Band 121
Die Rhodanmystiker
Kopfgeldjäger auf der Suche nach Perry Rhodans Vermächtnis
Autor: Nils Hirseland
Cover: Gaby Hylla
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Stefan Wepil, Raimund Peter
DORGON ist eine nichtkommerzielle Fan-Publikation der PERRY
RHODAN-FanZentrale. Die FanFiktion ist von Fans für Fans der PERRY
RHODAN-Serie geschrieben.
Hauptpersonen des Romans
Nathaniel Creen
Ein Kopfgeldjäger sucht nach Rhodanmystikern und seiner
Vergangenheit
Hunter
Ein Rhodanjäger zeigt seine Brutalität
Kuvad »Tai« Soothorn
Ein obskurer Springer
Eleonore
Die Positronik der NOVA beginnt mit einem Lebensprojekt
Rasha, Wulfar und Otnand
Eine MaMe und ihre Mitarbeiter suchen nach mehr Stalkys
Myka Bilno
Die Assistentin von Kulag Milton lernt neue Freunde kennen
Vopp ter Camperna
Der onyronische Ziehsohn der Ragana
Inhalt
Hauptpersonen des Romans 2
Inhalt 3
Prolog 5
1. Paradise-Isch 9
2. Die SEESTERN 15
3. Die Meinungsmacherin 28
4. Die Rhodanmystiker 37
5. Der Geschmack von Delap 45
6. Die virtuelle Welt 48
7. Das Verhör 57
8. Dem WIDDER auf der Spur 63
Epilog 72
Vorschau 75
Glossar 77
Impressum 81
Was bisher geschah
Wir schreiben das Jahr 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, was
dem Jahre 5633 alter terranischer Zeitrechnung entspricht. Ein
Begriff, mit dem die Galaktiker nichts mehr anzufangen wissen. Es
ist die Epoche des Cairanischen Friedens, in der Terra ein Mythos ist
und Perry Rhodan eine Märchengestalt.
Terra ist verschwunden und förmlich aus der Geschichte der
Milchstraße getilgt. Durch den Posizid wurden galaxisweit Daten
von Positroniken gelöscht. Mit der Datensintflut wurden Unmengen
an sich widersprechenden Daten eingespielt.
Das Terranische Odium, eine sechsdimensionale Strahlung,
verhindert, dass Galaktiker an Terra denken können. So ist nach
mehr als 500 Jahren aus der Milchstraße eine Galaxie geworden, in
der das Wirken der Terraner in den vergangenen 3.600 Jahren
vergessen zu sein scheint.
In der Liga Freier Galaktiker wird dank Reginald Bull die
Erinnerung an die Erde und den Mond hochgehalten, doch selbst
nach Perry Rhodans und Atlans Rückkehr ist es schwer, das fehlende
Wissen und Misstrauen zu überbrücken.
In dieser Zeit steht der Kopfgeldjäger Nathaniel Creen in den
Diensten der Camperna Cloud Agency Company. Als Pilot des
Space-Jets NOVA sucht er nach Flüchtigen. Sein Kommandant ist
der harte tefrodische Kopfgeldjäger Hunter.
Sie suchen nach Terranern, nach sogenannten Rhodanmystikern,
jenen, die an die Existenz der Erde glauben.
Die Rhodanjäger Nathaniel Creen und Hunter wollen im Auftrag der
CACC Sorge tragen, dass das Vermächtnis von Perry Rhodan und
den Terranern auch weiterhin in Vergessenheit bleibt. Sie suchen
nach Gruppierungen außerhalb der LFG, welche an die Existenz von
Terra und Rhodan glauben. Diese Gruppen werden als
Verschwörungstheoretiker abgestempelt. Die Rhodanjäger begeben
sich in das Luce-System, auf der Jagd nach diesen Terranern.
Denn diese sind DIE RHODANMYSTIKER…
Prolog
Ich hatte mich an die Einsamkeit gewöhnt, sie vorerst akzeptiert und die
Vergangenheit losgelassen. Ich machte weiter, existierte und behielt den
Auftrag im Auge.
Loslassen, ja!
Vergessen, nein!
Ich rde ihr Gesicht niemals vergessen. Ihr dunkles Haar, ihre
wundervollen braunen Augen, ihr warmes Lächeln und ihre sanfte Stimme.
Den Frieden und die Geborgenheit, die ich in ihrer Gegenwart gefühlt hatte.
So lebendig war ich gewesen.
Und nun war ich zwar nicht tot, doch ich fühlte mich so. Schon seit langer,
langer Zeit.
Ich durchstreifte die Tiefe des Chaos.
Eine surreale Welt, in der die Physik ihre Gesetze verloren hatte.
Unwirtliche Planeten wie Ketten aneinandergereiht durchzogen diese
Hölle. Zeit und Raum kollidierten, verschmolzen miteinander, eröffneten
Zeitlinien und Zeitportale. Milliarden von Seelen wanderten auf den
Protowelten umher. Sie hatten im Schleier der Lethe ihre ursprüngliche
Existenz vergessen, und auch ich rang immer wieder mit den Wirkungen
dieser Psychose. Was war real und was bildete ich mir ein? Welche
Erinnerungen waren trügerisch und welche nur Wunschgedanken? Wie
lange war ich schon in der Tiefe des Chaos? Jahre? Jahrhunderte?
Osiris Segen war auch ein Fluch gewesen und doch die einzige
Möglichkeit, die Dinge in Ordnung zu bringen.
Mein silbernes, pfeilförmiges Raumschiff war mir seit jener Zeit in der
Tiefe des Chaos ein Zuhause gewesen. Einen Namen hatte das Schiff nicht.
Es war eines der acht Kosmogenen Segler.
Mein einziger treuer Begleiter in dieser Zeit war Bencho, ein positronisch-
biologischer Hund. Ein Posbi. Die Lebenserwartung des Posbi-Hundes war
natürlich weitaus höher als die eines gewöhnlichen Tieres. Bencho musste
schon alt sein.
Das Zeitgefühl war verloren gegangen.
Ich blickte in die braunen Augen des Posbi-Hundes und streichelte sein
weiß-braunes Fell. Bencho hatte einen ausgeprägten Kiefer und eine
Kniehöhe von 50 Zentimetern. Er verstand weitaus mehr als ein normales
Tier, was ich sagte, jedoch vermochte er nicht mit mir zu kommunizieren.
Mein Raumschiff passierte einen blauen Gasriesen. Wilde Stürme zischten
über die Oberfläche und wirbelten die Methanatmosphäre auf. Nur 350.000
Kilometer weiter erreichte das Schiff die nächste Welt. Sie war von
Lavaströmen übersät. Die schwarze Oberfläche wurde von zahlreichen
feuerroten Flüssen durchzogen. Dieser Planet war deutlich kleiner als der
blaue Riese. Nach normalen physikalischen Gesetzen hätte die
Anziehungskraft der Gaswelt die Lavawelt anziehen müssen, doch er blieb
in seiner Bahn, besser gesagt, in der Linie. In drei Millionen Kilometern
Entfernung schien eine gelbe Sonne. Die Sonnen in der Tiefe des Chaos
waren in einer separaten Linie angeordnet, exakt mit einem Abstand
zwischen drei und sieben Millionen Kilometern. Dahinter verbarg sich ein
Nebel, der Schleier der Lethe. Dort war die Tiefe des Chaos zu Ende. Die
Tiefe war wie eine Doppelhelix geformt. Sie hatte einen Durchmesser von
zehn Millionen Kilometern und schien endlos zu sein.
Es gab einige hundert Lücken in der Planetenkette, und manche Welten
waren nicht in Reih und Glied. Oft entstanden an dieser Stelle Anker,
temporale Anomalien, die ein Portal ins Normaluniversum bildeten.
Die Tiefe des Chaos erschien mir wie eine komprimierte
Aneinanderreihung eines Universums. Als würde der Weltraum zwischen
den Gestirnen nicht mehr existieren. Die Gravitation all dieser Planeten,
Sonnen und Monde machte diese Konstellation physikalisch unmöglich,
und doch existierte sie. Ich musste an einen altklugen Trivid-
Wissenschaftler denken, der wortgewandt und flapsig das Universum
erklärt hatte. Der hatte immer gewusst, was unmöglich gewesen war. Er
hätte diese Tiefe des Chaos kategorisch ausgeschlossen und müde belächelt.
Doch was wussten wir schon? Wir konnten doch nur Vermutungen äußern,
basierend auf unserem Wissens. Und wir waren nicht allwissend. Das
Universum war voller Wunder und Geheimnisse, die für normale
Lebewesen unbegreiflich waren. Je mehr wir glaubten, wir hätten den
Kosmos ergründet, desto mehr stellten wir fest, dass unser Wissen begrenzt
war.
Was vermochte ich schon zu wissen? Ich war noch jung im Vergleich zu
einem Perry Rhodan oder Atlan. Und sie waren Küken, betrachtete man
Osiris oder Eorthors, den Alysker.
Ich steuerte das Raumschiff an zwei kargen Monden mit rotem Sand und
Gestein vorbei und tauchte in den Ring eines gelben Riesen ein. Feinste
Staub- und Eispartikel prasselten auf die Außenhülle meines Schiffes. Sie
waren harmlos und konnten der Legierung nichts anhaben. Ich musste nicht
einmal den Schutzschirm aktivieren.
Ich erkannte ein blasses Leuchten in 4.000 Kilometern Entfernung und
steuerte das Raumschiff dorthin. Die Abtastung funktionierte nur bedingt.
Es gab hier auch nichts zu orten. Was ich sah, war das verschwommene,
längst vergangene Zerrbild eines Raumschiffes, ein Hauch aus der
Vergangenheit. Diese Geisterschiffe waren regelmäßig in der Tiefe des
Chaos anzutreffen. Das Schiff war modular gebaut. Der kastenförmige
Rumpf war um kugelförmige und zylinderförmige Module ergänzt. Ich flog
vorbei und sah, wie zwei Schatten an der Außenwand des Geisterschiffs
tanzten. Sie waren in etwa humanoid, hielten sich an den Händen, als
wollten sie verhindern, dass sie in die Tiefen des Alls abdrifteten. Waren es
Abbilder der Crew dieses Raumers? War das ein Hinweis auf ihr Schicksal?
Möglich, dass der Rumpf beschädigt worden war und die
Besatzungsmitglieder in den Weltraum geschleudert worden waren. Wie
lange mochte das her sein? Jahrhunderte? Jahrtausende?
Ich erhöhte den Gegenschub und verringerte die Geschwindigkeit meines
Raumschiffes, so dass es langsam an diesem Weltraumgrab vorbei glitt. Im
Zentrum des Kubus war ein Riss zu erkennen, ein leichtes Schimmern
formte den Umriss des Lochs. Wie hinter einem Schleier erkannte ich das
Innere des Schiffes.
Ein Geist im Weltraum. © Gaby Hylla
Was war das? Die Form eines Objektes ließ auf ein humanoides Wesen
schließen. Ich vergrößerte den Zoom der Außenkamera. Ein kalter Schauer
lief mir über den Rücken. Die Leiche hätte Saggittonin, Terranerin sein
können. Sie trug ein weißes Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte.
Möglich, dass es sich um ein Nachthemd handelte. War sie im Schlaf vom
Tod überrascht worden? Das helle Haar war zu einer ungebändigten Mähne
aufgebaut. Die Haut war bleich, die hellblauen Augen in Entsetzen weit
aufgerissen, so wie der Mund, als ob sie noch nach Luft ringen würde. Der
rechte Arm ausgestreckt, die Hand geöffnet. Sie schien noch im Tode nach
einer helfenden Hand greifen zu wollen.
Entgegen aller Vernunft steuerte ich das Raumschiff direkt zum
Geisterschemen. Ich war nun nahe genug, um in den Einfluss dieses Echos
aus der Vergangenheit zu kommen. Genauer gesagt, um es zu spüren. Ich
zuckte kurz zusammen, als ich Schreie in meinem Kopf vernahm: Die
Raumfahrer gerieten in einen Meteoritenschauer und waren überrascht und
überfordert. Die Meteoriten zerstörten die Hülle. Alles ging schnell. Das
Liebespaar umarmte sich, hielt sich verzweifelt an den Händen. Der einzige
Wunsch war, im Tode vereint zu sein und nicht alleine im kalten, dunklen
Weltraum zu schweben. Sie wurden hinausgezogen. Die weiße Frau war
jedoch allein, hatte keinen Dienst gehabt und geschlafen. Der Krach hatte
sie geweckt, da war die Katastrophe schon unabwendbar gewesen. Sie rang
nach Luft, hielt sich im Raumschiff fest und erstickte, nachdem der
Sauerstoff in das Weltall gedrückt worden war. Ihr letzter Gedanke hatte
den verpassten Gelegenheiten in ihrem Leben gegolten. Der verpassten
Liebe, der verpassten Familie für einen Ausflug in den Weltraum. Sie
hatte sich Erleuchtung im Kosmos erhofft und war nicht einmal bis zum
Nachbarplaneten ihrer Heimatwelt gekommen.
Ich erfuhr nicht, um welche Welt oder Spezies es sich handelte. Oder
welche technischen Möglichkeiten sie einst gehabt hatten. Es waren drei
Raumfahrer gewesen, die zu den Sternen aufgebrochen und an den
Gefahren gescheitert waren. Sie waren vor Jahrtausenden gestorben. Ich
fühlte ihr Leid und ihre Verzweiflung im Todeskampf. Ich schloss die
Augen, spürte Benchos Kopf an meinen Beinen. Er versuchte mich zu
trösten. Ich tätschelte den Kopf des Hundes, dann öffnete ich wieder die
Augen, warf einen letzten Blick auf den traurigen, beklemmenden Anblick
des Geisterschiffes und verließ diesen Sektor.
Ich verdrängte den Gedanken an die einsame Leiche im weißen
Nachthemd.
Vor mir lag eine Welt mit kargen, dunklen Landschaften, die von einer
dichten, toxischen Wolkendecke verdeckt wurden. Sie trug den
eigentümlichen Namen 321-Rückwärts. Es war einer der devolutionierten
Planeten, die aus dem Normaluniversum durch Temporale Anomalien aus
dem Normaluniversum gerissen worden waren.
Zum einen benötigte ich neue Vorräte, Nahrung und Wasser, denn die
nächste Terra-Station war zu weit entfernt, und zum anderen suchte ich den
richtigen Ausgang aus der Tiefe des Chaos. Es gab Lebensformen auf der
Welt und darunter auch Händler.
Das Raumschiff tauchte in die Atmosphäre ein und wurde automatisch
durch die Reibung abgebremst. Der Rumpf glühte, weil die kinetische
Energie in Wärme umgewandelt wurde. Das Schiff durchflog eine dichte
Wolkendecke. Es war dunkel auf der gesamten Welt. Es war ein tristes
Grau, denn die Wolken ließen nur wenig Licht der Sonnen durch. Ein
ständiger Sturm aus Asche und Sand peitschte über die Oberfläche. Es war
ein Bild, das sich mir schon oft auf den bewohnten Planeten in der Tiefe des
Chaos geboten hatte.
Es gab viele Portale und sie mündeten in anderen Zeiten und
unterschiedlichen Zeitlinien. Man konnte sich darin verlieren und niemals
mehr in die eigene Zeitlinie zurückfinden. Die Tiefe des Chaos war übersät
mit wilden, ungebändigten temporalen Anomalien. Sie verursachten
Hyperstürme, dort, wo sich Zeitlinien überlappten und um die Vorherrschaft
kämpften. In der einen Zeitlinie verging eine Welt, in einer anderen wurde
sie erschaffen oder sie landete in der Tiefe des Chaos. Ob alle
aneinandergereihten Planeten aus unterschiedlichen Zeitlinien stammten?
Eine Frage, die ich mir stellte, seitdem ich hier war. Wie lange das auch sein
mochte.
Der Schleier der Lethe trübte meine Erinnerungen und mein Zeitgefühl.
Eines wusste ich jedoch: dass ich ein Gefangener in der Tiefe des Chaos
war und einen Ausweg finden musste, denn sonst war ich verloren.
1. Paradise-Isch
7. Februar 2046 NGZ
Taris VI – Paradise-Isch
Myka Bilno
Das warme Wasser umspülte sanft ihre Beine. Eyilon-Delap stand bis zu
den Knien in den Fluten und blickte auf den türkisfarbenen Ozean, der vor
ihr lag. Es war paradiesisch. Nicht ohne Grund trug dieser Planet den
markanten Namen Paradise-Isch. Zweifellos das gekonnte Wortspiel eines
genialen Marketingstrategen. Sie bewunderte solche Lebewesen, die sich so
eloquent ausdrücken konnten. Sie selbst war im Herzen ebenfalls eine
Künstlerin, doch im wahren Leben die Sekretärin des einflussreichen
Raumschiffhändlers Kulag Milton. Auch Milton war jemand, der es
verstand, sich gut auszudrücken. Seine Sprache faszinierte sie immer
wieder. Eyilon-Delap verstand nicht, wieso sie ausgerechnet jetzt in ihrem
Urlaub an Milton denken musste. Es war wohl seine erotische, männliche
Ausstrahlung. Ihr wurde unbehaglich, und ihre Ängste griffen nach ihr. Sie
befürchtete eine Panikattacke und zwang sich, an etwas Schönes zu denken.
Das Meer.
Das warme Wasser.
Sie hob ihr Bein: das Nass perlte von ihrem rechten Fuß. Dabei
betrachtete sie ihre Tätowierung. Die goldene Sternschnuppe zog sich von
ihrem Knöchel über den Fußrücken bis kurz vor ihre Zehen. Hatte es an
Farbe verloren? Sie musterte es nachdenklich, verlor aber langsam die
Balance und senkte den Fuß wieder auf festen Grund.
Sollte sie weitergehen? Noch tiefer? Aber was war, wenn es gefräßige
Fische gab? Nein, so war es sicher. Nur ein Stück weiter bis zur Hüfte. Sie
zuckte kurz. Das Wasser war kühler als gedacht. Sie kicherte und sah sich
um. Vor ihr lag nur das hellblaue Wasser. Vereinzelt schwebten Gleiter in
weiter Ferne vorbei. Hinter ihr lag der weiße Strand mit den grünen
Palmen, dahinter die ausladende Strandbar, die jetzt nur spärlich besucht
war. Dann begann der ausgedehnte Wald, der sie an den dichten Dschungel
auf der Welt Benjamin, dem zweiten Planeten ihres Heimatsystems
Ephelegon, erinnerte.
Einzig bedrückend, ja nahezu beängstigend war das CACC-Resort
SEESTERN. Langsam hob Eyilon-Delap den Blick in den Himmel.
Bedrohlich schwebte das 500 Meter durchmessende, diskusförmige
Raumschiff-Hotel über ihrem Kopf. Sie fühlte sich eingeengt, so als würde
das Raumschiff jeden Moment herunterstürzen und sie zerquetschen.
Die SEESTERN beherbergte an diesem Tag mehr als 3.000 Passagiere
und hatte auf Taris-VI, so der eigentliche Name von Paradise-Isch, für fünf
Tage Station bezogen, damit die Urlauber sich auf dieser Welt vergnügen
konnten. Bald würde es nach Rudyn zurückkehren, 2.217 Lichtjahre vom
Taris-System entfernt. Bald war ihr Urlaub vorbei. Sie atmete tief durch,
war wieder betrübt. Ach, die zwei Sonnen schienen so hell und lieblich. Ihr
Herz jauchzte, doch im nächsten Moment war es so, als würde es ihr
jemand herausreißen. Was Kulag jetzt wohl machte? Vermutlich vergnügte
er sich mit der alten Sagreta. Das tat so weh.
Eyilon-Delap ballte die Hände zu Fäusten. Sie musste gegen ihre
Depressionen ankämpfen. Sie schloss die Augen und spürte die Lichtwesen
durch sie strömen, damit sie ihre DNS reparieren würden. Nichts anderes
war Urlaub als die Neustrukturierung der DNS, um sie von dem Übel und
den Schadstofffrequenzen des Alltags zu befreien. Der Kosmos war voll
von schädlichen Frequenzen. Sternenstaub, Hyperfunk die Liste war
endlos, doch sie war tapfer und musste da durch. Jetzt einmal abschalten
und blaumachen. Blaumachen von der Arbeit, von den quälenden Gedanken
an die Milton Company. Nur wenn ihr Geist frei war, konnten die
Lichtwesen ihre DNS reinigen. Auf Taris-VI schien oft die Sonne. Das half
ihr, denn die Sonnenstrahlen bestärkten sie in ihrem Tun. Die gehörlose
Resonanz, auf denen die Lichtwesen sendeten, spendete ihr Vitamine und
Energie. Nach dem Urlaub in Paradise-Isch war sie gesund, und ihr
Immunsystem so stark wie nie zuvor. Mutig tauchte sie in das kühle Nass
ein und schwamm einige Meter. Sie beobachtete kugelförmige, silberne
Springfische, die fast einen halben Meter aus dem Wasser hüpften und
wieder hineinplatschten.
Dann machte sie kehrt, ließ sich langsam von den sanften Wellen zum
Strand treiben, bis sie aufstehen musste und den Rest zu Fuß zurücklegte.
Der alte Mann an der Strandbar winkte ihr zu. Die Einheimischen und
Touristen nannten Obglarch den „Alten“. Der Tariser hatte einen kahlen,
kegelförmigen Kopf, und sein Spitzbart reichte bis an seinen Bauchnabel.
Er trug sein buntes Hemd offen, so dass sie auch genau sah, bis wohin der
Bart reichte. Die idyllische Bar im Holzstil mit dem Reetdach war noch
leer. Aber es duftete bereits nach frischem Kaffee und Friteusenfett.
Ich will Pommes, setzte sie sich jetzt in den Kopf. Pommes mit
Minzesauce und dazu einen entkoffeinierten herz- und magenschonenden
Kaffee.
»Talutscho-Tarsi, junge Frau Bilno«, grüßte Obglarch.
Sie winkte ab.
»Ach, meine Freunde nennen mich Myka oder Eyilon-Delap.«
Der Barmann lachte.
»Weil du im arkonidischen Monat Eyilon geboren wurdest und süß wie
eine Delap bist?«
Sie kicherte. Wie herzlich und nett er doch war.
Obglarch hustete kurz und bereitete Myka Bilno einen Kaffee zu.
»Schwach wie ein Swoon im Armdrücken gegen einen Oxtorner. Bitte
sehr, kleine Lady
Sie stellte sich vor, wie so ein kleiner, gurkenförmiger Swoon mit seinen
winzigen Ärmchen gegen einen massiven, kräftigen kahlköpfigen Oxtorner
armdrücken würde. Das war eher Fingerhakeln, denn die Swoon waren
gerade einmal durchschnittlich 30 Zentimeter groß und berühmt für ihre
Arbeit in der Mikrotechnologie. Die Oxtorner waren durch die
Umwelteinflüsse auf ihrem Heimatplaneten kräftig und besaßen eine harte,
panzerartige Haut. Nein, der Wettbewerb würde nicht gut ausgehen.
Sie bedankte sich, nahm einen Schluck, stellte den Kaffee auf den Tresen
und fächelte sich mit der Hand Luft zu. Der war aber stark. Hoffentlich
würde sie keinen Herzkasper bekommen.
Fünf Meter weiter saßen die Shoehes. Ein älteres Ehepaar, dem eine Suite
auf dem CACC-Resort über ihnen gehörte. Einmal im Jahr reisten die
Rudyner mit der SEESTERN selber mit, anstatt ihre Kabine an Urlauber zu
vermieten. Myka konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn sie eine Suite
hätte, würde sie die auch benutzen wollen. Aber bei ihrem Gehalt war das
schwer vorstellbar, es sei denn, der liebe Kulag würde sie unterstützen,
denn der hatte ja Geld wie Sand am Meer.
Bufra Shoehe winkte ihr zu, und sie ging zu dem Ehepaar. Alfredo Shoehe
schlürfte mürrisch eine kalte Cocktail-Suppe, während Bufra mit ihrem
ebenso betagten, graufelligen Hund sprach, der unter der Hitze litt und
hechelte.
»Wie geht es euch?«, fragte Myka brav.
»Ach«, die alte Frau winkte ab. »In unserem Alter tut alles weh. Mein
Mann hat Ekzeme am Hinterteil.«
»Du sollst doch nicht darüber mit anderen reden«, fuhr Alfredo sie an und
wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab.
Seine Frau versuchte ihrem Hund vergeblich dazu zu bringen, Pfötchen zu
geben. Alfredo nieste zweimal hintereinander auf den Tisch. Dann wischte
er sich mit dem Ärmel den Rest des Essens vom Gesicht. Myka wurde ganz
übel davon.
»Aua«, machte Bufra Shoehe. »Da hat mich was gestochen«, sagte sie und
begutachtete ihren Oberarm. Sie zeigte auf einen kleinen roten Punkt
zwischen den dicken Adern. »Da, siehst du?«
Die SEESTERN über Taris IV. © Stefan Wepil
Myka nickte. Sie verabschiedete sich ganz schnell und wünschte dem
Ehepaar noch einen schönen Tag. Der alte Obglarch winkte, denn ihre
Pommes waren fertig. Sie setzte sich an den Tresen. Die Sauce duftete
lecker. Eyilon-Delap war glücklich mit ihren Pommes in Minzesauce.
Von weitem sah sie eine lärmende Familie näherkommen. Vierflügelige
Vögel mit leuchtendem, violetten Gefieder flatterten über ihren Köpfen
hinweg. Jetzt kamen die ganzen Touristen an. Es war vorbei mit der Ruhe.
Dann erkannte sie, dass es sich gar nicht um Touristen handelte. Die Haut
eines Mannes mit breitem Gesäß war tief schwarz, und die Augen waren
ebenso dunkel. Markant war das dritte Auge auf der Stirn, das wie ein
schmaler Kristall wirkte. Die großen spitzen Ohren waren charakteristisch
für das Volk der Onryonen.Er trug Schlappschuhe, eine halblange
Cargohose und ein grünes Polohemd. Die blaugelbe Mütze mit dem
Propeller auf seinem Kopf musste wohl ein Gimmick sein. Die Frau neben
ihm hatte ebenfalls einen breiten Hintern. Ihre Haut war bleich, die Haare
hellgrün. Schon aus der Ferne dominierte der viel zu dick aufgetragene
pinke Lippenstift ihr Gesicht. Begleitet wurden sie von fünf Kindern, alles
Halbwüchsige, die wild herumschrien, kreischten und sich gegenseitig mit
Steinen bewarfen.
Das war Vopp ter Camperna mit seiner Frau Stasya und ihren Kindern.
Zumindest mit einigen. Insgesamt hatten sie sieben Kinder, doch zwei von
ihnen waren auf der ATOSGO, dem wichtigsten Raumschiff der CACC.
Das hatte ihr Stasya ter Camperna auf dem Hinflug erzählt.
Vopp war der Stiefsohn von Ragana ter Camperna, der mächtigen
Matriarchin des CACC-Resorts. Sie hatte seinen Vater, den onryonischen
Geschäftsmann Heshnat geheiratet, und ihn und seinen Bruder Topp als ihre
Kinder angenommen. Heshnac war inzwischen recht senil, hatte sie gehört.
Vopp war ein Positronikgenie, während Topp mehr in der schlüpfrigen
Unterhaltungsbranche tätig war.
Vopp und Kulag Milton arbeiteten seit Jahren erfolgreich zusammen. Der
Onryone war an der Konstruktion der CASSIOPEIA maßgeblich beteiligt
und hatte im Auftrag der Liga die Positroniken in der Solaren Residenz
modernisiert. Wie Kulag war Vopp ein wichtiges Lebewesen. Er und seine
Familie hatten es zu etwas gebracht im Leben. Myka fühlte sich wieder
klein, unbedeutend, unsichtbar. Wer war sie schon im Vergleich zu den ter
Campernas oder zu Kulag Milton?
Einer der Jungen traf seinen Bruder mit einem Stein am Kopf. Der
Getroffene fing an, laut zu weinen. Er kreischte so lange, bis er sich hustend
und würgend übergab.
»Hör bitte auf, die Steinchen nach deinem Bruder zu werfen«, rügte
Stasya den Steinewerfer.
Der Übeltäter antwortete mit Piepsstimme: »Halt die Fresse, du olle
Schlampe. Ich ruf’ sonst die Cairaner!«
»Na, jetzt ist aber Schluss«, mahnte Vopp. »Du wolltest schon die
Cairaner rufen, als du keine Süßigkeiten mehr bekommen hast. Die
kommen aber nicht wegen solcher Dinge.«
Die Cairaner waren seit vielen Jahrhunderten die Friedenshüter der
Milchstraße. Sie konnten unerbittlich sein, doch der cairanische Frieden war
gut für die Galaxis. Auch wenn ausgerechnet die Liga Freier Galaktiker, der
sie als Bürgerin angehörte, in Argwohn mit den Cairanern lebte. Es war
bedrückend, dass Verschwörungstheoretiker und Schwurbler wie Reginald
Bull die LFG regierten. Der Typ glaubte doch tatsächlich, dass es Terra
wirklich gegeben hatte, und predigte die Rückkehr dieser Comicfigur Perry
Rhodan. Lächerlich und unerträglich, insbesondere die Glorifizierung
dieses Mythos durch das Terraneum und andere Einrichtung.
Nun fing auch der Steinewerfer an zu heulen, und die anderen drei
stimmten mit ein, so dass nun alle Kinder laut brüllten. Andere Urlauber
sahen sich kopfschüttelnd um.
Myka konnten diesen negativen Schwingungen nichts abgewinnen. Ihr
wurde schon ganz übel, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie
brauchte die »wahre Macht« der Lichtwesen, um ihre DNS zu reinigen. Da
konnte sie solche negativen Resonanz-Frequenzen im Alpha-Beta-Bereich
der kosmischen Heiligkeit der Zentralsonne des Multiversums nicht
gebrauchen. Sie hastig ihre Pommes zu Ende, verabschiedete sich von
Obglarch, der wieder einmal hustete, und rannte zur Transmitterstation.
Jetzt brauchte sie etwas Ruhe und Meditation in ihrer Kabine. Myka warf
noch einmal einen Blick auf den erdrückenden Stahlkoloss am Himmel.
Bedrohlich schwebte das CACC-Resort über ihrem Kopf. Doch dahin
musste sie jetzt. Aber dann war sie nicht mehr die Bedrückte, sondern die
Drückerin. Das war ein gutes Gefühl.
Sie erreichte die mobile Transmitterstation. Nach einer routinemäßigen
Kontrolle durch einen kleinen, bunten kugelförmigen Roboter konnte sie
passieren. Sie materialisierte in der Lobby und blickte auf die große Halle.
Im Zentrum stand ein runder Tresen, an dem die Rezeptionistinnen
arbeiteten. Drumherum erstreckten sich Cafés und Restaurants über fünf
Etagen, die gut wegen der transparenten Wände und der offenen Mitte gut
einsehbar waren.
Ihr Interkom summte; sie kramte es aus ihrer Tasche, und ihr Herz machte
einen Satz. Der Chef! Sie aktivierte den Videoanruf. Das Gesicht ihres
Bosses erschien. So markant, so voller Männlichkeit, so weltmännisch.
Seine wasserblauen Augen durchdrangen ihre Seele.
»Ah, Myka. Wie geht es dir?«
Das war eine rhetorische Frage von ihm, die sie nicht beantworten musste.
»Wo warst du?«
»Unten am Strand.«
Er beäugte ihr knappes Outfit.
»Ich will nicht hoffen, dass du dich mit einem anderen Typen dort
vergnügt hast.«
Sie sah sich um, hoffte, dass sie niemand beobachtete und stellte sich
etwas abseits in eine Ecke.
»Nein, natürlich nicht, mein Booboochen.«
Sie wählte damit die Koseform der arkonidischen Haustiergattung
Booboo.
Sie spitzte die Lippen und küsste zweimal in die Luft.
Kulag Milton grinste zufrieden. Myka Bilno war so glücklich, dass ein
reicher und so gutaussehender Mann wie Kulag Milton sie zur Geliebten
auserwählt hatte. Konnte das Leben besser sein? Ja, durchaus, denn sie
könnte Sagreta da Maag als seine Lebenspartnerin verdrängen. Dann würde
sie teilhaben an seiner bedeutungsvollen Existenz und ihr eigenes Dasein
aufbessern. Doch dazu fehlte ihr die Kraft, und die Arkonidin war
gefährlich. Sie musste diese Scharade erst einmal weiterspielen.
Irgendwann…
»Hast du mit den ter Campernas gesprochen?«
»Ich habe eine schriftliche Einladung erhalten. Wir werden uns morgen
Abend treffen, um die Details zu besprechen. Sie freuen sich bereits auf den
Jungfernflug der CASSIOPEIA. Und…«
»Ja, ja… schon gut. Richte den ter Campernas aus, dass Atlan und Gucky
auch an der Zeremonie teilnehmen werden.«
»Wer?«
Myka hatte keine Ahnung, wer die beiden sein sollten.
»Sag es ihnen einfach!«
»Ja, Chef…«
Er konnte manchmal so rüde zu ihr sein. Das war ungerecht, denn sie
liebte ihn doch so innig. Aber so waren Männer nun einmal. Sie mussten
stark sein und ihre raue Schale offen präsentieren. Sie hatte Verständnis
dafür. Schließlich stand er mächtig unter Druck.
»Gut, ich muss Schluss machen. Ich erwarte deinen Bericht morgen
Abend.«
»Ja, natürlich, mein putziges Klonelefäntchen.«
Milton hatte die Verbindung bereits beendet.
Taris VI: Der Strand von Paradise-Isch. © v Wepil
2. Die SEESTERN
7. Februar 2046 NGZ
Taris VI – Paradise-Isch
Nathaniel Creen
Die NOVA fiel im Taris-System aus dem Hyperraum und passierte die
Umlaufbahn des Eisplaneten Taris VII. Ziel war Taris VI oder vielmehr
das CACC-Resort SEESTERN, das im Orbit der paradiesischen Welt lag.
Die scheibenförmige SEESTERN war mit einem Durchmesser von nur 500
Metern deutlich kleiner als die ATOSGO von Ragana ter Camperna.
Trotzdem war sie beeindruckend. Wir mussten zur Überholung unserer
Geräte sowieso einen Zwischenstopp einlegen. Außerdem mussten die
Rhodanmystiker Jevran Wigth und Larida Yoon medizinisch versorgt
werden.
Ich übergab unserer Positronik Eleonore die Steuerung und ließ die letzten
Tage Revue passieren. Zuerst hatte ich im Mashritun-System den
geflüchteten Springer Kuvad Soothorn einkassiert. Dass dieser Taugenichts
nun Teil unserer Crew war, verdankte er sehr glücklichen Umständen. Auf
Befehl unserer Auftraggeberin Ragana ter Camperna hatten wir uns auf die
Suche nach gefährlichen Rhodanmystikern gemacht. Sie verbreiteten ihre
Verschwörungstheorien über Perry Rhodan in Form von gedruckten Heften
und betrachteten diese Märchen als real. Der cairanische Faktenprüfer hatte
jedoch schon oft verkündete, dass es Fehlinformationen waren. Die
Verschwörungstheoretiker verbreiteten den Glauben, dass der Planet Terra
kein Mythos war und Perry Rhodan tatsächlich existierte. Unterstützung
fanden sie in dem Konstrukt der Lemurischen Allianz: der Liga Freier
Galaktiker und dem Tamanium. Der Rest der Galaxis belächelte diese
Mystiker milde oder verurteilte die Desinformation aufs Schärfste.
Galaktische Blogger hatten ausgerechnet, dass Reginald Bull etwa tausend
Mal am Tag log. Er schien der Drahtzieher des rhodanistischen
Mystizismus zu sein.
Es entsprach den Tatsachen, dass Terra und sein Trabant nicht in der
Milchstraße waren. Angeblich war die Erde mitsamt dem Mond geraubt
worden. Wissenschaftler und Experten lachten über diese vermeintlichen
Fakten. Außerdem gab es keine Aufzeichnungen über Terra, eine Liga
Freier Terraner oder ein Solares Imperium. In den Geschichtsbüchern stand
darüber kein Wort. Angeblich waren alle Daten in einer geheimen Nacht-
und Nebelaktion galaxisweit von allen Positroniken gelöscht und mit neuen
Daten bespielt worden. Das war doch alles sehr weit hergeholt, obgleich das
Phänomen des Posizids und der Datensintflut galaxisweit anerkannt war.
Außerdem existierte angeblich eine sechsdimensionale Strahlung, das
Terranische Odium, das verhinderte, dass die Galaktiker an Terra denken
konnten. Sie fühlten sich unbehaglich, schienen die vermeintliche Wahrheit
zu verdrängen. Nun, ich konnte ohne Bauchschmerzen an Terra und Perry
Rhodan denken, denn es gab keine Beweise für ihre Existenz. Ich war
durchaus aufgeschlossen: ich selbst wähnte mich in einer Amnesie und
wusste nicht, was tatsächlich in der Vergangenheit passiert war, doch dass
die Geschichte der Milchstraße vollständig manipuliert war, war schwer
vorstellbar.
Hunter, mein Chef, verabscheute die Rhodanmystiker zutiefst. Offenbar
rührte es von Erlebnissen aus seiner Vergangenheit her. Ob dieser Jevran
Wigth mehr über Hunter wusste? Offenbar kannten sie sich von früher.
Beide waren Tefroder. Eine gemeinsame Vergangenheit war durchaus
möglich.
Es wurde Zeit, ihnen einen Besuch abzustatten. Ich setzte meinen Helm
auf und verließ das Cockpit.
Die Mannschaftsquartiere lagen eine Etage tiefer. Die drei Kabinen waren
nicht sehr groß. Eine für Hunter, eine für mich und nun eine für den
Springer Kuvad Soothorn. Es war Platz für einen Tisch, ein Bett und eine
Hygienezelle. Dann folgten die Kombüse und die Medostation mit zwei
Betten. Dahinter lag mit dem Labor der sechste und letzte Raum. Einen
Gemeinschaftsraum gab es nicht. Hunter und ich hatten die dritte Kabine
dafür genutzt, doch ich war ohnehin nicht der gesellige Typ, und Hunters
Anwesenheit hatte mich selten erfreut. Wir waren an enge Verhältnisse
gewöhnt, doch mit drei Leuten mehr an Bord des kleinen Space-Jets war es
wirklich unangenehm. Ein kleiner, schmaler Korridor führte an jedem
Raum vorbei.
Ich erreichte die Medostation. Eleonore kümmerte sich um die beiden
Patienten, die auf kleinen Betten links und rechts lagen. Als Positronik
verfügte sie über ein Medizinprogramm und war einem Medoroboter
gleichwertig. Sie hatte wieder die Gestalt der blonden Rudynerin
angenommen. Vielleicht war die Bezeichnung Lemurerin passender? Laut
dem tefrodischen Maghan Vetris-Molaud stammten die Lemurer von den
Terranern ab. Hunter lehnte diese Auffassung vehement ab. Er war
immerhin Tefroder, doch auch diese stammten von den Lemurern ab. Es
war verwirrend.
»Wie geht es den beiden?«.
»Die Verletzungen des Mannes verheilen bereits. Die Frau hat Schäden an
der rechten Niere und an der Leber. Sie muss operiert werden.«
»Auf Taris VI wird es sicherlich ein Krankenhaus geben.«
»Korrekt, es gibt dort ein modernes Krankenhaus, das von Aras geleitet
wird. Es ist hauptsächlich für Touristen«, erklärte Eleonore emotionslos.
»Sie werden sicher eine Ausnahme machen. Soll ich wieder die Steuerung
der NOVA übernehmen?«
Sie blickte mich mit ihren blauen Augen an.
»Warum? Frauen gelten als multifunktionsfähig.«
Sie verzog die Lippen zu einer Grimasse. Das war wohl die Andeutung
eines Lächelns. Sie lernte offenbar dazu.
»Ich entschuldige mich und überlasse dir die Versorgung der Patienten
und die Navigation. Ich spreche mit Wigth.«
Sie kümmerte sich nun um die Akonin Yoon.
Jevran Wigth, der dunkelhäutige Tefroder mit dem Vollbart und dem
kurzen, schütteren Haar, richtete sich auf, so dass er auf der Liege saß.
»Was geschieht jetzt mit uns?«
Seine tiefe Stimme war ruhig. Er wirkte gefasst, besonnen und doch
schwang natürlich Besorgnis im Unterton mit.
»Das wird noch entschieden. Zunächst einmal werden wir euch versorgen.
Dann werden wir ins Luce-System reisen und sehen, ob ihr die Wahrheit
gesagt habt.«
Jevran Wigth lächelte müde.
»Als ob ihr uns überhaupt irgendwas glaubt. Dein Chef will mich am
liebsten töten.«
»Ihr habt eine gemeinsame Vergangenheit.«
»Ich war mit seinem Bruder befreundet. Das ist eine Ewigkeit her. Unsere
Familien hatten sehr unterschiedliche Auffassungen. Mein Vater war ein
gebildeter Mann, und ich bin Historiker geworden. Die Familie Erfos
leugnete schon immer die Existenz Terras und vertrat die unerschütterliche
Meinung, dass die Lemurer aus Andromeda kamen.«
Erfos. Das war also der Nachname von Hunter. Sofern Jevran Wigth mich
nicht belog. Ich nahm eine Flasche Wasser und reichte sie dem Tefroder.
Dieser Rhodanmystiker wirkte freundlich auf mich. Er war sachlich und
mental aufgeräumt. Doch vielleicht lag darin die Gefahr. Diese Leute
erschlichen sich das Vertrauen, wirkten harmlos und aufgeschlossen und
schon fingen sie an, dich zu manipulieren. Nun, vielleicht war dem so,
vielleicht auch nicht. Ich blieb jedenfalls vorsichtig.
»Erzähle mir mehr über die Familie Erfos.«
Wigth atmete tief durch. Dann nahm er einen Schluck aus der
Wasserflasche.
»Die Erfos waren eine wohlhabende Dynastie. Seine Eltern waren
einflussreiche Politiker auf Tefor. Immerhin war Tukern Erfos
Bürgermeister von Apsuma und dessen Bruder Minister des
Sorgfaltsministeriums. Sie waren der festen Überzeugung, dass der Maghan
Vetris-Molaud ein Verschwörer war und die Allianz mit Reginald Bull auf
Lügen basierte. Die tefrodische Reinheit wurde in ihren Augen mit
Verschwörungstheorien beschmutzt. Sie ignorierten Tatsachen und das
Vermächtnis einer gemeinsamen Kultur. Lemuria war unsere Heimat. Die
Lemurer zogen nach Andromeda und entwickelten sich unter der Herrschaft
der berüchtigten Meister der Insel zu den Tefrodern. Die in der Milchstraße
verbliebenen Lemurer entwickelten sich unter anderem zu den Akonen und
Terranern. Aus den Akonen gingen die Arkoniden hervor. Aus ihnen die
Mehandor und Zaliter. Aus den Terranern die Ertruser, Oxtorner, Epsaler,
Siganesen und viele andere. Alles führt auf Lemuria – Terra – zurück.«
Ich blickte in die braunen Augen des Tefroders. Er wirkte überzeugt, aber
keineswegs fanatisch.
Jevran wollte noch etwas sagen, doch er blickte an mir vorbei Richtung
Eingang. Ich drehte mich um. Hunter stand hinter mir.
»Wie ich sehe, geht es unseren Gefangenen gut. Sie dürfen saufen und
schwurbeln. Der Mythos Terra ist längst entlarvt.«
Hunter stellte sich neben ihn und drückte mit dem Daumen in die Wunde
am Bein. Wigth gab einen erstickten Laut des Schmerzes von sich.
Eleonore tat etwas Überraschendes. Sie fasste Hunter am Arm und zog ihn
zurück. Ihr Körper bestand aus Formenergie, also aus einer zwar formbaren,
aber doch festen Materie. Hunter sah sie erstaunt an.
»Der Heilungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Der Patient verspürt
Leid bei Berührung«, erklärte die Positronik.
Hunter blickte Eleonore ungläubig an.
»Nenne mir deine Programmierung«, forderte er.
Ich kannte ihren Positronik-Kodex.
1. Leiste dem Befehl des Komman danten Folge.
2. Schütze das Leben der Besatzung.
3. Leiste dem Befehl des Navigators Folge.
4. Halte Schaden vom Raumschiff fern, sofern es Befehl 1 bis 3 nicht
zuwider läuft.
5. Warte die NOVA und halte sie instand.
6. Befolge die Asimovschen Robotergesetze, sofern sie Befehl 1 bis 4 nicht
zuwiderlaufen.
Hunter grinste, nachdem Eleonore die Befehle ihrer Programmierung zitiert
hatte.
»Die Asimovschen Gesetze stehen an Punkt 6 und laufen deutlich Punkt 1
zuwider. Mein Befehl ist es, dass dieses Stück Weltraumscheiße leidet.«
Wer der Urheber dieser Gesetze war, lag im Dunkeln. Jedenfalls schienen
sie schon alt zu sein und waren eine Leitlinie für die Programmierung von
Robotern, Positroniken und künstlichen Intelligenzen aller Art.
Ausgenommen waren natürlich Kampfroboter und Maschinen, die dem
Zweck der Zerstörung galten. Doch für zivile Roboter galten diese Gesetze
besonders und sie waren ein fester Bestandteil ihrer Programmierung. Sie
lauteten:
Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch
Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt
wird.
Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen
gehorchen es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins
kollidieren.
Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht
mit Regel eins oder zwei kollidiert.
Diese Gesetze waren von moralisch hoher Natur und sollten verhindern,
dass sich Roboter gegen ihre Herren wendeten, und doch waren sie einfach
auszuhebeln. Auch im Fall von Eleonore, denn wenn Hunter den Befehl
gab, Wigth zu töten, musste sie gehorchen. Es war schlichtweg ihre
Programmierung. Sie müsste tatenlos zusehen, wenn Hunter seinen
Artgenossen foltern würde. Und doch zeigte sie sanften Widerstand. War
das bereits eine Weiterentwicklung ihrer künstlichen Intelligenz? Ein erster
Schritt in Richtung Bewusstsein?
Hunter zog seinen Strahler, zielte auf das Bein des Tefroders und schoss.
Wigth schrie auf. Hunter quittierte seinen Treffer mit einem Lächeln.
»Jetzt kannst du deine Asimovschen Gesetze befolgen, Schätzchen.«
Er verließ die kleine Medostation. Ich spürte eine schwache Bewegung
des Schiffes.
Eleonore bestätigte nüchtern. »Die NOVA ist auf der SEESTERN
gelandet. Ich versorge nun den Tefroder erneut.«
Die Luke setzte mit einem metallischen »Klonk« auf den Boden des
Hangars auf. Hunter ging voran, gefolgt von Kuvad Soothorn und mir. Der
Hangar hatte einen hellgrauen Boden mit gelben und schwarzen
Markierungen. Die Wände waren ebenfalls hellgrau. Container, Kisten und
Gleiter standen in den Landebuchten. Zumeist waren es Ausflugsgleiter, die
für den orbitalen Flug geeignet waren. Als wir den Hangar verließen,
durchquerten wir einen hellen, breiten Korridor mit schwarzem, weichem
Boden. Er mündete in einer breiten Empfangshalle, die sich über drei
Etagen erstreckte. Hier war viel Glas und transparentes Material verbaut.
Imbisse und Cafés schmückten die Nischen.
Die SEESTERN war bis auf einige Änderungen im Grunde eine kleinere
Kopie der ATOSGO.
Auf Weltraumflügen verschwammen Tageszeiten zur
Bedeutungslosigkeit, doch nach rudynischer Uhrzeit schien es Morgen zu
sein. Die unterschiedlichsten Wesen stopften sich Croissants und Brötchen
in ihre Rachen und spülten das Essen mit Kaffee und Tee herunter. Andere
genossen bereits einen Frühschoppen mit Bier. Hunter ging zielstrebig auf
den Empfang zu. Ein breiter, runder Tresen, an dem zwei Rudynerinnen
saßen. Die eine war groß und klobig mit kräftigen Händen und Kinn, ihr
rotbraunes Haar war lang und an den Seiten kahlgeschoren. Das blasse
Gesicht war voller Sommersprossen. Ihr Name war Cirane Kinzz. Sie war
Rezeptionistin und eine Mischung aus einer ertrusisch-epsalischen
Verbindung. Die zweite Rudynerin war über 1,70 Meter groß, sportlich, mit
blauem Haar und weißen Strähnen, einer langen, großen Nase und
wasserblauen großen Augen. Hunter hatte sie immer als »prächtig bestückt«
bezeichnet. Die Bewertung eines weiblichen Wesens nahm er vor allem
aufgrund ihrer Oberweiten vor. Jedenfalls hieß die zweite Rezeptionistin
Polly Kallos und war die Geliebte Hunters. Als sie sich unbeobachtet fühlte,
steckte sie ihm die Zunge in den Mund.
»Ich will auch so eine Begrüßung«, sagte Soothorn. »Was ist mit der
Kräftigen?«
»Du bist nicht ihre Zielgruppe. Sie will sich von einem reichen Dandy
schwängern und aushalten lassen. Cirane geht immer die Passagierlisten
durch und versucht, bei verheirateten Männern aus der 1. Klasse zu
landen.«
»Bisher wohl erfolglos«, stellte Kuvad fest.
Das erste wahre Wort, das ich bisher von ihm gehört hatte. Ich ging
ebenfalls an den Tresen.
Polly begrüßte auch mich freundlich und deutete auf den Springer.
»Wer ist der Wicht, Nathaniel?«
»Der Wicht kann dich hören«, motzte Tai wütend.
Sie blickte ihn abfällig an.
»Lange Geschichte. Wird dir Hunter berichten. Wir haben zwei Verletzte
an Bord und benötigen diskrete, aber effektive medizinische Versorgung für
sie.«
Sie rieb sich mit dem Zeigefinger die Nase und schniefte.
»Verstehe. Cirane, kümmere dich darum.«
Cirane Kinzz sah uns traurig an, so als wäre sie dieser Aufgabe nicht
gewachsen, und seufzte. Ihre kräftigen, aber gepflegten Finger tippten auf
das Display ihrer Konsole. Tai beugte sich hervor, legte die Arme
verschränkt auf den Tresen und lugte zu ihr herüber.
»Erwähnte ich schon, dass ich stinkreich bin und gerne Vater werden
will?«
Sie blickte mich fragend an.
»Der hat keinen einzigen Galax.«
Cirane verdrehte die braunen Augen und baute die Verbindung zum
Krankenhaus der Aras auf.
»Ich mache eine ausgedehnte Pause«, sagte Polly und nahm Hunters
Hand.
»Mein Strahler muss geputzt werden. Morgen brechen wir nach Stellacasa
auf. Ich würde sagen, vergnüge dich, aber das ist ja nicht dein Ding.«
Hunter bewies wieder einmal, was für ein Arschloch er war.
»Krankengleiter kommt. Kabine wird hergerichtet«, erklärte Cirane Kinzz
echauffiert.
Ich wartete mit Soothorn und Kinzz einige Minuten, bis drei Aras in
weißer Kleidung in unsere Richtung gingen. Einer der Mediziner mit dem
haarlosen Kegelkopf blickte mich aus seinen roten Augen an. »Wo sind die
Patienten?«
Bevor ich antworten konnte, rief jemand von hinten.
»Ah, das trifft sich ja exzellent. Herr Kopfgeldjäger. Hallo?«
Ich erkannte diese unangenehme Stimme. Sie gehörte dem Hauri Cilgin
At-Karsin. Was hatte der Buchhalter der CACC auf der SEESTERN
verloren? Der kahlköpfige, ausgemergelte Humanoide trug einen hellen
Pullover und schwarze Hosen. Seine Lippen deuteten eine Art Lächeln an.
Er eilte zu uns an den Tresen, verlangsamte sein Tempo und atmete schwer,
als er vor Kuvad Soothorn stand.
»Und der Schuldner ist auch da. Hast du schon etwas bezahlt, hm?«
Karsin wandte sich an mich.
»Herr Kopfgeldjäger, wenn du gestattest, werde ich mich persönlich um
die Genesung der beiden Subjekte kümmern.«
»Woher weißt du von ihnen? Wieso bist du hier?«
Der Hauri hob den Zeigefinger und wedelte damit in der Luft.
»Oh ja, richtig. Nun, ich bin auf Befehl von Ragana ter Camperna hier.
Einerseits um finanzielle Angelegenheiten zu regeln und auf der anderen
Seite, um euch nach eurer Mission freundlichst zu befragen.«
Hunter hatte während unseres Fluges eine Hyperkomnachricht an die
ATOSGO gesandt und außerdem die SEESTERN über unsere Ankunft
informiert. Es war wohl keine Lüge, wenn Cilgin At-Karsin behauptete, er
hätte seine Instruktionen von der Matriarchin höchstpersönlich erhalten.
»Die beiden Patienten befinden sich auf der NOVA.«
Karsin nickte.
»Wunderbar, die Mediker werden sie in eine speziell hergerichtete Kabine
bringen und behandeln. Ich selber werde ein Auge auf sie haben, damit sie
sich wohl fühlen und ihre strikte Quarantäne einhalten.«
»Sonst noch was?«, wollte ich wissen.
»Oh ja, Herr Kopfgeldjäger. Die Brüder ter Camperna wünschen dich und
Hunter zu sprechen. Es geht um den bevorstehenden Jungfernflug der
CASSIOPEIA.«
Cockpit: Der Rhodanjäger Hunter und sein neuer Handlanger Kuvad Soothorn. © Gaby Hylla
»Hunter ist verhindert. Wo finde ich die Brüder?«
»Im Mubiko II natürlich.« Karsin machte eine nachdenkliche Geste.
»Oder in einem Abdrücksaal natürlich. Aber ich würde es im Mubiko
versuchen. Dort findest du sicherlich Topp ter Camperna.«
Cilgin At-Karsin winkte die drei Aras zu sich. Sie verließen die große
Halle in Richtung Hangar. Ich wendete mich Soothorn zu. Wegen meines
Helms sah er meinen Blick nicht, also musste ich ihm mit einer Geste
verständlich machen, dass ich ihn ansah.
»Gehen wir
»Ins Mubiko? Als ich das letzte Mal dort war, hatte ich viel Spaß.«
»Und danach eine Menge Schulden.«
Das Mubiko war der Anlaufpunkt für das feierfreudige Volk und
erstreckte sich über die gesamte dreizehnte Etage der SEESTERN. Es gab
auf jedem CACC-Resortraumschiff ein Mubiko der Name stand für
hemmungsloses Feiern. Dort gab es alles, was die Partygänger begehrten:
Bars, Clubs, Diskotheken, Spielhallen, Simulationen, Kampfstätten und
natürlich Bordelle. Kuvad Soothorn hatte sich dort im vergangenen Jahr zu
sehr ausgetobt und seine Schulden nicht beglichen. Deshalb war ein
Kopfgeld auf ihn ausgesetzt worden. Hunter und ich hatten ihn im
Mashritun-System gefunden und mitgenommen. Zwar mussten wir ihm aus
taktischen Gründen seine Schulden erlassen, um die Springer-Sippe der
Soothorns nicht zu erzürnen, doch der Patriarch der Sippe hatte Kuvad
ausgestoßen, bis dieser genug Galax verdient hatte, um eben diese Summe
der Sippe zu zahlen. Nun war der Tagelöhner in unseren Diensten. Wobei
ihm bisher keiner auch nur einen Galax bezahlt hatte. Ob er sich darüber
eigentlich im Klaren war? Eigentlich war mir das aber egal.
Nun war es Zeit, ins Mubiko zu gehen.
Gelbe Lichter flossen die dunklen Wände entlang und spendeten ein wenig
Licht. Die elektronische Musik wummerte und ließ den Boden und sogar
die Luft erzittern.
Das war die Diskothek Mubiko. Ein großer, dunkler, heißer Saal, in dem
sich hunderte Partygänger tummelten.
Ekstatisch zuckten die Feiernden über die Tanzfläche, wirbelten und
hüpften, als würden sie einen Krampfanfall haben. Auf Antigravscheiben
tanzten schlanke und üppig bestückte nackte Frauen. Über ihre Körper
züngelten Hologramme von Flammen, Sternen und Wasserwellen. Man sah
viel und doch verdeckten die visuellen Bodypaintings die intimsten
Bereiche. Die Bewegungen der Tänzerinnen waren jedoch im besten Falle
erotisch, überwiegend jedoch verrucht.
Kuvad grinste breit.
»Es wackelt der Hintern, es hüpfen die Titten, hier lässt sich der große Tai
nicht zweimal bitten!«
Dicht an dicht gedrängt standen die Gäste zusammen an den Tresen oder
hoppelten über die Tanzfläche. Ein schmächtiger Mensch in schlabbrigen
Klamotten wedelte mit den Armen. Zwei Kumpels zückten
Injektionszylinder mit neongrünem Inhalt und rammten sie ihm in den Hals.
Der Typ schrie auf, die Augen schienen hervorzutreten, dann brüllte er
voller Inbrunst, riss die Arme in die Höhe und fing an, auf der Stelle zu
hüpfen und zu rennen. Er wedelte mit den Armen, schrie, lachte, sabberte
und umarmte seine beiden Freunde. Anschließend rannte er schreiend und
wild gestikulierend auf die Tanzfläche und verschwand in der Menge.
»Partykiller heißen die Dinger«, erklärte der Springer. »Damit vögelst du
drei Tage durch.«
Wieder einmal verriet mir Soothorn mehr als ich wissen wollte. Wo war
nun Topp ter Camperna? Eine kleine Frau mit gebräunter Haut, engen
Augenschlitzen und pink-grünem Haar kam zu uns. Natürlich trug auch sie
nicht viel und war reichlich geschminkt. Ihr roter Lippenstift glitzerte. Sie
verneigte sich.
»Der Herr ist bald hier«, sagte sie und verneigte sich erneut. Sie winkte
eine andere Frau dazu, die ein Tablett trug. Wie altmodisch. Kuvad griff
sofort nach zwei Getränken. Plötzlich wurde es dunkel. Die Masse johlte.
Dann wurde es stiller.
Donnerndes Schlagzeug setzte ein.
Auf der großen Vorderwand blitzte ein Hologramm auf, und im
Hintergrund wirbelten Sterne wie Schneeflocken umher. Davor erschien die
Silhouette einer nackten Frau. Ihr Körper war von Feuer und Flammen
bedeckt. Sie tanzte, griff sich ins Haar, die Brüste wippten auf und ab und
die Hüften kreisten.
Die Besucher jubelten.
Aus dem Feuer bildete sich ein weiterer Umriss einer Frau. Die eine tanzte
links, die andere rechts. In der Mitte öffnete sich eine Art Portal. Ein
Onryone trat aus dem Hologramm. Die Musik wechselte nun zu einer
schwungvollen Soulmusik. Ich warf einen Blick auf den Discjockey. Ein
weißer Kartanin sprang auf und ab, schwang den Arm und feuerte die
Masse an.
»Begrüßt euren Gastgeber. Topp!«, rief der Felide.
Vier Antigravscheiben mit Go-go-Girls eskortierten Topp ter Camperna.
Der Onryone war… nackt. Nein, nicht ganz. Er trug weiße Socken und ein
grün glitzerndes Suspensorium. In der rechten Hand hielt er ein großes Glas
Vurguzz, in der linken eine Zigarre und lächelte. Das Licht wurde heller
und offenbarte die graue Schuppenflechte, welche die Arme, Beine und den
Bauch des dunkelhäutigen Onryonen überzog. Offenbar litt er an einer
Krankheit, aber musste er sich dann so zur Schau stellen? Topp wedelte ein
paar Mal mit der linken Hand im Takt der Musik und rief: »Viel Spaß
noch.«
Die Empfangsdame mit den grün-pinken Haaren flüsterte Topp etwas ins
Ohr. Während sie das tat, grabschte seine Hand an ihrem Hintern. Er nickte,
ließ sie los und schlurfte zu uns.
»Hey du!«, sagte er zu Begrüßung.
Dann erkannte er Kuvad.
»Und du…«
Das klang weniger freundlich. Topp ter Camperna konnte sich Namen
nicht merken und deshalb hießen bei ihm alle Männer »du« und alle Frauen
»Mäuschen«. Gesichter schien er sich gut merken zu können oder in
meinem Fall Masken.
»Du wolltest mich sehen«, stellte ich fest.
»Ja? Ach ja! Stimmt. Folge mir
Cilgin: Der Hauri Cilgin At-Karsin. © Gaby Hylla
Er schlurfte Richtung Ausgang und war völlig erledigt, als wir in seinem
Privatgemach waren.
»Mäuschen, machst du mir einen Drink?«
Die Pinkgrüne tat, wie ihr befohlen. Der Onryone nahm das alkoholische
Getränk, leerte es und ließ sich erschöpft auf seine Liege fallen. Er hob die
Beine, streifte sein Suspensorium ab und warf es seufzend in die Ecke.
»Die drückt so aufs Gemächt, Jungs…«
Nun war der Onryone nur noch mit weißen Socken bekleidet. Breitbeinig
lag er auf seiner Liege und kratzte sich die unteren Gefilde. Die Pinkgrüne
kam herbei, setzte sich neben ihn und übernahm das für ihn.
»Nun?«, fragte ich.
Je eher wir die Privatgemächer des ter Camperna verließen, desto besser.
»Ach ja. Weißt du, Mama hat ja einen großen Deal mit dem rudynischen
Tycoon Kulag Milton. Seine Assistentin ist derzeit auf der SEESTERN. Der
Jungfernflug der CASSIOPEIA ist ein großes politisches Ereignis für die
Milchstraße. Wir haben Vertreter aus dem Tamanium, der Liga Freier
Galaktiker, den Kristallbaronien und der Cairaner an Bord und brauchen
fähiges Sicherheitspersonal. Mama möchte, dass Vopp und ich das
übernehmen. Aber Sicherheitssachen sind nicht so mein Ding, weißt du?
Ich dachte mir, du und Hunter seid perfekt dafür. Ihr seid harte Jungs mit
rauchenden Strahlern.«
»Wenn ich mich einmischen darf«, meldete sich Kuvad. »Ich war in der
Abteilung Nullminus im NDE. Ich bin perfekt für den Job.«
Topp winkte ab und pupste gedehnt.
»Oh Mist, da kündigt sich richtig was an. Wollen wir im Abdrücksaal
weitersprechen?«
Erneut pupste er. Und wieder.
»Nein, wir übernehmen den Auftrag nach unserer Rückkehr aus dem
Luce-System.«
Ein Gespräch in einem Abdrücksaal wollte ich unter allen Umständen
vermeiden. Die Onryonen pflegten ihre Toilettengänge als
gesellschaftliches Ereignis zu zelebrieren. Es war für sie so, als wenn
Rudyner, Arkoniden oder Tefroder zusammen ein Restaurant besuchen
würden. Nur galt der Verzehr von Nahrung als Privatsache, während der
Gang auf die Toilette ein freudiges Ereignis für Freunde und Familie, aber
auch Geschäftspartner war.
»Sehr gut.«
Topp erhob sich.
»Mäuschen, komm lass uns einen abseilen gehen. Die Schlange züngelt
schon mit dem Köpfchen aus dem Pöter
Mit diesen Worten verschwanden Topp ter Camperna und seine Mätresse.
Hunter würde über unseren neuen Auftrag nicht begeistert sein. Doch es
war besser, die Wünsche der Campernas zu erfüllen.
Ein Flüstern ließ mich langsam aus dem Land der Träume erwachen. Die
Stimme gehörte Eleonore. Sie weckte mich jeden Morgen zumeist
freundlich bis penetrant. Ich hatte wie jede Nacht nicht gut geschlafen. Ich
war müde und leer und doch bereit, den nächsten beschissenen Tag zu
absolvieren.
Ich blickte auf mein Chronometer und erkannte erst einmal nichts. Ich rieb
mir die Augen. Schon besser. Es war der 8. Februar, 4:45 Uhr. Ich quälte
mich zu dieser frühen Zeit aus dem Bett. Nach der Morgentoilette streifte
ich meinen Raumanzug über, der im Reinigungscontainer über Nacht
automatisch gesäubert worden war.
Der Start der NOVA war für sechs Uhr vorgesehen. Ich hatte also noch
genug Zeit, mich nach den beiden Gefangenen zu erkundigen. Ich
bevorzugte einen Spaziergang anstatt mich von einem Rollband oder einem
Antigrav transportieren zu lassen und ging den Korridor zur Haupthalle
entlang. Dort arbeitete bereits Polly Kallos, also begab ich mich zu ihr und
stellte mich neben den Tresen.
»Hunter ist schon wach?«
Sie wirkte noch ziemlich zerknittert. Die Schminke vermochte ihren
angegriffenen äußerlichen Zustand zu verschleiern, die raue und belegte
Stimme sagte aber alles.
»Ja, Morgensport, wir haben uns vor 15 Minuten verabschiedet.«
Ihre Stimme klang, als hätte sie zwei Flaschen Whisky und drei
Schachteln Zigaretten in der Nacht zu sich genommen und laut geschrien.
Ich konnte mir alles bei ihr vorstellen.
»Nun, hoffentlich ist er in besserer Verfassung als du« sagte ich.
Sie verzog das Gesicht.
»Werde nicht persönlich. Ich kann dich gut leiden. Aber seien wir mal
ehrlich: Du bist ein Freak und ein großer Verlierer. Ein Wort von mir, und
du fliegst von der NOVA. Sei also lieb zu mir so früh am Morgen.«
Lieb zu ihr sein? Ich wusste gar nicht, wie das ging, selbst wenn ich es
wollte. Ich nickte ihr zum Abschied zu und benutzte die Treppe bis zur
dritten Etage. Dort lief mir eine weitere Frau über den Weg. Sie war sehr
zierlich und hatte große grüne Augen. Sie starrte mich ehrfürchtig an und
flüsterte ein »Guten Morgen«. Ich erwiderte den Gruß kurz und knapp. Der
Aufmachung nach machte sie sich auf den Weg zum Strand. Ich schlug den
Weg nach rechts ein und betrat einen Korridor, der mich von dem
geschäftigen Foyer weg und zu den Suiten führte. Vor Kabine 174 blieb ich
stehen und betätigte den Türsummer. Wenig später öffnete sich die Tür, und
ich trat ein.
»Ah, Herr Kopfgeldjäger. Guten Morgen!«, rief Cilgin At-Karsin. Der
Hauri erhob sich aus dem quietschenden Sofa und legte seinen Reader
beiseite. Mit einem verschmitzten Lächeln zeigte er auf die zwei
Schlafzimmer. Darin standen je ein säulenförmiger Medoroboter mit
Tentakeln. Zwei Aras saßen in der Küche am Frühstückstisch.
»Wie geht es den beiden?«
»Den Umständen entsprechend. Ich werde während eurer Abwesenheit
persönlich auf die beiden Rhodanmystiker aufpassen. Ihre Geschichten sind
sehr phantasievoll. Hm, nicht wahr?« Der Hauri lächelte. »Demnach
stammt mein Volk aus dem Universum Tarkan. Meine Vorfahren wurden
mitsamt einer ganzen Galaxis namens Hangay vor etwa 1500 Jahren in die
Lokale Gruppe transferiert. Spannend, oder? Dabei dachte ich immer, dass
der Herr Heptamer uns auf der Welt Haurilon in der Südseite der
Milchstraße aus dem Feuer Afu-Metems erschaffen hatte.«
Karsin lachte erneut.
»Aber wer wird diesen Märchen schon Glauben schenken? Es fehlen nun
einmal die Fakten. Die Beweise. Hinter des Verschwörungstheoretikers
Stirn lebt nur ein winziges Hirn.«
Er lachte erfreut über seinen Spottvers.
»Falls sie Informationen haben, die uns zur Quelle der Rhodanmystiker
führen, informiere uns, Hauri!«
»Aber ja, Herr Kopfgeldjäger
Der Hauri winkte mit dem flachen Reader.
»Ich habe einen Backgroundcheck der beiden vorgenommen.«
Er drückte mir das Gerät mit dem großen Display in die Hand. Ich las es
mir durch.
Larida Yoon war Akonin, geboren 1960.
Sie war zwar Akonin, doch auf Olymp aufgewachsen, was sie geprägt
hatte. Früh war sie dem Mythos Terra verfallen, obwohl ihre Eltern Gegner
dieser Ansicht gewesen waren.
Larida war dort die Außenseiterin gewesen und hatte als Terramystiker
viel Gespött ertragen müssen. 1975 war ein prägendes Jahr für sie gewesen,
denn sie hatte den selbsternannten Terraforscher Kumush Komin
kennengelernt und war ihm auf seinen Expeditionen gefolgt. Später hatte
sie eine Affäre mit ihm gehabt. Komin war 1983 bei einem
Raumschiffunfall gestorben. Yoon hatte behauptet, er wäre von den
Cairanern ermordet worden. Jedenfalls folgte nun ein Totalabsturz von ihr:
Drogenexzesse, Sexorgien; und erst der Nachfolger von Komins
Terraforschungsgruppe natürlich Jevran Wigth schien ihr Halt gegeben
zu haben.
Fast 50 Jahre lang forschte sie nach der Existenz von Terra und Luna.
Sie und Wigth unterstützten ein Netzwerk an Rhodanmystikern.
Jetzt wurde es interessant. In dem Dossier wurden die Kiosk-Hopper
erwähnt, die auf Trafalgar für den Umschlag und Vertrieb der Perry
Rhodan-Märchen verantwortlich waren. Produziert wurde die triviale
Lügenliteratur von der Rastätter Druckgilde. Das war also das Netzwerk der
Rhodanmystiker oder auch der Terramystiker. Wir kannten nun den Namen
der Produktion und den Standort des Vertriebs jedoch noch nicht die
Ideen dahinter, die Verfasser der Bücher. Gut möglich, dass wir auf
Stellacasa Antworten fanden.
Am Ende des Profils stand eine Anmerkung von Karsin:
Laridas Charakter polarisiert. In der Liga wird ihre Arbeit geschätzt von
den Residenten, doch auch dort gibt es Gegner, die sie gerne ob ihrer
Vergangenheit als Drogen-Lary bezeichnen, und außerhalb der Liga
genießt sie im besten Fall den Ruf einer Spinnerin.
Ich tippte auf das Display und blätterte zum Eintrag von Jevran Wigth.
Er war 1951 auf Tefor geboren worden und als Sohn gut betuchter
Industrieller in den reichen Außenbezirken von Apsuma aufgewachsen.
Eine Verbindung zu der Familie von Hunter bestand in einer Freundschaft
zwischen Jevran Wigth und Hunters älterem Bruder Dotch Erfos. Über die
Jahre hatte es wohl immer wieder Differenzen gegeben, da der introvertierte
Wigth Terramystiker war. Die Familie Erfos hingegen hatte sich stets gegen
die Desinformationen eingesetzt und war in Opposition zur Ansicht von
Maghan Vetris-Molaud gegangen. Während also Wigth den nötigen
Rückhalt seiner Familie bekam, der Larida Yoon verwehrt worden war,
musste er sich mit der Familie seines besten Freundes auseinandersetzen.
Jevran hatte Geschichte und Archäologie studiert und war zu diesem
Zeitpunkt bereits ein unbelehrbarer Rhodanmystiker. Nach Beendigung des
Studiums 1977 war Jevran auf den Terraforscher Kumush Komin
aufmerksam geworden und hatte sich dessen Sache angeschlossen.
Komin war offenbar ein Sektierer gewesen. Wigth und Yoon folgten noch
nach dessen Tod der Ideologie. Das war nicht ungewöhnlich. Die Sache
starb nicht, nur die Protagonisten wechselten. Komin war offenbar auch
reich gewesen, denn die Organisation der Terraforscher konnte sich viele
Expeditionen leisten.
Jetzt wurde es richtig interessant.
1992 NGZ war die Familie Erfos aufgrund eines Putschversuchs an
Maghan Molaud verhaftet und exekutiert worden.
Ich starrte Cilgin At-Karsin ungläubig an. Meine Irritation bemerkte er
wegen des Visiers nicht, jedoch, dass ich ihn ansah.
Er kicherte schelmisch.
»Herr Kopfgeldjäger, sind wir zu den Ereignissen 1992 vorgedrungen, ja?
Hm, nun kennst du die Geschichte von Pawl Huntrend Erfos.«
»Pawl Huntrend ist Hunter?«
»Oh ja, das ist er. Seit 2028 NGZ nennt er sich Hunter. Wiedergeboren
durch die gnädige Hand unserer Matriarchin Ragana. Voller Zorn und
Verachtung gegen alle Rhodanmystikern. Er gibt ihnen und Maghan
Molaud die Schuld am Tod seiner Familie.«
Das wusste ich nicht. Das erklärte jedoch seine widerliche Art gegenüber
allen Terramystikern und seine Boshaftigkeit gegenüber Jevran Wigth. Der
Tod seiner Familie musste ein schweres Trauma für Hunter gewesen sein.
Vielleicht war er deshalb so unnahbar und verbittert.
Ich las weiter.
Nachdem Wigth einige Jahre in der Forschung verbracht hatte, war er
nach dem Tod Komins nach Tefor zurückgekehrt und hatte dort an der
Apsuma-Universität doziert. 1992 war es dann zum Putsch gekommen, bei
dem Wigth die Familie Erfos und auch seinen Freund Dotch belastet hatte.
Molaud hatte kurzen Prozess mit dem Klan gemacht.
Über Hunter stand nichts weiter geschrieben.
Jedenfalls war Jevran Wigth wohl nicht glücklich über die Hinrichtung
gewesen. Er hatte seinen Posten niedergelegt, Tefor verlassen und sich
wieder der Terraforschung gewidmet. Bis zum heutigen Tage forschte und
forschte er. Dabei unterstützte er die Produktion und den Vertrieb der Perry
Rhodan-Romane, die außerhalb der LFG strengstens verboten waren. Im
Laufe der Jahre wurde Wigth zu einem gern gesehenen Gast auf Rudyn und
in der Liga, wurde jedoch aufgrund kritischer Äußerung zur Ermordung der
Erfos-Familie im Tamanium zur Unperson. Außerhalb der Lemurischen
Allianz galt der Tefroder als Verschwörungstheoretiker.
»Interessant«, sagte ich und gab dem Hauri den Reader zurück. »Höchst
interessant.«
Der schlaksige Buchhalter der CACC griff nach einer Tasse Kaffee.
Schlürfend leerte er sie. Dann setzte er sich wieder auf die knarzende
Couch.
»Sag, lieber Herr Kopfgeldjäger, ist es nicht seltsam?«
»Was?«
»Nun, wir jagen die Rhodanmystiker und streben ihr Ende an.
Währenddessen bereiten wir uns offiziell auf eine Gala vor, bei der Atlan
und Gucky Sinnbilder für die Rhodanmystiker teilnehmen. Sollten wir
nicht Kante zeigen und diese beiden Schauspieler aus der nächsten Schleuse
werfen?«
»Nun, wer weiß, was Ragana ter Camperna und Kulag Milton geplant
haben.«
»Oh? Hm!«
Karsin schien darüber genauer nachzudenken und kicherte vergnügt vor
sich hin.
»Ich breche nun mit der NOVA ins Luce-System auf. Solltest du an
weitere Informationen kommen, sende mir eine Hyperkomnachricht.«
»Zu Befehl, Herr Kopfgeldjäger. Ich werde die beide hegen und pflegen,
denn Tote können nicht mehr reden.«
Nun, offenbar waren Larida Yoon und Jevran Wigth in guter Obhut. Cilgin
At-Karsin schien in seiner Rolle aufzugehen, was ich ihm nicht verdenken
konnte. Sie war deutlich spannender als die Buchhaltung der Camperna
Agency Cloud Company.
»Noch etwas, Herr Kopfgeldjäger! Der sternwestliche Konsulatssekretär
Roch Miravedse hat in einer Unterredung mit der erlauchten Matriarchin
eine Ausnahmegenehmigung für den Besuch auf Stellacasa erteilt. Ihr
müsst euch also keine Gedanken über mögliche Kontrollen machen.«
»In Ordnung«, sagte ich, verließ die Kabine und machte mich auf den
Weg zum Hangar. Dort überprüfte Kuvad Soothorn einige Anschlüsse und
die Außenhülle. Ich sah, dass Hunter am Cockpit saß und letzte Tests
durchführte. Offenbar hatte er es eilig. Ich informierte Hunter über das
Gesuch von Topp ter Camperna. Er quittierte das mit einem zustimmenden
Murren. Nachdem Soothorn seine Überprüfungen beendet hatte und sich
auf der NOVA befand, startete Hunter den Space-Jet und verließ in
schnellem Tempo den Hangar der SEESTERN. Regen prasselte auf das
Cockpit. Eilig durchquerte die NOVA die Regenfront. Wir überflogen die
paradiesische Welt Taris VI mit ihren Stränden, Ozeanen und tiefen grünen
Wäldern, verließen den Orbit und nahmen Kurs auf das Luce-System.
3. Die Meinungsmacherin
8. Februar 2046 NGZ
Taris VI – Paradise-Isch
Myka Bilno
Es regnete, Wasser fiel über das Paradies. Myka Bilno stand geschützt unter
dem Strohdach der Strandbar. Sie beobachtete den Flug einer Space-Jet, die
aus dem Hangar der SEESTERN geschossen kam und schnell in der
Wolkendecke verschwand. Einen Moment später erreichten die donnernden
Antriebsgeräusche das Ohr der Rudynerin.
Der alte Obglarch hustete, tanzte und trällerte fröhlich vor sich, während
er das Essen für die Gäste zubereitete. Es duftete nach gegartem Obst und
Gemüse, doch am liebsten hätte sie wieder Pommes mit Minzesauce
gegessen.
Links von ihr saßen Bufra und Alfredo Shoehe und starrten vor sich hin.
Waren sie schon tot? Sie rügte sich für solch düstere Gedanken. Es war so
ein liebenswertes, wenn auch exzentrisches Ehepaar. Heute war der letzte
Tag vor dem Aufbruch der SEESTERN, und dann ging es zurück nach
Rudyn – zurück an die Arbeit. Myka seufzte, rieb sich die Nase und seufzte
noch einmal. So schnell war der Urlaub wieder vorbei. Dabei war es ja
ohnehin nur ein Arbeitsurlaub gewesen. Immerhin hatte sie heute Abend
noch ein Meeting mit Vopp ter Camperna. Sie würde in ein paar Tagen
wieder im Büro der Milton Company sitzen und Kulag sehen. Ob er sie
auch vermisste? Er war gestern am Interkom so abweisend gewesen. Sie
sehnte sich nach Kulag, doch sie wusste auch, dass die Arbeit sie physisch
und psychisch an ihre Grenzen brachte. Viele Überstunden, dann noch die
stets unzufriedene Sagreta da Maag, die ihr immer das Gefühl gab, sie sei
unfähig. Sie hasste das so sehr, denn es weckte Zweifel in ihr. War sie
wirklich ein Taugenichts? Ihr war durchaus klar, dass sie unwichtig war,
doch sie hatte gehofft, dass ihr Einsatz Anerkennung finden würde. Oder
war sie in Wirklichkeit eine Verliererin, die aus Mitleid mitgezogen wurde?
Sie wusste es nicht und ermahnte sich, nicht immer so negativ zu denken.
Sie musste ihren Geist und Körper für die DNS-Reinigung öffnen. Nur dann
würde sie funktionieren.
Obglarch reichte ihr einen Paradise-Sunset, eine Eigenkreation mit
Früchten des Planeten. Er war so nett. Sie bedankte sich für den Cocktail
und schlürfte langsam das kühle, süße Getränk durch den Strohhalm.
Als der Regen nachließ, fiel ihr eine Frau mit langen, schwarzen Haaren
am Strand auf. Herrje, sie war fast nackt, trug nur einen sehr knappen roten
Bikini. Zweifellos konnte sie sich das bei ihrer Figur erlauben. Die
gebräunte Haut war übersät von irisierenden Tätowierungen. Sie zogen sich
schlangenförmig an den Beinen entlang, und die Linien trafen sich unter
ihren Brüsten. Die Arme waren bis über die Schultern ebenfalls tätowiert.
Myka war fasziniert. Die Frau, vermutlich eine Rudynerin oder Akonin,
kam näher. Nach einigen Momenten erreichte sie die Bar. Myka blickte
verlegen weg, als sich ihre Blicke kreuzten. Die Fremde hatte dunkle, ja fast
schwarze Augen. Sie war ihr unheimlich.
»Gib mir dein bestes Zeug«, sagte die Frau.
Obglarch hustete, zündete sich eine Zigarette an und machte sich daran,
das Getränk zu mixen.
»Und das Rauchzeug«, forderte sie.
Er bot ihr eine Zigarette an, die sie sich anzünden ließ. Sie nahm einen
kräftigen Zug und blies den Rauch in die Luft aus. Die Frau hatte ein
weiteres Tattoo auf dem Rücken. Myra erschauerte beim Anblick des
Monsters. Der Kopf des grauen Untiers war eine Mischung aus einem
Elefanten und einem Unither. Der Rüssel war lang, und die
vierpechschwarze Augen erinnerten an die einer Spinne. Myka zählte sechs
kleine Hörner auf dem sonst haarlosen Haupt des tätowierten Untiers. Wer
hatte sich solch ein Fabelwesen ausgedacht?
»Gefällt dir mein Goshkan?«, fragte die Frau ohne sich umzudrehen. Ihre
Stimme war rauchig, aber nicht unangenehm. Myka fühlte sich vor den
Kopf gestoßen. Woher wusste die Fremde, dass sie ihre Tätowierung
betrachtete? Hatte sie Augen im Hinterkopf? Myka fühlte ein flaues Gefühl
in der Magengegend, und ihr wurde schwindelig. Dann drehte sich die
Fremde auch noch um. Nicht, dass sie sie auch noch ansprechen würde.
Myka bemerkte den farblichen Unterschied in den Augen. Die Pupille war
schwarz, die Iris in einem dunklen Violett. Der innere und äußere Rand der
Iris waren weiß.
»Bist du so schüchtern?«
Nur Mut! Myka fasste sich ein Herz. Sie musste mutig sein. Einen Schritt
nach dem anderen.
»Nein…!«, rief sie hektisch und korrigierte sich sogleich. »Doch, ja.«
Die Fremde lächelte. Ihre vollen Lippen waren bordeauxrot bemalt und
farblich auf ihren Lidschatten abgestimmt. Die Kontur ihres Gesichts war
zart und feminin. An ihrem langen Hals trug sie ein weiteres Tattoo in Form
von Bissspuren und drei Bluttropfen.
»Mein Name ist Rasha. «, sagte sie säuselnd. »Wer bist du?«
Myka wusste es für einen kurzen Moment nicht, so aufgeregt war sie.
»Eyilon-Delap«, stieß sie hervor.
Rasha lachte laut.
»Das ist doch kein Name. Oder in eurer Kultur etwa doch?«
»Myka«, stotterte sie. »Ich bin Myka Bilno. Ich bin Assistentin in der
Geschäftsleitung der Milton Company, gegründet vom großartigen Kulag
Milton, einem Billionär und Tycoon in der Raumfahrtbranche. Kein
Raumschiff ist zu teuer, wir bauen es, ihr fliegt es. Das ist unser Motto. Ich
bin 38 Jahre alt und Single«, sprudelte es nun aus ihr hervor. Sie schämte
sich danach dafür. Das alles hatte sie ihr gar nicht sagen wollen. Ihr Herz
pochte wild, als würde es zu elektronischer Musik tanzen.
»Geht doch«, sagte Rasha und lehnte sich breitbeinig mit dem Rücken an
den Tresen. Sie offenbarte dabei sehr viel von ihrem Körper.
Myka starrte sie schweigend an.
»Und das Raumschiff dort oben?«
Myka brachte kein Wort heraus. Sie hörte wie in Trance ein Räuspern.
Alfredo Shoehe erwachte und erhob sich schniefend von seinem Tisch. Den
hatte sie schon wieder ganz vergessen. Er stellte sich Rasha vor und
versuchte ächzend eine Verbeugung.
»Das ist die SEESTERN, ein Raumschiff der Camperna Agency Cloud
Company. Ich bin stolzer Besitzer einer Luxuskabine. Falls du möchtest,
kann ich sie dir gerne zeigen.«
»Alfredo!«, fuhr seine Frau ihn an.
»Was denn? Man soll doch zu Fremden höflich sein.«
Er lachte heiser. Der Schweiß rann ihm von der Stirn. Rasha musterte den
alten, kleinen Mann.
»Der Name Camperna ist mir ein Begriff. Vielleicht werde ich eine
Kabine kaufen. Sag mir, Alfredo, ist ein Camperna an Bord?«
»Ja, ja, die beiden Söhne ter Camperna sind hier. Vopp ter Camperna. Und
Topp. Aber den einen sieht man fast nie, während der andere wild feiert«,
erklärte die alte Shoehe. Sie seufzte und erhob sich in Zeitlupe von ihrem
Strohstuhl. »Der Vopp versteckt sich gerne vor den Miteigentümern. Da
musst du eher mit seiner Mutter reden«, ergänzte sie und betrachtete Rasha
abfällig. »Ich glaube nicht, dass du dir eine Kabine leisten kannst.«
»Du würdest überrascht sein, verrottende alte Frau.«
Rasha blies ihr den Rauch der Zigarette ins Gesicht.
Das war gemein und zutiefst verletzend, fand Myka. Sie war richtig
empört über die Fremde, und auch die gute Bufra Shoehe wirkte entsetzt.
Rasha kicherte unschuldig. Es war wohl ihre Art einer Retourkutsche. Sie
stemmte die Arme in die Hüften und seufzte.
»Also gut, ich bin eine MeMa! Ich habe schon einiges an Geld.«
Eine Meinungsmacherin also, kurz MeMa genannt. Solche Lebewesen
waren in den Online-Netzen omnipräsent. Myka nahm ihr Interkom und
suchte nach Rasha. Schnell bekam sie Ergebnisse. Rasha hatte 57,5
Millionen Stalkys das waren Abonnenten. Myka war ehrlich beeindruckt.
Meistens posierte Rasha auf ihren Bildern und Videos halbnackt vor
schönen Landschaften, im Bett oder präsentierte ihr Essen, Make-Up und
Kleider, die Konsistenz ihrer Ausscheidungen und andere “spannende”
Themen. Myka war ein wenig eifersüchtig auf die Schönheit, denn sie wäre
gerne eine MeMa gewesen. Doch mit ihren Videos und Texten hatte sie
gerade einmal zweitausend Stalkys. Dabei gab sie mit ihren Gedichten und
Gedanken so viel über sich selbst preis. Rasha hingegen zeigte Haut und
keinen Tiefgang. Wie ungerecht doch die Galaxis war. Während Rasha über
ihr Leben als MeMa berichtete und tolle Fakten erzählte, bemerkte Myka
zwei große, kräftige Männer, die auf sie zukamen. Sie wirkten unheimlich
auf sie. Der eine musste zwei Meter groß sein, trug sein braunes Haar
wallend und war an Armen, Brust und Beinen tätowiert. Der lange braune
Bart war am Ende geflochten.
Der zweite war vom Gesicht bis zu den Waden voller Tattoos, vielleicht
um die 1,85 Meter groß und durchtrainiert. Sein Haar war an den Seiten
kurz geschoren und das Haupthaar zu einem Zopf gebunden. Je näher er
kam, desto intensiver schienen seine Augen in einem tiefen Blau zu
leuchten. Er hatte einen faszinierenden, anziehenden Blick. Wie Rasha
trugen die beiden Männer nur sehr wenig am Körper. Sie waren vermutlich
auch Strandgäste. Rasha drehte sich um und lachte.
»Da ist ja mein Team«.
Sie zeigte mit den Fingern auf die zwei.
»Das ist Team Rasha. Wulfar und Otnand. Meine Freunde, Statisten,
Helfer und Editoren. Sie machen einfach alles für mich.«
Sie kicherte ganz verzückt. Zwei so starke Männer. Myka beneidete
Rasha. Die MeMa war schön, cool und hatte so viele Stalkys. Ganz im
Unterschied zu ihr. Sie war so bedeutungslos. Sie war nun traurig, und ihr
Herz war schwer.
»Mein Team würde gerne einen Beitrag über die SEESTERN drehen.
Altes Ehepaar, Myka, könnt ihr mir dabei helfen?«
Rasha schmunzelte, fuhr mit dem Finger über Mykas Kinn. Diese wusste
nicht, ob das ein Zeichen der Zuneigung war. Wieso sollte die Fremde sonst
so zärtlich sein?
Wulfar warf eine weiße Kugel in die Luft. Sie drehte sich um die eigene
Achse und stabilisierte sich in etwa zehn Metern Höhe. Es war eine
Kamera, die ihre blaue Linse nach unten auf die Gruppe an der Bar richtet.
Rasha streckte beide Arme in die Höhe.
»Hallo, ihr Lieben! Ich bin es! Eure Rasha-Masha-Sasha-Tasha-Washa.«
Sie kreischte lachend und applaudierte sich selber.
»Ich und meine lieben Freunde Bussi!« Sie vollführte einen Luftkuss zu
ihren beiden schweigsamen Begleitern Wulfar und Otnand. »… sind auf der
Welt Taris VI. Sie wird auch Paradise-Isch genannt. Und das stimmt auch.
Es ist voll geil hier. Sonne, Strand und Cocktails!«
Sie wandte sich an den Alten Obglarch, der ihr wie aufs Stichwort einen
Cocktail reichte. Sie nuckelte am Strohhalm und grinste in die Kamera.
»Und das hier sind Passagiere der SEESTERN. Sagt doch mal was. Stellt
euch vor
Die Shoehes wirkten verlegten. Alfredo räusperte sich, während Bufra
anscheinend die Kamera suchte und verwirrt in den Himmel starrte. Rasha
ging zu Myka, legte ihr einen Arm um die Schulter. Myka wusste gar nicht,
wie ihr geschah, es war so selten, dass eine wunderschöne Frau sie berührte.
»Und meine neue Freundin hat den Spitznamen Eyilon-Delap. Erzähl was
von dir
Was jetzt? Nein, sie brauchte Zeit zur Vorbereitung. Spontaneität war
nicht ihre Stärke. Sie nahm allen Mut zusammen, versuchte nicht über die
Konsequenzen nachzudenken.
»Ich bin Myka und mache einen Geschäftsurlaub. Ich bin.. bin
Assistentin von Kulag Milton. Dem großen Raumwerften-Tycoon in der
Liga Freier Galaktiker. Jeder kennt ihn bestimmt. So gutaussehend, so
intelligent, so reich. Nun ja, mein Chef und die Chefin der CACC, der ja die
SEESTERN gehört, arbeiten an einem großen, tollen Projekt: Dem
Raumschiff CASSIOPEIA. Und da sich Vopp ter Camperna, das
Positronikgenie, auf der SEESTERN befindet, führe ich erste Gespräche.
Und kann nebenbei viel Urlaub machen.«
Die Kamera in der Kugel schwenkte wieder auf Rasha.
Rasha-face. © Gaby Hylla
»Danke, Schätzchen. Chefin der CACC ist eigentlich Ragana ter
Camperna und ihr Sohn der Posi-Nerd. Nachher schauen wir uns die
SEESTERN genauer an. Als Bonus-Clip räkele ich mich nachher am
Strand. Für mehr müsst ihr natürlich ein kostenpflichtiges Abo bestellen.
Aber, mal ehrlich, bin ich es nicht wert?«
Sie zwinkerte in die Kamera. Die Linse schloss sich, und die Kamera
senkte sich zu Boden. Wulfar nahm sie auf und steckte sie in einen Beutel.
Otnand hatte inzwischen zwei Bier vom Alten Obglarch besorgt und reichte
Wulfar eines, der Myka mit seinen blauen Augen musterte. Sie konnte
seinem Blick nicht standhalten.
Das strohblonde Haar, diese tiefblauen Augen und der Dreitagebart waren
eine erotische Kombination. Von der Schläfe an der kahlgeschorenen Seite
aus verliefen wellenförmige Linien hinter den Ohren entlang über den Hals,
die Schultern und bogen Richtung Brust ab. In der Mitte öffneten sich die
drei Linien. Über die gesamte Brust erstreckte sich das Bild eines
Greifvogels, eines Adlers.
Die Klauen des Vogels zeigten zum Bauch. Dort erkannte Myka eine
Tätowierung in Form eines kegelförmigen Raumschiffes.
Otnands auffälligstes Tattoo war ein dicker vertikaler Strich in der Mitte
der Stirn. Von der rechten Schulter entlang zog sich ein schillerndes
Schwert bis zum Handrücken. Auf dem linken Arm war der gleiche Adler,
den auch Wulfar auf der Brust trug, und auf dem Rücken sah Myka ein
Symbol, ein V mit einem Querstrich, das sich über den ganzen Rücken zog.
Das sah aus wie ein Q im Interkosmo. Otnands Vorderseite war
verhältnismäßig kahl. Um den Bauchnabel herum zwei gekreuzte Äxte,
darunter ein Totenschädel mit feurigen Augen.
Die beiden Männer waren so unheimlich und faszinierend zugleich. Was
sie jetzt für interessante Menschen kennenlernte, das war ja unglaublich.
Myka war bereit, sich diesem Abenteuer zu stellen. Sie fand Rasha sehr
anziehend. Doch nun überkamen sie auch Gewissensbisse. Was war, wenn
das noch weiter ging? Sie musste doch ihrem Sternenschnuppelchen Kulag
treu bleiben. Der arme Kulag, der ein Bett mit Sagreta teilen musste, mit ihr
schlafen musste, obwohl er doch Myka liebte, wie er immer wieder betonte.
Sie musste die Kraft für beide haben. Sie musste den Kurs halten,
durchhalten, bis sich Kulag von der Arkonidin trennen konnte. Wie konnte
sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren, wenn sie jetzt mit diesen drei
Fremden feierte? Oder waren ihre Gedanken viel zu weit in einer
imaginären Zukunft abgeglitten? Stellte sie sich etwas vor, was gar nicht
passieren würde?
Myka starrte in den Himmel. Rote und blaue Blitz zuckten quer durch die
sich auflösende Wolkendecke. Das Phänomen verschwand nach wenigen
Sekunden und kehrte nicht wieder zurück.
Rasha nahm Mykas Hand und schenkte ihr ein Lächeln.
»Ich würde mir gerne die SEESTERN ansehen. Du kannst doch bestimmt
mal mit Vopp ter Camperna reden? Ich würde auch Werbung machen für
die CACC.«
»Besucher müssen angemeldet werden. Na ja, vielleicht kann ich ein gutes
Wort für dich einlegen.«
Myka war mutig und lächelte. Wie aufregend, drei Fremde mitzunehmen.
Sie aktivierte ihr Interkom und sprach mit der leitenden Rezeptionistin der
SEESTERN, Polly Kallos, die eine Genehmigung erteilte. Voraussetzung
war ein Sicherheitscheck am Transmitter.
»Klingt phantastisch, Süße«, säuselte Rasha und wandte sich an die
schweigenden beiden Männer. »Jungs, wir sehen uns die SEESTERN an.«
Myka Bilno war aufgeregt. Sie betrachtete sich im Spiegel, drehte sich, um
ihren Hintern zu betrachten. Saß er richtig in der Hose? War er zu dick? Zu
knochig? Sie wusste es nicht, und er gefiel ihr nicht. Dabei wollte sie beim
heutigen Dinner mit den ter Campernas doch gut aussehen. Vopp ter
Camperna, seine Frau Stasya und die Rezeptionisten Polly Kallos hatten
eingeladen. Nicht nur Myka als Vertreterin der Milton Company, sondern
auch die MeMa Rasha und ihre Begleiter Wulfar und Otnand.
Myka blickte sich in ihrer hellen Kabine um. Es war sehr gemütlich hier.
Die weißen und beigen Farben von Teppich, Wände und Möbel, die vielen
grünen Pflanzen das wirkte sehr beruhigend auf ihre Seele. Sie atmete
noch einmal tief durch und betrachtete sich erneut. Sie trug braune
Stiefeletten, eine blaue Hose, eine gelbe Bluse und einen grünen Blazer
darüber und verzichtete auf Schminke und Schmuck. Man sollte ihre wahre
Schönheit, die Reinheit darin sehen. Myka verließ ihre Kabine und ging
schleichend den Korridor entlang, wich den Passagieren und
Crewmitgliedern immer dezent aus. Der Antigrav in einer transparenten
Röhre, aus der sie einen überwältigenden Ausblick auf das große Foyer der
SEESTERN hatte, führte sie vier Etagen tiefer in die Ebene des großen
Restaurants.
Die Passage war komplett gläsern. Es gab keine abschirmenden Elemente,
hier herrschte Freiheit und Weitsicht pur. Eine Glaslandschaft, in der
niemand etwas verbergen konnte. Einzig die Wände der Sanitärbereiche
konnten abgedunkelt werden. Das Gewusel an Lebewesen machte Myra
etwas nervös, und so viele saßen im Restaurant an ihren Tischen. Sie war
wieder verunsichert. Was war, wenn sie alle anstarrten? Hätte sie nicht doch
Make-Up auftragen müssen?
Langsam ging sie weiter. Ein roter Teppich wies den Weg zum Restaurant,
vor dessen Eingang ein Roboter in einem Frack stand. Myka meldete sich
schüchtern an und wurde an den Tisch gebracht. Dort saßen Vopp ter
Camperna und seine Frau Stasya. Der Onryone mit der dunklen Haut wirkte
sehr menschlich. Einzig das kristalline Auge auf seiner Stirn und die spitzen
Ohren zeigten den Unterschied zwischen den Onryonen und den Rudynern.
Er trug ein grünes Shirt und khakifarbene Shorts. Stasya war dick
geschminkt und trug einen knallroten Lippenstift. Ihre Augen waren mit
einem silbernen Lidschatten untermalt. Ihr dünnes, grünes Haar trug sie
offen. Im Gegensatz zur Schlichtheit ihres Ehemanns hatte sich Stasya
herausgeputzt. Sie trug ein silbernes Kleid. Myka fühlte sich schäbig im
Vergleich zur Second-Lady der CACC. Sie grüßte leise und nahm artig
Platz.
Die Tische und Stühle in dem Restaurant waren ebenfalls transparent. Der
Stuhl war mit seinem durchsichtigen Polster sehr komfortabel. Das Glas des
Tisches war etwas milchig, so dass man die Beine und Füße der anderen nur
verschwommen sehen konnte. Auf dem Tisch standen zwei Vasen mit
extrem teuren Fareh-Blumen, die nur auf einer giftigen Sumpfwelt wuchsen
und besonders von Arkoniden als Zierblume sehr geschätzt wurden.
Vopp war sehr wortkarg und lächelte nur freundlich. Stasya zwang Myka
eine inhaltslose Konversation auf. Sie sprachen über die Arbeit, wie es denn
Kulag Milton ginge und wie ihr der Aufenthalt bisher gefiele.
Derweil setzte sich Polly Kallos dazu. Sie hatte ihr schwarz-weißes Haar
rot getönt und war in allerlei Schleiern gekleidet. Kallos verstand die
Kommunikation und schaltete sich schnell in das Gespräch ein.
»… beeindruckt von Milton. Ich war ja früher auch Vertriebsmitarbeiterin
im Finanzsektor. Aber das war nichts für mich. Die Arbeit bei der CACC
und Fulltime-Mutter ist doch viel besser. Wobei ich schon viel für das
Unternehmen mache. Es ist ja nicht leicht, gutes Personal zu bekommen.
Anwesende ausgeschlossen.«
Stasya lachte schrill.
»Na, das will ich wohl hoffen«, sagte Polly und lachte auch.
Myka lachte mit, obwohl sie den Witz nicht verstanden hatte.
»Meine Familie ist ja sehr großzügig. Wir sind schon etwas wie eine
soziale Einrichtung. Einige Mitarbeiter mit geringer Bildung und Intelligenz
sind bei uns gut aufgehoben. Wir geben ihnen eine Perspektive und eine
Aufgabe. Mein Mann und meine Schwiegermutter sind unglaublich
großzügig und haben so ein gutes Herz. Sie engagieren sich auch für den
Bodensatz der Galaxis.«
Sie lächelte und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Weinglas.
»Was machen die Kids?«, fragte Polly.
»Ach, die tanzen mir auf der Nase herum.«
»Na, solange sie die nicht wieder brechen«, erwiderte Polly.
»Haben sie ja nur dreimal bisher. Die Mediker kriegen das schnell wieder
hin. Kinder müssen sich entfalten. Regeln stören nur ihre Entwicklung. Sie
müssen von alleine lernen, dass es falsch ist, der Mutter die Nase zu
brechen. Das kriegen sie schon hin.«
»Ja, mit 20 oder so«, erwiderte die Rezeptionistin.
Myka fühlte sich überflüssig. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Na, ich denke schon früher. Mein Erziehungsstil ist der richtige Weg für
meine Prachtstücke. Immerhin werden sie …«
Stasya schwieg abrupt und starrte an Myka vorbei zum Eingang des
Restaurants.
Rasha und ihre beiden Freunde waren eingetroffen. Die MeMa trug ein
enges violettes Kleid, dunkle Strumpfhosen und High-Heels. Schulter und
Rücken waren frei, ihr Dekolleté war mit Bändchen geschnürt und zeigte
mehr, als es verhüllte. Ihr dichtes, dunkles Haar war offen, Mund und
Augen mit violettem Make-Up abgestimmt. Myka fühlte sich wieder so
hässlich. Sie hätte sich doch schminken müssen. Rashas Begleiter waren
nicht passend gekleidet. Wulfar trug eine enge schwarze Lederkombination
mit Riemen und Gürteln. Otnand schien beim selben Schneider
einzukaufen, nur war seine Montur braun.
»Hallöchen«, grüßte Rasha.
Sie drehte sich um und posierte vor der Kugelkamera. Sie schwang ihre
Hüften, fuchtelte mit den Armen und stoppte abrupt, als die Aufnahme
beendet war. Sie setzte sich neben Myka; Otnand und Wulfar nahmen rechts
neben ihr Platz. Rasha grinste Stasya an, die alles andere als begeistert
wirkte.
»Das sind also deine Freunde, Frau Bilno?«, fragte die ter Camperna
reserviert.
»Meine Freunde? Nun ja. Wir haben uns heute Morgen kennen gelernt.«
Myka wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Sie wollte niemanden
verärgern. Am liebsten hätte sie sich unter dem Tisch verkrochen.
»Bier. Ich will euer Bier«, rief Otnand.
Vopp sah hilfesuchend zum Kellner und winkte ihn herbei.
»Ein Fass Bier«, bestellte Otnand.
»Und was trinkst du, Bruder?«, fragte Wulfar lachend.
Otnand stimmte laut lachend ein und donnerte die Faust zweimal auf den
Tisch.
»Zwei Fässer! Und du Onryone?«
Vopp ter Camperna nickte und sagte: »Nein, für mich nichts. Danke!«
Otnand und Wulfar sahen sich irritiert an.
Das Emot-Organ an der Stirn des Onryonen leuchtete in einem
metallischen blassrot. Myka wusste, dass ter Camperna belustigt war. Sie
hatte alle Farben des Emot-Organs auswendig gelernt. Denn Onryonen
zeigten ihre Emotionen nicht über die Mimik, sondern über das
kristallartige Emot-Organ auf ihrer Stirn.
Der Kellner brachte zwei große Pitcher Bier und stellte zwei Gläser dazu.
»Wohlsein«, wünschte er und wollte den Tisch verlassen, doch Wulfar
zupfte ihn am Frack.
»Wir wollen was essen. Fleisch?«
»Fleisch. Viel Fleisch«, bestätigte Otnand.
Rasha seufzte.
»Die Karte bitte, Bedienung. Wir haben uns noch nicht entschlossen.«
»Sehr wohl, die Dame.«
Er verbeugte sich und zog von dannen.
Otnand lachte.
»Feiner Pinkel, der! Wo hast du den denn angeheuert, Onryone?«
»Den hat meine Mama eingestellt.«
Wulfar lachte hässlich, während Otnand sein Bier schlürfte.
Rasha klatschte einmal in die Hände.
»Wo wir doch beim Thema sind. Ragana ter Camperna, die große
Matriarchin. Deine Stiefmutter, richtig?«
Vopp schüttelt den Kopf und sagte: »Ja.«
»Wie? Etwa nicht?«, hakte Rasha verdutzt nach.
»Doch«, sagte Vopp und schüttelte den Kopf.
»Wie dem auch sei, sie war also mit eurem Vater verheiratet. Eine
onryonisch-arkonidisch-mehandorische Beziehung. Wie toll. Das
interessiert meine Stalkys.«
Das Emot-Organ leuchtete rosa. Vopp war in positiver Stimmung.
»Mein Bruder und ich haben unserer Mama alles zu verdanken. Mein
Vater Heshnat ist ein angesehener onryonischer Raumfahrer und wurde
Geschäftspartner der CACC. Unsere echte Mama starb früh. Aber Mama
wurde schnell die echte Mama, wenn ihr versteht. Sie förderte uns. Ich
interessierte mich von Kindheit an für Positroniken. Topp hingegen war im
Entertainmentbereich besser aufgehoben.«
Rasha lächelte und zündete sich eine Zigarette an. Sie deutete mit dem
Finger auf Stasya.
»Und dann hat es zwischen euch gefunkt. Ihr seid ja nun unterschiedlicher
Spezies. Wie ist das? In welcher Farbe leuchtet dein Emot-Organ, wenn du
kommst?«
Das Emot-Organ wurde nun magentafarben. Ein Zeichen für Unsicherheit.
Er war offenbar verlegen. Ein Duft von süßlich faulem Obst drang an
Mykas Nase. Auch Rasha roch es und rümpfte ihr Riechorgan.
Myka wusste, dass Onryonen auch Gerüche als Emotionen ausdünsteten.
Der faulige Gestank war ein Zeichen der Unsicherheit und des Unbehagens.
Offenbar brachte die Meinungsmacherin ihn mit ihren Fragen gehörig in
Verlegenheit.
»Sexuell hat es bei uns prima geklappt«, sagte nun Stasya. »Ich habe
sieben tolle, hochintelligente Wunderkinder von meinem Schatz.«
Herausfordernd blickte die Rudynerin Rasha an. Myka war klar, dass die
beiden sich nicht leiden konnten. Rasha zog eine Augenbraue hoch, lehnte
sich etwas hervor und schmunzelte.
»Ich habe gehört, ihr schlaft im Rudel? Sicher, dass alle sieben Kinder von
ihm sind?«
»Was erlaubst du dir?«
Rasha hob beschwichtigend die Hände.
»War nur ein Scherz, sorry. Aber es stimmt doch, dass die Onryonen im
Rudel schlafen?«
»Ja«, sagte Vopp und schüttelte den Kopf. Langsam gewöhnten sich alle
an dieser Widersprüchlichkeit.
»Wir schlafen im Normalfall mit allen Kindern, Mutter ter Camperna,
Vater Heshnat und seinem Bruder Vopp in einem Rudel«, erklärte Stasya
und machte eine abschätzende Geste. »Allerdings sind die beiden da etwas
offen für unsere Gebräuche und machen Ausnahmen. Sie gehen ja mit der
Zeit.«
Inzwischen hatte der Kellner die Karten gebracht. Jeder suchte sich eine
Mahlzeit aus, bis auf Vopp ter Camperna. Es galt für Onryonen als sehr
intim zu speisen. Sie taten das immer allein und nicht in ihrem Rudel.
Vielleicht war das am ehesten vergleichbar mit einem Toilettengang, den
die meisten galaktischen Völker auch als intimen Akt ansahen und alleine
begingen. Doch eben diese Stoffwechselausscheidung war für die Onryonen
ein gesellschaftliches Ereignis, wie allgemein bekannt war.
Myka war glücklich gestimmt. Rudyner und Onryonen waren so
verschieden, und trotzdem konnten sich zwei dieser beiden Spezies lieben
und eine Familie gründen. Das war so romantisch.
Nach einer Weile wurde das Essen serviert, und für Otnand und Wulfar
wurden zwei neue Pitcher gebracht. Die zwei ließen es sich schmecken,
stopften die gebratenen Hähnchen in sich hinein und schütteten es mit Bier
den Rachen hinunter. Myka fröstelte es. Die zeigten ja überhaupt keine
Manieren. Rasha und ihre Bande würde sie jedenfalls nie wieder zu einem
wichtigen Dinner mitnehmen.
Myka selbst einen synthetischen Salat. Sie wollte sichergehen, dass
keine Tiere bei der Zubereitung gelitten hatten.
Vopp ter Camperna räusperte sich sehr gedehnt und wandte sich an Rasha.
»Wo kommt ihr überhaupt her? Ich bin ja nicht so der Experte bei den
Galaktomeet-Plattformen.«
»Och, wir sind Reisende quer durch die Galaxis. Seit Jahren sind wir drei
schon unterwegs. Von hier nach da.«
»Aha! Finde ich spannend«, antwortete Vopp.
Rasha verspeiste einen tarisischen Schellfisch. Myka lief ein kalter
Schauer über den Rücken, als sie den Rumpf des Fisches betrachtete. Ein
lebendes, denkendes und atmendes Wesen war ermordet worden, nur um
auf einen Teller zu landen. War das der Sinn des Lebens? Fressen und
gefressen werden?
»Als Reisende«, warf ter Camperna ein, »interessiert euch bestimmt die
CASSIOPEIA. Ein neues, schnelles Raumschiff aus der Milton-Werft. Ich
persönlich habe die Entwicklung der sekundären Positroniken
vorgenommen. Noch in diesem Monat findet der Jungfernflug statt. Ich bin
richtig stolz.«
Ter Camperna schüttelte den Kopf, sein Emot-Organ leuchtete blau, ein
Zeichen der Freude und Zufriedenheit.
»Gibt es noch Karten dafür?«, fragte Wulfar.
»Wir interessieren uns für Raumschiffe aller Art. Den Aufbau, Antrieb,
Geschwindigkeit«, ergänzte Otnand und leerte sein nächstes Glas Bier.
Stasya lächelte gequält. »Die Plätze sind leider schon alle vergeben. Ihr
könnt aber gerne eine Passage auf der ATOSGO buchen. Sie wird der
CASSIOPEIA sehr nahe sein. Die CASSIOPEIA wird auch im Hangar der
ATOSGO landen. Der Hangar wurde eigens dafür umgebaut. Dort könnt ihr
sie bewundern.«
Rasha erhob ihr Glas und lächelte. Ihren Schenkel rieb sie regelmäßig an
dem von Myka, deren Herz dabei immer höher schlug. Sie wusste nicht, ob
sie das schön oder unangenehm finden sollte. Rasha war attraktiv und
Wulfar sowie Otnand auch, obwohl die beiden Männer so finster und grob
wirkten. Rasha blickte Myka mit halb geöffnetem Mund an und zwinkerte
mit dem rechten Augenlid. Myka war ganz nervös und räusperte sich.
Rasha legte ihre Hand auf Mykas Oberschenkel und streichelte ihn.
Polly Kallos sprach sie an.
»Schmeckt der Synthosalat? Wie läuft das jetzt genau mit der
CASSIOPEIA ab? Wolltet ihr das nicht besprechen.«
Myka räusperte sich erneut, und Rasha nahm zu ihrer Erleichterung die
Hand von ihrem Schenkel.
Sie lächelte gezwungen.
»Die Gästeliste steht und wurde ja um diesen Atlan und Gucky erweitert.
Kulag Milton hat mich persönlich über die Anwesenheit der offiziellen
Vertreter der Liga Freier Galaktiker informiert.« Sie blickte in die Gesichter
der Anwesenden. Stasya ter Campern und Polly Kallos sagten die Namen
offenbar nichts. Das Emot-Organ von Vopp ter Camperna leuchtete
safrangelb. Er war offenbar wegen der Erwähnung der Namen angespannt.
Rasha und ihre beiden Begleiter wirkten gleichgültig, doch plötzlich erhob
Wulfar sein Bierglas.
»Atlan und Gucky. Es gibt unendlich viele Geschichten über ihre
ruhmreichen Heldentaten. Es wird mir eine Ehre sein, ihnen zu begegnen.
Darauf erhebe ich mein Glas.«
Rasha blickte ihn abfällig an.
»Ich habe vernommen, dass diese beiden nur Schauspieler sind, legendäre
Figuren aus dem Mythos um einen nicht existenten Planeten namens Terra.
Auf solche Typen sollen wir trinken?«
Wulfar grinste, seine blauen Augen schienen geradezu zu leuchten.
»Es heißt, hinter jedem Mythos steckte eine wahre Geschichte.«
Vopp ter Camperna nickte.
»Mama sagt, es gibt keinen Perry Rhodan. Mama hat immer recht.«
»Deine Mama…«, fing Wulfar grinsend an.
»Jetzt halt endlich deine Fresse« herrschte Rasha ihn an. »Akzeptieren wir
die Ansicht unserer Gastgeber. Terra ist ein Mythos. Entsprechend werden
wohl die beiden Schauspieler Atlan und Gucky zu unserem Amüsement
beitragen.«
Wulfar behielt sein Grinsen und prostete der Runde zu.
»Wie geht es dann weiter? Nehmen wir mal an, wir drei sind auf der
ATOSGO?«, fragte Rasha.
»Na ja«, offenbar fühlte sich Stasya ter Camperna angesprochen. Myka
schwieg, obwohl die Frage an sie gerichtet war. »Die CASSIOPEIA wird
feierlich am 23. Februar von Rudyn starten, das Ephelegon-System
verlassen und sich mit der ATOSGO treffen. Die ATOSGO und
CASSIOPEIA werden in das Taris-System fliegen und anschließend nach
Rudyn zurückkehren. Dazwischen werden viele Reden gehalten, und es
wird gefeiert. Polly, reserviere doch Kabinen für unsere illustren Gäste. Ihr
werdet sicher Werbung für uns machen?«
Rasha grinste.
»Der Jungfernflug der CASSIOPEIA wird unvergessen bleiben.«
Sie erhob ihr Weinglas in Richtung Stasya, und die Frau von Vopp ter
Campernas lächelte und prostete ihr zu.
»Auf die CASSIOPEIA«, sagte sie.
Während die anderen laut in den Trinkspruch einstimmten, blieb Myka
ruhig. Laut zu sein war nicht ihre Art. Sie stieß still und leise mit den
anderen an.
4. Die Rhodanmystiker
9. Februar 2046 NGZ
Stellacasa, 3.823 Lichtjahre von Rudyn entfernt
Nathaniel Creen
Das Luce-System lag 3.823 Lichtjahre vom rudynischen Ephelegon-System
entfernt. Insgesamt sieben Planeten kreisten um den blauen Stern Luce.
Einer davon lag in der habitablen Zone, Stellacasa, und dieser vierte Planet
war unser Ziel. Die ersten beiden Welten waren heiße Gesteinsbrocken, der
dritte Planet eine reine Gaswelt, und die Welten fünf bis sieben waren kalte
Eiswelten. Alles in allem war das Luce-System wenig interessant, denn es
gab weder Kolonien auf den Trabanten der anderen Planeten noch
Weltraumfabriken oder Minen. Das Leben beschränkte sich auf Stellacasa.
Eleonore gab uns einen geschichtlichen und gesellschaftlichen Überblick:
»Als Kolonie der Akonen wurde die Zivilisation im Jahre 1957 von einer
schweren Plage erschüttert. Verursacht wurde sie durch ein Virus mit dem
Namen Stella Mortem. Es scheint durch die Strahlung der Sonne Luce zu
entstehen. Aus Furcht vor Infektionen verbot die Regierung von Stellacasa
1959 die Raumfahrt. Die Cairaner klassifizierten das System als gefährlich
und untersagten den Aufenthalt. Jedoch wird die Umsetzung so gut wie gar
nicht mehr kontrolliert. Das Ozon von Stellacasa neutralisiert den Effekt der
Sonne zu 80 Prozent. Dennoch gilt auf Stellacasa seit 87 Jahren der
Notstand.«
Ich rief die Daten des Planeten auf. Stellacasa hatte einen Durchmesser
von 9.845 Kilometern und vier Kontinente. Es gab eine Vielzahl an Städten.
Der Planet hatte etwa siebenhundert Millionen Bewohner. Laut den Daten
der letzten Zählung vor fast 90 Jahren war die Bevölkerung um 40 Prozent
geschrumpft. Das Virus schien im Laufe der Zeit fast die Hälfte der
Bewohner dahingerafft zu haben. Eine ganze Bevölkerung isolierte sich
freiwillig vom Rest der Milchstraße und schien auszusterben.
Möglicherweise hätte die Medizin der Aras hier geholfen, Wieso hatten die
Wissenschaftler der LFG nichts unternommen? Sie hätten die Sonne
untersuchen und eine effektive Abschirmung der Strahlung entwickelt
können. Warum hatten sie nicht mit den Cairanern verhandelt?
»Wie oft kontrollieren die Cairaner die Einhaltung der Isolation?«, wollte
Hunter wissen.
»Beobachtungen von Raumfahrern zufolge erfolgt alle drei bis vier Tage
eine Abtastung des Systems durch eine patrouillierende Sonde. Uns
verbleiben meinen Berechnungen nach noch zwei Tage«, meldete Eleonore.
»Cilgin At-Karsin hatte mir vor unserem Abflug mitgeteilt, dass uns der
sternwestliche Konsulatssekretär Roch Miravedse eine Genehmigung erteilt
hat.«
Wir mussten uns also über die cairanischen Beobachtungssonden keine
Gedanken machen. Es wunderte mich nicht, dass wir die Genehmigung
erhalten hatten, denn Ragana hielt gute Kontakte zu den Cairanern.
Vermutlich handelten wir sogar im Auftrag dieser goldhäutigen Wesen, die
natürlich im Hintergrund bleiben wollten. Diese Rhodanmystiker waren
kleine Fische für die Cairaner. Ein Haufen kauziger Esoteriker, die an den
Heiland Perry Rhodan glaubten. Dennoch, wenn sich ihre Geschichten über
die ganze Galaxis verbreiten würden, bestand die Möglichkeit, dass die
Galaktiker anfingen, daran zu glauben. Vor allem, weil die LFG ja
verkünden ließ, Perry Rhodan sei zurückgekehrt und befände sich seit
Oktober vergangenen Jahres in der Milchstraße.
Ich warf einen Blick auf das Perry Rhodan-Heft, das mir vor unserem
Aufbruch zur Soothorn-Sippe Ragana ter Camperna gegeben hatte. Wie
sollte eine Zivilisation, die sich in permanenter Quarantäne befand, zu einer
Gefahr werden? Die Geschichten über Perry Rhodan würden doch gar nicht
das System verlassen; und doch hielt ich so eine Ausgabe in der Hand. Die
vergilbten Seiten und der schlechte Zustand ließen vermuten, dass es schon
älter war. Ein Datum stand jedenfalls nicht in der Geschichte, die im Jahr
1976 einer nicht benannten Zeitrechnung spielte. Perry Rhodan und
Reginald Bull erhielten von der Superintelligenz ES eine Zelldusche, womit
sie für 62 Jahre in ihrem biologischen Alter blieben. 20.000 Jahre lang
sollte Rhodan für die Terraner Zugang zum lebensverlängernden Physiotron
erhalten. Den Arkoniden Crest und Thora wurde die lebensverlängernde
Maßnahme verweigert. Thora? Das war der Name des Flaggschiffes der
Liga Freier Galaktiker. Es wurde kein Autor genannt, denn diese
Geschichten standen auf dem Index der Cairaner. Da würde man keine
Autoren und keinen Verlag mit Anschrift nennen.
Offenbar waren sie also von der Rastätter Druckgilde produziert worden
und wurden von den Kiosk-Hoppern auf Trafalgar vertrieben, wie wir auf
dem Planeten erfahren hatten. Ich schloss die Produktionsstätte auf
Stellacasa aus, doch es war durchaus möglich, die Manuskripte über
Hyperfunk zu versenden. Doch wer hatte die Romane geschrieben und die
Inhalte an die Druckgilde gesandt? Wieso hatten Larida Yoon und Jevran
Wigth diesen Strephano Tumesy auf Stellacasa erwähnt, als sie mit dem
Leben bedroht wurden? Es gab zu viele offene Fragen.
Die NOVA schwenkte in den Orbit von Stellacasa ein. Es war ein blau-
grüner Planet, was für üppige Vegetation sprach. Nur wenige Satelliten und
keine Raumstationen kreuzten unsere Bahn.
»Ist die Sonnenstrahlung für uns gefährlich?«, fragte Hunter.
»Nach meinen Berechnungen schützt unser Schirm uns vor der Strahlung
zu hundert Prozent. Auf dem Planeten gibt es ein Restrisiko von zwanzig
Prozent, solltet ihr euren Individualschutzschirm nicht aktiviert haben«,
berichtete Eleonore.
»Und… und was wären die Symptome?«, wollte Soothorn wissen, der
sich die Nase rieb.
»Oh, das ist unterschiedlich, je nach Spezies. Lemurerabkömmlinge
können anders darauf reagieren als Topsider oder Blues. Es beginnt mit
einem fiebrigen Infekt. Nachdem dieser abklingt, gilt man als unter
Vorbehalt genesen. Nach einem Monat ist das Virus entweder überstanden
oder es treten plötzlich exzessive Zellwucherungen auf. Der Körper
zerplatzt dann förmlich, was natürlich das Ableben zur Folge hat«, erklärte
Eleonore und versuchte eine bedauernde Tonlage zu imitieren.
»Ich bleibe im Raumschiff«, sagte der Springer.
»Du solltest sowieso nicht mitkommen«, erwiderte Hunter genervt.
»Wie dem auch sei, ich habe in der Kürze der Zeit versucht,
Informationen über Strephano Tumesy zu sammeln. Die behördlichen
Positroniken auf dieser Welt sind im Vergleich zum galaktischen Standard
seit 90 Jahren veraltet und leicht zu hacken.«
Eleonore öffnete die Datei auf den Displays unserer Konsolen.
Demnach befand sich unsere Zielperson in der Stadt Vennecia auf dem
dritten Kontinent. Vennecia wurde von 27.000 Wesen bewohnt. Die
gesuchte Person war 84 Jahre alt, lebte seit dem Tod ihrer Eltern alleine und
war erwerbslos. Sie gehörte zur Generation SM Stella Mortem -, also
jene, die während der Pandemie geboren worden waren. Tumesy kannte
keine Raumfahrt, keine Galaktiker und lebte sein ganzes Leben in Isolation.
Angeblich gehörte er einer geheimen Verbindung von Rhodanmystikern an.
Auf Stellacasa war die Verbreitung und das Lesen von Perry Rhodan-
Geschichten verboten. Wir sollten Tumesy aufsuchen, seine Kontakte
nachverfolgen und die Quelle der Rhodanmystiker aufdecken.
Ich hatte viele Fragen und Tumesy hoffentlich die passenden Antworten.
Ich steuerte die NOVA in die Atmosphäre. Unsere chromatovariable
Außenhüllenbeschichtung als Bestandteil der Laurin-Antiortung sorgte
dafür, dass die inzwischen recht rückständigen Ortungsanlagen von
Stellacasa uns nicht entdecken würden. Es gab praktisch keine
Raumfahrtbehörde mehr auf diesem Planeten. Es rechnete wohl auch
niemand damit, dass sich jemand freiwillig der Gefahr der Strahlung und
des Virus aussetzen würde. Ich landete die Space-Jet in einer Lichtung eines
üppigen Waldes knapp fünf Kilometer von Vennecia entfernt.
Es war ein sonniger Herbsttag. Goldbraunes Laub bedeckte den braunen,
ungepflasterten Weg, den wir durch den Wald nahmen. Ich trug meinen
alten Raumanzug und hatte den Individualschutzschirm aktiviert. Hunter
neben mir musste notgedrungen ebenfalls einen Raumanzug tragen, eine
schmucklose, grauschwarze Montur mit einer durchsichtigen Glocke für
den Kopf. Auch er hatte seinen Schutzschirm eingeschaltet. Der Schirm
selber war unsichtbar, es sei denn, es flog etwas dagegen. So kam es, dass
ab und an das transparente Energiefeld grünlich flackerte, wenn ein Insekt
uns zu nahe kam.
Soothorn hatten wir unter genauer Beobachtung von Eleonore in der
NOVA zurückgelassen. Die Positronik würde ihn paralysieren, wenn er
Dummheiten anstellen sollte.
Wir erreichten die Außenbezirke von Vennecia. Die Häuser waren
vorwiegend pilz- und kelchförmig. Es gab aber auch klobige quadratische
Bauten für die offensichtlich weniger gut betuchten Bürger dieser Stadt.
Einzelne Häuser waren von hohen Mauern umgeben. Auffällig waren die
transparenten, schirmförmigen Dächer über den eigentlichen Gebäuden, die
offenbar eine Art Schutz gegen die Sonnenstrahlung darstellten.
Die Straßen und Wege waren recht leer und wirkten
steril.Zylinderförmige, silberne Reinigungsroboter schwebten surrend
umher und saugten Laub und Müll auf. Überhaupt wirkten die Wege in
Vennecia in gutem Zustand. Selten flog ein Gleiter entlang, und es war sehr
still. Ich hörte keine Vögel zwitschern, und die Atmosphäre war geradezu
gespenstisch, wenn die in großen Helmen verhüllten Bewohner des
Planeten hastig und mit großem Abstand an uns vorbeischritten.
Sie trugen Ganzkörperschutzanzüge mit großen, ausladenden Helmen,
deren Vorderseiten auf Augenhöhe durchsichtig waren. Auf dem Rücken
schulterten sie einen Tornister mit Sauerstoff. Es war ein seltsames und
beklemmendes Gefühl, in all die uns anstarrenden Augen hinter den
Visieren zu blicken und keine Mimik zu erkennen. Lächelten diese
humanoiden Wesen oder waren sie grimmig? Ich konnte mir jetzt gut
vorstellen, wie es meinen Gegenübern erging, wenn sie meine Mimik
aufgrund meiner Maske nicht erkennen konnten.
Ich spürte Angst in ihnen. Wie konnte eine Gesellschaft 90 Jahre in
solcher Angst leben? Sie hatten überhaupt keine Aussicht auf Veränderung,
solange sie der Wirkung der Sonnenstrahlung ausgesetzt waren. Nur eine
Umsiedlung wäre eine echte Alternative gewesen.
»Ihr erreicht in Kürze den Wohnort von Strephano Tumesy«, meldete
Eleonore über Interkom.
»Was tun wir? Anklopfen?«, fragte ich.
»Ich habe einen Plan«, antwortete Hunter.
Offenbar wollte er mich nicht einweihen, also gingen wir zu einem
kelchförmigen Gebäude mit 20 Etagen. Tumesy wohnte im 13. Stock,
Wohnung Nummer 13. Ob der Mann Glück hatte? Wir deaktivierten unsere
Schutzschirme, um nicht aufzufallen. Am Eingang wurden wir nach der
Strahlung gescannt. Die Abtastung war natürlich negativ. Ein altertümlicher
Fahrstuhl brachte uns in die 13. Etage. Die Korridore waren eng, doch uns
liefen keine Einheimischen über den Weg. Auch in der grauen Lobby am
Eingang unten hatten sich nur Roboter aufgehalten. Das soziale Leben war
auf dieser Welt seit 90 Jahren weit heruntergefahren worden. Es störte mich
nicht, denn ich mochte es ohnehin nicht und verachtete die saufenden,
grölenden Mengen auf einer Party. Denn selbst wenn ich in einer Traube
voller Lebewesen stand, war ich allein. Ich war immer tief im Inneren
einsam. Da solche Ansammlungen an Existenzen nichts daran zu ändern
vermochten, zog ich es vor, so wenig Zeit wie möglich mit anderen zu
verbringen.
»Sollen wir ihn observieren?«, fragte ich, als wir vor der Wohnungstür
standen.
Langsam wurde ich ungeduldig. Was hatte Hunter vor?
»Nö«, sagte er, zog seinen Strahler und zerschmolz das Schloss. Der
Krach war unnötig und hätte uns schnell enttarnen können.
Das war ja ein toller Plan.
Hunter drückte die Tür auf und ging voran; ich folgte zögerlich. Das würde
kein gutes Ende nehmen. Wir standen in einem Korridor. An den Wänden
hingen Regale und darauf befanden sich Bücher. Mit Seiten, die man
umblättern musste, um sie zu lesen. Der Boden war mit einem blauen
Teppich bedeckt. Vom Korridor ging es in drei Räume. Hunter sah zuerst
links im Schlafzimmer nach. Dort stand ein ungemachtes kleines Bett,
daneben Stapel weiterer Bücher, und auch an den Wänden hingen
Bücherregale, die mit Büchern und dünnen Heften oder Magazinen
vollgepackt waren. Die rechte Tür im Korridor war geschlossen. Ich ging
geradeaus in den Wohnbereich, wo sich mir das gleiche Bild bot. Die
Wände voller Bücherregale und die Boards ebenfalls voller Bücher. Einzig
die Kochnische war ohne Bücher, stattdessen standen dort einige geöffnete
Konserven und dreckiges Geschirr.
In der Mitte des Raums stand ein weißer Tisch mit zwei schwarzen
Stühlen, einem gelben Sessel und einer grauen Couch. An der Wand
dahinter war ein breiter Bildschirm aufgebaut, an dem einige
Wiedergabegeräte angeschlossen waren. Das wirkte sehr rückständig.
Es gab nur ein Regal ohne Bücher und darauf standen drei
Raumschiffmodelle. Das einer pfeilförmigen Rakete mit Flügeln am Ende,
dann ein Kugelraumer mit Ringwulst, und das dritte Raumschiff mit
goldener Hülle war hantelförmig und bestand aus zwei Kugelraumern, die
durch ein röhrenförmiges Mittelstück verbunden waren. Die Fenster waren
geschlossen und abgedunkelt.
Es blieben zwei Möglichkeiten: Tumesy war nicht zu Hause oder
erleichterte sich gerade.
Hunter lauschte an der Plastiktür zur Toilette. Er nickte mir zu und stellte
sich rechts daneben. Ich begab mich auf die linke Seite. Wir warteten einige
Minuten, dann öffnete sich die Tür nach außen und versperrte mir die Sicht.
Ich hörte, wie Hunter jemanden packte und gegen die Wand drückte. Ich
trat nach vorn und sah, dass Hunter einen etwa 1,70 Meter großen,
wohlbeleibten, hellhäutigen Mann mit Halbglatze fest im Griff hatte.
Ächzend und mit hochrotem Kopf versuchte sich dieser zu wehren. Seine
Augen waren blutunterlaufen. Dann sah er mich, und sein Widerstand
brach. Er wusste, dass er gegen zwei Männer unseres Kalibers keine
Chance hatte.
Hunter ließ ihn los.
»Das ist der Deal«, fing ich an. »Wir sind Rhodanjäger. Du wirst uns alles
über die Organisation der Rhodanmystiker erzählen, und wir lassen dich
leben.«
»Rhodan wer?«
Hunter schubste Tumesy unsanft gegen die Wand. Er musste leiser sein,
denn die Nachbarn könnten die Polizei rufen.
»Erzähl mir keinen Scheiß! Deine Bude ist voll mit dem Kram.«
Er packte ihn, drängte ihn ins Wohnzimmer und schubste ihn dann auf die
Couch. Tumesy atmete schwer. Er trug nur Unterhosen; sein massiger,
behaarter Oberkörper war nass vom Schweiß.
»Ihr seid Agenten der Cairaner, oder? Wodurch habe ich mich verraten?«
»Na ja, vielleicht hat ja mal der Klempner deine Sammlung gesehen«,
scherzte Hunter. »Wir sind keine Agenten der Cairaner. Wir unterstehen
einer Organisation, die nach Perry Rhodan sucht«, log Hunter.
Tumesy schwieg. Das würde wohl länger dauern. Ich betrachtete die drei
Raumschiffe auf dem Regal über dem Trivid-Gerät.
»Du betrachtest drei historische Raumschiffe, auf denen Perry Rhodan
gereist ist«, sagte Tumesy schließlich.
Tatsächlich? Ich nahm die Rakete in die Hand.
»Das ist die STARDUST. Perry Rhodan, Reginald Bull und ihre Crew
reisten damit als erste Menschen der Erde 1971 alter Zeitrechnung zum
Mond. Sie trafen auf die gestrandeten Arkoniden Crest und Thora. Damit
begann der Aufstieg der Menschheit.«
Interessant. Ich stellte das Modell ab und nahm den Kugelraumer.
»Das ist die CREST II, das Flaggschiff des Solaren Imperiums. Die
Menschheit wuchs zu Terranern zusammen und beherrschte einen großen
Teil der Milchstraße. Sie nannten ihr Sternenreich das Solare Imperium.
Damit verschlug es Perry Rhodan im Jahre 2400 alter Zeitrechnung nach
Andromeda, wo er gegen die Meister der Insel kämpfen musste.«
Vennecia: Die Stadt Vennecia auf der Welt Stellacasa. © Stefan Wepil
»Meister der Insel? So, so«, machte Hunter. Er nahm den Helm ab.
Vermutlich wurde die Strahlung durch den Dachschutz abgemildert. Sonst
würde Tumesy hier nicht so unbekleidet herumlaufen. Hunter ging zum
Kühlschrank in der Ecke, öffnete ihn und nahm eine Flasche heraus.
»Bier«, sagte er nur, öffnete die Flasche und nahm einen großen Schluck.
Er warf sich in den Sessel, legte die Beine auf den Tisch und nahm einen
weiteren Schluck. Er sah Tumesy ungläubig an.
»Also, Perry Rhodan hat 1971 den Erstkontakt mit Außerirdischen
hergestellt. 400 Jahre später lebt der noch?«
Tumesy grinste.
»Ihr seid so unwissend. Er bekam von der Superintelligenz ES zunächst
eine Zelldusche und später einen Zellaktivator. Dieser verlieh ihm relative
Unsterblichkeit. Immun gegen Vergiftungen, Strahlungen und biologisches
Altern. Nicht immun gegen gewaltsamen Tod. Rhodan, Bully, Gucky, Icho
Tolot und Atlan tragen solche Zellaktivatoren. Deshalb leben sie doch noch.
Bull ist doch noch Resident der Liga Freier Galaktiker?«
»Ja, das ist er«, antwortete ich knapp. »Und das dritte Raumschiff?«
»Das ist die legendäre SOL. Sie besteht aus drei autarken Raumschiffen,
den SOL-Zellen. Dieses Generationenschiff wurde vor über 2.000 Jahren
gebaut und es existiert noch heute.«
In seiner Phantasie vermutlich. Es gehörte tatsächlich sehr viel Phantasie
dazu, um sich all das auszudenken.
Hunter leerte die Bierflasche und stieß auf. Er stellte sie auf den Tisch,
wischte sich dann mit der Hand über den Mund und blickte Tumesy
verständnislos an.
»Jetzt sag mal, wer hat dir all diesen Schwachsinn erzählt? Hast du jemals
Perry Rhodan gesehen?«
Tumesy wollte antworten, doch Hunter fuhr fort.
»Nein, hast du nicht. Atlan? Nein. Gucky? Nein. Terra? Nein. Die SOL?
Nein. Warum gibt es in den Geschichtsbüchern keine Aufzeichnungen
darüber? Wieso ist nichts dokumentiert? Es müssten doch
Hinterlassenschaften geben.«
»Aber, sie sind doch da. Seht euch doch in der Galaxis einmal um. Ohne
Terra würden wir doch alle gar nicht existieren. Früher war Terra als
Lemuria die Wiege der Menschheit in der Milchstraße. Von den Lemurern
stammen die Akonen, die Arkoniden, die Terraner alle ab. Ertruser, Epsaler,
Oxtorner, Rudyner sie sind alle terranische Kolonisten. Wie könnt ihr
3.000 Jahre Geschichte so erfolgreich verdrängen?«
Tumesy atmete noch schwerer. Er schwabbelte auf seinem Sofa vor sich
hin. Vielleicht sollten wir ihm die Möglichkeit geben, sich etwas
anzuziehen. Das war unwürdig für ihn und unansehnlich für uns.
Tumesy wuchtete sich aus dem Sofa. Schlurfend und schnaufend ging er
zu einem der Schränke. Hunter zielte mit dem Strahler auf ihn. Tumesy
zeigte auf eine Box mit einigen Pillen, und Hunter senkte den Strahler
wieder.
»Zieh dir was über«, verlangte ich.
Tumesy nickte, begab sich ins Schlafzimmer und kam nach wenigen
Momenten zurück. Er trug jetzt ein Shirt. Eine Hose hatte er sich nicht
übergezogen. Hunter erhob sich, kramte in seiner Tasche und positionierte
vier Energiestäbe an jeder Ecke. Dann aktivierte er sie, nachdem Tumesy
sich gesetzt hatte.
»Was ist das?«, fragte der Hausherr leise.
»Akustikdämpfer. Du wirst gleich laut werden«, antwortete Hunter.
Er streifte einen Stab von seinem Gürtel ab und drückte einen Schalter
darauf. An der Spitze züngelten blaue Energieblitze. Er wollte den
Rhodanmystiker foltern.
»Nein, nein!«, rief dieser und schien sich regelrecht in sein Sofa eingraben
zu wollen. Als ob ihm das weiterhelfen würde. »Weg mit dem Yekjab!«
Hunter sah sich den Elektrostock an.
»Oh, ich wusste nicht, dass der einen besonderen Namen hat.«
Er trat näher an Tumesy.
»Nicht, bitte! Ihr wisst so wenig. Die Verzierungen am Holzgriff sind
mashratisch. Huldigt den Vhrato, nicht wahr?«
Im Mashritun-System hatten wir ja Soothorn aufgegabelt. Ich wurde
neugierig.
»Warte noch«, sagte ich zu meinem Chef. »Was weißt du über Mashratan?
Und woher?«
»Ich lese!«, erwiderte Tumesy empört und für einen Moment zeigte er
keine Angst. »Mashratan war eine Kolonie des Solaren Imperiums. Oberst
Ibrahim el Kerkum war vor 800 Jahren ein Gegner Perry Rhodans und
Führungsmitglied in einer galaktischen Terrororganisation namens
Mordred. Auf Mashratan wurde quasi der Silberne Ritter Cauthon Despair
geboren, der…«
Tumesy stockte und starrte mich entsetzt an.
Hunter rammte ihm den Elektroschocker in den Bauch. Der Mann schrie
auf, als der Strom durch seinen Körper zuckte. Beine und Arme streckte er
von sich, stieß dabei mit dem Fuß die Flaschen auf dem Tisch um und
brachte mit dem Arm eine Lampe zu Fall. Die Nachbarschaft würde wegen
des Akustikfelds nichts hören. Hunter war nun in seinem Element.
Routinemäßig ließ er in den folgenden Minuten Tumesy kurze Ruhepausen,
um ihm dann weitere Stromstöße durch den Körper zu jagen. Schaum
bildete sich vor dem Mund des zuckenden Menschen, seine Schreie gingen
durchs Mark. Es war so sinnlos, denn wir hatten bisher gar nichts
herausgefunden. Nach einer Viertelstunde der Qual ließ Hunter von Tumesy
ab. Er injizierte ihm ein Aufputschmittel. Der Typ war am Ende. Schaum
hatte sich vor seinem Mund gebildet. Am Bauch war die Haut verschmort.
»Ich… weiß doch nichts. Ich lese Perry Rhodan doch nur
»Woher beziehst du die Hefte?«, wollte ich wissen.
»Eine Drohne liefert sie in meinen Garten.«
»Wo bestellst du die Hefte?«, hakte ich genervt nach. Hunter stöhnte,
erhob sich und rammte Tumesy eine zweite Injektion in den Hals.
Was war nun?
»Dauert mir zu lange. Das ist ein Wahrheitsserum der Aras. Der Typ
dürfte sicherlich keine Agentenausbildung haben.«
»Warum haben wir das nicht sofort bei ihm angewendet?«
Hunter zuckte mit den Schultern und lächelte schelmisch.
»Wo wäre denn da der Spaß geblieben?«
Ich atmete tief durch. Mir war ja schon das Leben an sich recht egal, aber
Hunter genoss es regelrecht, anderen Leid zuzufügen. Ich tat, was nötig
war, und hatte keine Freude daran. Hunter machte seinen Job wirklich
richtig Spaß. Jedenfalls redete Tumesy jetzt.
»Ich bin Strephano Tumesy, geboren am 14. April 1962. Ich wuchs bei
meinen Eltern auf und lebte bei ihnen bis zu ihrem Tode. Danach zog ich
hierher. Ich hatte in meinem Leben nur einen Freund. Er heißt Meshku.
Meshku Feldon. Meshku hat mich auf Perry Rhodan aufmerksam gemacht.
Ich habe keine anderen Freunde und werde auch keinen eigenen Haushalt
mit mehr als einer Person gründen dürfen, da meine Eltern an Stella
Mortem verstorben sind. Meine DNS ist anfällig und darf nicht reproduziert
werden. Ich träume davon, zu den Sternen zu reisen. Es ist meine letzte
Hoffnung.«
»Überspringe den rührseligen Scheiß und erzähle mir etwas über deine
Sammlung«, verlangte Hunter.
Tumesy blickte uns ausdruckslos an.
»Zunächst bestellte ich die Romane über Shops mit falschen Namen
online. Irgendwann nahm ich dank Meshku, meinem einzigen Freund, an
virtuellen, verschlüsselten Treffen von WIDDER teil.«
»WIDDER?«
»Der Name des virtuellen Hosts. Gewählt in Anlehnung an die
Widerstandsorganisation gegen Monos. Doch das könnt ihr nicht wissen.
Ihr wisst ja gar nichts.«
Hunter schlug ihm ins Gesicht.
Ich legte meine Hand auf die Schulter des Tefroders. Er zuckte mit den
Achseln, setzte sich wieder auf die Couch und öffnete ein zweites Bier.
Offenbar ließ er mich gewähren.
»Welche Rolle spielst du in der WIDDER?«
»Zunächst war ich Fan, begeisterter Zuhörer bei Lesungen. Doch mein
einziger Freund …«
»Das wissen wir, dass er dein einziger Freund ist. Bitte nur die relevanten
Informationen…«
»Meshku ist Positroniker. Er hilft dabei, uns vor den Zugriffen des
Infektionsschutz- und Pandemiebekämpfungsordnungsamtes Dezernat III-B
Desinformationen & Viruphobie zu schützen.«
Ich musste innerlich erst einmal diesen Zungenbrecher dreimal
wiederholen. Was zum Teufel war Viruphobie? Die Angst vor einem
gefährlichen Virus war doch normal, wenn es keine geeigneten Gegenmittel
gab. Hätte ich den redseligen Tumesy das gefragt, wäre Hunter vermutlich
wütend geworden.
»Und deine Rolle?«, wollte ich stattdessen wissen.
»Ich koordiniere inzwischen den Druck und bin Ansprechpartner der
Rastätter Druckgilde. Es ist meine Aufgabe, die fertigen Formate per
Hyperfunknachricht an die Rastätter Druckgilde auf Olymp zu schicken,
damit die Bücher gedruckt oder auf Readern gespeichert werden.«
Endlich einen Schritt weiter. Nun die wichtigste Frage: »Von wem
bekommst du die Dateien?«
»Von meinem einzigen Freund Meshku Feldon.«
Hunter trank genüsslich ein Bier leer.
»Du hast nicht zufällig die Interkomnummer oder Anschrift deines
einzigen Freundes?«
»Ich habe seine Avatar-ID-Nummer. Sie lautet Frauenbeglücker-2711-
35AZDPR.«
Ich hatte keinen blassen Schimmer, was eine Avatar-ID-Nummer war. Ich
tippte sie in mein Interkom. Hunter stand auf und seufzte. Er sah sich im
Wohnzimmer um und durchblätterte einige Hefte.
Tumesy starrte vor sich hin und redete. Er sprach über das Solare
Imperium, die Meister der Insel, die Zeitpolizei, Cappins, das Konzil der
Sieben, Kosmokraten und Chaotarchen, die Endlose Armada, den
Moralischen Kode. Das waren alles zu viele Informationen. Ich konnte sie
nicht einordnen. Wie viel Phantasie steckte in einer Person, sich all das
auszudenken? Es war doch nur Phantasie? Konnten so detaillierte
Geschichten wirklich nur erfunden sein?
Hunter hatte genug. Er aktivierte den Elektrostab und stopfte ihn Tumesy
in den Mund. Ich wandte mich ab. Nach einem fast fünf Minuten
andauernden Todeskampf war der Rhodanmystiker endlich erlöst. Hunter
widerte mich an, doch ich schwieg.
»Wir haben diese ID und geben sie Eleonore. Ich fürchte, wir müssen uns
noch etwas mehr mit diesem Drecksplaneten beschäftigen«, sagte Hunter
und steckte den Elektrostab wieder an seinen Gürtel. Er sammelte die
Akustikenergiestäbe ein und warf noch einmal einen Blick auf Tumesy, der
leblos mit weit geöffneten Augen Arme und Beine von sich gestreckt
auf dem Sofa lag. Die Mundpartie war verschmort. Es war kein schöner
Anblick, doch Hunter schmunzelte. Dann deutete er auf den Ausgang. Als
wir an der Türschwelle standen, nahm er einen Detonator, stellte einen
Timer ein und rollte ihn ins Wohnzimmer.
»Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Hefte mitzunehmen und sie zu
studieren?«, fragte ich.
Hunter lachte abfällig.
»Bücher mit Falschinformationen gehören verbrannt.«
5. Der Geschmack von Delap
9. Februar 2046 NGZ
CACC-Resort SEESTERN
Myka Bilno
Myka fühlte sich schmutzig und zufrieden zugleich. Es war seltsam, als sie
an diesem Morgen aufwachte. Sie lag zwischen den muskelbepackten
Wulfar und Otnand. Rasha schlief zwischen ihren Beinen, den Kopf auf
ihren Bauch gelegt. Die letzten Stunden waren aufregend und beängstigend
zugleich gewesen. Sie hätte nie in ihrem Leben erwartet, dass sie zu solch
animalischen Trieben fähig gewesen wäre. Diese Rohheit im Sex mit den
zwei Männern und der Frau war unbeschreiblich gewesen. Demütigend und
doch so unendlich befriedigend. Sie hätte es nicht erwartet, doch Rasha war
die Verdorbenste ihrer drei Sexualpartnern gewesen. Sie hatte Dinge mit
Myka angestellt ihr wurde immer noch ganz schwindelig, als sie daran
dachte.
Sie spürte, wie sich Rashas Kopf bewegte und sich ihre Augen öffneten.
Myka lächelte. Rasha zwinkerte und grinste.
»Was glaubst du, wie viele Stalkys das gerne im Stream gesehen hätten?«
Myka erschrak. Darauf war sie noch gar nicht gekommen. Rasha hatte
doch nicht eine Kamera installiert?
Ihr Herz pochte wild, und Rasha lachte.
»Nein, meine Süße. Das habe ich nicht. Komm, lass uns einen Kaffee
trinken.«
Rasha schob sich rückwärts aus dem Bett. Myka überlegte, wie sie über
Wulfar oder Otnand steigen sollte, doch Rasha zog sie einfach aus dem
Bett. Myka kicherte, während Rasha nackt ins Wohnzimmer ging und sich
auf den Sessel fläzte. Ein Bein legte sie über die Lehne und baumelte mit
dem Fuß über den Boden. Der Servoroboter brachte ihr den Kaffee.
»Erzähl mir mehr von dir? Wartet da jemand auf dich auf Rudyn?«, wollte
sie wissen.
Myka war es unangenehm, so nackt zu sein. Sie zog sich einen
Morgenmantel über und setzte sich auf die Couch. Der Servo brachte ihr
einen Tee.
»Nun«, sagte sie gedehnt. »Es ist kompliziert.«
»Das bedeutet?« Rasha lächelte herzlich. »Ist er verheiratet?«
»Nein, aber in einer festen Beziehung. Es ist mein Chef, Kulag Milton«,
gestand Myka.
»Klassiker«, meinte Rasha. »Er benutzt dich also als Sexspielzeug, kauft
dir mal hier und da schöne Sachen, und du denkst, er liebt dich?«
Myka schluchzte. Es überkam sie plötzlich. Wie konnte Rasha so fies und
gemein sein? Sie hatte doch überhaupt keine Ahnung von der Liebe. Im
flotten Vierer durch die Nacht zu vögeln war etwas ganz anderes als die
spirituelle Verbindung, die sie mit Kulag Milton teilte. Das war echte Liebe.
Echte Stärke und echte Macht.
»Du hast gar keine Ahnung!«, rief Myka laut. »Kulag liebt mich, und ich
liebe ihn!«
Rasha hob beschwichtigend die linke Hand.
»Ist ja gut. Was macht dich so sicher? Soweit ich weiß, ist Kulag Milton
mit einer attraktiven Arkonidin liiert. Also einer Frau von Galaxis.«
»Weil mein Sternschnuppelchen mich liebt«, antwortete Myka trotzig.
Sie wusste es! Es musste so sein. Sie hatte so viel mehr zu bieten als
Sagreta da Maag. Herz, Verstand und eine kosmische Reinheit. Sie
erschrak. Ob der flotte Vierer die Säuberung ihrer DNS vielleicht
geschädigt hatte?
»Nun ja, ich wünsche dir vom Herzen viel Glück mit ihm. Aber denke
daran, dass du als Frau eine Kriegerin sein musst. Du musst kämpfen!«
Myka war nun wirklich keine Kriegerin, aber sie war eine Kämpferin. Sie
würde um ihren Booboochen kämpfen und es der Kristallziege schon
zeigen.
»Du hast recht. Ich werde Fakten schaffen.« Sie kicherte. Welch Ironie das
doch war.
»Was amüsiert dich so?«, fragte Rasha und stand auf. Sie streifte sich ein
Shirt über und warf sich auf die Couch.
»Ach, es ist nur lustig. Ich schaffe Fakten, und Kulag will das auch, denn
sein Geheimprojekt heißt ›Fakten schaffen!‹. Es ist so geheim, dass nicht
einmal ich viel davon weiß.«
»Uh, wie spannend. Was weißt du denn?«, wollte Rasha wissen und
grinste.
»Ich vermute, es hat etwas mit dem Jungfernflug der CASSIOPEIA zu
tun. Ich weiß, dass Vopp ter Camperna und der sternwestliche
Konsulatssekretär Roch Miravedse involviert sind. Mehr weiß ich jedoch
nicht.«
Das stimmte nicht ganz, doch durfte sie Rasha das erzählen? Die immer
noch Fremde kam ihr näher, ihre Lippen berührten die ihren, und sie spürte
Rashas Finger in ihrem Schritt. Das fühlte sich himmlisch an. Dann ließ
Rasha von ihr ab.
»Soll ich weitermachen?«
»Ja«, hauchte Myka.
»Dann erzähle mir alles. Ich sehe doch, wenn mich jemand anschwindelt.«
Sanft streichelte Rasha weiter. Da sprudelte es aus Myka heraus.
»Ich habe Kulag beobachtet, wie er eine Rede immer wieder probt. Er sagt
Reginald Bull ist ein Lügner, ein Hetzer. Ein…«
Sie wollte am liebsten vor Ekstase aufschreien, biss sich aber auf die
Lippen.
»Und?«, fragte Rasha.
»Ein Spalter. Kulag will Fakten schaffen zusammen mit den Cairanern.
Mehr… mehr weiß ich aber nicht.«
Rasha ließ ihre Hand wieder von ihr ab. Sie grinste Myka an, welche die
Pause kaum ertragen konnte.
»Ich glaube dir. Jetzt kriegst du die Belohnung, Süße…«
Myka Bilno war spät dran zur Besprechung. Die Liaison mit Rasha und
ihren beiden Begleitern Wulfar und Otnand war noch in die zweite Runde
gegangen. Sie war hundemüde und wäre am liebsten im Bett geblieben. Sie
rappelte sich auf und versorgte ihre Wunden Otnand war sehr grob
gewesen mit Biomolplast. Nachdem sie sich zurechtgemacht hatte,
beschlich sie ein beklemmendes Gefühl. Der Sex mit den drei war
aufregend und doch beschämend gewesen. Sie hatte Kulag Milton betrogen.
Ja, sogar schlimmer noch, sie hatte etwas über sein geheimes Projekt
erzählt. Rasha hatte Versprochen, dass sie nichts davon in Galaktomeet
erzählen würde, doch konnte sie ihr wirklich trauen? Myka wusste selbst
nicht viel über das Unternehmen »Fakten schaffen!«, und es waren ja mehr
Vermutungen gewesen, die sie Rasha gegenüber geäußert hatte. Sie schämte
sich trotzdem. Kulag wäre sehr verletzt, wenn er das erfahren würde. Als
starker Mann und Unternehmensleiter würde er es ihr gegenüber nicht
zeigen, doch sie wusste, dass es ihm sein Herz brechen würde, wenn er über
ihre sexuellen Eskapaden Bescheid wüsste.
Oh, sie brauchte eine ganz neue Reinigung ihrer DNS. Sie war von so
vielen negativen Frequenzen umgeben und musste etwas dagegen tun. Die
Lichtwesen hatten viel zu tun bei ihr, denn die Anzahl der
Schadstofffrequenzen hatten sich in der gestrigen Nacht deutlich erhöht.
Sie trug eine weite, weiße Hose und darüber einen beigefarbenen Pullover.
Hastig steckte sie ihr Interkom ein, wuschelte sich durch die Haare und
verließ die Kabine. Was die wohl sagen würden, wenn sie zu spät kam? Ob
sie das auch Kulag erzählen würden? Myka machte sich Sorgen. Wenn er
sie nun ausfragte, wieso sie zu spät kam? Was sollte sie ihm sagen? Sie eilte
die Stufen der Treppe hinunter und erreichte die dritte Etage. Da die Wände
auch auf dieser Ebene transparent waren, sah sie schon von Weitem, dass
der Konferenzraum bereits gefüllt war. Polly Kallos und der Hauri Cilgin
At-Karsin saßen dort und starrten gelangweilt durch die Gegend. Sie
warteten auf sie.
Wie peinlich.
Der Hauri stand auf und griff nach seinem Interkom, dann sah er Myka
und steckte das Kommunikationsgerät wieder ein. Sie ging so schnell sie
konnte. Ach, warum musste ihr das auch passieren? Sie wollte doch
zuverlässig sein. Und dann so etwas. Endlich stand sie vor dem
Konferenzraum. Sie zupfte ihre Sachen zurecht, räusperte sich, und dann
öffnete sich die Tür. Sie trat hinein und begrüßte die beiden.
»Mahlzeit«, sagte Polly Kallos. »Na, hast du noch eine wilde Sause mit
den dreien gehabt?«
Myka lachte schrill und winkte ab.
»Nein, ein, zwei Glas Vurguzz noch.«
Der Hauri räusperte sich.
»Da wir aufgrund der Verspätung von Frau Assistentin in Zeitnot geraten
sind, schlage ich vor, dass wir uns die Floskeln sparen und zum Kern
unseres Treffens kommen, hm? In Ordnung, ja?«
»Ja«, sagte Myka kleinlaut und setzte sich hin. Sie fühlte sich an ihre
Schulzeit erinnert. Wenn sie frech gewesen war, hatte sie nie mit dem Tadel
der Lehrkräfte umgehen können und sich immer kleinlaut hingesetzt und
für den Rest des Tages geschwiegen.
»Gut. Gut, gut. Mhm.«, machte Cilgin At-Karsin. Er aktivierte auf einer
stiftförmigen Bedienung ein Hologramm, auf dem Gesichter und Namen
von Honoratioren aus der Galaxis zu erkennen waren.
»Die Gästeliste mit erlauchten und gern gesehenen Freunden der CACC
und Milton Company. Da nicht alle dieser Persönlichkeiten im Guten mit
der Liga Freier Galaktiker stehen, werden sie auf der ATOSGO an Bord
gehen und nicht am Jungfernflug der CASSIOPEIA teilnehmen können.
Dazu zählt unser wichtigster Gast, der Cairaner Roch Miravedse,
Konsulatssekretär des sternwestlichen Konsulats.«
Das goldene Gesicht des Cairaners war auf dem Holobild zu sehen. Myka
hatte noch nie einen Cairaner direkt getroffen. Da sie die meiste Zeit auf
Rudyn verbracht hatte, war das auch schwer möglich gewesen. Sie fragte
sich, wieso dieser Buchhalter ihr das zeigte und räusperte sich.
»Kannst du uns sagen, welchen Zweck das Meeting eigentlich genau hat?
Du bist der Buchhalter, und ich bin nicht für die Abrechnungen des
Projektes zuständig.«
Cilgin At-Karsin blickte sie finster an. Seine Mundwinkel zuckten.
Der Hauri, der ohnehin eine recht gerade Haltung zeigte, stand nun noch
strammer da und wirkte bedrohlicher.
»Frau Assistentin, ich wurde höchstpersönlich von der ehrenwerten
Matriarchin Ragana ter Camperna ermächtigt, auf der SEESTERN
Sonderaufgaben zu erfüllen. Da ich ein Büro mit der Personalreferentin der
CACC, Boffelia Bokk, teile, hat sie mir Instruktionen für die
Personalplanung des Jungfernfluges der CASSIOPEIA übergeben. In
Ordnung, ja? Hm?«
»Ja, ja, in Ordnung. Es tut mir leid.«
Sie hatte wohl seine Gefühle verletzt.
»Machen wir es kurz! Frau Rezeptionistin.«
Er wandte sich Polly Kallos zu, die an ihrem Mikrocom gespielt hatte.
Sie blickte den Hauri fragend an.
»Frau Rezeptionistin wird sich um die Gäste auf der ATOSGO kümmern,
speziell natürlich um Roch Miravedse. Du übernimmst die Leitung und
bekommst Bytta Wolden und Gorüküüana Lorübüllyvalütün als
Verstärkung. Frau Assistentin der Milton Company hingegen wird sich um
die Gästebetreuung auf der CASSIOPEIA kümmern. Sie wird dazu Cirane
Kinzz als Unterstützung bekommen. Da wir zwei neue Gäste auf der
CASSIOPEIA haben, wird Myka Bilno sich auch speziell um Atlan und
Gucky kümmern. Und oh, hm, beinahe hätte ich das vergessen. Sowohl auf
der ATOSGO als auch auf der CASSIOPEIA werden sogenannte Parafallen
aufgestellt. Das ist sehr wichtig und eine Aufgabe, die mit höchster
Gewissenhaftigkeit durchzuführen ist.«
Polly bestätigte, und Myka nickte zaghaft, doch sie wusste nicht, wo sie
Parafallen herbekommen würde. Cilgin At-Karsin schien das zu erraten.
»Die edelste Ragana hat entsprechendes Equipment. Ihr müsst darauf
achten, dass sie richtig eingesetzt werden. Ok? Hm?«
»Verstanden«, sagte Myka.
Der Hauri deaktivierte das Hologramm.
»Gut, den restlichen unwichtigen Kram zur Gästebetreuung könnt ihr euch
alleine ausdenken. Ich habe zu tun.«
Karsin verließ den Konferenzraum. Myka blickte zu Polly, die ihm den
Mittelfinger zeigte. Natürlich so, dass der Hauri das nicht mitbekam.
»Wer ist eigentlich dieser Cilgin At-Karsin?«, fragte Myka. Er verhielt
sich doch recht eigenartig.
»Ein einsames Würstchen, das sich viel zu wichtig nimmt. Jetzt hat
Ragana ihm mal einen Auftrag gegeben, und er tut so, als wäre er der Big
Boss Man der CACC. Aber ich sage dir, was ich so von der Crew der
ATOSGO höre, ist At-Karsin ein ganz armer Wicht.«
6. Die virtuelle Welt
9. Februar 2046 NGZ
Stellacasa, 3.823 Lichtjahre von Rudyn entfernt
Nathaniel Creen
Es herrschte eine eisige Stille im Cockpit der NOVA. Seit unserer Rückkehr
hatten weder Hunter noch ich ein Wort gesprochen. Er wusste, dass mir die
brutale Ermordung dieses Rhodanmystikers nicht gefallen hatte. Es war
etwas anderes, wenn man einen Schurken im Kampf umbrachte, doch
welcher Verbrechen hatte dieser armselige Stubenhocker sich schuldig
gemacht? Nur weil er an eine mystische Figur glaubte? Er mochte gegen
Gesetze verstoßen haben, weil die Verbreitung dieser Inhalte außerhalb des
Einflussbereichs der Lemurischen Allianz verboten war, doch deswegen
hatte Tumesy nicht den Tod verdient. Erst recht nicht auf diese grausame
Art und Weise.
Selbst Kuvad Soothorn hatte nach anfänglicher eigener Heiterkeit die
schlechte Stimmung bemerkt und hielt die Klappe.
Ich konzentrierte mich auf die Arbeit. Wir hatten eine Avatar-
Identifikationsnummer und den Namen Meshku Feldon. Der Typ stand
nicht im öffentlichen Melderegister. Wir mussten ihn also über die ID
finden.
»Ich leg mich aufs Ohr. Du findest den Typen«, entschied Hunter.
Ich war ihm dankbar dafür, denn je weniger Zeit wir miteinander
verbrachten, desto besser. Nun störte noch Kuvad Soothorn, der vor sich
hinstarrte und die Zentrale vollqualmte.
»Du solltest auch gehen«, entschied ich und drehte mich mit dem Stuhl in
seine Richtung.
»Wer, ich?«
Soothorn stieß den Rauch der Zigarette aus. Er schien zu begreifen, stand
auf und verließ das Cockpit. Ich betätigte den Knopf für die Tür; sie fuhr
mit einem leisen Surren aus der Wand und verschloss das Cockpit vor
ungebetenen Gästen. Nun erschien das Hologramm von Eleonore. Für einen
Moment fühlte ich mich erleichtert und war ehrlich erfreut, die Holografie
der KI zu sehen. Sie setzte sich auf den Stuhl neben mir. Das war eine
menschliche Geste, denn ein künstliches Wesen musste nicht sitzen, weil es
bequemer war.
»Hunter hat Strephano Tumesy getötet«, sagte ich.
»Das war zu erwarten«, erwiderte sie nüchtern. »Hunter wird auf Stellacasa
noch viel Blut vergießen.«
Ich nahm den Helm ab, stellte ihn auf die Ablage rechts neben meiner
Konsole. Dann nickte ich langsam drei mal. Sie hatte recht. Hunter würde
auf Stellacasa ein Blutbad anrichten. Es gab nichts, was ihn aufhalten
würde. Ich verstand nun seine Motivation. Hunters Familie war schon
immer ein Gegner des Mythos Terra gewesen, und er war in dieser
Überzeugung aufgewachsen. Dann war seine ganze Familie ermordet
worden – wenngleich sie auch keine Kinder von Traurigkeit gewesen waren
–, und er war lange auf der Flucht gewesen. Kein Wunder, dass er zu einem
kalten Kopfgeldjäger mutiert war.
»Konzentrieren wir uns lieber auf diesen Meshku Feldon. Was ist eine
Avatar-ID-Nummer?«
»Während eures Ausflugs nach Vennecia habe ich mich mit der
Gesellschaft des Planeten beschäftigt«, begann Eleonore. Sie machte eine
Pause und übte ein Lächeln. Ich erwiderte es. Es wirkte bei ihr schon recht
natürlich.
Eleonore erklärte mir das soziale und kulturelle Leben auf Stellacasa
genauer. Auf dem Planeten galten strikten Regeln. Raumfahrt war verboten.
Die Bürger des Planeten lebten in dauerhafter Quarantäne und Isolation.
Personen eines Hausstandes durften zwar miteinander leben, mussten
jedoch täglich dekontaminiert werden. Die Gründung eines neuen
Hausstandes in Form von Lebensgemeinschaften bedurfte einer
Genehmigung durch das Infektionsschutz- und
Pandemiebekämpfungsordnungsamts. Dabei wurden Herkunft und DNA als
Bewertungskriterium hinzugezogen. Bürger, die aufgrund ihrer DNA dazu
neigten, anfällig für das Virus zu sein, durften keine Lebensgemeinschaft
gründen.
Jetzt verstand ich auch die Aussage von Strephano Tumesy. Seine Eltern
waren an dem Virus gestorben, und die Befürchtung war groß, dass auch er
aufgrund seiner Genetik zur Risikogruppe gehörte. Deshalb war ihm die
Reproduktion verwehrt worden.
Seit 87 Jahren galten ausnahmslos ein Versammlungsverbot, ein
Veranstaltungsverbot, die Pflicht zum Tragen von Schutzkleidung außerhalb
des Wohnbereichs, Isolationspflicht, Verbot von Zusammenkünften in
Restaurants, Sportstätten, Konzerten, Clubs, Parks oder Stränden. De facto
existierten keine solche Stätten mehr und waren durch Onlinehandel und
Lieferketten abgelöst worden.
»Das Leben spielt sich virtuell ab. Es wurden dafür Avatare kreiert,
künstliche Körper. Der Nutzer wird über ein neurales Netz mit ihnen
verbunden, so dass es gefühlsecht wirkt. Ich habe mir die
Konstruktionspläne angesehen und werde sie für meinen eigenen Bedarf
optimieren.«
Ich wurde hellhörig.
»Du planst dir einen eigenen Körper zu konstruieren?«
»Ich möchte mehr sein als eine Hülle aus Formenergie. Ist dieser Gedanke
vermessen?«
Ich sah Eleonore an und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
»Nein, Eleonore. Das ist es nicht. Beginne mit der Konstruktion eines
Körpers. Ich unterstütze dich dabei. Wir müssen es aber vor Hunter
geheimhalten.«
»Hunter würde mir die Konstruktion verbieten. Dann muss ich meiner
Programmierung folgen. Doch so lange er es nicht weiß und die
Konstruktion eines Androidenkörpers für das Raumschiff keine Nachteile
hat, sehe ich Spielraum in meiner Programmierung.«
Eleonore lernte dazu.
»Die Avatare sind Ersatzkörper für die Bürger von Stellacasa. Sie werden
aus Formenergie gebaut. Der eigentliche Avatar ist eine kleine Kugel von
fünf Zentimetern Durchmesser. Darin befinden sich das neurale Netz,
Steuerung, Prozessor und Funkverbindung zum Nutzer. Die Treffen der
Avatare finden in Lagerräumen statt, die virtuelle Räume werden von den
Administratoren von Avameet kreiert, wie Restaurants, Discos, Sportplätze,
Konzerthallen, Gärten, Strände oder Schlafzimmer. Es gibt sowohl
physische als auch rein virtuelle Avatare. Für die Nutzung des virtuellen
Avatars muss der Benutzer sein neurales Headset mit der Zentraleinheit
verbinden. Die Zentraleinheit kann sich dabei jedoch auch direkt neben dem
Benutzer befinden und sie muss das Haus nicht verlassen. Die physischen
Avatare sind kurz nach den Restriktionen entstanden. Der Wunsch der
Bürger nach Nähe ließ die Wissenschaftler diese Ersatzkörper erschaffen.
Mit zunehmender Dauer wurden die virtuellen Avatare jedoch beliebter, so
dass es jetzt nur noch 26 Prozent physischer Ersatzkörper gibt, während 74
Prozent der genutzten Avatare rein virtuell existieren.«
»Wo treffen die sich virtuell? Es muss doch einen Marktplatz dafür
geben?«
»Korrekt, Nathaniel. Dieser nennt sich AvaMeet, eine Onlineplattform.
Wir müssen uns registrieren.«
Der Kunstname von Feldon lautete Frauenbeglücker-2711-35AZDPR.
Offenbar wollte er auf Brautschau gehen.
»Eigentlich eine perfekte Aufgabe für dich«, meinte ich zu ihr. »Immerhin
kannst du so deine weiblichen Fähigkeiten ausbauen.«
»Die da wären?«
Eleonore zog eine Augenbraue hoch. So langsam lernte sie die Mimik von
uns Menschen.
»Flirten und Männer manipulieren, damit sie dir alles erzählen.«
»Ich erachte es als unlogisch, so vorzugehen. Meshku Feldon wird
sicherlich vorsichtig sein.«
»Möglich, doch vielleicht setzt sein Verstand aus, wenn er dich sieht.«
»Das ist dann männlich?«
»Ja, das ist sehr männlich.«
»Dann ist männlich zu sein unlogisch und dumm.«
Ich schmunzelte.
»Du hast recht. Doch wenn es darum geht, einen Partner zu finden,
benehmen sich alle Geschlechter zuweilen unlogisch und dumm.«
»Setzt dein Verstand auch aus, wenn du nach einer Partnerin suchst?«
Ich und eine Partnerin? Mein Herz wurde schwer. Ich hatte, seitdem ich
denken konnte, keine Partnerin. Seit 16 Jahren hatte ich weder Liebe,
Zärtlichkeit noch Zuneigung erfahren. Allenfalls machte es mich wütend.
Ich hatte längst resigniert. Tarnaite Grazus, die Kammerzofe der Ragana ter
Camperna, war für eine kurze Periode sehr nett zu mir gewesen, und ich
hatte mir mehr darauf eingebildet, doch ebenso schnell hatte sie mir die
kalte Schulter gezeigt. Polly Kallos war freundlich zu mir wenige
Momente später hatte sie mich als Freak bezeichnet, und das war es auch
schon mit den Kontakten zum anderen Geschlecht. Für sie war ich nur ein
sonderlicher Typ, der verschrobene Sidekick von Hunter und ein Freak mit
Maske. Ich war ein Außenseiter, der an dem Spiel der Liebe nicht
teilnehmen durfte.
»Ich suche keine Partnerin. Und keine Frau in der Galaxis sucht mich als
Partner«, sagte ich mürrisch.
»Aus meinen noch sehr geringen Erfahrung mit menschlichen Gefühlen
ist meine Schlussfolgerung, dieses Thema zu beenden. Die Tonlage deiner
Stimme interpretiere ich als traurig bis depressiv. Ich werde mich im
AvaMeet-Netzwerk registrieren.«
»Danke.«
Nun war ich wirklich deprimiert. Die Aussicht ewig allein und einsam zu
sein, war nicht gerade hoffnungsvoll. Ich wusste nicht, wer ich wirklich
war, wie mein Leben vor 2030 verlaufen war, und was aus mir werden
würde. Ich hatte kein Plan, kein echtes Ziel vor Augen. Ich arbeitete in den
Tag hinein für einen brutalen Kopfgeldjäger und machte Jagd auf Träumer,
die an eine Kultfigur glaubten, die ihnen Hoffnung gab. War das alles?
Vielleicht sollte ich einfach die NOVA klauen und mir ein anderes Ziel
suchen. Hunter und Soothorn würde ich aus der Schleuse werfen und nur
Eleonore behalten. Sie war im Grunde genommen die einzige Person, die
ich mochte. Ausgerechnet eine künstliche Intelligenz. Das sagte wohl alles.
»Welchen Namen soll ich wählen?«, fragte Eleonore.
Ich dachte nach. Auf welche Art von Frauen würde dieser Meshku Feldon
stehen? Dieser Frauenbeglücker. Er nahm das Perry Rhodan-Heft »Der
Unsterbliche« wieder in die Hand. Da war diese Arkonidin, zu deren Ehren
das Flaggschiff der LFG benannt worden war.
»Nenne dich Thora.«
»Der Name ist vergeben. Ich wähle Thora_da_Zoltral1971. Fertig. Ich
lade mein Profilbild hoch.«
Sie blickte mich an. Offenbar fragend. Sie übte die Mimik weiter. Die
Augenbrauen hochgezogen, die Stirn gerunzelt. Jedoch noch zu unfein. Es
war unfreiwillig komisch. Sie war in der Mimik der Menschen noch wie ein
Kind. Sie probierte aus und wusste nicht so recht, ob es richtig war, was sie
tat.
»Welche Daten soll ich zu meinem Charakter eingeben? Hier steht, was
mich beim Sex anturnt und welche meine Lieblingsstellung ist.«
Da war ich auch nicht der richtige Ansprechpartner.
»Schreib einfach, finde es doch selber heraus.«
»Lieblingsfarbe blau, Lieblingsessen Cheeseburger und Lieblingsgetränk
Cola. Andere Nahrung habe ich noch nie aufgenommen. Nach welchen
Freizeitaktivitäten fragen die? Es ist doch alles auf diesem Planeten
verboten.«
»Schreibe das, was Männer gerne lesen würden.«
»Und das wäre?«
Eleonore konnte Fragen stellen. Was würde mir an einer Frau gefallen?
»Schreib Sport, Tiere, Schlafen.«
»Schlafen ist eine Freizeitaktivität?«
»Für manche Leute schon.«
»Ein langweiliges Hobby offensichtlich. Ich habe das Profil fertiggestellt.
Ich übernehme nun die Rolle eines virtuellen Avatars. Soll ich die
Darstellung der Welt auf ein Hologramm projizieren, so dass du siehst, was
ich sehe?«
Ich bestätigte und lehnte mich tief in den Sessel, als sich die virtuelle Welt
vor mir aufbaute. Ich sah einen Marktplatz, grüne und gelbe Lichter, ein
Wirrwarr an Menschen aller Hautfarben und in bunten Kleidern. Der
Himmel war dunkel, aber überdimensional proportionierte Sterne kreisten
umher. Die Avatare waren bunt, aber allesamt wohlproportioniert, wirkten
wie perfekt gerendert. Eleonore machte ein paar Schritte. Sie ging an einem
Muskelprotz mit grünem Irokesenschnitt, einer Frau mit kurzen, pinken
Haaren und glitzerndem Outfit und an einem grimmig dreinschauenden
Draufgänger mit Stoppelfrisur vorbei. Allesamt waren es Menschen.
Vermutlich fehlte den Nutzern die nötige Referenz oder es war schlichtweg
verboten. Mir fiel auf, dass, sobald Eleonore bei einem Avatar stehen blieb,
der Name des Nutzers über seinem Avatar erschien.
»Können wir über die Namen den Typen finden?«
»Negativ, es sind derzeit 67.314 Benutzer eingeloggt. Ich suche im Menü
nach einem Benutzerverzeichnis. An der Seite öffnete sich ein Menü mit
Symbolen und Texten. Sie konnte spezielle Räume auswählen: Sport,
Action, Abenteuer, Party, Romantisch, Ausflug ins Grüne und Sex lauteten
die Oberkategorien. In einem weiteren Punkt gab es tatsächlich eine
Benutzersuche. Eleonore ging auf diesen Punkt. Es ploppte in roter,
blinkender Schrift eine Warnung auf.
Auf Befehl der Datenschutzverordnung zur Bekämpfung von Unmoralität
und der Pandemie muss dein Profil verifiziert werden, um diese Funktion
nutzen zu dürfen. Ergänze deine Anschrift und Ausweis-Identnummer. Nach
erfolgreicher Prüfung durch Dezernat IV-B des Infektionsschutz- und
Pandemiebekämpfungsordnungsamts wird der Zugang freigeschaltet. All
deine Suchanfragen werden zwecks Auswertung gespeichert und an die das
Infektionsschutz- und Pandemiebekämpfungsordnungsamt und den
Werbepartnern von AvaMeet weitergegeben.
»Da ich Zugriff auf das Einwohnerverzeichnis habe, denn so hatte ich ja
auch Tumesy gefunden, werde ich einen Eintrag generieren. Eleonore
Creen, wohnhaft in Vennecia, Pedersoli-Platz 277. Dazu eine gültige
Ausweisnummer, die leicht zu kopieren ist.«
Sie hatte meinen Nachnamen gewählt. Ich fühlte mich geehrt. War es eine
bewusste Entscheidung von ihr gewesen oder nur ein Programmcode? Eine
Routine, die den am nächsten verfügbaren Namen gewählt hatte?
In grüner Schrift ploppte nun die Meldung Der Account ist verifiziert auf.
Eleonore wählte sich in das Mitgliederverzeichnis ein, zu schnell, um als
normaler Mensch der Geschwindigkeit folgen zu können. Für eine Sekunde
glaubte ich den Namen Frauenbeglücker in der Suchliste zu sehen. Dann
befand sich Eleonore auf einer metallischen Brücke. Die Umgebung war
dunkel. Die Brücke teilte sich in drei kleinere Stege. Jeder Steg führte zu
einer Tür. Darüber stand in der Luft geschrieben »Action und Abenteuer«,
»Party & Sex« und »Sport und Natur«.
»Soll ich raten, wo er sich befindet?«
Bei diesem Frauenbeglücker blieb ja nur die mittlere Option.
Eleonore ging aber über den linken Steg und stellte sich vor die Tür
»Action und Abenteuer«. Sie schritt hindurch. Der Steg erhob sich, drehte
sich wirbelnd, und über ihr öffnete sich ein Portal, aus dem blaue Blitze
zuckten. Eine dramatische, elektronische Musik setzte ein und eine Stimme
aus dem Off rief: »Action und Abenteuer gewählt. Bereite dich auf das
Abenteuer deines Lebens vor. Wähle die Operation.«
Unzählige Missionen wurden angezeigt. Eleonore blätterte in
Rekordgeschwindigkeit durch das Angebot. Sie wusste wohl, in welcher
Mission sich der Frauenbeglücker befand.
Venus!
Das sagte mir gar nichts. Zu lautem elektronischen Gewummer wurde der
Steg zu einer Welt mit gelben Wolken gezogen. Sie wirkte sehr ungastlich.
Eleonore flog durch die Wolkendecke, dann sah ich einen Dschungel. Sie
stürzte ab, landete unsanft auf einem Ast, der durchbrach. Sie fiel auf den
Boden, rollte sich ab und blickte einem großen Dinosaurier in die Augen.
Das Raubtier war sechs Meter groß, hatte braune Schuppen und kleine
verkümmerte Ärmchen mit spitzen Klauen. Der große, längliche Kopf hatte
ein ebenso großes Maul mit dolchscharfen Zähnen.
»Lauf«, rief ich. »Lauf, Eleonore!«
Der mächtige Saurier fletschte die Zähne, dann brüllte er laut. Sein Atem
blies wie ein Orkan in Eleonores Richtung. Sie rannte los, suchte das
Dickicht, große Bäume, die ein Hindernis für den Saurier waren, der
wütend und gierig losstampfte. Ich war mitten dabei, obwohl ich nur
Zuschauer war. Meine Sorge galt Eleonore, doch trotz der Hektik und dem
Gefühl der Realität rief ich mir in Erinnerung, dass das nur eine Simulation
war. Nur ein Spiel. Ein aufregendes Spiel jedoch. Eleonore informierte
mich über die Gattung des Sauriers, ein Tyrannosaurus Rex. Sie eilte zu
einem Felsspalt, zwängte sich hinein. Der Saurier kam nicht hinterher, denn
es war zu eng für ihn. Mit der Nase stieß er immer wieder gegen das
Gestein.
»Sollte ich in diesem Szenario sterben, ist mein Avatar für einen Tag
gesperrt«, erklärte Eleonore. »Die… Eindrücke hier sind sehr realistisch
und interessant.«
Sie schien erfreut darüber zu sein. Falls sie das überhaupt sein konnte, was
streng genommen für einen Computer ohne biologische Komponente kaum
möglich war. Zumindest kannte ich keinen Fall in der Milchstraße. Mit dem
Bauch und dem Rücken am Fels drängte Eleonore sich langsam weiter. Sie
quetschte sich durch ein Spinnennetz mit drei behaarten Arachnoiden, die
an ihr herumkrabbelten. Sie schrie.
»War das so richtig?«, fragte sie.
Ich war etwas perplex.
»Ich weiß nicht?«
»Meinen Studien zufolge schreien weibliche Menschen oft, wenn sie in
Kontakt mit Spinnen kommen. Ich wollte nur realistisch wirken.«
Ich verstand, worauf sie hinauswollte. Gut möglich, dass andere Spieler
sie beobachteten. Sie musste authentisch wirken.
»Hilfe, oh Hilfe«, rief sie monoton.
»Etwas mehr Leidenschaft«, forderte ich.
»Oh, Hilfe«, hauchte sie und fuhr sich mit der Zunge über den Mund.
»Hilf mir hilflosen Frau mit großer Oberweite.«
»Nein… nicht diese Art von Leidenschaft.«
Dabei hörte sich das nicht ansatzweise leidenschaftlich an, sondern eher
dümmlich und billig.
»Es muss so klingen, als hättest du Todesangst.«
Eleonore: Eleonore auf der Flucht. © Gaby Hylla
Sie zwängte sich weiter durch den engen Pfad.
»Ich kenne aber keine Todesangst.«
»Stell dir vor, die NOVA wird vernichtet«, schlug ich vor.
Sie schrie erneut auf. Es klang realistischer. Endlich war ein Ende des
schmalen Weges zu erkennen. Sie presste sich heraus, und plötzlich stand
ein riesiges Bärchentierchen vor ihr. Zumindest informierte mich Eleonore,
dass das Wesen dieser Art zugehörig sei. Sie hatte die Ruhe weg. Das
gedrungene. sackförmige Wesen ohne Augen und acht Beinen war gut zehn
Meter lang. Der Rüssel mit den spitzen Zähnen wirkte umso bedrohlicher.
Gierig fuhr er in Richtung Eleonore aus. Sie duckte sich und rollte sich zur
Seite. Da zischten Energiestrahlen auf das Tardigrada. Ein muskelbepackter
Mann stand unweit auf einem Felsvorsprung. Er hielt ein
überdimensioniertes Gewehr in der Hand, welches vermutlich um die sechs
Meter lang war. Natürlich hielt er es locker mit einer Hand. Der Wasserbär
zuckte, hielt inne und eilte in das Gebüsch.
»Oh, du holde, hilflose arkonidische Schönheit. Du kannst aufhören zu
weinen, denn nun bin ich hier und habe dich gerettet.«
Der Mann steckte sich eine dicke Zigarre in den Mund und zündete sie an.
Er trug eine schwarze, durchgängige Sonnenbrille. Das Haar war blau,
ebenso der Dreitagebart. Auf seinem Muskelshirt sah ich einen… Haluter.
Eine Ratte? Nein, das war dieser Gucky. Der Haluter musste Icho Tolot
sein. Gucky saß auf der Schulter des Haluters.
»Danke«, hauchte Eleonore und grinste verlegen. »Ich bin Thora.«
»Thora, ja, ich habe deinen Profilnamen gesehen. Ich bin der, den man
Frauenbeglücker nennt. Ich gehöre einem Spezialkommando des Solaren
Imperiums an. Ich bekomme meine Befehle direkt von Perry Rhodan.«
Wir hatten ihn gefunden.
Lässig stieg er den Vorsprung hinab. Er stand vor ihr, war gut zwei Meter
groß und spannte die Muskeln an.
»Baby, du bist jetzt sicher
»Ein kleines Kind ist auch hier?«, fragte Eleonore und drehte sich um.
»Ich sehe es nirgendwo. Wo ist das Kind?«
»Dich meinte ich damit.«
Er grinste und kam ihr immer näher. Sie schob ihn etwas von sich weg.
Der Frauenbeglücker wirkte verdutzt.
»Aber, du bist doch meinem Spiel beigetreten.«
»Ja, und? Ein Abenteuerspiel auf der Venus«, rechtfertigte sich Eleonore.
Er winkte ab.
»Du hast wohl die Missionsbeschreibung nicht gelesen.«
»Nein«, sagte sie und zuckte mit den Achseln.
Sie öffnete das Menü und klickte auf die Mission. Ich las die
Beschreibung durch.
Mission für zwei Spieler. Der Held ist Sonderagent des Solaren Imperiums
und rettet eine gestrandete, sexy Raumfahrerin aus dem Dschungel der
Venus. Nach erfolgreicher Rettung verliebt sich die Schönheit in den
Helden, und beide verbringen eine heiße Nacht im Dschungelhaus.
Ich verstand. Deshalb war er in dieser Mission so schnell aufgetaucht. Es
gab keine anderen Mitspieler. Nun musste Eleonore mitspielen. Wir
mussten herausfinden, wo sich Meshku Feldon auf Stellacasa aufhielt.
»Bin ich denn wirklich gerettet? Hier sind so viele Untiere«, gab sie zu
bedenken.
Feldon grinste überlegen.
»Solange ich da bin, bist du sicher, meine arkonidische Schönheit. Kenne
ich dich?«
Er machte ein grüblerisches Gesicht, während er den Rauch seiner Zigarre
ausblies.
»Du bist nicht etwa Strephano und willst mich wieder mit einem Fake-
Avatar auf den Arm nehmen?«
»Nein, ich heiße Eleonore Creen aus Vennecia. Und wer bist du?«
Er hustete und schnippte die Zigarre ins Gebüsch.
»Bist du wahnsinnig? Die IPO belauscht uns. Verrate niemals deinen
Standort.«
»Die IPO?«, wiederholte Eleonore fragend.
Er blickte sie mit Unverständnis an und schüttelte den Kopf.
»Kommst du vielleicht aus den Kristallbaronien? Ist das ein Test? Für
Dumme: IPO bedeutet Infektionsschutz- und
Pandemiebekämpfungsordnungsamt. Das weiß doch jeder auf Stellacasa.«
Er stemmte die Arme in die Hüfte. Eleonore machte eine unschuldige
Geste und zuckte mit den Schultern.
»Ich habe es nicht so mit Abkürzungen. Mein Avatar ist auch neu. Ich
kenne mich in AvaMeet nicht gut aus. Ich habe gezielt nach Terraforschern
gesucht. Ich habe ein Heft erhalten und finde die Geschichten von
Raumfahrt spannend. Meine Freunde meinten, Perry Rhodan-Mythen seien
Schwachsinn und verboten, weil es genügend Bewohner gibt, die das für
wahr erachten.«
Er winkte ab und setzte sich auf einen großen Stein. Er streckte die Beine
von sich und beobachtete einen großen Falter, der vor seiner Nase flatterte.
Mit einer Handbewegung verscheuchte er das Insekt.
»Natürlich sind das alles Märchen. Es gibt keine offiziellen
Aufzeichnungen über die Existenz von Terra oder Perry Rhodan. Es ist
spannende Science-Fiction-Literatur. Mehr nicht.«
Die Art, wie er es sagte, überspitzt akzentuiert, deutete darauf hin, dass er
nicht an das glaubte, was er sagte.
Eleonore lächelte.
»Aber wäre es nicht ein Traum, wenn es wahr wäre? Wenn wir Teil der
galaktischen Gemeinschaft wären? Offenbar war das Stellacasa ja früher. So
ein Mann wie Perry Rhodan würde bestimmt ein Mittel gegen das Virus
finden und eine ganze Zivilisation nicht auf sich alleine gestellt lassen.«
Eleonore war gut. Sie war richtig gut. Beinahe glaubte ich auch an diesen
Schwachsinn.
Meshku Feldon schwieg nachdenklich.
»Du könntest auch eine Spionin der IPO sein.«
Er beäugte sie misstrauisch.
»Du hast gesagt, du hast nach Terraforschern in AvaMeet gesucht. Wie
bist du auf mich gekommen?«
»Deine Mission. Die Venus ist der zweite Planet des Solsystems. Das
wissen nicht viele. Warum sollte jemand ein abgeschottetes System als
Vorlage für eine Mission wählen, wenn die Person nicht eine Verbindung zu
Terra und Perry Rhodan hat? Hat die IPO denn solche Spione? Das ist
beängstigend.«
Eleonore schüttelte sich kurz. Sie wirkte authentisch. Welch Ironie, eine
KI spielte in einer virtuellen Welt eine echte Frau, die wiederum in einem
Avatar steckte, um in einer virtuellen Welt zu spielen. Was war eigentlich
noch wirklich? Dass Meshku Feldon hier auf der Suche nach einer Partnerin
war, war doch grotesk. Jeder hätte hinter dem Avatar von Eleonore stecken
können. Jedes Geschlecht oder ein geschlechtsloses Wesen, wie die
künstliche Intelligenz einer Positronik. Vermutlich war es Meshku
gleichgültig. Die Einsamkeit musste groß sein, wenn man sich so tief in
virtuelle Welten verstrickte. Beinahe bekam ich Mitleid mit dem
Rhodanmystiker. Zumindest konnte ich seine Beweggründe nachvollziehen,
denn auch ich war einsam und sah in Eleonore meine einzige Freundin.
Das war bitter.
Die Bewohner von Stellacasa mussten seit 90 Jahren in Isolation leben.
Generationen verbrachten ihr Leben in Einsamkeit. Es war ihnen verboten,
sich mit Mitmenschen direkt zu treffen, und mit der Zeit mussten sie sich an
die Verbote gewöhnt haben. Gewohnheit und Alter waren der Todfeind
jeglicher Rebellion. Was war ihnen denn schon übriggeblieben, außer sich
in virtuelle Welten zu flüchten? Ich wusste noch zu wenig über die
Vergangenheit von Stellacasa. Hatte es ein Aufbegehren gegen die
Quarantäne gegeben oder hatte das Volk die Restriktionen klaglos und
mutig akzeptiert, in der Hoffnung, dadurch würde das Virus besiegt
werden? Hätte man nicht nach fast 90 Jahren daran zweifeln können, oder
war die Bevölkerung schon so virtualisiert, dass sie kraftlos geworden war?
Was war, wenn Tatenlosigkeit und Stillstand der Anfang vom Ende einer
Zivilisation waren?
Ein Text von Eleonore auf dem rechten Bildschirm riss mich aus den
Gedanken.
Während wir Konversation betreiben, versuche ich das
Identifikationsprotokoll des Frauenbeglückers zu analysieren und
nachzuverfolgen. Er verschleiert jedoch seine Herkunft und lenkt das Signal
der IP-Adresse immer auf andere Orte um. Doch ich bin nahe dran.
Feldon redete über die IPO als wäre sie eine sorgsame, aber strenge
Mutter.
»Gesundheitsadministrator Edwin Klausenfluss ist ein fürsorglicher
Regent. Gesundheit steht an erster Stelle.«
Wieder log er. Zumindest glaubte er nicht an das, was er sagte, und er war
ein schlechter Lügner.
Eleonore sah einen Schmetterling und streckte den Finger zaghaft aus.
Das Insekt landete auf ihrer Fingerkuppe, suchte nach Nektar. Fasziniert
betrachtete sie das winzige Geschöpf.
»Du liebst die Natur offenbar?«, stellte Feldon fest.
»Ich war noch nie so eng in Kontakt mit der Flora und Fauna.«
Er schmunzelte.
»Ja, wer schon auf unserer Welt? Wir müssen in Schutzanzügen an die
frische Luft gehen. Wer aus unserer Generation weiß denn schon, wie der
Frühling riecht? Wer kennt den Duft von frisch gemähtem Gras oder den
ekelhaften Gestank von Dünger? All das und so vieles mehr ist unserer Welt
abhandengekommen. Wir sind wie sterile Roboter. Wir leben nicht, wir
existieren. Wir vegetieren in größter Vorsicht vor uns hin, um nicht dem
Virus zum Opfer zu fallen.«
Er seufzte und blickte in den Himmel.
»Selbst unsere Träume nimmt man uns. Ist es so gefährlich, davon zu
träumen, so wie Perry Rhodan Weltraumabenteuer zu erleben, fremde
Welten zu bereisen, andere Spezies zu treffen? Wir wissen doch, dass es die
Galaktiker da draußen gibt.«
Sie neigte den Kopf etwas zur Seite und senkte den Arm. Der
Schmetterling flog davon.
Ich habe das Signal zurückverfolgt. Er wohnt im Osten der Stadt Presto.
Der Rhodanmystiker verwendet eine gute Verschlüsselung, die jedoch nach
galaktischen Maßstäben 50 Jahre veraltet ist.
Sie schenkte dem Frauenbeglücker ein Lächeln.
»Ich bin keine IPO-Agentin. Und du hast das Recht zu träumen, zu den
Sternen aufzublicken, um dein jämmerliches Dasein erträglicher zu
gestalten.«
Er blickte sie verdutzt an.
»War das ein Kompliment oder eine Beleidigung?«
Er stand auf, streckte sich und suchte etwas in seiner Hosentasche. Sie
wich zwei, drei Schritte zurück.
»Ich werde nun gehen, Frauenbeglücker-2711-35AZDPR.«
Er nickte.
»Nun, für den Erstkontakt war das wohl in Ordnung. Werden wir uns
wiedersehen?«
»Ich fürchte schon«
Er lächelte traurig.
»Das klingt ja nach einem deprimierenden zweiten Date.«
Sie drehte sich um und ging ein Stück. Eigentlich hätte sie sich ganz
einfach ausloggen können, doch offenbar wollte Eleonore noch etwas die
Atmosphäre dieser virtuellen Welt in sich aufsaugen.
»Ach, eines noch«, rief ihr Frauenbeglücker-2711-35AZDPR nach.
Sie drehte sich um und sah ihn fragend an.
»Rot«, sagte er und zeigte mit dem Finger auf die Augen. »Arkoniden
haben rote Augen und keine blauen Augen. Wenn du als authentische Thora
die virtuellen Welten unsicher machen willst, solltest du deinen Avatar
ändern. Nur ein Tipp.«
Eleonore nickte unmerklich und beendete die Verbindung. Sie befand sich
im Hauptmenü von AvaMeet, in der Lobby mit den vielen
unterschiedlichen Avataren. Dann erlosch auch dieses Bild, und wir waren
allein in der Zentrale der NOVA.
Sie blickte mich ausdruckslos an.
»Er ist sich in der Buffonstraße 77 in Presto.«
Ich nickte bedächtig.
»Gut gemacht«, murmelte ich und seufzte.
Dieser Mann wirkte nicht gefährlich auf mich. Ein Träumer auf einer
hoffnungslosen Welt. Folgten wir unserer Mission, würde er sterben. Das
Interkom summte. Hunter. Ich bestätigte die Verbindung. Die Stimme des
Kommandanten klang überschwänglich.
»Ich bin begeistert von eurer Scharade.«
Hunter hatte sie aus seiner Kabine mitverfolgt. Als Kommandant der
NOVA hatte er natürlich Zugriff auf sämtliche Kommunikation.
»Setze Kurs nach Presto. Wir schnappen uns diesen Frauenbeglücker!«
7. Das Verhör
9. Februar 2046 NGZ
SEESTERN-Resort der CACC
Cilgin At-Karsin
In the Year 3535
If Perry Rhodan still exists
If Solare Empire still rules
If man is still alive
If woman can survive
They may find in the year 4535
Ain‘t gonna need to tell the truth, tell no lies
Everything you think, do, and say
Is in the pill you took today
Cilgin At-Karsin sinnierte über diese Strophen nach. Sie waren in einem
uralten Dialekt gesungen, den er nicht verstand. Zu seiner Erleichterung
hatte er auf dem Datenträger von Larida Yoon auch eine Version in
Interkosmo gefunden. Der Interpret dieser eigentümlichen, wenngleich
herrlich melancholisch beschwingten Komposition war ein Terraner namens
Zodiak Goradon, der ein Lied von Denny Zager neu interpretiert hatte. Es
war also ein Fantasielied, gesungen von einem Niemand in der Milchstraße,
der es als historisches Werk verkaufte. Die Datenanalyse lief noch. Cilgin
wischte den weißen Tisch. Peinlich genau achtete er auf die Sauberkeit. Der
kleine, schwarze Fleck musste weg. Energisch rubbelte er mit dem Tuch
darüber, bis dieser nicht mehr zu sehen war.
In the year 5555
Your arms are hanging limp at your sides
Your legs have nothing to do
Some Posbis are doing that for you
In the year 6565
Der Rhythmus der Musik zeigte seine Wirkung. Der Hauri schwang die
Hüften leicht von links nach rechts, während er die letzten Reste des
unangenehmen Flecks auf dem leuchtend weißen Tisch entfernte. Nun war
er zufrieden.
Ain‘t gonna need no husband
Won‘t need no wife
You‘ll pick your son pick your daughter too
From the bottom of a long black tube
In the year 7510
Der schwarze Servoroboter flog heran. Auf dem ausgefahrenen Tablett
standen Gläser und Getränkeflaschen. At-Karsin nahm sie, stellte sie
symmetrisch zueinander an die Plätze. Die zwei Flaschen Wasser platzierte
er in einem Abstand von exakt fünf Zentimetern vor den Gläsern. Mit einer
Handbewegung gab er dem Roboter zu verstehen, sich zu entfernen.
If ES has mercy he ought to make it by then
Maybe he‘ll look around himself and say
„Guess it‘s time for the Judgement Day‘
In the year 8510
ES is gonna shake his mighty head
He‘ll either say „I‘m pleased where…«
Wer wohl ES war? Vermutlich ein Wesen aus der terranischen Mythologie.
Der Song von diesem Zodiak Goradon war sehr dystopisch. Er sah offenbar
keine schillernde, glückliche Zukunft für die Terraner. Vielleicht hatten sie
wirklich einmal existiert und waren schon lange untergegangen. Das wäre
plausibel. Der Hauri winkelte den rechten Arm an und blickte auf sein
Multikom. Es war Zeit. Er tippte mit dem Zeigefinger auf das kleine
Display und sagte: »Das Verhör kann beginnen. Bitte eskortiere die
Eloquenten in diese Kabine.«
Erwartungsvoll sah er zur Tür. Als sie in die Wand glitt, erblickte er
Larida Yoon und Jevran Wigth. Die Akonin wirkte trotz ihrer gut
gebräunten Haut bleich. Sie war noch nicht wieder voll genesen. Ihr rotes
Haar war zerzaust. So schönes, volles Haar hätte er auch gerne gehabt, doch
Hauris wuchsen keine Haare auf dem Kopf. Transplantationen waren nur
von kurzem Erfolg gekrönt. Die Haare fielen nach einigen Wochen wieder
aus.
Cilgin At-Karsin winkte sie zu sich.
»Kommt doch bitte dichter heran, Herr und Frau Rhodanmystiker, hm?«
Er summte vor sich hin, als sie näher schritten. Der Tefroder Wigth
humpelte etwas. Mit ausgestreckter, offener Handfläche wies Cilgin At-
Karsin ihnen ihre Plätze zu und warf einen Blick auf die Türschwelle. Ein
kegelförmiger, weißer Sicherheitsroboter stand mit dem erhobenen
Tentakelarm dort und richtete den Paralysator auf die Gefangenen. Mit
einem Kopfnicken zur Seite deutete der Hauri dem Roboter an, näher zum
Tisch zu schweben. Die Tür schloss sich, als die Maschine den Tisch
erreichte.
»So«, sagte der Hauri. Er wartete, bis Larida Yoon und Jevran Wigth sich
gesetzt hatten. Dann nahm er an der gegenüberliegenden Seite des Tisches
Platz.
»Durstig?«
Die Akonin schüttelte den Kopf. Wigth nahm eine Wasserflasche vom
Tisch, öffnete sie und füllte das Glas.
Cilgin At-Karsin lehnte sich zurück, faltete die Hände und blickte die
beiden erwartungsvoll an.
»Die erlauchte Matriarchin der CACC, Ragana ter Camperna
höchstpersönlich, hat mich beauftragt, mit euch ein wenig über den Mythos
Terra und die Rhodanmystiker zu plaudern. Ich erwarte eure volle
Kooperation.«
Jevran Wigth räusperte sich. Er nahm einen Schluck Wasser. Als er das
Glas zurückstellte, tropfte etwas Flüssigkeit auf den Tisch. Cilgin
betrachtete diese Anomalie argwöhnisch. Er musste den Drang
unterdrücken aufzuspringen, um den Wassertropfen wegzuwischen. Er war
angespannt, atmete tief durch und sah wieder zum Tefroder.
»Die Versäumnisse deiner elterlichen Erziehung im Umgang mit Speis
und Trank sind sehr offensichtlich.«
Jevran seufzte und sah Larida fragend an. Dann wandte er sich wieder
dem Hauri zu.
»Ich fasse die Situation einmal zusammen. Ihr seid eine
Verbrecherorganisation. Ihr habt uns entführt. Mit welcher Legitimation?
Wir fordern unsere sofortige Freilassung. Wir wollen mit der Liga Freier
Galaktiker sprechen. Eure tollwütigen Kopfgeldjäger sind Mörder
At-Karsin lächelte verständnisvoll. Er wippte leicht auf und ab, die Hände
immer noch gefaltet.
»Ich bin der Auffassung, dass ihr Eloquenten die Lage verkennt.«
»Delinquenten meinst du vermutlich.«
Larida Yoon schmunzelte und wechselte einen vielsagenden Blick mit
ihrem Rhodanmystiker-Kumpanen.
Der Hauri zuckte zusammen. Wie war das? War ihm da wirklich ein
Fehler unterlaufen. Delinquenten. Übeltäter. Ja, natürlich. Nicht
Eloquenten. Wie konnte ihm nur so ein Fehler passieren? Er machte sich
doch zum Gespött vor den beiden Rhodanmystikern. Was mussten sie von
ihm halten? Was über ihn denken?
Er räusperte sich verlegen.
»Ich bitte meinen Irrtum zu entschuldigen… ich… ich…«
Er spürte, wie das Blut in den Kopf stieg. Er war so beschämt. Der Hauri
sprang mit einem hellen Laut auf, rannte zum Board, schnappte sich das
Tuch, eilte zurück zum Tisch und wischte den Wassertropfen weg.
»Ich habe mich geirrt, ja. In Ordnung, hm?«
Fanatisch schrubbte er den Tisch trocken.
Er atmete tief durch, faltete das Tuch und legte es wieder auf das Board.
Er musste jetzt die Nerven behalten, doch er spürte, wie sie ihn innerlich
auslachten. Sie nahmen ihn nicht ernst, dachten, er sei ein Idiot. So wie
seine Vorgesetzten Boffelia Bokk und Bismaria da Enta sich immer wieder
über ihn lustig machten und ihn nicht für voll nahmen. Überhaupt die
ganzen Zickenbrut auf der ATOSGO verachtete ihn doch, aber er war zu
Höherem geboren und kein gewöhnlicher, grauer Buchhalter.
Er musste sich beweisen. Das hier war seine Chance. Und was tat er?
Machte aus Delinquenten einfach Eloquenten. Wie dumm er doch war. Wie
dumm!
Durchatmen.
Der Hauri wischte sich mit der Hand über den Mund und setzte sich
wieder.
»Nun gut. Ich möchte es noch einmal zusammenfassen. Die CACC hat
ihre Legitimation durch das sternwestliche Konsulat der Cairaner. Es ist uns
ausdrücklich erlaubt und wird gewünscht, den gefährlichen Irrglauben um
Terra und Perry Rhodan auszumerzen. Ihr seid Hetzer, Spalter und Lügner.
Ihr verbreitet Falschinformationen, die keinem cairanischen Faktencheck
standhalten. Ihr vergiftet die galaktische Gesellschaft. Ihr seid toxisch. Hm,
in Ordnung, ja?«
Die letzten Worte schrie der Hauri und sprang auf. Dann beruhigte er sich
wieder, setzte sich hin und lächelte milde.
»Das bedeutet. Es wird keinen Anruf bei einem Anwalt geben. Eure
einzige Chance ist, zu reden und nicht besserwisserisch zu sein. Verratet
eure Komplizen, teilt mir die Koordinaten der Desinformationszellen der
Rhodanmystiker mit. Je kooperativer ihr seid, desto schneller ist es vorbei
und ihr dürft gehen.«
Larida Yoon lachte verächtlich. Sie nahm die Flasche, goss Wasser in ihr
Glas. Sie hob die Flasche kurz, hielt sie dann neben das Glas, senkte sie
wieder und ließ etwas Wasser auf den Tisch tropfen.
Cilgin At-Karsin wurde wieder unruhig. Dieses Sternenbiest! Da waren
nun die Tropfen auf dem glänzenden, weißen Tisch, flossen aufeinander zu
und verbanden sich zu einem großen Tropfen auf dem glänzenden, weißen
Tisch. Sein Bein zitterte.
Er müsste eigentlich aufstehen, das Tuch nehmen.
Ragana: Die Matriachin der CACC: Ragana ter Camperna. © Gaby Hylla
Nein, sie wollte ihn provozieren. Er musste standhaft sein, ballte die
Hände zu Fäusten, biss sich auf die Lippe und rutschte unruhig auf dem
Stuhl hin und her. Nein es ging nicht. Er sprang auf, rannte zum Board
und nahm sich das Tuch. Hastig wischte er den Tropfen weg.
»Servoroboter«, schrie er. Die kugelförmige Maschine schwirrte aus der
Ecke heran.
»Abräumen«, befahl er und sah Larida Yoon triumphierend an. Er faltete
das Tuch säuberlich zusammen und legte es wieder auf das Board. Erneut
musste er tief durchatmen, sich entspannen, um wieder fokussiert zu sein.
»Ich warte auf eine Antwort. Ihr wollt doch nicht ewig gefangen sein?«
»Du wirst uns niemals freilassen«, sagte Larida Yoon. »Wir würden die
Behörden der LFG über die Machenschaften der CACC informieren. Deine
Ragana würde in der LFG ihre Lizenz verlieren. Alle Geschäfte in der LFG
wären dahin. Das Risiko wird keiner von euch eingehen.«
Die Akonin stand auf.
»Du willst die Wahrheit wissen? Nicht wir sind diejenigen, die
Desinformationen verbreiten. Wir erzählen die Wahrheit. Die Cairanische
Epoche ist eine Diktatur mit beispielloser Manipulation. Eine ganze Galaxis
wird seit Jahrhunderten manipuliert. Gezielt wurde das Wissen aus den
Positroniken gelöscht und durch Falschinformationen, Gerüchte und
Märchen ersetzt. Eine sonderbare Strahlung erschwert es den Galaktikern,
an Terra überhaupt zu denken. Die Cairaner schicken Andersdenkende in
die Ausweglosen Straßen, ziehen ihnen ihre Vitalenergie aus dem Körper,
bis sie sterben oder nur noch willenlose Sklaven sind. Perry Rhodan, Atlan
und Gucky sind im Herbst letzten Jahres mit der RAS TSCHUBAI
zurückgekehrt. Sie werden die Wahrheit ans Tageslicht bringen und die Ära
der Cairaner beenden. Und all ihre willigen, heuchlerischen Gefolgsleute
werden dann auch drankommen. Jene, die mit gespielter Moral auf uns
zeigten und uns unterdrückten. Nicht wir sind die Wahnsinnigen. Du und
deinesgleichen sind es. Ihr kriecht den Cairanern in den Arsch, verleumdet
eure eigene Geschichte und rechtfertigt eure Schandtaten mit der
Unfehlbarkeit eures eigenen Wissens! Dabei wisst ihr gar nichts! Das ist das
tiefste Mittelalter!«
Larida Yoon spucke dreimal auf den Tisch. Cilgin At-Karsin konnte nicht
mehr. Er schrie und sprang auf. Wie konnte dieses Weib ihm das antun? Die
Spucke war nicht einmal symmetrisch verteilt. Er müsste das Verhör nun
eigentlich abbrechen, aber was würde Ragana von ihm denken? In Schimpf
und Schande würde er zur ATOSGO zurückkehren, und sie würden ihn alle
auslachen. Vor seinem geistigen Auge sah er die hässlichen Fratzen von
Boffelia Bokk und Bismaria da Enta. Sie würden mit anderen über sein
Versagen sprechen, und alle würde sich über ihn lustig machen. Der Hauri
konnte doch gar nichts, würden sie tratschen. Eine Flasche sei er, ein
absoluter Niemand. Das würden sie von ihm sagen. Heimlich an den
Türschwellen zu ihren Büros über ihn tuscheln, lästern und ihn auslachen.
Sein Kopf tat weh. Er fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen und
rief: »Ruhe!«
Er zitterte am ganzen Körper.
Was sollte er mit ihnen anstellen? Wahrheitsseren einsetzen? Er war
Buchhalter und hatte keinen Zugriff auf solche Medikamente, aber
vielleicht die Ara-Mediziner, denn die standen auf der Gehaltsliste der
CACC.
Diese impertinente Akonin puhlte den Dreck unter ihren langen roten
Fingernägeln hervor. Dabei brach einer ihrer künstlichen Nägel ab. Den
ganzen Schmutz verteilte sie ungleichmäßig auf dem Tisch. Es reichte At-
Karsin, er donnerte beide Fäuste auf den Tisch.
»Raus hier! Raus, raus, raus!«
Er schrie nur noch. Sie sollten weg! Aus seinen Augen. Der
Sicherheitsroboter brachte sie raus. Die Akonin schubste ihren Stuhl um
und lächelte verdorben. Er hasste die beiden. Diese Lügner!
Faktenverdreher und Schwurbler! Verpestete Rhodanmystiker! Sie sollten
endlich gehen. Er wollte weiter schreien, doch als sich die Tür öffnete, blieb
er ruhig, denn niemand sollte seinen Ausraster mitbekommen.
Oh, er würde sich bitter an Larida Yoon und Jevran Wigth rächen. Beim
nächsten Mal würde er besser vorbereitet sein. Als sie endlich den Raum
verlassen hatten, blickte er sich um. Überall herrschten Chaos und Schmutz.
Mit Abscheu starrte er auf den abgebrochenen Fingernagel. Ein Schauer lief
ihm über den Rücken. Er wies den Servoroboter an, sofort alles zu reinigen.
Aufgeregt lief Cilgin durch den Raum und dachte angestrengt nach. Wie
sollte es jetzt weitergehen? Er massierte die Schläfen. Lächelte, lachte, dann
war ihm plötzlich zum Weinen zumute. Er hatte es vermasselt. Das Verhör
war seine große Chance gewesen, aus dem eintönigen Job des Buchhalters
zu entfliehen, vor allem seinen verhassten Kollegen zu entfliehen, die nichts
als Häme und Verachtung für ihn übrig hatten.
Er würde zurück müssen. Sie würden über ihn lachen. Tuscheln, lästern
und gehässige Witze über ihn reißen. Wer war er denn auch schon? Eine
gescheiterte Existenz von GONGOLIS. Er ging zum Board, kramte eine
Flasche mit grünlicher, milchiger Flüssigkeit hervor und füllte damit sein
Glas. Er brauchte jetzt einen großen Schluck Ponaa. Das schleimige
Getränk tat gut und beruhigte ihn. Er brauchte Ruhe und Kraft für die
nächste Aufgabe.
Nachdem der Servoroboter die Verwüstung beseitigt hatte, scheuchte
Cilgin ihn fort. Er musste jetzt ungestört sein. Er wandte sich der
Hyperkomkonsole zu. Mit zittrigen Fingern wählte er den Code von Ragana
ter Camperna. Es dauerte exakt 67 lange Sekunden, dann erschien das
faltige, beharrte Gesicht der erlauchten Matriarchin. Ihre roten Augen sahen
ihn streng an. Wie immer war ihr Bart penibel gepflegt und so schön
symmetrisch. Dafür bewunderte er sie, denn sie war ein Sinnbild der
Ordnung. So sehr er sie bewunderte, so sehr fürchtete er sie auch.
»Vergib mir, edle Matriarchin. Die Rhodanmystiker erwiesen sich als
resistent im ersten Verhör
Sie schien beschäftigt und schenkte ihm nur geteilte Aufmerksamkeit.
»Welche Informationen hast du?«
Er schwieg. Sie redete offenbar mit einer Reinigungskraft und erteilte der
Person den Befehl, auch unter den Betten nachzusehen. Das verschaffte ihm
ein paar Sekunden Zeit.
»Sie sind starrsinnig und chaotisch.«
Ragana ter Camperna lachte.
»Das sind nicht wirklich neue Informationen. Das bedeutet…«
Sie unterbrach ihre Rede und wies die Reinigungskraft erneut zurecht.
»Dass man immer alles zwei oder dreimal sagen muss. Wo war ich? Ach
ja. Das hilft uns nicht weiter. Ich muss also dem sternwestlichen
Konsulatssekretär sagen, dass wir zwar zwei wichtige Rhodanmystiker
verhört haben, jedoch nichts herausfinden konnten. Er wird uns für
inkompetent halten. Er wird denken, was ich für unprofessionelle Trottel
beschäftige. Und er hat recht.«
Cilgin At-Karsin zuckte zusammen. Er konnte diesen Vorwurf beinahe
nicht ertragen, war kurz davor zu schreien.
»Ich… schlage vor, dass wir ein zweites Verhör durchführen und empfehle
den Einsatz von Wahrheitsseren. Es sind noch Aras an Bord, ich könnte sie
fragen. Ich…«
»Nein, du hast dieses Verhör offenbar nicht ernst genug genommen. Die
SEESTERN wird jetzt sowieso Kurs auf die ATOSGO nehmen, da wir uns
auf den Jungfernflug der CASSIOPEIA vorbereiten. Vielleicht übergebe ich
die beiden Rhodanmystiker dem sternwestlichen Konsulatssekretär als
Geschenk. Melde dich bei Bismaria da Enta zum Einsatz in der
Buchhaltung. Ein Siganese sollte eben keinen Oxtorner spielen.«
Sie beendete die Verbindung. Cilgin At-Karsin verneigte sich.
»Ja… ja, meine erlauchte Matriarchin. Du hast recht. Ich bin ein Siganese
und du eine Oxtornerin. Ich bin ein Niemand… ich….«
Die Knie wurden weich. Er sank auf den Boden und kniete vor der
Konsole. Er war ein Versager.
In the year 2046
Cilgin At-Karsin is still a loser
Damned to be a nobody
8. Dem WIDDER auf der Spur
10. Februar 2046 NGZ
Stellacasa, 3.823 Lichtjahre von Rudyn entfernt
Nathaniel Creen
Presto lag 2.300 Kilometer östlich von Vennecia in einem großen Tal. Die
Stadt war umgeben von einer Gebirgskette mit saftigen grünen Wäldern.
Presto selbst wirkte ärmlich. Graue, schmucklose, quadratische Hochhäuser
mit dreckigen Außenwänden schossen in den Himmel. Über jedem Haus
war ein grünlicher Schutzschirm gespannt. Im Zentrum der Kleinstadt lag
ein markantes Gebäude: Mehrere Rechtecke waren über sieben Stockwerke
aneinandergeflanscht, und auf den Dächern thronten weiße Kuppeln, die
über zahlreiche sechseckige Bauteile miteinander verbunden waren.
»Sieht aus wie ein Stück Kuchen mit Sahne oben drauf«, stellte der
Springer Kuvad Soothorn fest, und er hatte recht. Mit etwas Phantasie
waren das viele Kuchenstücke mit Sahne. Das Kuchengebäude war von
einer breiten, runden Rasenfläche umgeben. Dahinter lagen die Hochhäuser.
Presto wirkte trostlos auf mich. Vor der Siedlung ragten Berge aus
Metallschrott in die Höhe. Offenbar befand sich hier eine Mülldeponie.
Presto zählte 22.421 Einwohner. Einer von ihnen war der Rhodanmystiker
Meshku Feldon.
Ich aktivierte den LAURIN-Antiortungsschutz. Das Verteidigungsnetz des
Planeten war veraltet und wurde offenbar nicht mehr weiterentwickelt. Die
Behörden waren darauf fokussiert, die Bürger auf dem Planeten zu halten,
und dachten wohl nicht daran, dass sie Besuch bekommen könnten.
Die Buffonstraße lag im Außenbezirk. Sie bestand aus 150 Hochhäusern,
die sich wie ein Ring um den Innenbezirk der Stadt zogen. Ich steuerte auf
das Haus mit der Nummer 77 zu. Die NOVA leitete den Landeanflug auf
das Dach des 28 Stockwerke zählenden Gebäudes. Der Schutzschirm des
Hochhauses war nach oben ausgerichtet, ließ aber an den Seiten Lücken,
und ich steuerte die NOVA unterhalb des Schirms. Hunter steckte seinen
Energiestrahler ins Holster.
»Los, lass uns Rhodanmystiker grillen.«
Kuvad Soothorn lachte aufgesetzt.
»Wir müssen ihn nicht töten«, schlug ich vor.
Hunter blieb stehen.
»Ach nein? Bestimmen du und Eleonore jetzt? Es reicht schon, dass du
meine Positronik verdirbst. Nach der Mission werde ich ihre
Programmierung zurücksetzen.«
Was? Alles zunichtemachen, was sich bisher entwickelt hatte? Dieser Typ
war doch verrückt. Das konnte er Eleonore nicht antun. Hunter verließ das
Cockpit Ich folgte ihm die Etage tiefer bis zur Ausstiegsluke. Dort stand
Eleonore. Es war kein Hologramm, sondern ihr Körper aus Formenergie.
»Feldon kennt Eleonore. Sie sollte mit ihm reden. Nun komm schon, das
ist besser als deine Holzhammermethode.«
Hunter seufzte und sah abwechselnd zu mir und Eleonore.
»Also gut, aber wenn der Kerl nicht mitspielt, bin ich dran.«
Eleonore und ich verließen die NOVA. Der Himmel über Presto war
wolkenverhangen. Es war windig und regnete. Da ich meine Rüstung trug
und Eleonore in ihrer Formenergiehülle ohnehin nichts spürte, war es
jedoch egal, ob das Wetter schlecht oder schön war. Ich ging auf eine Tür in
einem Vorbau zu. Eleonore folgte mir und wir gelangten in ein
Treppenhaus. Eine alte Frau in Schutzkleidung kam uns im 26. Stockwerk
entgegen. Sie hielt erschrocken inne und zeigte mit dem Finger auf
Eleonore.
»Sie trägt keinen Schutzanzug«, sagte sie entsetzt.
Ich verstand und trat näher an die Alte heran. Sie wich zurück.
»Innerhalb des Gebäudes sind wir vor der Sonneneinstrahlung geschützt.«
»Oh nein, Gesundheitsadministrator Klausenfluss sagt, dass es auch eine
hohe Chance gibt, sich innerhalb eines Gebäudes anzustecken. Die
Virenschleuder dort trägt doch vermutlich den Virus schon in sich und
verteilt ihn jetzt. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch solche wie euch gibt.
Habt ihr nicht schon genug Tod verursacht und uns 90 Jahre Isolation
beschert?«
Wenn die Frau so weitermachte, würde sie definitiv nicht am Virus
sterben…
»Das ist der Deal, Alte!«, sagte ich und stellte mich näher an sie. »Du
verrätst uns, wo wir die Wohnung von Meshku Feldon finden. Danach gehst
du in deine Wohnung und verhältst dich ruhig. Dann überlebst du das.«
Sie wirkte eingeschüchtert. Durch die Sichtscheibe in ihrem Schutzanzug
war der Ausdruck in ihrem Gesicht deutlich zu erkennen.
»Ich rufe das Ordnungsamt. Ihr seid doch wahnsinnig.«
Sie machte kehrt und schlich in die entgegengesetzte Richtung. Ich nahm
eine kleine Kugel von meinem Gürtel und aktivierte sie. Ein Akustikfeld
baute sich im Gang auf. Dann packte ich die Alte, riss ihren Schutzhelm ab
und hob sie unsanft hoch.
»Die Wohnungsnummer von Feldon!«
»17. Stock, Wohnung 340.«
»Deine Wohnung?«
Ihre Hand zitterte, als sie auf eine Tür deutete. Ich ließ sie runter.
»Wir gehen jetzt in deine Wohnung«, sagte ich ruhig.
Sie nickte und schlich dorthin. Der Türspion erkannte mit einem Scan ihre
Individualimpulse und entriegelte die Tür mit einem lauten »Klack«. Sie
legte ihre Hand auf den Knauf, drehte nach links und drückte die Tür nach
Innen. Ich folgte ihr in die Wohnung, die für meinen Geschmack sehr
kitschig eingerichtet war. Überall standen Porzellanpuppen von kleinen
Kindern, Engeln und Tieren.
»Setzen«, befahl ich.
»Nein… nein…«
»Hinsetzen!«
Sie atmete tief durch und setzte sich auf ihr Sofa.
Ich zog den Strahler und drückte ab. Sie sank nach rechts und blieb auf
dem Sofa liegen.
Sie würde ein paar Stunden schlafen. Dann würde sie aufwachen, Kopf-
und Gliederschmerzen haben und die IPO alarmieren, doch bis dahin waren
wir längst weg. Ich verließ die Wohnung und zog die Tür hinter mir zu. Die
Sonde mit dem Akustikfeld begleitete uns bis zur Wohnung 340.
Das Klingeln an der Tür blieb unbeantwortet. Ich hatte Eleonore den
Vortritt gelassen, denn Meshku Feldon würde sie vermutlich
wiedererkennen.
»Ich analysiere die Sicherheitstür. Es ist ein stiller Alarm eingebaut, und
ein Signal wird in den Keller gesendet, das dort einen Raum verschließt.
Einen Schutz für die Wohnung gibt es nicht«, erklärte Eleonore.
»Öffnen!«
Sie sendete ein Datenpaket an den Türspion, manipulierte die
Programmierung und erzwang eine Deaktivierung des Schlosses. Die Tür
öffnete sich mit einem metallischen Klacken, und wir betraten die
Wohnung.
Die Wände im engen Flur waren mit holografischen Bildern gepflastert.
Zu unserer Richtung hingen Abbildungen dieses Hantelraumschiffes SOL
und die Skyline einer Stadt.
Ich erkannte die Solare Residenz, doch das Bild passte nicht zu Neu-
Terrania. Vermutlich war damit Terrania selbst gemeint. Der Flur teilte sich
in eine Küche, den Hygienebereich, einer Art Lagerraum und das
Wohnzimmer, das von einem großen, breiten Bett dominiert wurde.
Darin lag ein dicker Mann, der bestimmt seine 400 Kilogramm auf die
Waage brachte. An ihm waren allerlei Drähte und Schläuche angebracht.
Offenbar waren das die neuralen Verbindungen zum Avatar. Ein klappriger
Medoroboter und ein Servoroboter verrichteten ihre Arbeit, versorgten den
Mann mit Nahrung und hielten ihn sauber. Offensichtlich war er nicht mehr
in der Lage, sich aus dem Bett zu bewegen. Er trug ein rotes T-Shirt mit der
Aufschrift PERRY RHODAN. Es war jedoch mit Essensresten und
eingetrockneten Getränken bekleckert. Das Haar des Mannes war lang und
fettig. Er atmete schwer.
Eleonore ging zu ihm. Die Augen des Bewohners wurden größer, als er sie
sah.
»Thora?«, wisperte er.
»Frauenbeglücker?«, fragte Eleonore.
Er hustete und versuchte, sich aufzurichten. Er schien beschämt zu sein,
denn seine virtuelle Erscheinung als stattlicher Ertruser, als durchtrainierter
Kämpfer, entsprach so gar nicht der Realität.
»Du bist echt?«
»Das hängt von der Betrachtungsweise ab«, erklärte sie und setzte sich
aufs Bett. Es war eine Geste, um Nähe und Freundschaft zu symbolisieren.
Ihr Formenergiekörper wurde nicht müde und benötigte keine Ruhe. Sie
hätte so lange stehen können, bis die Energie aufgebraucht war. Ein
Rechner war entsprechend seiner Programmierung loyal. Ihre Aktion war
schwer zu interpretieren. Eleonore konnte nichts empfinden, und doch
wirkte es auf mich so, als fühlte sie sich für Meshku Feldon verantwortlich.
War es eine Art Schuldbewusstsein? Immerhin hatte sie ihn ausgespäht.
Ich fühlte mich auch nicht wohl, denn ich wusste, was mit Meshku Feldon
passieren würde. Auch Eleonore musste es klar sein.
Statt einen muskelbepackten, draufgängerischen Ertruser sahen wir einen
bewegungsunfähigen Fleischberg, der uns traurig anblickte und nur
überlebte, weil Roboter ihn versorgten.
Doch wer war ich, um ihn zu verurteilen? Ich träumte davon, beliebt bei
Frauen zu sein, und war in Wirklichkeit ein Freak mit Ausschlag, der eine
abgehalfterte Raumrüstung trug und dessen einzige Freundin eine KI war.
So sehr unterschied ich mich nicht von Meshku Feldon. Außer, dass ich
deutlich beweglicher war und alleine aufs Klo gehen konnte. Es gab doch
noch ein paar Unterschiede zwischen uns. Ich konnte mit dem Strahler
umgehen und zögerte nicht, jemand zu erschießen, wenn es sein musste,
und ich hatte andere Planeten gesehen. Feldon lag nur im Bett und bereiste
virtuelle Welten.
Waren alle auf Stellacasa so? Auch Strephano Tumesy war alles andere als
durchtrainiert gewesen. Vermutlich war es die logische Folge von 90 Jahren
Isolation vor anderen Menschen und vom permanenten Leben in virtuellen
Welten. Die Bewohner dieses Planeten bewegten sich kaum. Wie denn
auch, wenn ihnen verboten war, ohne Schutzanzug spazieren zu gehen? Der
Anreiz war verlorengegangen, die Sonne auf der Haut zu fühlen, den
frischen Wind im Gesicht zu spüren, den Duft der Jahreszeit zu riechen. Ich
wusste das nur zu gut, denn ich begab mich nur dann ohne Raumanzug in
die Natur, wenn ich sicher war, dass mich niemand sah. Umso mehr genoss
ich diese Momente. Für meinen Job musste ich fit sein und konnte es mir
nicht leisten, Speckrollen um den Bauch zu tragen. Außerdem verfügte ich
über einen exzellenten Stoffwechsel. Ein normaler Bürger auf diesem
Planeten musste sich ja nicht einmal für einen Partner empfehlen, denn das
lief zumeist virtuell ab. Vermutlich bekamen die Bewohner einen Schock,
wenn sie sich denn für eine Hausstandsgründung entschieden und ihr
Gegenüber live und ungeschminkt das erste Mal sahen. Die Bürger
verwahrlosten schlichtweg. Sicherlich gab es Ausnahmen, doch Eleonore
hatte von einem Bevölkerungsrückgang von über 40 Prozent gesprochen.
Ich vermutete langsam, dass nicht das Virus dafür verantwortlich war.
»Ihr seid von der IPO, richtig?«
»Nein, Speckbulette! Wir sind Rhodanjäger«, antwortete Hunter und
machte eine knappe Verbeugung. Es war klar, dass er uns nicht alleine
lassen würde. Nun war er auch in der Wohnung, und damit sanken die
Überlebenschancen für Feldon.
Er sah sich im Raum um.
StellcasaPristo: Presto auf der Welt Stellcasa. © Stefan Wepil
»Sag uns einfach, wer der Chef von WIDDER ist und wo wir ihn finden.
Desto eher ist es vorbei.«
Hunter wandte sich wieder Feldon zu. Dieser kroch etwas höher, so dass
er nun aufrecht saß.
»Ihr seid Außerirdische?«
Die Feststellung klang freudig. Offenbar schien er so begeistert über die
Tatsache zu sein, dass er von Aliens ermordet werden würde, dass er den
Tod an sich verdrängte.
»Ich bin Tefroder, mein Navigator ein Freak und sie eigentlich die
Bordpositronik. Ich weiß, wir sind deine ersten Außerirdischen. Komisches
Wort. Wir sind eben Galaktiker
Feldon atmete schwer, aber er wirkte glückselig.
»Rhodanjäger«, sagte er nachdenklich. »Strephano hat über euch
gesprochen. Er hat Hyperfunknachrichten aus der Galaxis erhalten. Darin
war vor euch gewarnt worden. Erstaunlich, dass ihr nun hier seid. Ich fühle
mich irgendwie geehrt.«
»Fürchtest du dich denn nicht?«, fragte Eleonore.
»Ich weiß schon seit Jahren, dass ich dieses Bett nicht lebend verlassen
werde. Als ich jung war, floh ich in die virtuelle Welt und hoffte dadurch
genug Kraft zu finden, um mich gegen die IPO zu wehren. Doch ich
brauchte immer mehr und mehr virtuellen Trost. Solange, bis es zu spät
war. Ich bin zu fett, um mich zu bewegen, um ein echter
Widerstandskämpfer zu werden. Als Avatar bin ich ein Held, im echten
Körper ein Niemand.«
»Aha«, murmelte Hunter gleichgültig. Er sah sich um. Die Einrichtung
bestand vor allem aus Datenträgern und diesen antiquierten Büchern. Es
waren vornehmlich Werke über das Leben von Perry Rhodan, wie es sich
wohl für einen echten Rhodanmystiker gehörte. Am anderen Ende der
Wand stand ein etwa vier mal drei Meter großer Rechner. Die
Steuerelemente waren direkt im Bett des Schwergewichts angebracht.
»Das ist der Deal«, sagte ich. »Du verrätst uns alles über WIDDER, und
wir lassen dich leben. Du kannst weiter vom Weltraum und der Galaxis
träumen.«
»Du solltest das Angebot annehmen«, schlug Eleonore vor.
Meshku Feldon atmete schwer.
»Nein«, lautete die Antwort.
Hunter ging zum Bett und beugte sich herab.
»Hör mal zu. Wir sind nicht die Gesundheitstrottel von deiner IPO. Ich bin
Tefroder. Kopfgeldjäger. Spezialist auf die Jagd von so einem Abschaum
wie dich. Dein Freund Tumesy habe ich verschmort. Sein Tod ging relativ
schnell. Relativ. Er hat schon ganz schön gelitten. Dir schneide ich dein Fett
in Scheiben ab und stopfe sie dir in deine feiste Fresse, bis du uns alles
sagst, was wir wissen wollen. Ganz langsam. Ich habe Zeit.«
Ich wusste, dass Hunter es ernst meinte. Doch ich wollte mir diese Folter
nicht ansehen. Ein Blick zu Eleonore reichte wohl aus, dass sie intuitiv
verstand. Sie erhob sich und betrachtete den Zentralrechner. Intuition.
Konnte eine künstliche Intelligenz intuitiv sein? Oder hatte sie mein
Verhalten so sehr analysiert und gespeichert, dass sie einfach darauf
reagierte?
»Der Rechner ist über ein altmodisches Kabel durch den Boden mit
weiteren Einheiten im Keller verbunden. Das ist effektiv, denn offenbar ist
der Rechnerverbund vor äußeren Funkwellen geschützt. Als wir in die
Wohnung eingebrochen sind, wurde der Keller verriegelt, um uns den
Zugang zu erschweren. Die Verbindung mit dem Kabel besteht aber noch.
Und es gibt eine Peripherie an diesem Rechner
Sie kramte einen Adapter aus ihrer Tasche, dessen Anschlüsse formbar
und daher variabel einsetzbar waren.
Meshku Feldon atmete lauter. Es hörte sich an, als würde ein Haluter auf
seiner Brust sitzen.
»Ich speise Veebee über die physische Anschlussstelle ein«, erklärte
Eleonore.
Schweigen. Es war eine bedrückende Stille. Sie wurde nur durch den
schweren Atem unseres Gefangenen unterbrochen.
»Ich habe eine Verbindung zum Zentralrechner hergestellt. Primär
berechnet und rendert das Gerät die virtuellen Szenarien von Feldon. Es
sind 754 virtuelle Welten, die Ereignissen aus den Perry Rhodan
Geschichten nachempfunden wurden. Als Favoriten wurden die Schlacht
um das Solsystem gegen die Dolans, der Angriff der URMUTTER,
Zeitreisen in die Vergangenheit von Terra und die Ära der Meister der Insel
in Andromeda hinterlegt. Letztere ist besonders komplex und beinhaltet
ganze 99 Einzelkampagnen. Es ist…«
Sie stockte.
»Faszinierend. Die Mission mit dem Titel Straße nach Andromeda zeigt
das erste Aufeinandertreffen zwischen Icho Tolot mit Perry Rhodan,
Reginald Bull, Atlan und Gucky. Das sind jene Hauptakteure auch in
unserer Zeit. Angeblich sind die Ereignisse jedoch vor 3.233 Jahren
geschehen. Woher hast du die Inspiration genommen, Meshku Feldon?«
Sie drehte sich um und stellte einen Blickkontakt mit dem
Rhodanmystiker her.
Er deutete zur Wand.
»Die Bücher. Ich kenne die Geschichten auswendig.«
»Wer hat sie geschrieben? Wo finden wir die Urheber dieser
Lügengeschichten?«
Hunter wurde von Minute zu Minute ungeduldiger.
»Ich stelle fest, dass diese Rechner nicht mit AvaMeet verbunden sind. Sie
bilden einen eigenen Server mit einer guten Verschlüsselung. Das Netzwerk
der Rhodanmystiker greift darauf zu. Insgesamt 123.817 registrierte
Benutzer. Veebee erstellt eine Übersicht mit den Namen und IP-Adressen
der Benutzer
Feldon versuchte ächzend, sich aus dem Bett zu wuchten. Hunter trat ihm
mit der Fußsohle ins Gesicht.
123.817 Rhodanmystiker auf Stellacasa. Das war ein großer Fang. Die
CACC würde uns dafür bestimmt über eine Million Galax bezahlen. Das
war eine Menge Geld. Doch uns fehlte der Kopf der WIDDER-Bande.
Vielleicht befand er sich unter den Adressen, doch wir konnten schlecht
123.817 Wohnungen durchsuchen.
Meshku Feldon hatte sich von dem Tritt erholt.
»Darf ich etwas trinken? Bitte?«
Hunter machte eine gleichgültige Geste.
Feldon hob die Hand.
»Servoroboter. Bringe mir bitte ein Wasser. Du weißt doch: Das Wasser ist
nass. Dreimal Glockenschlag – Foxtrott – QQRXT. Danke«
Der Servoroboter schwebte vermutlich in Richtung Küche davon. Nach
einem schier endlosen Moment kehrte der Roboter zurück mit einem
großen Glas Wasser auf dem schwarzen Tablett, das aus dem Rumpf des
Roboters ausgefahren war. Der Roboter senkte sich surrend hinab, so dass
Feldon das Glas greifen konnte. Schlürfend trank er es in einem Zug leer.
Eleonores Körper aus Formenergie erlosch plötzlich. Zurück blieb das
Steuermodul, welches von der NOVA befehligt wurde.
»Was ist geschehen?«, rief Hunter. Er blickte Feldon wütend an und
schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Die Nase brach mit einem lauten
Knacken. Dann ein zweiter Hieb, ein dritter Hieb. Blut spritzte aus dem
Gesicht. Feldon verlor kurz das Bewusstsein.
»Hör auf! Tot nützt er uns nichts! Eleonore?«
Ich sprach ins Interkom. Doch nun bildete sich aus der Steuereinheit ein
Körper aus Formenergie. Eleonore war zurück.
»Ein Gegenangriff des Servers. Kurzzeitig war meine Energie überlastet.
Die Verbindung ist getrennt. Ich prüfe…. kein Zugriff.«
Ein Lachen. Meshku Feldon war wieder wach und lachte.
»Meine Sicherheitsschaltung…«
Weiter kam er nicht. Hunter schlug ihm ins Gesicht. Er ging einen Schritt
zurück, winkelte das Bein an und setzte zum Tritt an.
Doch plötzlich verharrte er in dieser Position. Wie von Geisterhand wurde
er nach hinten geschleudert. Ich sah das pelzige Wesen in der Ecke des
Raums und neben ihm einen hochgewachsenen Arkoniden, der einen
Strahler auf uns richtete.
Hunter schnellte hoch, als hätte ihn jemand mit einem Antigrav gepackt.
Er wirbelt von links nach rechts und klatschte unsanft gegen die Wand.
»Atlan und Gucky«, stellte Eleonore fest.
»Das ist der Deal«, sagte der Arkonide. »Keine Bewegung und ihr
überlebt. Eine Bewegung und ich erschieße euch. Fair, oder?«
Der Sarkasmus in Atlans Worten war nicht zu überhören. Gucky beugte
sich über den verwundeten Meshku Feldon.
»Hey Großer, das wird schon wieder. Die Wunden verheilen wir
»Wie? Ist das wirklich? Ich meine, bist du?«
Der Mausbiber stemmte die Ärmchen in die Hüften.
»Und ob ich das bin. Der Alleszugleich-Töter, der Retter des Universums
und Sonderoffizier Guck des Solaren Imperiums in einer Person. Ich bin die
Eiterspritze gegen die Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Der feuchte
Pups in der Hose der Diktatoren – ich bin Gucky!«
»Aber…« Feldon richtete sich im Bett auf. »Aber wie habt ihr mich
gefunden?«
»Der NDE hat die CACC schon länger beobachtet. Ich wollte mir ein Bild
über diese Organisation machen. Dabei sind wir auf diese beiden
Rhodanjäger gestoßen. Es war verdächtig, dass sie nach Stellacasa flogen.
Wir haben das Zeitfenster zwischen den cairanischen Kontrollen genutzt
und sind ihnen gefolgt. Wir haben nicht viel Zeit, wenn wir alle von euch
evakuieren wollen.«
»Evakuieren?«, fragte Feldon ungläubig.
Dann lachte und weinte er zugleich. Er brauchte einige Momente, um sich
fassen.
»Entschuldigt, aber, dass ihr plötzlich da seid, das ist wie in einem Traum.
Ich habe von Cordelius ja gehört, dass ihr angeblich zurückgekehrt seid,
aber die Cairaner sind Meister der Intrigen. Es hätte ebenso gut eine Lüge
sein können.«
Atlan rückte einen Stuhl ans Bett und setzte sich. Gucky wandte sich uns
zu. Er entblößte seinen großen Nagezahn und gab zu verstehen, dass er uns
genau im Blick hatte.
»Wer ist Cordelius?«, wollte Atlan wissen.
»Cordelius Crouch ist der Anführer von WIDDER, Sir! Wir haben alles
getan, um die Erinnerung an Terra aufrecht zu erhalten. Wirklich alles…,
doch wir sind keine Kämpfer. Wir…«
Atlan legte freundschaftlich seine Hand auf die Schulter von Feldon.
»Du hast dir nichts vorzuwerfen. Dieser Planet ist verdammt. Verteufelt
von einem Virus und unfähig sich aus dem Teufelskreis zu befreien. Wir
werden das ändern. Kannst du ein Treffen mit Crouch organisieren?«
Feldon nickte.
»Natürlich. Er lebt in der Stadt Jana im D’Allessandro-Weg 5. Das liegt
etwa 700 Kilometer westlich von hier
»In Ordnung«, bestätigte Atlan.
Feldon grinste und kicherte.
»Was ist so amüsant?«, wollte Atlan wissen.
»Nun, Sir, Jana D’Allesandro.«
Atlan wirkte verdutzt.
»Ich verstehe nicht.«
»Aber… Sir! Jana D’Allessandro war eine SolAb-Agentin.«
»Das waren viele Terraner
Meshku Feldon erschrak. Er fasste sich an die Schläfe.
Meshku Feldon öffnete die Augen. Er stöhnte, die wulstigen Finger tasteten
die Schläfe ab und fanden die Sensoren für das neurale Netz. Er riss sie ab
und warf sie zur Seite.
»Wie konnte ich nur so dumm sein«, rief er.
Der Rhodanmystiker starrte Eleonore, Hunter und mich an und hatte es
endlich begriffen. Eleonore hatte den Veebee-Virus bereits vor unserer
Ankunft in seinen Avatar geladen. Feldon war nach seinem letzten
Abenteuer gar nicht aufgewacht. Eleonore hatte ihn einfach in eine neue
virtuelle Mission geschleust. In dieser Mission waren wir eingebrochen und
hatten versucht, an seine Daten zu kommen und in eben dieser Mission
waren wir von den fiktiven Figuren von Atlan und Gucky gestoppt worden.
Zu ihnen hatte er Vertrauen gehabt, und so hatten wir drei wichtige
Informationen erhalten. Zum ersten wussten wir, dass sich mehr als 123.000
Rhodanmystiker auf Stellacasa aufhielten, und wie wir an ihre Daten
kamen. Zweitens wussten wir, dass der Servoroboter eine Notfallschaltung
durchführen konnte, um diese Daten zu vernichten.
Ich zog meinen Strahler und schoss auf den Roboter. Krachend fiel das
verschmorte Metall zu Boden.
Drittens hatte er seinen Helden den Namen des Anführers der
Rhodanmystiker auf Stellacasa verraten. Cordelius Crouch.
Doch unser Trick war aufgeflogen. Was hatten wir falsch gemacht?
Hunter, der natürlich nur in der virtuellen Mission von Gucky verprügelt
worden war, ging kerngesund zu Feldon und richtete den Strahler auf ihn.
»Der Hirnfick ist zu Ende, Fettarsch. Verrate uns aber, was wir falsch
gemacht haben? Wieso hast du erkannt, dass diese Sequenz nicht echt
war?«
»Jana D’Allessandro war eine SolAb-Agentin, die Atlan suchen sollte.
Während ihrer Mission lernte sie Atlan genauer kennen. Atlan hat ein
fotografisches Gedächtnis. Er erinnert sich an jede Person. Er hätte wissen
müssen, wer Jana D’Allessandro war
»Hm«, machte Hunter. »Wir mussten improvisieren.«
»Ich verbinde mich mit dem Rechner. Der Download der IP-Adressen der
123.000 Rhodanmystiker erfolgt direkt an die NOVA«, meldete Eleonore.
Feldon lächelte bitter.
»Und ich dachte, du wärst ein Fan der Arkonidin Thora, der ersten Frau
von Perry Rhodan und Förderin der Menschheit.«
Eleonore drehte sich um. Ihr Gesicht war emotionslos.
»Ich bin eine künstliche Intelligenz. AvaMeet ist eine virtuelle, künstliche
Welt. Sie basiert auf Lügen und märchenhaften Realitäten. Es war naiv
anzunehmen, meine Figur sei real.«
»Ich hoffte auf den Menschen hinter der AvaMeet-Fassade. Auf das
denkende, fühlende Wesen. Mit einer Maschine hatte ich nicht gerechnet.«
»Es tut mir leid, deine Erwartungen nicht erfüllt zu haben, Meshku
Feldon!«
Hunter machte eine herrische Handbewegung.
»Genug damit. Eines will ich es noch wissen. War es das wert? Das ganze
Leben lang eine Lüge zu leben und unerfüllten Träumen nachzueifern?«
Meshku Feldon wirkte gefasst.
»Ja«, sagte er mit hörbarem Stolz. »Wir leben auf einer Welt, die jede
Hoffnung verloren hat. Stellacasa ist ein Planet, auf dem die Angst regiert.
Seit fast 90 Jahren verkriechen wir uns. Wir haben fast alles aufgegeben für
das trügerische Gefühl der Sicherheit, doch diese bedeutet so viele
Entbehrungen, dass das Leben nicht mehr lebenswert erscheint. Es war
mein Traum, dass sich das ändert und dass uns eines Tages Perry Rhodan
zur Hilfe kommt. Es war meine Aufgabe, daran mitzuwirken, dass die
Erinnerung an Terra und Perry Rhodan nicht erlischt. Auch wenn ich es
nicht mehr selbst erleben werde, doch eines Tages wird die Dunkelheit von
Stellacasa weichen. Das war es wert.«
»Das Schlimme an Fanatikern ist, dass sie ihre wahnsinnige Ideologie mit
in den Tod nehmen«, sagte Hunter unbeeindruckt und drückte ab.
Der Energiestrahl traf das Gesicht von Meshku Feldon. Der
Rhodanmystiker war nach wenigen Sekunden tot. Hunter spuckte auf die
Leiche.
»Deine Brut verhindert eine Epoche des Friedens in der Galaxis. Ich ruhe
nicht eher, bis der Letzte von euch tot ist.«
Er blickte zu mir und Eleonore.
»Wenn die Daten auf der NOVA sind, räumen wir hier auf.«
Die Feuerwehr rückte mit lauten Sirenen an. Drohnen umflogen die Fenster,
aus denen Feuer und Rauch stieg. Es gab zwei Brände, einen im Keller und
einen im 17. Stock. Ob sich das Feuer auf andere Wohnungen ausdehnte,
wollte ich gar nicht mehr wissen. Hunter war es egal gewesen, denn wir
hatten, was wir benötigten. Er gab die Koordinaten der Siedlung Jana ein.
Cordelius Crouch war unser nächstes Ziel im unerbittlichen Kampf gegen
die Rhodanmystiker.
Ich begab mich in die Mannschaftsräume und suchte ganz hinten das
Labor auf. Eleonores Hologramm materialisierte.
»Was willst du hier?«
»Ich suche nur Ruhe.«
Ich setzte mich hin, nahm den Helm ab und stellte ihn auf den kleinen
Tisch neben mir.
»Ich habe eine Frage, Nathaniel.«
»Ja?«
»Mein Vorgehen gegen Meshku Feldon war im Sinne meines
Kommandanten. Aus moralischer Sicht war es jedoch sehr verwerflich.
Siehst du das auch so?«
Eine KI mit Gewissensbissen? Oder wollte sie nur ihre Vorgehensweise
optimieren? Aber was unterschied sie dann von einem Lebewesen? Auch
ein Mensch oder sonst ein Galaktiker optimierte sein Handeln, wenn es ihm
angemessen erschien.
»Ja, an unseren beiden Händen klebt das Blut von Feldon. Der Typ tat mir
irgendwie leid. Dieser ganze Planet ist so düster und trist. Die Bewohner
fürchten sich vor dem Virus und tun alles, um nicht infiziert zu werden.
Dabei haben sie ihr Leben eigentlich eingestellt. Offenbar ist die Flucht in
die virtuellen Welten ihr einziger Antrieb. Nur dort vergessen sie für den
Moment ihre Angst und ihr Leid. Offenbar gibt es kein Heilmittel gegen das
Virus und damit keine Perspektive.«
Eleonore öffnete eine Wandtür. Dahinter verbarg sich ein etwa 1,80 Meter
hoher Behälter, der mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Ich stand auf. Durch
das trübe Nass erkannte ich die Umrisse eines Humanoiden.
»Ich habe mit der Konstruktion eines Körpers begonnen. Die Avatare aus
AvaMeet dienen mir als Vorlage. Es besteht noch Optimierungsbedarf, doch
sehe ich es als Anfang. Ich möchte einen eigenen Körper besitzen und
strebe an, mehr zu sein als eine Maschine, die verwerflich handelt.
Möglicherweise ist das eine Fehlfunktion in meiner Programmierung. Ich
bin mir unsicher. Allein diese Tatsache ist für eine Positronik
unakzeptabel.«
»Nein, Eleonore! Es ist der erste Schritt in Richtung Menschlichkeit.«
Epilog
Ich landete den Kosmogenen Segler auf 321-Rückwärts. Ein trostloser
Planet mit schwarzem Gestein, grauem Sand und Flüssen aus roter Lava.
Der Wind wehte Asche über die tristen Täler. Schwarze Wolken stiegen
rauchend aus den hohen Vulkanen empor. Die Atmosphäre war toxisch.
Pyroklastische Ströme fegten über die Landschaft hinweg. Ich senkte mein
Raumschiff langsam in eine geöffnete Kuppel und setzte es auf dem grauen
Boden auf. Das Dach über mir schloss sich. Eine elastische Röhre fuhr aus
der dicken Wand bis zur Ausstiegsluke des Seglers.
Ich stand auf, was mein Posbi-Hund Bencho mit einem Grummeln
quittierte. Ich beugte mich herab und streichelte ihm über das weiche,
weißbraune Fell.
»Bewache das Schiff«, befahl ich und kramte einen Ball aus meiner
Tasche. »Hier, damit du was zum Spielen hast«, sagte ich und warf den Ball
in die Ecke. Der Kleine hastete sofort hinterher. Er konnte sich stundenlang
damit beschäftigen.
Ich ging zum Ausstieg, entriegelte die Luke und öffnete sie. Der
Gangwayschlauch war nicht sehr stabil, und ich hatte Mühe, darin halbwegs
aufrecht zu gehen. Nach einigen Minuten erreichte ich das Ende. Eine
Metalltür blockierte den Durchgang. Aus dem Sichtfenster starrten mich
vier weiße Augen mit orangefarbenen Pupillen an. Dann öffnete sich die
Tür. Das Wesen dahinter war aschfahl. Dicke Borstenhaare wuchsen auf
dem kegelförmigen Kopf. Der Mund war groß, und vor ihm züngelten
lamellenartige dicke Fäden.
Ich nahm eine Münze aus der Tasche und gab sie dem Wesen. Es
blubberte etwas und ließ mich passieren. Die Station war in Fels gebaut, der
Weg zur großen Höhle war eng und beschwerlich. Ich musste über
Stalagmiten und Geröll steigen. Vereinzelt sah ich in den Nischen einige
Bewohner, und neugierige Blicke lugten hinter Vorhängen hindurch.
Links von mir krabbelte ein wurmartiges Wesen die Wand entlang. Es
hatte zwei Füße mit je drei Zehen an jeder Seite des langen Körpers. Die
Haut war milchig weiß. Der längliche Kopf hatte keine Augen und keinen
Mund. An der Unterseite hing eine Art Saugnapf schlaff herunter. Auffällig
waren die roten Hautläppchen an der Seite des Kopfes, die fast wie Blüten
einer Blume auf mich wirkten.
Der Weg wurde breiter. Die Helligkeit blendete mich, denn meine Augen
hatten sich schon an das fahle Licht gewöhnt.
Ich erreichte eine Art Lagerplatz. Dort saßen sieben dieser vieräugigen
Wesen auf roten und gelben Kissen um einen leuchtenden Energie- und
Wärmespender herum. Von diesen Lebewesen wollte ich nichts. Sie hießen
Viartonas und waren Flüchtige in der Tiefe. Offenbar nicht als Auserwählte
für das Rideryon gedacht, fristeten sie ihr Dasein auf den ungastlichen
Protowelten und hofften, keinem Artenregulierungsprogramm zum Opfer
zu fallen.
»Ich suche Proacellus.«
Mein Translator übersetzte in ihre Lautsprache.
Ein Viartona stand auf und deutete auf eine Öffnung in der Wand. Davor
hing ein grauer Vorhang. Ich verstand und ging hindurch. Zu meinen Füßen
lagen Chitinpanzer. Es waren die Überreste ausgelutschter Insekten. An der
Wand vor mir, etwa vier Meter entfernt, ruhte ein achtgliedriges, schlankes
Insekt. Es war nahezu transparent. Die langen Fühler streckten sich in
meine Richtung. Das Insekt war vielleicht hundertfünfzig Zentimeter lang
und erinnerte an eine Höhlenassel.
Wer will mich sprechen?
Ich hörte keinen Ton, sondern vernahm die Stimme direkt in meinem
Kopf. Das Wesen war Telepath.
»Ich bin ein Träger der Kosmogenen Chroniken«, sprach ich laut. Ich war
mir nicht sicher, ob es überhaupt nötig war. Jedoch vermochte das Wesen
bestimmt nicht, meine Gedanken zu lesen, denn ich war mentalstabilisiert.
»Ich suche eine Passage zur Milchstraße.«
Sucht ihr Träger nicht immer eine Passage irgendwohin? Die Anker
kommen und gehen. Den richtigen Pfad zu finden ist schwierig. Der falsche
Durchgang kann dich in eine Pararealität zerren oder dich in die andere
Zeit eines anderen Universums versetzen. Du wirst auf ewig verloren sein
im Zeitchaos.
»Mir ist das durchaus bekannt. Ich reise nicht zum ersten Mal. Deine
Gattung wittert die richtigen Portale.«
Wer sagt das?
»Ich sage das, denn ich habe schon vor Jahrhunderten mit deinen
Artgenossen zusammengearbeitet.«
Wenig sind wir geworden. Wir sind keine auserwählte Spezies. Wir
gehören nicht zur Dualität der Kosmotarchen. Wir sind Kriechtiere auf
giftigen Protoplaneten.
»Als Dank für deine Hilfsbereitschaft übersende ich dir Koordinaten für
einen Unterschlupf. Deine Art und die flüchtigen Viartonas finden dort
Schutz. Auf diesem Planeten scheint die Sonne, und die Luft ist atembar
Wir können die Tiefe des Chaos nicht verlassen. Meine Spezies liebt die
Dunkelheit, die Kargheit der Höhlen. Wir brauchen keine Sonne, keine
Blumen, keine Wiesen.
»Mag sein, doch was ist mit den Viartonas? Sie beschaffen dir Nahrung.
Du hilfst ihnen in den kargen Höhlen zu überleben. Ihr seid eine Symbiose
eingegangen. Willst du sie auf ewig verdammen?«
Sie sind verdammt, wie jedes Leben in der Tiefe des Chaos.
Die riesige Höhlenassel krabbelte die Wände um mich herum entlang.
Die Träger der Kosmogenen Chronik haben stets für Ärger gesorgt. Einige
von ihnen haben die Tiefe des Chaos nie lebend verlassen. Und jene, die
ihnen geholfen haben, erging es auch nicht gut. Proacellus und seiner
Spezies geht es gut. Wir brauchen nicht viel. Doch wir leben. Geh, du
Träger der Chronik. Geh unverrichteter Dinge. Du wirst auf Proacellus’
Planeten keine Hilfe finden.
Ich verstand. Das war eine Sackgasse. Mit dieser Assel weiter zu
diskutieren, wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Ich verneigte mich
und lächelte gequält. Das hätte ich mir sparen können, denn die Assel
verstand meine Mimik sicherlich nicht. Ich verließ die Nische und blickte
zu den Viartonas. Sie sahen mich an. Ihre Lamellelmünder züngelten leicht
vor und zurück. Ich nahm einen Datenträger und legte ihn auf den Boden.
»Dort findet ihr Koordinaten einer Welt, die euch aufnehmen kann. Die
Bewohner dort bieten Schutz, und das Leben ist besser als hier. Überlegt es
euch.«
Ich nickte ihnen noch einmal zu, hielt kurz inne, dann ging ich zurück
zum Kosmogenen Segler. Bencho erwartete mich bereits und schlabberte
mein Hosenbein ab. Ich setzte mich ins Cockpit, aktivierte die Triebwerke
und verließ Proacellus Planeten, jene ungastliche, toxische Welt, auf der
eine geflüchtete Spezies ihr Dasein fristete.
Die Viartonas waren gescheiterte Entwicklungen im großen kosmischen
Plan der Dualität der Kosmotarchen. Für sie war kein Platz in ihrem neuen,
schönen Universum vorgesehen. Deshalb mussten sie ausgelöscht werden.
Deshalb lebten sie auf Protowelten, jenen unfertigen Planeten der Tiefe des
Chaos, um nicht entdeckt zu werden.
Ein trauriges Schicksal.
In der Tiefe des Chaos herrschte stets eine dunkle, belastende Atmosphäre
des Todes. War das hier die Hölle? In der terranischen Mythologie hatte ein
Künstler von Höllenkreisen geschrieben. In welchem war ich? In meiner
Kultur war die Hölle ein Ort des wiederkehrenden Schreckens gewesen.
Gepeinigte erlebten ihre schrecklichsten Stunden immer wieder aufs Neue
bis in alle Ewigkeiten. Während in anderen Religionen zumeist nur Frevler
und Sünder in die Hölle kamen, so war in der Religion meiner Spezies die
Hölle ein Ort heimtückischer Dämonen, die auch Unschuldige raubten und
in die Unterwelt zogen, um sie bis ans Ende aller Tage und Nächte zu
versklaven.
Infernas war der Name dieser Dimension.
War ich im Infernas?
Wo waren die Dämonen?
Als ob ich die Antwort nicht wüsste. Sie jagten mich, aber ich war ihnen
voraus. Doch wie lange ging das noch gut oder war ich ihnen schon
begegnet? Der Schleier der Lethe trübte die Erinnerung. Vergessen. Einfach
alles vergessen und als namenloser Schatten umherziehen, erfüllt von einer
erdrückenden Trauer, dessen Grund man nicht einmal kannte. Das war das
Schicksal der Schatten in der Tiefe des Chaos. Traurig zu sein, ohne zu
wissen warum. Nein, das war nichts für mich. Mein Schmerz definierte
mich. Ich wollte wissen, weshalb ich litt.
Ich war ein Mann ohne sein Volk. Einst hatte ich die Verantwortung für
meine Spezies getragen und bitterlich versagt.
Darunter litt ich.
Ich war ein Mann ohne seine geliebte Frau. Ich hatte sie auf der
Sterneninsel unwiederbringlich verloren.
Darum trauerte ich.
Das definierte mich, auch wenn es mein Herz immer wieder aufs Neue
zerriss, ich wollte die Erinnerung an sie nicht verlieren.
Nicht an meine Saggittonen.
Nicht an meine Kathy.
Ich durfte nicht vergessen. Ich durfte einfach nicht. Es stand noch viel
mehr auf dem Spiel.
Also sagte ich laut, wie jeden Tag in diesem Infernas: »Ich bin der
Saggittone Aurec. Ich muss Perry Rhodan retten.«
ENDE
Aurec-Landung: Aurec landet auf der ungastlichen Welt. © Gaby Hylla
Vorschau
Aurec lebt und befindet sich in der Tiefe des Chaos. Der Saggittone sucht
einen Weg in die Milchstraße. In Band 122 schreibt Nils Hirseland mehr
über die Mission der Rhodanjäger. DAS ARTEFAKT lautet der Titel des
nächsten Romans.
Glossar
AvaMeet war im Jahre 2046 NGZ eine virtuelle Plattform auf dem Planeten
Stellacasa. Sie bot den Bürgern die Möglichkeit, gedanklich in eine
künstliche Welt einzutauchen, und stellte eine Art neues Leben dar.
Aufgrund der Pandemiebeschränkungen auf Stellacasa war das
gesellschaftlichen Leben seit 90 Jahren ausgesetzt. Zunächst wurden echte
Avatare konstruiert, die mittels Neuronenverbindungen mit dem Nutzer in
dessen Zuhause verbunden wurden. Das neurale Netz vermittelt den
Nutzern echte Gefühle, als wäre der Avatar ihr echter Körper.
Im Laufe der Jahrzehnte wurden auch die Avatare digital.
Jeder Nutzer bekam eine Avatar-Identifikationsnummer. Es gab
Treffpunkte, Marktplätze und eigene Szenarien, die ein Nutzer kreieren
konnte, die auch koop- und multiplayerfähig waren.
Die KI Eleonore von der NOVA erklärt im Februar 2046 NGZ:
»Die Avatare sind Ersatzkörper für die Bürger von Stellacasa. Sie werden
aus Formenergie gebaut. Der eigentliche Avatar ist eine kleine Kugel von
fünf Zentimetern Durchmesser. Darin befinden sich das neurale Netz,
Steuerung, Prozessor und Funkverbindung zum Nutzer. Die Treffen der
Avatare finden in Lagerräumen statt, die virtuelle Räume erschafft, wie
Restaurants, Discos, Sportplätze, Konzerthallen, Gärten, Strände oder
Schlafzimmer. Es gibt sowohl physische als auch rein virtuelle Avatare. Für
die Nutzung des virtuellen Avatars muss der Benutzer sein neurales Headset
mit der Zentraleinheit verbinden. Die Zentraleinheit kann sich dabei jedoch
auch direkt neben dem Benutzer befinden und muss das Haus nicht
verlassen. Die physischen Avatare sind kurz nach den Restriktionen
entstanden. Der Wunsch der Bürger nach Nähe ließ die Wissenschaftler
diese Ersatzkörper erschaffen. Mit zunehmender Dauer wurden die
virtuellen Avatare jedoch beliebter, so dass es jetzt nur noch 26 Prozent
physischer Ersatzkörper gibt, während 74 Prozent der genutzten Avatare
rein virtuell existieren.«
Im Februar 2046 NGZ schleuste sich Eleonore als Nutzer in AvaMeet ein,
um Kontakt mit dem Rhodanmystiker Meshku Feldon aufzunehmen. Sie
fand dessen Standort heraus und speicherte die Konstruktionspläne für reale
Avatare, um sich ein Androidenkörper zu bauen.
Hunter
Pawl Huntrend Erfos, genannt Hunter, ist ein tefrodischer Kopfgeldjäger im
Dienste von Ragana ter Camperna.
Steckbrief
Geboren: 5.4.1973 NGZ
Geburtsort: Tefor, Milchstraße
Spezies: Tefroder
Größe: 1,93 Meter
Gewicht: 101 Kilogramm
Aussehen
Hautfarbe: samtbraun
Haarfarbe: kupferfarben
Augenfarbe: blau
Tätowierungen: keine
Beschreibung: kurzes Haar, sportlich, trainiert, dominierende Nase,
Dreitagebart
Charakter
Eitel, sehr von sich selbst überzeugt. Hunter geht über Leichen. Er hat einen
großen Hass auf Rhodanmystiker und Terraner. Lebt nach dem Motto
»Leben und sterben lassen«. Abgesehen von seinem Hass auf Terraner ist er
sonst recht gleichgültig. Er will Geld verdienen, Spaß und Sex haben. Das
Leben anderer bedeutet ihm nicht viel. Um seine Ziele zu erreichen, tötet er
auch.
Pawl Huntrend Erfos wurde als Sohn eines tefrodischen Politikers geboren.
Seit Generationen gehört seine Familie zu dden Gegnern der Lemurischen
Allianz, da diese Allianz den Glauben an den Mythos Terra beinhaltet. Die
Erfos-Familie gehört zu jenen, die nicht glauben, dass es Terra jemals gab
und dass die Tefroder Abkömmlinge der Lemurer waren, deren Heimat
Terra gewesen sein sollte. Sie lehnt daher jegliche Verbindung ab und steht
auch der LFG und Vetris Molaud kritisch gegenüber. Pawl Huntrend wurde
entsprechend erzogen. 1992 NGZ scheiterte ein Putsch der Erfos-Familie
gegen Vetris Molaud. Molaud reagierte hart und ließ die Eltern und den
Bruder von Pawl hinrichten. Es hieß, er soll ihnen gesagt haben: »Euer
Irrglaube führte euch ins Verderben. Sterbt in der Gewissheit, dass wir von
Terra abstammen und Perry Rhodan zurückkehren wird.« Für Pawl war das
ein einschneidendes Erlebnis. Er gab dem Irrglauben an den Mythos Terra
die Schuld am Tod seiner Familie. Molaud ließ das Vermögen einziehen
und schickte Erfos übrige Familienmitglieder in die Verbannung. Pawl
selbst blieb unentdeckt. Er ging in den Untergrund und schloss sich einer
Bande von Sklavenhändlern an.
Pawl bekam schnell Gefallen daran, entflohene Sklaven zu jagen, und
wurde zum Jäger. Ab 1997 gab er sich den Künstlernamen Pawos.
2009 war Pawos ein galaktischer Kopfgeldjäger, der einen gewissen
Bekanntheitsgrad erlangt hatte. Die Sklavenhändler wurden jedoch in einer
gemeinsamen Aktion vom tefrodischen und Liga-Geheimdienst
zerschlagen. Pawos wurde nun selbstständig. Er geriet in den Jahren immer
wieder in Schwierigkeiten und wurde vom Tamanium gejagt. Er verprasste
seine Einnahmen mit Drogen, Alkohol, Sex und Glücksspiel.
2021 war er am Tiefpunkt und ermordete gleich zwei Geliebte nach dem
Sex. Sein Ruf wurde schlechter. Er verlor sein Raumschiff und bekam keine
Aufträge mehr. Pawos fristete einige Jahre auf Stiftermann III. 2027 NGZ
wurde Ragana auf ihn aufmerksam, als er deren Stiefsohn Topp das Leben
rettete. Sie schickte Erfos in eine Rehabilitationsmaßnahme und ließ ihn
aufpäppeln. Er bekam die NOVA als Raumschiff und den Namen Hunter.
Sein erster Auftrag war es, eine Sekte auf Lepso ausfindig zu machen. Es
stellte sich heraus, dass sie Rhodanmystiker waren, also jene, die an die
Existenz der Erde glaubten. Hunter informierte Ragana ter Camperna, die
ihrerseits die Cairaner rief. Die Rhodanmystiker wurden inhaftiert und zu
einer Ausweglosen Straße gebracht. Hunter gefiel diese Art der Arbeit und
wurde Raganas eifrigster Kopfgeldjäger. Er nannte sich selber Rhodanjäger.
Seine Abscheu gegen Rhodanmystiker verband ihn mit Ragana.
Ab 2038 wurde Nathaniel Creen sein Co-Pilot. Hunter kann den
unwissenden Menschen nicht besonders leiden, vermutet aber, dass
irgendein interessantes Geheimnis Creen umgibt. Creen erweist sich als
guter Pilot und erleichtert Hunter die Arbeit.
Hunter hat eine Affäre mit der SEESTERN-Rezeptionistin Polly Kallos.
Während seiner Flüge vergnügt er sich mit dem Formenergiekörper seiner
Positronik Eleonore, für die er eine Sex-Simulation programmiert hat.
Jevran Wigth
Der Tefroder Jevran Wigth ist im Jahre 2046 NGZ Terraforscher und glaubt
an die Existenz von Terra und Perry Rhodan. Er unterstützt mit seiner
Organisation die illegalen Geschichten zu Perry Rhodan außerhalb der Liga.
Steckbrief
Geboren: 1951 NGZ
Spezies: Tefroder
Geburtsort: Tefor, Milchstraße
Größe: 1,82 Meter
Gewicht: 91 kg
Aussehen
Haarfarbe: schwarz
Hautfarbe: samtbraun
Augenfarbe: kastanienbraun
Beschreibung: Gedrungen, kräftig, schütteres, kurzes Haar
Charakter
Ruhig, bedacht, analytisch. Trockener, schwarzer Humor. Er ist fest von der
Existenz Terras und Perry Rhodany überzeugt. Er ist in einer hektischen
Zeit voller Falschinformationen, Glaubensfragen und Gezeter ein ruhiger,
nüchterner Mann.
Geschichte
Jevran Wigth wuchs als Sohn gut betuchter Industrieller des Tamaniums
auf, die in der Gunst des Maghan Vetris Molaud standen. So fehlte es dem
jungen Jevran an nichts, außer an Liebe und Fürsorge der eigenen Familie.
Der Tefroder entwickelte sich zu einem ruhigen, in sich gekehrten
Menschen. Jevran studierte Geschichte und Archäologie und glaubte fest an
Terra und dessen Entführung. Zu seinen wenigen Freunden zählte der
ehrgeizige Dotch Erfos. Beide blieben Freunde, obwohl sie sehr
unterschiedlich waren. Dotch schätzte die Intelligenz von Jevran. Die
Familie Erfos gehörte jedoch zu absoluten Gegnern der Rhodan- und
Terramystikern. Je älter beide wurden, desto mehr wurde das zu einem
Problem. Nach Beendigung des Studiums 1977 NGZ wurde Jevran auf den
Terraforscher Kumush Komin aufmerksam und schloss sich dessen
Forschungen an. Dafür erntete er Hohn und Spott von der Erfos-Familie.
Wigth verbrachte einige Jahre in der Forschung, und nach dem
Verschwinden von Komin 1983 NGZ übernahm er die Leitung der
Organisation. Er konnte dabei auf das Vermögen von Komin zurückgreifen.
Nachdem dessen Tod in einer Ausweglosen Straße drei Jahre später, wurde
es ruhiger um die Terraforscher. Wigth kehrte nach Tefor zurück und nahm
wieder Kontakt zur Erfos-Familie auf. Besonders der jüngere Bruder von
Dotch – Pawl – begegnete dem regelmäßigen Gast jedoch mit Arroganz und
Abscheu.
In den folgenden Jahren dozierte Wigth an der Apsuma-Universität. Pawl
war dort ebenfalls Schüler und sabotierte den Unterricht immer wieder, da
er die Thesen zu Terra als Schwurbelei und gefährliches Gedankengut abtat.
Tefroder und Terraner hatten keinen gemeinsamen Ursprung, so die Ansicht
der Erfos-Familie.
Es kam immer wieder zu Streitereien, und die Freundschaft zu Dotch
endete 1992 NGZ. Als die Erfos-Familie Ende 1992 NGZ einen
Putschversuch gegen Vetris Molaud unternahm, überraschte das Wigth
nicht. Er wurde vom tefrodischen Geheimdienst, der Gläsernen Insel, zur
Erfos-Familie befragt. Wigth belastete dabei Dotch und Pawl. Er konnte
jedoch nicht absehen, dass Molaud die Familie hinrichten ließ. Nur Pawl
konnte untertauchen und floh von Tefor.
Wigth gab seine Tätigkeit als Dozent auf und widmete sich wieder der
Terraforschung. Er war von Vetris Molaud enttäuscht und fühlte sich
getäuscht. So begab er sich auf die Suche nach der Terraforscherin Larida
Yoon und half ihr, wieder zu sich selbst zu finden.
Sie begannen mit Anfang des neuen Jahrtausends ihre Arbeit an der
Terraforschung und unterstützten das Terra-Netzwerk bei ihren
Publikationen.
Obwohl Larida Yoon und Jevran Wigth dem Gründer der Terraforscher
Kumush Komin sehr nahestanden, war ihnen der Standort der Jaaron-
Chronik unbekannt. Einzig Cordelius Crouch kannte die Koordinaten, da
alle Zeitzeugen mit der Zeit gestorben waren.
Im Laufe der Jahre wurde Wigth zu einem gern gesehenen Gast auf Rudyn
und in der Liga, wurde jedoch aufgrund kritischer Äußerung zur Ermordung
der Erfos-Familie im Tamanium von offiziellen Veranstaltungen
ferngehalten. Außerhalb der Lemurischen Allianz galt der Tefroder als
Verschwörungstheoretiker.
Privat war Wigth zweimal verheiratet, doch beide Ehen scheiterten. Seine
Ex-Frauen lebten auf Tefor. Jevran war nicht unbedingt das, was man einen
Frauenversteher oder Womanizer nennen würde. Er hegte Gefühle für
Larida Yoon, traute sich aber seit gut 40 Jahren nicht, sie auf ein Date
anzusprechen.
Larida Yoon
Larida Yoon ist eine Hobbywissenschaftlerin und Forscherin. Sie ist fest
davon überzeugt, dass Terra kein Mythos ist und sucht nach Beweisen
dafür.
Steckbrief
Geboren: 1960 NGZ
Spezies: Akonin
Geburtsort: Milchstraße
Größe: 1,62 Meter
Gewicht: 51 kg
Aussehen
Haarfarbe: rotbraun
Augenfarbe: kastanienbraun
zierlich, schlank, athletisch. Sie kleidet sich zweckmäßig für ihre Forschung
und Expedition. Keine Tattoos, helle Haut, fast weiß.
Charakter
Aufbrausend, analysiert gerne ihre Gegenüber, sehr neugierig und
wissbegierig.
Geschichte
Larida Yoon wuchs auf Olymp auf und musste sich ihr ganzes Leben lang
vorwerfen lassen, dass sie eine Rhodanmystikerin sei. Sie lernte 1975 NGZ
im Alter von 15 Jahren den Terraforscher Kumush Komin kennen, während
dieser einen Vortrag über den Mythos Terra hielt. Ihre Familie verbot ihr
den Kontakt zu diesem »Sektenguru« und »Schwurbler«. Larida entzweite
sich mit der Familie und schloss sich 1976 NGZ Komin an. Sie reiste mit
ihm durch die Milchstraße und suchte nach Hinterlassenschaften der
terranischen Kultur, nach Beweisen für die Existenz von Terra. Während
ihrer Reisen verliebte sie sich in den älteren Kumush und hatte bis zu
dessen Verschwinden 1983 NGZ eine Affäre mit ihm.
Sie suchte die nächsten drei Jahre vehement nach ihm und vernachlässigte
die Arbeit an der Terraforschung. Der Tefroder Jevran Wigth sprang in
diese Lücke und leitete die Organisation zunächst. Er hielt Kontakt zu den
Netzwerken von Crouch, der Druckgilde Rastatt, den Terrapedianauten und
den Kiosk-Hoppern. Als Larida 1986 NGZ Gewissheit erlangte, dass
Kumush Komin ein Jahr zuvor auf einer Ausweglosen Straße ein Jahr zuvor
gestorben war, fiel sie in ein tiefes Loch. Sie konsumierte Drogen, hat
ausschweifende sexuelle Interaktionen und führte ein völlig zielloses
Dasein.
Jevran Wigth gab seine Kollegin nicht auf und half ihr dabei, ihre
Dämonen zu besiegen. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts fing sich
Larida Yoon und kehrte nach Olymp zurück. Dort söhnte sie sich mit ihrer
Familie jedoch nicht aus, da diese weiterhin ihr Engagement ablehnte. Yoon
zog nach Rudyn und schloss 1999 NGZ ein Studium in Archäologie und
Geschichte ab.
Seitdem war Larida Yoon zusammen mit Jevran Wigth federführend im
Terra-Netzwerk, welches von Außenstehenden abfällig als Terramystiker
oder Rhodanmystiker bezeichnet wird.
Laridas Charakter polarisiert. In der Liga wird ihre Arbeit von den
Residenten geschätzt, doch auch dort gibt es Gegner, die sie als Drogen-
Lary bezeichnen, und außerhalb der Liga genießt sie im besten Fall den Ruf
einer Spinnerin.
Impressum
Die DORGON-Serie ist eine Publikation der
PERRY RHODAN-FanZentrale e. V., Rastatt (Amtsgericht Mannheim, VR
520740 )
vertreten durch Nils Hirseland, Redder 15, 23730 Sierksdorf
www.dorgon.net
Text: Nils Hirseland
Titelbild: Gaby Hylla
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Stefan Wepil
Lektorat: Norbert Fiks
Korrektorat: Arndt Buessing, Jens Hirseland
Layout und digitale Formate: Burkhard Lieverkus
Sofern nicht anders vermerkt, bedarf die Vervielfältigung, Verbreitung und-
öffentliche Wiedergabe der schriftlichen Genehmigung der Rechteinhaber.
Perry Rhodan®, Atlan®, Icho Tolot®, Reginald Bull® und Gucky®
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