Band 120
Die Rhodanjäger
Perry Rhodan ist ein Mythos, den es auszurotten gilt
Autor: Nils Hirseland
Cover: Gaby Hylla
Innenillustrationen: Gaby Hylla, Stefan Wepil, Raimund Peter
DORGON ist eine nichtkommerzielle Fan-Publikation der PERRY
RHODAN-FanZentrale. Die FanFiktion ist von Fans für Fans der PERRY
RHODAN-Serie geschrieben.
Hauptpersonen des Romans
Nathaniel Creen
Ein Kopfgeldjäger sucht nach Rhodanmystikern und seiner
Vergangenheit
Hunter
Rhodanjäger und Kommandant der NOVA
Kuvad »Tai« Soothorn
Ein obskurer Springer
Atlan
Der relativ Unsterbliche muss sich diplomatisch geben
Kulag Milton
Ein rudynischer Raumschiff-Tycoon
Eleonore
Die Positronik der NOVA
Inhalt
Hauptpersonen des Romans 2
Inhalt 3
Was bisher geschah 4
Prolog 5
1. Jäger 10
2. Atlan 16
3. Die ter Campernas 22
5. Die Springer-Sippe 37
6. Der mächtige Galax 44
7. Trafalgar 47
8. Die CASSIOPEIA 59
9. Trafalgars Geheimnis 67
Vorschau 76
Glossar 78
Impressum 82
Was bisher geschah
Wir schreiben das Jahr 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, was
dem Jahre 5633 alter terranischer Zeitrechnung entspricht. Ein
Begriff, mit dem die Galaktiker nichts mehr anzufangen wissen. Es
ist die Epoche des Cairanischen Friedens, in der Terra ein Mythos ist
und Perry Rhodan eine Märchengestalt.
Terra ist verschwunden und förmlich aus der Geschichte der Milch-
straße getilgt. Durch den Posizid wurden galaxisweit Daten von-
Positroniken gelöscht. Mit der Datensintflut wurden Unmengen an
sich widersprechenden Daten eingespielt.
Das Terranische Odium, eine sechsdimensionale Strahlung,
verhindert, dass Galaktiker an Terra denken können. So ist nach
mehr als 500 Jahren aus der Milchstraße eine Galaxie geworden, in
der das Wirken der Terraner in den vergangenen 3.600 Jahren
vergessen zu sein scheint.
In der Liga Freier Galaktiker wird dank Reginald Bull die
Erinnerung an die Erde und den Mond hochgehalten, doch selbst
nach Perry Rhodans und Atlans Rückkehr ist es schwer, das fehlende
Wissen und Misstrauen zu überbrücken.
In dieser Zeit steht der Kopfgeldjäger Nathaniel Creen in den
Diensten der Camperna Agency Cloud Company. Als Pilot der
Space-Jet NOVA sucht er nach Flüchtigen. Sein Kommandant ist der
harte tefrodische Kopfgeldjäger Hunter.
Sie suchen nach Terranern, nach so genannten Rhodanmystikern,-
jenen, die an die Existenz der Erde glauben.
Sie jagen sie, denn sie sind DIE RHODANJÄGER …
Prolog
Jene Herzlosen schenkten einst zu viel Liebe.
Das Licht der Mondsichel drang durch die brüchige Wolkendecke.
Messadora lag mit ihrer Tochter auf dem weichen Heu vor dem Stall und
schaute in den Himmel. Die Sterne funkelten herrlich. Am Horizont zog ein
Gewitter auf, doch noch war das drohende Unwetter etwas entfernt.
Den Augenblick ge nießen. Es waren diese Momente, die sie glücklich
machten. Arm in Arm mit ihrem Kind die Ruhe genießen und die Sterne
beobachten.
Messadora streichelte durch das rote Haar ihrer Kleinen. In ihren hellblauen
Augen spiegelten sich die Sterne am Firmament.
Würden sie jemals zwischen den Sternen reisen können, so wie es der
legendäre Perry Rhodan einst getan hatte? Die Urälteste Niada hatte von
Zeiten der Raumfahrt und dem Großen intergalaktischen Krieg gesprochen,
wenn sie den richtigen Obstschnaps getrunken hatte. Es war nie eine
Chronik im eigentlichen Sinn gewesen, und die Urälteste hatte die
Geschichten nur widerwillig erwähnt. Messadora hatte das Gefühl, dass die
Urälteste einfach manchmal ihr Herz erleichtern musste.
Dabei dachte sie an das Gedicht des Herzens der Sterne. Jede Frau kannte
es, jede erlernte die namenlosen, tragischen Verse.
Grausam eisig, wie der kalte Weltraum
– mein Dasein eingekerkert in einem Alptraum.
Hörst du – oh mein Herz der Sterne – mein grenzenloses Begehren?
Oh, wann wirst du je zu mir zurückkehren?
Höre meine Stimme aus den Tiefen des Alls.
Meine Liebe wird nie vergehen, nicht einmal, falls
der Kosmos vergeht in den Gluten der Supernoven,und jedes Leben dahin
wird vergehen.
Melancholisch war dieses Gedicht. Es steckte so viel Sehnsucht darin. Doch
es war auch so negativ geschrieben. Die Urälteste hatte nie verraten, wem
es gewidmet war.
»Maka, ist das ein Asteroid?«, fragte Messidiri und streckte den Finger
zum Himmel.
Sie sah eine goldene Lichtspur, die durch das Firmament zog.
»Das ist eine Sternschnuppe. In alten Zeiten durfte man sich etwas
wünschen, wenn man eine Sternschnuppe sah.«
»Was denn?«
»Das ist geheim, meine Tochter! Komm, wünsch dir was.«
»Ja, Maka, ich wünsch mir einen Hund.«
Messadora lachte. Ihre Tochter sollte es doch nicht verraten. Aber einen
Hund sollte sie bekommen. Langsam war Messidiri alt genug für ein
Haustier, um die nötige Verantwortung für ein kleines Lebewesen zu
übernehmen.
Blitze zuckten am Firmament. Die idyllische Stimmung würde bald
enden. Ein Gewitter zog heran.
Sie stand auf und packte die Sachen zusammen. Ihre Blicke schweiften
über das Tal und ihre Heimatstadt. Sie war hell erleuchtet. Es war noch viel
zu früh für die Bewohner, um ins Bett zu gehen. Über der Stadt zuckten
grüne und blaue Blitze. Der Himmel wurde dunkler. Ein fahles rotes und
grünes Leuchten durchzog das Firmament Es war ein wenig unheimlich. Sie
fing an, die Sachen zu packen und suchte schon jetzt einen Unterschlupf,
sollten sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen. In etwa 100 Metern befand
sich ein Stall.
»Maka?«
»Ja, Schatz? Komm, es regnet gleich. Und über den Hund sprechen wir
noch.«
»Aber Maka.«
Das Grollen wurde lauter. Das Gewitter kam immer näher.
»Es braucht Verantwortung für ein Haustier. Besonders für einen Hund.
Vielleicht könnten wir mit einem Silberfisch anfangen oder einer Krosten-
Spinne aus dem Tal. Was meinst du?«
Bei der großen Mutter, es wurde windig und das Donnern immer lauter.
Wie es dröhnte!
»Maka!«, schrie ihre Tochter.
Nun blickte Messadora hoch. Aus der Sternschnuppe war ein Feuerball
geworden, der immer größer wurde. Ihr stockte der Atem. Ein Asteroid
hielt auf sie zu! Was sollte sie tun? Sie packte ihre Tochter. Weglaufen. So
schnell es ging.
Das Dröhnen wurde konstant.
Weg! Nur weg hier.
Doch Messidiri riss sich los.
»Sieh doch, Maka!«
Etwas schimmerte rostig golden im Feuerball. Der spitze Bug schoss aus
den Flammen hervor. Das Gefährt war wie ein Vogel gebaut, mit rostig-
goldener Hülle und einem hohen Turm im Zentrum. Die Ausmaße mussten
gewaltig sein. Es musste mehrere Kilometer lang sein.
Ein Raumschiff!
Messadora zitterte vor Angst. Messidiri hingegen blickte fasziniert nach
oben. Das gigantische Raumschiff flog über ihren Köpfen hinweg. Es war
viel schlimmer als das Gewitter und der einsetzende Regen. Die Welt schien
in einer Apokalypse aus Feuer und Lärm unterzugehen.
Da fiel ihr weitere Zeilen ein.
Doch nein – du erstickst der Welten Träume so herzlos,
mein Zorn wächst unendlich und so sinnlos,
so überlasse ihre gepeinigten Seelen zum Trost meinem Abenteuer,
auf dass sie verbrennen im kataklystischen Feuer,
mögen sie an des Schwarzen Loches Sog terminieren,
auf dass ihre Seelen auf ewig in Qualen vegetieren.
Das Raumschiff wurde langsamer, bis es bewegungslos über der Stadt
schwebte. Die Bewohner mussten Todesangst spüren, so wie Messadora.
Ein gewaltiger Blitz schien die Erde zu teilen. Dann färbte sich der
Himmel.
Was war geschehen?
Nicht weit von ihr stand eine Frau in Weiß. Anmutig und unheimlich
zugleich. Es war ihre Maka.
Aber ihre Maka war tot. Und doch stand sie dort, so schön in ihrem
Totenkleid. Sie schwebte in einem weißen Leuchten an ihnen vorbei. Sie
wurde immer jünger, von einem Großmütterchen, zu einer Dame im besten
Alter, einer schönen Frau, einem Teenager, dann zu einem Kind, einem
Baby und schließlich verschwand sie.
»Maka, wer sind diese Leute?«
Um sie herum waren fremde Wesen. Monströse, majestätische Tiere und
Wesen aus längst vergangenen Zeiten. Was geschah hier, im Namen der
großen Mutter?
Die Stadt verblasste.
Die Schreie verstummten.
Stille kehrte ein.
Messadora umarmte ihre Tochter, hielt sie umklammert. Verzweifelt
schaute sie um sich, suchte Vertrautes. Was war aus ihrer Stadt geworden?
Der Stall war verschwunden. Stattdessen stand dort ein riesiger Baum mit
mächtigen Ästen. Alles war hier so fremd. Wo waren sie? War das noch ihre
Heimat?
»Maka, was machen wir jetzt?«
Messadora wusste keine Antwort.
»Jemand sagte einst, Furcht beeinflusst die Starken, die Schwachen, die
Ängstlichen, die Noblen und die Verruchten. Furcht ist mein Verbündeter.«
Messadora schrie auf. Auch Messidiri schrie. Vor ihnen stand ein Mann.
Sein dunkles, nasses, langes Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht, denn
es regnete noch immer. Er trug eine schwarze Kombination und einen
ebenso pechschwarzen Umhang, doch sein Gesicht spiegelte den blanken
Horror wider. Wie eine Leiche wirkte es, aus dem modrigen Grabe
auferstanden, und so blickte Messadora in eine Fratze des Todes. Die
Augen in der Totenmaske leuchteten golden und lebendig, so anziehend wie
ein Schwarzes Loch. Die fahle Haut war durchzogen von Falten und
zerfressen vom Tod.
»Grausam, eisig, wie der kalte Weltraum. Mein Dasein eingekerkert in
einem Alptraum.
Hörst du, oh mein Herz der Sterne mein grenzenloses Begehren? Oh,
wann wirst du je zu mir zurückkehren?«
Messadora erschrak ob dieser Verse.
»Ihr kennt das Gedicht des Herzens der Sterne?«, fragte sie.
»Mit jedem einzelnen Wort. Denn ich durchlebe es jeden Tag erneut.«
Er kam näher. Die feuchte Erde machte bei jedem seiner Schritte
schmatzende Geräusche.
Mit zittriger Stimme fragte sie: »Wer seid Ihr, Herr?«
»Ich bin jener, dessen gepeinigte Seelen der Anderen mein sind. Der
Überbringer des Untergangs und des Neubeginns. Die Zeit verändert sich.
Das Gesetz wurde geändert.«
»Ich … ich verstehe nicht, Herr!«
Die wandelnde Leiche stand nun vor ihr. Gekleidet wie ein Edelmann,
doch mit dem Gesicht des Todes.
»Ich weiß, dass du mich nicht verstehen kannst. Deine Generation hat
längst vergessen. Ihr wisst nicht, wie es ist, durch das dunkle, kalte All
zwischen den Sternen zu reisen.«
Zwischen den Sternen reisen? Für einen kurzen Moment trat ihre Angst
vor dem finsteren Mann in den Hintergrund. Die Neugier überwog.
»Die Urälteste erzählte Geschichten davon. Sie lehrte uns auch das
Gedicht vom Herzen der Sterne«, berichtete Messadora.
Das Zeitchaos bricht an. © Gaby Hylla
Sie schöpfte ein wenig Hoffnung, am Leben zu bleiben. Dann kehrte die
Furcht zurück und die Sorge um ihre Tochter.
»Aber Herr, dürfen mein Kind und ich jetzt nach Hause gehen?«
Der Fremde mit dem Totengesicht blickte sich um.
»Euer Heim existiert nicht mehr. Verloren im Strudel der Zeitenwende.
Die Stadt ist weg. So auch die Urälteste Niada. Die Hexe.«
Erschrocken schlug sich Messadora die Hand vor den Mund. Der Fremde
sprach ein verbotenes Wort. Niemand durfte eine Bürgerin ihres Volkes so
bezeichnen. Dann begriff sie, dass diese Blasphemie ihr geringstes Problem
war. Denn die Stadt war verschwunden. Das Tal war leer, kein Licht war zu
sehen und kein Geräusch zu hören. Welche Macht besaß dieses Wesen,
wenn es eine ganze Stadt verschwinden lassen konnte?
»Ihr vermochtet mich einige Jahrhunderte zu täuschen, doch nicht auf
ewig. Dem gierigen Schlund der Zeit konntet ihr nicht entrinnen. Niada
vermochte ihre Kosmogene Chronik schützen, doch nicht jedes Geheimnis
konnte sie vor ihrem Tode für sich behalten. Ich kenne nun den Standort der
Cagehall und werde sie finden. Und ich werde alle Kosmogenen Chroniken
an mich bringen, sei dir dessen gewiss.«
Das unheimliche Wesen stutzte.
»Du hast keine Ahnung, wovon ich spreche?«
Messadora schüttelte den Kopf. Ihre Gedanken rasten. Sie verstand nicht,
was er sagte.
»Bitte Herr, lasst mich und mein Kind gehen.«
»Welches Kind?«
Erschrocken blickte sich Messadora um. Neben ihr stand nicht mehr
Messidiri, sondern eine ältere Frau, die zusehends dahinwelkte. Ihr letztes
ersticktes Wort war »Maka«.
»Messidiri? Nein!«
Wieso alterte sie so schnell? Ihr ganzes Leben verblühte in grausamer
Eile. Sie musste ihr helfen. Nur wie?
»Aufhören«, schrie sie.
Doch es war zu spät, ihre Tochter verloren. Aus dem Kind war eine
Greisin geworden, die verging wie eine Blume im Winter. Die Haut
vertrocknete und bröckelte ab, die Haare fielen aus, das Fleisch verfaulte.
Alles innerhalb weniger Sekunden. Der Körper ihrer Tochter zerfiel zu
Staub.
Messadora hörte nicht auf zu schreien.
Ihre Tochter war tot. Einfach so tot. Ihr ganzes Leben war ihr geraubt
worden.
Was ging hier nur vor?
Der Fremde streckte den Arm in ihre Richtung aus. Die Bewegung seiner
Hand endete, ehe er sie berührte. Und da geschah es: Sie wurde ruhig. Die
Gedanken und Erinnerungen an Messidiri verflogen.
Hatte sie überhaupt eine Tochter? Nein.
Wer war sie überhaupt?
Wo war ihre Maka nur? Sie hatte solche Angst und wimmerte.
Maka, wo warst du nur? Sie sollte ihr helfen.
Sie blickte gebannt und doch voller Angst in die lodernden Augen des
Fremden. Und der sprach: »O Tochter des Seins! Lege jeden Tag
Rechenschaft vor dir ab, ehe du zur Rechenschaft gezogen wirst. Denn
unangemeldet kommt der Tod, und dann musst du deine Taten
verantworten.
Heute ist dein Tod gekommen. So lege Rechenschaft vor mir ab.«
Weinend fiel Messadora auf die Knie. Sie konnte keinen klaren Gedanken
mehr fassen. Alle tot. Alles weg. Der Regen fiel in Strömen auf sie
hernieder. Blitze züngelten am Himmel, gefolgt von ohrenbetäubendem
Donner.
Der Fremde mit der Totenmaske beugte sich herab. Er hob sanft ihr Kinn.
Sie schluchzte.
»Wer seid Ihr, Herr?«
»Ich bin Nistant. Fürchtest du den Tod, Hexe?«
»Ja… ich!«
Nistant nahm seinen Dolch, schnitt ihre Kehle durch. Messadora starrte
ihn entsetzt an. Das Blut spritzte aus ihrem Hals, tränkte ihre Kleidung.
Langsam sackte sie zusammen. Behutsam legte Nistant sie auf den
matschigen Boden.
»Ich vergebe dir dein bedeutungsloses Leben, Tochter des Seins.«
Sein Blick richtete sich auf das Raumschiff. Er ließ den Regen auf sein
Gesicht prasseln und gewann diesem Unwetter mehr ab als jedem
Sonnenschein. Blaue Blitze mischten sich in das Gewitter dieser Welt. Die
Zeit fraß diesen Planeten auf. Der Moment war gekommen, diesen Planeten
zu verlassen.
Die STERNENMEER sollte Kurs setzen.
Kurs Richtung Dorgon.
1. Jäger
25. Januar 2046 NGZ
Milchstraße
Nathaniel Creen – Kopfgeldjäger
und Navigator der NOVA
Die NOVA beendete den Flug durch den Hyperraum und materialisierte
270.000 Kilometer vor dem Mond Mashritun 6A, einem von insgesamt 26
Begleitern, die den Braunen Zwerg Mashritun umkreisten. Dieser
Himmelskörper war aufgrund seiner großen Masse kein echter Planet, aber
auch keine Sonne, da er zu wenig Masse hatte, um eine Wasserstofffusion
in seinem Kern in Gang zu setzen. Mashritun war jedoch schwer genug, um
eine Deuteriumfusion zu auszulösen.
Braune Zwerge nahmen eine besondere Stellung in der Kategorisierung
der Himmelskörper ein. Man könnte auch sagen, sie gehörten nirgendwo
richtig dazu. So wie ich.
Wie auch immer, in den mir bekannten Erinnerungen war ich noch nie in
diesem binären System im äußeren Bereich des sogenannten Perseus-Armes
gewesen. Innerlich zählte ich die Daten auf. Die Doppelsonnen trugen die
Bezeichnung Mashritun A und B. Insgesamt sechs Planeten kreisten um sie.
Das äußere, sechste Gestirn war der Braune Zwerg Mashritun 6. Ein Mond
der äußersten Welt war mein Ziel. Zwei der Trabanten waren in der
habitablen Zone. Die Hauptwelt hieß Mashratan.
Ich hatte das seltsame Gefühl, dass ich dieses System kannte. Dabei
wusste ich genau, dass ich niemals hier gewesen war. Soweit ich mich
erinnern konnte, und das war nicht viel, denn die meisten Jahre meines
Lebens lagen im Dunkel einer Amnesie.
Die NOVA näherte sich weiter dem Mond Mashritun 6A, der nur spärlich
besiedelt war. Auf der kargen, öden Landschaft wuchsen nur wenige
Pflanzen. Die Atmosphäre war dünn. Wer hier lebte, der wollte nicht
gefunden werden.
Es gab keine großen Siedlungen, nur kleine Dörfer, meist um einen
Raumhafen gebaut. Dort wurde illegaler Handel betrieben. Aktivitäten, die
vor den Cairanern wie auch vor den Ladhonen verborgen bleiben sollten.
Die Cairaner waren die stärkste Macht in der Milchstraße, und die
Ladhonen vermutlich die brutalste Kraft. Jedenfalls wollte sich niemand mit
einer von beiden Parteien anlegen. Das Mashritun-System war zu
unbedeutend, um den Cairanischen Frieden zu gefährden, und für die
Ladhonen war es offenbar nicht lukrativ genug. Deshalb zog es keine
Aufmerksamkeit auf sich.
»Eleonore, was weißt du über das System?«
Die Frage galt der Bordpositronik der NOVA. Die Space-Jet der
CORBIA-Klasse war ein längst ausrangierter Prototyp aus den
Flottenbeständen der Liga Freier Galaktiker.
»Möchtest du wissenschaftliche Fakten oder Folklore?«
»Erst einmal die Fakten.«
Das anmutige und zugleich ausdruckslose Gesicht einer Frau erschien als
Hologramm auf meiner Konsole. In meiner Gegenwart verwendete
Eleonore hin und wieder das selbst gewählte Bild einer blonden
Menschenfrau mit blauen Augen.
Sie ratterte mit ihrer kraftvollen, emotionslosen Stimme die
astronomischen Daten herunter, die ich ohnehin schon nachgelesen hatte.
Der fünfte Planet Mashratan wurde von knapp 500 Millionen Wesen
besiedelt. Obwohl diese heiße Wüstenwelt nicht unbedingt lebensfreundlich
war, schien sich bereits seit Jahrtausenden eine Kultur von akonischen
Kolonisten dort zu halten.
»Der Folklore nach kämpfte der legendäre Oberst Kerkum gegen
Terramystiker und Perry-Rhodan-Verschwörungstheoretiker, die er mit
Hilfe des damaligen Kristallbarons Bostich besiegen konnte. Mehr finde ich
in den Datenbanken.«
Das reichte mir.
Die NOVA erreichte die Atmosphäre des Mondes. Es gab hier keine
orbitalen Kontrollen. Raumfahrer kamen und gingen, wie sie wollten. Es sei
denn, sie waren im Zwist mit Banden oder Klans, so dass rivalisierende
Feinde sie schon im Anflug abschossen. Auf Mashritun 6A gab es weder
große Raumabwehrgeschütze noch eine eigene Administration. Die Region
war ein rechtsfreier Raum, die Zuflucht von Gesetzeslosen, Kriminellen
und Geflüchteten, die verborgen bleiben wollten.
Da wir in keinem Zwist mit irgendeiner der hiesigen Bande lagen, war die
NOVA sicher. Wir begannen den Landeanflug.
Eine dreidimensionale Hologrammkarte mit den Abtastungsergebnissen
zeigte mir eine Siedlung in einem Tal. In deren Zentrum befand sich ein
knapp zwei Kilometer durchmessender Landeplatz für Raumschiffe, um
den herum ein Dutzend kuppelförmiger Gebäude errichtet war. Es handelte
sich um Werkstätten, Bars, Diners und vermutlich auch Bordelle.
Mein Kommandant Hunter pflegte zu sagen, dass es auf jedem Planeten
und Mond Schlampen gab. Er musste es wissen.
Die NOVA aktivierte ihre Antigravfelder und landete auf einer freien
Stelle des Landesfeldes. Mit einem Durchmesser von 35 Metern fand sie
schnell einen Platz. Nur drei weitere Raumschiffe standen dort: ein
kugelförmiger, 50 Meter durchmessender Frachter der arkonidischen
Kristallbaronien, ein mehandorischer Walzenraumer und ein diskusförmiger
Raumer der Jülziish. Im Hintergrund ragten einige ausrangierte
Kugelraumer der Arkoniden, der Liga Freier Galaktiker und der Akonen
empor. Ich wusste nicht, ob sie einsatzfähig waren oder als
Rohstofflieferanten und Ersatzteillager dienten.
Ich aktivierte auf dem Touchpad vor mir eine Datei, und im Hologramm
erschien die hässliche Fratze des von mir Gesuchten . Zuerst fiel mir die
Zahnlücke bei den oberen Schneidezähnen auf. Die drei blauen
Tätowierungen im Gesicht waren markant, aber nicht ästhetisch. Auf der
Stirn hatte er einen Kreis mit einem dreiseitigen Propeller, unter dem
rechten Auge ein wellenförmiges Muster und unter dem linken Auge bis zur
Wange laufende, gemusterte Striche. Der geflochtene braune Bart, das lange
braune Haar mit Dreadlock-Erweiterungen und Münzen an deren Ende
rundete das Bild ab.
Er gehörte zu den Mehandor. Sie waren galaktische Händler und
entstammten den Kristallbaronien der Arkoniden. Umgangssprachlich
wurden sie auch Springer genannt, weil sie mit ihren Walzenschiffen von
Sonnensystem zu Sonnensystem sprangen, um ihre Geschäfte zu betreiben.
Eine Springerwalze stand auf dem Landefeld, allerdings gehörte sie sicher
nicht zur Soothorn-Sippe, zu der der Gesuchte gehörte. Vielleicht waren die
Mehandor auch misstrauisch, da ein Kopfgeld von 2000 Galax auf Soothorn
ausgesetzt war, und sie wollten keinen Ärger mit uns oder der Soothorn-
Sippe. Doch das waren nur Vermutungen.
Die NOVA setzte auf. Ich gab ein Signal an Hunter, auch wenn ich nicht
wusste, wo mein Boss steckte. Vermutlich schlief er seinen Rausch aus.
»Eleonore, falls Hunter aufwacht…«
»Informiere ich ihn über deine Handlungen. Jedoch leidet er noch an den
Nachwirkungen unseres virtuellen sexuellen Ereignisses. Er konsumierte
dabei zu viel von dem lepsonischen Rauschmittel.«
Prächtig. Hunter hatte ein Programm für Eleonore geschrieben. Sie
erschuf aus Formenergie einen weiblichen Körper, um ihn zu befriedigen.
Jedenfalls war Hunter wohl nicht zu gebrauchen. Ich musste den Job alleine
erledigen.
Ich erhob mich, setzte meinen Helm auf und bewaffnete mich. Eleonore
würde während meiner Abwesenheit gut auf die NOVA aufpassen. Besser
als Hunter. Ich verließ die Zentrale, bog nach rechts ab und erreichte den
schmalen Antigrav, in dem ich zwei Decks tiefer schwebte, und aus dem
röhrenförmigen Schacht ausstieg. Dann wandte ich mich nach rechts, ging
um den Antigrav herum und aktivierte den Ausstieg. Die Luke öffnete sich
und glitt surrend auf den Boden des Landeplatzes.
Es regnete. Mich störte das nicht, ich war in meinem alten Raumanzug
geschützt. Ein Überbleibsel aus meinem vorherigen Leben, was immer das
für eins gewesen sein mochte. Die Rüstung war grau, schmutzig und an
einigen Stellen verrostet. Ich hatte sie immer wieder geflickt, auch das
gläserne Visier, das zerbrochen gewesen war. Es war durch eine Rundbrille
und ein Atemsystem ersetzt worden.
Ein löchriger dunkler Umhang hing mir über die Schultern bis zu den
Kniekehlen. So ganz passte das optisch nicht zusammen, doch ich besaß
kein Geld für eine teure Reparatur. Auch von diesem Kopfgeld würde
Hunter zwei Drittel für sich beanspruchen.
Ich verließ den Schutz der NOVA. Auf dem Landefeld hatten sich große
Pfützen gebildet. Der Himmel war grau, und nur das orangefarbene
Leuchten am Horizont verriet die Position des Braunen Zwergs. Vor mir
lagen drei Gebäude. Sie schimmerten rostbraun durch den Regen und
wirkten ebenso zusammengeschustert wie meine eigene Rüstung.
Ein einsamer schwarzer, kugelförmiger Roboter mit vier Tentakeln und
einem großen blauen Auge im Zentrum schwebte surrend einige Meter an
mir vorbei.
Auf dem Gebäude links blinkte ein Schriftzug in großen Lettern:
MUCKHAIN.
Ich ging darauf zu. Kurz bevor ich den Eingang erreichte, glitt die schwere
metallische Tür knarzend in die Wand. Ein Unither trat heraus, blieb abrupt
stehen und starrte mich aus großen schwarzen Augen an. Der Rüssel im
grauen Gesicht des Galaktikers baumelte leicht von links nach rechts, dann
wich der Unither nach rechts aus und schritt an mir vorbei.
Ich betrat das Muckhain. Es entpuppte sich als eine Kneipe mit illustren
Besuchern aus der Galaxis. Im Hintergrund spielte eine Art Schunkelmusik.
In dem großen Raum standen zehn runde Tische, von denen sieben besetzt
waren. Menschen, Blues, Topsider, zwei weitere Unither und ein
kegelköpfiger Peepsie zählten zu den Gästen. Es wurde ruhig, als sie mich
am Eingang bemerkten, und alle starrten mich an. Davon ließ ich mich
nicht aus der Ruhe bringen und ging ein paar Schritte weiter. Die Tür
schloss sich.
Das Muckhain war dreckig und dunkel, eben eine typische Raumfahrer-
Spelunke. Die Tische und Stühle waren aus Stahl. Immerhin blieb mir
durch den Filter meines Atemsystems der Maske der ranzige Geruch
erspart, den ich in diesem Etablissement vermutete. Die Besucher rauchten
und tranken.
Rechts von mir befand sich ein langer Tresen, an dem weitere Gäste
saßen. Zwei Arkoniden, ein Zaliter, ein Jülziish und … ein Springer.
Letzterer redete laut und gestikulierte wild. Er trug eine blaue Mütze und
einen ebenso blauen Overall. Das Haar war braun und lang. Ich ging
gemächlich zum Tresen und hörte dem Gerede des Springers zu.
»Ich sage euch, das ist wahr. Perry Rhodan ist zurück. Atlan auch. Die
waren auf Rudyn über den Jahreswechsel.«