionshalle und erblickte eine zierliche
Brünette. Sie hielt ein Tablett, auf dem zwei Gläser und die Flasche
Nettoruna standen.
»Guten Tag, mit wem habe ich das Vergnügen?«, fragte Atlan charmant.
»Ich bin Myka Bilno, die Assistentin von Kulag Milton. Mit seinen besten
Empfehlungen… er…«
Sie stockte. Atlan nahm die Flasche und öffnete sie. Er roch an dem
Korken, dann schenkte er beide Gläser voll.
»Nun, er?«
»Er sagte, ich soll dir sagen, du sollst daran ersticken.«
Atlan nahm ihr das Tablett ab und stellte es auf den Boden. Er griff das
zweite Glas und reichte es ihr.
»Ich denke, wir werden diesen alten, halbtrockenen Weißwein durchaus
genießen.«
»Oh«, machte sie verlegen. »Wir haben aber keine Zeit. Der Tag ist schon
fast vorbei, und Milton hat noch einiges mit dir zu besprechen. Und ich
muss arbeiten.«
»Reeh Votanthar dovulum Moo«, antwortete Atlan.
»Das ist arkonidisch«, stellte Bilno fest.
»Der Tag währt ewig, nur die Planeten drehen sich.«
Sie lächelte.
»Ein schöner Spruch.«
Sie stießen an, und Bilno erzählte von ihrer Reise auf dem CACC-
Resortraumschiff SEESTERN, um die Vorbereitungen für den Jungfernflug
der CASSIOPEIA mit der CACC zu besprechen. Während sie von einer
Begegnung mit einer sehr speziellen Meinungsmacherin und deren
Freunden berichtete, bemerkte Atlan, dass Kulag Milton sie beobachtete.
Atlan brachte Myka mit ein paar Scherzen zum Lachen, sie tranken mehr
Wein, und der Ausdruck in Miltons Gesicht wurde immer finsterer. Atlan
legte den Arm um Bilno.
»Gehen wir zu deinem Chef. Wir sollten ihm noch etwas von dem
köstlichen Wein übrig lassen.«
Sie kicherte und erzählte, wieso ihr Spitzname Eyilon-Delap war. »Meine
Eltern haben mich liebevoll Eyilon-Delap genannt. Der Spitzname kommt
davon, dass die zwei im ersten Monat des arkonidischen Kalenders, wie du
ja sicher besonders weißt, der heißt Eyilon…«
Sie musste lachen.
Atlan nickte.
»Ich bin beruhigt, dass ich all die Jahrtausende den richtigen Namen
benutzt habe«, meinte er.
»Na ja, auf jeden Fall machten sie in den Kristallbaronien Urlaub und
haben sehr viel olympische Delap-Frucht gegessen. Tja, dann haben sie
Liebe gemacht, und ich bin rausgekommen. Schwupps!«
»Schwupps«, kommentierte Atlan. »Der Wein zeigt seine Wirkung.«
Atlan schlenderte mit Myka Bilno in das Gebäude. Kulag Milton stand mit
einem Whiskeyglas in der Hand an seiner Bar und blickte beide grimmig
an. Neben ihm stand CACC-Verkäufer Yeremiah Cloudsky. Der rothaarige
Glosneke eilte auf Atlan zu und streckte ihm die Hand entgegen.
»Guten Tag, Herr Aslan, wie geht es dir?«
Schon wieder! Er war kein Löwe aus Narnia. Wann begriff dieser Trottel
das endlich?
»Atlan«, korrigierte er.
Cloudsky grinste und winkte ab.
»Ja, natürlich. Ich sehe den Galax schon rollen.«
Der Glosneke deutete auf das Hologramm der CASSIOPEIA.
»Das schnellste Raumschiff in der Galaxis. Das modernste Raumschiff in
der Galaxis. Kombiniert mit den Luxusresorts der CACC. Wer will da nicht
mitfliegen? Wir revolutionieren die Galaxis. Ja, sogar das gesamte
Universum.«
Cloudsky streckte zwei Finger in die Höhe und starrte an die Decke.
»Ich sage euch, meine Freunde...« Er lächelte. »The Sky is the Limit!«
Er klatschte zweimal in die Hände.
»Begeisterung. Wo ist eure Begeisterung, meine Herren?«
Milton nippte an seinem Glas. Er hatte die Niederlage im Rennen immer
noch nicht verdaut. Atlan war das Gerede um Profit ohnehin gleichgültig.
Er hatte nie verstanden, wie sich bereits gut betuchte Lebewesen so sehr
über die Maximierung ihres Gewinns freuen konnten und das als
Lebensmaxime für sich festlegten. Es gab so viel mehr, das wichtiger war.
Gerade in einer hochentwickelten raumfahrenden Kultur gab es so viele
andere erstrebenswerte Dinge.
Atlan betrachtete die Holografie des Raumschiffes. Es unterschied sich in
der Form von den gängigen Kugelraumern, Diskusraumern oder
torpedoförmigen Raumschiffen. Zwei Module waren mit einem flachen
Mittelteil verbunden. An der vorderen, kleineren Kugel verlief ein
hufeisenförmiger Anbau, an dem am Ende Energiezapfer angebracht waren.
Das Heck der größeren und dickeren Scheibe war gewölbt. Dort lagen die
Triebwerke. Auf dem flachen Mittelteil thronte ein Turm, vermutlich die
Kommandozentrale. Atlan kannte noch keine Details, nur das Aussehen
dieses geheimnisvollen Raumschiffes, das offenbar eine Art
überdimensionierte Luxusjacht darstellte.
Die CASSIOPEIA war 1.000 Meter lang, an der dicksten Stelle 600 Meter
breit und 250 Meter hoch. Sie war so gebaut, dass sie im Hangar des
CACC-Resortraumschiffs ATOSGO Platz fand.
»Wer wird Kapitän der CASSIOPEIA sein?«
Milton leerte sein Glas und stellte es laut auf dem Tresen ab.
»Das, verehrter Atlan, ist der Clou. Da wird dir vor Erstaunen die
Fressluke aus dem Kiefer hängen. Es gibt keinen Kapitän. Es gibt keine
Crew. Es gibt nur ENGUYN!«
Neben dem Hologramm der CASSIOPEIA erschien eine zweite
Holografie. Sie zeigte ein Wesen mit anthropomorphe Gesichtszügen. Die
Augen waren groß und violett. Das Haupt haarlos, die Ohren waren spitz.
Hätte Atlan es nicht besser gewusst, hätte er dieses Wesen als Alysker
eingestuft, doch das Wissen um die Alysker war mit dem Posizid- und der
Datensintflut längst verlorengegangen. Außerdem hatte seit mehr 700
Jahren kein Kontakt mehr zu dem Volk bestanden. Die Alysker waren vor
190 Millionen Jahren an dem kosmischen Projekt federführend beteiligt
gewesen, das letztlich zur Erschaffung der beiden Kosmotarchen DORGON
und MODROR geführt hatte.
Was wohl aus Eorthor und seiner Tochter Elyn geworden war, fragte Atlan
sich. Immerhin dürften sie beide noch am Leben sein, weil sie
Zellaktivatorträger waren.
»Ich bin ENGUYN«, antwortete das Wesen mit angenehmer sonorer
Stimme.
»Angenehm«, erwiderte Atlan. »Und das bedeutet?«
»ENGUYN ist ein Eigenname meines Schöpfers. Ich bin in sehr
einfachen Worten, die für euch mental eingeschränkte Wesen gewählt sind –
die Positronik der CASSIOPEIA.«
»Hah«, rief Milton. »Sei nicht so bescheiden. ENGUYN ist Positronik,
Kommandant und Besatzung in Personalunion. Er steuert die gesamten
Prozesse, kontrolliert alle Serviceroboter und erstellt über Formenergie
künstliche Crewmitglieder. Die CASSIOPEIA ist vollautomatisiert und
benötigt keine Lebewesen als Besatzung.«
Cloudsky applaudierte.
»Keine Personalkosten. Genial. Das ist zukunftsweisend.«
Atlan zog lebende, selbstständig denkende Wesen den künstlichen
Intelligenzen vor. ENGUYN mochte zwar ein hochkomplexer
Rechnerverbund sein, doch eine komplette Besatzung aus virtuellen
Abbildungen und Servicerobotern machte das Schiff doch sehr einsam.
ENGUYN vermochte nicht das zu fühlen, was Raumfahrer spürten, wenn
sie auf Jungfernflug mit einem Raumschiff auf Jungfernflug gingen. Die
Vorfreude, die Besorgnis, die Freude über einen gelungenen Start und Flug,
der Stolz, den jedes Crewmitglied erfüllte, an etwas Neuem teilzuhaben, das
fehlte.
»Wer ist dein Konstrukteur?«, wollte Atlan wissen.
»Das«, meldete sich Milton, »… ist ein Betriebsgeheimnis. Ebenfalls die
Technologie, die wir in der CASSIOPEIA verwenden.« Er lachte.
»Vielleicht will die LFG die ja noch für ein paar Billiarden Galax kaufen.«
Yeremiah Cloudsky lachte nun auch.
»Ich sag’ es ja: The Sky is the Limit.«
»Oh, Atlan«, säuselte Myka, die verschwitzt in den Armen des Arkoniden
lag. Atlan atmete tief durch. Das war ein im wahrsten Sinne des Wortes
befriedigendes Stelldichein mit der Sekretärin von Kulag Milton gewesen.
Sie war seiner Einladung gefolgt, und schon waren sie im Bett gelandet.
Sie seufzte, sah ihn aus ihren rehbraunen Augen treuherzig an.
»Das war ein Fehler
Er setzte sich auf.
»Warum?«
»Kulag. Ich habe ihn verletzt. Erneut.«
Sie stieß einen tiefen Laut des Kummers aus. Atlan streichelte durch ihr
Haar. Er hatte längst bemerkt, dass sie voller Verunsicherung war. Fast
schon bedauerte er den Sex mit ihr, denn offenbar brachte sie das in einen
Gewissenskonflikt.
»Du bist seine Geliebte?«, folgerte er.
Sie nickte.
»Ich bin die zukünftige Mrs. Milton. Dann werde ich die arrogante
Sagreta in ein Black Hole schicken. Aber…«
Sie blickte Atlan wütend an.
»Doch deinetwegen habe ich meinem Sternschnuppelchen weh getan. Er
wird mir das nie verzeihen können.«
Atlan wurde die Situation langsam unangenehm. Das unverfängliche
Abenteuer entwickelte sich zu einer therapeutischen Sitzung. Sollte er ihr
die Wahrheit sagen? Kulag Milton benutzte sie nur, denn einem Mann wie
Milton war Myka Bilno herzlich egal. Er konnte sich eine Menge Frauen
kaufen, die hübscher als Myka waren. Er begehrte sie vermutlich nur, weil
sie zu seinem Umfeld gehörte. Würde sie ihm irgendwo anders über den
Weg laufen, würde er sie vermutlich nicht einmal beachten. Das Beste für
Bilno wäre ein Job- und Umgebungswechsel.
»Was veranlasst dich zu glauben, dass er mit dir zusammen sein will?«
»Weil er sagt, dass er mich liebt.«
Atlan schmunzelte.
»Manche Männer sagen viel, um den Körper einer Frau zu erobern.«
Sie erhob sich nun auch und blickte ihn verständnislos an.
»Kulag Milton ist ein Mann des Wortes. Das wirst du schon sehen. Er
wird bald Fakten schaffen!«
Atlan hätte der Aussage wenig Bedeutung beigemessen, doch Myka tat
gerade so unbeholfen, als hätte sie ein Geheimnis ausgeplaudert.
»Was werde ich sehen?«
Sie hielt sich die Hand vor dem Mund. Eilig sprang sie aus dem Bett und
zog sich etwas über.
»Ich habe schon zu viel gesagt«, sagte sie weinerlich. »Ich hoffe, dir hat
meine Delap geschmeckt, Schauspieler von Atlan.«
Sie raufte sich die Haare. Atlan stand aus dem Bett auf und legte behutsam
seinen Arm um ihre Schultern.
»Wir sollten uns nicht so verabschieden.«
»Ach, wieso?«, schrie sie und drehte sich um. »Erst mit Rasha und ihren
beiden Freunden und jetzt mit dir. Ich betrüge Kulag am laufenden Band.
So kann es ja nichts werden.«
Atlan registrierte beiläufig, dass sie eben von einem flotten Vierer
gesprochen hatte. Ganz so unbedarft, wie sie wirkte, was sie ganz
offensichtlich nicht.
»Nun, wenn ihr zusammengehört, wird das Universum einen Weg für
euch finden.«
Besänftigende Worte schienen ihm jetzt nützlich.
Und schon jetzt verfluchte er sich für seine nächsten Worte, denn er
horchte sie aus.
»Vielleicht hilfst du ihm am meisten, wenn du ihm hilfst, nun - Fakten zu
schaffen?«
Sie verdrehte die Augen.
»Ich weiß doch gar nicht, was er damit meint. Er redet ständig vom
Unternehmen Fakten schaffen! Aber was sich dahinter verbirgt, weiß ich
nicht. Ich weiß nur, dass es etwas mit der CASSIOPEIA zu tun hat und die
ter Campernas involviert sind.«
Sie seufzte, wirkte schlaff und müde. Atlan nahm ihre Hand.
»Er vertraut mir einfach nicht«, murmelte sie traurig.
Atlan nahm Myka in die Arme.
»Du musst geduldig sein, du darfst dein Ziel nicht aus den Augen
verlieren und dich nicht selbst zerstören.«
Er ließ sie los. Myka hatte ihm nicht viele Informationen geben können.
Er wollte sie nicht weiter verhören. Natürlich hätte er sie zu einer zweiten
Runde zwischen den Kissen verführen können. Sie hätte danach versucht,
ihm zuliebe Kulag Milton auszuspionieren. Doch was wäre am Ende
geschehen? Wenn sie herausgefunden hätte, dass er sie nur benutzt hatte,
wäre er nicht anders als Milton gewesen. Es hätte sie getroffen, vielleicht in
ihrem labilen Zustand zusammenbrechen lassen. Es musste einen anderen
Weg geben. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und lächelte.
»Es ist besser, wenn du dich ausschläfst und von allen Dingen etwas
Abstand gewinnst.«
Sie nickte, zog sich zu Ende an und verließ die Suite. Atlan genehmigte
sich einen Hjabar aus seiner Bar. Der klare Schnaps wirkte belebend.
Du hast dich nobler verhalten, als ich dir zugestehen würde.
Sein Extrasinn war wieder einmal sarkastisch.
Oder liegt es nur daran, dass sie nichts über das Unternehmen Fakten
schaffen weiß?
Atlan grübelte über dieses Unternehmen, während er sich auf das Sofa
setzte und an dem Hjabar nippte. Kulag Milton, die CACC und die
CASSIOPEIA. Es war nicht überraschend, dass eine Verbindung zwischen
denen bestand. Es war gut möglich, dass es eine Marketing-Aktion war.
Weshalb jedoch Miltons Assistentin über so etwas Banales wie eine Public-
Relation Kampagne nicht informiert war, machte ihn misstrauisch.
Was verbarg sich hinter dem Unternehmen Fakten schaffen?
Es war der 14. Februar 2046 NGZ. Valentinstag. Doch niemand schien sich
in Neu Terrania mehr an die Tradition der Liebenden zu erinnern. Es war
gut möglich, dass Reginald Bull in seiner Trauer um die Trennung von
seiner Frau und Tochter diesen Feiertag nicht in der Erinnerung der
Rudyner hochhalten wollte. Atlan konnte es ihm nicht verdenken, denn viel
zu viel Kommerz hatte den Gedanken an St. Valentin beeinträchtigt. Aber
war das nicht mit jedem Feiertag so gewesen?
Es war also ein ganz normaler Tag, der über Neu Terrania angebrochen
war. Die Stadt war in das orange-rötliche Licht der aufgehenden Sonne
Ephelegon getaucht. Dichtes Gewimmel in den Gleiterbahnen und jede
Menge schrille und bunte Reklame an den Fassaden der Häuser und als
übergroße Hologramme auf den Dächern prägten das morgendliche Bild der
Stadt.
Während Atlan mit seinem Gleiter im Stau stand, warf er einen Blick auf
eine dieser Werbeanzeigen. Ein grünhäutiges Mädchen tanzte zappelnd auf
der Stelle und schmierte sich Senf ins Gesicht. Der erklärende Schriftzug
besagte: »Die neue Plem-Plem-Challenge. 10 Sekunden Video-Wahnsinn.
Mach mit und teile es mit deinen Stalkys.«
Dem hatte der Arkonide nichts hinzuzufügen. Die Langeweile im Leben
so mancher Leute schien immens groß zu sein, wenn man sich mit solchen
Selbstpublikationen erfolgreich präsentieren konnte.
Es ging weiter. Atlan steuerte den Gleiter zum barnitischen
Handelszentrum, einer protzigen Pyramide aus schwarzem Marmorit. Er
flog daran vorbei. Sein Ziel war ein torbogenförmiges, mehrere hundert
Meter hohes Gebäude. Das Homer-Gershwin-Adams Zentrum, benannt
nach seinem alten Freund Homer G. Adams, der zusammen mit Terra
verschwunden war, diente als Handelsmarkt. Dort hatte die CACC, eine
Niederlassung.
Atlan landete den Stratosphärengleiter auf einem scheibenförmigen
Landeplatz. Es war warm an diesem 14. Februar. Der Arkonide schritt über
eine Brücke zum eigentlichen Gebäude, orientierte sich kurz und begab sich
in den Antigrav. Dabei schob er sich an den Massen der Besucher vorbei.
Terraner, Arkoniden, Jülziish, Cheborparner, Topsider und Springer waren
schon früh aktiv, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Mit dem Antigrav glitt
Atlan in das 87. Stockwerk. Beim Aussteigen wäre er beinahe mit einer
Haspronerin kollidiert. Das faunenartige Wesen fauchte ihn ungehalten an,
sprang genervt in den Antigrav und traf dabei einen aufsteigenden Unither
am Kopf. Das anschließende Gemecker ersparte sich Atlan. Er eilte zum
Büro der CACC.
Dort saß eine kleine Terranerin mit zu viel Sonnenbräune und Schminke
im Gesicht. Sie lackierte sich die Fingernägel. Dass es solche
klischeehaften Personen wie aus den Anfängen des Solaren Imperiums im
21. Jahrhundert NGZ noch gab, wunderte Atlan immer wieder.
»Gosner«, grüßte er sie.
Sie reagierte nicht, sondern bestaunte die glitzernden Nägel.
»Gosner«, wiederholte Atlan lauter.
Sie sah zu ihm hoch.
»Ich habe einen Termin mit Yeremiah Cloudsky
»In Ordnung, ich bin seine Sekretärin. Ich melde dich bei ihm an. Das ist
mein täglich Brot.«
Sie stand auf. Ihm fiel auf, dass sie einen sehr kurzen schwarzen Rock
trug. Nach einer Weile kam sie zurück, setzte sich und widmete sich wieder
ihrer Maniküre.
»Ich geh’ dann mal«, sagte Atlan.
Yeremiah Cloudsky befand sich hinter einer gläsernen Front und winkte
ihm bereits zu. Das Glas verschwand und bot so einen Durchgang. Kaum
war Atlan hindurch, bildete sich hinter ihm wieder die transparente Wand
aus Formenergieglas.
Sie gaben sich die Hand. Cloudsky blickte ernst drein, so als sei dies ein
bedeutender Moment.
»Vielen Dank, Herr Aslan, für deinen Besuch. Es ist mir eine Ehre, unsere
Partnerschaft zu vertiefen. Nimm doch Platz.«
Cloudskys kleine, knochige Finger lösten sich von Atlans Hand und
zeigten auf einen breiten, schwarzen Sessel. Atlan setzte sich.
»Kaffee? Vurguzz? Wein?«
»Ich nehme einen Reitzwein, bitte.«
Cloudsky blickte Atlan hilflos an und warf dann einen Blick zum weiß
leuchtenden Servoroboter, der auf sie zu schwebte und vermeldete, dass sie
keinen Reitzwein zur Verfügung haben.
»Das ist mir unangenehm«, sagte Cloudsky traurig.
Atlan winkte ab. Es war ihm klar, dass sie keinen arkonidischen Reitzwein
hatten. Das letzte Mal, dass er das dunkelgelbe Getränk mit dem starken
Aroma getrunken hatte, musste wohl am 20. April 1552 NGZ in der Solaren
Residenz gewesen sein. Damals hatte sich die Residenz noch auf Terra
befunden. Knapp vier Monate später waren sie in ihren Suspensionsflug
geraten und alles hatte sich verändert. Rein gefühlsmäßig war für ihn erst
das Jahr 1553 NGZ. Doch es waren 493 Jahre vergangen, und die Solare
Residenz thronte nun auf Rudyn über Neu Terrania statt auf der Erde über
Terrania.
»Ich nehme einen Kaffee«, sagte Atlan schließlich.
Der Servo servierte ihm eine Tasse mit dem schwarzen Getränk. Während
Atlan trank, sagte er beiläufig: »Die Planungen für die Operation Fakten
schaffen laufen wohl gut. Ich bin gespannt, was uns beim Jungfernflug auf
der CASSIOPEIA alles erwartet.«
Cloudsky blickte ihn erstarrt an, ja es wirkte, als wäre der Glosneke
erschrocken. Dann lachte er lauthals los und nickte eifrig mit dem Kopf.
»Lass dich überraschen. Wir haben das maximale Optimum an
Diversifikation tariert und die effektivste Balance der taxierenden
Benchmark für die SEL-3-Zielgruppe comitted.«
Atlan lächelte. Er war überzeugt, dass Cloudsky genauso wenig von dem
Stuss verstand wie er selbst. Doch er hatte eines herausgefunden: Yeremiah
Cloudsky wusste etwas über das Unternehmen Fakten schaffen. Er sollte
dem offenbar mehr Aufmerksamkeit widmen.
Kapitel 3 – Rufe aus der Vergangenheit
14. Februar 2046 NGZ
Ich betrachtete Eleonore. Über dem Exoskelett formten sich nun Muskeln
und Gewebe. Sie war einen Schritt weiter. Ich sah mir die Aufzeichnungen,
Interkomnachrichten und Trivid-Videos aus der Vergangenheit von
Stellacasa an.
Es waren so viele aus der Stella-Mortem – Ära. Ich fing mit einem Eintrag
aus dem Jahre 1957 an, also aus den ersten Tagen der Pandemie.
Der dritte Patient war ein kräftiger Mann im besten Alter. Er klagte seit
Wochen über Husten und Fieber, hatte es ertragen, bis ihm die Kraft
ausgegangen war. Ein multiples Organversagen drohte. Doch wir waren
völlig machtlos. Die Zellen mutierten innerhalb weniger Stunden, bis eine
expansive Zellwucherung eintrat, die den Körper regelrecht zerplatzen
ließ. Wir konnten nur tatenlos zuschauen, hatten ihm nicht einmal mehr
Schmerzmittel geben können. Er war tot. Wir waren geschockt. Wir
brauchten Hilfe.
(Tagebucheintrag Doktor Ryta Pallone, 1957)
Es folgten Kurznachrichten wie:
Der Kuss des Todes – das Virus, der uns alle tötet.
Lockdown jetzt – nur so retten wir uns.
Lug und Trug durch die Cairaner. Es gibt kein Virus.
Administration setzt auf Positronik effekte und gaukelt uns Virus vor, das
es gar nicht gibt.
Die Ausbreitung des Virus verlief zunächst schleichend und dann wie es
typisch ist immer schneller. Die Administration von Stellacasa musste
reagieren. Die Einschätzung eines renommierten Mediziners war
ausschlaggebend. Das Virus verbreitete sich im Weltraum besonders stark,
weshalb der Raumverkehr und die Kolonisierung der Asteroiden und
anderen Welten des Luce-System 1959 verboten wurde.
Es wurde noch im selben Jahr das Infektionsschutz- und
Pandemiebekämpfungsordnungsamt unter breiter Zustimmung der
Bevölkerung und High Society gegründet. Doch je mehr ich darüber las,
desto mehr kam es mir wie ein verzweifelter Kampf gegen einen Gegner
vor, den man einfach nicht verstand.
Durchhalteparolen rechtfertigten die immensen Einschnitte in die
Grundrechte der Bevölkerung. Es wurden Impfseren ausprobiert,
weiterentwickelt und wieder verworfen, denn nichts half, Stella Mortem
endgültig zu besiegen. Die Kritik an den Maßnahmen wurde einhellig von
den öffentlichen Meinungsgebern abgelehnt.
Wir müssen Eier haben. Einfach mal die Schnauze halten und
durchhalten. Das Virus wird nach einer Weile verschwinden, doch das
braucht Zeit, Impfstoff und Herdenimmunität. Solange brauchen wir die
IPO und die Quarantäne. Wollen wir denn das Virus in die Galaxis tragen
und verantwortlich für den Tod von Milliarden Intelligenzwesen sein?«
Die totale Abschottung vom Rest der Galaxis und das Verbot von
Kontakten und Versammlungen machte der Bevölkerung nach sechs Jahren
mehr und mehr zu schaffen. Die IPO übernahm die politische und
administrative Kontrolle, denn anders hätten sich diese Restriktionen nicht
mehr durchsetzen lassen.
(Professor Doktor Hasald van Leem; Physiker, Kosmologe; 1961)
Betrachten wir, also rückwirkend, unsere Entscheidungen, so halte ich sie
für angemessen. Das Leid der Bewohnenden von Stellacasa ist unendlich.
Die Bürde groß. Doch was wäre die Alternative gewesen? Ohne Verbote
und strengste Quarantänemaßnahmen, wäre die Bevölkerung vermutlich um
25 % geschrumpft. Ohne das Verbot der Raumfahrt hätten wir das Virus
Stella Mortem in die Milchstraße getragen und Billiarden Galaktiker
infiziert und ermordet. Diese Last kann und will ich nicht auf meinen
Schultern tragen.
(Edwin Klausenfluss, IPO, 1963)
Es gab Demonstrationen und Ausschreitungen, die halbherzig
niedergeschlagen wurden. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts
NGZ war der Widerstand offenbar am größten. Man nannte diejenigen, die
gegen die Maßnahmen der Pandemie waren, die Virophoben, und die
Gesellschaft gab den Virophoben die Schuld, dass das Virus noch immer
grassierte, was wissenschaftlich nicht belegt war. Die Virophoben waren
jedoch auch nicht alle harmlos gewesen und unbedingt freiheitsliebend. Sie
leugneten teilweise die Existenz von Stella Mortem, ergaben sich in
esoterisches Gefasel oder wollten einfach die Gunst der Stunde nutzen, um
zu putschen.
Es war so, als würde man ungleiche Geschwister, die sich besser aus dem
Weg gehen sollten, auf unbestimmte Zeit in ein Zimmer einschließen.
Das sind alles Lappen mit ihren Verboten. Die scheißen sich in die Hose.
Verpisst euch doch, ihr Hurensöhne!
(Ein unbekannter Nutzer von AvaMeet im Jahre 1964)
Sie wollen uns umbringen, das sage ich euch. Die Cairaner haben
Ausweglose Straßen. Stellacasa ist auf gutem Weg dorthin. Widerstand!
(Die Hellseherin vom Sternenlicht 1964)
Rein wissenschaftlich gesehen, ist die Betrachtung des Virus Stella
Mortem und die Frage, wie wir damit umgehen, die Gretchenfrage. Unter
Umständen können 2+2 auch 5 ergeben, und unter eben solchen
Umständen kann ein permanenter Lockdown die einzige Lösung sein, um
die Sterblichkeit und Verbreitung zu reduzieren. Grundrechte sind dabei
als sekundär zu betrachten. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass die
Grundrechte abgeschafft werden sollten, denn es hat niemand das Recht,
einen Mitbürger mit dem Virus zu infizieren und dadurch umzubringen.
(Professor Schwisstan Taran, 1965)
Professor Taran und Professor van Leem gehörten zum Ethischen Experten
Gremium, dem EEG. Das EEG und die IPO lösten die planetare
Administration ab, die völlig überfordert war, nachdem die wirtschaftlichen
Folgen der Quarantäne nun auch für eine Hyperinflation gesorgt hatten.
In den 60er Jahren herrschten Angst, Armut und Agonie auf Stellacasa.
Der Widerstand hielt sich jedoch in Grenzen. Es gab vereinzelt Regionen,
die aufbegehrten, Proteste und Bewegungen, ja auch einige regionale
Putschversuche Anfang der 70er, doch sie alle wurden niedergeschlagen.
Die Angst vor Stella Mortem ließ den Großteil Bevölkerung die
Kontaktsperren, Ausgangssperren, DNS-Kontrollen, Versammlungsverbote
und tiefe Armut ertragen. Und aus einer Notfallverordnung wurde
Gewohnheit. Die IPO sprach vom »neuen Alltag«.
Meinungsmacher Rass Schymmerfruit im Jahre 1969 NGZ:
»Die Virophoben sind eine verschwindend geringe Minderheit, die die
ganze Gesellschaft in Geiselhaft nimmt. Der menschliche Körper ist seit
1957 eine Tötungsmaschine, und die rücksichtslosen Virophoben sind
bereit, andere Menschen zu infizieren. Das ist Mord. Deshalb verdienen
diese Asozialen keinen Fußbreit Boden Verständnis. Ich sage, nehmt ihnen
das Geld, nehmt ihnen ihr Obdach, nehmt ihnen alles und schickt sie in ein
Tal der Asozialen, wo sie unter ihresgleichen sind und keinen Schaden mehr
anrichten können, sondern Stella Mortem das regelt.«
Offenbar war in den 70er Jahren der Höhepunkt des gesellschaftlichen
Konfliktes, den die Virophoben verloren hatten, erreicht, und die IPO hatte
sich endgültig als einzig bestimmende Administration etabliert.
Die Presse schrieb 1977:
Virophoben verboten. Ein Sieg für die Freiheit und Demokratie
und
Hasserfüllte Virophoben entlarvt. Mythos ihrer Friedfertigkeit widerlegt.
Edwin Klausenfluss verkündete im selben Jahr:
»Am 20. Jahrestag von Stella Mortem haben wir einen wichtigen Schritt
zur Bekämpfung der Pandemie gemacht und die kruden,
lebensverachtenden Machenschaften der Virophoben zum Erliegen
gebracht. Virophobie ist ab sofort strafbar, und darunter zählen Proteste
gegen die Verordnungen der IPO zur Bekämpfung von Stella Mortem,
Versammlungen, Kontakte außerhalb des eigenen Hausstandes, Verbreitung
von hasserfüllten Meinungen, die Verbreitung von virophoben und
unrichtigen Gedankengut, wie zum Beispiel die Geschichten von Perry
Rhodan, und Beleidigungen und die Verunglimpfung der Wissenschaft.«
Es wurde ruhiger in der Gesellschaft, da alles verboten war.
Aufzeichnung aus dem Jahre 1982 NGZ:
»Ich bin abgestumpft. Nie hätte ich gedacht, dass mir das einmal passieren
würde. Doch die Mitmenschen sind nicht mehr greifbar. Wie sehen sie aus?
Wie duften sie? Wie bewegen sie sich? All das ist nebulös geworden. In der
Surrealität der virtuellen Welt AvaMeet verschwunden. Weiß noch jemand,
wie eine echte Blume aussieht? Wie der Frühling riecht? Ich nicht mehr.
Nach 22 Jahren Quarantäne habe ich es vergessen.«
Eine neue Generation war herangewachsen, die nichts anderes gewohnt
war, als ihr Leben im AvaMeet zu gestalten. Der Hass war einer völligen
Gleichgültigkeit gewichen, und es schien, als wäre der Widerstand der
Gesellschaft in jeglicher Hinsicht gebrochen. Die Menschen hatten sich mit
dem Virus und der Quarantäne arrangiert und sich in ihr Schicksal ergeben.
Es waren einfach zu viele Nachrichten, um sie alle zu lesen. Sollen sich
doch Historiker mit der Auswertung beschäftigen, falls wir diese
Aufzeichnungen jemals weitergeben würden.
Es war ohnehin ohne Bedeutung, denn dieser verfluchte Planet war soeben
entvölkert worden. Ich konnte mir nicht erklären, was geschehen war, doch
das war weitaus bedrohlicher als der Virus Stella Mortem oder die
Geschichten der Rhodanmystiker.
Die ATOSGO befand sich im Startek-Sonnensystem, das rund 968
Lichtjahre von Rudyn entfernt lag. Das System besaß keine Planeten,
sondern nur eine kleine, rote Sonne, die von 34 Planetoiden umkreist
wurde. Diese großen Asteroiden waren verlassen, aber alte Stationen
zeugten davon, dass dort einst Rohstoffe abgebaut wurden.
Die kleinere, aber baugleiche SEESTERN kreiste in einem Abstand von
500 Kilometern um die ATOSGO. Kleinere rechteckige Frachter und
torpedoförmige Transporter schwebten zwischen den Schiffen und verluden
Material für die große Reise.
Ich steuerte die NOVA in Richtung ATOSGO und meldete unsere
Ankunft. Eleonores Hologramm erschien neben mir. Sie zeigte den Ansatz
eines Lächelns und sagte: »Frohen Valentinstag.«
»Was ist ein Valentinstag?«
»Ein beinahe vergessener Brauch der Rudyner, an dem Liebe und
Freundschaft zelebriert wird.«
»Ich habe weder das eine noch das andere.«
»Wir sind doch Freunde?«
Ich blickte Eleonore überrascht an. Sie lächelte oder versuchte es
zumindest. Sie musste noch an ihrer Mimik arbeiten, doch ich erkannte
schon die richtigen Tendenzen.
»Wer hat sich denn diesen Schwachsinn mit dem Valentinstag
ausgedacht?«
»Es heißt, Greg Valentin hat seinem Mann Karl in einer finsteren Stunde
einmal einen Hammer als Zeichen seiner Liebe geschenkt.«
»Das ist alles? Waren die Handwerker? Toller Brauch.«
Eleonore schwieg, während ich die NOVA in die Landebucht der
ATOSGO steuerte und sanft aufsetzte. Ich erhob mich aus dem Sessel und
verließ die Zentrale. Auf dem Weg zum Ausstieg begegnete ich Hunter und
Kuvad Soothorn, die beide eine Zigarette rauchten.
»Ich werde gleich Polly richtig durchvögeln«, stellte Hunter fest. »Was
macht ihr? Oh, ihr habt ja niemanden.«
Der arrogante Tefroder schmunzelte und ging die Landeluke hinab.
»Also ich habe ein Date mit einem Top-Model«, sagte Soothorn. Natürlich
war das eine Lüge.
»Wir müssen zunächst Ragana Bericht erstatten«, sagte ich.
Hunter grummelte und schritt voran.
Es war viel Betrieb im Hangar. Roboter schoben Antigravplattformen
durch die Halle, kleinere, fliegende Roboter mit Greifarmen pickten
Behälter davon herunter und verteilten sie. Alles wurde für das große
Rendezvous mit der CASSIOPEIA vorbereitet, die am 23. Februar starten
und zwei Tage später im Startek-System auf die ATOSGO treffen würde.
Ich konnte diesem Rummel nichts abgewinnen. Es wurde mal wieder ein
neues Luxusraumschiff präsentiert, auf dem reiche Säcke durch die Galaxis
schippern konnten, und die Ingenieure und Geldgeber suhlten sich in ihrer
eigenen Lobhudelei.
Hunter und ich ließen Soothorn zurück und begaben uns mit einem
Transmitter direkt in die 25. Etage. Kaum waren wir materialisiert, erblickte
ich die leidvolle Miene der Geschäftsassistenz Bismaria da Enta. Sie
seufzte, als sie uns sah, und verzog das Gesicht. Das war mal eine herzliche
Begrüßung. Die Imarterin Bytta Wolden schwebte auf ihrem Antigravstuhl
durch den Raum und klagte ihr Leid über diese anstrengende Zeit. Die
Jülziish Gorlü stimmte ein, und niemand wüsste zu schätzen, was sie hier
an der Front leisten würden.
Wenn sie nur wüssten, was Hunter und ich an der echten Front geleistet
hatten, dass wir ein ganzes Nest an Rhodanmystikern ausgelöscht hatten,
wenn auch nur mittels dieser Temporalen Anomalie. Sie würden es nicht
einmal verstehen, wenn man es ihnen im Detail erklären würde, so sehr
waren sie mit sich selbst beschäftigt und in ihrer kleingeistigen Welt
gefangen.
Die drei betrachteten uns abfällig, als würden wir sie in ihrer wichtigen
Arbeit stören.
»Wir kennen den Weg«, sagte Hunter gelassen und ging zielstrebig auf die
Tür zu, hinter der die privaten Gemächer der Familie ter Camperna lagen.
Das erste, was ich erblickte, als sich die Tür öffnete, war ein halbnackter
Rudyner, der nur einen blauweiß gestreiften Morgenmantel, schwarze
Shorts und weiße Socken trug. In seiner rechten Hand hielt er eine Flasche
Vurguzz, in der linken eine glimmende Zigarette.
Das hagere Gesicht des 1,79 Meter kleinen Rudyners zierte ein feiner,
Oberlippenbart. Theofyr Sobrasky war der leitende Ingenieur der ATOSGO
und persönlicher Freund von Ragana ter Camperna. Um es genauer zu
sagen, er war ihr Geliebter und konnte sich deshalb allerlei Freiheiten
erlauben.
»Sobby«, begrüßte Hunter ihn.
Sobrasky hob zur Begrüßung die Flasche und nahm einen kräftigen Zug.
»Was verschafft mir die Ehre?«
»Wir wollen zu Ragana«, sagte ich kühl.
Sobrasky grinste seltsam und deutete mit dem Kopf auf ein großes Tor.
Ich atmete tief durch, denn dahinter verbarg sich der Abdrücksaal der
Onryonen. Die Ausscheidung ihrer Exkremente war für dieses Volk ein
gesellschaftliches Ereignis. Das bedeutete also, dass wir dem beiwohnen
sollten, und nicht, wie es in anderen Kulturen üblich war, höflich und
dezent draußen warteten, bis sie ihr Geschäft verrichtet hatten.
»Wer ist da drin?«
»Sie und ihre Söhne. Ich kündige euch an.«
Ehe ich Einspruch einlegen konnte, war Sobrasky bereits durch die Tür
und rief laut, dass wir mit Ragana sprechen wollten. Dann kam er wieder
raus und winkte sich zu uns. Ich war froh, dass meine Maske die
kommenden Gerüche filtern würde.
Es bot sich mir ein groteskes Bild. Im Zentrum des Abdrücksaals befand
sich ein runder Tisch, an dem Konsolen mit Monitoren, Interfaces und
Hologrammprojektoren montiert waren. Dahinter waren kreisförmig verteilt
die eigentlichen Toiletten. Es waren acht an der Zahl, und drei von ihnen
waren besetzt. Die Familie ter Camperna saß buchstäblich mit
heruntergelassenen Hosen vor uns, doch es war ihnen in keiner Weise
unangenehm. Wie es sich gehörte, saß die Matriarchin zwischen ihren
beiden Söhnen. Ihren grünen Rock hatte sie abgestreift. Er bedeckte ihre
Füße.
Topp ter Camperna, der Betreiber der Mubiko-Discos auf den CACC-
Schiffen, trug noch weniger als Sobrasky, denn er hatte nur Schuhe an. Sein
Bruder Vopp, der als Positronikgenie bekannt war, trug auf dem Kopf eine
Propellermütze, ein olivgrünes Shirt und khakifarbene Halbhosen, die an
den Knien hingen. Sein Gesicht war verkniffen, und das Emot-Organ
pulsierte goldorange, was ein Zeichen für Anstrengung bei dieser Spezies
war. Er streckte die Beine von sich, presste die Hände fest auf die Schüssel,
auf der er saß und gab klagende Laute von sich. Er fing an zu zittern, so
sehr, dass einer der Filzpantoffel von seinem Fuß fiel. Die Zehen presste er
zusammen. Dann schrie er laut und in Ekstase auf. Das Emot-Organ
wechselte zu Rosa, und er zuckte noch, ehe er sich stöhnend entspannte und
wir das Platschen in die Schüssel hörten, die von explosionsartigen
Geräuschen begleitet wurden. Ein regelrechter Sturzbach schien sich
herniederzugießen. Beinahe eine ganze Minute verging, ehe die
Abdrückung ein Ende gefunden hatte.
Vopp atmete schwer, dann aktivierte sich der Propeller auf seiner Mütze,
und der Onryone schnupperte nach dem Duft seiner Ausscheidungen. Er
wirkte nun zufrieden, und das Emot-Organ leuchtete in einem hellen Weiß
der Freude.
»Da hast du aber ein schönes Häufchen gemacht, mein Kleiner. Mama ist
stolz auf dich«, lobte Ragana ihn. Sie atmete tief durch. »Hm, und wie das
duftet. Es ist eine schön säuerliche und herbe Note darin.«
Nun fing Topp an zu stöhnen und trampelte mit den Füßen auf dem
gekachelten Fußboden. Er schien nun auch eine Wurst zu produzieren, auf
die seine Mama stolz sein sollte.
Vopp ter Camperna atmete noch immer schwer, hatte die Füße von sich
gestreckt und starrte an die Decke. Keiner von den drei ter Campernas
schenkte uns Beachtung, bis Hunter sich räusperte.
»Wünschen Sie sich an unserer Abdrückerei zu beteiligen?«, fragte
Ragana verhalten.
»Nein, wir wurden zu Ihnen zitiert, um offensichtlich Bericht über
Stellacasa zu erstatten«, antwortete Hunter und erzählte von den
Ereignissen. Er ließ natürlich die Folter aus, berichtete recht nüchtern von
den Vorfällen und endete mit den Worten: »Die Temporale Anomalie ist uns
zuvorgekommen, denn dadurch sind die aufgedeckten Rhodanmystiker
ohnehin verschwunden. Das schmälert jedoch nicht unser Kopfgeld.«
Topp ter Camperna zappelte immer noch auf dem Abdrückstuhl und
fluchte vor sich hin. Ragana lehnte sich zurück und schmunzelte.
»123.000 Rhodanmystiker auf einen Schlag verschwunden. Das ist
beachtlich. Wir werden jedoch auf Bestätigung durch den Sekretär des
sternwestlichen Konsulats warten müssen. Bis dahin kümmern Sie sich um
die Sicherheit der ATOSGO, Hunter
Sie drückte auf das Touchpad vor ihr, und Sobrasky trat hinein. Der
Ingenieur wurde von zwei zylinderförmigen silbernen Flugrobotern
begleitet, die je einen Tentakel- und einen Waffenarm besaßen. Am Rumpf
leuchteten rote Lampen. Die Roboter eskortierten einen Epsaler mit
Vollbart, der einen blauen Latzanzug trug, auf dem das Logo der CACC
zwei gekreuzte Besen vor einer Wolke – zu sehen war.
Kulag Milton (C) Gaby Hylla
Die beiden Wachroboter richteten ihre Waffenarme auf den Epsaler, der
mit gesenktem Kopf vor das runde Schaltpult trat.
»Das ist Tomaszk«, sagte Sobby.
»Ich weiß, wer das ist«, antwortete Ragana ernst.
»Echt Mama? Wie merkst du dir die ganzen Namen?«, fragte Vopp ter
Camperna immer noch echauffiert. Sie stand auf und zog langsam und
lasziv ihren Rock wieder hoch. Ragana blieb am Rondel stehen.
»Mein lieber Sohn, dieser Mann gehört zum MCS, dem Mobile Cleaning
Service. Tomaszk nutzt dabei deinen alten Space-Jet. Doch der ist in einem
erbärmlichen Zustand, denn Tomaszk hat viel mehr HAWK-Konverter
verbraucht, als nötig waren, weil er private Flüge unternommen hat.«
Vopp nickte und sagte: »Nein, das kann doch nicht wahr sein. Ich… ich
bin enttäuscht. Wirklich enttäuscht von dir
Das Emot-Organ leuchtete in Ocker. Ein Zeichen für Erschütterung.
»Ihr bezahlt mich so schlecht, dass ich mir irgendwas als
Gelegenheitskurier dazuverdienen muss. Was soll ich denn machen?
Verhungern?«
»Natürlich sind wir die Schuldigen. Ihre Uneinsichtigkeit ist ebenso
impertinent wie Ihre haltlosen Anschuldigen«, sagte Ragana und wandte
sich in Richtung Vopp.
Sie machte eine Geste, so dass er sich etwas zur Seite drehte, dann fuhr sie
mit der Hand in die Schüssel und rührte darin umher. Sie zog ihre Hand
wieder heraus, die nun braun vom Kot war. Ragana gab den Robotern ein
Zeichen, die nun die Arme und Beine des Epsalers in ein Energiefesselfeld
hüllten, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte.
Ragana stellte sich vor ihn und drückte ihm die Hand ins Gesicht.
Langsam ließ sie von ihm ab. Der braune Abdruck ihrer Finger und
Handfläche klebte nun in seinem Gesicht. Das war unglaublich demütigend.
»Die braune Hand der ter Campernas hat Sie gezeichnet. Verlassen Sie
mein Raumschiff.« Die beiden Roboter schwebten surrend los und
lockerten die Energiefesseln, so dass Tomaszk in Schimpf und Schande die
ATOSGO verlassen konnte.
Vopp ter Camperna sah kopfnickend seine Mutter an.
»Ich verstehe das nicht. Wieso ist jemand so gemein?«
Seine Stiefmutter zuckte mit den Schultern.
»Undank ist denen gewiss, die selbstlos geben. Wir sind zu gut für diese
Galaxis.« Nun wandte sich Ragana wieder uns zu.
»Was stehen Sie noch so unnütz herum? Machen Sie sich an die Arbeit.«
Hunter ertränkte seinen Frust zusammen mit Polly Callos in einer Flasche
Vurguzz. Es nagte an meinem Chef, dass er vielleicht leer ausging und das
Kopfgeld nicht ausgezahlt wurde. Die durchschnittliche Belohnung für
einen Rhodanmystiker lag bei 1.000 Galax. Unsere Unternehmung auf
Stellacasa war also 123.000.000 Millionen Galax wert gewesen, doch
Ragana zierte sich und wartete auf Bestätigung durch die Cairaner, ob die
Temporale Anomalie wirklich die gesamte Bevölkerung ausgelöscht hatte.
Selbst wenn diese Bestätigung kommen sollte, konnte sie uns immer noch
einen Strick daraus drehen, dass diese 123.000 Rhodanmystiker durch die
Anomalie verschwunden waren und nicht durch unsere Arbeit.
Was mich anbelangte, so konnte ich gut auf dieses Blutgeld verzichten,
auch wenn es mir die Freiheit garantieren würde. Schon allein deshalb
würde sich die CACC gegen eine Auszahlung sträuben, denn wir waren als
ihre Vasallen mehr wert.
Ich lag auf dem Bett in meiner Kabine auf der NOVA und grübelte nach,
denn mir war nicht danach, mich sofort um die Sicherheitsmaßnahmen für
das Rendezvous zwischen der ATOSGO und der CASSIOPEIA zu
kümmern. Die ATOSGO besaß gerade einmal zwölf Sicherheitsroboter und
außer Hunter und mir niemanden mit Kampferfahrung. Was sollte man da
organisieren?
»Nathaniel?«
Es war die Stimme von Eleonore. Sie erschien als Hologramm und setzte
sich auf die Bettkante.
»Was gibt es?«
Ich war müde, und auch wenn mich ihr Besuch und die Gespräche immer
freuten, so war es in diesem Moment irgendwie eine Last für mich.
»Ich habe eine Aufzeichnung von Stellacasa gefunden. Cordelius Crouch
sprach mit seinem Forschungspartner Komin Kumush im Jahre 1972 über
die Quelle. Kumush erwähnte darin, dass sie sicher in Vhrataalis im Palast
des alten Oberst Kerkum versteckt sei.«
Ich setzte mich auf. Den Namen Kerkum hatte ich kürzlich erst gehört.
Oberst Kerkum war ein ehemaliger Herrscher der Welt Mashratan gewesen.
Vor wenigen Wochen war ich erst im Mashritun-System, um diesen elenden
Nichtsnutz Kuvad Soothorn zu fangen.
»Mashratan«, flüsterte ich.
»Das ist korrekt«, bestätigte Eleonore. »Vhrataalis ist eine Stadt dort, die
jedoch nur noch spärlich bevölkert ist. Große Teile davon hat sich die
Wüste zurückgeholt. Mehr Informationen liegen mir jedoch nicht vor
Ich aktivierte mein Interkom und informierte Ragana ter Camperna
persönlich. Sie hatte inzwischen den Abdrücksaal verlassen, denn im
Hintergrund hörte ich das schrille Schreien ihrer Enkelkinder und sah das
Wandbild einer Herbstlandschaft, was darauf hindeutete, dass sie sich nun
in ihren Privatgemächern befand. Das Gespräch war kurz und knapp.
»Fliegen Sie sofort nach Mashratan und besorgen das Artefakt. Hunter
wird sich alleine um die Sicherheitsmaßnahmen kümmern. Stellen Sie eine
Crew zusammen.«
Ich stand im weißgrauen Hangar vor der NOVA und beobachtete die
zylinderförmigen Sicherheitsroboter mit den zwei Tentakeln, die langsam
auf mich zuschwebten. Sie hatten diesmal nicht den abtrünnigen Epsaler im
Schlepptau, sondern eine Akonin und einen Tefroder. Langsam schritten sie
auf mich zu. In ihren Gesichtern zeigte sich eine deutliche Abneigung mir
und dem Schiff gegenüber. Die beiden Gefangenen waren die
Rhodanmystiker Larida Yoon und Jevran Wigth. Sie hatte ich als
Besatzungsmitglieder ausgewählt, da sie die einzigen waren, die auch nur
ansatzweise Ahnung von der Quelle der Rhodanmystiker hatten.
Von rechts näherten sich zwei weitere Gestalten, auf deren Anwesenheit
ich gut verzichten konnte. Zum einen der Springer Kuvad Soothorn, der
mir, seitdem Hunter und ich ihn vor einigen Wochen auf Mashritun
gefangen genommen hatten, auf die Nerven ging. Neben ihm bewegte sich
wie in Zeitlupe der Hauri Cilgin At-Karsin. Er trug sein helles Leinenhemd
über der schwarzen Hose, während Soothorn wieder seine blaue
Kombination und sein Cappy trug. Die beiden Rhodanmystiker trugen
natürlich noch dieselbe Kleidung, die sie anhatten, als wir sie auf Trafalgar
gefangen genommen hatte. Die rothaarige Akonin Larida Yoon hatte ein
schwarzes Oberteil und eine braungrüne Hose an. Ihr tefrodischer Begleiter
war in eine Kombination aus einer lindgrünen Jacke und einer blauen Hose
gekleidet.
Ich betrachtete meine Crew und war alles andere als begeistert, denn bis
auf Yoon und Wigth brauchte ich keinen, doch Ragana hatte darauf
bestanden, sowohl Soothorn als auch At-Karsin mitzunehmen. Ich wusste
nicht, was sie in den beiden sah oder ob sie die beiden nur einfach
loswerden wollte.
Vielleicht waren ja sowohl der Springer als auch der Hauri motiviert
genug, um zumindest auf die zwei Rhodanmystiker aufzupassen.
»Wir starten in einer halben Stunde. Soothorn und At-Karsin wechseln
sich mit der Wache der beiden Rhodanmystiker ab. Die Bordpositronik
Eleonore und ich fliegen die NOVA. Das ist nicht eure Sache. Eure einzige
Aufgabe ist es, die beiden Rhodanmystiker zu bewachen, so dass sie keinen
Unsinn machen. Verstanden?«
»Verstanden, Herr Kopfgeldjäger«, sagte Cilgin At-Karsin scheinbar
vergnügt. »Es ist mir…«
Ich hob die Hand.
»Schon gut. Das reicht mir
Ich gab den Robotern ein Zeichen, und sie deaktivierten die
Energiefesseln. Instinktiv griff ich an den Holster, in dem sich mein Strahler
befand. Zuerst hinkte Jevran Wigth an mir vorbei. Der dunkelhäutige
Tefroder blickte mich mürrisch an.
»Dürfen wir erfahren, wo es hingeht?«
»Später«, antwortete ich. »Los, weiter!«
Er tat, was ich ihm befahl. Larida Yoon ging wortlos an mir vorbei, dann
folgten Soothorn und At-Karsin. Ein schwarzer, kastenförmiger Roboter
verstaute derweil neue Vorräte im Frachtraum.
»Wow! Was ist das denn für ein dunkler Ritter?«
Ich drehte mich um. Da stand eine Frau mit pechschwarzen Haaren und
dunklen Augen vor mir. Ihre helle Haut war gut gebräunt. Sie trug eine enge
schwarze Kombination, welche im Brustbereich einiges zeigte und zu den
Schultern transparent wurde. Ihr Oberkörper und die Arme waren von
Tätowierungen übersät. Am Hals trug sie Tattoos in Form von zwei
Bissspuren und Bluttropfen.
»Hey, mein Lieber, ich bin Rasha«, säuselte sie.
Was wollte diese aufgetakelte Frau von mir? Sie war schön, aber auf eine
verruchte Art und Weise, die mich eher abschreckte. Dabei war das
lächerlich, denn generell schreckte mich jede Art von schöner Frau ab und
bereitete mir Unbehagen, denn ich war in den Augen einer schönen Frau
nur ein Freak.
»Der schweigsame, dunkle Raumfahrer steht vor seinem Raumschiff und
fliegt wohin?«
Was wollte sie nur von mir - und wer war sie?
Sie seufzte und lächelte.
»Du machst es mir wirklich nicht leicht. Ich bin Rasha, eine
Meinungsmacherin und Passagier auf der ATOSGO. Ich suche auf meiner
Reise durch die Milchstraße immer nach neuen Storys und beeindruckenden
Galaktikern.«
Sie war mit ihren vielleicht 1,70 Meter deutlich kleiner als ich. Sie blickte
lächelnd zu mir hoch. In ihren dunklen Augen erkannte ich eine blau-
violette Nuance.
»Die Pressesprecherin der CACC wird dir sicher weiterhelfen können«,
sagte ich. Sie verzog das Gesicht zu einer Schnute.
»Ich habe mit so einer Westra ta Annyc gesprochen, eine Arkonidin mit
einem hässlichen Kurzhaarschnitt. Eine furchtbar falsche Frau, die im
Grunde genommen nichts kann, als so zu tun, als könnte sie etwas.«
»Du hast ihr Wesen erkannt«, stellte ich fest und war etwas beeindruckt.
Sie war nicht so oberflächlich, wie ich angenommen hatte.
»Du arbeitest also für die CACC und bist der Kommandant der…?«
Sie drehte sich etwas zur Seite und betrachtete die Space-Jet.
»… der NOVA?«
»Ich bin der Navigator der NOVA.«
»Und so unendlich wortkarg.«
Sie stöhnte und drehte sich um, als ob sie etwas im Hangar suchte. Ich sah
ihren unbedeckten Rücken und war von ihrem Tattoo irritiert, denn dort war
eine Bestie abgebildet. Das Wesen kam mir irgendwie vertraut vor, obwohl
ich es noch niemals zuvor gesehen hatte. Der Kopf des grauen Untiers war
eine Mischung aus einem Elefanten, die es auf Rudyn, Olymp und Plophos
gab, und einem Unither. Der Rüssel war lang, die vier pechschwarze Augen
erinnerten eher an eine Spinne. Ich zählte sechs kleine Hörner auf dem
sonst haarlosen Haupt der Zeichnung. Dieses Geschöpf war faszinierend.
Und Rasha war es auch. Sie wandte sich mir wieder zu und blickte mich
erwartungsvoll an.
»Mein Name ist Nathaniel Creen. Ich bin Söldner im Dienste der CACC.«
»Na also«, sagte sie und lächelte. Sie fuhr mit ihrem Zeigefinger über
meine Brust. Ich spürte die Berührung nicht, denn die Panzerung meines
Raumanzugs war zu stark.
»Wofür braucht die CACC Söldner? Zeigst du mir dein Schiff?«
»Das ist geheim - und nein. Ich starte gleich.«
»Oh«, machte sie erwartungsvoll. »Wohin? Darf ich mit? Das wird eine
tolle Story, und vielleicht sehe ich auch das Gesicht hinter der Maske?«
»Das würde dich nur enttäuschen.«
Ich schob sie sanft von mir; sie verstand und ging zwei Schritte zurück.
»Es geht zu einer Routinemission. Ich kehre vor der Ankunft der
CASSIOPEIA wieder zurück. Wenn noch der Bedarf besteht, können wir
uns dann unterhalten.«
Sie wirkte pikiert.
»Ich ziehe ein Abenteuer jetzt vor
»Das ist nicht solch ein Abenteuer, das Meinungsmacherinnen bestreiten.«
Sie seufzte.
»Willst du da Antworten auf dein Leben finden? Oder ein Schlüssel zu
dem pyramidenförmigen Artefakt?«
Woher wusste sie davon? Ich blieb stehen und war sprachlos. Sie hingegen
lächelte zufrieden.
»Polly Kallos hat geplaudert. Sie treibt es mit deinem Kommandanten,
und wir haben halt etwas gequatscht, und ich finde deine Geschichte
interessant. Keine Erinnerung an dein Leben, nur ein geheimnisvolles Gerät
als Hinterlassenschaft. Darf ich es sehen?«
»Nein!«
»Irgendwann vielleicht? Möglicherweise kann ich helfen, dein Artefakt zu
öffnen?«
»Das bezweifle ich, Meinungsmacherin. Guten Tag!«
Ich drehte mich um und ging die Rampe hoch. Hastig drückte ich auf den
Knopf, der die Luke hochfahren ließ. Diese Rasha war eine seltsame
Person. Sie war hatte Anziehungskraft, doch ich war nicht so dumm, ihr
von den Rhodanjägern oder meinem Leben zu erzählen, zumal sie
vermutlich eine Frau war, die gerne alles mit ihren Stalkys teilte. Ich begab
mich zum Cockpit. Das Hologramm von Eleonore saß bereits dort. Sie
lächelte mir zu.
»Was machen die Gäste?«
»Die sind ruhig. Ich beobachte sie, und sollten Soothorn und At-Karsin
unachtsam sein, kann ich immer noch Türen verschließen und die beiden
Terraforscher festsetzen.«
»Sehr gut.«
Ich leitete die Startsequenz ein und blickte aus dem Fenster. Rasha stand
nun am Geländer und winkte mir lächelnd zu.
»Du hast eine neue Freundin gefunden? Wirst du mich jetzt nicht mehr
benötigen?«
»Was?«
Ich blickte Eleonore verwirrt an.
»Ich kenne die Frau kaum, und sie ist bestimmt keine neue Freundin, und,
nein, ich werde deiner nicht überdrüssig und…«
Ich hielt inne.
»Du bist eifersüchtig?«
»Bin ich das?«
Ich lachte. Das war eine menschliche Regung. Eleonore war eifersüchtig
und befand sich damit auf gutem Weg, Gefühle zu entwickeln oder
zumindest unbewusst zu simulieren.
Ich startete die NOVA. Das Antigravtriebwerk hob uns drei Meter in die
Luft, dann flog ich zum Schott, beschleunigte und verließ den Hangar. Vor
uns lag der dunkle Weltraum mit Milliarden funkelnden Sternen.
Ich aktivierte das Lineartriebwerk. Nun ging es nach Mashratan.
Kapitel 4 – Die Temporalen Anomalien
16. Februar 2046 NGZ
Atlan war auf dem Weg zum Büro von Reginald Bull. Es war recht leer im
Sicherheitsbereich der Solaren Residenz. Eine Krankheitswelle hatte die
Belegschaft erwischt. Viele Sicherheitskräfte lagen mit Fieber und Grippe
im Bett. TARA-Kampfroboter verrichteten stattdessen ihren Dienst. Der
Terranische Resident blickte auf ein dreidimensionales Bild über dem
Kaminsims, das den Goshun-Salzsee zeigte. In seiner rechten Hand hielt er
eine Tasse.
»Du musst dir das ansehen«, sagte er und fügte hinzu: »Kaffee steht auf
dem Tisch.«
Atlan nahm sich eine Tasse vom runden Glastisch, der einen Meter über
dem Boden schwebte und schenkte sich aus der Kanne, die daneben stand,
vom dem heißen Schwarzen ein. Bull tippte auf sein Multicom, und das
Bild über dem Kaminsims änderte sich. In die Wand war offenbar ein
Monitor eingelassen. Es wurde nun eine Auswahl an Trivid-Videos
angezeigt. Sie zeigten Gesichter, den Hintergrund eines Raumschiffes oder
den Weltraum.
Atlan stellte sich neben Bull. Ein Ploppen hinter ihnen verriet, dass Gucky
materialisiert war. Weder Atlan noch Bully drehten sich um.
»Karottensaft steht im Kühlschrank«, sagte Bull.
»Denkt ihr, ich ernähre mich nur von Karotten? Außerdem habe ich hier
einen Spinat-Smoothie, der sehr lecker ist. Das würden die Herren ja
bemerken, wenn sie sich umdrehen würden. Oh, machen wir einen
Filmvormittag? Dann hätte ich Chips mitgebracht. Was sehen wir denn?«
Bull tippte wieder auf das Display seines Multicoms, und das erste Video
startete. Zu sehen war der Weltraum. Es war nichts Besonderes an diesem
Video. Das Weltall war schwarz, und die Sterne leuchteten weiß.
»Spannend«, kommentierte Gucky ironisch.
Plötzlich zuckten grüne und blaue Blitze durch die Aufnahme. Der
Hintergrund verfärbte sich in ein dunkles Rot. Zuerst war es nur ein kleiner,
kreisförmiger Fleck, dann wurde er größer, und die Intensität der Blitze
nahm zu.
»Das sind Aufnahmen, die ein Forschungskreuzer gemacht hat. Wir sehen
die Entstehung einer Temporalen Anomalie im Heimatsystem der Siganesen
und Algustranern, Gladors Stern«, berichtete Bully.
Aus der Temporalen Anomalie traten drei Kugelraumer hervor. Bull hielt
die Aufnahme an und zoomte das Bild heran. Atlan erkannte den Namen
des Schiffes: LEDA. Das Wappen an der Seite des Raumers kam Atlan nur
zu bekannt vor. Es waren zwei von Händen gehaltene Spiralnebel auf
blauem Hintergrund. Das war die Flagge des Solaren Imperiums.
»Die Kolonisierung von Siga fand statt, als du im Tiefschlaf warst. Die
LEDA war das Schiff der ersten terranischen Kolonisten auf Siga. Doch die
besiedelten den Planeten im Jahre 2003 alter Zeitrechnung«, sagte Bull und
leerte seine Tasse Kaffee.
»Was machen die dann hier und jetzt?«, wollte Gucky wissen.
»Geister aus der Vergangenheit«, kommentierte Atlan knapp. Etwas
Besseres fiel ihm nicht ein, denn er war von diesem Anblick überwältigt.
Bull setzte die Übertragung fort. Nach zwei Minuten wurde die Anomalie
kleiner, und die LEDA mit ihren beiden Begleitern löste sich auf.
»Das wurde dann gestern auf Plophos aufgenommen«, erklärte Bull,
während er das zweite Video abspielte. Zunächst war das Gesicht eines
Plophosers zu sehen, der die Kamera anschließend aus dem Fenster hielt.
Blitze zuckten, der Himmel war rot gefärbt, Shiftpanzer schwebten die
Straße entlang. In der Mitte der Kolonne fuhr ein Gleiter mit offenem Dach,
der deutlich erkennbar von einem Schutzschirm gesichert war. In dem
Wagen stand ein Mann und winkte einer imaginären Menge zu. Die Kamera
zoomte heran. Atlans Herz pochte für einen Moment stärker, als die
Erinnerungen hochkamen. Der Mann in dem Gleiter war mittelgroß mit
breitem, wuchtigem Körperbau und grauem Haar. Er trug eine Uniform mit
einem hohen Halskragen, eine Schärpe und viele Orden.
Das war Iratio Hondro. Jener Obmann von Plophos, der im Jahre 2328
einen offenen Angriff auf das Solare Imperium gewagt hatte, indem er
Perry Rhodan, Atlan, Bully, André Noir und Melbar Kasom gefangen
genommen und den Zellaktivatorträgern ein Gift verabreicht hatte. Damals
hatten sie herausgefunden, dass die Zellaktivatoren auch vor Vergiftungen
schützten. Jedenfalls war der Diktator von Plophos ein unangenehmer
Zeitgenosse gewesen. Zu Atlans Erleichterung löste sich die Kolonne mit
Hondro synchron mit dem roten Himmel und den Blitzen auf.
»Wir haben außerdem Mitteilung vom NDE, dass eine Temporale
Anomalie im gesperrten Luce-System auftauchte. Wissenschaftler des NDE
untersuchen noch die Anomalie, doch dort wurden jede Menge Funkwellen
mit Nachrichten aus der Vergangenheit aufgefangen. Ein Kontakt zur
Bevölkerung ist aufgrund einer von den Cairanern verhängten Quarantäne
nicht möglich«, sagte Bull, während er zum Tisch ging und seine Tasse mit
Kaffee ausfüllte.
Gucky warf sich auf das Sofa und seufzte.
»Was ist, wenn sich die Temporalen Anomalien nicht mehr auflösen?«
Der Ilt blickte die beiden fragend an.
»Dann haben wir ein Zeitchaos«, stellte Bull trocken fest und seufzte
ebenfalls. »Wir müssen das genauer untersuchen. Die Temporalen
Anomalien verfolgen kein bestimmtes Muster, es scheint, sie tauchen
willkürlich in der Galaxis auf. Manchmal scheinen sie sich über Stunden
anzukündigen. Dann müssen wir schnell reagieren.«
»Bedeutet das, dass wir an dem Flug der CASSIOPEIA nicht mehr
teilnehmen müssen?«, wollte Atlan wissen. Er wäre darüber durchaus
erfreut, denn er empfand das als Zeitverschwendung, auch wenn ihm dieses
geheimnisvolle Unternehmen Fakten schaffen ein ungutes Gefühl bereitete.
Bull winkte ab.
»Nein, ihr seid dort besser aufgehoben. Außerdem wird der sternwestliche
Konsulatssekretär Roch Miravedse dort sein. Vielleicht könnt ihr
herausfinden, was die Cairaner über die Temporalen Anomalie wissen. Und
wenn dieser Typ Milton irgendwas mit seiner Operation gegen die LFG
plant, muss ich das wissen.«
Dann war es entschieden. Atlan und Gucky würden am 23. Februar am
Jungfernflug der CASSIOPEIA von Rudyn in das Startek-System
teilnehmen und hofften, dass sie in keine Temporale Anomalie geraten
würden.
Kapitel 5 – Die neue Assistentin
16. Februar 2046 NGZ
»Ich bin Constance Beccash.«
Sie schenkte den beiden Männern ein Lächeln und wusste, dass es auf sie
wirken würde. Der blauhäutige kleine Wicht blickte sie verlegen an, starrte
dann auf den Boden und wieder zu ihr. Er war verunsichert. Der andere
Mann hingegen wirkte keineswegs schüchtern auf sie. Die wasserblauen
Augen musterten sie von Kopf bis Fuß. Sie kannte solche Männer. Sie
musste nicht einmal Telepathin sein, um dessen Gedanken zu erraten.
Vermutlich schätzte er gerade den Umfang ihrer Brüste und zog sie vor
seinem geistigen Auge aus.
Ob Dorgonen oder Terraner Männer waren immer gleich. Waren das
überhaupt Terraner oder nannten sie sich jetzt Lemurer - oder einfach nur
Galaktiker? Constance war schon vergesslich geworden durch den Schleier
der Lethe, aber die Milchstraßenbewohner schienen ihre ganze Geschichte
innerhalb von einigen hundert Jahren völlig vergessen oder verdrängt zu
haben.
Perry Rhodan hatte nie existiert. Wer daran glaubte, war plemplem. Terra
und Luna ein Planet und sein Mond hatte es angeblich auch niemals
gegeben. Alles Erfindung von dummen Rhodanmystikern, die Aluhüte
trugen. Wieso war der Aluhut ein Markenzeichen von offenbar geistig
Verwirrten? Das war doch eigentlich absurd, zumal jemand, der an die
Existenz eines historisch dokumentierten Planeten glaubte, bestimmt kein
Hut aus Alufolie tragen würde. Constance verstand die Gedanken der
Galaktiker nicht so richtig.
Was sie verstand war, dass ihre Gegenüber sie geil fanden und ihr am
liebsten die Kleider vom Leib gerissen hätten. Der Rudyner mit den
wasserblauen Augen, den schlohweißen Haaren und dem Bierbauch grinste
und lehnte sich tief in den schwarzen Sessel zurück.
»Was kannst du denn so alles?«, fragte er schließlich.
»Oh«, antwortete Constance säuselnd. »Ich kann Kaffee kochen, euch an
eure Termine erinnern und enge Klamotten tragen.«
Sie lachte laut. Das musste doch Wirkung zeigen.
»Es ist bedauerlich, dass du dich bei der CACC beworben hast. Als meine
Assistentin würdest du mich auf Geschäftsreisen begleiten und zu
wunderschönen Welten reisen und in teuren Villen leben. Bei der Milton
Company zahlt sich harte Arbeit noch aus.«
Constance kicherte.
»Das ist total lieb, Mister Milton. Aber das bringt mich ja jetzt in
Verlegenheit. Ich habe mich doch als Assistenz im Sales Team von Mister
Cloudsky beworben.«
Der blauhäutige Glosneke winkte ab.
»Wir könnten ein Jobsharing machen.«
»Ach, ich soll es euch gleichzeitig besorgen?«
Yeremiah Cloudsky und Kulag Milton sahen sich verwundert an. Das gab
Constance Gelegenheit, sich in dem Büro umzusehen. Es war hell.
Überhaupt wirkte alles sehr weiß und penibel geputzt in Cloudskys Büro im
Homer G. Adams Zentrum. Bis auf einen Papierhaufen mit
handschriftlichen Notizen und eine braune Tasche gab es keine
persönlichen Gegenstände bei Cloudsky, nicht einmal Bilder oder
Hologramme seiner Familie. Warum er noch Ausdrucke auf seinem Tisch
liegen hatte, konnte sie auch nicht beantworten.
Constance Beccash betrachtete sich in einer spiegelnden Fläche. Das
dunkle Haar war zu einem strengen Zopf gebunden, die grün-blau
irisierenden Augen wurden durch die künstlichen Wimpern und den
Lidschatten untermalt, die vollen Lippen durch den roten Lippenstift
hervorgehoben. Ihr persönlich war die Schminke viel zu aufdringlich, doch
sie wollte billig und verrucht auf die beiden Männer wirken. Ihr war klar,
dass sie diesen Job nicht aufgrund von Intelligenz und Charakter
bekommen würde.
»Die Glasfront kann man abdunkeln, oder?«, fragte Milton.
Cloudsky nickte.
Constance seufzte.
»Also, wenn ich richtig verstehe, sucht ihr eine Assistentin für die
bevorstehende Kreuzfahrt der CASSIOPEIA? Habe ich den Job jetzt? Falls
nicht, so habe ich gleich noch ein Bewerbungsgespräch in der Solaren
Residenz bei einem gewissen Atlan.«
Das Gesicht von Kulag Milton erstarrte für einen Moment. Dann verzog er
die Mundwinkel nach unten. Constance streckte die Beine aus. Natürlich
hatte sie einen kurzen Rock an und zeigte viel Bein. Cloudsky starrte auf
ihre Schenkel, als würde er völlig ausgehungert vor einem Grillwagen
stehen und die Schenkel eines Brathühnchens auf dem Grillspieß
betrachten. Vielleicht träumte er auch davon, mit seiner feuchten Zunge ihre
Beine abzulecken und an ihren Zehen zu lutschen. Sie betrachtete ihre pink
lackierten Fußnägel, die sich an ihren schlanken Zehen sehen lassen
konnten. Sie verkniff sich ein Schmunzeln. Jedenfalls dachte Cloudsky
bestimmt nicht an den Jungfernflug der CASSIOPEIA. Das war ihm
anzusehen.
»Der Backgroundcheck ist Voraussetzung für ein Bewerbungsgespräch bei
der Milton Company. Ich nehme an, das gilt auch für die CACC?«
Miltons Frage galt dem Super-Sales-Manager, der immer noch
nachdenklich ihre Füße anstarrte. Milton räusperte sich laut. Cloudsky
blickte ihn verdutzt an.
»Was? Ja… natürlich. Alles in Ordnung.«
Er lächelte über beide Wangen.
»Na, dann stell sie ein«, schlug Milton vor. »Ich schlage Miss Beccash als
Verbindungsmanagerin vor
Constance Zaryah Beccash ist das Objekt der Begierde von Kulag Milton und Yeremiah Cloudsky.
(C) Gaby Hylla
Milton stand auf. Sofort schwebte ein weißer Servoroboter surrend zu ihm.
Aus dem Bauch des Roboters schob sich ein Tentakelarm, an dessen Ende
eine Tasse mit einer dampfenden Flüssigkeit von zwei Greifwerkzeugen
festgehalten wurde. Dem Geruch nach war es Kaffee.
»Oh ja, ich nehme auch einen«, rief Constance und sprang auf. Cloudsky
wäre fast aus seinem Sessel gefallen, so erschrocken wirkte er über ihre
spontane Geste.
»Frauen kommen zuerst bei Geld, Speis und Trank Männer im Bett auf
ihr«, sagte Milton und lachte über seinen Witz, den Constance nicht lustig
fand, weil er nicht nur plump war, sondern auch keine geistreiche Pointe
hatte. Sie fasste es als eine Art primitives »Ladys first« aus dem 21.
Jahrhundert NGZ auf. Es war eine terranische Redewendung gewesen, die
in einer Epoche ohne Terra nicht existierte oder deren Herkunft sich keiner
bewusst war. Constance genoss den Duft des frischen Kaffees und zögerte
den ersten Schluck noch etwas heraus.
Sie war nie auf Terra gewesen und hatte die terranische Kultur vor allem
durch die Kolonisten in Cartwheel kennen gelernt. Sie war Perry Rhodan
begegnet und hatte mit seinem Sohn Michael, der sich immer als Roi
Danton bezeichnet hatte, auf Rideryon so einige Abenteuer erlebt.
Es war lange her. Wie lange, das hatte sie vergessen. Der verdammte
Schleier der Lethe hatte ihr Gedächtnis ziemlich getrübt. Waren es sieben,
siebzig oder siebenhundert Jahre? Sie betrachtete ihre feinen Hände. Nein,
wie siebenhundert Jahre sahen die nicht aus. Auch wenn einer ihrer
künstlichen pinken Fingernägel abgebrochen war. Die Dinger hielten nicht
lange. In der Tiefe des Chaos jedenfalls hatten die Roboter der Terra-
Stationen ihr die Kultur nähergebracht. Sie hatte unzählige Kaffees in den
leeren Diners getrunken und sich Geschichten von Mr. Terrapedia angehört.
Cloudsky legte ihr einen Reader vor.
»Der Vertrag. Unterschreibe mit dem Fingerabdruck.«
»Hm«, machte sie und las sich erst einmal alles geruhsam durch, während
sie ihren heißen Kaffee trank.
Dieser blaue Zwerg hatte sie doch mitten aus ihren Gedanken gerissen.
Scheiße!
Sie sah das Datum.
16. Februar 2046 NGZ. Dann war sie wirklich fast 800 Jahre alt. Das hätte
sie doch beinahe wieder verdrängt. Dem Segen des Osiris sei Dank. Oder
war es der Segen von Amun? Verdammter Schleier der Lethe. Wieso war
sie nur so vergesslich?
Immerhin hatte sie eine Mission im 21. Jahrhundert NGZ, und die
gedachte sie nicht zu vergessen. Sie drückte ihren Daumen auf das Display
und lächelte. Dann fing sie an hysterisch zu kichern.
»Juhu, jetzt bin ich in der CACC-Family. Das ist so cool und super super
mega.«
Milton verzog das Gesicht. Das war ihm wohl zu laut. Cloudsky hingegen
ballte die Fäuste und rief »Ja, Family!«
Milton rückte seinen massiven Bauch in der Hose etwas zurecht und
blickte die beiden aus seinen wasserblauen Augen an.
»Der Flug der CASSIOPEIA wird in die Geschichte eingehen. Ich erwarte
eure volle Hingabe. Yeremiah wird dich in deine Aufgaben einweisen.«
Dann lächelte er und zwinkerte. »Wenn du Fragen hast oder bei einer
Sache nicht weiterkommst, können wir das gerne bei einem Essen zu zweit
in einem schicken, teuren Restaurant besprechen.«
»Sehr super-du-per gerne«, rief sie mit geheuchelter Aufregung. Sie
verabschiedete sich, dankte Cloudsky und Milton einige Male, zwinkerte,
lächelte, streckte die Brüste etwas raus und gab sich naiv. Als sie endlich
den Bürokomplex verlassen hatte, atmete sie tief durch.
Die Rohrbahn-Linie 86-A steuerte auf den Stadtteil Orakanu zu. Constance
versuchte die Massen an Mitfahrern zu ignorieren. Das war nicht so
einfach. Sie konnte die Augen schließen, doch es blieben die Geräusche:
Das Glucksen, Husten, Schniefen und schwer Atmen. Würde doch jeder
von ihnen ein Akustikfeld tragen.
Constance stieg an der Station 27 im Stadtteil Orakanu aus. Sie wurde
mehr oder weniger durch die Masse fluchender Menschen aus der Bahn
geschoben. Sie atmete tief durch. Es waren zu viele Galaktiker unterwegs,
seitdem es in einem Aktionsmonat eine komplett kostenlose Nutzung der
Rohrbahn auf ganz Rudyn gab. Man wollte so den Gleiterverkehr wohl
etwas entspannen, aber die Bewohner und Besucher von Rudyn nutzten das
mit ihrer unangenehmen Art und Weise. Die Fahrgäste beschimpften sich
gegenseitig, weil jeder einen Platz ergattern wollte.
Constance drängte sich an den Massen von Terranern, Arkoniden, Blues
und Topsidern vorbei und erreichte das Geländer der röhrenförmigen
Hochbahnstation. Sie blickte auf die orangefarbenen Dächer der
Wohntürme, in denen seit Jahrhunderten vornehmlich einfache Arbeiter
lebten. Ihre Wohnung befand sich in Wohnturm 817 in der Thereme-
Eisenstein-Road. Constance war neugierig gewesen, wer die
Namensgeberin gewesen war, doch so recht hatte ihr keiner weiterhelfen
können, denn die Geschichte Rudyns lag ebenso wie die der Milchstraße im
Dunklen. Das Terraneum konzentrierte sich auf die großen historischen
Eckpfeiler. Schließlich war sie in einer Datenbank doch noch fündig
geworden. Thereme Eisenstein war eine skrupellose Kalfaktorin der
Zentralgalaktischen Union gewesen, die vor Tausenden von Jahren
ermordet worden war. Vermutlich war es gut für ihr Vermächtnis, dass man
sie vergessen hatte, sonst wäre die Straße vermutlich umbenannt worden.
Sie schwebte im Antigrav knapp 400 Meter abwärts und verließ die
Hochrohrbahnstation in Richtung Thereme-Eisenstein-Road, die zwei
Blocks entfernt lag. Der kürzeste Weg führte durch einen Markt, der gut
besucht war. Es roch derb nach Muurt-Würmern in Tunke, nach scharfem
Opraler Chilli, nach Springnusskuchen und dem süßen Duft von
Margellisfrüchten.
Die Galaktiker handelten miteinander. Ein Rudyner prüfte die
Margellisfrüchte, indem er mit dem Finger auf die gelbe Schale drückte.
Dann nickte der bärtige Mann, und der topsidische Verkäufer nannte den
Preis. Am Stand gegenüber sangen Peepsies den aktuellen Schlager »Ich
glaub doch nicht an Perry Rhodan – das ist doch alles nur erlogen.«
Seltsamer Song im Zentrum der Nachfolgeorganisation der Liga Freier
Terraner, dachte Constance. Doch im Gegensatz zu anderen Welten
herrschte hier eben Meinungsfreiheit. Ein hohes Gut, das für die besonderen
Ideale der Terraner stand.
Hinter den Sängern saßen vier Jülziish in langen Gewändern und rauchten
irgendein Kraut aus geschwungenen Pfeifen. Eine Gruppe schreiender
Kinder, alle Terraner oder Rudyner, wie es inzwischen hieß, rannte an ihr
vorbei. Sie überlegte kurz, ob sie einen Topf Opraler Chilli für zu Hause
mitnehmen sollte. Das Zeug war verdammt scharf und schmeckte richtig
gut. Sie liebte diesen speziellen Geschmack nach Paprika und Tomate, der
beim rudynischen Chilli besonders intensiv war. Sie hielt zielstrebig auf den
Stand zu. Ein gedrungener Ara in einem weißen Shirt stand dahinter und
rührte seelenruhig in einem großen Topf.
Aras waren vor allem als Mediziner bekannt, doch natürlich war eine
ganze Spezies nicht nur einem Beruf verschrieben.
»Ich bin Flossy Suss, mein Chilli ist deine Medizin. Wie viel möchtest
du?«, fragte der Kegelköpfige mit den roten Augen.
Constance bestellte einen großen Topf mit einer Extraportion und dazu ein
Baguette.
»Das ist doch Synthofleisch?«
»Schmeckt wie ein Schwein, ist es aber nicht.«
»Sehr schön. Ich bin Vegetariern.«
Das glaubte sie zumindest. Sie konnte es eigentlich nicht genau sagen,
was sie die letzten 800 Jahre alles gegessen hatte. Der Schleier der Lethe
hatte sie regelmäßig viel vergessen lassen.
Flossy Suss reichte ihr einen Topf. Sie nahm einen Miniantigrav aus ihrer
Tasche und aktivierte ihn. Damit hob sie den Topf hoch und verabschiedete
sich. Sie spazierte über den Markt, den Topf wenige Zentimeter vor sich
und erreichte dann die Thereme-Eisenstein-Road. Der graue, triste
Wohnturm lag vor ihr. Die Eingangshalle war leer. Ein Servoroboter
schwebte vor einer weißen Konsole und begrüßte sie freundlich. Nach
einem Sicherheitsscan öffnete sich die Tür zum Treppen- und
Aufzugsraum. Sie begab sich mit dem Aufzug in den 31. Stock. Auf dem
Hausflur stank es wieder nach Müll. Die Kowakus-Carsen, ihre Nachbarn,
stellten ihren Müll immer erst einmal in den Hausflur und hatten es nie
eilig, den Müll wegzubringen. Dabei war der Konverter am Ende des
Ganges.
Sie rümpfte die Nase und trat gegen den Müllbehälter. Der Unrat verteilte
sich auf dem Boden.
»Hups, wie ungeschickt von mir
Ihr Appartement lag am Ende des Korridors. Die Wohnung war schlicht
eingerichtet, denn sie wohnte hier erst seit zwei Wochen und würde nicht
lange bleiben. Sie hatte einen Schlafplatz, einen Platz zum Essen und ein
Bad zur Körperpflege. Mehr bedurfte es für ihre Mission nicht.
Sie hatte ihr erstes Ziel erreicht und war überrascht, wie einfach das
funktioniert hatte. Kulag Milton und Yeremiah Cloudsky waren so sehr auf
Constances äußere Vorzüge fixiert gewesen, dass die beiden sie ohne
Nachdenken engagiert hatten. Natürlich waren das nur Amateure, aber
Cloudsky hatte eben keinen Backgroundcheck gemacht, obwohl er es
Milton erzählt hatte.
Constance füllte das heiße Chilli in eine Schüssel, setzte sich auf die
Couch und nahm einen großen Happen von dem scharfen Zeug. Ui, das war
gut. Sie öffnete eine Flasche Wein und nahm einen kräftigen Schluck. Hier
sah sie ja keiner, und als sie Jahrhunderte in dem Kosmogenen Segler war,
hatte sich auch keiner um die Etikette gekümmert.
Kulag Milton erinnerte sie an den dorgonischen Kaiser Volcus, der ihr
damals nachgestellt und sich für absolut unwiderstehlich gehalten hatte.
Volcus war auf dem Rideryon gestorben und sicherlich keines gewaltfreien
Todes. Die genauen Umstände waren in den Wirren der August- und
Septembertage des Jahres 1308 NGZ nicht ganz eindeutig gewesen.
Wie so vieles nicht klar gewesen war. Wehmütig dachte sie an Cauthon
Despair. Was war aus ihm geworden? Hätte sie ihn retten können, wenn sie
nur konsequenter gewesen wäre? Trotz all seiner scheußlichen Taten, hätte
er es nicht verdient gehabt, gerettet zu werden? Ein einsames, zerbrochenes
Herz ohne jede Hoffnung auf Absolution und Liebe.
Constance seufzte und stieß dabei auf. Das Chilli machte sich bemerkbar.
Oder der Wein.
Sie nahm noch einen Schluck von dem süffigen halbtrockenen Wein und
aktivierte das Trivid. Gelangweilt schaltete sie durch die Sender, doch
erschrocken erstarrte ihr Daumen, als sie die Worte »Temporale Anomalie«
las. Eine grünhäutige imartische Nachrichtensprecherin erklärte »…
Phänomen. Bisher gab es keine offizielle Stellungnahme von den Cairanern.
Einzig Reginald Bull warnt vor sogenannten Temporalen Anomalien.«
Die Moderatorin runzelte die Stirn.
»Wird uns hier ein Raumfahrergarn aufgebunden oder gibt es eine echte
Gefahr? Versucht der Resident damit seine innen- und außenpolitischen
Probleme temporär zu anomalieren?«
Offenbar war die Nachrichtensprecherin noch stolz auf ihr verunglücktes
Wortspiel, das sie voller Überheblichkeit vortrug. Diese dumme Frau!
Natürlich mussten sie in Sorge sein. Temporalen Anomalien waren der
Vorbote des Zeitchaos. Constance wurde schwer ums Herz. Bald würde
Nistant die Milchstraße erreichen.
Kapitel 6 – In der Wüste von Mashratan
17. Februar 2046 NGZ
NOVA
Nathaniel Creen
Ich kehrte ins binäre Sonnensystem Mashritun zurück. Dort hatte ich vor
einigen Wochen Kuvad Soothorn auf dem Mond Mashritun A
gefangengenommen.
Vermutlich hatte Soothorn heute, nun Teil unserer Crew, auf ein
Raumfahrergedeck in seiner Kneipe Muckhain gehofft. Ein
Raumfahrergedeck bestand aus einem Bier und einem Vurguzz. Für den
Säufer Soothorn sicherlich viel zu wenig. Der ungastliche Mond war jedoch
nicht unser Ziel.
Das System mit einem Braunen Zwerg als planetarem Begleiter lag im
südwestlichen Quadranten, also im sternwestlichen Konsulat der Cairaner.
Das Sonnensystem befand sich im äußeren Bereich des Perseus-Armes. Es
war unklar, woher diese Sternenregion ihren Namen hatte. Der Legende
nach war Perseus ein akonischer Sportler, der die griechischen
Meisterschaften auf Olymp gewonnen hatte. Seine Arme waren besonders
stark, weshalb man wohl den Spiralarm so getauft hatte.
Die beiden Sterne trugen den Namen Mashritun-A und Mashritun-B. Der
gelbe Stern Mashritun-A war vom Spektraltyp G8V, während Mashritun-B
vom Spektraltyp M6V war und dunkelorange leuchtete. Mashritun-A war
mehr als doppelt so groß wie B. Die Oberflächentemperatur der gelben
Sonne lag bei 5.620 Grad Celsius. Damit war sie auch fast doppelt so heiß
wie Mashritun-B, denn dort herrschte eine durchschnittliche Temperatur
von 2.945 Grad. Beide Sterne umkreisten einen gemeinsamen
Masseschwerpunkt. Der Bahndurchmesser lag bei 0,02 Astronomischen
Einheiten für die Sonne A, bei der zweiten Sonne betrug er 0,08
Astronomischen Einheiten. Die Umlaufdauer um den Schwerpunkt betrug
1,48 Tage bei Sonne A, während die Sonne B 3,41 Tage brauchte.
Das System hatte sechs Planeten.
Mashritun-1 war mit 112 Grad Celsius ein nicht bewohnter
Gesteinsbrocken.
Mashritun-2 war ein Gasplanet mit einer Oberflächentemperatur von
1.984 Grad. Es herrschte eine Gravitation von 2,81 g. Auch dort lebte
niemand.
Der Gasplanet hatte sich in den äußeren Regionen des Systems gebildet
und war in das innere System gewandert. Er wurde durch die Sonnen
aufgeheizt. Monde besaß dieser Planet trotz seiner großen Schwerkraft
nicht.
Mashritun-3 war ein weiterer Gesteinsbrocken, auf dem im Durchschnitt
minus 14 Grad herrschten. Es gab auf dieser Welt kleinere Stationen, in
denen Erze und andere Rohstoffe abgebaut wurden.
Auch Mashritun-4 war ein kalter, kleiner Gesteinsbrocken, auf dem
Mineralien abgebaut wurden. Wegen der Schwerkraft von nur 0,12 g war
der Abtransport recht einfach. Jedoch herrschten mit minus 38 Grad auch
eisige Verhältnisse auf der gefrorenen Welt.
Die Hauptwelt war Mashratan, der fünfte Planet des Systems, eine
Wüstenwelt mit einer durchschnittlichen Temperatur von 19 Grad. Das
klang zunächst recht milde und freundlich, doch es gab viele Regionen, in
denen die Temperatur schnell auf 60 Grad und mehr anstieg. Für uns
Menschen war die Schwerkraft mit 1,04 g beinahe ideal. Zwei Monde
Hugin und Mugin kreisten um den Planeten, der 13.678 Kilometer
durchmaß.
Mashratan war unser Ziel.
Dann existierte noch ein Braune Zwerg mit der Bezeichnung Mashritun-6.
Er hatte 26 Monde. Diese Welt stabilisierte die Umlaufbahnen der inneren
Planeten und verhinderte die Entstehung weiterer Planeten jenseits seiner
Umlaufbahn. Mashritun-6 bildete aufgrund seines infraroten
Lichtspektrums eine eigene habitable Zone. Auf dem Mond Mashritun-6A
war Leben möglich. Zwar besaß der Satellit nur eine dünne Atmosphäre,
doch die Siedlungen boten vor allem flüchtigen Raumfahrern eine Bleibe.
Dort hatte ich im wohl legendären Muckhain den Springer Kuvad Soothorn
aufgegabelt.
Ich hätte nicht erwartet, so schnell ins Mashritun-System zurückzukehren.
Ich genoss es, dass sich Hunter auf der ATOSGO befand und die
Vorkehrungen für den Jungfernflug der CASSIOPEIA traf. Jetzt hatte ich
das Kommando. Eleonore saß neben mir. Genauer gesagt ihr Hologramm,
denn ihr Androidenkörper war noch nicht fertig. Hinter uns lümmelte sich
Kuvad Soothorn auf dem Sessel herum. Er qualmte eine Zigarette und
schlürfte ein akonisches Bier. Anscheinend wehmütig blickte er auf die
dreidimensionale Karte des Systems.
»Können wir nicht doch einen kleinen Stopp im Muckhain machen?
Mony wird mich schon richtig vermissen.«
»Nein«, sagte ich entschlossen. Mit Mony meinte er vermutlich die alte
Chefin der Spelunke mit ihrer rauchigen Stimme. Bestimmt vermisste sie
den Springer nicht, der seine Zeche am Ende ohnehin nicht gezahlt hatte.
»Was machen unsere Gäste?«
»Sie haben Freude daran, den Hauri zu ärgern«, antwortete Eleonore. »Ich
sehe bisher keine Veranlassung einzugreifen.«
Die NOVA steuerte direkt auf Mashratan zu. Die sandfarbene Kugel
wurde größer, und ich erkannte feine blaue Linien und Punkte, die kleine
Flüsse und Seen darstellten. Es gab nur wenig Wasser auf Mashratan, und je
näher wir dieser Welt kamen, desto mehr überkam mich ein Gefühl des
Unwohlseins. Es war, als wäre ich hier schon einmal gewesen und hätte
keine guten Erinnerungen daran. De facto hatte ich gar keine Erinnerungen
an einen Besuch auf Mashratan, aber da war etwas in meinem
Unterbewusstsein, das mir ein beklemmendes Gefühl vermittelte.
Die NOVA tauchte in die Atmosphäre ein. Ich steuerte das Raumschiff
durch eine kleine Wolkendecke und überflog eine schroffe Steppe mit
kleinen, kahlen Bergen. Über die Außenbordkameras erkannte ich sogar die
Pflanzen.
»Der Planet ist eine Wüstenwelt, die vorhandenen Wasservorkommen
befinden sich überwiegend unter der Oberfläche«, begann Eleonore. »Freies
Oberflächenwasser ist selten und wird durch unterirdische Quellen gespeist.
Nur in den Polarregionen existieren größere Wasservorkommen in Form
von kleineren Polkappen unter ausgedehnten Sanddünen.
Im zentralen Sainahgebirge existierten Hyperkristallvorkommen.«
Interessant. Das bedeutete, die Ladhonen statteten Mashratan sicherlich
regelmäßig Besuch ab, sofern das Hyperkristallvorkommen nicht schon
ausgeschöpft war. Die Kristalle, die für den Hyperraumflug benötigt
wurden, waren in der Milchstraße selten.
»Die Topografie Mashratans ist durch vier gewaltige Hochebenen geprägt,
die sich etwa 200 bis 500 Meter über die planetenumspannende Sandwüste
erheben«, fuhr sie fort. Während sie erzählte, sah ich über die
Außenbordkamera ihre Worte bildlich vor mir.
»Die gewaltigen Sandwüsten, die die früheren Meere ausgefüllt haben,
sind noch immer weitgehend unerforscht. In der Umgangssprache der
Mashraten werden sie als der ›Vorhof der Hölle‹ bezeichnet.«
Nun räusperte sich Kuvad Soothorn.
»Wir sollten vielleicht umkehren?«
Was für ein Feigling, der Angst vor Ammenmärchen, Sand und Hitze
hatte. Vermutlich hatten die Nomaden ihnen diese Bezeichnung gegeben,
weil es dort sehr heiß wurde und es keine Oasen gab.
»Selbst die an das heiße Klima des Planeten angepassten Bewohner
können in den ausgedehnten Tiefebenen ohne entsprechende
Schutzkleidung nicht überleben«, bestätigte Eleonore meine Vermutung.
Der Springer lachte.
»Nicht, dass ich Angst davor hätte. Ich könnte bei dieser Affenhitze
tagelang ohne Wasser auskommen.«
Die Mashraten besiedelten also die Hochebenen, da dort bessere
klimatische Verhältnisse herrschten.
»Was wissen wir über die besiedelten Gebiete?«
»Ich weiß gar nichts«, antwortete Soothorn.
»Ich meinte nicht dich. Eleonore?«
Sie schenkte mir ein feines Lächeln. Ihre Gesichtszüge wurden immer
menschlicher.
»Innerhalb der kontinentalen Hochebenen befinden sich ausgedehnte
Gebirgszüge, die oberhalb einer Grenze von ca. 3.000 Metern ein mit
Rudyn vergleichbares Klima aufweisen.
Doch auch hier wirkt sich der fehlende Wasserkreislauf aus, denn
Niederschläge sind äußerst selten. Bergspitzen über etwa 7.000 Meter
weisen ausgedehnte Gletscher auf, deren Schmelzwasser die
Hauptwasserquelle Mashratans darstellt. In den ausgedehnten Hochebenen
herrscht eine Landschaft vor, wie wir sie eben durchflogen haben. Steppen
wechseln sich mit Sand- und Geröllwüsten ab. Die Oasen sind die
wichtigsten Wasserquellen, die sich aus dem kontinentalen Tiefenwasser
speisen. Im Laufe der Zeit haben die Mashraten künstliche Flüsse angelegt,
an deren Ufern sich weitere kleine Siedlungen gebildet haben.«
Das reichte mir als Geologieunterricht über Mashratan. Mich interessierte
nun die Bevölkerung von Mashratan und vor allem die Stadt Vhrataalis und
der geheimnisvolle Palast von Oberst Kerkum.
Es existierte keine planetare Raumflugkontrolle auf Mashratan. Es war
genauso wie auf dem Mond von Mashritun-6. Doch es gab Flugkontrollen
in den besiedelten Regionen. Ich wusste nicht, wie weit ich mich mit der
NOVA vorwagen konnte.
Die Region Vhrataalis erstreckte sich über 2.300 Quadratkilometer, da sie
sich in mehrere Siedlungen aufteilte. Es schien keine Metropole zu geben.
Die Ortschaften waren durch Rohrbahnen miteinander verbunden.
Zwischen ihnen gab es nur die Wüste, die sich Dutzende Kilometer
zwischen den Orten erstreckte.
Die Rohrbahnen mussten eine besondere Bedeutung für die Bewohner
haben. Sie stellten einen gewissen Schutz vor den Gefahren bei Tag und
Nacht der Wüste dar. Jedes vernünftige Lebewesen würde eine Reise mit
der Rohrbahn wohl einem Fußweg vorziehen.
Ich aktivierte den Laurin-Tarnschutz und flog in den Bereich der
Raumflugkontrollen. Sie konnten unsere NOVA offenbar nicht erfassen.
»Gibt es irgendwas, das auf den Standort eines Palastes von diesem Oberst
Kerkum schließen lässt?«, fragte ich Eleonore.
»Ich durchsuche die frei zugänglichen digitalen Datenbanken bereits, doch
es heißt, dass das Grab und die Schätze von Oberst Kerkum im Sand
verlorengegangen sind. Außerdem liegt ein Fluch des Vhrato auf dem
versunkenen Palast, so dass sich die Einheimischen wohl nicht trauen,
danach zu suchen. Jedenfalls sind keine archäologischen Ausgrabungen
erwähnt.«
Die NOVA verharrte in einer Position von 700 Metern über der
Oberfläche. Eleonore scannte die Region, wobei uns nicht klar war, wonach
wir suchten.
»Soothorn, verschwinde aus der Zentrale und bring mir die beiden
Rhodanmystiker
»Das geht auch freundlicher«, ätzte der Springer. Ich drehte mich um. Das
reichte aus, damit er aufstand, beschwichtigend die Hände hob und das
Cockpit verließ.
Ich betrachtete auf den Bildschirmen und Hologrammen die Siedlungen
von Vhrataalis. Sie waren kreisförmig angeordnet, meist um einen zentralen
See oder eine Oase. Die Häuser waren kuppel- und kastenförmig. Auf den
flachen Dächern der rechteckigen Gebäude waren häufig Gärten und
Terrassen angelegt. Einige Bewohner saßen auf den Dächern, kochten,
wuschen die Wäsche oder lagen einfach nur auf den Boden, rauchten und
blickten zu den Sternen, nachdem beide Sonnen vom Firmament
verschwunden waren.
Der Wechsel zwischen Tag und Nacht folgte einem komplizierten System,
das durch die Umlaufbahnen der beiden Sonnen um den gemeinsamen
Masseschwerpunkt und die Achsneigung des Planeten von 29 Grad bedingt
war. Das Verhältnis Tag zu Nacht lag im Durchschnitt etwa drei zu eins,
wobei man eigentlich von zwei Tageshälften sprechen musste. Solange der
Gelbe Zwerg hoch am Himmel stand, war sein Lichtspektrum
vorherrschend.
In den letzten Stunden des Tages wurde das Spektrum mehr und mehr
durch den Roten Zwerg bestimmt. Die vorherrschende Farbe des Himmels
ging über Orange zu einem düsteren Rot.
Die beiden Monde Hugin und Mugin hingen sichelförmig am Firmament
und leuchteten rot-golden. Hugin wirkte größer als Mugin. Beide Monde
glichen einer trostlosen Kraterlandschaft und waren nur spärlich besiedelt.
Mein Augenmerk fiel auf drei spitze, weißgraue Türme, die aus dem Sand
empor ragten. Sie mochten 20 bis 30 Meter hoch sein. Zweihundert Meter
davon entfernt war ein runder Turm zu sehen, dessen Großteil vermutlich
auch vom Sand verschlungen war. Das waren Anzeichen von Ruinen einer
alten Stadt, die dem unbarmherzigen Treiben des Sands im Laufe der
Jahrhunderte zum Opfer gefallen war.
Soothorn kam mit Cilgin At-Karsin, Larida Yoon und Jevran Wigth
zurück. Es wurde unangenehm voll im Cockpit.
»Mashratan«, stellte Jevran fest.
»Dort liegen die Ruinen der ehemaligen Stadt Vhrataalis und der Palast
des Oberst Ibrahim el Kerkum«, ergänzte Larida Yoon.
»Schwachsinniger Humbug«, kommentierte der Hauri.
»Du bist selber schwachsinnig und nicht symmetrisch im Kopf.«
Larida tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.
»Ruhe«, rief ich genervt, denn so viele Wesen im Cockpit waren furchtbar.
Es war eng, sie waren laut und kamen mir viel zu nah.
Ich entdeckte einen Hügel, der vielleicht 90 Meter hoch und 60 Meter
breit war. Er war aufgrund der ebenen Oberfläche ein idealer Landeplatz für
die NOVA, der uns eine gute Übersicht über die Vhrataalis-Region bot. Ich
umrundete mit der NOVA das Plateau, das steil in die Höhe ragte. Es waren
keine Wege oder Treppen zu sehen. Das bedeutete, dorthin konnten sich
keine Besucher verirren. Ich landete die NOVA, und die Laurin-
Tarnvorrichtung breitete sich über das gesamte Plateau aus, so dass wir
nicht zu orten und nicht zu sehen waren, uns aber außerhalb der NOVA
bewegen konnten. Ich fühlte mich unwohl bei so vielen Passagieren. Das
Herz pochte schneller und ich fühlte mich eingeengt. Sie sollten sich
verteilen und mir Raum lassen.
»Raus jetzt. Atmet die frische, warme Luft des Planeten. Wir werden
draußen weiterreden.«
Die kleinen Siedlungen funkelten wie Sternenhaufen im Dunkel der Nacht.
Die Ortschaften wirkten nicht so überladen wie die großen galaktischen
Metropolen, sondern beschaulich, ja fast sogar sympathisch. Dabei wusste
ich gar nichts über ihre Beschaffenheiten und über die Lebensqualität dort.
Zehn Meter von der NOVA entfernt hatten wir ein Lager errichtet. Es
waren herkömmliche Zelte aus formbarem Stoff. Bewusst verzichtete ich
auf die Nutzung von Formenergie. Die Formenergieprojektoren kosteten
viel Energie und waren leicht zu orten. Es musste für ein provisorisches
Lager ausreichen. Einzig Eleonore behielt ihren Körper aus Formenergie.
Die nötige Energie speiste sie aus der NOVA.
Die beiden Rhodanmystiker, Soothorn und At-Karsin hatten ein rundes
Zelt aufgebaut. Im Zentrum des Lagers befand sich ein Unterstand mit
einem Tisch und fünf Stühlen. Auf dem Tisch wurde die digitale Karte der
Vhrataalis-Region angezeigt.
Ich zählte 23 Siedlungen, die in der Region verteilt lagen und allesamt
durch Rohrbahnen miteinander verbunden waren. Mir fiel auf, dass es nahe
der großen Ruinen keine Ortschaften gab, obwohl dort kleine Oasen lagen.
Die Ortung zeigte nur einige Lager von Nomaden.
Kuvad Soothorn lag in seinem soeben fertig aufgebauten Zelt und schien
zu schlafen. Die anderen waren am Tisch versammelt.
»Wir sollten Kontakt mit den Einheimischen in der Siedlung aufnehmen.
Sie können uns mehr erzählen«, schlug Jevran Wigth vor und deutete auf
einen Ort namens Shalab-el-Vrat.
»Du wirst mich begleiten. Dann kannst du zeigen, wie groß dein Wissen
über angebliche Kolonien Terras ist.«
Der Tefroder blickte mich verdutzt an.
»Ist das eine Art Eingeständnis, dass Rhodan und Terra wirklich
existieren?«
»Wir werden sehen.«
Ich kontrollierte meinen Strahler und steckte ihn danach wieder in den
Holster.
»Wir nehmen die Gravo-Paks.«
Eleonore hatte sie bereits aus der NOVA geholt und vor einer blauen Kiste
verstaut. Insgesamt besaßen wir vier graue Gravo-Paks, die wie ein
Rucksack umgeschnallt wurden. Sie waren 30 Zentimeter breit und 60
Zentimeter lang. Das Gravo-Pak bestand aus einem Antigrav und einem
Gravojet als Feldantrieb.
Ich legte ein Pak um. Jevran hatte etwas Mühe, die Träger um die Schulter
zu legen, doch Larida Yoon half ihm wortlos. Als er fertig war, nickte er
mir zu.
»Keine Angst, dass ich fliehe?«
»Wohin solltest du denn in dieser öden Wüste? Außerdem wirst du deine
Freundin nicht zurücklassen.«
Jevran Wigth wechselte einen kurzen Blick mit Larida. Ich startete das
Gravo-Pak und schwebte davon. Der Tefroder folgte mir nach einigen
Momenten. Unter uns lag die Wüste in der Finsternis. Vereinzelt leuchteten
die Lichter der Siedlungen, und das Heulen von Tieren war zu vernehmen.
Zumindest flüsterte mir Eleonore über Interkom ins Ohr, dass die
Wüstenhyäne auf Mashratan sehr schrill und stakkatoartig heulte, während
der Vhratoschakal einen durchgängigen Laut besaß. Ein gelbroter Strahl
zog sich inmitten der Finsternis von einem Licht zum anderen. Das musste
die Rohrbahn sein.
»Was sagen die Legenden über diesen Planeten?«, fragte ich Wigth.
»Du meinst die Geschichtsbücher?«
»Rede endlich!«
»Mashratan war lange Zeit eine gewöhnliche Kolonie des Solaren
Imperiums. Die Familie der Kerkums war fast 2.000 Jahre lang sehr
einflussreich. Vor 800 Jahren gewann Mashratan an Bedeutung, als Oberst
Ibrahim el Kerkum mit Hilfe einer Terrororganisation namens MORDRED
in der Galaxis einen Krieg anzetteln wollte. Anfangs versuchte Kerkum
sogar, Perry Rhodan dafür zu gewinnen, doch der lehnte ab. Später kämpfte
Kerkum gegen Rhodan.«
»Ich nehme an, er hat verloren?«
»Das ist richtig. Die MORDRED wurde zerschlagen. Es ist Ironie, dass
ihr Anführer, jemand der aus den Reihen von Perry Rhodan stammte, von
seiner rechten Hand umgebracht wurde. Cauthon Despair wiederum hat
Rhodan gerettet.«
Vor uns lag Shalab-el-Vrat.
»Was ist mit Kerkum geschehen?«, wollte ich wissen.
»Er wurde öffentlich gepfählt. Mashratan verlor an Bedeutung, und über
viele Jahre tobten Bürgerkriege.« Der Tefroder seufzte. »Wer weiß, ob der
Bürgerkrieg jemals aufgehört hat. Mashratan ist ein unstetiger Planet.«
»Das ist ideal für unstete Galaktiker wie uns.«
Ich betrachtete Shalab-el-Vrat.
Das Dorf lag am Fuße eines kleinen Berges. Eine etwa ein Meter hohe
Mauer aus Metall markierte den Umriss der Siedlung. Ich zählte vierzehn
Häuser mit flachen Dächern. Die Wege waren gut ausgeleuchtet. Die
meisten Gebäude waren sandsteinfarben, drei Häuser erschienen in
hellblauer, gelber oder weißer Außenfassade. Die Wege waren gut
ausgeleuchtet.
Vor dem Eingang zur Siedlung saßen zwei Mashraten in braun-schwarzen
Gewändern und beäugten uns misstrauisch. Der eine trug einen schwarzen
Fez auf dem Kopf, der andere einen ausladenden Hut. Jevran Wigth
bezeichnete ihn als Sombrero und erzählte von einer gleichnamigen
Galaxie, die von den Saggittonen bewohnt worden war. Er schien für alles
eine passende Anekdote zu kennen. Ich wusste nur nicht, ob sie wahr oder
erfunden waren.
Einige Meter entfernt stand ein rostiger, rot-schwarzer Gleiter. Wir
landeten einige Meter vor den Mashraten und gaben ihnen so Gelegenheit,
sich mit uns vertraut zu machen. Ich blickte mich um. Es war sonst weit
und breit keiner zu sehen. Eleonore meldete, dass ihre Ortung 54 Bewohner
in der Siedlung ausmachte. Sie waren in ihren Häusern.
»Guten Abend«, grüßte ich.
Als Antwort blies der Typ mit dem Fez auf dem Kopf Rauch aus seiner
Wasserpfeife in meine Richtung. Der Sombreroträger spuckte auf den
sandigen Boden und blickte dann auf. Ein schwarzer Bart mit grauen
Schlieren dominierte die untere Gesichtshälfte, und die buschigen
Augenbrauen dominierten die Stirn. Der Fezträger hatte einen dunklen
Oberlippenbart und war deutlich jünger als sein Partner.
»Wir kommen von weit her, Freunde«, sagte Jevran Wigth und stellte sich
neben mich. »Habt ihr vielleicht ein kühles Muxip für uns?«
»Hinten im Dorfhaus«, sagte der Sombrero.
Der Fez zog an seiner Pfeife.
Jevran lachte.
»Gönnt ihr euch etwas Heyill?«
Ich wusste weder was ein Muxip war noch, noch was er mit Heyill meinte.
Eleonore schien meine Gedanken zu erraten und erklärte über Interkom die
Bedeutung der beiden Begriffe. Muxip war ein blaues Getränk, das aus
gegorener Kuhun-Milch produziert wurde. Ein Kuhun war ein Wesen, das
Eier legte und Milch abgab. Heyill hingegen war die Volksdroge der
Mashraten. Sie wurde über eine Pfeife inhaliert. Der Rauch hat große
halluzinogene Wirkung.
»Wo kommt ihr denn herkommen tun?«, fragte der Junge mit dem Fez.
»Von einem anderen Planeten«, antwortete ich.
»Ist das weit?«
»Ja.«
»Hinter Neoquarshi?«
Der Feztyp ging mir auf die Nerven.
»Ja, hinter Neoquarshi. Weit hinter Neoquarshi.«
Der Alte schlug dem Jungen auf den Arm.
»Du bist dumm! Dumm, dumm wie Kuhunscheiße, Ali-Tito! Verstehst du,
dummer, dummer Junge. Kuhunscheiße-Junge.«
Der Alte kriegte sich gar nicht mehr ein. Jevran Wigth warf mir einen
ungläubigen Blick zu.
»Planeten sind Lichtjahre entfernt. Die befinden sich nicht hinter
Neoquarshi. Hast du in der Schule nichts gelernt, Ali-Tito?«
Die Junge zuckte mit den Schultern und zog an der Pfeife. Offenbar nicht
so viel.
»Alter Mann, wenn du so schlau bist, erzähle mir über die Ruinen von
Vhrataalis.«
Der Sombrero winkte ab.
»Nein, nein, nein. Böse Dämonen leben dort. Wenn ich darüber erzähle,
fault meine Zunge ab.«
Ich warf ihn ein paar funkelnde Chips vor die Füße.
»50 Mashrunen gehören dir, wenn du mir mehr erzählst.«
Die Währung der Mashraten standen schlecht im Kurs im Vergleich zum
Galax und andere Zahlungsmittel. Die Mashrunen hatte ich in der Tasche
von Soothorn gefunden. Zivilisierte Bewohner würden sicherlich Galax
bevorzugen, doch diese Bauern würden den Planeten vermutlich niemals
verlassen. Die Mashrunen waren wertvoller für sie.
»Die Zunge wird im Mund bleiben«, meinte der Mashrate und griff nach
dem Geld. Ich trat ihm auf die Hand. Schreiend zog er sie zurück und hielt
sie sich.
»Erst die Informationen. Wir suchen den Palast von Oberst Kerkum.«
»Oh, Vhrato«, flüsterte der Mashrate aufgeregt.
Jevran zeigte eine dreidimensionale Karte über sein Multikom.
»Ich mache es dir einfach. Das ist die Region. Der rote Punkt euer Dorf.
Sage uns einfach, wo der Palast von Kerkum ist. Das weißt du doch
bestimmt.«
Er musste es wissen, denn er hatte bestimmt sein ganzes Leben in der
Gegend verbracht. Mit zitternden Fingern deutete er auf eine Stelle, die
etwa sieben Kilometer von hier entfernt in der Nähe einer kleinen Oase mit
einem schwarzen Hügel lag.
Jevran bedankte sich. Da sprang der Junge auf und zog ein Gewehr unter
seinem Gewand hervor.
»Wo ihr Geld habt, habt ihr mehr. Alles raus. Na los.«
Er lachte schrill. Der alte Mann mit dem Sombrero sammelte derweil das
Geld vom Boden und steckte es in einen Beutel. Der Junge mit dem Fez
hüpfte lachend auf der Stelle und schien sich ernsthaft über seinen Coup zu
freuen.
»Das ist der Deal: Wirf die Waffe weg und ihr dürft die 50 Mashrunen und
euer Leben behalten.«
»Du bist gleich tot, wenn du nicht Geld geben. Na los, los. Wer ist jetzt
dumm wie Kuhunscheiße, hah?«
Er lachte wieder.
»Du bist es weiterhin«, erwiderte ich und aktivierte den
Individualschutzschirm. Ich zog meine Waffe ganz langsam und erkannte
das Entsetzen in den Augen des jungen Mashraten. Dann wurde er zornig
und schoss. Der Energiestrahl war viel zu schwach, um meinen
Schutzschirm zu destabilisieren. Er hatte nur diese eine Chance gehabt. Ich
drückte ab. Der Strahl traf ihn in die Brust und er warf das Gewehr zur
Seite. Schreiend fiel der Junge zu Boden, der Fez kullerte in Richtung
Mauer.
Ängstlich blickte mich der Mann mit dem Sombrero an.
»Verschwinde«, sagte ich. Er gehorchte sofort und rannte ins Dorf. Ich
blickte auf den Jungen, der noch lebte, aber vermutlich in den nächsten
Minuten sterben würde.
»War das nötig?«, fragte Jevran Wigth.
»Er wollte uns töten. Welches Recht zu leben besaß er noch?«
»Wenn eine Wespe die Absicht hat, einen ausgewachsenen Mann mit
einem Stich zu töten, weiß doch jeder, dass das so gut wie unmöglich ist.
Zerquetsche ich sie dann trotzdem?«
»Ein interessantes Gleichnis, Wigth. Es ist geschehen. Fliegen wir zurück.
Wir wissen nun, wo wir suchen müssen.«
»Lass ihn uns doch versorgen. Hier überlebt er nicht.«
»Willkommen in der Realität, Rhodanmystiker. In der Milchstraße und
ganz besonders auf diesem verdammten Planeten regiert das Motto: Leben
und sterben lassen.«
Ich aktivierte mein Gravo-Pak, schnellte in die Höhe und wartete einige
Sekunden. Das Schicksal dieses kleinen Misthaufens war mir völlig egal.
Auf jeder Welt gab es bedeutungslose Vollidioten wie ihn, die glaubten, sie
seien besonders gerissen. Er war es nicht. Er hätte ganz einfach den Deal
akzeptieren sollen. Ich hatte ihn vor den Konsequenzen gewarnt. Nun
endlich startete auch Jevran Wigth den Gravo-Jet. Als er aufgeschlossen
hatte, flog ich Richtung NOVA weiter und überließ den sterbenden
Mashraten seinem Schicksal.
Kapitel 7 – Die CASSIOPEIA
Constance Beccash betrat den Hangar der Miltonwerft durch eine große Tür
und war zuerst durch das helle Weiß der Wände geblendet. Dann sah sie die
CASSIOPEIA. Das Raumschiff war fast einen Kilometer lang, glänzte
silbern und wirkte anders als die typischen Raumschiffe der Terraner. Es
war nicht kugelförmig, sondern länglich mit modularen Sektionen. Der
vordere Teil bestand aus einer Kugel, um den hufeisenförmig ein Wulst
angebracht war. Hinter der Kugel lag ein flaches Mittelteil, auf dem sich
fünf Türme befanden, von denen einer die anderen deutlich überragte. Im
hinteren Teil, kurz bevor es zum scheibenförmigen Heck ging, reckte sich
dieser große Kommandoturm in die Höhe. Er wurde als Milton-Tower
bezeichnet.
Die Legierung der CASSIOPEIA war etwas Besonderes. Nur wusste das
weder Kulag Milton noch sonst irgendjemand, der am Bau beteiligt
gewesen war. Einzig ENGUYN, die Positronik der CASSIOPEIA, und die
Mitglieder der Kosmogenen Loge wussten, weshalb die Legierung so
wichtig war.
Die Frau war in diesem Moment stolz, bald auf der CASSIOPEIA zu sein,
denn sie hatten lange darauf hingearbeitet und viele Rückschläge verdauen
müssen.
»Hey, Bunny«, rief jemand hinter ihr.
Sie drehte sich verdutzt um. Vor ihr stand ein hagerer Terraner – oder eben
Rudyner, wie die ja jetzt irritierend hießen mit Bartansatz in dem
ausgemergelten Gesicht und hellbraunen Augen. Er trug ein weißes Hemd,
schwarze Hosen und Stiefel - und grinste.
»Du musst mich verwechseln«, sagte Constance.
»Tatsächlich? Ich glaube tatsächlich eher, dass du ein zuckersüßes
Häschen bist. Tatsächlich bist du mega super super geil hübsch.«
Constance lachte gequält.
»So eine bescheuerte Anmache habe ich in 800 Jahren nicht gehört.«
Das Lächeln des Rudyners gefror.
»Tatsächlich?«
»Ja, tatsächlich.«
Der Mann räusperte sich und zündete sich eine Zigarette an.
»Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
Er blies den Rauch aus und hustete.
»Ich bin der Space-Agent. Tatsächlich fliege ich durch die Galaxis.
Tatsächlich immer ›on the fly‹. Man nennt mich auch Speedy Handrej. Ich
bin Sales-Manager bei der CACC tatsächlich. Die linke Hand von Cloudsky
tatsächlich«, sagte Handrej.
Er lehnte sich gegen die schwarzweiße Wand und sah Constance
erwartungsvoll an.
»Na, beeindruckt?«
»Tatsächlich nicht«, erwiderte sie.
Er nickte ihr zu.
»Und wer biste?«
Eleonore (C) Gaby Hylla
»Beccash, Constance Beccash. Ich bin die neue Assistentin von Yeremiah
Cloudsky und soll ihn auf der CASSIOPEIA begleiten.«
»Nett, echt nice…«
Sie warf wieder einen Blick auf das Raumschiff, das wesentlich
interessanter war als ihr Gesprächspartner. Sicherheitspersonal in roten
Overalls stand vor den Schleusen des Schiffes. Sie hatte keine Freigabe, um
die CASSIOPEIA zu diesem Zeitpunkt alleine zu betreten.
Sie schenkte dem Speedy Gonzales ein Lächeln.
»Tatsächlich bin ich doch etwas beeindruckt… und…«
Sie wippte hin und her, wie ein Kleinkind, das Süßigkeiten von den Eltern
erbetteln wollte.
»Ich frage mich, ob du schon Zugang zum Schiff hast?«
»Tatsächlich habe ich das…«
»Oh, tatsächlich?«
»Tatsächlich.«
Constance fand diese Konversation sehr monoton.
»Na, wollen wir?«, fragte sie schließlich und schenkte ihm ein breites
Lächeln.
»Wohin?«
»Na, auf die CASSIOPEIA!«
»Ja, cool. Hast du Zugangsberichtung?«
»Was?«
»Na Zugangsdürfen. Zugangskot.«
Der Rudyner war entweder betrunken, stand unter Drogen oder hatte ein
grundsätzliches Problem mit seiner Muttersprache Interkosmo. Constance
hatte trotz Translators die galaktische Sprache schon vor Jahrhunderten
gelernt. Das war vor der Tiefe des Chaos gewesen. In einer Zeit, in der sie
sich auf den Kontakt mit den Galaktikern und dem Quarterium vorbereitet
hatte.
Seitdem war so viel geschehen. Und die Qualität der Männer hatte sich
nicht verbessert. Sie starrte an die Decke, die nur eine graue Fläche mit
vielen Lichtern war, denn sie befand sich einige hundert Meter über ihr und
es waren keine Details zu erkennen. Rings um die CASSIOPEIA waren
offene Etagen angelegt, um Gangways zum Schiff auszufahren. Hier und da
ragten metallische Greifarme von Kränen aus den Decks hervor und waren
über dem Schiff ausgerichtet.
»Nein, ich habe kein Zugangscode. Du sagtest doch, du hättest einen.«
»Tatsächlich?«
Er blickte sie mit gerunzelter Stirn an, so als würde er entweder gerade
versuchen, mit aller Kraft etwas auf der Toilette loszuwerden oder er dachte
angestrengt und gequält über etwas nach.
»Ich glaube in meiner Kabine habe ich so eine Berechtigung, wenn du
verstehst, was ich meine.«
Er lächelte und kam ihr näher.
»Ich habe einen Freund.«
»Der ist ja nicht hier
»Aber der hat ein goldenes Schwert und eine silberne Rüstung. Er ist sehr
jähzornig, und wenn er gekränkt und traurig ist, dann würde er dich
bestenfalls mit seinem goldenen Schwert aus dem Ultimaten Stoff Carit
enthaupten. Das geht kurz und schmerzlos. Aber wenn er richtig wütend ist,
dann würde er dich langsam mit bloßen Händen erwürgen, bis deine Augen
aus den Höhlen platzen.«
Speedy starrte sie wieder angestrengt an.
»Echt jetzt?«
Constance nickte.
»Tatsächlich.«
»Ne, das ist mir zu hart. Ich geh dann mal. Frag doch Cloudsky nach dem
Zugangskot.«
Handrej verließ den Hangar. Constance blickte ihm nachdenklich
hinterher. Vielleicht sollte sie wirklich Yeremiah Cloudsky fragen - oder
einfach warten, bis sie offiziell Zutritt erhalten würde. Sie hatte keinen
Freund mit goldenem Caritschwert, doch sie hatte bei ihrer Drohung das
Bild des Silbernen Ritters Cauthon Despair vor Augen gehabt.
Sie würde ihn niemals wiedersehen. Auch wenn Brettany de la Siniestro
einst nie die Hoffnung aufgegeben hatte, Despair sei noch am Leben, so war
es nach mehr als 700 Jahren unrealistisch, dass sie ihn in der Tiefe des
Chaos finden würden. Dabei hatten sie es wirklich versucht, besonders
Brettany de la Siniestro. Doch ihr Schicksal war ungewiss. Constance hatte
von der Tochter des quarterialen Emperador seit langer, langer Zeit nichts
gehört.
Sie hatte seit Jahrhunderten auch nichts mehr von ihrer eigenen Spezies
gehört, außer den Dingen, die sie bei ihrem letzten Besuch in Cartwheel in
Erfahrung gebracht hatten. Ohnehin hatte es kaum Kontakt zu anderen
Wesen gegeben. Einsamkeit war ein fester Begleiter der Mission der
Kosmogenen Träger gewesen, und nur selten waren sie zusammen
gewesen, um ihr Alleinsein zu lindern.
Nun war sie wieder unter Lebewesen, mit denen sie interagieren musste,
denn die Temporalen Anomalien nahmen zu. Sie deuteten auf die Ankunft
von Nistant auf der STERNENMEER hin und leiteten das Zeitchaos ein.
Kapitel 8 – Die Wüstenräuber
Es wurde hell. Larida Yoon saß bereits draußen, trank Kaffee und unterhielt
sich mit Eleonore. Als die Akonin sah, dass ich aus dem Zelt kam,
versteinerte sich ihre Miene. Sie wendete den Blick ab. Eleonore winkte mir
zu. Sie war wenigstens eine treue Seele, auch wenn sie gar keine Seele im
eigentlichen Sinn besaß.
Doch wussten wir genau, ob wir als biologische Existenzen eine Seele in
uns trugen? War sie unsterblich und würde nach unserem Tod einfach
weiterziehen? Was war mit den Erinnerungen aus vorherigen Leben? Waren
sie unterbewusst gespeichert und nur nicht mehr ohne weiteres abrufbar?
Wurden unsere Erinnerungen vielleicht einfach gelöscht von einem höheren
Wesen oder einem uns unbekannten Naturgesetz vielleicht einfach
gelöscht? Wenn ich Eleonores Speicher formatieren würde, wäre sie auch
ein anderes Wesen. Was wäre, wenn wir biologischen Wesen in der Hinsicht
nicht anders waren? Oder war unser Dasein doch eine Eintagsfliege. Einmal
tot, immer tot.
»Guten Morgen, Herr Kopfgeldjäger«, sagte der Hauri Cilgin At-Karsin.
Er stand halbnackt vor mir. Immerhin trug er seine schwarze Hose, doch der
knochige Oberkörper war frei.
»Bitte, ich kotze gleich meinen Kaffee wieder aus«, rief Larida Yoon.
»Das beruht auf Gegenseitigkeit, Frau Rhodanmystikerin.«
»Was? Ich bin Forscherin. Ich bin Wissenschaftlerin und keine
Spinnerin!«
Cilgin At-Karsin streckte die Arme gerade von sich und beugte das Knie.
Er wiederholte die Übung und antwortete: »Du bist eine drogensüchtige,
kranke Frau, die an eine Märchenfigur glaubt. Du bist
Verschwörungstheoretikerin und damit eindeutig eine Spinnerin.«
Sie seufzte und stand auf.
»Ach ja? Sagt ein Wesen, dessen Spezies an den Untergang eines ganzen
Universums glaubte.«
»Deine Aussagen basieren ebenfalls auf einer Lüge. Deine gesamte
Geschichte ist konstruiert. Acht, neun…«
Der Hauri ächzte.
»Siebzig, dreizehn, fünfundzwanzig, vier«, rief Larida.
Sie trat einen Haufen Sand in seine Richtung.
»Aufhören«, schrie At-Karsin und unterbrach seine Übung. »Aufhören,
sonst…«
Sie stellte sich vor ihn, auch wenn sie mit 1,62 Meter deutlich kleiner war
als der 2,04 Meter große Hauri. Sie war mutig, den Größeren zu
provozieren. Das musste ich ihr lassen.
»Was sonst? Du bist doch nichts weiter als ein feiger Feigling!«
Das war jetzt nicht unbedingt einschüchternd von ihr. Die Mundwinkel
von At-Karsin zuckten. Ich verstand nicht, was er murmelte. Sagte er
überhaupt etwas oder waren es nur unterdrückte Schreie und Flüche?
Eleonore tat nun etwas Unerwartetes. Sie stellte sich dazwischen. Ihr
Körper aus Formenergie war dazu in der Lage; wäre sie als Hologramm hier
draußen, wäre die Aktion sinnlos gewesen. Sie schob At-Karsin und Yoon
mit beiden Armen etwas voneinander weg.
»Euer Streit ist unangemessen. Inhaltlich tendiere ich aufgrund der
Faktenlage, die ich auf Stellacasa und durch die Temporale Anomalie
gewonnen habe, dazu, dass Perry Rhodan und Terra existieren. Meine
Programmeinträge in der Datenbank teilen mir aber das Gegenteil mit. Wir
werden die Antwort nicht in dieser Diskussion finden, vielleicht aber in den
Ruinen des Palastes von Oberst Kerkum. Bis dahin solltet ihr euren Streit
vertagen.«
Larida ging freiwillig einige Schritte zurück und hob beschwichtigend die
Arme. At-Karsin blieb stehen. Es wirkte, als würde er noch größer werden.
Abfällig starrte er Eleonore und Larida Yoon an. Dann grinste er
überraschend.
»Natürlich, Frau Positronik, wenn ich dich als Frau bezeichnen darf? Oder
wäre Sachgegenstand Positronik angemessen?«
»Eleonore reicht erst einmal aus«, lautete ihre Antwort.
Ein lautes Husten aus dem Hintergrund ließ die Beteiligten den Blick auf
eines der Zelte richten. Kuvad Soothorn trat aus seinem und hatte mit
seinem morgendlichen Raucherhusten zu kämpfen. Natürlich schmökte er
dabei eine Zigarette; in der anderen Hand hielt er einen großen Becher, aus
dem Dampf aufstieg. Ich vermutete, es war Kaffee oder Glühwein mit
Schuss.
»Morgen«, rief er, zog lauthals seinen Schleim hoch und spuckte den
gelblichen Schnodder auf den Sandboden.
»Jetzt geh ich wirklich kotzen«, brummelte Larida Yoon und wandte sich
angeekelt ab.
Auch Jevran Wigth verließ jetzt sein Zelt. Er war bereits für die kleine
Expedition ausgerüstet. Er wirkte aufgeräumt und vorbereitet, im Gegensatz
zum Rest dieser Mission. Der Tefroder nickte mir leicht zu. Ich nickte
zurück. Jevran Wigth hatte sich gestern ein Stückchen Respekt verdient.
Eleonore stellte sich an den Besprechungstisch und aktivierte ein
Hologramm von der umliegenden Region. Ein Pfeil markierte unseren
Zielort.
»Nach Aussage des Dorfbewohners befindet sich der alte Palast nahe
dieser Oase«, sagte die Positronik.
Die Oase hob sich aus der dreidimensionalen Karte hervor. Zu sehen war
ein kleiner Teich mit einem Durchmesser von acht Metern und einer Tiefe
von gerade mal 70 Zentimetern. Die Daten wurden im Hologramm
eingeblendet. Vier Bäume standen am rechten Rand der Oase. Unter ihnen
wuchsen Sträucher und Rasen in einem Umkreis von rund zehn Metern.
Dahinter begann es steinig zu werden, ehe der Boden nach etwa weiteren
zehn Metern zu Sand wechselte und die Oase in Wüste überging.
Hinter den Bäumen ragte ein schwarzer Felsen rund 30 Meter in die Höhe.
Er war etwa vierzig Meter breit und zwanzig Meter lang. Der Felsen stieg
nur leicht an. Es war also möglich, problemlos zu Fuß zum Gipfel zu
kommen.
Eleonore zoomte den Felsen heran. Sofort erkannte sie an der linken Seite
einen Schacht. Das Bild erweiterte sich in die Tiefe und zeigte eine
Übersicht des ganzen Komplexes an.
»Der Felsen ist eigentlich ein verwittertes Dach«, erklärte Eleonore.
»Der Palast von Kerkum ist im Laufe der Jahrhunderte unter Sand
begraben worden«, vermutete Larida Yoon.
»Korrekt«, bestätigte die Positronik und deutete ein Lächeln an. »In der
ganzen Region ragen vereinzelt Türme aus dem Sand hervor, doch hier
scheint sich das Zentrum der alten Palastanlage zu befinden.«
Die dreidimensionale Karte zeigte das Ausmaß der vom Sand bedeckten
Anlage, die sich über Kilometer erstreckte. Es waren Umrisse zu erkennen.
Die Türme waren durch Mauern verbunden. Es gab mehrere abgetrennte
Bereiche, und es sah aus, als wäre das von Sand bedeckte Gebäude das
Zentrum.
Dazu passte, dass es an der Oberfläche ein Schachtende gab. Allerdings
wäre es wohl zu naiv zu glauben, dass dieser über die Jahrhunderte
unentdeckt geblieben wäre oder einfach frei von Sand war. Oder kürzlich
frei gemacht wurde…
»Wir haben Gesellschaft«, schloss ich daraus.
»Ich orte Lebensformen und Energiesignaturen innerhalb des Palastes. Es
scheint ein kleines Camp zu sein«, bestätigte Eleonore.
»Grabräuber?«, fragte sich Jevran Wigth.
Vermutlich hatte er recht.
Sagreta Da Maag (C) Gaby Hylla
»Was auch immer sie sind, wir müssen entweder mit ihnen reden oder
unbemerkt an ihnen vorbeikommen«, meinte Cilgin At-Karsin.
»Es gibt weitere Komplikationen«, meldete Eleonore. »Die Ortung hat
Anzeichen einer Temporalen Anomalie am Rand des Systems registriert. Es
ist wahrscheinlich, dass sie sich in den nächsten Stunden ausbreitet und
Mashratan dasselbe Schicksal wie Stellacasa droht.«
»Und das wäre?«, fragte Larida Yoon.
Weder sie noch Jevran Wigth oder Cilgin At-Karsin waren über die
Ereignisse unserer vergangenen Mission informiert. Eleonore erklärte es
ihnen. Die beiden Rhodanmystiker wirkten entsetzt, während der Hauri
offenbar amüsiert und fasziniert wirkte.
»Uns bleibt also nicht viel Zeit. Gibt es denn überhaupt Hinweise darauf,
wo sich die Quelle der Rhodanmystiker befindet?«
»Die gibt es, Nathaniel!«
Auf der holographischen Karte blinkte ein Punkt, der sich etwa eine bis
zwei Etagen unterhalb der Passage befand, an dem sich die vermeintlichen
Grabräuber aufhielten.
»Nachdem ich den Ort eingrenzen konnte, habe ich ihn genauer analysiert.
Diese Energiequelle sendet als einzige konstante Hyperraumwellen und
scheint kein Hyperfunksender zu sein. Es wäre unlogisch, wenn die
Fremden eine Sendestation errichten würden. Außerdem ist diese Quelle
viel zu klein. Sie scheint also von höher entwickelter Technologie zu sein.«
»Wir können froh sein, dass die Cairaner den Standort der Quelle nicht
herausgefunden haben«, sagte Larida Yoon.
»Und wer sagt dir, Frau Rhodanmystikerin, dass wir nicht als brave
Freunde der Cairaner den Herrn Konsul des sternwestlichen Konsulats
informieren?«
»Ich hau’ dir gleich eins in die Fresse, Hauri!«
Sie ballte die Hand zur Faust und hob sie drohend.
Larida Yoon und Cilgin At-Karsin würden keine Freunde werden. Dabei
hatte er nicht unrecht. Ragana ter Camperna würde den Sekretär des
sternwestlichen Konsulats informieren.
»Darüber machen wir uns Gedanken, wenn wir die Quelle an uns gebracht
und Mashratan lebend verlassen haben«, sagte ich und warf abermals einen
Blick auf die Karte. Gab es Alternativen zum gefundenen Pfad? Es gab
weitere Eingänge, doch die Wege waren lang und ich wollte es vermeiden,
dass wir auf die Temporale Anomalie stießen. Wir würden nicht unentdeckt
bleiben, wenn wir einen neuen Weg desintegrierten. Ein Konflikt mit diesen
Grabräubern schien nicht vermeidbar, und die Zeit drängte. Wir mussten
Mashratan verlassen, bevor wir in die Auswirkungen der Temporalen
Anomalie gerieten.
Es entbrannte eine Diskussion darüber, wie wir weiter vorgehen sollten.
»Lasst uns verschwinden«, schlug Kuvad Soothorn vor und schnippte den
Stummel seiner Zigarette in den Sand.
»Wir dürfen Ragana nicht enttäuschen«, wandte At-Karsin.
»Mich kümmert das Wohlbefinden dieser Frau nicht ansatzweise«, sagte
Larida Yoon.
»Larida, wir sitzen leider im selben Schiff«, wandte Jevran ein. »Wenn
diese Temporale Anomalie alles auslöscht, wäre auch die Quelle fort. Sie
muss gerettet werden.«
Die Akonin hielt inne. Sie blickte nachdenklich auf den Sandboden,
presste die Lippen zusammen und nickte entschlossen. »Okay, dann retten
wir die Quelle, damit die Cairaner sie zerstören?«
»Soweit ist es noch nicht«, antwortete Wigth.
»Noch nicht…«, flüsterte sie.
Dann blickte sie mich an.
»Und, wie ist der Plan?«
Die NOVA landete direkt neben der Oase. Ich erkannte mit bloßem Blick,
dass ein torpedoförmiges Raumschiff mit Tarnlegierung nahe dem Felsen
stand. Eleonore prüfte die Ortung.
»Der Ortungsschutz geht nicht von dem Schiff selber aus, sondern von
mehreren Stationen, die um die Oase verteilt sind. Innerhalb des
Abschirmfeldes sind sie nutzlos. Es handelt sich um ein unregistriertes
Raumschiff.«
Das Schiff war etwa dreißig Meter lang und zehn Meter breit und hoch.
Der Einstieg war gut erkennbar und fast genauso hoch und breit wie der
Raumer selbst . Vermutlich war es für mittelgroße und große Wesen
konstruiert worden.
»Wir werden bald herausfinden, um wen es sich handelt.«
Ich stieg als erstes aus. Larida Yoon, Jevran Wigth und Cilgin At-Karsin
und Kuvad Soothorn folgten mir. Eleonore blieb auf der NOVA. Sie konnte
uns besser als Positronik der NOVA helfen, wenn sie das Areal und die
Palastruinen mit der Ortung überwachte.
Ich ging den Hügel hinauf, bis ich vor dem Eingang in den Palast stand.
Es führte eine steile Treppe hinab, die zweifellos später eingebaut worden
war. Wir waren sicherlich nicht die ersten Besucher in dem versunkenen
Palast. Über die Jahrhunderte mussten sich zahlreiche Abenteurer und
Schatzsucher daran versucht haben, ins Innere einzudringen.
Ich zog meinen Strahler und ging hinunter. Doch in dem Raum am Ende
der Treppe befand sich niemand. Es war recht dunkel. Einige provisorische
Leuchten spendeten wenigstens etwas Licht. Ich erkannte Spinnweben,
zerbrochene Keramik, alte verstaubte Tische und umgefallene Stühle. Hier
befand sich nichts Prunkvolles mehr. Ich ging ein paar Schritte weiter. Der
Raum teilte sich in zwei Korridore, die in Dunkelheit lagen.
Larida Yoon und Jevran Wigth folgten mir.
»Faszinierend, seht doch.«
Larida zeigte auf die Wand neben mir. Ich erkannte nichts. Jevran wischte
mit dem Oberarm vorsichtig über die Wand und legte ein Gemälde frei. Es
zeigte einen bärtigen Mann in lindgrüner Uniform, der von vier halbnackten
Frauen umringt war. Der Uniformträger hielt ein Gewehr mit
Holzummantelung in der Hand, trug eine Sonnenbrille und eine
Offiziersmütze.
»Das ist Kerkum?«, fragte ich.
»Ja, das ist Oberst Ibrahim David Gregor el Kerkum«, bestätigte Jevran
Wigth.
In seiner Stimme schwang Begeisterung mit. Kerkum kam mir irgendwie
vertraut vor. Doch ich hatte diesen Mann noch nie gesehen oder konnte
mich zumindest nicht daran erinnern.
»Wann soll er gelebt haben?«, wollte ich wissen.
»Er wurde 1151 NGZ auf Mashratan geboren und 1291 NGZ eben dort
hingerichtet«, erklärte Larida.
Sie zuckte zusammen, als Cilgin At-Karsin und Kuvad Soothorn
geräuschvoll den Raum betraten. Der Hauri verzog das Gesicht.
»Es ist sehr dreckig hier, Herr Rhodanjäger
»Ich habe schon schlimmere Löcher gesehen«, erwiderte Soothorn. »Auf
Lepso kannte ich mal eine Alte, die lebte in einer Schmutzhöhle. Doch sie
konnte ohne Zähne echt gut alle Töne auf deiner Flöte spielen, wenn du
verstehst, was ich meine.«
Soothorn lachte schallend. Dieser Idiot machte vermutlich die
Unbekannten direkt auf uns aufmerksam.
Cilgin At-Karsin verdrehte die Augen.
»Herr Springer, ich kann mir leider durchaus vorstellen, was du meinst.«
»Weiter jetzt«, entschied ich.
Aus dem zweiten Korridor flackerte schwach ein Licht. Vermutlich befand
sich am anderen Ende die Gruppe der vermeintlichen Grabräuber. Die
Quelle, die das Signal der Rhodanmystiker ausstrahlte, lag jedoch auch in
dieser Richtung. Ich schritt voran. Larida folgte ohne zu zögern, dann auch
Jevran. Ausgerechnet meine Feinde zeigten Courage, während At-Karsin
und Soothorn auf sich warten ließen.
Ich aktivierte die Nachtsichtfunktion meines Okulars. Die Wände waren
stark verschmutzt, teilweise war der Putz abgebröckelt. Spinnen von der
Größe einer ertrusischen Hand krabbelten zur Decke hoch. Vielleicht war es
gut, dass der ein oder die andere das nicht sahen. Es wurde heller, und ich
deaktivierte den Nachtvisor in meiner Brille. Ich blieb stehen und hob die
Hand. Die anderen hielten an.
»Was soll denn das?«, rief Soothorn. »Wieso geht es nicht weiter?«
Kuvad Soothorn war einfach nur ein dummes Arschloch. Ich hörte das
Entsichern von Waffen, vermutlich waren es noch Projektilwaffen. Ich
besaß einen Schutzschirm, die anderen jedoch nicht. Sollte ich es darauf
ankommen lassen? Was war denn, wenn die Grabräuber auch
Energiewaffen hatten?
»Kommt raus und keine falsche Bewegung«, sagte eine raue Stimme an
der Türschwelle am Ende des Korridors.
Ich steckte meinen Strahler in das Holster, trat aus dem Dunkel des
Korridors hervor in das Licht des Raumes und blickte in die Mündungen
von vier Gewehren, von denen zwei Nadelstrahler waren.
Die Bewaffneten waren ein Arkonide mit zerzaustem Haar, zwei
Mashraten und ein Topsider. Das Reptilienwesen mit der langen Schnauze
war offenbar der Anführer, denn es sagte: »Alle langsam herauskommen
und an die Wand stellen. Wir wissen, dass ihr fünf Lebewesen seid.«
Die Zunge der Echse schnellte zweimal aus dem Mund hervor. Als Larida
erschien, schlossen sich die Lider des Topsiders kurz zur Seite. Er deutete
mit einer Handbewegung an, dass sie sich neben mich stellen sollte. Die
anderen drei folgten.
Constance Zaryah Beccash (C) Gaby Hylla
Der Raum, in dem wir uns befanden, war ziemlich verkramt. Große Steine,
Schutt von der Wand, gestapelte Stühle und Tische boten unseren Gegnern
reichlich Deckung, während wir buchstäblich mit dem Rücken zur Wand
standen.
»Hey Kumpel, ich bin auch deren Gefangener. Die haben mich
gezwungen. Lasst sie uns erschießen, und wir trinken im Muckhain auf
Mashritun ein paar Bier. Was meint ihr?«, fragte Soothorn.
»Erschießt den verräterischen Springer, die Herren«, schlug Cilgin At-
Karsin vor.
Der Topsider drückte Soothorn den Strahler an die Brust.
»Ich desintegriere jeden von euch, wenn ihr mir nicht sagt, was ihr hier
wollt.«
»Wir suchen ein Artefakt von historischer Bedeutung«, sagte ich
wahrheitsgemäß.
»Es hat aber keinen materiellen Wert«, ergänzte Jevran Wigth.
»Alles hat materiellen Wert«, antwortete der Topsider zischend. Der
Arkonide mit dem wirren Haar richtete auch seinen Strahler auf uns. Die
beiden Mashraten hielten Gewehre mit Projektilgeschossen in der Hand. Sie
wirkten genauso abgenutzt wie ihre Waffen.
»Ihr habt versäumt, uns aufzufordern, die Waffen abzugeben«, sagte ich
schließlich.
»Es wird wohl nicht so einfach sein, Kopfgeldjäger«, erwiderte der
Topsider. Die Zunge schnellte erneut aus dem Maul.
»Nein, das wird es nicht, Grabräuber
»Das ist ein Palast und kein Grab«, warf der Arkonide ein.
»Mein Fehler…«
Die Stimmung wurde angespannter. Die Projektilmunition der Mashraten
würde mich nicht verletzen. Das hielt mein Individualschutzschirm aus.
Ein, vielleicht zwei Schüsse der Strahler konnte er auch noch
kompensieren. Doch ich musste schnell den Arkoniden und dann den
Topsider ausschalten. Die Mashraten würden in Panik auf mich feuern
oder die anderen erschießen. Die Verluste wären vertretbar, wobei ich fast
anfing, die beiden Rhodanmystiker zu mögen.
»Das ist der Deal«, sagte ich. »Wir nehmen die Datenquelle mit und
lassen euch in Ruhe. Ihr überlebt und wir auch. Jeder geht seinem Geschäft
nach.«
Die Zunge des Topsiders wischte von links nach rechts. Die Lider zuckten
mehrmals seitlich.
»Wir verschonen euer Leben, und ihr erzählt uns mehr über diesen
Schatz«, schlug der Reptiloid vor.
»Der Palast von Kerkum wird seit Jahrhunderten geplündert. Es gibt kaum
noch etwas zu finden«, fügte der Arkonide hinzu.
Ich beobachtete die beiden Mashraten. Sie waren jung und wirkten nervös.
Schweiß rann ihnen von der Stirn.
Ich rechnete damit, dass zwei meiner Begleiter sterben würden.
»Unser Raumschiff hat das eure im Visier«, stellte ich fest.
»Doch wird eure Crew euren Tod riskieren? Bei der Zunge meiner Mutter,
das bezweifle ich stark.«
»Ikasar, was ist, wenn die das doch machen? Wir kommen von diesem
verdammten Planeten nicht mehr runter«, sagte der Arkonide nervös.
»Ikasar-Torn?«, fragte ich.
Der Topsider gab ein knurrendes Geräusch von sich. Er war mir bekannt.
Torn war ein durchaus fähiger Söldner. Hauptsächlich arbeitete er für die
Mafia von Lepso und die Olympische Freihandelstriade.
»Ich bin Nathaniel Creen, Kopfgeldjäger der CACC.«
»Bist mir bekannt«, antwortete der Topsider knapp. »Wo steckt der
Tefroder? Der ist nicht hier
Ich schwieg. Vielleicht war es besser, er dachte, Hunter sei hier irgendwo.
»Und denk an den Zwerg«, mahnte der Arkonide.
»Der Zwerg ist auch auf Mashratan?«
Das war eine interessante Wendung.
»Wer ist der Zwerg?«, wollte Jevran Wigth wissen. »Der Knirps neben
uns?«
Larida Yoon deute auf Kuvad Soothorn, der die Akonin ziemlich pikiert
anblickte.
Stille kehrte ein. Wie sollte es nun weitergehen? Eine falsche Bewegung
oder ein verkehrtes Wort würden zu einer Schießerei führen. Der Zwerg war
jedenfalls nicht hier, denn er hätte unübersehbare Spuren hinterlassen. Wie
lange mochte es her sein? Bestimmt waren es drei oder vier Jahre, seitdem
sich unsere Wege gekreuzt hatten.
»Ich nehme an, ihr und der Zwerg arbeitet nicht zusammen?«
»Wir müssen noch ein Gelege mit ihm wenden«, antwortete Ikasar-Torn.
Diese topsidische Redewendung bedeute so viel wie, sie hätten noch ein
Hühnchen mit ihm zu rupfen.
»Und der Barde begleitet ihn?«
Der Topsider knurrte zustimmend.
»Dann habt ihr keine Chance.«
»Überlass das mir, Creen! Jetzt redet endlich. Was sucht ihr?«
Ikasar-Torn verlor die Geduld. Er hielt die Mündung seines Strahlers an
die Stirn von Larida Yoon. Sie legte den Kopf, so weit es ging, in den
Nacken. Als ob das etwas bringen würde.
»Wir suchen die Quelle der Perry Rhodan-Geschichten. Es ist ein
historisches Artefakt, das vermutlich das verlorene Wissen der letzten
Jahrtausende in sich birgt.«
Der Topsider zog die Waffe zurück, als al Jevran Wigth gesprochen hatte.
Der Tefroder traute sich, drei Schritte vorzugehen, und stand nun direkt vor
dem um einen Kopf größeren Reptilienwesen.
»Durch den Posizid und die Datensintflut ist unsere Geschichte verfälscht.
Dieses Artefakt ist unsere große Chance, Licht in ein dunkles Zeitalter zu
bringen. Helft uns dabei.«
»Der zehnte Satz der Sozialen Weisung sagt jedoch: Die gleiche Zeit, die
es in Anspruch nimmt, über die Vergangenheit zu trauern, steht zur
Verfügung, die Zukunft zu gestalten.«
»In dem Fall ist unsere Vergangenheit unsere Zukunft«, warf Larida Yoon
ein. Die beiden Rhodanmystiker standen beschwichtigend vor dem
Topsider, der seine Waffe inzwischen gesenkt hatte. Die Zunge schnellte
kurz aus dem Maul und wieder zurück.
»Werde ich dann erfahren, wieso wir unsere Idioten mit den Worten ›du
Terraner› bezeichnen?«
Larida Yoon lachte.
»Ja, vermutlich. Topsider und Terraner hatten lange Zeit kein gutes
Verhältnis, nachdem Perry Rhodan die Eroberung des Wega-Systems
verhindert hatte.«
Ikasar-Torn gab seinen Männern das Zeichen, die Waffen zu senken. Ich
war ehrlich beeindruckt von den Überredungskünsten der beiden
Rhodanmystiker. Nun konnte ich endlich in mein Mikrofon sprechen, um
mit Eleonore Kontakt aufzunehmen.
»Nathaniel, die Temporale Anomalie nähert sich schnell. Außerdem sind
zwei als gefährlich einzustufende Lebewesen hier draußen und eines davon
singt.«
Kapitel 9 – Die Quelle der Wahrheit
Wenn der Barde den Zwerg in Stimmung sang, wurde es gefährlich. Ich gab
Larida Yoon und Jevran Wigth ein Zeichen. Sie sollten das Artefakt suchen.
Nach den Ortungsergebnissen von Eleonore befand sich die Quelle der
Rhodanmystiker zwei Etagen unter uns.
Ich wandte mich an den Topsider Ikasar-Torn.
»Du rechnest damit, dass wir euch im Kampf unterstützen. Doch das sind
keine Kämpfer
»Stärke das Starke. Wer das Schwache stärkt, schwächt die Ganzheit«,
lautete die Antwort.
Dem Topsider und seiner kleinen Bande war nicht zu trauen. Sie würden
sicherlich versuchen, an das Artefakt zu kommen.
Ich folgte Larida Yoon und Jevran Wigth, die über eine Treppe in eine
tiefere Etage gingen. Das Treppenhaus musste früher gewaltig gewesen
sein, denn in der Mitte befand sich genug Platz für einen Antigrav. Nun war
nicht mehr viel übrig außer den Mauern des Antigravschachts. Ich trat auf
eine wackelnde Stufe und suchte für einen Moment Halt. Die beiden
Rhodanmystiker hatten das Ziel erreicht. Ich beeilte mich, um zu ihnen
aufzuschließen. Auf dem Display meines Interkoms wurde der genaue
Standort der Energiequelle angezeigt. Ich musste nur dem Pfeil folgen. Das
Signal führte uns in eine große Halle.
Zum ersten Mal fielen mir Fenster auf. Sie waren schon lange zerbrochen.
Sand und Erde hatten sich durch die zerbrochenen Fenster angehäuft. Auf
dem angesammelten Erd- und Sandhaufen wuchs sogar ein transparentes
Unkraut mit spitzen Blättern.
Im Zentrum des Raums thronte ein runder, etwa drei Meter
durchmessender Brunnen aus Stein. Die Spitze war abgebrochen, doch es
war noch zu erkennen, dass sie einen gewundenen Baum darstellte, der
ursprünglich bis zur Decke reichte. Dort sprudelte seit Jahrhunderten kein
Wasser mehr. Der Boden war voller Dreck, Kalk und Staub.
Beinahe konnte ich es mir bildlich vorstellen, wie halbnackte Konkubinen
aus dem Harem des Oberst Kerkum dort am Brunnen saßen, mit den
Fingern im Wasser spielten und Wein tranken.
Der Rest des Raums war fast leer. Es lagen kaputte Stühle auf dem Boden.
Die Räuber waren längst hier gewesen. Der Pfeil auf dem Interkom zeigte
auf eine Wand. Larida Yoon und Jevran Wigth standen bereits davor und
suchten nach einem Schalter.
Larida drehte sich um und schüttelte den Kopf.
»Schon etwas gefunden, Herr Kopfgeldjäger?«
Cilgin At-Karsin betrat nun auch den Saal. Ihm folgte Kuvad Soothorn,
der fröhlich vor sich hin trällerte und sagte: »Jetzt ist Zahltag, Baby. Hier
liegt also der Schatz? Wo ist er denn? Komm zum großen Dreibeiner
»Wir suchen noch einen Schalter. Seht nach, sucht nach etwas, das euch
ungewöhnlich vorkommt.«
»Wie eine Apparatur an der Seite des Brunnens?«, fragte Cilgin At-
Karsin.
Ich drehte mich um und wollte antworten, doch er betätigte bereits einen
Schalter an dem Gerät, das ich erst sah, als ich neben ihm stand. Es war
käferförmig und glänzte golden. Es sah aus, als würde ein Insekt am
Brunnen sitzen. Auf dem Kopf befand sich ein roter Knopf.
»Ein Skarabäus«, stellte Larida fest, nachdem sie uns erreicht hatte. Aus
dem Rücken leuchtete es nun grünlich.
»Was ist ein Skarabäus, Frau Rhodanmystikerin?«
»Ein Käfer, der auf Terra lebt, Herr Arschloch!«
»Terra muss ein wahrlich gesegneter Planet sein, auf dem Käfer aus Gold
leben. Deine Phantasie ist bemerkenswert. Ich hoffe, sie ist groß genug, um
sich auszumalen, was ich mit dir anstellen werde, wenn diese Mission erst
einmal vorbei ist, Frau Rhodanmystikern.«
Ich hob die Hand.
»Es ist genug. Ragana ter Camperna wird über das Schicksal der beiden
entscheiden.«
Ich warf einen Blick auf die Wand.
»Hat sich was getan?«
Jevran schüttelte den Kopf.
»Nichts.«
Plötzlich bewegte sich der Skarabäus und öffnete die Flügel. Er flatterte
hoch und setzte sich an die Säule des Brunnens. Das grüne Licht veränderte
sich, formte Schatten und Figuren, so dass ein Hologramm entstand. Es war
das Abbild von Oberst Kerkum. Er stand an einem Podium und donnerte
zweimal mit der Faust auf den Tisch.
»Gott ist groß – ich bin mächtig – Mashratan auf ewig.«
Die lindgrüne Uniform des Obersten war gespickt mit Orden und
Abzeichen, doch der braune Umhang, die lässig aufgesetzte Offiziersmütze
und die Sonnenbrille passten nicht ins Bild eines steifen Offiziers.
Die Szene wiederholte sich immer und immer wieder. Was sollte uns das
sagen? Jevran stellte sich vor die Wand und rief »Gott ist groß Ich bin
mächtig – Mashratan auf ewig.«
Es tat sich nichts. Der Tefroder seufzte. Ich blickte mich um. Da war
etwas da hinten in der Ecke. Ich ging auf einen Schutthaufen zu, aus dem
eine eckige Kante ragte. Das Material war aus Holz. Ich zog daran und
befreite es von dem Schutt. Das war ein Stehpult, auch eine Art Podium.
Ich richtet es auf. Was nun? Das Möbelstück wackelte, da unten ein Teil
fehlte, was aufgrund des Alters nicht verwunderlich war. Eine Schatulle mit
einigen Datenspeichern fiel auf den Boden. Sie hatten bunte Cover; es
waren offenbar Musikdatenträger.
Jevran Wight (C) Gaby Hylla
»Herr Rhodanjäger, brillant«, meinte Cilgin At-Karsin. Er ging an mir
vorbei und stellte sich hinter das Pult. Dann schlug er zweimal mit den
Fäusten auf das Pult. Das Hologramm erlosch und der Skarabäus projizierte
ein anderes Wesen.
Es sah aus wie ein großer Wolf mit menschlichem Körper und trug eine
blaugelbe Rüstung.
»Seid gegrüßt, Entdecker, die ihr immerhin Kombinationsgabe bewiesen
habt«, sagte das Hologramm.
»Das ist Anubis«, sagte Jevran ehrfürchtig.
»Dein Haustier?«, fragte Kuvad Soothorn.
»Ich bin kein Haustier, Springer!«
Soothorn schrie auf. Das war kein Hologramm.
»Der Tefroder hat recht, ich bin Anubis. Oder vielmehr das, was von ihm
übriggeblieben ist. Ich bin das Abbild von Anubis, kombiniert mit der
Positronik des Skarabäus. Deshalb kann ich auf Worte und Fragen
reagieren. Sprecht also Galaktiker, weshalb seid ihr an diesem verlassenen
Ort?«
»Wir suchen nach der Weisheit«, sagte Larida Yoon. »Nach der Quelle der
Wahrheit.«
»Oder dem Hort der Lügen«, warf Cilgin At-Karsin ein, der die
Datenträger vom Pult in einen Beutel steckte.
»Vielleicht auch nur nach einem großen virtuellen Comicladen«, sagte
Soothorn.
»Ihr seid im Dienste der Liga Freier Galaktiker oder der Cairaner
unterwegs?«
»Wir sind gespaltener Ansicht«, erklärte ich wahrheitsgemäß. »Es gibt
Rhodanmystiker und Rhodanjäger. Die Mehrzahl glaubt nicht an den
Mythos Terra.«
»Narren«, erwiderte Anubis.
»Das lasse ich mir von einem Dackelholo nicht sagen. Halt doch deine
dumme Fresse, du…«
Soothorn wedelte mit der Faust. Der Käfer schoss einen kleinen, blauen
Strahl auf den Springer.
»Dackel? Nun, bei Osiris und Apis du bist jedenfalls ein Wildschwein.
Du bist ein Wildschwein«, sagte Anubis und zeigte mit dem Finger auf
Soothorn.
Kuvad fing an zu grunzen, fiel auf alle Viere und krabbelte grunzend
durch den Raum. Der Schuss aus dem Käferroboter musste ein Psychostrahl
gewesen sein. Nun, Anubis besaß zumindest Humor.
Das Hologramm des Schakalwesens wandte sich wieder mir und den
anderen zu.
»Der Zugang zur Kosmogenen Chronik des Jaaron Jargon ist stark
gesichert. Ihr werdet nicht die Mittel haben, meine Schutzmechanismen zu
überwinden.«
Ich war mir immer noch nicht sicher, womit wir es zu tun hatten. Wer oder
was war Anubis? Welche Bedeutung hatte die Bezeichnung Jaaron Jargon?
Und was war eine Kosmogene Chronik?
Ich wandte mich an Jevran Wigth.
»Sagen dir diese Begriffe etwas?«
»Natürlich. Anubis ist ein Gott aus einer alten terranischen Religion. Es
stellte sich heraus, dass diese Götter wirklich existiert und auf der Erde
gelebt haben. Sie wurden Freunde von Perry Rhodan und den Terranern und
unterstützten sie im Kampf gegen den Kosmotarchen MODROR. Jaaron
Jargon war ein Chronist, der die Chronik Cartwheels geschrieben hatte,
doch vor knapp 700 Jahren ermordet wurde. Wenn diese Kosmogene
Chronik, was immer das auch ist, sein Vermächtnis ist, ist sie für die
Aufklärung in unserer Galaxis ein Meilenstein.«
Larida packte mich am Unterarm.
»Die Existenz der Kemeten ist ein Beweis für die Existenz von Terra und
Rhodan. Jaaron Jargon ist ein Zeitzeuge. Die Cairaner werden sich der
Wahrheit nicht mehr verschließen können.«
Sie wandte sich an Anubis.
»Anubis, du musst uns helfen, der Galaxis die Wahrheit der Galaxis zu
erklären.«
Das Hologramm schwieg, und auch ich war noch nicht überzeugt. Terra
und Rhodan konnten weiterhin ein Mythos sein. Was war, wenn das alles
nur eine Show der Rhodanmystiker war? Ich wollte keiner Inszenierung
von Verschwörungstheoretikern auf dem Leim gehen.
Es wirkte fast so auf mich, als würde mich das Hologramm mustern, dabei
waren die Gesichtszüge des Schakalwesens schwer zu interpretieren.
»Euer größter Feind ist das Vergessen. Diese Galaxis hat ihre Geschichte
verloren. So viele Stränge liefen auf Terra zusammen. Es ist immer noch
unvorstellbar, dass das passiert ist. Und… es wird noch viel schlimmer
werden.«
Kuvad Soothorn hörte plötzlich auf zu grunzen und wunderte sich, wieso
er sich auf dem Boden befand.
»Auch du hast vergessen, Kopfgeldjäger. Der Schleier der Lethe hat sich
über deine Erinnerungen gelegt.«
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Woher wusste Anubis
davon? Ich war ihm nie zuvor begegnet. War ich doch nicht, oder? Meine
Erinnerungen begannen vor sechzehn Jahren auf GONGOLIS. Ich wusste
nicht, woher ich stammte, wer meine Eltern waren und welches Leben ich
vorher geführt hatte. Ob ich geliebt hatte oder geliebt wurde. Vielleicht
erklärte das die schmerzende Leere in meinem Herzen.
Soothorn erhob sich, nur um von Larida zur Seite geschubst zu werden.
Der Springer beklagte sich und störte, wie er nur stören konnte. Bevor ich
Anubis antworten konnte, meldete sich Eleonore.
»Die Temporale Anomalie erreicht mit den ersten Ausläufern Mashratan.
Der Himmel verfärbt sich, Blitze zucken. Wir sollten uns nicht mehr lange
hier aufhalten.«
»Die Stimme aus deinem Interkom spricht weise«, bestätigte Anubis.
»Ohne Quelle gehe ich nicht«, entschied Larida.
Plötzlich änderte sich die Umgebung. War das ein erneutes Spiel von
Anubis, der das Hologramm erweiterte, oder veränderte sich der Raum
wirklich? Alles wurde heller, der Schutt verschwand, der Sand floss die
Fenster hoch und Sonnenlicht drang plötzlich ein. Der Fußboden erstrahlte
in einem sauberen weißen Marmor, die Wände waren weiß und gespickt mit
dreidimensionalen Gemälden von Personen, Raumschiffen und fremden
Welten.
Das zerstörte Pult glänzte in einer schwarz-goldenen Verzierung, die
Stühle trugen ein ebenso schwarz-goldenes Polster.
Ich hörte Gekicher und Gelächter, dann sprudelte in dem Brunnen
türkisfarbenes Wasser. Vier Frauen saßen, spärlich bekleidet, herum und
plantschten mit den Füßen und Händen darin. Fast so, wie ich es mir
vorgestellt hatte.
Zwei Kinder huschten an mir vorbei.
Das Mädchen mit rotblondem Haar blieb stehen, und ich sah in ihre roten
Augen.
»Cauthon, wo bist du?«
Sie blickte zu mir.
»Komm, wir müssen Gucky suchen.«
Das Bild des Mädchens verschwamm nun und verblasste schließlich.
Stattdessen trat ein Mann in lindgrüner Uniform in Szene.
»Nummer Eins hat grünes Licht für die Operation LONDON erteilt,
Despair. Das ist ein großer Moment.«
Ich konnte nicht sehen, mit wem er sprach. Er blickte jedenfalls in meine
Richtung.
»Endlich wird Perry Rhodan für seine Impertinenz bestraft.«
Oberst Kerkum wedelte mit dem Zeigefinger.
»Dieser greise Dilettant! Wir hätten die Galaxis unter uns aufteilen
können. Dann wäre er wieder jemand gewesen, hätte sich in meinem Glanz
sonnen können. Ich war richtig großzügig.«
Kerkum ging zu einer der Frauen am Brunnen und griff ihr ungeniert an
die Brüste.
»In zehn Minuten in meinem Zimmer, Schönheit.«
Sie nickte devot und machte sich auf den Weg.
»Und du«, er zeigte auf eine weitere der Konkubinen, »du in einer halben
Stunde.«
Er lachte und schlug ihr auf den Hintern. Sie hüpfte auf, kicherte debil und
verließ den Saal.
»Es ist toll, Regent einer Welt zu sein… Wo war ich nur? Ach ja, Perry
Rhodan. Zieht es lieber vor, auf Camelot zu versauern, statt ein neues
Solares Imperium zu gründen.«
Kerkum verschränkte die Arme vor der Brust und wippte leicht vor und
zurück.
»Der wird sich wundern, Despair. Das sage ich Ihnen, Silberner Ritter, der
wird sich wundern.«
Kerkum löste sich auf, und der Raum nahm wieder seine ursprüngliche
Gestalt an, so wie er heute aussah und nicht vor Jahrhunderten. Das war
zweifellos die Auswirkung der Temporalen Anomalie.
Cilgin At-Karsin starrte mich seltsam an, beinahe so, als hätte er einen
Geist gesehen. Was war los mit ihm? Doch, verwunderte mich das wirklich
bei diesem schrägen Typen?
»Anubis«, sagte Jevran Wigth und stellte sich vor dem Hologramm des
Schakalwesens. »Die Temporale Anomalie wird all das Wissen dieser
Jaaron-Chronik mit sich nehmen. Es wird für immer verloren sein. Ich weiß
nicht, was geschehen ist, wie diese Chronik an diesen Ort gelangt ist und
was mit dir passiert ist, aber ich weiß, dass die Kemeten Freunde der
Menschen waren. Wir wollen das Wissen bewahren und der Milchstraße
helfen, sich zu erinnern.«
»Ihr werdet noch so viel mehr tun müssen«, erwiderte Anubis. »So viel
mehr
Er blickte zur Wand, die sich nun öffnete. Auf einem Sockel stand ein
pyramidenförmiges Artefakt. Mir stockte kurz der Atem, und das Herz
machte einen Satz. Dieses Artefakt sah genauso aus wie jenes, das ich auf
der NOVA bei mir trug.
Larida ging zu dem spitzen Gerät und stand offenbar in Ehrfurcht
davor, wagte es nicht, die Finger danach auszustrecken.
»Nehmt die Kosmogene Chronik und bewahrt sie vor den Cairanern.
Bringt sie zu ENGUYN.«
Larida drehte sich um.
»Wer ist das? Erzählt uns mehr, Anubis.«
Plötzlich schlug ein Energiestrahl am Brunnen ein, und der Skarabäus
verging in einer kleinen Explosion. Das Hologramm von Anubis erlosch.
Ikasar-Torn stand am Eingang und zielte mit dem Strahler auf mich und
sagte: »Dieser Hund hatte verloren, als er sagte, wir sollen es vor den
Cairanern bewahren. Genau denen werde ich diese Kosmogene Chronik
bringen.«
Kapitel 10 – Der Zwerg
Ikasar-Torn und der Arkonide richteten die Strahler auf uns, während wir
den Weg hinausgingen. Larida trug bedächtig die pyramidenförmige,
dreißig Zentimeter hohe weiße Kosmogene Chronik.
Der Himmel über Mashratan war ungewöhnlich dunkel. Die Wolken
leuchteten grünlich bis rot. Die Ausläufer der Temporalen Anomalien legten
sich erdrückend über die Wüstenwelt. Die beiden Mashraten standen mit
dem Gewehr im Anschlag am Rand des Felsens. Ich blickte auf die Oase
herab und sah die NOVA und das Schiff des Topsiders.
Aus dem Sichtschutz eines Baumes trat der Barde hervor. Das etwa ein
Meter kleine Wesen besaß einen tonnenförmigen Torso, der auf zwei
kurzen, dicken Beinen stand. Aus dem Rumpf entsprangen drei
tentakelartige Armpaare, an deren Ende Fühlerbüschel saßen. Auf dem
langen Hals ruhte ein eiförmiger Kopf, der von traubengroßen
Sinnesorganen bedeckt wurde. Der Mund war lippenlos. Das Wesen mit der
rot leuchtenden Haut trug eine violette Jacke über einer gelb-grünen
Kombination.
Der Barde war ein Ophaler, eine Spezies, die nur sehr selten in der
Milchstraße in Erscheinung trat, da es nur wenige von ihnen in unserer
Galaxis gab. Sie kamen von einer fernen, namenlosen Sterneninsel. Die
Besonderheit an ihnen waren ihre Gesangskünste.
»Es ist trüb, die Wolken ziehen dicht, und vor mir steht nicht nur ein
Wicht«, sagte der Barde.
Die Ausdrucksweise der Ophaler war musikalisch, wodurch sie aber
schwer zu verstehen war. So hieß es zumindest, doch ich konnte es nicht gut
beurteilen, da der Barde der einzige Ophaler war, der mir begegnet war.
Kuvad Soothorn fing laut zu lachen an.
»Ein Wicht? Du meinst die Pfeifen hinter mir, richtig? Ja, der ist gut. Ich
bin der große Tai, man nennt mich auch den Dreibeinigen Herrscher. Mein
Rüssel ist galaktisch, darüber kannst du mal eine Ode komponieren.«
»Schnauze«, rief Ikasar-Torn und stieß Soothorn zu Boden. Der kullerte
den Felsen hinunter und landete unsanft auf dem Sandboden. Dort prallte er
an eine Säule und stieß einen unterdrückten Schrei aus.
»So gehst du nicht mit mir um. Ich mach aus dir Stiefel.«
Er tastete sich an der Säule hoch und stellte fest, dass daneben noch eine
war. Sie war mit einem grünen Stoff bezogen. Schnell stellte Soothorn fest,
dass die Säulen wohl Beine waren. Er betrachtete die riesigen schwarzen
Stiefel und tastete sich nochmal an dem grünen Stoff ab. Dann blickte er
hoch und sah den Zwerg. Der Springer fiel auf den Hosenboden und schrie
laut um Hilfe. Er krabbelte rücklings zurück, während der Zwerg mit zwei
Schritten den Boden erzittern ließ.
Die Säulenbeine mündeten in den Unterleib. An dem kräftigen Oberkörper
befanden sich zwei Armpaare. Die unteren Arme waren etwas kleiner als
das obere Armpaar. Der halbmondförmige Kopf saß auf dem halslosen
Rumpf. Drei rote Augen glühten aus dem schwarzschuppigen Gesicht.
Soothorn schrie weiter. Er schrie laut und er schrie schrill. Der Ophaler
setzte zu einem Lied an. Düstere Töne drangen aus dem knorpelähnlichen
Wulst am Übergang des Halses. Das Organ ähnelte einem technischen
Synthesizer und erzeugte beliebige Töne und Laute. Es bestand aus einem
Stimmenerzeuger im Inneren und zahlreichen äußeren Membranen.
Die Töne wurden rhythmischer, wummernder.
»Yo!
Yo, Mann!
Na, wisst ihr, welche Zeit es ist?
Wäschezeit.
Bereitet euch vor, seid bereit.
Yes, Sir. Es ist Wäschezeit.
Drangwäsche, Drangwäsche, Drangwäsche.«
Jeder Schritt des Zwergs war spürbar.
»Jemand kriegt jetzt einen Arschtritt.
Jemand kriegt seine Tolle gespalten.
Jemand kriegt jetzt einen Arschtritt.
Jemand kriegt jetzt die Tolle gespalten.
Mach ihn alle, mach ihn alle,
brich ihm das Genick, brich ihm das Genick.«
Larida sah mich an: »Das ist der Zwerg? Wo ist der bitte klein?«. Sie
blickte den Haluter ehrfürchtig an.
»Er ist 2,78 Meter. Ein Winzling für Haluter«, erklärte Ikasar-Torn und
schubste Larida weiter. Sie verlor beinahe den Halt. Die beiden Mashratan
erschraken offenbar, und für einen kurzen Moment verlor jeder die
Konzentration. Das nutzte der Zwerg, der auf allen Vieren zum Rand des
Felsens schnellte, und mit den oberen Armen die beiden Mashratan packte.
»Mach ihn alle, mach ihn alle«, sang der Ophaler und wippte mit dem
Kopf schaukelnd.
Der Zwerg packte den ersten Mashraten.
»Brich ihm das Genick, brich ihm das Genick«, spornte der Barde ihn an.
Und schon knackten die Knochen des Mashraten laut. Dann zerriss der
Zwerg ihn einfach und warf die beiden Körperhälften zur Seite. Der andere
Mashrate schrie und war fest in den Klauen der anderen beiden Armpaare
des Haluters. Er nahm ihn in den linken Arm und klatschte den Mann
immer wieder gegen den Felsen und dann auf den Boden, von links nach
rechts, von oben nach unten, bis die Schreie verstummten. Der Haluter
schien die Lust zu verlieren und warf den Körper gegen einen Baum.
Kuvad Soothorn hatte sich inzwischen bis zur NOVA durchgeschlagen,
doch unser Weg zur NOVA wurde von dem 2,78 Meter »kleinen« Haluter
und dessen rappendem Ophalerfreund versperrt. Außerdem hatten wir den
grimmigen Topsider und seinen arkonidischen Kumpanen mit gezückten
Waffen im Nacken.
Der Zwerg gab einen Laut von sich, der sich angriffslustig anhörte. Er
schlug mit zwei Fäusten in die anderen beiden geöffneten Hände.
»Wem soll ich als nächstes das Genick brechen?«
Bordan Hayk war ein untypischer Haluter, was nicht nur an seiner Größe
von nur 2,78 Meter statt der üblichen 3,50 Meter lag. Immer wieder kam es
in den Generationen zu Veränderungen bei der eingeschlechtlichen Spezies.
Doch Hayk war nicht nur körperlich anders als ein normaler Haluter, auch
seine Psyche und sein Verhalten waren instabil. Haluter selber waren
größtenteils ausgeglichen und nur eine Gefahr, wenn sie ihre Drangwäsche
hatten, in der sie sich austobten.
»Wir haben etwas für dich«, rief Ikasar-Torn. »Dieses Artefakt ist den
Cairanern eine hohe Belohnung wert.«
»Was kann es denn?«
»Die Geschichte rekonstruieren. Es scheint ein Beweis zu sein, dass Terra
existiert.«
Der Haluter lachte grollend. Die andern hielten sich die Ohren zu,
während mein Helm die Lautstärke dämpfte. Ich nutzte die Gelegenheit und
überwältigte den Arkoniden. Ich riss ihm den Strahler aus der Hand und
drückte ab. Der Energiestrahl aus kurzer Distanz zerfetzte dessen Brust.
Ikasar Torn drückte seinen Strahler an Larida Yoons Kopf, während ich auf
ihn zielte.
»Das ist der Deal. Du lässt sie und das Artefakt gehen und verschwindest
mit deinem Schiff.«
Der Haluter lachte erneut.
»Was seid ihr für ein seltsamer Haufen. Meine Spezies zweifelte nie an
der Existenz von Terra, und ihr mordet dafür. Wer sagt eigentlich, dass ich
dem Topsider freies Geleit zusichere?«
»Das Transformgeschütz der NOVA«, lautete meine Antwort.
Der Haluter winkte ab.
»Das würde die ganze Oase zerstören.«
»Ein Fesselfeld genügt auch.«
Bordan Hayk schwieg. Offenbar hatten wir nun einen Deal.
»Ich dachte, ihr Rhodanjäger vernichtet lieber Beweise über die Existenz
von Terra. Wie geht es Hunter, Creen?«
Larida Yoon (C) Gaby Hylla
»Ich glaube, wir haben keine Zeit für Smalltalk. Vielleicht das nächste
Mal.«
Blitze zuckten wieder durch den Himmel. Die Temporale Anomalie kehrte
unvermindert zurück. Plötzlich bebte der Boden, und der Palast stieg aus
dem Boden. Ich fiel zu Boden und hörte Schüsse. Soldaten in lindgrüner
Uniform riefen aufgebracht durcheinander. Am Himmel sah ich mehrere
Kugelraumer. Wie auf Stellacasa erlebten wir offenbar die Verschmelzung
von Zeitlinien.
Bordan Hayk schnellte mit dem Ophaler auf seinem Rücken vor, packte
sowohl Larida Yoon als auch Ikasar-Torn und rannte zu dessen Schiff. Die
Schleuse war groß genug. Die Menschen in Uniform feuerten auf sie, als
ein Blitz sie traf und sie verschwanden. Ein Energieband zog sich vom
Himmel bis zum Boden und verschlang alles in seinem Weg. Das Schiff
leuchtete blau auf wie die NOVA auf Stellacasa und verschwand.
»Larida«, rief Jevran aufgebracht und wollte loslaufen, doch ich rammte
ihm den Ellbogen ins Gesicht, als er an mir vorbeiwollte. Damit rettete ich
vermutlich sein Leben, denn das Energieband hüllte das Schiff ein, das nun
blau leuchtete und plötzlich verschwand.
»Zur NOVA«, rief ich.
Ich packte Jevran Wigth und zog ihn mit. Cilgin At-Karsin schnappte sich
eine Tasche, die am Boden lag, und folgte uns. Mehr waren nicht übrig,
außer einigen Mashraten, die wild durcheinanderliefen. Die grünen
Energiebänder wischten wieder über den Boden. Wir wichen ihnen aus.
Endlich erreichten wir die NOVA, die ebenfalls blau leuchtete. Kaum war
die Luke geschlossen, legte Eleonore einen Alarmstart hin und jagte das
Schiff in Richtung Horizont.
At-Karsin fiel zu Boden, Wigth lag auf dem Bauch. Aus der Tasche At-
Karsins verstreuten sich Datenträger auf dem Metallboden.
»Was ist das?«
»Das habe ich doch unten gefunden, Herr Rhodanjäger. Die
Musiksammlung des Oberst Kerkum oder zumindest einige TonträgerEr
nahm zwei in die Hand und zeigte sie. Eine Beschriftung war erkennbar.
»Best of the King Elvis Presley & the 1950’stand auf dem einen und
auf dem anderen »Die Weise von den Wundern der tausend Planeten und
mehr von Zodiak Goradon.« Beides sagte mir nichts, doch der Hauri grinste
mich erwartungsvoll an. Ich winkte ab und half Jevran Wigth auf die Beine.
»Larida…«
»Um Drogen-Lary ist es nicht schlimm«, fand At-Karsin. »Um die Quelle
jedoch schon. Wir hätten endlich Gewissheit gehabt oder die CACC hätte
einen höheren Stellenwert bei den Cairanern erlangt.«
»Ich bringe dich um, du Knochengesicht!«
Jevran packte den Hauri. Es war das erste Mal, dass ich richtige Wut in
dem sonst so ausgeglichen Tefroder erkannte. Cilgin lachte nur verrückt. Er
schien keine Furcht zu haben. Ich griff ein, löste die Umklammerung und
schubste Wigth zu Boden.
»Genug jetzt.«
Ich ließ die beiden Streithähne zurück, schob mich unsanft an Kuvad
Soothorn vorbei, der nur blöde im Gang stand, und begab mich eine Etage
höher in die Zentrale. Hinter mir schloss sich die Tür. Eleonore saß in ihrem
Formenergiekörper an der Steuerkonsole. Sicherlich war dieses
Erscheinungsbild nur für mich gedacht, da sie als Positronik Teil der NOVA
war und kein Interface für den Flug benötigte. Sie brachte uns durch die
Temporale Anomalie und tauchte in den Überlichtflug ein.
Ich lehnte mich zurück und wusste nicht, was mit dem Schiff des
Topsiders geschehen war. Der grüne Energiestrahl hatte es vermutlich
einfach desintegriert. Larida Yoon wäre demnach tot und die Quelle der
Rhodanmystiker vernichtet. Eigentlich war das Ziel der CACC erreicht, und
ich konnte Ragana ter Camperna die frohe Kunde berichten.
Doch ich war nicht zufrieden. War ich auch im Besitz einer Kosmogenen
Chronik oder war es nur Zufall? Das glaubte ich nicht mehr. Nein, immer
mehr war ich der Überzeugung, dass weder Terra noch Perry Rhodan ein
Mythos waren. Vielleicht lag darin ja auch die Antwort auf mein vorheriges
Leben.
Epilog
Der Anblick einer Terra-Station weckte in Aurec das Gefühl von
Geborgenheit, so als würde er nach Hause kommen, obwohl er doch
Saggittone war. Aber es gab keine Saggittonen in der Tiefe des Chaos.
Die Terra-Station auf 17-348-Kevon hatte ein breites, flaches Dach, das
von vier schrägen Säulen getragen wurde. Darunter befand sich das
eigentliche Gebäude, welches sich in eine Art Diner, eine Werkstatt sowie
einen Verkaufsshop aufteilte.
Zur linken und rechten Seite lagen zwei runde Landeplattformen für
kleinere Raumschiffe. Eine Gangway führte geschwungen von jeder
Plattform zum Eingang der Station.
Die Terra-Station war die ersehnte Raststätte in der Einöde der Tiefe des
Chaos mit ihren unwirklichen und ungastlichen Protowelten.
Aurec landete den Kosmogenen Segler auf der linken Plattform. Das
Wetter auf dem Planeten 17-348-Kevon war trist. Der Himmel war
wolkenverhangen. Die dicken grauen Wolken wirkten erdrückend.
Aurec betrachtete traurig das Hologramm der Terranerin. Nie wieder
würde er in ihre braunen Augen blicken dürfen, nie wieder ihr dunkles Haar
streicheln oder ihre vollen Lippen küssen.
Kathy Scolar war die Liebe seines Lebens, doch sie war schon lange tot,
auch wenn er nie eine Bestätigung dafür erhalten hatte. Die vage Hoffnung,
dass sie nach mehr als 700 Jahren noch lebte, beruhte auf ihrer körperlichen
Mutation. Immerhin war sie eine Ylors gewesen, und die waren bekanntlich
relativ unsterblich.
Doch selbst wenn, so war das Rideryon eben auch seit über 700 Jahren
abgeschottet. DORGON hatte ihm einst geraten loszulassen. Nur einmal
hatte er noch etwas von ihr gehört. Es war etwa 25 Jahre nach der
Abschottung des Rideryon in Cartwheel und eine Nachricht von DORGON
gewesen, die ihm aufgezeigt hatte, dass Kathy eine neue Liebe und ein
neues Leben gefunden hatte. Nie würde er den Schmerz in seinem Herzen
vergessen, als er sah, wie sie mit einem anderen Mann glücklich durch die
Berge wanderte, auf einer Schaukel wippte, auf die majestätischen Berge
blickte und ihn offenbar vergessen hatte.
Aurec hatte sie nie vergessen und niemals den Schmerz abgelegt, den er in
seinem Herzen trug, die Einsamkeit und die Leere. Hätte er nicht diese
Mission, wäre er längst tot.
Er seufzte, streichelte den Posbihund Bencho und ließ ihn als Wache
zurück, als er den Segler verließ.
Ein kalter Wind strich über die Haut und durch das Haar. Der Betonboden
war feucht. Vor Kurzem hatte es offensichtlich geregnet. Das Wetter passte
zu seiner fortwährenden Depression. Grüne Wiesen und Sonnenschein hätte
er nicht mehr zu schätzen gewusst. In der dauerhaften Apokalypse der Tiefe
des Chaos fühlte er sich irgendwie sogar wohl. Sie spiegelte seinen
emotionalen Zustand bestens wieder.
Die Beine waren schwer, als er auf den Eingang der Station zuging. Die
große Frontscheibe gewährte einen Blick ins Innere. In Interkosmo
leuchtete die Botschaft »Willkommen auf Terra« in roten und blauen
Lettern. Die Glastür glitt zur Seite, und Aurec betrat den Eingangsbereich.
Der Boden war grau; ein warmes, gelbes Licht beleuchtete den Innenraum,
an dessen Ende ein großer, roter Tresen stand. Zur linken und rechten Seite
standen rote Stühle und Bänke, dazwischen einige verwelkte Pflanzen in
verstaubten Blumenkübeln.
An den Wänden hingen große Monitore, doch sie zeigten nur ein
grauschwarzes, krisseliges Bild. Die Holoprojektoren waren deaktiviert.
Aurec ging zum Tresen. Dahinter schwebte ein Roboter. Ein Mr. Terrapedia
genauer gesagt.
»Herzlich willkommen, Reisender! Hatten Sie eine anstrengende Reise
und benötigen etwas Ruhe? Unsere Terra-Station bietet Ihnen ein fast
sauberes Appartement und ein kulinarisches Fest mit Speis’ und Trank«,
sagte der Roboter mit der Stimme eines älteren Mannes. Die
Ausdrucksweise und die Betonung klangen vornehm.
»Etwas zu essen und zu trinken, Terrapedia«, sagte Aurec nur. Es war
nicht das erste Mal, dass er auf einen Mr. Terrapedia-Roboter in einer Terra-
Station getroffen war. Es war immer ein Mr. Terrapedia-Roboter dort.
Manchmal war es auch eine Mrs. Terrapedia mit weiblicher Stimme.
Die Roboter hatten drei Stielaugen auf ihrem eiförmigen Torso, aus dessen
unterem Ende drei Greifarme ragten. Dazwischen lag der Antrieb, ein
Antigrav oder auch ein Gravo-Jet. Die Greifarme konnten als Werkzeuge
oder in seltenen Fällen als Waffenarme genutzt werden. Der Schöpfer
der Baureihe war Eorthor gewesen. Er hatte berichtet, dass er sich die
Inspiration für das Aussehen aus der Galaxis Orpleyd bei einem Volk
namens Gyanli geholt hatte, die sich den Chaosmächten verschrieben
hatten. Ein anderes Mal hatte der Alysker erzählt, solche Roboter mit der
Bezeichnung Mister Handy in einer Temporalen Anomalie getroffen zu
haben, die in einer alternativen Zeitlinie der Erde gebaut worden waren.
Aurec wusste nicht, was stimmte. Vielleicht beides.
Mr. Terrapedia schwebte vom Tresen weg in Richtung Restaurant.
Im Hintergrund wurden terranische Songs aus einer vergangenen Zeit
gespielt.
»Eine Reservierung ist nicht nötig. In letzter Zeit besuchen uns nur
wenige Gäste. Das muss an der Inflation oder den exorbitant gestiegenen
Energiepreisen liegen, vermute ich, Sir! Bitte suchen Sie sich einen Platz
aus.«
Aurec seufzte und sah sich um. Die Einrichtung war wohl einem
terranischen Diner nachempfunden, wie es sie besonders zu Beginn des
Solaren Imperiums gegeben hatte. Das waren kleine, fliegende Stationen im
Weltraum gewesen, in denen Raumfahrer anhalten, etwas essen und
einkaufen konnten oder ihr Schiff warten ließen. Die Tische waren weiß-
silbern, die Sitzbänke mit rotem Polster und weißem Gestell. Aurec setzte
sich. Auf dem Tisch standen ein Salzstreuer und eine Flasche Ketchup.
Terraner liebten das rote Zeug, welches aus Tomaten gewonnen wurde. Sie
klatschten das Ketchup auf alle Gerichte, wenn es nötig war. Ketchup war
für Terraner die Universalsauce.
»Was wünschen der Herr?«, fragte Mr. Terrapedia.
Aurec spielte mit der roten Serviette.
»Eine große Cola erst einmal, bitte.«
»Sehr wohl, der Herr. Kommt sofort.«
Der Roboter schwebte davon und während er surrend davonflog, bereitete
er bereits die Cola aus dem Fach in seinem Bauch vor. Dann machte er auf
halbem Weg kehrt und servierte das kühle, dunkle Getränk.
»Auf der Durchreise, Sir?«
»Das ist korrekt, Terrapedia. Ich suche den nächsten Ankerpunkt zur
Milchstraße.«
»Oh, möchten Sie die Heimat besuchen? Was würde ich darum geben, mal
wieder einen Blick auf die Rocky Mountains zu werfen oder einfach nur die
wundervolle Wüste in Nevada zu betrachten.«
»Du warst niemals auf der Erde. Selbst ich als Saggittone war öfter dort.«
Mr. Terrapedia lachte.
»Wohl wahr, Sir, doch meine Programmierung beinhaltet Erinnerungen
von Terra. Es ist mein Auftrag, die Erinnerung an Terra aufrechtzuerhalten.
Und nicht nur anTerra, sondern auch an Perry Rhodan, an Atlan, an Gucky
und an Sie, Mister Aurec, Kanzler der Saggittonen.«
Aurec nahm einen Schluck Cola. Das süße Getränk schmeckte gut.
»Ist es gut, sich an alles zu erinnern? Erinnerungen sind mit viel Schmerz
verbunden.«
»Möchten Sie zu solch einer traurigen Kreatur werden, die durch den
Schleier der Lethe alles vergisst? Nein, Sir, ich weiß, Ihnen ist ein anderes
Schicksal vorgesehen.«
Aurec lachte bitter.
»Ja, sich seines Schmerzes und Verlustes immer bewusst zu sein.«
»Nun denn, was wünschen Sie zu speisen? Ich empfehle einen deftigen
ungarischen Gulascheintopf mit Kartoffeln, Paprika und Champignons. Es
ähnelt doch stark dem saggittonischen Carnaroosa.«
Aurec aß nicht zum ersten Mal Gulasch. Vermutlich aber das erste Mal bei
diesem Terrapedia-Roboter. Es gab Hunderte solcher Terra-Stationen in der
Tiefe des Chaos, doch sie waren nicht miteinander vernetzt. Im Grunde
genommen mussten sie auch geheim bleiben.
»Einmal Gulasch bitte und eine Portion Fleisch für meinen Hund im
Raumschiff zum Mitnehmen.«
Während Mister Terrapedia das Essen zubereitete, ließ Aurec einen Blues
auf sich wirken. Der Song war von einer gewissen Billie Holiday und hieß
»Easy Living«. Sie war Terranerin und keine Gataserin, trotz der
Bezeichnung Blues für die Musikrichtung. Die Terraner waren manchmal
verwirrend.
Wie gerne hätte Aurec diese banalen Worte zu Kathy gesagt, einfach mit
ihr Konversation am Tisch geführt. Doch er war allein. Da war niemand
außer einem Roboter. Der brachte ihm das dampfende Gulasch. Es
schmeckte würzig und war scharf, so wie er es mochte. Das Fleisch war
zart. Vermutlich war es nur Fleischersatz, denn woher sollte der Terrapedia-
Roboter an Fleisch von Rind, Schwein oder Geflügel kommen? Die
Kartoffeln, Paprika und Pilze wurden vermutlich in einem hydroponischen
Garten gezüchtet, während das synthetische Fleisch in einem Labor
gezüchtet wurde. Es schmeckte dennoch.
»Die Ortungsanlage der Station richtet seine Antennen nach Ankern aus«,
berichtete Mr. Terrapedia.
Als Aurec die Cola ausgetrunken hatte, bestellt er ein großes Bier und
spülte das Gulasch herunter.
Die Anker waren Portale von der Tiefe des Chaos zu einem Bereich im
Universum. Es gab also Anker nach Cartwheel, Erranternohre, Gruelfin,
Druithora, Siom-Som und in die Milchstraße. Sie waren jedoch nicht fest,
da sie nur eine bestimmte Haltbarkeit hatten und sich dann erneut
aufbauten. Jeder Anker hatte jedoch einen bestimmten Portalwert, eine
messbare Signatur, eine Art Fingerabdruck, der zu einer bestimmten Region
im Universum passte. Anhand dieser Signatur konnte man einen Anker
orten und wusste, wohin er führte.
Das Proacellus-Wesen von 321-Rückwärts hatte eine Art Sinn dafür, mit
welcher Region so ein Anker verbunden war. Doch der war wenig
kooperativ gewesen.
»Soll ich Ihnen eine Geschichte erzählen, wie Reginald Bull den ersten
Veggieburger seines Lebens in diesem Restaurant essen musste, weil Gucky
ihn dazu zwang?«
Aurec winkte ab.
»Nein, danke. Erzähle mir lieber die Geschichte, wie Kathy Scolar aus
dem Rideryon entkam und zu Aurec fand und sie für immer zusammen
waren.«
»Ich fürchte, ich kenne diese Begebenheit nicht, Sir!«
»Nein…, denn sie wird nie passieren.«
Aurec stand auf.
»Danke für das Mahl.«
Er übergab Terrapedia einen Reader.
»Das sind die Vorräte, die ich für mein Schiff benötige. Bitte stelle sie
zusammen und bringe sie auf die Landeplattform.«
Der zweite Greifarm fuhr hoch und nahm den Reader entgegen.
»Natürlich, Sir!«
Der Roboter schwebte davon. Aurec würde den Anker auch so finden. Sie
bauten sich nach einem bestimmten Muster immer wieder neu auf. Je mehr
Temporale Anomalien es gab, desto mehr Anker. Er verließ die Terra-
Station und kehrte zum Kosmogenen Segler zurück.
Bencho rieb sich an seinen Beinen und hüpfte hoch. Gierig verschlang er
das mitgebrachte Fleisch. Während Mr. Terrapedia die Vorräte verstaute,
betrachtete Aurec die Ortung. Wie er vermutet hatte, tauchten stündlich
neue Anker auf; ein halbes Dutzend wies die Signatur der Milchstraße auf.
Das bedeutete, die Temporalen Anomalien nahmen zu.
Es wurde Zeit in die Milchstraße aufzubrechen, denn wenn seine Mission
scheiterte, waren die Terrapedia-Roboter in ihren Terra-Stationen wirklich
die letzte Erinnerung an ihn selbst, Terra und Perry Rhodan.
ENDE
Vorschau
In DORGON 123 bricht die CASSIOPEIA in dem gleichnamigen Roman
zu ihrer Reise auf. Die Geschichte wurde ebenfalls von Nils Hirseland
geschrieben.
Glossar
Terra-Station
Eine Terra-Station war eine von einem Roboter geführte Niederlassung auf
diversen Welten in der Tiefe des Chaos. Sie wurden als Unterschlupf für die
Kosmogenen Chronikträger gebaut und sollten die Erinnerung an Terra im
Allgemeinen und Perry Rhodan im Besonderen am Leben erhalten.
Terra-Stationen hatten ein breites, flaches Dach, das von vier schrägen
Säulen getragen wurde. Darunter befand sich das eigentliche Gebäude, das
sich in einen Art Diner, eine Werkstatt und einen Verkaufsshop aufteilte.
Zur linken und rechten Seite lagen zwei runde Landeplattformen für
kleinere Raumschiffe. Eine Gangway führte geschwungen von jeder
Plattform zum Eingang der Terra-Station.
Eine Terra-Station wurde von einem Mr. Terrapedia-Roboter geführt. Es
gab immer nur einen Roboter je Station.
Es gab hunderte Stationen auf entlegenen Planeten und Proto-Welten in
der Tiefe des Chaos. Ihre Standorte waren geheim und nur Mitgliedern der
Loge des Kosmos bekannt.
Bekannte Terra-Stationen: 17-348-Kevon
Vhrataalis-Region
Die Vhrataalis-Region war eine besiedelte Region auf dem Planeten
Mashratan. Sie war im 13. Jahrhundert NGZ entstanden, nachdem die
Hauptstadt Vhrataalis aufgrund von Bürgerkriegen zerstört wurde und die
Bewohner sich in anderen Regionen niederließen. Die Stadt zerfiel im
Laufe der Jahrhunderte und wurde von Sand bedeckt.
Die Mashratan blieben aber in der fruchtbaren und gemäßigten Region,
errichteten kleine Siedlungen und verbanden diese mit Rohrbahnen.
Shalab-el-Vrat war im Jahre 2046 NGZ eine einfache Siedlung auf
Mashratan in der Region Vhrataalis, der einstigen Hauptstadt des Planeten.
Das Dorf lag am Fuße eines kleinen Berges. Eine etwa ein Meter hohe
Metallmauer war rechteckig angelegt und markierte die Umrisse der
Siedlung. Die meisten Gebäude waren sandsteinfarben, drei Häuser
erschienen in hellblauer, gelber oder weißer Außenfassade.
Im Februar 2046 hatten Nathaniel Creen und Jevran Wigth eine
Begegnung mit zwei Einheimischen und fragten nach dem exakten Standort
des alten Palastes von Oberst Kerkum. Die Mashraten wollten Creen und
Wigth ausplündern, wobei ein Mashrate sein Leben verlor. Der andere
zeigte ihnen den Standort, und die beiden kehrten zurück zu ihrem Camp.
Mr. & Mrs. Terrapedia
Mr. und Mrs. Terrapedia sind eine Roboterserie, die in der Tiefe des Chaos
lebt und an die alte Zeitlinie erinnern soll. Sie sind Servoroboter mit der
einprogrammierten Erinnerung an die Zeit mit Perry Rhodan. Sie sind
besonders stark auf der Proto-Erde vertreten, aber auch anderen Proto-
Welten, die Bezug zu Perry Rhodan haben.
Die Terrapedia-Roboter-Typen wurden von Eorthor entworfen und stellen
eine mobile Ergänzung zu den Kosmogenen Chroniken dar. Sie sollen
Erinnerungen im Schleier der Lethe bringen.
Die Roboter besitzen drei Stielaugen auf ihrem eiförmigen Torso, aus
dessen unterem Ende drei Greifarme herausragen. Dazwischen liegt der
Antrieb, der ein Antigrav oder auch ein Gravo-Jet ist. Die Greifarme
können als Werkzeuge oder auch in seltenen Fällen als Waffenarme
genutzt werden.
Konstrukteur Eorthor holte sich die Inspiration für das Aussehen aus der
Galaxis Orpleyd bei einem Volk namens Gyanli, die sich den
Chaosmächten verschrieben hatten. Ein anderes Mal hatte der Alysker
erzählt, solche Roboter mit der Bezeichnung Mister Handy in einer
Temporalen Anomalie getroffen zu haben, die in einer alternativen Zeitlinie
der Erde gebaut worden waren.
Ibrahim el Kerkum
Oberst Kerkum ist der Herrscher über den Planeten Mashratan.
Er ist als Traditionalist in einer konservativen Region aufgewachsen.
Seine Familie ist ein mächtiger Landklan und seit Generationen an der
Politik beteiligt.
Ibrahim absolvierte nach seiner Schulzeit ein Militärstudium auf Terra. Er
war regelrecht entsetzt und angewidert von den ganzen Extraterrestriern
dort, die es auf Mashratan nicht gab. Nach seinem Studium kehrte er auf
seine Heimatwelt zurück und ging 1183 NGZ izum Militär. Nach der
Ablösung der Realisten durch die Neoaktivisten 1187 NGZ schmiedete er
einen Plan zur Zurückeroberung seiner Heimatwelt. Er fand viele
Unterstützer in den Reihen des Militärs und putschte schließlich 1211 NGZ.
Die Neoaktivsten ließ er jagen und töten. Die Realisten arrangierten sich
mit der Politik von Kerkum. Die Traditionalisten und der Glaube an den
»Dreieinigen Gott« wurde wieder gestärkt.
Oberst Kerkum versteht sich als Befreier von Mashratan, als Bewahrer
und Beschützer der Religion und als Schwert des wahren, einigen Gottes.
1275 NGZ
Oberst Kerkum lädt terranische und arkonidische Geschäftsmänner und
Perry Rhodan zu einem Treffen auf Mashratan ein. Dabei versucht er,
Rhodan für seine Vision eines neuen Solaren Imperiums zu gewinnen, doch
Rhodan lehnt das kategorisch ab.
1282 NGZ
Oberst Kerkum hält einen Staatsbesuch auf Terra ab. Er wird von der Ersten
Terranerin hofiert.
Als Ende des Jahres die dunklen Machenschaften von mashratanischen
Söldnern im Auftrag von terranischen und arkonidischen Unternehmen
durch Camelot aufgedeckt werden, distanzieren sich die Kosmische Hanse
und Shorne Industries vom Despoten, um die eigene Haut zu retten. Die
LFT bricht den Handel mit Mashratan ab, und die Unternehmen kündigen
die Zusammenarbeit auf. Kerkum schwört Rache.
1283 NGZ
Im Januar sprengen Mashratan die Camelotniederlassung in Terrania in die
Luft und entführen fünf Cameloter nach Mashratan. Die Rettungsaktion
durch Cauthon Despair geht gründlich schief. Despair erleidet schwere
Verletzungen. Kerkum nimmt sich seiner an, und es stellt sich dabei heraus,
dass Oberst Kerkum Führungsmitglied der sogenannten
Widerstandsbewegung MORDRED ist, die sich nun zum Ziel setzt,
Camelot und die LFT zu bekämpfen.
1290 NGZ
Oberst Kerkum ist immer noch Herrscher über Mashratan. Ebenso ist er die
Nummer drei der MORDRED. Kerkum erlaubt den Dorgonen,
Ausgrabungen in den Wüsten durchzuführen. Natürlich hüllt er sich in
Schweigen und täuscht Unwissenheit gegenüber der LFT und Camelot vor.
Um sein Geheimnis als Nummer drei der MORDRED zu bewahren, tötet er
die Nummer fünf, ehe der Akone etwas ausplaudern kann.
Zusammen mit Wirsal Cell plant Kerkum die Entführung von Bostich;
doch diese schlägt fehl. Schließlich führt die Spur nach Mashratan. Dort
kommt es zu einer großen Raumschlacht zwischen der MORDRED und den
Mashratan auf der einen Seite und der LFT und Camelot auf der anderen
Seite.
Kerkum hat Rosan Orbanashol entführt, die sich jedoch befreien kann.
Mashratan verliert die Schlacht und eine Revolte wird gegen Kerkum
geführt. Die Revolutionisten nehmen Kerkum gefangen und lassen ihn
öffentlich durch Pfählung hinrichten.
Impressum
Die DORGON-Serie ist eine Publikation der
PERRY RHODAN-FanZentrale e. V., Rastatt (Amtsgericht Mannheim, VR
520740 )
vertreten durch Nils Hirseland, Redder 15, 23730 Sierksdorf
www.dorgon.net
Text: Nils Hirseland
Titelbild: Gaby Hylla
Innenillustrationen: Gaby Hylla; Raimund Peter, Thomas Röhs
Lektorat: Norbert Fiks
Korrektorat: Arndt Buessing, Jens Hirseland
Layout und digitale Formate: Burkhard Lieverkus
Sofern nicht anders vermerkt, bedarf die Vervielfältigung, Verbreitung und-
öffentliche Wiedergabe der schriftlichen Genehmigung der Rechteinhaber.
Perry Rhodan®, Atlan®, Icho Tolot®, Reginald Bull® und Gucky®
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