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Band 119

Rideryon-Zyklus

Abschied von Siom Som

Nistant offenbart die Bestimmung des Rideryons

Nils Hirseland

Cover

Das Lied vom Herz der Sterne

Grausam eisig wie der kalte Weltraum

– mein Dasein eingekerkert in einem Alptraum.

Hörst du – oh, mein Herz der Sterne – mein grenzenloses Begehren?

– Oh, wann wirst du je zu mir zurückkehren?

Höre meine Stimme – aus den Tiefen des Alls.

Meine Liebe wird niemals enden, nicht einmal, falls

der Kosmos vergeht in den Gluten der Supernovae,

und jedes Leben darin wird vergehen.


Über Sterne und Galaxien – verschlungen im Schwarz des Kosmos –

gab ich für dich mein Herz, doch es war aussichtslos.

Äonen wartete ich und verzagte – dennoch,

meine Liebe verging niemals.

Komm, meine Geliebte, sei Teil von meinem Universum!

Beherrsche es mit mir bis in die Unendlichkeit darum!


Doch nein – du erstickst der Welten Träume so herzlos,

mein Zorn wächst unendlich und so sinnlos,

so überlasse ihre gepeinigten Seelen zum Trost meinem Abenteuer,

auf dass sie verbrennen im kataklystischen Feuer,

mögen sie an des Schwarzen Loches Sog terminieren,

auf dass ihre Seelen auf ewig in Qualen vegetieren.


Spiel die Sinfonie der Apokalypse – wo immer ein Stern erlischt,

die Herzen der Bewohner eines Planeten auf ewig enttäuscht,

mögen sie in den Gewalten der Gravo-Katastrophe vergehen,

auf dass ihre unbedeutenden Seelen verwehen,

doch bevor der Hass der Einsamkeit in mir aufkeimt,

finde den Schlüssel zum Herzen der Sterne und wir wären auf ewig vereint.


Doch nein, wie ein Hypersturm fegst du durch den Weltraum,

ungebändigt wird man dich niemals halten im Zaum,

Wirst nie in den Tiefen des Kosmos gefunden,

meine Seele bleibt geschunden,

und hinterlässt tiefe Wunden, welche nie verheilen,

und so wird der Kosmos auf ewig in Schrecken verweilen …

Innenillustration: Titel von Name
Titel © Name

1. Die letzte Schlacht der IVANHOE II

2. August 1308 NGZ, 2:30 Uhr

Xavier Jeamour stand in der Mitte der runden Zentrale der IVANHOE II. Das SUPREMO-Raumschiff war einige Jahre seine Heimat gewesen, doch richtig gemocht hatte er es erst, als seine Mannschaft und er vom Quarterium desertiert waren. Als Erstes hatte er das triste Grau der Wände in ein frohes, helles Weiß geändert, denn in Kombination mit den rotbraunen Stühlen, den schwarzen Konsolen und dem schwarzen Teppich wirkte die Brücke der IVANHOE II so durchaus vertraut und heimisch.

Doch diese Heimat würde Jeamour bald verlassen müssen. Er sah sich wehmütig um. Der kräftige Oxtorner Irwan Dove hatte bereits an der Station der Feuerleitzentrale Platz genommen. Der Posbi Lorif stand an den taktischen Kontrollen. Der Terraner Mathew Wallace überprüfte die SERT-Haube.

Der Jülziish Zyrak Wygal meldete Bereitschaft aus dem Maschinenraum, von wo aus er die Energiezufuhr regulierte. Die IVANHOE II würde nicht mehr starten können, der Antrieb war beschädigt. Dennoch besaß das Raumschiff noch genug Energie für die Defensiv- und Offensivbewaffnung.

Tania Walerty stellte sich an die Ortungskonsole. Doktor Jennifer Taylor nahm neben Jeamour Platz. Sie wechselten einen kurzen Blick. In ihren blauen Augen bemerkte der Kommandant Verunsicherung. Ihr Lächeln wirkte so gequält. Am liebsten hätte er sie auf eines der Beiboote geschickt, doch sie hatte – wie die anderen auch – klar gemacht, dass sie mit Jeamour an Bord bleiben wollte. Er war realistisch und machte sich keine großen Illusionen, die Chancen standen denkbar schlecht, dass sie das hier überleben würden.

Jeamour betätigte das Interkom.

»Cascal, wir werden in einer Minute das Feuer auf die quarterialen Kreuzer eröffnen.«

»Sir!«, meldete Lorif. »Die VOLCUS GLANZ und EL CID positionieren sich in unsere Richtung neu. Die FLASH OF GLORY wird sich uns mit vermutlich letzter Energie nähern.«

Der Posbi klang nicht hektisch. Seine Betonung war nicht dramatisch, sondern sachlich und freundlich, als hätte er die Mittagsspeisekarte von heute vorgelesen. Der Plan war klar. Sie mussten die quarterialen Raumer und das dorgonische Adlerschiff hinhalten, bis die Beiboote die IVANHOE II verlassen und Amunrator erreicht hatten.

»Kampfroboter sind auf ihren Stationen«, meldete der Oxtorner Irwan Dove.

»Alle automatischen Stationen werden von der Syntronik gesteuert«, fügte Mathew Wallace hinzu.

Es war möglich, den SUPREMO-Raumer fast vollständig von der Syntronik steuern zu lassen. Nicht komplett, es gab Entscheidungen, die eine Syntronik vermutlich nicht fällen konnte – oder genauer gesagt, es fehlte ihr an Intuition, an dem Überraschungseffekt. Doch insgesamt befanden sich nur noch sieben Lebewesen an Bord. Jeamour zählte Lorif dazu. Er war in all den Jahren ein loyaler Offizier und ein guter Freund gewesen.

Der Countdown war abgelaufen. Jeamour nickte Dove zu, der ihn erwartungsvoll ansah. Ein punktueller Beschuss auf die drei Kreuzer des Quarteriums beschädigten diese schwer. Die Bodentruppen ergriffen sofort die Flucht, doch sie kamen nur bis zum Rand des Schirms.

Lorif öffnete eine Lücke in der Mehrfachstaffelung des Schutzschirms im Bereich der Kreuzer. Er verringerte den Radius des Schirms und zog ihn über die Köpfe der Quarterialen hinweg. Nun reaktivierte der Posbi die Schirmstaffelungen nacheinander, bis die IVANHOE II wieder komplett geschützt war.

Die SUPREMO-Wracks und feindlichen Soldaten befanden sich nun außerhalb des Wirkungsbereichs des Paratron- und HÜ-Schirms.

Wallace und Dove teilten sich die Feuerleitzentrale. Lorif kontrollierte die Defensivbewaffnung, während Wygal die Energiezufuhr im Auge behielt und die Roboter als Reparaturmannschaft koordinierte. Walerty meldete die Entfernung der EL CID und VOLCUS GLANZ, während sich Taylor an die Kommunikationskontrollen stellte.

Jeamour atmete tief durch. Das war die Ruhe vor dem Sturm.

»Interkomruf von der VOLCUS GLANZ«, rief Jennifer Taylor.

Jeamour gab ihr ein Zeichen. Das Hologramm des dorgonischen Kaisers baute sich in der Mitte der Zentrale auf. Das überhebliche Lächeln des blonden Mannes mit dem verlebten Gesicht zeigte dessen ganze Arroganz.

»Jeamour und seine Crew«, sagte Volcus und tat so, als würde er sich in der Zentrale umschauen, was jedoch eine leere Geste war. Er konnte nichts sehen, außer das, was die Gegenkamera auf der Brücke zuließ und das war nur der Blick auf Jeamour selbst.

»Kaiser Volcus! Ihr fordert bestimmt unsere Kapitulation?«

Der Kaiser schürzte die Lippen und nickte.

»Schieben Sie sich Ihre Kapitulation in Ihren dorgonischen Adlerarsch«, rief Wallace.

Jeamour lächelte milde.

»Ich denke, Sie haben Ihre Antwort. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand und wurden abermals von Dorgonen und Quarterialen verraten. Es gibt jetzt nur noch den Kampf.«

Jeamour gab Taylor ein Zeichen, sie beendete mit einem Fingertipp die Verbindung.

»Feuer!«, rief er.

Dove und Wallace hatten die VOLCUS GLANZ bereits ins Visier genommen und aktivierten die Transformgeschütze. Dutzende Entladungen detonierten am Adlerraumschiff und hüllten es in einen riesigen Feuerball. Wallace richtete die Geschütze neu aus und feuerte nun auf die EL CID.

»Cascal, bereit?«, fragte Jeamour.

»Beiboote bereit, Sir!«

»Lorif, jetzt!«

Jeamour gestikulierte wild in Richtung des Posbis. Dieser öffnete die Strukturlücken des Schutzschirms in Nähe der Hangarbuchten. Jeamour verfolgte auf den Innen- und Außenbordkameras den Start der Kreuzer, Space-Jets, Minor-Globes und der anderen Raumschiffe. Knapp einhundert Beiboote verließen die IVANHOE II, die wenige Sekunden später von der EL CID unter Beschuss genommen wurde. Kaum hatten die Beiboote den Wirkungsbereich des Schutzschirmes verlassen, wurden bereits die ersten beiden von ihnen vernichtet.

Nun feuerten alle Geschütze der IVANHOE II auf die EL CID und zwangen sie zu einer Feuerpause. Doch die VOLCUS GLANZ übte verheerende Rache für den Angriff. Die IVANHOE II wurde durchgeschüttelt, doch der Schutzschirm hielt noch stand. Jetzt feuerte auch die EL CID ihre Salven auf die IVANHOE II ab, über dem Schutzschirm loderten die Flammen und Blitze.

Um die IVANHOE II herum tobte ein Inferno, die Akustikdämpfer minderten den Krach von draußen, doch das Grollen und Donnern der Explosionen war noch zu vernehmen.

»Die Integrität des Schutzschirms liegt noch bei neunzig Prozent, Sir. Allerdings nimmt die Stabilität des Untergrunds bedenklich ab«, vermeldete Lorif.

Darauf konnte Jeamour jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie mussten das Feuer weiter auf sich ziehen.

»Mathew, haben Sie noch so ein paar blumige Sprüche, um die Dorgonen zu provozieren?«

»Klar doch, darf ich?«

Da meldete sich jemand anderes. Es war Roi Danton, der über die Frequenz der FLASH OF GLORY sprach.

»Bonjour, die FOG ist noch im Spiel. Und das ist für Volcus: Wir holen dich jetzt.«

Die FOG nahm Kurs auf die VOLCUS GLANZ, die inzwischen das Keilraumschiff beschoss. Die IVANHOE II teilte ihre Geschütze auf und griff sowohl die VOLCUS GLANZ als auch EL CID an. Die Zeit verstrich zu ihren Gunsten. Beiboote wurden aus der EL CID ausgeschleust. Dove feuerte auf sie, denn je weniger von den quarterialen Jägern die Verfolgung aufnahmen, desto besser für Cascal und die Fliehenden.

Die FLASH OF GLORY brannte, Teile des Schiffes fielen bereits ab, doch sie steuerte direkt auf die VOLCUS GLANZ zu.

»Sie geht auf Kollisionskurs«, murmelte Wallace. »Danton hat Eier.«

Jeamour rief den Sohn Perry Rhodans.

»Das ist doch Wahnsinn. Stoppen Sie das.«

»Der Transmitter wird aktiviert«, rief Jenny Taylor. »Die Besatzung der FOG evakuiert.«

Alles ging so schnell. Das Keilraumschiff rammte das Adlerraumschiff, der Schutzschirm flackerte, ehe er erlosch. Die FOG explodierte in einem grellen Blitz und brennende Teile stürzten zu Boden. Doch auch die VOLCUS GLANZ war angeschlagen.

Die IVANHOE II feuerte auf das dorgonische Adlerraumschiff. Die Einschläge detonierten am rechten Flügel, der abgesprengt wurde und in die Tiefe fiel. Das Schiff verlor die Balance und taumelte durch die Luft.

Unvermittelt materialisierte die Teleporterin Myrielle Gatto mit Roi Danton in der Zentrale. Jeamour erschrak.

»Nicht ganz so wahnsinnig, oder? Myrielle?«

Die Mutantin grinste und zeigte auf die Bombe in ihrem Rucksack. Jeamour verstand nur zu gut. In anderen Zeiten hätte er das nicht gutgeheißen, denn es bedeutete den Tod aller Dorgonen an Bord der VOLCUS GLANZ und war auch für Gatto gefährlich. Doch das war kein fairer Krieg mehr, also stimmte er zu.

Gatto teleportierte und die Luft zischte.

Die IVANHOE II wurde abermals durchgeschüttelt. Die EL CID feuerte unvermindert.

»539 Personen wurden über den Transmitter gerettet«, sagte Jenny Taylor. »Ich gehe runter. Da unten kann ich besser helfen, Sir.«

»Tun Sie das.«

Jeamour blickte der engagierten und fähigen Ärztin hinterher. Dann wandte er seinen Blick wieder zu Danton. Der Sohn Rhodans wirkte nervös. Plötzlich blähte sich der Bauch der dorgonischen Stahlbestie auf und explodierte. Eine Feuerwelle schien sich durch den ganzen Rumpf bis hin zum Vorderteil zu fressen, Feuerfontänen spien aus der Außenhülle und die VOLCUS GLANZ stürzte ab.

Schweigend betrachteten alle auf der Brücke dieses Schauspiel. Die VOLCUS GLANZ krachte zwanzig Kilometer entfernt auf die Oberfläche und verging in einem Feuerpilz. Die Druckwelle raste auch auf die IVANHOE II zu.

»Und Gatto?«, fragte Jeamour.

Stille. Danton blickte sich hoffnungsvoll in der Zentrale um, als würde er jede Sekunde erwarten, dass sie materialisierte, doch nichts geschah. Jeamour begriff nur zu gut: Die Teleporterin hatte ihr Leben in dem dorgonischen Adlerraumschiff verloren.

»Sie hat es nicht geschafft«, sagte Danton traurig.

Die Erde erzitterte und die IVANHOE II wurde erneut durchgeschüttelt.

»Der Boden wurde durch den Aufschlag der VOLCUS GLANZ noch instabiler. Er … er droht einzubrechen«, sagte Lorif.

»Wo sind unsere Beiboote?«, wollte Jeamour wissen. Im Hintergrund tobte das Feuergefecht mit der EL CID.

»Sie erreichen in zwei Minuten die von DORGON übermittelten Koordinaten. Bisher haben wir zwölf Schiffe verloren.«

Nun schwang eine Nuance des Bedauerns im Tonfall des Posbis. Jeamour wusste, dass sie den Fliehenden diese Zeit noch verschaffen mussten. Eine Wand aus Feuer hüllte die IVANHOE II ein, der Schutzschirm bewahrte sie vor Schaden.

»Alle Energie auf die Offensivbewaffnung. Danton, Sie können hier nichts ausrichten. Koordinieren Sie die Evakuierung Ihrer Crew mit dem Transmitter auf die Beiboote.«

»Aye, Mon capitaine!«

Danton stürmte aus der Zentrale. Die Zeit spielte ihnen in die Hände, doch Jeamour wusste auch, sobald die Beiboote ihr Ziel erreichten und hoffentlich in Sicherheit waren, schlug die letzte Stunde der IVANHOE II.

*

Roi Danton erreichte außer Atem die Transmitterhalle, die dicht gefüllt war mit Besatzungsmitgliedern der FLASH OF GLORY. Vornehmlich terranische Soldaten der Liga Freier Terraner und Agenten der USO. Er hörte Flüche und Grollen. Langsam schob er sich durch die Menge, klopfte einem Ertruser auf den Rücken, damit dieser auswich. Endlich erreichte er den Transmitter. Zyrak Wygal stand vor den Konsolen. Der Blue drehte sich um und kniff die vorderen beiden Augen zu.

»Bei der kackbraunen Kreatur des Mists, wir haben nicht mehr genügend Energie für den Transmitter. Zapfe ich Energie ab, schwächt das den Schutzschirm oder die Offensivwaffen. Die Energiereserven sind leer gelutscht wie die Zitzen einer apasischen Mutter von Neunlingen.«

Danton wollte sich das gar nicht vorstellen. Er nickte mit einem milden Lächeln. Welche Optionen gab es? Der Schutzschirm würde nicht mehr lange halten. Doch kapitulieren? Da griff er nach dem letzten Strohhalm.

»Wir haben doch den kemetischen Transmitter?«

Wygal wippte den Tellerkopf von links nach rechts.

»Ja, aber wir haben ihn nicht im Hyperraumflug getestet. Oder sollte ich sagen, dass der einzige Test mit leblosen Objekten einfach nicht funktionierte? Wir wissen immer noch nicht, wo die Kisten gelandet sind.«

»Dann werde ich das testen.«

Roi rannte den Korridor entlang zum Antigrav. Immer wieder vibrierte die IVANHOE II, bedrohlich knirschte der Stahl. Er betrat die Lagerhalle mit dem Transmitter. Der runde Torbogen strahlte in einem grellen Weiß.

Geh nicht durch das Licht, Carol-Anne, sagte er zu sich selbst. Doch welche Wahl hatte er denn? Danton nahm sein Interkom. »Jeamour, ich werde den kemetischen Transmitter versuchen. Sollte ich durch sein, werfe ich … werfe ich …« Er sah sich ratlos um. Eine Rolle Toilettenpapier lag vor einer Kiste. Wieso? Vielleicht hatten die Crewmitglieder bei der Evakuierung Toilettenpapier gehamstert und fahrlässig die Rolle liegen gelassen? Er nahm sie. »Ich werfe dann mal mit Klopapier, wenn es klappt.«

»Aber kein gebrauchtes«, antwortete Mathew Wallace und zwang Danton zu einem Grinsen.

»Viel Glück«, sagte Jeamour.

Danton atmete tief durch, zwang sich, nicht an die Konsequenzen zu denken und tat es doch. Bestenfalls würde er einfach nicht mehr aufwachen und seine Atome im Hyperraum verstreut werden. Im schlimmsten Fall würde er als Klopapier-Chimäre auf der anderen Seite herauskommen.

Er rannte hinein und fühlte, wie sich sein Körper veränderte, er fühlte sich leicht und …

*

Plötzlich starrten ihn zwei schakalköpfige Shak’Arit an. Er hatte es überlebt.

»Was glotzt ihr so? Oh nein, ich bin ein Klopapiermensch, richtig?«

»Nein, Terraner. Du siehst aus wie ein Terraner, der eine Rolle Papier in der Hand hält.«

»Wo bin ich? Ach egal, erst einmal …«

Er drehte sich um und warf die Rolle durch den Transmitter. Das war das Zeichen. Nun mussten die Besatzungsmitglieder reagieren.

*

»Das Klopapier ist da«, meldete Zyrak Wygal der Zentrale.

Bevor Xavier Jeamour eine Antwort geben konnte, wurde die IVANHOE II kräftig durchgeschüttelt. Er stürzte zu Boden und schlug mit dem Kopf auf den Boden, so dass er über der Augenbraue zu bluten anfing.

»Sir, die EL CID hat ihre Beiboote ausgeschleust.«

Der Krach wurde immer lauter, je schwächer die Akustikfelder wurden.

»Schirm steht kurz vor der Überlastung«, rief jemand. Jeamour war zu benommen, um die Stimme zu erkennen. Eine Hand klammerte sich um seinen Arm und zog ihn auf die Beine. Es war der kahlköpfige Oxtorner Irwan Dove. Jeamour nickte schwach.

»Evakuierung. Wir müssen zum Transmitter.«

»Sir, der Erdboden bricht ein.«

Was? Die Außenkamera zeigte den tiefen Riss, der Sand, Geröll, Bäume und alles, was sich zwischen ihnen befand, in den Schlund riss. Die Erde tat sich weiter auf und der Riss kam immer näher.

»Stabilisatoren!«, brüllte Jeamour.

Die IVANHOE II schwebte mit dem aktivierten Antigravtriebwerk über dem aufgerissenen Erdboden, und über ihren Köpfen donnerte eine Explosion nach der anderen. Feuerstürme brausten über die Hülle der IVANHOE II hinweg. Die Brückencrew machte sich auf den Weg zur Lagerhalle mit dem Transmitter.

Dann brach der Schutzschirm zusammen. Ein lauter Knall ließ Jeamour beinahe das Trommelfell platzen. Überall explodierten Konsolen und dann folgte ein flaues Gefühl im Bauch, als wenn man sich in einem Freizeitpark mit einem Fahrgeschäft in die Tiefe fallen lässt. Der Antigrav hatte versagt. Das Schiff neigte sich, Jeamour fiel erneut zu Boden und klammerte sich an dem Fuß einer Konsole fest. Er sah, wie Tania Walerty gegen die Wand fiel. Ein ohrenbetäubender Lärm – dann wurde alles schwarz um ihn herum.

*

Roi Danton starrte auf die sieben LFT-Soldaten, die den Weg durch den Transmitter geschafft hatten. Es kamen keine weiteren Menschen mehr hindurch.

Osiris betrat den Transmitterraum und legte seine Hand auf die Schulter von Danton.

»Die Techniker sagen, der Kontakt ist abgebrochen. Die Gegenstation antwortet nicht mehr.«

Danton wusste, was das bedeutete. Die IVANHOE II war vernichtet. Er fühlte sich schlecht, die Knie wurden weich und er suchte Halt. Osiris packte ihn und schob ihn zu einem Sessel. Seufzend ließ sich Roi Danton hineinfallen.

Über fünfhundert Lebewesen waren tot. Darunter wirklich gute Wesen, tapfere Männer und Frauen. Xavier Jeamour, der kühle und sachliche Kommandant. Mathew Wallace, der schelmische Heißsporn mit dem großen Herzen. Irwan Dove, der zuverlässige Freund aller. Lorif, der geschwätzige und loyale Posbi. Tania Walerty, Jennifer Taylor und Zyrak Wygal. Er hatte doch gerade noch mit dem Blue gesprochen. Alle tot.

Roi Danton berichtete stockend, was geschehen war. Während er sprach, schaltete sich Aurec via Hologramm dazu. Er fragte mehrmals, was mit seinen Freunden geschehen war.

Es war eine traurige Geschichte, die Roi erzählen musste.

»Ich denke, die anderen um Joak, Kathy, Gal’Arn, Andrews, den Scorbits und Guuze sind in Sicherheit in Amunrator. Doch wie lange? Und um welchen Preis. Um welchen Preis …«

Zwischenspiel – DORGON

Der Koloss aus Stahl fiel hinab in die Unterwelt des Rideryons, vorbei an Höhlen und Tunneln, an urbanen Siedlungen und Städten. Tiefer hinab zu den Grenzwächtern der Vyr, zu jenen einen, die Wache halten am Ende des einen und Beginn des anderen.

DORGON war noch klein und unauffällig. Seine Inkarnation war schwach. Sie konnte die Vernichtung des Raumschiffes nicht verhindern. Das Rideryon musste erst durch das Sternenportal, damit DORGON die volle Kraft erlangte.

Doch DORGON war auch unauffällig und beweglich. Die Macht des Kosmotarchen reichte aus, um das Werk zu beginnen.

Ein kleiner Gedanke genügte.

Ein Hauch im Wind, der sich übertrug von Kind zu Kind, von Frau zu Frau und Mann zu Mann. Eine Empfindung, ein Gefühl, so rein und klar wie das Wasser aus einer Bergquelle.

Eine Idee, eine Vision, ein Gefühl, so mächtig, dass es unaufhaltsam sein würde. DORGON würde diese Gedanken in die Länder des Rideryons tragen. Die Miskatoor-Feen standen ihm zur Seite, um Liebe und Zuneigung, Respekt und Moral in die Ohren der Lebewesen zu wispern. So sollten die Ideale DORGONS von Buuraler zu Gannel, von Harekuul zu Manjor, von Dychoo zu Fithuul und all den anderen Völkern des Rideryons übertragen werden.

Die Werte von Nächstenliebe, Fürsorge, Verständnis und Altruismus sollten Angst, Neid und Habgier ablösen, denn die waren die Wegbereiter für die Herrschaft von MODROR.

2. Amunrator

Joak Cascal blickte mit versteinerter Miene auf die Übertragung der Sonden. Mit einem grellbunten Blitz brach der dunkelrote Schutzschirm der IVANHOE II zusammen. Explosionen durchbrachen das Metall der Außenhülle, dann sackte der Kugelraumer nach unten und fiel in das tiefe Loch. Die EL CID und ihre Beiboote feuerten auf den Riss im Erdboden, so dass immer mehr Erdboden einstürzte und der IVANHOE II ein Grab aus Feuer und Stein bereitete.

Dann stellten die SUPREMO-Raumschiffe das Feuer ein. Kurz noch sah Cascal einen quarterialen Jäger, dann brach die Verbindung zur Sonde ab.

»Hier ist Jonathan Andrews von der TERSAL. Wir lokalisieren ein schwaches Signal der IVANHOE. Sie … fällt … 10.000 Kilometer … 12.000 Kilometer …«

Auch die Ortung an Bord des MERZ-Raumers zeigte den Fall der IVANHOE II an.

Joak sah Sandal Tolk an. Der Barbar von Exota-Alpha wirkte ebenso ratlos und traurig wie er selbst. Die IVANHOE II war wie ihr Vorgängerschiff IVANHOE ein Symbol gewesen.

Sie und ihre Crew hatten jedoch am Ende immer gewonnen – bis jetzt.

50.000 Kilometer im freien Fall.

Sie jagte wie ein brennendes Geschoss durch das Gestein.

Remus Scorbit meldete von einer Space-Jet, dass sie die Koordinaten von Amunrator erreicht hätten. Unter ihnen öffneten sich Tore zu unterirdischen Hangars.

80.000 Kilometer im freien Fall.

Cascal wandte sich ab. »Sofort in die Landebuchten, bevor wir Gesellschaft bekommen. Hoffen wir, dass wir da unten geschützt sind.«

100.000 Kilometer im freien Fall.

Das Signal der IVANHOE II wurde schwächer. Cascal dachte an die Besatzungsmitglieder. Er hatte zusammen mit Wallace, Lorif, Dove, Taylor, Jeamour und Wygal schon gegen die Mordred gekämpft. Während der M 100-Expedition waren die Besatzungsmitglieder der IVANHOE das Zünglein an der Waage gewesen.

Später war die IVANHOE für den Terrablock im Einsatz gewesen, war nach Barym geflogen und hatte schließlich in der Schlacht im HELL-Sektor mitgekämpft. Damals war die IVANHOE zerstört worden und die neue IVANHOE II hatte unter quarterialem Banner gestanden, doch die alte Crew hatte es nicht lange unter dem Regime ausgehalten und war mit dem Schiff desertiert. Unter der USO hatten Jeamour und seine Crew in diesem endlos langen und zehrenden Krieg für die Freiheit der Estarten gekämpft.

183.000 Kilometer.

Das Signal erlosch und Cascal schloss die Augen, denn er wusste, dass dies das Ende der IVANHOE II und ihrer Crew war.

*

Zeit zur Trauer hatte Joak Cascal nicht, denn sie wurden verfolgt. Neunzehn Raumschiffe hatte es bereits erwischt, darunter auch eine Space-Jet, auf der sich Jaaron Jargon und Pyla befunden hatten. Sie hatten es nicht geschafft, wie so viele andere von ihnen auch nicht.

Eiligst landeten die Kreuzer, Space-Jets, Minor-Globes und Jäger in den runden Öffnungen. Der Hangar war schmucklos und dunkel und es wirkte so, als befänden sie sich in einer leeren, gigantischen Höhle. Als das letzte Schiff gelandet war, schlossen sich die Tore an der Decke.

Waren sie nun sicher?

Cascal lehnte sich zurück.

»Cascal an Danton.«

Keine Antwort. Was zum Teufel! Hatte es den Sohn Rhodans etwa auch erwischt?

Cascal wollte das nicht glauben, weigerte sich zu glauben, dass auch Michael Rhodan gestorben war. Doch er begriff nun, das Manöver der FLASH OF GLORY musste von Danton gewesen sein. Bei dem Zusammenstoß musste er sein Leben verloren haben. Was für ein Abgang, in einer Kollision mit einem Adlerraumschiff zu sterben.

»Du hast das Kommando«, sagte Tolk bestimmt.

Joak nickte und ließ sich von Jan Scorbit einige Daten über den Hangar geben. Demnach befanden sie sich zehn Kilometer unter der Oberfläche. Der Hangar war in der Tat eine Höhle ohne technische Ausrüstung. Es gab nur einen Ausgang, nämlich einen drei Kilometer langen und knapp zehn Meter breiten Korridor, der noch einmal vier Kilometer in die Tiefe ging. Dieser führte zur Stadt Amunrator, besagten die Ortungsergebnisse.

Die Stadt war quaderförmig gebaut und schlug Wurzeln in alle Richtungen. Sah man von den Seitenstraßen ab, wies der Würfel, in dem sie untergebracht war, eine Kantenlänge von sieben Kilometern auf. Die Ortungsergebnisse zeigten für die Ausdehnung dieser Stadt ein normales Energielevel an.

»Faszinierend, wir sind gut geschützt«, sagte die Alyske Elyn durch das Interkom, denn sie befand sich zusammen mit Gal’Arn, Jonathan Andrews und Jaktar auf der TERSAL.

»Der Schutzschirm ist vielfach gestaffelt. Zehn weitere Stufen schützen die Luken, durch die wir geflogen sind. Unterhalb dieser befindet sich im Abstand von fünfzig Metern je eine neue Staffel. Es würde also dauern, bis das Quarterium uns zerbomben könnte.«

»Dann werden sie mit Bodentruppen kommen. Es gibt laut des Ortungsergebnisses einige Höhlen und Pfade«, stellte Cascal fest.

»Erinnert mich an Vircho«, sagte Tolk und spielte damit auf den engen Häuser- und Straßenkampf im urbanen Teil der tefrodischen Hauptstadt an. Damals hatten sie gewonnen.

Alle Beiboote waren nun gelandet. Die Scheinwerfer leuchteten in Richtung von Amunrator, in das Dunkel, das den einzigen Pfad zur urbanen Metropole darstellte.

Cascal zuckte mit den Schultern.

»Was machen wir jetzt? Warten, bis DORGON uns eine Einladung schickt?«

Tolk brummte unbehaglich und Cascal fühlte sich genauso, denn er hasste es, einfach nur herumzusitzen. Er erhob sich und sprach in sein Interkom. »Wir werden mit drei Gleitern nach Amunrator aufbrechen. Sandal Tolk, Kathy Scolar und ich mit Gleiter Eins.

Gal’Arn, Jonathan und Elyn mit Gleiter Zwei. Will Dean und die Scorbit-Zwillinge mit Gleiter Drei.«

*

Die drei Gleiter hielten vor dem knapp zehn Meter breiten Pfad. Er war schnörkellos, wirkte, als habe jemand vor Jahrtausenden oder länger einfach ein Loch in das Gestein gebohrt. Weit hinten erkannte Joak Cascal ein Licht, das offenbar eine Art Wegmarkierung darstellte.

»Vielleicht gibt es Seiteneingänge?«, fragte sich Kathy laut.

»Die Ortungsergebnisse belegen, dass dieser Pfad die einzige Aushöhlung in einem Umkreis von drei Kilometern ist. Massives Gestein, bis wir Amunrator erreichen«, erklärte Elyn.

Er blickte in die Runde und vermisste schon jetzt schmerzlich die Besatzung der IVANHOE II und Roi Danton. Ihr … ihr Tod riss ein tiefes Loch in sein Herz, ein tiefes Loch in die Gruppe.

Und doch waren noch viele Freunde da.

Er blickte zum dunkelhäutigen TLD-Agenten Will Dean. Der Junge hatte schon seine Agentenkünste im Kampf gegen die Mordred unter Beweis gestellt, ob es nun bei der Entführung der LONDON oder seinen Ermittlungen auf der BASIS war. In der Folgezeit war der Frauenschwarm mit dem Schnauzbart dem Terrablock oft zu Diensten gewesen und hatte sich nicht gescheut, in vorderster Front mitzukämpfen. Dean hatte mit Gründung des Quarteriums seinen Dienst quittiert und kämpfte seitdem auf Seiten der LFT und der USO.

Die beiden Zwillingsbrüder Remus und Jan Scorbit saßen noch in den Gleitern. Früher hatte Joak sie kaum auseinanderhalten können, doch inzwischen kannte er die feinen Unterschiede der beiden, zumal der Wissenschaftler Jan auch einiges an Gewicht zugelegt hatte, was die Unterscheidung deutlich erleichterte.

Zu Remus hatte Joak ein besonderes Verhältnis, denn Remus und dessen frühere Frau Uthe hatten Cascal und Tolk damals in der Raumzeitfalte der Casaro entdeckt und ihnen bei der Flucht geholfen. Cascal, Tolk und die Crew der VIVIER BONTAINER waren tausendvierhundert Jahre in der Raumzeitfalte gefangen gewesen, doch für sie waren nur einige Jahrzehnte vergangen. Remus und Uthe waren die ersten beiden Kontakte in die Epoche einer neuen Zeitrechnung – die Neue Galaktische Zeitrechnung gewesen. In den folgenden Jahren hatten sie einige Abenteuer zusammen erlebt.

Aus dem zweiten Gleiter stiegen der Ritter der Tiefe Gal’Arn, die anmutige Alyske Elyn und der beherzte Terraner Jonathan Andrews. Dessen Augen waren gerötet, vermutlich von den Tränen, die er über den Tod seiner Freunde auf der IVANHOE II vergossen hatte. Jonathan hatte eine schwere Zeit hinter sich, weil sich seine Frau Nataly in ein ylorsches Monster verwandelt hatte, und nun waren langjährige Freunde wie Mathew Wallace, Irwan Dove und Lorif tot.

Der Ritter der Tiefe aus der Galaxie Shagor wirkte gefasst und würdevoll mit seinem langen, zu einem Zopf geflochtenen braunem Haar, dem feinen Oberlippen- und Kinnbart und dem braunen Poncho, unter dem er sein Caritschwert verbarg. Elyn war von Natur aus blass, doch sie wirkte auch angegriffen. Obwohl sie seit über zweitausend Jahren lebte, war ihr Herz keineswegs abgestumpft. Ihre violetten Augen strahlten Trauer aus.

So war Joak selbst auch zumute. Es war wie in einem Alptraum, aus dem er hoffte, bald aufzuwachen. Er hätte nie gedacht, dass Jeamour und seine Crew sterben würden. Nicht einfach so.

Cascal seufzte. Neben ihm stand die brünette Terranerin Kathy Scolar, die Verlobte des Saggittonen Aurec. Sie lächelte gequält und nickte leicht. Ein Zeichen, dass es ihr genauso erging, sie aber weitermachen mussten. Sandal stand an Joaks linker Seite. Sein Gesicht war traurig. Gut, er wirkte oft missmutig, doch auch ihm steckte der Verlust der Crew der IVANHOE II in den Knochen. So oft hatten sich Jeamours Leute aus den schlimmsten Situationen befreit. Doch nun war ihr Raumschiff nach einem 183.000 Kilometer tiefen Fall ohne Schutzschirm und unter Beschuss im Inneren des Rideryons zerschellt.

Cascal räusperte sich, schüttelte den Gedanken ab.

Er rief noch einmal die Ortungsergebnisse auf, aus denen eine virtuelle Karte von Amunrator zusammengestellt war. Es gab insgesamt sechzehn Stadtviertel. Je vier befanden sich auf derselben Höhe. Dann folgten die nächsten vier und so weiter. Die Ebenen dieser Stadt waren in Bauweise und Funktion unterschiedlich gestaltet. Alle sechzehn Stadtteile waren in einer quadratischen Höhle mit einer Kantenlänge von sieben Kilometern gebaut. Sie waren über ein Tunnelnetz miteinander verbunden.

»Also gut, wir fliegen jetzt durch diesen Tunnel. Dann werden wir sehen, was DORGONS Worte wert waren.«

*

Der Flug mit den drei Gleitern durch den Tunnel dauerte nur wenige Minuten. Vor ihnen wurde es heller, der Tunnel breiter, bis er schließlich in der leuchtenden Metropole Amunrator mündete.

Cascal zündete sich eine Zigarette an. In seinem Gleiter störte das niemanden, im Gegenteil: Kathy tat es ihm gleich. Tolk schwieg.

Innenillustration: Amunrator von Stefan Wepil
Amunrator © Stefan Wepil

Vor ihnen öffnete sich ein gigantischer Innenhof. Zuerst erblickt er rote, grüne und braune Häuser, die in den schwarzen Stein gebaut waren. Sie erstreckten sich über Dutzende Ebenen. Ihre Architektur erinnerte ihn an alte russische Gebäude: Es gab viele Türme und gewundene Straßen, welche in die nächsten Ebenen führten.

Zahlreiche Laternen spendeten ausreichend Licht. Dicht unter ihnen wuchsen farbenfrohe Büsche und Bäume.

An beiden Seiten führten Straßen durch das Gestein, vermutlich in einen anderen Stadtteil. Die Bezirke waren durch den Fels voneinander getrennt und mit Tunneln verbunden. Einige der Tunnel waren Straßen, andere Wege hatte man mit Rollbändern und Rolltreppen ausgestattet, die ins Dunkel führten.

Der Platz, auf dem sie parkten, war breit und leer. Dunkles Gestein dominierte diesen Ort. Es war eine Art Vorhof, denn am Ende befand sich eine rotweiße Mauer mit runden Türmen und kuppelförmigen Dächern. In der Mitte stand ein grün leuchtender Torbogen von etwa dreißig Metern Breite, der den Eingang zur eigentlichen Stadt darstellte.

Auf dem Vorplatz befanden sich Transmitter, die mit den anderen Vierteln verbunden waren. Durch so einen Transmitter waren einige von ihnen vor wenigen Wochen in ein Viertel mit einem großen, transparenten Baum, dem Sedendron, gebracht worden. Dort hatte Nistant sie empfangen und davon gesprochen, dass sich dort auch die Schalt- und Steuerzentrale für das Riff befand. Wahrscheinlich würde ihr Weg sie wieder dorthin führen.

Cascal vermochte nicht zu erkennen, was hinter der Mauer auf dieser Ebene war, doch die anderen Etagen hinter der Mauer erhoben sich mit ihren Bauten abgestuft in die Höhe und erinnerte ihn an Stufenpyramiden der alten Ägypter oder Maya. Das Viertel war treppenförmig gebaut.

Sie flogen langsam an den Transmittern vorbei bis zum offenen Torbogen. Es war niemand zu sehen. Er hielt den Gleiter an.

»Lasst uns zu Fuß weiter. Ich will nicht, dass sie durch unsere Gleiter verschreckt sind.«

Sandal Tolk stieg als Erster aus, dann folgte Kathy und schließlich Cascal selbst. Es war kühl in Amunrator. Die anderen beiden Gleiter parkten ebenfalls und die Passagiere stiegen aus. Gal’Arn ging zielstrebig zu Cascal.

Sie bewegten sich zusammen auf das Tor zu, als mit einem Mal grelles Licht sie erfasste. Es kam von den Türmen und blendete Cascal. Als er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, erkannte er Harekuul. Sie standen auf der ganzen Länge der Mauer und richteten ihre Strahler auf die Neuankömmlinge.

»Sie wirken nicht verschreckt«, murmelte Tolk.

Jemand kam auf sie zu. Joak kannte dieses Wesen, das wie eine wandelnde Leiche aussah. Das lange, pechschwarze Haar hing nass über seine Schultern, und das Gesicht glich dem eines Zombies.

Das war Nistant.

»Willkommen in Amunrator. DORGON berichtete mir, dass ihr Schutz ersucht. Und wir gewähren ihn euch.«

Nistant gab den Harekuul ein Zeichen, und sie senkten die Waffen. Cascal war erleichtert.

Nistant drehte sich um und winkte mit dem rechten Arm.

»Folgt mir.«

Sie traten durch den Torbogen.

»Wo ist Anya?«, fragte Nistant im Gehen.

»Sie ist wohlauf und wartet bei den Raumschiffen. Doch wir haben heute viele Freunde verloren.«

»Ihre Opfer werden nicht vergebens sein …«

Vor ihnen befand sich ein weitläufiger Park. Dort tummelten sich Tausende Soldaten der Harekuul, Manjor und Buuraler. Geschützstände waren errichtet, Lager aufgebaut und Panzer positioniert. Hinter dem Park befand sich ein Gebäude mit einer großen Glasfront. Es war in die erste Stufe eingebaut, die der zweiten Ebene als Unterbau diente.

»Willkommen in Amunrator. Dies ist in der Tat das Viertel der Begegnung. Fremde und Gäste werden willkommen geheißen. Dort«, Nistant zeigte auf das Gebäude mit der Fensterfront, »werden eigentlich Feste und Zeremonien gefeiert, Beratungen durchgeführt und Veranstaltungen abgehalten. Jetzt wird es eure Bleibe sein, bis das Rideryon Cartwheel erreicht hat.«

Cascal hatte viele Fragen, doch Gal’Arn kam ihm zuvor.

»Demnach kooperiert Ihr mit DORGON?«

»Eine Zwangsehe. Für mich auch ungewohnt«, antwortete Nistant.

»Und wieso habt Ihr uns mit der STERNENMEER nicht geholfen? Die IVANHOE hätte den Schutz dringend benötigt«, sagte Kathy Scolar vorwurfsvoll.

Nistant blieb stehen und wandte sich ihr zu.

»Die STERNENMEER ist schwer beschädigt. Es ist ein Kampf um das Rideryon entbrannt. Medvecâ reißt die Macht an sich. Er hat sich mit den Söhnen des Chaos verbündet. Ich habe nicht mehr die volle Kontrolle über das Rideryon …«

»Ihr kontrolliert dennoch dessen Kurs«, stellte Gal’Arn fest.

»Ja«, antwortete der Erbauer der Weltrauminsel. »Hier in Amunrator befindet sich im Sedendron das komplexe Steuersystem des ganzen Resif-Sidera. Das habe ich euch bereits vor einigen Wochen gezeigt. Ich bestimme den Kurs, den Flug und dessen Ende. Das ist es, was Medvecâ mir nehmen will.«

»Wieso wollt ihr unbedingt nach Cartwheel?«

Elyn hatte sich zu Wort gemeldet.

»Oh, fragt doch euren DORGON, dessen Inkarnation nun über mein Rideryon wandert. Meine Antwort lautet, dass es Bestimmung ist. Cartwheel, früher Chepri genannt, mit seinem Kosmonukleotid TRIICLE-3 ist von großer kosmischer Bedeutung. Das Rideryon muss dorthin.«

Nistant zeigte ein Anzeichen von einem Lächeln, was jedoch sehr gruselig aussah.

»Es ist nur die Frage, wer dann der Herrscher von Chepri sein wird. DORGON oder MODROR?

Kommt jetzt. Medvecâ wird einen Weg hierher finden und dann wird der Kampf beginnen. Wir müssen uns vorbereiten.«

Zwischenspiel – Nistant

Nistant wanderte durch die Tunnel unterhalb des Sedendrons. Diese durchliefen die Etagen der einzelnen Viertel und reichten bis tief in die Unterwelt des Rideryons. Irgendwo dort lag die zermalmte Leiche des Dorgonen Kruppus, über den sich vermutlich schon Asseln und Spinnen hermachten und sich an seinem Fleisch satt fraßen.

Er erinnerte sich an jene Äonen auf der Welt Thol, in denen er über und durch diesen Planeten gewandelt war in Einsamkeit und in Verzweiflung ob des schier endlosen Fluches der Hohen Mächte. Doch auch dieser hatte irgendwann ein Ende gefunden.

Wie oft hatte er wohl in den Jahrmillionen von Jahren Thol wandernd umrundet? Wie viele Wesen hatte er getroffen und zu Grabe getragen? Wie oft war er ins Vergessen getaucht, um nicht den Verstand zu verlieren?

Jahrtausende lang hatte Nistant in den Höhlen dahinvegetiert mehr Tier als Sargomoph, mehr Insekt denn denkendes, agierendes Intelligenzwesen. Es musste nach einer der vielen Apokalypsen auf Thol gewesen sein, als es den Tholanern wieder einmal gelungen war, all ihre Errungenschaften durch Hass und Habgier selbst zu zerstören und ihre Spezies an den Rand der Auslöschung zu bringen.

War es der nukleare Winter gewesen oder die alles verzehrende Pandemie, die Thol entvölkert hatte? Nistant war sich der Reihenfolge nicht mehr sicher. Jedenfalls hatte er sich in die Tunnel und Höhlen unter dem Berge zurückgezogen und dort Jahrtausende in Dunkelheit, Kälte und Einsamkeit existiert, nicht fähig zu leben und nicht in der Lage zu sterben.

Ihm war die Beschaffenheit der rauen, grauen Höhlenwände noch gut in Erinnerung, ebenso das stete Geräusch der Wassertropfen, aus denen Stalagmiten und Stalaktiten gewachsen waren.

Er erinnerte sich an die Kämpfe gegen die Troglophen, jene Fressmaschinen mit weißer Haut und mächtigen Klauen, die Nistant dazu gezwungen hatten, seinen Verstand zu benutzen, zu behalten, um nicht gefressen zu werden. Seine Tode waren immer so schmerzvoll gewesen.

Nach vielleicht zehntausend Jahren hatte sich die Bevölkerung von Thol erholt und war gewachsen, denn neue Zivilisationen waren entstanden. Eine Stadt war auf dem Berge gegründet worden und hatte den Namen Annysberg getragen. Die Bergarbeiter hatten nach Gold und Diamanten gegraben und dabei die Troglophen geweckt. Reihenweise waren sie den Bestien zum Opfer gefallen, ehe Nistant sie gefunden und ihnen gezeigt hatte, wie man die Troglophen besiegen konnte.

Das war nun so viele Millionen Jahre her.

Seitdem hatte sich viel verändert. Aus Thol war das Rideryon entstanden. Die Zeit seines Exils war längst abgelaufen, viele Äonen lang war Nistants Geist im Hyperraum verschollen gewesen, auf einer neuen schier endlosen Reise, ehe er zu seiner Bestimmung zurückkehren durfte.

Nun wanderten die Kosmotarchen durch das Rideryon und bereiteten sich auf ihr Duell vor. Der Krieg der Sternenbastarde DORGON und MODROR hatte begonnen und Nistant wusste, dass er alles andere als ein Statist in dieser Auseinandersetzung sein würde.

3. Vor der Schlacht von Som-Ussad

2. August 1308 NGZ, 4:31 Uhr

Die alliierte Flotte versammelte sich in einem unbewohnten Sektor nur 341 Lichtjahre von Som-Ussad entfernt.

Aurec rieb sich die Augen. Er trank seinen dritten schwarzen Bisca-Kaffee auf dem Weg zur Zentrale und war trotzdem noch nicht ganz wach. Admiral Rendera begrüßte ihn munter und voller Frische, als er die Kommandobrücke erreichte. Woher nahm der vollbärtige Saggittone nur seine Energie?

Vielleicht war es, weil ihm Kathy fehlte. Sie waren nun schon wieder voneinander getrennt und seit über einem Monat hatte er nichts von seiner geliebten Verlobten gehört. Es war ein bittersüßes Gefühl, denn er wusste, dass er zu ihr gehörte und in ihr seine Lebenspartnerin gefunden hatte. Das war wundervoll, doch der Trennungsschmerz und die Ungewissheit nagten an ihm.

Lebte sie überhaupt noch? Roi Danton hatte nach seiner Rückkehr vor knapp zwei Stunden berichtet, dass sie zusammen mit Cascal, Tolk, den Scorbits, Andrews, Gal’Arn, Elyn, Will Dean und dem Großteil der Crew der IVANHOE II nach Amunrator geflohen war.

Seine Sorge galt seinen Freunden auf der IVANHOE II. Die Verbindung zum Transmitter war abgebrochen. Kemetische Wissenschaftler hatten vergeblich versucht, die Gegenstation auf dem Raumschiff zu erreichen. Was bedeutete das? Waren sie tot? Einfach so tot? Aurec wusste es nicht, wollte nicht darüber nachdenken. Sein Herz war schwer ob der Ungewissheit. Er saß tatenlos in der Zentrale herum, dabei wäre er am liebsten sofort mit der SAGRITON zum Rideryon geflogen, um seinen Freunden zu helfen.

Wenn es stimmte, was die Wissenschaftler und Danton sagten, dann war die IVANHOE II verloren. Das bedeutete den Tod von Xavier Jeamour, Mathew Wallace, Irwan Dove, Lorif, Tania Walerty, Jenny Taylor und Zyrak Wygal. Aurec kannte diese Lebewesen seit fast zwei Dekaden. Die Erinnerungen an ihre gemeinsamen Abenteuer waren noch lebendig. Dass sie nun nicht mehr leben sollten, konnte und wollte er nicht akzeptieren.

All seine Freunde und Gefährten befanden sich in größter Gefahr auf dem Rideryon.

Neben all den anderen Sorgen plagten ihn zusätzlich die Ängste um seine Freunde und Kathy. Vermutlich war er deshalb einfach übermüdet. Er musste bereit sein für die nächsten schicksalsträchtigen Tage und fühlte sich jetzt schon schlapp.

Aurec räusperte sich, grüßte die Brückencrew der SAGRITON mit dem üblichen saggittonischen Gruß »Bomdiat«, den alle Anwesenden artig mit dem gleichen Morgengruß bestätigten. Aurec ging die drei Stufen zur Empore hoch, die mit einem grauen Teppich bedeckt war, und setzte sich in den schwarzroten Kommandosessel. Neben dem Sitzplatz befand sich eine taktische Konsole. Auf dem Display leuchteten blaue und rote Punkte als Hinweise auf Interkomnachrichten und Positionsmeldungen.

Die Empore war dem Befehlshaber und dem Ersten und Zweiten Offizier vorbehalten, die zur linken und rechten Seite an ihren Konsolen saßen. Vor ihnen waren Monitore und Hologrammprojektoren aufgebaut. Das große Panoramafenster war verdunkelt und fungierte ebenfalls als Monitor. Die Außenbordkameras stellten die Umgebung dar.

Aurec sah Tausende von Spindelraumschiffen der Raumstation NESJOR und erkannte viele terranische Kugelraumer sowie die Eiraumer der Entropen. Sie versammelten sich alle.

»Ich möchte einen Überblick, Rendera.«

Der stellvertretende Kommandant der SAGRITON war freiwillig in die Rolle des zweiten Mannes geschlüpft, als Aurec das Kommando übernommen hatte.

Im Hologramm wurde die Anzahl der Raumschiffe dargestellt. Den größten Teil stellten die Spindelschiffe um die Raumstation NESJOR dar, die unter dem Kommando von Eorthor, dem Alysker, stand. Die Schiffe waren aber mit vielen Saggittonen besetzt, jenen, die einst DORGON in sich aufgenommen und nun wieder freigegeben hatte. Verlorene Töchter und Söhne, die längst tot geglaubt waren und doch Asyl beim Kosmotarchen gefunden hatten, um der Vernichtung von Saggittor zu entgehen.

96.103 Spindelraumschiffe standen ihnen zur Verfügung.

Die zweitgrößte Flotte stellten die Entropen mit 88.400 eiförmigen, schwarzen Raumern. Ihre Flotte war durch die vielen Einsätze und durch den Benington-Raid bereits dezimiert.

Die Saggittonen selbst verfügten über 21.766 Scheiben- und Diskusraumschiffe, die unter dem Befehl von Aurec und Rendera standen.

Den vierten großen Verband stellte die Terranische 8. Flotte unter dem Kommando von Nepomuk Higgins auf der MONTGOMERY dar. Es waren noch 14.830 Schiffe der LFT vorhanden. Ein Großteil der Terranischen 8. Flotte war in der Lokalen Gruppe stationiert gewesen, als das Sternenportal dort vernichtet worden war. Ihr wurde die restliche Flotte der United Stars Organisation zugeordnet, die es noch auf 3723 Schiffe brachte. Insgesamt betrug die Stärke der Terranischen 8. Flotte der Liga Freier Terraner damit 18.553 Raumschiffe.

Die Föderation Estartischer Separatisten stellte nur noch exakt 15.000 Schiffe zur Verfügung. Es war das letzte Aufgebot der gebeutelten Estarten. Aurec war klar, dass dieser Verband ihnen nicht durch das Sternenportal nach Cartwheel folgen würde.

Die Kemeten hatten noch 3000 Pyramidenraumschiffe aufgebracht, die größtenteils noch von den Shak’Arit-Robotern bedient wurden. Die AMUN-RÉ war das Flaggschiff der Kemeten. Osiris persönlich kommandierte die Pyramide, die eine Kantenlänge von dreitausend Metern aufwies.

Insgesamt stand ihnen mit 240.122 Raumschiffen wahrlich keine kleine Flotte zur Verfügung – doch würde sie ausreichen, um eine ganze Galaxie zu befreien?

Demgegenüber hatte das Quarterium 250.000 Schlachtschiffe der SUPREMO-Klassen um das Sternenportal versammelt. Wie viele Schiffe sie selbst an der Heimatfront besaßen, wussten sie nicht. Es war praktisch unmöglich, Aufklärer durch das Sternenportal nach Cartwheel zu senden, da ihr Flug nicht unbemerkt bleiben und sie zur leichten Beute für das Quarterium machen würde.

Die Dorgonen verfügten über 109.576 Adlerraumschiffe in Siom Som. Fast genauso viele waren in den übrigen estartischen Galaxien verteilt. Würden die Dorgonen sich ihrem Bündnis anschließen, war der Vorteil auf ihrer Seite, doch wenn die Dorgonen zum Quarterium hielten, war die Schlacht verloren.

Aurec vermutete, dass die Dorgonen neutral blieben. Dux Superior Vesus und Legat Falcus wirkten nicht so, als wollten sie erneut kämpfen.

Sandal Tolk hatte berichtet, dass 175.000 Schlachtschiffe auf dem herkömmlichen Weg im Metagrav-Flug unterwegs waren. Es war eine Mischung aus der restlichen Terranischen 8. Flotte, den Posbis und den in der Lokalen Gruppe verbliebenen Spindelschiffen der Flotte NESJOR. Sie waren Anfang April gestartet. Bei einem Überlichtfaktor von etwa siebzig Millionen im Durchschnitt würden sie rund 200 Tage benötigen. Jene Raumschiff-Klassen mit einem Überlichtfaktor von 85 Millionen würden – nur geringe Flugpausen vorausgesetzt – in etwa 171 Tagen eintreffen.

Vier Monate waren seit dem Aufbruch vergangen. Das waren erst 120 Tage. Aurec machte sich keine Illusionen, dass die Flotte wie durch ein Wunder morgen auftauchen würde. Das war physikalisch nicht möglich.

Der Saggittone ließ sich von einer Ordonnanz mit Vollbart einen neuen, starken Bisca bringen. Er aktivierte eine Konferenzschaltung. Zuerst erschien das Hologramm von Henry »Flak« Portland, dessen knautschiges, aber strenges Gesicht zu einem Militaristen passte. Portland war ein loyaler Mitstreiter der LFT und Perry Rhodans. Er befehligte auf der DERINGHOUSE den zweitausend Schiffe starken Verband der 777. Raumeingreifdivision, kurz RED.

Dann blickte Aurec in das runde und würdevolle Gesicht von Admiral Nepomuk Higgins. Der Terraner mit dem Schnauzbart befand sich auf der MONTGOMERY und befehligte die gesamte Terranische 8. Flotte.

Als Nächstes schaltete sich Roi Danton dazu. Auch er wirkte angegriffen, die Spuren der Verluste standen ihm ins Gesicht geschrieben. Danton verzichtete auf seine Scharade als französischer Freibeuter, er wirkte ernst und hatte das Kommando über die restlichen 3723 Einheiten der United Stars Organisation übernommen.

Der Alysker Eorthor auf der Raumstation NESJOR schaltete sich als Nächster dazu, wie auch der Kemete Osiris. Es folgte der Somer Sam, und zuletzt erschien das alte Gesicht der Lilim Adelheid.

»Nach unseren Berechnungen wird morgen das Resif-Sidera die Region um Som-Ussad erreichen. Wir werden die Quarteriale Flotte so lange bekämpfen, bis das Rideryon durch das Sternenportal geflogen ist. Anschließend folgen wir dem Riff nach Cartwheel. Es stellt sich nun die Frage: Wann beginnen wir mit dem Angriff?«

»Je eher wir das Quarterium in Kampfhandlungen verwickeln, umso einfacher wird es für das Rideryon, durch das Portal zu fliegen«, stellte Eorthor fest.

»Dann sind wir uns einig«, sagte Adelheid.

»Sollten wir jedoch einen zu frühen Zeitpunkt wählen, dürften unsere Verluste hoch sein«, wandte Portland ein.

»Feigling«, zischte Adelheid.

Portland zog die Augenbraue hoch.

»Lady Adelheid, ich …«

»Lady? Das ist eine chauvinistische Verniedlichung des weiblichen Geschlechts. Worte, die erfunden wurden, die Weiblichkeit klein zu halten und zu demütigen. Ich verbitte mir derlei Misogynie.«

Aurec biss sich auf die Lippen. Als ob sie nichts Wichtigeres zu tun hätten, als über Eitelkeiten zu diskutieren.

»Wie auch immer wir Sie nennen sollen, Hexe! Es stehen wichtigere Entscheidungen an«, erklärte Eorthor nüchtern. »Meinen Berechnungen zufolge sollten wir mindestens 24 Stunden vor Ankunft des Rideryons eine Abnutzungsschlacht beginnen. Die Zeit drängt also.«

Es war jetzt 4:47 Uhr.

Das Rideryon würde irgendwann morgen eintreffen.

»Sind alle einsatzbereit?«, wollte Aurec wissen.

Jeder der Anwesenden der Holokonferenz bestätigte.

»Tja«, murmelte er. Es war unvermeidbar. Er dachte an die Millionen Soldatinnen und Soldaten, die fallen würden. Söhne, Töchter, Brüder und Schwestern, Mütter und Väter. Doch er dachte auch daran, wie viele Milliarden Leben sie retten würden.

»6:00 Uhr!«

»Aye, Sir«, bestätigte Higgins.

»Aye, Sir«, sagte auch Portland.

Eorthor, Sam, Osiris und Adelheid signalisierten ebenfalls ihre Zustimmung.

Aurec räusperte sich.

»Um 6 Uhr starten wir einen Angriff auf das Sternenportal von Som-Ussad. Der Begriff wir macht mich stolz, denn es ist ein Bündnis verschiedener Spezies, die grundverschieden sind. Ja, einige können sich gegenseitig nicht leiden und trotzdem halten wir gegen einen übermächtigen Feind zusammen. Diese Schlacht hat das Ziel, Leben zu retten, sie wird uns aber auch viele Leben kosten.

Wir greifen Som-Ussad an, um dem Rideryon mit seinen Billiarden Lebewesen den Durchflug nach Cartwheel zu ermöglichen.

Danach fliegen unsere Streitkräfte durch das Sternenportal. Saggittonen, Akonen: Wir befreien unsere Heimat in Cartwheel. Terraner und Galaktiker: Wir retten eure Brüder und Schwestern aus den Entsorgungslagern und befreien die versklavten Welten.

Die nächsten Tage und Woche werden uns viel abverlangen. Sie werden geprägt sein von Angst und Verzweiflung. Aber auch von Mut und Entschlossenheit.

Ich habe mir diesen Krieg nicht ausgesucht, doch das Quarterium hält an seinem Kurs der Tyrannei fest. Das Quarterium paktiert mit dem finsteren Kosmotarchen MODROR. Wir haben keine andere Wahl, da die Alternative wäre, sich zu verstecken, und damit kann ich nicht leben. Ich weiß, dass jeder mutige Raumfahrende genauso denkt. Sonst wärt ihr nicht hier.

Lasst uns heute das Beste geben. Unsere Taten werden das Schicksal von Generationen bestimmen.«

Er machte eine kleine Pause. Hatte er zu dick aufgetragen? Nein, denn es ging um so viel. Roi Danton lächelte leicht und nickte ihm zu. Das schien eine Bestätigung oder gar ein Kompliment zu sein.

Aurec blickte in jedes der Gesichter. Dann sagte er: »Wir sehen uns drüben in Cartwheel!«

Zwischenspiel – MODROR

MODROR spürte die Anwesenheit seines Bruders DORGON. Es war wie eine kleine Wand im Sturm, die Schutz vor dem Wind gab, wie ein Zaudern in der entschlossenen Jagd. Es war wie ein Bedauern nach den Taten in einem Rausch. Die Symptome waren nur leicht und doch waren sie nicht zu leugnen. DORGON befand sich auf dem Rideryon.

MODROR musste seinen Bruder finden und bezwingen. Die Söhne des Chaos sollten aufbrechen, um die Verbündeten von DORGON endgültig zu vernichten. Die Zeit der Entscheidung war angebrochen.

An den Füßen des Dualen Berges des Kosmos mussten Antworten auf die Ultimaten Fragen empfangen werden.

Das Rideryon musste dem Pfad durch das Sternenportal nach Chepri folgen, um seine kosmische Bestimmung zu erfüllen.

Die Tiefe des Chaos wartete nur darauf, sich zu entfalten, Sonnen und Planeten zu erschaffen und zu vernichten, ihre psionischen Tentakel in das Universum auszustrecken.

MODROR beobachtete für einen Moment das Treiben der Zievohnen und Larsaar in seiner Burg. Sie waren willige Werkzeuge bei der Durchführung seiner Pläne, Wegbereiter bei der Erschaffung eines neuen Universums, Befehlsempfänger der Porleyter, der Pangalaktischen Statistiker, der Kelosker, Raum-Zeit-Ingenieure und Ylors, die alle wiederum unter MODRORS Joch schufteten.

In der Burg von MODROR liefen die psionischen Fäden zusammen, lagen die Blaupausen für die Protowelten und die Rekonstruktion der DNA des Moralischen Kodes.

War seine Burg das Ziel von DORGON? Musste er die Verteidigung verdoppeln? Doch nein, herkömmliche Waffen und Soldaten waren in diesem Kampf nutzlos. Er allein musste sich DORGON stellen.

4. De la Siniestros Spiel

2. August 1308 NGZ, 6:00 Uhr

»Waren diese Schritte notwendig?«, fragte Emperador de la Siniestro, tief in den breiten Thron mit dem roten Stoff gelehnt, wie um seinen Rücken zu schonen. Seine alten Augen musterten skeptisch die illustre Runde, die vor ihm stand.

Da war ich selbst, der Silberne Ritter Cauthon Despair, dann der Corun von Paricza Leticron, die Söhne des Chaos Cau Thon und Goshkan und der Fürst der Ylors, Medvecâ.

»Trauert Ihr um eure gefallenen Gegner?«, fragte der Ylors schnippisch.

»Sie waren tapfere Männer und Frauen. Das muss man ihnen lassen«, stellte de la Siniestro fest. Richtig. Auch ich hatte großen Respekt vor der Crew der IVANHOE II gehabt, und ihr Tod betrübte mich.

»Es waren Verräter«, sagte Leticron. »Wir sollten nun in Amunrator den Rest der Bande vernichten!«

Der Pariczaner ballte die Hände zu Fäusten. Goshkan gab einen dumpfen Laut der Zustimmung von sich. Die beiden waren im Blutrausch.

Ich dachte flüchtig an meine Worte zu Virginia Mattaponi, bevor ich das Rideryon verlassen hatte. Sie und Orlando sollten die Stimmen der Vernunft sein. Doch offenbar waren sie einfach nicht gehört worden. Es war denn auch kein Wunder, dass weder sie noch Oberst Tantum als Kommandant der EL CID bei dieser Besprechung anwesend waren. Was hier diskutiert wurde, wäre für normale Quarteriale nicht erfassbar gewesen.

»Welchen taktischen Vorteil haben wir davon?«, warf ich ein. »Die Schlacht tobt außerhalb des Rideryons. Medvecâ, Cau Thon. Weiht uns endlich in eure Pläne ein.«

De la Siniestro nickte leicht. Offenbar wollte er genauso schnell das Rideryon verlassen wie ich.

Cau Thon richtete den Blick auf Medvecâ. Der Fürst der Ylors hatte sein pechschwarzes Haar zu einem Zopf gebunden. Das Gesicht des ehemaligen Alyskers war bleich, doch die dunklen Augen drückten Leben und Energie aus. Er wanderte im Konferenzraum des Monarchen umher, und seine Schritte ließen den mit Holz getäfelten Boden leise knirschen.

»Das Rideryon muss Cartwheel erreichen. In der Nähe des alten Chepri befindet sich das Kosmonukleotid TRIICLE-3. Das ist das Ziel des Rideryons.«

De la Siniestro ließ die Worte auf sich wirken. Er sah erleichtert aus, da TRIICLE-3 knapp fünfhunderttausend Lichtjahre von Cartwheel entfernt war. Das waren gute Nachrichten, denn es bedeutete, dass die Sterneninsel weiterziehen würde.

»Zudem muss das Rideryon von DORGON und seinen Handlangern gesäubert werden. Ein Teil von DORGON wurde zum Rideryon gebracht. DORGON wächst, wird stärker und infiziert die Bewohner mit seinem Virus.«

»Nun, eine Ausgangssperre und Kontaktverbot werden hier sicherlich nicht weiterhelfen«, sinnierte de la Siniestro und lachte heiser über seinen eigenen Witz.

Medvecâ schmunzelte, setzte sich auf einen Stuhl, legte die Beine auf den Tisch und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

»Nein, eher die Auslöschung der Infizierten, um die Verbreitung zu verhindern. Amunrator ist strategisch wichtig. Denn dort befindet sich das Kontrollzentrum des Rideryons. Von dort aus steuert Nistant buchstäblich das Resif-Sidera.«

»Was sind Nistants Ziele? Offenbar will er ebenfalls Cartwheel erreichen.«

»Dieselben Ziele aus unterschiedlicher Motivation«, erklärte Cau Thon.

»Doch Nistant ist nicht unser Verbündeter. Seine Absichten weichen von denen unseres Herrn und Gebieters, des Kosmotarchen MODROR ab.«

»Und wie lauten nun die Ziele MODRORS?«

De la Siniestro breitete die Arme aus. Er wollte Antworten und hatte es offenbar langsam satt, dass in Rätseln gesprochen wurde, Medvecâ ließ sich jedoch nicht aus der Reserve locken.

»Den großen kosmischen Plan kenne auch ich nicht. Das Rideryon muss Cartwheel erreichen, um dann nach TRIICLE-3 zu fliegen. Dafür braucht es ein starkes Quarterium, welches über seine Feinde obsiegt.«

Medvecâ sprang auf. Für einen kurzen Moment blitzte seine hässliche Ylorsfratze auf, die de la Siniestro sichtlich einen tiefen Schrecken einjagte. Augenblicke später blickte ich wieder in das asketisch fahle, alyskische Gesicht.

»Deshalb ist es notwendig, die Feinde zu vernichten. Euer Zaudern gefährdet diesen Plan!«

Der Herrscher des Quarteriums blieb ruhig, wollte sich vermutlich nicht von dem Ylors einschüchtern lassen. Ich entnahm den Worten, dass das Quarterium wichtig war. Auch de la Siniestro war das nicht entgangen. Ich kannte ihn. Wenn das Quarterium wichtig war, so war auch er selbst wichtig. Ein wertvoller Trumpf, den er sicherlich ausspielen wollte.

Der Emperador schenkte dem Ylors ein mildes, väterliches Lächeln. Das war ironisch: Zwar sah de la Siniestro aus wie Medvecâs Großvater, doch der Ylors war einige Millionen Jahre alt.

»Ich kann das Quarterium nicht mit Stärke und Klugheit führen, wenn ich auf dem Riff festsitze. Was immer Ihr mit den versprengten Rebellen in Amunrator vorhabt, ich muss Aurec, Eorthor, Osiris und den anderen Feinden in Cartwheel trotzen. Die EL CID muss das Rideryon verlassen. Jetzt!«

»Jenmuhs wird die Führung des Quarteriums nicht gelingen«, bestätigte ich.

Das war nicht einmal eine Lüge. Mit dem Gos’Shekur an der Spitze würde das Quarterium untergehen.

»Gewährt, Despair muss jedoch hierbleiben. Die EL CID soll all ihre Bodentruppen hierlassen«, beschloss Medvecâ.

»Gewährt«, lautete die zufriedene Antwort de la Siniestros.

»Die PARICZA könnte die EL CID ersetzen«, schlug Leticron vor.

»Das Resif-Sidera wird in etwa dreißig Stunden Som-Ussad erreichen. Dann wird es den Überlichtflug beenden. In dieser Zeit ist die Barriere deaktiviert, und die EL CID kann das Rideryon verlassen. Die PARICZA könnte wechseln«, bestätigte Medvecâ.

»Ich bringe Leticron mit der KARAN durch das Sternenportal bereits jetzt nach Som-Ussad. Er kann alle Vorkehrungen treffen«, entschied Cau Thon. Er nickte dem Corun zu, der zusammen mit Goshkan und Cau Thon den Saal verließ. Medvecâ machte eine leichte Verbeugung und folgte ihnen.

*

Nachdem die Söhne des Chaos den Konferenzraum verlassen hatten, blieb ich mit de la Siniestro und dessen Berater, dem silbernen Posbi Diabolo, allein zurück.

»Wie gedenkt Ihr, Aurec und die Flotte aufzuhalten?«, fragte der Posbi den Emperador.

»Wir werden sehen, ob das überhaupt notwendig ist. Wenn sich der Feind in Cartwheel fokussiert, können wir ihn dort zerquetschen.«

»Ein gewagtes Spiel im Angesicht unserer angeschlagenen Raumflotte.«

»Wir werden die Flotte nicht am Sternenportal stoppen können. Rufe unsere Gäste.«

Der Emperador ließ sich von einem Servoroboter ein Glas Rotwein bringen. Ich kannte die Sorte, er hatte mir oft genug davon erzählt. Die trockene Lese stammte aus eigenem Anbau auf Siniestro.

Diabolo führte einen alten Mann mit grauem Haar und vollem Bart herein. Ihm folgte eine überaus attraktive Blondine mit blauen Augen.

Ich war überrascht.

»Willkommen Señorita Pyla und Señor Jargon. Wir sind froh, Sie aus Ihrer misslichen Lage befreien zu dürfen. Nehmen Sie doch Platz.«

Vergnügt deutete de la Siniestro auf die ersten beiden Plätze an dem massiven Holztisch. Künstliche Möbel aus Formenergie lehnte der Spanier ab, da er den Duft der Möbel mochte und die Echtheit der Materie bevorzugte.

Pyla warf mir einen misstrauischen Blick zu. Ich hatte sie abgeschrieben, sie verachtete mich und verstand nicht, was ich tat.

»Ich bin Ihnen dankbar für die Rettung aus dem Wrack. Doch was geschieht jetzt mit uns?«, wollte der Chronist der Insel wissen.

De la Siniestro lehnte sich zurück und grinste.

»Nun, offiziell sind Sie ein Gefangener des Quarteriums. Ich schätze jedoch Ihre Kunst. Sie hätten damals auf den CIP-Agenten hören sollen. Hm, sein Name ist mir entfallen.«

»Kreupen, Roland Kreupen war sein Name«, erinnerte sich Jaaron Jargon.

De la Siniestro machte eine abwertende Handbewegung.

»Soweit ich weiß, ist seine Karriere bei der Cartwheel Intelligence Protective ruiniert. Armer Kerl, gute Ideen, schwache Umsetzung. Nun, kommen wir zum Punkt. Wir werden das Rideryon gewähren lassen. Es wird durch das Sternenportal nach Cartwheel reisen dürfen. Es besteht also kein Grund für einen Krieg. Ich finde, Sie sollten das in einer Reportage live über INSELNET berichten und Kanzler Aurec zum Frieden auffordern.«

»Verzeihen Sie mir, Emperador. Mein Wissensstand ist veraltet.«

Siniestro hob beschwichtigend die linke Hand.

»Ach Gott, Sie haben ja recht. Auch ich wurde erst kürzlich vom Corun informiert. Die Flotten des Quarteriums und der Rebellen sammeln sich bei Som-Ussad.« Er seufzte gedehnt. »Ich fürchte, der Krieg tobt in Scharmützeln bereits seit Wochen. Aurec und seine Verbündeten wollen unbedingt in Cartwheel einfallen.«

Jaaron räusperte sich.

»Und Ihr möchtet, dass ich als Diplomat mit Aurec rede?«

»Nein!«

Siniestro schien enttäuscht über die Naivität des Chronisten, und auch ich hatte ihn für intelligenter gehalten.

»Ich erwarte, dass Sie bedingungslos mit dem Quarterium zusammenarbeiten und die Sinnlosigkeit dieser vermeintlichen Invasion darstellen. Auf Ihr Wort wird Aurec vielleicht hören und wir können viele Leben retten.«

Jaaron lachte verlegen, räusperte sich erneut und atmete tief durch. Er warf einen Blick auf Pyla, die geradezu eingeschüchtert wirkte. Das war nicht die Bühne, auf der sich die Buuralerin wohl fühlte.

»Ich danke Ihnen, doch ich muss ablehnen. Ich bin kein Agitator. Dafür ist Ihre Tochter sicher besser geeignet. Ich danke Ihnen für die Rettung, doch …«

»Sie wagen es?«

Siniestro sprang auf und klatschte mit beiden Händen auf die Armlehnen, so dass es ihm weh tun müsste.

»Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, weiter Geschichte zu schreiben, und Sie lehnen ab?«

»Lügen und alternative Fakten. Keine Geschichte.«

De la Siniestro winkte ab.

»Ich bitte Sie, Geschichte wurde schon immer verfälscht. Von Zeitzeugen, von Siegern, von sogenannten modernen Historikern und von Fanatikern. Machen Sie das Beste daraus, andernfalls …«

Siniestro seufzte und setzte sich wieder auf seinen Thron. Das weiche Polster tat seinem Rücken sichtlich gut. Er aktivierte mit einem Klick eine leichte Massage.

Ich wusste, was jetzt kommen würde.

»Andernfalls werden wir Sie und Ihre bildschöne Assistentin wie Gefangene behandeln müssen.«

»Seid vernünftig und rettet euer Leben. Es existieren Welten in Cartwheel, auf denen ihr nicht in Gefangenschaft …«, mir lag zuerst das Wort leben auf der Zunge, doch ich wusste, sollten sie nach Objursha deportiert werden, war ihr Schicksal besiegelt, »… nicht in Gefangenschaft darben wollt.«

Nun meldete sich Pyla zu Wort. »Wir sind bereit zu erdulden, was Sie uns auferlegen. Nicht wahr?«

»Nun«, wandte Jaaron ein. »Machen Sie mit mir, was Ihnen vorschwebt, doch Pyla ist eine unschuldige Rideryonin. Lassen Sie Pyla frei. Sie soll ihren Weg auf dem Rideryon finden …«

»Jargon hat recht«, wandte ich ein.

Siniestro gab Diabolo ein Zeichen. Der Posbi verließ den Konferenzraum und kehrte wenig später mit einem anderen Gast zurück. Siniestro erhob sich.

»Ah, Kaiser Volcus.«

Ich war von der Ankunft dieses Blenders keineswegs begeistert. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir Volcus auf seinem glanzvollen Adlerraumschiff verbrennen lassen. Ich hatte nichts für diesen Mistkerl übrig, der jede Frau wie ein Stück williges Stück Fleisch anglotzte und sich selbst maßlos überschätzte. Volcus hatte Sinn für Geld und wie man an das Geld anderer Leute herankam, er wäre ein guter Versicherungsverkäufer geworden – aber als Kaiser eines Sternenreiches war er an seine Grenzen gestoßen.

Volcus warf einen Blick auf Pyla. Der Dorgone verneigte sich höflich, nahm gegenüber von Jaaron Jargon und Pyla Platz und ließ sich vom Servoroboter eine Flasche Wein bringen. Schlürfend leerte er das erste Glas und rülpste.

»Nun, Amtskollege. Wann werden wir das Rideryon verlassen?«

»Alsbald. Ich zähle auf Ihre Unterstützung. Etwa 100.000 Adlerraumschiffe befinden sich in Siom Som. Wir können sie zur Verteidigung Cartwheels gut gebrauchen.«

Volcus ließ sich sein Glas wieder auffüllen und leerte es in einem Zug. Nach einem Laut des Wohlgefallens nickte er lächelnd. »Natürlich«, sagte er. Ich misstraute ihm gewaltig. De la Siniestro ebenfalls, doch er brauchte die Dorgonen, weshalb er sie bei Laune halten musste, wenn es ihm auch widerstrebte.

Volcus schien seine Ablehnung des Beistandspaktes überdacht zu haben, seit wir ihn kurz vor der Vernichtung der VOLCUS GLANZ gerettet hatten. Er hatte sich über seinen Transmitter auf die EL CID abgestrahlt. Doch er würde seine Meinung schnell wieder ändern, sobald er sich in Sicherheit auf einem Adlerraumschiff befand. Ihm war nicht zu trauen.

De la Siniestro seufzte und blickte vorwurfsvoll auf Pyla und Jargon.

»Meine anderen beiden Gäste haben leider eine Kooperation abgelehnt. Jaaron Jargon wird mit anderweitigen Aufgaben betreut. Er wird die Redaktion der Objursha Tageszeitung führen. Pyla hingegen …«, Siniestro verzog die Mundwinkel, »… wird ihrem Kaiser zur Leibesertüchtigung zur Verfügung stehen.« Er machte eine abfällige Handbewegung. »Ich schenke sie Euch.«

Was? Das konnte doch nicht sein Ernst sein.

»Emperador, sie mag zwar auf der falschen Seite stehen, doch dieses Schicksal hat sie nicht verdient.«

»Despair, Eure Sentimentalität und Eure viel zu romantische Ader sind in diesem Fall unangebracht. Kaiser, Ihr werdet zu Eurem Wort stehen?«

Volcus grinste.

»Selbstverständlich. Dieses Geschenk motiviert mich noch mehr.«

Er fasste Pyla ungeniert an die linke Brust und knetete daran. Sie schloss resigniert die Augen.

»Ich bitte Sie, Emperador«, flehte Jargon.

»Überdenken Sie Ihre Entscheidung?«, fragte der Monarch bissig.

Jaaron Jargon zögerte. Er sah zu Pyla. Dann senkte er den Kopf.

»Ich … ich … kann … nicht. Es tut mir so leid.«

»Eure Sturheit besiegelt euer Schicksal«, sagte de la Siniestro nüchtern. »Und auch Ihr habt recht, Despair. Pyla verdient dieses Schicksal nicht. Sie wird Jargon nach Objursha begleiten.«

Das war auch nicht viel besser.

»Kaiser, Ihr habt Euch als überaus unnütz und inkompetent erwiesen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihr nicht noch unfähiger seid als Euer Vorgänger Elgalar. Ihr seid verlogen und ein mittelmäßiger Heuchler. Ich misstraue Euch zutiefst. Euer Wort und Eure Zusagen sind nichts wert. Ihr denkt mit Eurem Gemächt und seid von Gier, Narzissmus und Egoismus zerfressen.«

Volcus wirkte wie vor den Kopf gestoßen und erhob sich.

»Was erlaubst du alter Zausel dir? Ich bin der Protector Dorgonis. Ganz Dorgon liegt mir zu Füßen.«

Er schmunzelte.

»Jede dorgonische Frau könnte Ihr Gemächt in Wallung bringen. Die schönsten Frauen werde ich Euch schenken.«

De la Siniestro winkte ab.

»Ich werde mit Eurem Nachfolger weiterverhandeln.«

»Nach… Nachfolger? Aber … ich bin der Kaiser und werde nicht abdanken.«

»Nein, werdet Ihr nicht. Despair? Tun Sie, was getan werden muss.«

Ich verstand.

»Mit Vergnügen.«

Ich zog mein Caritschwert. Volcus blickte mich entsetzt an. Er wich zwei Schritte zurück, doch er war nahe genug. Ich rammte das goldene Schwert in seine Leiste. Er schrie auf. Langsam zog ich es hoch. Er röchelte, jammerte, weinte und schrie. Zitternd und zuckend sackte er zusammen.

Und so starb der dorgonische Kaiser zu Füßen des Emperadors des Quarteriums. Pyla schrie. Ich genoss es, seinen Todeskampf zu verfolgen. Volcus war ein widerlicher Scheißkerl gewesen, der den Tod verdient hatte.

»Ich werde Legat Falcus kondolieren und den Leichnam übergeben«, erklärte de la Siniestro mit gespieltem Bedauern.

Er setzte sich wieder auf seinen Thron. Der Emperador hatte seine Entschlossenheit zurückerlangt, was für Pyla und Jargon die Deportation nach Objursha bedeutete.

»Nun gut, Ihr dürft euch entfernen. Diabolo, hole meinen Sohn Orlando.«

Zwei Wachen eskortierten Pyla und Jaaron Jargon hinaus. Wenig später betrat Orlando den Besprechungsraum. Er wirkte adrett wie immer in seiner grauen Uniform. Siniestro war sichtlich stolz auf ihn. Ein breites Lächeln zog sich über sein Gesicht.

»Mein Sohn«, er stand auf und legte die Hände auf die Schultern Orlandos. »Wir werden bald nach Cartwheel zurückkehren.«

Orly blickte auf den Boden. Er sah die Leiche des dorgonischen Kaisers.

»Despair? Wieso?«, fragte er aufgebracht.

»Es war mein Wille«, sagte der Emperador. »Volcus war ehrlos. Dorgon braucht einen besseren Kaiser.«

»Ihn zu ermorden war auch nicht ehrenvoll. Die Dorgonen werden Rache nehmen«, wandte sein Sohn ein.

»Ich denke, niemand wird Volcus vermissen. Er hat sich in seiner kurzen Regentschaft nicht mit Ruhm bekleckert«, sagte ich voller Überzeugung.

Orlando seufzte. Ein untrügliches Zeichen, dass ihn etwas bedrückte. Es war nicht das Ableben des Kaisers der Dorgonen.

»Vater, mit den Bodentruppen der EL CID sind fast 10.000 Soldaten des Quarteriums auf dem Rideryon. Es sind unsere Soldaten, unsere Männer und Frauen. Ich möchte sie nicht im Stich lassen. Ich will sie anführen.«

»Hm«, machte der Emperador, stieg die drei Stufen vor seinem Thron herab und wanderte durch den Raum. Er blickte aus dem breiten Fenster. Unter ihnen lag die schier endlose Landschaft des Rideryons mit seinen idyllischen Wäldern, gigantischen Seen, Wiesen und Ackerland, den vereinzelten Siedlungen, den Bergen und den Tälern zu ihren Füßen.

Orlando war ein Hitzkopf, der in Begriffen wie Ehre und Herz dachte. So wie seine Schwester Brettany. Wir waren uns nicht unähnlich. Doch sein Vater tickte anders.

»Also gut, mein Sohn. Kommandiere du die Soldaten. Es fehlt ohnehin ein besonnener Anführer. Du wirst dich jedoch mit Despair und Leticron arrangieren müssen. Halte dich an den Silbernen Ritter. Er ist auf deiner Seite.«

»Ja«, bestätigte ich knapp.

Orlando nickte. Er umarmte seinen Vater zum Abschied. De la Siniestro blieb mit mir zurück. Über die Monitore beobachteten wir schweigend die Verschiffung der Bodentruppen. Kreuzer, Transporter und Shifts verließen die EL CID. Irgendwo in der Tiefe würden sie gegen ihre Brüder kämpfen.

Die Schlacht in Amunrator würde uns allen viel abverlangen, doch das Gleiche galt für ein Weltraumgefecht über Som-Ussad gegen die Allianz aus Saggittonen, LFT, Kemeten und USO. Die Vision von einer geeinten Menschheit lag noch diese eine Schlacht entfernt. Nach einem Sieg würden wir unseren Traum in Cartwheel vollenden können und wären Perry Rhodan ebenbürtig.

*

Ich verließ den Saal und wollte die BREEN startklar machen. Es dauerte nicht lange, bis Virginia Mattaponi mich in einem Korridor gefunden hatte.

»Cauthy, wie ist es dir ergangen?«, fragte sie mich.

Innenillustration: Virginia Mattaponi von Gaby Hylla
Virginia Mattaponi © Gaby Hylla

Ich blieb stehen und blickte auf sie herab. Sie war eine treue Seele und mir ergeben. Ich hatte mich an sie gewöhnt, ihre Gesellschaft tat mir gut, obwohl ich sie noch vor etwas mehr als einem Jahr heftig abgelehnt hatte. Sie sah mich aus ihren rehbraunen Augen treuherzig an und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr brünettes, welliges Haar sah mal wieder wild aus.

»Die EL CID wird das Rideryon verlassen, sobald es aus dem Hyperraum fällt, um durch das Sternenportal zu fliegen«, sagte ich.

»Dann kehren wir endlich nach Cartwheel zurück«, antwortete Virginia.

»Nein, ich bleibe hier und werde mit Leticron und Orlando unsere kämpfenden Soldaten mobilisieren, um gegen die Überlebenden der IVANHOE in Amunrator in die Schlacht zu ziehen.«

Ich ging durch den Korridor weiter in Richtung Hangar. Virginia folgte mir.

»Dann bleibe ich auch hier. Ich bin deine Ordonnanz.«

Ich hielt inne.

»Du wirst auf der EL CID bleiben und nach Cartwheel fliegen. Das ist ein Befehl.«

»Dann musst du mich in Energiefesseln legen. Irgendjemand doch muss auf dich aufpassen. Leticron kann das bestimmt nicht«, sagte sie trotzig.

Wir gingen weiter, stiegen in einen Antigravschacht und ließen uns mehrere hundert Meter in die Tiefe gleiten, bis wir das Deck mit den Hangars erreichten.

»Die BREEN ist bereits startbereit«, meinte Virginia und lächelte. »Ich persönlich habe dafür gesorgt und es ist Platz für zwei darin.«

Wieso eigentlich nicht? Ich konnte sie ohnehin in Cartwheel nicht beschützen und es war mir auch nicht möglich, vor ihr meine dunkle Seite zu verbergen. Sie akzeptiere sie sogar, denn immerhin war sie ja auch eine Offizierin des Quarteriums und hatte sich an so manchen Schrecken gewöhnt.

»Also gut, dann werden wir zusammen nach Amunrator fliegen.«

Sie lächelte und salutierte zum Spaß.

»Aye, Sir!«

Zwischenspiel – DORGON

DORGON wanderte durch die Wüste, sein stofflicher Körper war in der Lage zu fühlen. Er spürte den heißen Sand, schmeckte die staubige Luft, die seine Lippen spröde werden ließ und roch den vanillehaltigen Duft von Wüstenpflanzen. Diese Wüste auf dem Rideryon erinnerte DORGON an die Welt Sargomoph, auf der einst Nistant und Gisror gelebt hatten. Jener Planet, auf dem alles seinen Anfang genommen hatte.

Sargomoph war eine Welt gewesen, auf der nur die Habgier regiert hatte. Das Leben war dem Mammon jederzeit untergeordnet und jene destruktive Ökonomie hatte alles Leben ins Leid gestoßen. Sargomoph war zu einem Nährboden für die Apokalypse geworden.

Einst hatte der junge Sargomoph Gisror als Prediger von Nächstenliebe in der Wüste von Turisa gesprochen. Dort im verpönten Tal der Asozialen hatte Gisror von Hoffnung und Liebe gesprochen, an einem Ort, der den gesellschaftlichen und sozialen Tiefpunkt in der Gesellschaft von Sargomoph symbolisiert hatte. Der Geruch der Wüste Turisa, den Gisror vor Jahrmillionen wahrgenommen hatte, war eine Mischung aus Verwesung, Fäkalien, Schweiß und Verbranntem gewesen.

Turisa, das Tal der Asozialen, war eine große Mülldeponie gewesen, ein ganzer Kontinent, der im Müll versunken war. Es war der Müll der vermeintlichen Gewinner der Gesellschaft, jener, die Teil der Ökonomie waren, jene, deren Wirtschaftsrentabilität positiv war. Doch die anderen, die aus diesem Muster gefallen waren, jene, die man unproduktive Asoziale genannt hatte – die hatten im Müll auf Turisa leben müssen.

Vor Äonen von Jahren hatte sich das zugetragen, doch die Sünden und Verbrechen von einst hatten noch immer Auswirkungen auf das Leben von jetzt. Und deshalb wandelte DORGON wie früher Gisror durch eine Wüste und predigte Nächstenliebe und Hoffnung statt Hass und Dystopie.

5. Die Schlacht von Som-Ussad

6:03 Uhr

Die SAGRITON fiel aus dem Hyperraum und landete mitten in der Schlacht. Aurec sah auf den Monitoren zahllose Raumschiffe, die sich beschossen. Welch ein Wahnsinn, dachte der Saggittone.

Die Schlacht um Som-Ussad hatte begonnen.

Mehr als 500.000 Raumschiffe beteiligten sich an diesem Krieg. Vor Aurec bauten sich Dutzende Hologramme auf.

Innenillustration: Schlacht über Som-Ussad von John Buurman
Schlacht über Som-Ussad © John Buurman

Gefechte, die über die Außenbordkameras der Schiffe übertragen wurden, taktische Karten, welche die eigenen Verluste anzeigten, Statistiken, die zerstörte gegnerische Einheiten anzeigten und Routen für geplante Angriffe und Verstöße.

Es war unmöglich, all dem zu folgen. Er musste die wichtigsten Informationen selektieren. Dieses Gefecht war leise, da die Explosionen im Weltraum lautlos waren. Selten waren die Gravitationswellen so stark, dass man es auf der SAGRITON spürte. Einzig das Gebrüll aus dem Interkom ließ auf die Kämpfe schließen, hektische Befehle wurden gerufen und Koordinaten von Angreifern durchgegeben. Vereinzelte Schreie und Donnern, ehe die Verbindung abbrach – dann wusste man, ein weiteres Raumschiff war vernichtet worden.

Das Quarterium hatte sich in zwei Sektoren verteilt. Zum einen im Orbit von Som-Ussad und zum anderen dreihundert Millionen Kilometer vor den Energiestationen des Sternenportals. Aurec wollte die Streitkräfte vorerst nicht aufteilen. Er befahl den frontalen Angriff auf Som-Ussad.

240.000 Einheiten stießen in den Orbit vor. Für kosmische Maßstäbe wurde dicht an dicht gekämpft. Immer wieder explodierten verbündete Raumer, einer nach dem anderen. Das Aufblitzen des Transformgeschützes auf Som-Ussad signalisierte den nahenden Tod.

Um 6:30 Uhr waren bereits über 3000 Schiffe durch das Transformgeschütz vernichtet worden. Es feuerte dreimal in der Sekunde und meist reichte ein einziger Schuss, um die Schiffe zu zerstören. Sie mussten diesem Wahnsinn schnell ein Ende bereiten. Aurec verfolgte auf der holografischen Karte mit fast 500.000 grünen und roten Punkten, wie immer wieder welche erloschen. Zumindest glaubte er das zu sehen. Kein menschliches Wesen konnte wirklich den Überblick anhand der Vielzahl der Anzeigen behalten.

Die Hauptstadt Kijito schützte ein zehnfach gestaffelter, blau leuchtender Paratronschutzschirm. Die Einschläge auf der Oberfläche des Schirms wurden durch einen Kontinuum-Strukturriss in den Hyperraum abgeleitet. Große Schwarzschildreaktoren in Kijito lieferten die Energie für den Paratronschirm. Der einzige Weg, ihn zu knacken, war eine Überlastung.

Eorthor koordinierte den Punktbeschuss. Dabei erlitten sie hohe Verluste: Um 6:45 Uhr waren weitere 4000 Raumschiffe zerstört oder manövrierunfähig geschossen worden. Die Verluste des Gegners betrugen nur 3200 Schiffe seit Beginn der Schlacht. Immerhin waren die ersten fünf Energiestaffeln des Schirms bereits überlastet.

Aurec beobachtete den Beschuss auf den festgelegten Punkt. Auch die SAGRITON entlud ihre Energiesalven darauf. Es war, als würden dort tausend Vulkane speien und plötzlich im Nichts verwehen.

Dann wurde die SAGRITON durchgeschüttelt. Sie absolvierte automatisch eine Überlichtetappe von zweihundert Millionen Kilometern, um aus der Reichweite des Geschützes zu kommen. Die Stabilität des Schutzschirms lag bei 67 Prozent. Mehr als zwei weitere Treffer hätten sie nicht überstanden, jede Millisekunde hatte gezählt.

Das Schema des Transformgeschützes war berechenbar. Es suchte sich drei unterschiedliche Ziele aus und feuerte. Dann folgten die zweite und dritte Salve, sollten die Raumschiffe noch nicht zerstört sein. In diesem kurzen Intervall hatte man die Chance zu fliehen. Allerdings nur durch die schnelle Berechnung des Bordrechners: Ein menschliches Wesen hätte in dieser kurzen Zeitspanne nie reagieren können. Zwischen der Meldung des Beschusses und dem Befehl zur Flucht wäre das Raumschiff schon vernichtet worden.

Um 6:51 Uhr kehrte die SAGRITON zurück, nachdem die Schutzschirme wieder ihr volles Niveau erreicht hatten. Um 6:52 Uhr färbte sich eine nur zwanzig Meter breite Stelle im blauen Paratronschutzschirm über Kijito rot. Die achte Staffel war gefallen.

Um 6:55 Uhr brach die nächste Barriere zusammen. Die Intensität der quarterialen Angriffe erhöhte sich, so wie die des Bündnisses. Jeder wusste, dass nun eine entscheidende Phase begann. Um 6:57 Uhr war eine dreißig Meter große Strukturlücke durch alle Schichten des Schirms entstanden.

Die Schiffe der Alliierten stellten auf den Sekundenbruchteil koordiniert das Feuer ein, damit ein Geschwader aus Raumjägern und Space-Jets der 777. RED durch die Lücke stoßen konnte. Die ersten Jäger wurden durch das gegnerische Abwehrfeuer zerstört, doch andere schafften es hindurch. Aurec atmete tief durch und wünschte den Piloten viel Glück.

Zwischenspiel – Nistant

Das Rideryon war nicht mehr weit entfernt vom Planeten Som-Ussad. Nistant befand sich im Sedendron und kontrollierte die Funktionalität der Tholmonde, denn sie waren es, die über die Antriebe verfügten. Die 7999 Tholmonde hatten sich in einem Abstand von je zwanzigtausend Kilometern entlang der vierzig Millionen Kilometer langen Weltrauminsel zu jeder Himmelsrichtung verteilt und durch Traktorstrahlen mit dem Rideryon verbunden. So zogen sie die Weltrauminsel durch den Hyperraum, denn jeder Tholmond war ein fünfhundert Kilometer durchmessendes Raumschiff mit Überlichtantrieb.

Sobald die Tholmonde kurz vor dem Sternenportal ihren Hyperraumflug beendeten, war das Rideryon für einige Augenblicke relativ schutzlos, denn es existierten weder Schutzschirm noch Nebelbarriere. Diese mussten erst neu gestartet werden, da sie während des Hyperraumflugs deaktiviert waren. Für den Unterlichtflug mussten die Tholmonde die Systeme neu justieren und einen Schutzwall errichten, der im Linearraum nicht nötig war. Nistant fürchtete diese Minuten nicht, denn niemand war so töricht, sie anzugreifen, noch war es notwendig. Es schien vielmehr so, als würde das Quarterium den Flug durch das Sternenportal geschehen lassen.

Nistant wurde kalt. Er fühlte die Präsenz des Kosmotarchen MODROR, des großen Geistes des Rideryons. Jenen, der aus NACHJUL entstanden war, der doch einst so untrennbar mit dem Rideryon verbunden gewesen war.

Du kannst dich deinem Schicksal nicht entziehen. Du musst dich für eine Seite entscheiden, da die Stunde der Entscheidung am Dualen Berg des Kosmos naht. Ergib dich erneut jenem Hass, der dich so mächtig machte.

Nistant ignorierte MODRORS psionischen Ruf.

Es gab einen anderen, der ebenso gut die Antworten am Dualen Berg des Kosmos empfangen konnte. MODROR hatte ihn speziell zu diesem Zweck gezüchtet und konditioniert, und dieser Auserwählte befand sich auf dem Rideryon. Nistant wollte sich nicht mehr in den blinden Hass ergeben.

Unsere Gedanken sind eins, vergiss das nicht. Der Silberne Ritter ist schwach geworden, sein Hass glimmt nur noch. Hast du verdrängt, wie es sich anfühlte, erniedrigt zu werden? Welch trauriges Gefühl es ist, ungeliebt und der Außenseiter zu sein bis in alle Ewigkeiten?

Nein, das hatte Nistant nicht. Der Schmerz loderte in seinem Herzen. Doch den Hass hatte er MODROR überlassen, während sein Geist die lange Odyssee durch den Hyperraum bewältigen musste.

Diese Terranerin wird dich niemals lieben. Sie ist nur eine Hülle, die du liebst, doch ihre Seele ist nicht die von Ajinah.

Der Kosmotarch hatte recht, Anya war nicht Ajinah, doch sie war ihr perfektes Ebenbild und charakterlich auch gar nicht so weit von ihr entfernt.

Dieser Terranerin liebt biedere, schöne Männer. Sie ist im Geiste einfach und ordinär und keinesfalls jemand, der unsere Visionen teilt. Dein Traum wird bald zerplatzen.

Nistant setzte sich hin und starrte ins Leere. Es war wirklich nur ein Traum. Er würde allein bleiben. Anya wollte ihm nicht das geben, wonach sein Herz verlangte und er wollte sie nicht dazu zwingen. Doch wo war Ajinah? Ihre Seele war mit DORGON fest verbunden. Unerreichbar für ihn, denn der Teil von DORGON, der auf dem Rideryon sein Unwesen trieb, trug ihr Konzept nicht mit sich. Nistant hätte sie gespürt.

Die Tiefe des Chaos wartet auf dich. Das Universum wartet darauf, dass wir unser Schicksal erfüllen. Versperre dich nicht mehr davor, Nistant!

6. Gefecht über der Kleinen Claudya

Leutnant Ash Berger beobachtete über seinen Multivisionsfeldstecher die ankommenden feindlichen Jäger und Space-Jets. Er zählte drei Dutzend Jäger und zehn Space-Jets, die auf Kijito zusteuerten. Seine Mannschaft gehörte zur Infanterie, daher konnten sie wenig gegen die Fluggeräte des Feindes ausrichten, nur die Raumabwehrstationen der Kleinen Claudya bemannen.

»Berger an von Herker. Feindliche Fliegen im Anflug«, meldete er an den Obersten der Holsteiner.

»Dann holen wir mal die Fliegenklatsche. Mammut-Shifts bereit zum Angriff.«

Henner von Herker genoss das Gefecht. Die Mammut-Shifts schickten ihre Boden-Luft-Raketen in die Höhe, während die Raumgleiter der LFT vom Typ Moskito und Libelle versuchten auszuweichen. Zwei Jäger wurden getroffen und explodierten. Eine Space-Jet feuerte mit einem Multivariablen Hochenergiegeschütz zurück und erwischte zwei Shifts. Der eine Flugpanzer explodierte noch im Flug in tausend Stücke, der andere stürzte rauchend ab und schlug unweit der CIP-Residenz im Randbezirk der Stadt auf.

Berger blickte auf das Transformgeschütz, welches sie liebevoll die kleine oder die dicke Claudya genannt hatten.

Die Kanone thronte auf einem hundert Meter hohen Pyramidensockel, der oben sechshundert Meter Kantenlänge aufwies. Der linsenförmige Multiprojektorkopf besaß einen Durchmesser von vierhundert Metern und eine Höhe von hundert Metern. Das ganze monumentale Konstrukt war grau. Das blaue Wappen des Quarteriums leuchtete an allen Seiten als Emblem.

Die Energieversorgung und die Munitionszuführung der Geschützstellung erfolgten durch den vor Bombardements geschützten Sockel, unterhalb dessen Basis sich die Fusionsreaktoren für die Energieversorgung befanden.

Das Geschütz war knapp einen Kilometer von ihnen entfernt. Im Sekundentakt blitzte es an der Oberfläche der Linse auf, wenn Claudya ihre todbringenden Salven in den Weltraum abfeuerte.

Die Aufgabe der Holsteiner-Division in Kijito war es, die Hypertropzapfer, Gravitraf-Speicher und NUG-Schwarzschildreaktoren zu beschützen, die als Energielieferanten für den Schutzschirm um Kijito fungierten. Die von den Angreifern geschossene Strukturlücke blieb klein genug, dass keine großen Kreuzer und Schlachtschiffe hindurch passten, und es war eine Frage von Minuten, bis sie sich schließen würde – sofern die Energiereaktoren weiterhin ungestört arbeiten konnten.

Insgesamt waren 130 feindliche Jäger und 37 Space-Jets in ihren Raum eingedrungen.

Berger gab ein Zeichen, Ace Blacktree und Booz Shiningjokes eilten zu einem Flugabwehrturm. Berger und Roppert Nakkhole befanden sich bereits auf dem anderen, der knapp einhundert Meter entfernt war. Nakkhole aktivierte die Zielerfassung, dann sprachen die Rohre ihrer Flugabwehrgeschütze.

*

»Wingmen, wenn du dich nicht beeilst, bist du Matsch auf dem Paratron«, rief Oly »Psycho« Lytz seinem Kumpel Phil Haman in der anderen Moskito-Jet zu.

»Wenn ich noch schneller fliege, schiebe ich deine Gurke mit meiner Nase an.«

Lytz lachte schrill.

Die beiden Jäger passierten die Strukturlücke im Schutzschirm, gefolgt von den anderen beiden des Squadrons Maddin Spencer und Bucco Cornwally.

Sofort wurden sie unter Beschuss genommen. Die Erleichterung, durch die Schutzschirmstaffelung gekommen zu sein, wich rasch der Besorgnis, von den Flugabwehrgeschützen vernichtet zu werden.

Phil machte sich ein Bild von der Gegend. Die Kleine Claudya war auf 3 Uhr, während die Reaktoren für den Schutzschirm auf 9 Uhr lagen. Ein Angriff auf das Transformgeschütz würde effektiv sofort Raumschiffe und damit Leben retten, doch auch ein Zusammenbruch des Schutzschirms würde das Ende dieser Monsterkanone beschleunigen, wenn erst einmal die großen Schiffe eingreifen konnten.

»Achtung«, rief die Ferronin Bucco Cornwally.

Die Warnung galt Maddin Spencer, der prompt reagierte und seine Jet scharf nach links zog, dann tauchte der Jäger nach unten ab und drehte sich einmal um hundertachtzig Grad. Die feindliche Lenkrakete schoss vorbei. Cornwally feuerte, um sie zu zerstören.

Spencer lokalisierte die angreifenden Shifts des Quarteriums. Er beschleunigte und feuerte zweimal. Jeder Schuss war ein Treffer. Ein Shift explodierte sofort, der andere stürzte brennend zu Boden.

»Auf 9 Uhr sind zwei FLAK-Türme bei den Reaktoren. Wollen wir die aufs Korn nehmen?«, fragte Phil.

»Was für ein F… ich habe eine Fliege in meinem Cockpit. Hau ab, du Mistvieh«, meldete Spencer.

»Hast du wieder deinen Hosenstall aufgemacht?«, wollte Phil wissen.

Maddin Spencer kommentierte das mit Beleidigungen unter der Gürtellinie. Ein blauer Strahl markierte plötzlich Phils Jäger.

»Die haben dich«, rief Cornwally.

»Ich hab eine Idee«, meldete Spencer und flog in den Strahl. Die Zielerfassung hatte nun seinen Jäger. Er lachte. »Die haben ja einen behinderten Zielcomputer. So einfach auszutricksen. Jeder übernimmt abwechselnd den Strahl und er scheint neu berechnen zu müssen, bevor er feuert.«

Da tauchte ein lila Strahl auf und erfasste Cornwally.

»Das ist ungünstig«, meinte die Ferronin mit dem kurzen, lilagrünen Haar und der tiefen Stimme.

»Mach dir mal nicht in den Tanga.«

»Woher weißt du, dass ich einen Tanga trage?«

»Weil du es uns immer erzählst vor einem Einsatz«, lautete die synchrone Antwort von Lytz, Haman und Spencer.

»Also, ich, Wingmen, übernehme von Bucco. Lytz von Spencer. Dann Spencer von mir und Bucco von Spencer und so weiter.«

Die Jäger mussten ihre Flugbahn so koordinieren, dass sie nicht getroffen wurden, aber auch nicht die Strahlen zu früh übernahmen.

Es war ein Geschicklichkeitsspiel, das einen tödlichen Ausgang haben konnte. Die Strahlen waren Zielmarker für die automatischen Waffen, die offenbar knapp eine halbe Minute brauchten, um die Schwachstelle des Jägers ausfindig zu machen, bevor sie feuerten. Änderten die Verfolgten aber das eigentliche Ziel, indem ein Jäger die Markierung von einem anderen übernahm, so fing der Zielcomputer mit der automatischen Berechnung von vorn an. Timing war also alles und darauf hatten sich die vier jetzt eingestellt.

»Klingt nach einem guten Plan«, bestätigte Lytz.

Dann tauchte ein roter Strahl auf und erfasste Haman. Ein vierter, gelber Strahl dann den Jäger von Lytz.

»So eine Scheißpisse«, fluchte Maddin Spencer. »Wieso? Wieso tun die Ärsche nur sowas?«

»Hauen wir schnell ab«, riet Lytz und startete durch. Die anderen drei Maschinen folgten dem Jäger. Nachdem die Zielerfassung sie verloren hatte, wagten sie einen weiteren Versuch. Bei ihrer Rückkehr wurden sie von Abwehrraketen einiger der Mammut-Shifts empfangen.

*

Ash Berger verfolgte die Flugbahnen der vier Moskito-Jets mit LFT-Emblem. An der Heckflosse stand »777« – darunter in gleicher Breite »fff«. Er hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Vielleicht eine Zugehörigkeit zu einem Verband oder Geschwader. Es hatte jedenfalls Spaß gemacht, die Leuchten auf sie zu richten. Ob sie wohl wirklich dachten, dass es sich dabei um eine Zielerfassung handelte?

Für Henner von Herker und Henner Wosslyn war der Spaß jedenfalls vorbei. Sie wollten mit ihren Shifts die vier Jäger vom Himmel holen, nachdem zwei Shifts aus ihrer Einheit vernichtet worden waren.

Berger verstand das nicht. Sie saßen in Flugabwehrgeschütztürmen und hätten den Job übernehmen können, stattdessen wollten die beiden Henners unbedingt ihren zweifelhaften Ruhm.

»Konzentrieren wir uns auf die Space-Jets«, befahl Berger. »Die werden uns noch gefährlich genug werden.«

Nakkhole setzte sich an die Zielerfassung der Vierlingsflak. Die quadratische Erfassung leuchtete rot, ehe sie eine der Jets erfasste und grün wurde. Berger betätigte den Schalter und schon feuerte die Flak. Nakkhole zog sie leicht nach links, doch die Energiestrahlen gingen vorbei.

»Ziele vor den Bug«, schlug Berger vor.

Nakkhole tat, wie ihm befohlen. Berger feuerte, ohne auf die Bestätigung der Erfassung zu warten. Zwei Strahlen gingen vor der Space-Jet ins Leere, die dritte und vierte Salve trafen. Der Schutzschirm kollabierte nach dem ersten Treffer, der zweite Schuss zerfetzte das Cockpit der Space-Jet. Sie sackte wie ein Stein ab und zerschellte auf einem Acker.

»Geil«, jubelte Nakkhole.

Auch Berger freute sich. Die nächste war jetzt dran. Sie flog im Zickzack-Kurs und wurde von dem zweiten Abwehrturm unter Beschuss genommen, was die Crew offenbar ablenkte. Berger nutzte die Chance und feuerte. Alle vier Schüsse trafen ins Heck, und die Space-Jet explodierte in glühenden Funken.

»Ja«, rief Berger und ballte die Faust.

Wo war die nächste? Er war im Rausch. Jetzt wollte er sie alle vom Himmel holen.

»Die Moskitos gehören uns«, befahl Henner von Herker über Interkom. Berger blickte auf die Zielerfassung und erkannte die vier feindlichen Jäger, die abwechselnd auf den anderen Abwehrturm und die NUG-Schwarzschildgeneratoren feuerten und den Flugabwehrraketen geschickt auswichen.

»Ich pflüge eure Ärsche«, brüllte Henner Wosslyn aus dem Interkom, so laut, dass Berger zusammenzuckte. Henners Shift stieg auf und feuerte mit der Hauptkanone, doch die war viel zu langsam für die wendigen Jäger, die ihren Kurs änderten, an dem Shift vorbeizogen und sich hinter dem Heck positionierten.

»Mensch, zieh die Flak rüber«, rief Berger.

Nakkhole reagierte sofort. Ash feuerte auf gut Glück auf die Verfolger seines Obersten, doch kein Treffer saß. Stattdessen feuerten zwei Jets auf den Shift, der zur Seite auswich und trotzdem getroffen wurde, sodass die linke Seite brannte. Er trudelte, hielt auf ihren Turm zu, sackte dann ab und knallte gegen die Fassade.

Berger eilte hinunter und rannte aus dem Turm. Er hörte Schreie aus dem brennenden Wrack. Henner von Herker warf sich aus dem Schott, mit Brandwunden im Gesicht und am rechten Arm. Lautes Heulen ging Berger durch Mark und Bein.

»Die scheiß STOG-Säure-Behälter sind geplatzt«, stieß Herker hervor. »Scheiß STOG-Säure. Mann, Alter. Wir hatten die doch.«

Das Heulen wurde lauter und es schob sich eine Gestalt aus dem Wrack, die wenig noch mit einem Terraner gemein hatte. Die Haut hing schlaff am Körper. Wosslyn sah aus wie ein geschmolzenes, deformiertes Knetmännchen.

Die Schmerzen mussten schrecklich sein. Wosslyn hob die Hände und seine Haut hing schlaf von den Fingern. Er packte Henner von Herker, doch der stieß ihn weg und verzog das Gesicht.

»Hau ab, geh weg!«

Er schrie auch, schien sich zu ekeln.

»Hilfe«, röchelte Wosslyn.

Ash konnte ihn gar nicht ansehen. Die Augen schienen aus den verformten, eingefallenen Augenhöhlen herauszukullern. Das schrille Winseln machte Ash wahnsinnig. Nakkhole kam nun auch aus dem Turm. Er schrie auf und lief gleich wieder hinein.

»Ich ruf einen Medoroboter«, sagte Berger schließlich.

»Ich scheiß auf den Mediker. Der ist hin.«

Henner von Herker zog seinen Strahler, richtete ihn auf Wosslyn und drückte ab. Wosslyns Kopf zerplatzte wie eine reife Frucht, und der kopflose Torso sackte zu Boden.

Nun richtete er den Strahler auf Berger und fuchtelte damit herum.

»Wenn es mir so ergeht, will ich, dass du mich erschießt, Kamerad!«

Berger starrte Herker ungläubig an.

»Ja, Kamerad?«

Ash Berger fühlte sich wie in einem üblen Traum, dann riss ihn ein gewaltiger Donner aus seiner Lethargie.

*

»Bam! In your face!«, jubelte Maddin Spencer, als er den Shift getroffen hatte. Der feindliche Flugpanzer trudelte und landete unsanft an der Außenwand des Flugabwehrturms. Das Squad hatte keine Zeit, sich auszuruhen, ein Abwehrturm feuerte auf sie. Alle vier Jäger konzentrierten ihr Feuer auf das Fundament des Turms, dann plötzlich stoppte das gegnerische Feuer. Es verging fast eine Minute, ehe Phil Haman zwei Soldaten erkannte, die den Turm eiligst verließen. Sie rannten weg, während das Gebäude rauchte, es folgte eine große, laute Explosion am Sockel und der Turm krachte in sich zusammen, verschwand in einer Wolke aus Feuer, Rauch und Staub.

»Seht mal auf 4 Uhr«, meldete Cornwally.

Ein H-förmiges Raumschiff mit einem Kugelraumer im Zentrum und zwei hochkant gestellten Flügeln raste auf sie zu. Es musste einen halben Kilometer lang sein und flog dreihundert Meter über dem Boden, wobei der Schutzschirm der Stadt noch aktiviert war. Dann öffnete sich eine Strukturlücke, das Raumschiff raste hindurch und eröffnete sofort das Feuer. Es traf vier verbündete Jäger.

Die Strukturlücke war offen. Aus der Ferne erkannte Phil Haman Hunderte quarteriale Raumjäger, die aus Richtung des gelandeten SUPREMO-Raumers PARICZA auf sie zu strömten.

»Das wird übel«, stellte Lytz fest.

»Wir haben nur eine Chance. Alles bis auf die NUG-Schwarzschildgeneratoren abschießen.«

»Ich sende einen Funkspruch an die Flotte«, meinte Spencer. »Die Strukturlücke ist noch offen.«

Eine Moskito-Jet und Space-Jet nach der anderen wurde vernichtet. Die Jäger sausten inzwischen durch die Strukturlücke. Doch dann explodierten sie plötzlich. Die alliierte Flotte feuerte durch die Lücke, nachdem die eigenen Jäger hindurch waren. Die Lücke selbst wurde allerdings bereits Stück für Stück kleiner. Doch Transformsalven detonierten bei den Reaktoren. Aufrisstrichter und Energiewirbelstürme mischten sich mit Explosionen.

»Besser weg hier«, rief Haman.

Die vier Jäger drehten in Richtung Hinterland ab. Haman sah noch, dass auch die quarterialen Bodentruppen mit Shifts und Gleitern das Weite suchten. Die Strukturlücke war inzwischen geschlossen, doch der Schaden auf Seiten der Gegner war angerichtet.

Es explodierte der erste Reaktor und löste eine Kettenreaktion aus. Zuerst zuckte ein greller Blitz auf, dann wurde das gesamte Areal in einen gelbweißen Feuerball gehüllt. Der Feuerball wuchs rasch und verschlang immer mehr. Der Schutzschirm über Kijito wurde dunkelrot und erlosch schließlich.

Haman atmete auf, denn sie hatten verdammtes Glück gehabt. Nun griffen die großen Schiffe in die Schlacht ein.

*

Die SAGRITON wurde von zwei SUPREMO-Raumern vom Typ D angegriffen. Transformsalven von mehreren zehntausend Tonnen TNT entluden sich auf ihrem Schutzschirm. Ein SUPREMO vom Typ D hatte einen Durchmesser von achthundert Metern. Fünfhundert Jäger, drei 50-Meter-Kreuzer und fünfundzwanzig Space-Jets verstärkten die Attacke eines SUPREMO D-Raumers. Er feuerte aus fünfzig Transformkanonen und fünfundsiebzig MVH-Geschützen. Die SAGRITON war in der Lage, beide SUPREMOS abzuwehren. Doch die Saggittonen unterschätzten die quarterialen Angreifer nicht.

Zwei Teams konzentrierten sich auf das Offensivfeuer. Rendera koordinierte die Angriffe und die Ausweichmanöver. Die SAGRITON entzog sich mit gezielten Manövern einer Einkesselung und materialisierte mit einem kleinen Transitionssprung direkt hinter dem ersten SUPREMO-Raumer.

»Feuer«, rief Rendera.

Die SAGRITON feuerte aus allen verfügbaren Geschützen. Der Paratronschirm des Kugelraumers brach unter der Belastung zusammen. Eine Salve traf die Erweiterung des Ringwulstes und zerschmolz ihn. Weitere Einschläge zerfetzten Teile der Außenhülle, auf der Oberfläche brachen kleinere Teile des Metalls auseinander und Feuerfontänen schossen aus dem Inneren heraus, dann explodierte der SUPREMO und stürzte ab.

Die SAGRITON zog an dem Wrack vorbei und visierte den zweiten SUPREMO an, der jedoch beschleunigte.

»Verfolgung abbrechen«, rief Aurec.

Er hatte während des Gefechts auch die taktische Karte beobachtet. Auf Som-Ussad wurde an einer ungewöhnlichen Stelle ein Strukturriss im Paratron-Schutzschirm lokalisiert. Sein Puls erhöhte sich, als er die KARAN erkannte. Das Raumschiff der Söhne des Chaos Cau Thon und Goshkan schnellte durch die Strukturlücke in Richtung Kijito. Die dortigen alliierten Jäger und Space-Jets konnten nichts gegen die KARAN ausrichten. Jäger über Jäger von der PARICZA folgten.

»In Schussreichweite gehen und durch die Lücke auf die Jäger feuern. Die brauchen unsere Hilfe«, kommandierte Aurec.

»Wir haben einen Funkspruch von dem terranischen Piloten Maddin Spencer aufgefangen, der über die Lücke im Schirm berichtet. Die kämpfen an den NUG-Schwarzschildgeneratoren«, meldete die saggittonische Funkerin.

Aurec aktivierte die Konferenzschaltung zu den Kommandanten. Er wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb.

»Wer in Reichweite ist, durch die Lücke auf die Reaktoren feuern.«

Etwa drei Dutzend Schiffe der Alliierten waren eben in jener Reichweite und feuerten mit Transformgeschützen auf die Reaktoren. Die Lücke im Schirm schloss sich, doch Aurec beobachtete den erhöhten Energieanstieg auf den Anzeigen. Dann schaltete er auf die Außenbordkameras der nahegelegenen Schiffe, welche den ersten explodierenden Reaktor zeigten. Ein Feuerpilz hüllte die Anlage ein, der Schirm verfärbte sich dunkelrot und brach schließlich zusammen.

»Das Transformgeschütz erfassen«, rief Aurec. »Jetzt zahlen wir es ihnen zurück. Feuer.«

Die SAGRITON feuerte auf das planetare Geschütz, aber Aurecs Schiff war bei Weitem nicht das einzige. Eine Feuerwelle aus den Projektoren und Rohren von abertausenden Energiegeschützen ging über der sogenannten Kleinen Claudya nieder. Die vierhundert Meter breite Multiprojektionslinse explodierte, dann das ganze Konstrukt. Es sackte brennend in sich zusammen. Feuer, Staub und Asche stiegen in den Himmel empor.

Aurec atmete tief durch. Die Waffe des Quarteriums war vernichtet und das binnen – er sah auf das Chronometer. Es zeigte 7:21 Uhr an. Innerhalb von etwas mehr als einer Stunde hatte das Geschütz über sechstausend Schiffe vernichtet oder schwer beschädigt. Es war Zeit gewesen, dass dieses Monstrum für immer zum Schweigen gebracht wurde.

Zwischenspiel – MODROR

MODROR labte sich an dem Tod eines kleinen Kindes in Ajinahstadt. Es war von einem Gleiter erfasst worden, alle Knochen waren gebrochen, der Körper zermalmt und jede Hilfe kam zu spät. Das buuralische Kind lag an einem Straßenrand, hatte Angst und war allein. Es verstand nicht, was passierte. Der Pilot des Gleiters hatte aus Furcht vor den Konsequenzen längst das Weite gesucht. Nun lag das Kind voller Schmerzen und Angst da in dem nassen, kalten Graben.

Die Seele des Buuralers würde den Weg zu MODROR gehen und jenen Moment dieser Todesangst wieder und wieder durchleben. Eine Absolution würde erst in der Reformation des neuen Universums erteilt werden. Bis dahin musste es Qualen leiden.

Aus der Ferne fühlte MODROR neue, gepeinigte Seelen durch den Linearraum streifen. Es waren gefallene Soldaten der Schlacht von Som-Ussad. Sie waren in der Raumschlacht im Orbit gestorben und verbrannt, durch Explosionen zerfetzt oder erstickt. Ihre Tode waren leider zumeist schnell gewesen und nicht vergleichbar mit dem Todeskampf des Kindes.

Das Rideryon würde bald Som-Ussad erreichen. Doch bis dahin konzentrierte sich MODROR auf das Treiben direkt in seiner Nähe.

DORGON zog durch die Wüste. Dieser Narr versuchte, mit Liebe und Hoffnung die Rideryonen für sich zu gewinnen. Welche Liebe und Hoffnung hatte das Kind am Straßenrand erfahren? Wo war DORGON, um es zu retten?

Nistant kauerte grübelnd im Sedendron und weigerte sich, sein Schicksal anzunehmen.

Cauthon Despair war längst durch seine Zweifel vom Weg abgekommen. Der Sohn des Chaos ähnelte Nistant mehr, als MODROR jemals erhofft hatte, doch beide zeigten sich nun in der Stunde der Entscheidung zu zögerlich. Wut, Zorn und Hass glommen nur noch in ihnen. Beide waren nicht bereit für die Fragen am Dualen Berg des Kosmos.

Doch der Tag der Entscheidung rückte näher, sie mussten bereit für ihre Aufgabe sein. Und sie würden es sein, ja, sie würden es sein.

Das buuralische Mädchen war inzwischen an seinem eigenen Blut erstickt. MODROR genoss den Moment, als ihre rastlose, verängstigte Seele in sein Arsenal der verlorenen Geister wechselte.

Furcht und Hass wird regieren, um das Universum in die Tiefe des Chaos zu stürzen. Möge die alte Welt brennen und zerfallen, möge das Leid ins Unermessliche steigen, auf dass Tod und Qual das Chaos erfüllen.

7. Objursha

2. August 1308 NGZ, 6:30 Uhr

Rosan Orbanashol fror. Ihre Bettdecke war dünn und roch dazu noch muffig. Dabei erging es ihr besser als vermutlich allen anderen Insassen, denn sie war mit Robert und Janela Mohlburry in einer kleinen 3-Zimmer-Wohnung einquartiert worden.

Zwar wurde nicht geheizt, obwohl die Temperatur draußen im einstelligen Bereich lag, doch sie hatten ein Dach über dem Kopf und lebten noch. Sie musste an all die Häftlinge in ihren engen Baracken denken, die wie Schlachtvieh zusammengedrängt waren. Nicht einmal Nutztiere wurden so behandelt, zumindest nicht auf zivilisierten Welten. Sie atmete tief durch und es fröstelte sie. Draußen hörte sie Lärm und Kinderlachen. Sie stieg aus dem knarrenden Bett und öffnete das Fenster. Auf dem Hof spielten sechs Kinder Fußball. Es waren Blues, Gurrads und Topsider, und sie besaßen wohl keinen echten Ball, denn der runde Gegenstand war von einem dreckigen, braunweißen Tuch umwickelt. Es war schön, die Kinder so frohen Mutes zu sehen, doch bereits im nächsten Moment wurde Rosan traurig, denn sie wusste, dass die Kinder nicht überleben würden.

Heute war der 2. August 1308 NGZ, das bedeutete: Morgen sollte das Rideryon bei Som-Ussad auftauchen. Es würde wohl eine Entscheidungsschlacht geben. Sie hoffte darauf, dass Aurec und die anderen einen Angriff auf Cartwheel wagen würden, denn nur dann hatten die Häftlinge hier eine Chance zu überleben, wenngleich sie auch sehr gering war. Niemand wusste, ob so eine Invasion von Erfolg gekrönt sein und wie lange es dauern würde, ehe die ersten Befreier Objursha erreichten.

Ein Gurradkind wurde von einem Topsider gefoult. Wütend fauchte das löwenähnliche Wesen, nahm den Ball und warf ihn auf den Boden. Dabei löste sich das Tuch und Rosan erkannte, was das eigentliche Spielgerät war.

Es war ein Kopf.

Der Kopf eines Terraners.

Sie erschrak, fasste sich aber schnell wieder. Das Gesicht mit den aufgerissenen Augen und Mund war ihr zugewandt und die toten Augen starrten sie an.

Das war Bekket Glyn.

Sie empfand kein Mitleid mit ihm. Er hatte bekommen, was er verdient hatte. Die Insassen der Baracken hatten kurzen Prozess mit ihm gemacht.

Die Kinder liefen weg, als ein grauer Gleiter in den Innenhof schwebte. Major Fitschka stieg aus, blickte zu Rosan hoch und nahm die Mütze vom Kopf. Er hatte kaum noch Haare. Freundlich lächelte er und schlug die Hacken zusammen.

»Emperatriz, ich hoffe, Ihr habt wohl geruht.«

»Den Umständen entsprechend, Major«, sagte sie.

»Der Herr Lagerkommandant wünscht mit Ihnen und den Mohlburrys zu frühstücken. Sagen wir um 7:30 Uhr?«

Sie zwang sich zu lächeln.

»Vielen Dank für die herzliche Einladung. Wir werden bereit sein.«

*

Das Haus der da Gohds war bieder. Es hatte einen Vorgarten mit vielen Blumen, die jedoch entsprechend des herbstlichen Wetters nicht mehr in voller Pracht blühten. Die Einrichtung war schick, wirkte aber nicht persönlich oder lebendig und warm. Das war wohl auch nicht zu erwarten. Terza da Gohd sah älter aus als ihr Mann. Sie war untersetzt, trug ihr Haar in einer kinnlangen Dauerwelle und war in ein gelbweißes, knielanges Kleid mit Blümchenmuster gekleidet. Sie fächelte sich mit der Handfläche Luft zu, als sie Rosan erblickte.

»Welche Ehre, dass die Emperatriz persönlich hier ist. Gegenüber dem Palast auf Siniestro muss ihnen ja unsere Unterkunft wie eine Baracke vorkommen.«

»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen«, erwiderte Rosan.

Der Tisch war reichlich gedeckt. Es duftete nach frischem Kaffee und Brötchen. Rosan knurrte auch schon der Magen. Jetzt ein schönes Weizenbrötchen mit Leberwurst oder lieber mit Honig, vielleicht auch einfach beides? Robert Mohlburry setzte sich hin. Er war höflich, aber unwirsch.

Zwei Jülziish standen bereit, sie zu versorgen. Rosan und den Mohlburrys war das unangenehm, doch sie mussten mitmachen und auf Zeit spielen.

»Ein englisches Frühstück«, bat Mohlburry.

Die Jülziish wirkte verunsichert.

»Bitte, Herr, vergebt mir. Doch ich weiß nicht, was englisch ist.«

Terza da Gohd lachte schrill auf.

»Diese dummen Tellerköpfe, nicht wahr? Wie kannst du nur so bescheuert sein? Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Das Personal hier ist nicht besonders gut. Herr Mohlburry, wären Sie so freundlich?«

Mohlburry räusperte sich.

»Selbstverständlich. Es muss Ihnen nicht peinlich sein, liebe Jülziish.«

Terza da Gohd hustete. Sie starrte Mohlburry irritiert an.

»Zunächst einmal servieren Sie mir bitte einen Fruchtsaft. Danach als zweiten Gang Porridge und Rosinen. Es gehen natürlich auch Haferflocken als Alternative. Im dritten Gang, das ist der wichtigste von allen, servieren Sie bitte eine Scheibe Toast, einen gebratenen Champignon, eine große gegrillte Tomate, ein Spiegelei, drei kleine gebratene Würstchen und etwas gebratenen Frühstücksspeck. Zum Schluss bitte ich um einen großen Becher Kaffee und eine halbe Kanne schwarzen Tee.«

Die Blue verbeugte sich und eilte hastig in die Küche.

»Sie sind so ein Gentleman, dass Sie sogar mit denen reden, als wären es Menschen«, sagte Terza und schlürfte ihren Kaffee.

»Nun, es sind keine Menschen«, stellte Mohlburry diplomatisch fest.

Ein Krach ließ Rosan aufhorchen. Selvon da Gohd eilte die Holztreppe herunter. Er trampelte sicherlich absichtlich so laut, um auf sich aufmerksam zu machen. Da Gohd trug seine grauschwarze Uniform und grüßte die Anwesenden mit einem »Guten Morgen«. Er drückte Terza einen Kuss auf die Wange, dann setzte er sich an das Kopfende des Tisches.

Rosan schmierte sich derweil ein Brötchen mit Leberwurst, während die zweite Jülziish ihr Kaffee in einen mit Blümchenmuster verzierten Becher einschenkte.

»Danke«, sagte Rosan und schenkte der Blue ein Lächeln.

Terza wechselte verwunderte Blicke mit ihrem Mann. Rosan entging das nicht. Was mochte die Ehefrau eines Massenmörders wohl jetzt denken? Sie wusste offenbar nicht, dass Rosan eine Verräterin und Gefangene war. Man merkte ihr deutlich an, dass sie verunsichert war und nicht wusste, wie sie reagieren sollte, um ihren Mann nicht in Verlegenheit zu bringen. Dieser trank seinen Kaffee und blickte auf seinen Reader. Nach einer Weile legte er das Gerät auf den Tisch und sah die Anwesenden an.

»Die Kämpfe um die Region Som-Ussad halten weiter an«, sagte er. »Sie verlaufen sehr verlustreich.«

Für wen, das verriet da Gohd jedoch nicht. Er schien es zu genießen, dass er ihnen überlegen war.

»Nun, morgen soll das Rideryon ankommen. Das könnte auch die Rückkehr meines Ehemannes bedeuten.«

Terza nickte gewichtig mit dem Kopf.

»Ja, beten wir zu Gott, dass er wohlauf ist und bald wieder auf Paxus verweilt. Sie freuen sich bestimmt auch darauf, Hoheit?«

Selvon da Gohd winkte ab.

»Du musst sie nicht Hoheit nennen. Ihr Status als Emperatriz des Quarteriums ist doch durchaus fragwürdig. Frau Orbanashol-Nordment de la Siniestro ist in Schutzhaft auf Objursha. Der Emperador wird nach seiner Rückkehr über sie richten.«

Terza da Gohd wirkte aufrichtig entsetzt.

»Ach, so ist das! Nun denn, wenn mein Mann sagt, ich soll Frühstück für Sie zubereiten, dann tue ich das. Ich unterstütze ihn, wo es nur geht. Er ist ein tapferer Soldat, der immer seine Pflicht tut.«

Sie legte sich ein Stück Schwarzbrot auf den Tisch und strich Butter darauf.

Rosan lächelte spöttisch, da die Frau des Monsters nun auch ihr wahres Gesicht gezeigt hatte.

»Es könnte auch sein, dass mein Gatte mich begnadigt und fragt, wie es mir auf Objursha ergangen ist. Was soll ich ihm da nur sagen?«

Terza da Gohd schien überfordert zu sein.

Selvon da Gohd räusperte sich.

»Na, wer glaubt das denn? Da haben die aus Block H doch tatsächlich einen terranischen Häftling geköpft und mit ihm Fußball gespielt.«

Da Gohd lachte.

»Ist das zu fassen? Soll ich jetzt ihren Humor loben oder sie bestrafen?«

Er leerte die Tasse Kaffee. Laut stellte er sie ab, damit eine Jülziish nachfüllte.

»Muss das denn beim Essen sein, Liebling? Solche Themen gehören nicht an den Tisch.«

Da Gohd lachte wieder.

»Ja, entschuldige doch, Terza. Aber ich dachte, diese Geschichte interessiert Vater und Tochter Mohlburry und die hoheitliche Emperatriz. Nicht wahr?«

Rosan biss von ihrem Brötchen ab. Obwohl es ihr schmeckte, konnte sie es nicht genießen, denn sie musste an Bekket Glyn denken und an die aufgerissenen toten Augen. Sie musste ihre Scheu ablegen, aus Ekel nichts zu essen, sonst würde es ihr Todesurteil bedeuten.

Die Jülziish kam mit einem großen Antigravtablett aus der Küche und servierte Mohlburry sein opulentes Frühstück. Seine Tochter Janela beschränkte sich auf Tee und das auf dem Tisch liegende Obst und Gemüse.

Selvon da Gohd nahm wieder seinen Reader, auf dessen grauer Rückseite das Emblem des Quarteriums prangte, und las weiter. Plötzlich kicherte er und schüttelte den Kopf.

»Ist das denn zu fassen? Die CIP hat auf Saggitton eine Bande Schlepper gefasst. Die wollten doch tatsächlich Swoons im Bauch von Epsalern und Ertrusern verstecken.«

Er lachte herzhaft. »Wie dumm sind die eigentlich?«

Terza musste mitlachen. Rosan und die Mohlburrys sahen sich vielsagend an und stimmten nicht ins Gelächter ein.

»Nun, Sir«, begann Mohlburry. »Auch ein Terraner könnte irgendwann in der verzweifelten Lage sein, im Bauch einer Bestie auszuharren, um nicht zu sterben.«

Da Gohd legte den Reader wieder auf den Tisch und nahm einen Schluck Kaffee. Sein Lächeln erstarb.

»Nein, denn wir Lemurer sind die überlegene Spezies. Ein Swoon mag auf dem Gebiet der Mikrotechnologie gut sein. Doch er braucht Anleitung. Von einem Terraner, von einem Arkoniden. Am meisten ärgert es mich, dass Ertruser und Epsaler sich dafür hergaben. Nun gut, vermutlich werde ich die Bande ja bald hier begrüßen.«

Das Frühstück verlief surreal. Kommandant da Gohd erzählte von der Arbeit und seine Frau wirkte wie die brave Ehefrau aus vergangenen Epochen und plauderte über ihre Gartenarbeit. Dieses Ehepaar hätte auch als Vorarbeiter in einer Fabrik tätig sein können. Dass Selvon da Gohd Kommandant eines Vernichtungslagers war, in dem viele Millionen Lebewesen bereits gestorben waren, schien hier keinen zu belasten.

Da Gohd lachte wieder, als er etwas auf seinem Reader las.

»Was ist denn so amüsant? Die Entsorgungsstatistik von gestern?«, fragte Rosan provozierend.

Er winkte ab.

»Nein, nein. Ich lese nur gerade etwas. Keine Verwendung. Das ist komisch.«

Offenbar ein quarterialer Insider. Rosan wusste damit jedenfalls nichts anzufangen.

»Reichst du mir die Butter?«, fragte er seine Frau.

Die starrte entgeistert die Jülziish an, die aber nicht sofort reagierte. Rosan griff den Teller mit der Butter und schob ihn zu da Gohd.

Terza seufzte.

»Das gibt Kratzer auf dem Tisch. Hättest du schneller reagiert, wäre das vermeidbar gewesen.«

Sie blickte die Blue nicht an, starrte auf die Speisen und den Tisch.

»Sie wird darüber in Block G nachdenken«, sagte Selvon da Gohd teilnahmslos.

»Nun, ich bin jedenfalls mit dem Service Ihrer beiden Jülziish zufrieden. Sie haben ein deliziöses Frühstück zubereitet.«

»Ich möchte Ihnen heute Nachmittag etwas zeigen, Herr Mohlburry.«

Die Einladung von da Gohd klang wie ein Befehl.

»Die Emperatriz ist natürlich auch eingeladen.«

*

Der graue Panzergleiter fuhr um Punkt 14:30 Uhr in den Hof. Nur Robert Mohlburry und Rosan Orbanashol-Nordment wurden abgeholt, Janela hingegen blieb in ihrer gemeinsamen Unterkunft im dritten Stock. Ein frischer, kalter Herbstwind wehte. Auf Objursha war das Klima ohnehin rauer. Die Winter waren eisig und bitterkalt und die Sommer nur lauwarm.

Wieder begrüßte Major Fitschka sie mit einem soldatischen Zusammenschlagen der Hacken. Sie stiegen ein und flogen über das Gelände. Schnell verließen sie den Wohnblock der privilegierten Häftlinge und erreichten die Blöcke. Baracken über Baracken erstreckten sich über die Anlagen. Rosan erinnerte das an Legebatterien und Käfige von Nutz- und Schlachttieren aus längst vergangener Zeit oder an so manche Slumviertel in Metropolen, in denen noch Geld und Macht regierte. Traurige Gestalten allerlei Couleur schlurften auf den Wegen umher. Die Wesen waren dreckig, ausgemergelt und wirkten hoffnungslos.

Sie hielten vor einer Rampe, die in eine unterirdische Anlage führte. Das Gebäude darüber war grau, quadratisch und fensterlos.

Selvon da Gohd stand davor.

Er hob die Hand zum Gruß.

»Wie nett, dass Sie es einrichten konnten.«

Er zeigte auf die Rampe nach unten.

»Das ist unsere neue Anlage zur humanen Entsorgung von minderwertigen, subversiven und feindlichen Existenzen. Auch jener, für die das Quarterium keine Verwendung mehr hat. Ich bin richtig stolz darauf. Wir haben sieben solche Anlagen in diesem Jahr errichtet.«

Er zeigte nach Norden. Rosan erkannte noch so ein quadratisches Gebäude etwa zweihundert Meter entfernt. Ein Transporter flog dorthin und landete. Er lud Lebewesen aus, die von Wachen kontrolliert wurden. Anschließend mussten sich die Häftlinge entkleiden.

»Sehen Sie, Mohlburry, Sie haben uns in Ihren Kolumnen vorgeworfen, dass wir unmenschlich sind. Aber verdient ein Alien eine menschliche Behandlung? Sie haben uns vorgeworfen, dass wir Barbaren sind. Plumpe und grobe Schlächter.«

Da Gohds Stimme wurde lauter. Er drehte sich um. Sein Gesicht war zu einer grimmigen Grimasse geformt.

»Schlächter? Wir sind Soldaten, Mann! Wir tun hier unsere heilige Pflicht als Soldat. Wissen Sie, was ich hier meinen Leuten abverlangen muss? Das geht auf ihre Psyche. Und Sie fettes Schwein schreiben einfach so einen Mist?«

Mohlburry wagte es nicht, etwas zu sagen. Das war klug. Denn da Gohd war launisch und unberechenbar.

»Dumme Sau! Essoya! Bras’cooi!«, schrie der Arkonide. »Scheiß Lügenpresse.«

Er wandte sich wieder von ihnen ab. Rosan wechselte einen vielsagenden Blick mit Mohlburry.

Da Gohd winkte Fitschka zu sich. Der gab ihm einen Feldstecher. Da Gohd beobachtete die Vorbereitung zur Entsorgung.

»Das ist sehr human, was hier geschieht. Sie entkleiden sich brav. Einige weinen vielleicht etwas und winseln. Doch die meisten sind auf ihrem letzten Weg sehr diszipliniert. Schauen Sie einmal.«

Er reichte Mohlburry den Feldstecher.

»Ich verzichte, danke.«

»Oh, das sollten Sie sehen.«

Da Gohd hielt das Fernglas noch in der Hand. Mohlburry starrte drauf und ergriff es schließlich. Seine Hände zitterten. Dann blickte er hindurch und wurde kreidebleich.

»Nein! Janela!«

Er senkte die Arme. Rosan nahm das Fernglas und sah selbst hindurch. Unter den rund zweihundert Wesen war eine blonde Terranerin, und diese war eindeutig Janela Mohlburry.

»Aber? Da Gohd, was soll das?«

Er hob den Finger und lachte jetzt.

»Heute Morgen habe ich eine Hyperkomnachricht von Herrn Marschall-Kommandeur Werner Niesewitz persönlich erhalten. Erinnern Sie sich, dass ich so belustigt war?«

Sie wusste nicht, was da Gohd meinte.

»Dort stand: Keine Verwendung.«

»Ja … ja und?«

Sie erinnerte sich wieder. Er hatte darüber gelacht, doch sie hatte die Pointe nicht verstanden. Da Gohd räusperte sich. »Nun, ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass mir Ihre Anwesenheit auf Objursha nicht gefällt. Also habe ich um Instruktionen gebeten. Der Herr Marschall-Kommandeur hat mir geantwortet: ›Für Robert Mohlburry und seine Tochter Janela habe ich keine Verwendung mehr.‹«

Aus dem Gleiter stiegen Fitschka und drei weitere Wachen aus.

Mohlburry nahm zitternd Haltung an.

»Bei Gott, tun Sie mit mir, was Sie wollen. Doch verschonen Sie meine Tochter.«

»Ich werde Ihrer Tochter heute Abend gedenken, wenn ich meinen Reader zum Aufladen an die Energiequelle anschließe. Das könnte schließlich sie sein.«

Mohlburry wollte aufbegehren, doch zwei Wachen schlugen ihn nieder.

»Hören Sie auf, da Gohd!«, rief Rosan. Sie musste den Typen doch irgendwie zur Vernunft bringen. »Wir haben die Lektion verstanden. Mohlburry wird Ihr Propagandasprecher von Objursha.«

Der Lagerkommandant lachte abfällig.

»Darauf fallen wir kein zweites Mal rein.« Mohlburry kniete inzwischen vor ihm. Da Gohd zeigte auf die andere Konverteranlage. Die Häftlinge waren darin verschwunden.

»Man sieht nichts, man hört nichts. Sie gehen einfach. Leise, still und human. Das ist die quarteriale Art. Und Sie bezeichnen uns als Unmenschen?«

»Das Quarterium ist eine Bande von heuchlerischen, selbstgefälligen Verbrechern. Verlierer im normalen Leben, die ihre Allmachtsphantasien auf Kosten von Milliarden unschuldiger Existenzen ausleben.«

Da Gohd zog seinen Nadelstrahler und drückte ihn Mohlburry auf die Stirn.

»Verlierer, ja? Ich denke, das ist einmal mehr eine Fehleinschätzung der Sachlage. Ein bedauerlicher Fehler, der ihre ganze Karriere als Journalist begleitet hat.«

Da Gohd drückte ab.

Der Strahl schoss aus dem Hinterkopf wieder heraus. Rosan wendete den Blick ab. Sie hörte ein Plumpsen, dann sah sie wieder hin. Mohlburry war tot. Sie schaute hinüber zum Konverter, wo gerade seine Tochter starb. War sie jetzt die Nächste?

Da Gohd zielte mit dem Strahler auf Rosan. Ihr Herz klopfte rasend schnell. Sie versuchte, Fassung zu bewahren, doch sie hatte Angst vor dem Tod. Konnte man darauf überhaupt vorbereitet sein? Sie dachte an Wyll, ihren geliebten Wyll Nordment. Sie würde ihn bald wiedersehen. Er wartete bestimmt noch auf sie.

»Wissen Sie, was Niesewitz über Sie geschrieben hat?«, fragte da Gohd.

Rosan starrte in die Mündung des Strahlers. Sie schloss die Augen und wartete auf den Tod.

»Er sagte, für die Emperatriz besteht weiterhin Verwendung.«

Sie riss die Augen auf, da Gohd senkte den Strahler und gab den Wachen ein Zeichen. Sie packten Rosan und schubsten sie unsanft zum Gleiter. Sie warf noch einmal einen Blick auf die Leiche von Robert Mohlburry.

Er und Janela waren Opfer des Quarteriums. Oh, wie viele Tote hatte diese höllische Welt schon gesehen?

Zwischenspiel – DORGON

DORGON sah drei Kinder streiten. Sie standen vor einem weißen Haus mit einem flachen Dach und gestikulierten wild. Es waren zwei Buuraler, die mit einem Harekuul diskutierten, der aufgeregt mit den Hufen auf dem sandigen Boden scharrte.

DORGON nahm die Gestalt des alten, weißen Mannes im weißen Gewand an. Er spürte einen negativen Einfluss auf dem Rideryon, der von seinem Bruder MODROR stammte. MODROR korrumpierte diese Wesen oder begünstigte zumindest ihre negativen Neigungen.

»Kinder, weshalb seid ihr im Argen miteinander?«

Die Buuraler und der Harekuul bemerkten DORGON. Sie waren nicht erschrocken. Die zwei menschenähnlichen Wesen zeigten mit ihren kleinen Fingern auf den Zentauren.

»Vareeh spricht mit den Kaputthirnen!«

»Hm«, machte DORGON und beugte sich zu den Halbwüchsigen herab.

»Wer sind denn die Kaputthirne?«

»Das weiß doch jeder«, sagte der kleinere der beiden Buuraler. Er trug sein Haar lang und struppig. Das Kind tippte sich mit dem Finger an die Schläfe und meinte: »Ihre Gehirne sind kaputt, deshalb reden sie so viel gefährliches Zeug und sind eine Gefahr für die Gesellschaft.«

»Genau«, rief das andere buuralische Kind, das etwas dicker war und kurze, rote Haare trug.

»Es sind also Verbrecher?«, folgerte DORGON.

Der Rotschopf schüttelte den Kopf.

»Offiziell nicht, aber so gut wie. Sie reden böses Zeug, sagen Mama und Papa. Sie sind wirr im Kopf.«

»Ja, das sagen meine Mamas auch. Halt Kaputthirne«, stimmte der andere Buuraler ein.

Der Harekuul schwieg. DORGON stand auf und stemmte die Arme in die Hüfte. Er wollte gar nicht ins Detail gehen.

»Habt ihr denn schon einmal mit Kaputthirnen gesprochen?«

Beide Buuraler schüttelten den Kopf.

»Das ist verboten.«

DORGON seufzte.

»Und euren Freund beschimpft ihr, weil er so tolerant ist und mit Kaputthirnen spricht, obwohl es verboten ist, sie aber keine Verbrecher sind.«

»Ja«, sagten beide Buuraler schrill.

»Nun denn, die Fähigkeit, mit Individuen zu reden, obgleich man unterschiedlicher Meinung ist, ist eine der stärksten Eigenschaften eines liebenden Intelligenzwesens. Dafür dürft ihr euren vierbeinigen Freund nicht verurteilen. Redet mit den Kaputthirnen und hört ihren Argumenten zu. Seid ihr gegenteiliger Meinung, so teilt ihnen das mit, und so lange alle friedlich bleiben, kann der Graben zwischen euch nicht so tief sein, wie ihr propagiert.«

Alle drei Kinder starrten DORGON verwundert an.

»Nun«, sagte der Kosmotarch und räusperte sich. »Nun muss ich aufbrechen. Für heute habe ich genug von Kaputthirnen gehört. Geht in Liebe und mit Vernunft.«

DORGON setzte seinen Weg durch die Wüste fort. Er fühlte eine Veränderung und blickte in den Himmel, dessen Farbe wechselte, da das blaurote Wabern einem Sternenhimmel wich. Es waren die Sterne von Siom Som, die Galaxien aus dem Virgo-Haufen zu sehen. Die Tholmonde über ihm waren nun in ein Meer aus Sternen gehüllt. Das Rideryon war angekommen. Nun musste die Weltrauminsel durch das Sternenportal reisen, damit DORGON seinen Plan vollenden konnte.

8. Ankunft des Rideryons

3. August 1308 NGZ, 3:30 Uhr

Aurec hatte seit über vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen. Wie viele Liter Bisca-Kaffee hatte er schon getrunken? Er blickte auf die Reste des kalten Carnaroosa. Der scharfe Eintopf schmeckte nur, wenn er heiß war, doch Aurec hatte von Anfang an keinen richtigen Appetit gehabt, dazu war er viel zu angespannt.

Die Schlacht um das Sternenportal tobte seit mehr als einundzwanzig Stunden. Die ersten zwei waren sehr intensiv gewesen. Das alliierte Bündnis hatte mit der Vernichtung des planetaren Transformgeschützes »Kleine Claudya« einen wichtigen Sieg errungen. Seitdem wurde im Orbit und auf Som-Ussad gekämpft. Die Stadt Kijito glich einem Trümmerfeld aus Schutt und Asche. Dichte Rauchschwaden stiegen kilometerhoch in den Himmel empor. Die Region um die NUG-Schwarzschildgeneratoren und das Transformgeschütz war in einem Radius von mehreren Kilometern zerstört. Der Umkreis der Vernichtung wäre noch größer gewesen, hätten die Alliierten keine taktischen Waffen eingesetzt, welche den Explosionsherd reduziert hatten. Außerdem hatte das Quarterium um die Stadt herum mehrere gestaffelte Schutzschirme im Einsatz gehabt, welche die freigewordene Energie abgeschwächt hatten. Aurec war erstaunt, denn diese Schutzschirme waren nicht zur Abwehr des Bombardements, sondern zum Schutz der Stadt und ihrer Bevölkerung oder auch der quarterialen Bodentruppen gedacht. So viel Humanität hatte er nicht vom Quarterium erwartet.

Er dachte an die unschuldige Zivilbevölkerung der Som-Ussadi. Viele lebten zwar nicht mehr in Kijito und waren ins Umland ausgewichen, doch es gab immer noch mehr als genug Bewohner dort, vor allem Bedienstete für das Quarterium.

Dort, wo einst der sechshundert Meter breite und einhundert Meter hohe Sockel des Geschützes thronte, bohrte sich ein gigantischer Krater tief in den Erdboden. Die Schutzschirmreaktoren brannten immer noch. Es war auch keiner mehr da, um die Flammen zu löschen, denn das Quarterium hatte sich vor zehn Stunden komplett aus Kijito und Som-Ussad zurückgezogen.

Das Quarterium hatte sich im Weltraum in einem Radius von fünfzig Millionen Kilometern um die vier Energiestationen des Sternenportals positioniert. Es kam seitdem immer wieder zu vereinzelten Scharmützeln und Gefechten. Insbesondere die Entropen wagten immer wieder Vorstöße.

Für einen Tag waren nach Aurecs Ansicht genug Existenzen zerstört worden. Die bittere Bilanz lautete: 37.218 Raumschiffe vernichtet und 14.954 Raumer schwer beschädigt. Die Verluste an Leben gingen in die die Millionen. Auf Seiten des Quarteriums waren 31.441 SUPREMO-Schiffe vernichtet und 21.065 Raumer schwer beschädigt worden. Auf Som-Ussad hatten die Alliierten gut 20.000 intakte Raumjäger, 3000 Kreuzer und 4000 Space-Jets erbeuten können. 920.000 quarteriale Soldaten waren auf Som-Ussad und auf den gekaperten Raumern in Gefangenschaft gegangen.

Aurec hoffte, dass auch viele von den eigenen Leuten in Gefangenschaft geraten waren. Das wäre immer noch besser, als auf einem Raumschiff vernichtet worden zu sein. Taktisch profitierte das Quarterium vom Sternenportal. Sie schickten beschädigte Schiffe hindurch und frischten ihre Streitkräfte mit neuen, intakten Einheiten aus Cartwheel auf.

Der Alarm summte auf.

Aurec stand auf und betrachtete die Messergebnisse. Die Masse im System nahm schlagartig zu. Das Rideryon war angekommen. Die gewaltige Landmasse mit vierzig Millionen Kilometern Länge, einer Tiefe von zwanzig Millionen Kilometern und einer Breite von zehn Millionen Kilometern materialisierte zwischen Som-Ussad und dem Sternenportal. Die Ankunft solch einer Masse löste Gravitationsbeben und Hyperstürme aus. Einige Raumschiffe zerschellten auf der Oberfläche, da sie nicht rechtzeitig ausweichen konnten.

Andere trudelten in den energetischen Verwerfungen. Jedes Schiff musste die Stabilisatoren anpassen, um mit den neuen Verhältnissen zurechtzukommen.

Die fast achttausend Tholmonde – jeder mit einem Durchmesser von fünfhundert Kilometern – umgaben die Weltrauminsel in geschlossener Formation.

Aurec beobachtete den Angriff von einem halben Dutzend quarterialer Raumschiffe auf das Rideryon. Die Tholmonde erwiderten das Feuer und zerstörten zwei der Raumer. Die anderen zogen sich zurück.

Das Rideryon lag vor ihm. Irgendwo dort war Kathy.

»Moment …«, murmelte Aurec.

Er konnte das Rideryon sehen! Die nebelhafte Barriere, der Schutzwall war deaktiviert! Er rief die anderen Kommandanten.

»Seht ihr das auch? Die Nebelbarriere ist aus. Wir sollten Einheiten entsenden.«

»Aye, Sir! Flak?«, meinte Admiral Higgins.

»Die 777. RED ist nahe dem Rideryon. Wir schaffen das und starten einen Erkundungsflug«, meldete Henry Portland auf der DERINGHOUSE. Die 280 Meter durchmessenden Kugelraumer der INVINCIBLE II-Klasse waren wendig und schnell. Mehrere hundert Kreuzer der 777. RED hielten Kurs auf das Rideryon.

Auch das Quarterium entsandte ein Schiff. Es war die PARICZA, das Flaggschiff des Coruns von Paricza Leticron, und sie war nicht allein, sie wurde von der KARAN begleitet. Offensichtlicher konnte die Zusammenarbeit zwischen MODROR und dem Quarterium nicht sein, jedoch kannten die gemeinen Soldaten die KARAN überhaupt nicht.

Die knapp achttausend Tholmonde nahmen Position auf allen Seiten rund um das Rideryon.

»Ich werde auch zum Rideryon zurückkehren«, sagte Roi Danton.

»Wartet noch, wir orten ein SUPREMO-Raumschiff. Es verlässt das Rideryon«, meldete Rendera.

»Die IVANHOE?«, wollte Danton wissen.

»Negativ. Es ist die EL CID«, antwortete Portland. »Die ersten Schiffe der RED erreichen … wir …«

Der Kontakt wurde unterbrochen. Aurec erkannte, dass die Tholmonde eine Art Schutzschirm um das Rideryon spannten. Henry Portland war mit 132 Schiffen der LFT nun innerhalb dieses Schutzschirms auf dem Rideryon. Ebenso die PARICZA und die KARAN. Die EL CID jedoch war außerhalb und steuerte auf das Sternenportal zu.

»Wir erhalten eine Hyperkomnachricht von der EL CID«, sagte Osiris.

»Wir auch«, stellte Eorthor fest.

»Wie wir auch«, meinte Rendera.

»Oui«, murmelte Danton.

Das greise Gesicht des Monarchen erschien als Hologramm.

Sein Blick war entschlossen.

»Das ist die letzte Warnung an die rebellischen Terraner, Estarten, Kemeten, Saggittonen und Alysker. Stellt euren Angriff ein. Unsere tapferen Brüder und Schwestern, Töchter und Söhne des Quarteriums werden bis zum letzten Atemzug um ihre Heimat Cartwheel kämpfen. Jedes Kind wird euch mit einem Gewehr entgegentreten.«

Das war keine Warnung, das war eine Drohung. De la Siniestro war ein Stratege, der sich oft in Zurückhaltung geübt hatte. Doch diesmal waren die Fronten verhärtet. Er sagte ganz klar, bis hierher und nicht weiter. Der Emperador trat zurück, so dass er ganz zu sehen war. Er trug seine barocke Garderobe mit einer rot-goldenen, fein verzierten Jacke.

»Mit Bedauern muss ich die Dorgonen vom Tod des Kaisers Volcus und seines Freundes Kruppus durch die Hand von USO-Agenten unterrichten. Den Leichnam übergeben wir dem dorgonischen Botschafter in Cartwheel.«

Volcus war tot. Das war kein Verlust. Vielleicht war das sogar gut für sie. Vesus war vernünftiger, und als Dux Superior war er jetzt Oberbefehlshaber, bis das Forum Preconsus einen Nachfolger bestimmen würde. Er würde nicht noch einmal in den Krieg gegen sie ziehen.

»Ich habe meine Streitkräfte darüber informiert, dass wir das Rideryon unbehelligt nach Cartwheel ziehen lassen werden. Dieses kosmische Gebilde gehört in unsere Galaxie, denn dort wird Geschichte geschrieben. Diese Einladung gilt jedoch nicht für die alliierten Verbände der Saggittonen, Alysker, LFT, USO und Estarten. Jedes Schiff dieser Flotte wird in Cartwheel als Feind betrachtet, und wir werden jeden Versuch zum Durchflug nach Cartwheel direkt hier unterbinden.«

De la Siniestro ballte energisch die Faust.

»Wir sind die auserwählte Rasse der Menschheit. Wir sind die wahren Nachfahren der Lemurer und wir erhalten den kosmischen Segen durch den Kosmotarchen, das Rideryon und das Kosmonukleotid. Cartwheel wird zum Nabel des Universums. Darauf, liebe Landsleute, könnt ihr stolz sein. Und dafür kämpft ihr heute. Für das Quarterium, für Ruhm und Ehre und für den Fortbestand der Menschheit für Tausende von Generationen.«

De la Siniestro beendete die Verbindung. Aurec warf einen Blick auf die Anzeige der dorgonischen Adlerraumschiffe. Sie verharrten weiterhin in ihrer Position.

»Es wird Zeit, nach Cartwheel aufzubrechen«, schlug Danton vor.

Er hatte recht. Das Rideryon würde nun definitiv nach Cartwheel reisen. Kathy und seine Freunde würden nach Cartwheel fliegen. Es gab nichts mehr, was Aurec in Siom Som hielt, außer die Sorge, dass die Dorgonen nun weiterhin die Estarten unterdrücken würden.

»Die Verbände der FES werden in Siom Som verbleiben«, meldete sich der Somer Sam über Interkom. »Ich wünsche euch alles erdenkliche Glück.«

Aurec verstand nur zu gut.

»Ich werde mit der USO die Nachhut bilden«, sagte Danton. »Ich möchte mit den Dorgonen verhandeln und folge, sobald ich sicher bin, dass die Waffen in den estartischen Galaxien schweigen.«

Auch das war vernünftig. Aurec blickte auf das Rideryon. Es bewegte sich langsam in Richtung des geöffneten Sternenportals. Die SUPREMO-Raumer des Quarteriums wichen aus, formierten sich neu und nahmen Kurs auf die alliierte Flotte.

»Danton, Sam, zieht euch an den Rand des Systems zurück. Das Quarterium wird nicht angreifen. Es will uns nur aufhalten, bis das Rideryon durch das Sternenportal ist. Doch wir …«

Er warf einen Blick auf das Portal.

»Wir brechen jetzt durch. Eorthor? Osiris? Higgins?«

Ohne zu antworten startete die Raumstation NESJOR. Ihr folgten die Spindelschiffe. Dann die Entropen, Kemeten und die LFT-Raumschiffe. Sie näherten sich in kurzen Überlichtetappen dem Portal, fielen kurz davor aus dem Hyperraum und verschwanden im wabernden, schwarz-rot leuchtenden Kreis.

Die SUPREMO-Raumer änderten ihren Kurs und kehrten nach Cartwheel zurück. Andere kämpften weiter und beschossen die Schiffe, die aus dem Hyperraum kamen. Doch nur wenige wurden getroffen. Der Transmitter des Portals erstreckte sich über fünfzig Millionen Kilometer und war schwer zu verteidigen.

Das Rideryon war nur noch dreißig Millionen Kilometer vom Sternenportal entfernt und flog mit halber Lichtgeschwindigkeit. Aurec wollte vor ihm in Cartwheel sein.

»Jetzt, Rendera. Zeit in die Heimat zurückzukehren.«

Die SAGRITON beschleunigte und mit ihr die über zehntausend saggittonischen Raumschiffe, sie zog am Rideryon vorbei und tauchte in das Sternenportal ein. Aurec verabschiedete sich still von Siom Som.

*

Roi Danton beobachtete den Flug der Verbündeten. Rund 176.000 Raumschiffe schafften den Sprung durch das Sternenportal. Die SUPREMO-Raumschiffe des Quarteriums folgten ihnen. Die Region um das Portal leerte sich. Die Verbände der USO und FES verblieben nahe Som-Ussad, die Flotte der Dorgonen verharrte noch am Rand des Systems.

Das Quarterium würde nun alles auf die Verteidigung von Cartwheel fokussieren. Danton atmete tief durch. Das war also der Rückzug des Quarteriums aus Siom Som nach knapp drei Jahren. Ob die Galaxie nun wirklich frei war, würde sich später herausstellen. Es verblieben noch knapp 2000 SUPREMO-Raumer dort.

Das Rideryon erreichte das Sternenportal. Hyperstürme, Energieblitze und Explosionen begleiteten seinen Flug.

Ob das gut ging?

Dann verschwand das Rideryon mit all seinen Monden komplett. Die restlichen SUPREMOS steuerten das Portal an, welches rotgelb flackerte. Blaue und lila Blitze umzuckten es.

Danton fuhr zusammen. Die erste Energiestation des Sternenportals explodierte, es folgte die zweite, dann die dritte Station. Das Transmitterfeld erlosch, verschlang dabei ein Großteil der SUPREMOS, und schließlich verging auch die vierte Station in einem Feuerball.

Das Sternenportal war zerstört, und es gab keinen Weg mehr nach Cartwheel. Offenbar hatte die gewaltige Masse des Rideryons zu einer Überlastung geführt. Wenn das hier bei Som-Ussad so war, würde vermutlich auch die Gegenstation in Cartwheel den Dienst versagen. Selbst wenn sie nach M 87 oder M 100 reisen würden, um dort die Portale zu benutzen, wäre es sehr unwahrscheinlich, dass sie Cartwheel erreichen würden

Danton begriff die Tragweite des Ereignisses.

Er konnte nicht mehr nach Cartwheel und war nicht in der Lage zu helfen.

Zwischenspiel – Nistant

Nistant betrachtete das Wabern des Transmitters, welches die Teleskope der Tholmonde und des Rideryons in seine Schaltzentrale im Sedendron übertrugen. Das Sternenportal lag vor ihnen. Vereinzelte Raumschiffe des Quarteriums waren vernichtet worden, als sie ihren infantilen Versuch unternahmen, das Rideryon anzugreifen. Der Großteil der Flotte zog sich zurück, flog durch das Portal, und die Saggittonen, Alysker, Kemeten und Entropen folgten ihnen. Es war ein regelrechter Exodus aus Siom Som. Sie alle wussten, dass in Cartwheel Geschichte geschrieben wurde.

Nistant atmete tief durch. Er harrte der Dinge, die da kommen würden, doch er wusste nicht, wie sie geschehen würden.

Anya Guuze trat näher. Er hatte sie ins Sedendron eingeladen und sie war dieser Bitte gefolgt. Sie sollte Teil der Geschichte werden.

Diese Terranerin ist nur eine Kopie von Ajinah. Sie ist nichts weiter als eine Erinnerung an eine Erinnerung.

Die grausamen Worte des Kosmotarchen waren voller Verachtung gesprochen und trafen Nistant ins Mark, denn er konnte die Wahrheit darin erkennen. Er blickte zur wunderschönen Anya. Ihre blauen Augen waren wie ein tiefer Ozean, in dem man zu ertrinken drohte. Ja, es waren die Augen von Ajinah, es waren ihre Lippen, ihre Nase, ihr Kinn. Sie war wie eine perfekte Kopie einer Erinnerung, die fast 260 Millionen Jahre alt war. Wünschte er sich nur, dass sie Ajinah glich, da seine Erinnerungen nach all diesen Äonen Trugbildern gewichen waren oder war sie wirklich eine physische Reinkarnation seines Herzens der Sterne?

Je näher das Rideryon kam, desto schwerer wurde sein Herz. Es schien, als würde es jemand in der Hand halten und zusammendrücken.

»Wir kehren nun nach Cartwheel zurück, Anya«, sagte Nistant. »Für mich ist es eine neue Galaxie, doch für dich ist es die Heimat.«

»Ich lebte zwar fast zehn Jahre in Cartwheel, doch im Nachhinein ist es keine schöne Heimat für mich gewesen.«

Er blickte sie erneut an.

»So viel Leid und Tod haben Cartwheel in den letzten Jahren überschattet. Wird das Rideryon dem Leid ein Ende setzen oder es noch verschlimmern?«

Sie sah ihn ernst an.

Nistant warf einen Blick auf den großen Monitor und betrachtete das Sternenportal, dann wandte er sich wieder Anya zu.

»Ich werde kein Leid über Cartwheel bringen. Diese Galaxie wird von Tod und Trauer befreit. Das Rideryon wird eine neue Ära einläuten.«

Das Rideryon flog nun hindurch. Für einen kurzen Moment verzerrte sich das Bild in die Unendlichkeit, ehe alles so aussah wie zuvor. Das Sternenportal war verschwunden. Vor ihnen lagen hunderttausende Raumschiffe und Raumforts des Quarteriums. Nistant beobachtete die Anzeigen. Das Sternenportal kollabierte. Eine Energiestation nach der anderen explodierte.

Das war zu erwarten gewesen. Anya starrte auf die Explosionen.

»Wie soll ich jetzt jemals wieder nach Hause kommen? Terra ist so weit weg.«

Gut so! Je eher Anya das erkannte, desto eher würde sie ihr Schicksal akzeptieren, an seiner Seite zu leben. Es brauchte nur noch etwas Zeit, und Nistant war bereit, ihr so viel Zeit zu geben, wie sie benötigte. Er würde ihr die relative Unsterblichkeit verleihen lassen und dann würden sie sich lieben für immer und in alle Ewigkeit. Er wäre nie wieder allein. Das zehrende Feuer der Einsamkeit würde für immer erlöschen. Woher kam dieser Anflug von Hoffnung auf Liebe?

DORGON!

Der Kosmotarch hatte sich im Sternenportal versteckt und war beim Durchflug komplett auf das Rideryon gewechselt. Eine Flut an positiver Energie strömte nun durch die Welteninsel. MODROR musste es auch fühlen. Beide Kosmotarchen befanden sich nun auf seinem Rideryon.

Der Kampf der Sternenbastarde ging in die entscheidende Phase über.

9. Rückkehr nach Cartwheel

Die SAGRITON flog durch das Sternenportal, nur wenige Momente später materialisierte sie in der Galaxie Cartwheel und wurde von Sperrfeuer der quarterialen Raumforts und SUPREMO-Raumer empfangen. Aurec verschaffte sich einen Überblick. Die quarterialen Verbände hatten sich in einem Radius von 100 Millionen Kilometern um das Sternenportal positioniert.

Er befahl den Vorstoß auf eine Position von 300 Millionen Kilometern Entfernung zum Sternenportal. Das Quarterium musste hier fast 500.000 Einheiten zusammengezogen haben. Davon bestand die Hälfte aus mobilen Raumforts, die eigentlich in der orbitalen Verteidigung von Planeten eingesetzt wurden. Die Verbände mussten aus der Schusslinie. Innerhalb von wenigen Sekunden explodierten einige ihrer Raumschiffe unter dem starken Beschuss.

Die Übermacht war zu groß, die Verluste stiegen im Sekundentakt. Aurec beobachtete die Zerstörung eines terranischen Kreuzers, dann explodierte ein Spindelschiff.

»Weg hier! Sofort!«

Die Raumer gingen in die Überlichtetappe. Die SAGRITON harrte noch aus, konnte den Beschuss noch kompensieren, schließlich trat auch das Scheibenschiff der Saggittonen in den Hyperraum und fiel nur wenige Sekunden später wieder in den Normalraum zurück. Aurec las die Distanz zum Portal und den quarterialen Abwehrverbänden vom Display ab. Sie waren 303.721.002 Kilometer entfernt.

NESJOR materialisierte knapp 20.000 Kilometer von der SAGRITON entfernt. Immer mehr Schiffe sammelten sich dort. Es dauerte vier Minuten, bis sich die 175.803 Raumer formiert hatten. Der Rest hatte es nicht geschafft oder war noch in Siom Som. Das Sternenportal war weiterhin aktiv.

SUPREMO-Raumer und vereinzelt auch noch Schiffe der eigenen Flotte traten heraus. Dann war es soweit: Die ersten Tholmonde schwappten aus dem Wabern. Dann folgte die Spitze des Rideryons. Rund um das Portal zuckten Blitze, Hyperstürme und Gravitationsbeben begleiteten den Eintritt des Rideryons und seiner Tholmonde. Das Quarterium stellte das Feuer ein.

Majestätisch bahnte sich die Insel zwischen den Sternen ihren Weg durch das Sternenportal, welches immer instabiler wirkte. Das Intervall der zuckenden Blitze wurde immer kürzer. Das Rideryon und seine 7999 Tholmonde hatten inzwischen das Portal verlassen. Die Distanz wuchs schnell auf 100.000 Kilometer. Dann erlosch der Transmitter. Sekunden später explodierte die erste Station. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis alle vier Stationen des Sternenportals in einem Feuerball vergingen.

Aurec atmete tief durch. Auf weitere Verstärkung brauchten sie nicht zu hoffen. 3000 Raumschiffe der USO würden in Cartwheel bleiben. Die restlichen 12.000 Schiffe der Föderation Estartischer Separatisten als auch die rund 14.000 manövrierunfähigen Schiffe hatte Aurec ohnehin nicht eingeplant.

Nichts deutete mehr auf die Existenz des Sternenportals hin. Vereinzelt flogen noch glühende Metallstücke durch den dunklen Weltraum. Die Katastrophe hatte sich nach dem Durchflug des Rideryons ereignet, was bedeutete, dass es Kathy vermutlich gut ging.

Die Verluste geisterten in Aurecs Kopf herum. Ihre Flotte hatte während dieser Operation fast 50.000 Raumschiffe verloren. Die Analyse der Verluste war über die Stunden hinweg in Echtzeit erfolgt, denn die Syntroniken hatten die Signatur jeder anderen Syntronik erfasst und still eine Statistik geführt. Welche Signatur war erloschen? Konnte die Zerstörung bestätigt werden oder war das Schiff nur beschädigt. Die akkurate Erfassung und Koordination der Streitkräfte war entscheidend für eine Schlacht und hatte zur Folge, dass man über die Verluste immer auf dem Laufenden war. Es waren blutige Tage gewesen. Doch wie sollte es nun weitergehen?

»Funkspruch an das Rideryon. Funkspruch über die Frequenzen und an die Interkoms der IVANHOE und DERINGHOUSE.«

Er wollte nichts unversucht lassen.

Keine Antwort.

Das Rideryon verharrte in seiner Position in einer Distanz von 100 Millionen Kilometern zu den ersten quarterialen Verbänden. Ein Pulk SUPREMO-Raumschiffe nahm Kurs auf ihre Position.

»Funkspruch von der DERINGHOUSE«, rief Rendera. Er stellte sofort zu Aurec durch. Es wurde kein visuelles Bild dargestellt.

»Hier Portland an die Flotte. Sind wohlbehalten und ohne Verluste auf dem Rideryon angekommen. PARICZA und Verbände der EL CID belagern Amunrator. Nach ersten Erkenntnissen sind die Überlebenden der IVANHOE derzeit in Sicher… wir …«

Die Tholmonde bezogen Position, und die schemenhafte, nebelige Barriere entstand innerhalb von wenigen Momenten. Der Funkspruch von Henry Portland brach ab.

Aurec atmete tief durch. Sicherheit. Das war ein wichtiges Wort, das Portland hatte fallen lassen. Aurec vernahm einen mentalen Ruf. Es war DORGON.

Ich befinde mich auf dem Rideryon und werde meinen Bruder befrieden. Eure Freunde auf dem Rideryon werden mich unterstützen. Fliegt fort und befreit die Geknechteten von Chepri. Schon bald wird die neue Harmonie von DORGON entstehen.

DORGON hatte es also tatsächlich geschafft und war während des Fluges durch das Sternenportal auf das Rideryon gelangt, so wie er es vorhergesagt hatte. Vielleicht war auch deshalb das Sternenportal kollabiert.

Sie konnten vorerst nichts für Kathy, seine Freunde und Verbündeten tun. Das Rideryon war sowohl für das Quarterium als auch sie unerreichbar. Sie brauchten mehr Raumschiffe der Kemeten, um die Barriere zu durchbrechen. Bis dahin waren seine Freunde, war Kathy mehr oder weniger auf sich allein gestellt.

Ob DORGON ihnen helfen konnte, vermochte Aurec nicht zu sagen. Vielleicht sollte er auf den Kosmotarchen vertrauen. War DORGON dem Zweikampf mit MODROR gewachsen? Die Söhne des Chaos befanden sich auch auf dem Rideryon. Cau Thon, Goshkan, Despair. Dazu Leticron und Medvecâ. Möglicherweise konnten Gal’Arn, Jonathan, die Scorbits, Cascal und Tolk ihnen mit der Hilfe von Nistant die Stirn bieten. Aurec blickte auf das Rideryon. Er wollte unbedingt dorthin, doch das war nicht sein Schlachtfeld, denn das war nun Cartwheel.

»Die Verbände sollen enger zusammenrücken und sich auf einen möglichen Angriff des Quarteriums vorbereiten«, sprach Aurec durch das Hyperkom.

»Einen Angriff würden wir wohl nicht überstehen. Fliegen wir nach Saggittor und befreien die Heimat der Saggittonen«, schlug Eorthor vor.

»Ich halte seinen Vorschlag für klug«, stimmte Osiris zu.

»Jeder Vorschlag von mir ist klug«, bemerkte Eorthor genervt.

»Die quarterialen Verbände formieren sich neu. Sie nehmen Kurs auf unsere Flotte. Die Vorhut sendet einen Interkomruf an uns«, meldete Admiral Higgins.

Aurec gab einer Offizierin ein Zeichen. Das faltige Gesicht von General Mandor da Rohn erschien. Der Arkonide wirkte steif und militärisch. Als ob er für diesen Beruf geboren war.

»General da Rohn, Quarteriales Oberkommando der Heimatflotte Cartwheel«, stellte er sich förmlich vor.

»Aurec«, lautete die knappe Antwort.

»Sir, Sie befinden sich auf quarterialem Hoheitsgebiet. Gemäß Order 435-B-1308 des Emperadors de la Siniestro haben Sie und alle Ihre Raumschiffe umgehend die Galaxie zu verlassen. Zuwiderhandlungen sehen wir als kriegerischen Akt an. Das bedeutet, wir werden Ihre Raumschiffe wie Kriegsgegner behandeln und beschießen. Eventuelle Gefangene werden als Kriegsgefangene inhaftiert.«

»Das kennen wir ja bereits seit drei Jahren«, meinte Aurec gelassen und fuhr fort: »Sir, Ihre Truppen befinden sich zum Großteil in Cartwheel auf widerrechtlich eroberten Planeten. Wir erwarten umgehend den Rückzug von diesen Welten. Zuwiderhandlung wird als kriegerischer Akt angesehen.«

Aurec gab der Funkleitoffizierin einen Wink. Sie unterbrach die Verbindung. Aurec drückte auf einen Schalter auf seinem Display. Seine Gesprächspartner wussten, dass auch sie die Verbindung zum quarterialen General unterbrechen mussten.

»Wir werden Saggittor befreien. Geben Sie an alle Schiffe durch, dass wir einen Angriff auf das Saggitton-System starten. Die Verteidigung dürfte schwach sein, da sie viele Einheiten hierher beordert haben. Der Flug beginnt in einer Minute.«

Aurec aktivierte wieder das Gespräch mit da Rohn.

Dieser sah weiterhin sehr grimmig aus.

»Ihre Antwort, General?«

Der schnaubte.

»Sie werden wohl kaum ernsthaft erwarten, dass das Quarterium sich zurückzieht.«

»Sie werden auch nicht ernsthaft erwarten, dass wir Cartwheel verlassen. Wir sehen uns in den Raumschlachtquadranten.«

Aurec beendete die Verbindung. Rendera befahl, in den Überlichtflug zu gehen. Die SAGRITON nahm Kurs auf die Heimat.

Zwischenspiel – MODROR

MODROR schwelgte in den traurigen Erinnerungen eines Raumfahrers, der bei einem Weltraumspaziergang gestorben war und dessen Seele sich MODROR einst einverleibt hatte. Die beklemmende Angst des Weltraumpioniers, als sein Raumschiff beschädigt worden und das Verbindungskabel abgerissen war. Sein Raumanzug hatte keinen Antrieb besessen und die Technologie seiner Spezies war Jahrhunderte von Transmittern oder Traktorstrahlen entfernt gewesen. Obwohl er noch Sauerstoff für vier Stunden seiner Zeit zur Verfügung gehabt hatte, so hatte er in jenem Moment, als das Kabel gerissen war, gewusst, dass er sterben würde.

Er redete pausenlos und verkürzte damit seine Lebensdauer um die Hälfte, da der Sauerstoff schneller ausging. Er versuchte, Funksprüche zu senden. Es waren jämmerliche, weinerliche Botschaften an seinen Ehemann, an seine Mutter und seine Schwester, die er über alles liebte und die ihm während seines Coming-Outs immer Liebe geschenkt hatten.

Der Raumfahrer bedauerte in seinen Worten, dass er niemals den Mut gehabt hatte, zusammen mit seinem über alles geliebten Ehemann ein Kind zu adoptieren und die Karriere vorgezogen hatte. Er sprach sich die Seele aus dem Leib und erfuhr nicht mehr, dass seine Funksprüche nie ihr Ziel erreichten, da die Sendebatterie leer war.

So starb er einsam und allein. Er hauchte sein bedeutungsloses Leben über einem bedeutungslosen Planeten aus. Erst nach seinem Tod war ihm sein nichtsnutziges Dasein bewusst geworden und MODROR hatte ihm gezeigt, was aus den über alles geliebten Menschen geworden war: Sein Ehemann hatte ihn schon vorher betrogen und mit seiner neuen Flamme ein Kind adoptiert, die Mutter war nach dem Schock über den Tod ihres Sohnes an einem Herzinfarkt gestorben und die Schwester hatte Zeit ihres Lebens die Tode ihres Bruders und ihrer Mutter so schnell hintereinander nie verwunden und war tief abgestürzt. Der Name des Raumfahrers war nach 100 Jahren in Vergessenheit geraten, als sich seine Spezies die Köpfe einschlug und Raumfahrt wieder in weite Ferne rückte.

Mit dieser Gewissheit existierte das Bewusstsein des Raumfahrers als gepeinigte Seele in MODROR weiter, wohl wissend, dass sein Dasein völlig bedeutungslos war.

Und plötzlich fühlte dieser Raumfahrer Hoffnung auf Absolution. Woher kam dieses wahnwitzige Gefühl?

DORGON!

MODROR spürte seinen Bruder mit dessen voller Macht, die sich in einer Überflutung mit positiven Gefühlen äußerte. Wie von einem Tsunami wurde MODROR zunächst von Reue, Zweifel und Trauer überflutet, gefolgt von Hoffnung, Liebe und Zufriedenheit.

Sein Bruder hatte sich im Sternenportal versteckt und war beim Flug hindurch auf das Rideryon gewechselt. Er schien sich bereits mit seinem Ableger in der Wüste vereinigt zu haben.

MODROR erwartete ihn. Es sollte sich hier und jetzt entscheiden, und DORGONS Niederlage würde den Untergang des Universums angemessen einleiten.

10. Der neue Domadler

4. August 1308 NGZ

Weite Teile von Kijito lagen in Trümmern, die Stützpunkte und Kasernen des Quarteriums qualmten in Schutt und Asche. Die Explosionen der NUG-Schwarzschildgeneratoren und der Zusammenbruch des gigantischen planetaren Transformgeschützes hatten verheerende Zerstörungen in der Stadt angerichtet. Mit erdrückender Wucht stiegen dunkle Rauchschwaden in den Himmel.

Roi Danton und Sam wählten daher ein Dorf einige Kilometer entfernt, welches direkt am Aragy-Fluss lag. Die Gebäude dort waren intakt und in traditioneller Weise von den Som-Ussadi errichtet worden. Auf drei Meter hohen Baumstümpfen ruhten die Hütten aus Holz und Stroh. Auf dem Marktplatz stand eine hölzerne Statue eines Somers. Sam erklärte Roi, wen sie darstellte, doch im Grunde genommen interessierte es keinen mehr.

Die Delegation der USO und Estarten bestand aus Roi und Sam, die der Dorgonen aus Dux Superior Vesus und Legat Falcus. Der ausgemergelte Admiral wirkte wackelig auf den Beinen, seine blauen Augen waren jedoch klar. Es stand wohl nicht, wie sonst so oft, unter Alkoholeinfluss. Falcus blickte mürrisch wie eh und je drein. Die Som-Ussadi, Artverwandte der Somer, ließen sie gewähren und hielten Abstand. Sam hatte mit dem Bürgermeister gesprochen und den baldigen Abzug von Som-Ussad angekündigt.

»Freunde«, begann Vesus und breitete die Arme aus.

Roi verschränkte die seinen vor dem Bauch, während Sam das Gefieder aufstellte.

Vesus verstand und nahm Haltung an.

»Oh, ich verstehe euer Misstrauen. Wir konnten in den Kampf nicht eingreifen, denn immerhin waren wir unter Kaiser Volcus noch Verbündete des Quarteriums.«

»Diese Schlacht hat uns und die Estarten viel gekostet«, stellte Roi fest und blickte auf die Rauschwaden.

Vesus zuckte mit den Schultern.

»Der Krieg hat uns allen viel abverlangt. Jedenfalls ist der Kaiser tot. Er hat das bekommen, was ihm zustand.«

»Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist«, zitierte Danton das Neue Testament. Zweifellos verstanden Vesus und Falcus die Anspielung nicht.

»Wir sind hier, um über die Zukunft der estartischen Galaxien zu sprechen«, erinnerte Sruel Allok Mok streng.

Vesus ließ sich von einem Diener eine Karaffe und einen Becher bringen.

»Nur Apfelsaft«, wies er ihn lächelnd an und nahm einen Schluck. »Somer, spare dir eine hochtrabende Rede.«

Vesus nahm einen Schluck von dem Saft.

Falcus räusperte sich und bewegte sich wie eine Katze, kurz bevor sie auf eine Maus sprang. Abwartend und lauernd.

»Die Freunde der Estarten sind weg. Auch unsere Verbündeten sind weg. Wir sind im Grunde genommen dort, wo wir vor knapp drei Jahren aufgehört haben. Das Sternenreich Dorgon könnte also die Eroberung der estartischen Galaxien fortführen.«

Vesus schlürfte den Becher leer und verzog das Gesicht. Vermutlich wünschte er sich, dass er voll Wein gewesen wäre. Das waren also die wahren Motive der Dorgonen. Sie hatten abgewartet und wollten nun den ganzen Kuchen, doch das würde Roi Danton nicht zulassen. Er stolzierte zu dem Diener und nahm die Karaffe, trank daraus und gab sie dann zurück.

»Mein Vater wird in einem, vielleicht zwei Monaten mit zehntausenden Raumschiffen der Liga Freier Terraner und Posbis Siom Som erreichen. Bis dahin wissen wir uns zu verteidigen. Der Krieg wird endlos weitergehen. Er wird in eure Galaxie getragen werden. Und wenn wir erst einmal hier gewonnen haben, brauchen wir euer Sternenportal, um nach Cartwheel zu gelangen.«

Danton breitete die Arme aus.

»Also alles beim Alten. Wir schlagen uns die Schädel ein. Oder …«

»Ich höre«, sagte Vesus.

»… oder ihr beherzigt die Ideologie von Arimad und ihrem Vater Uleman. Ihr zieht ab und schließt Frieden. Wenn die Dorgonen reif sind, schicken wir einen Erkundungstrupp durch das Sternenportal.«

Vesus schmunzelte, während sich die Gesichtszüge von Falcus noch weiter verfinsterten.

»Wein!«, rief Vesus. »Ich brauche mehr Wein!«

Hastig eilte eine wunderschöne jerrische Bedienstete heran. Sie trug eine neue Karaffe und füllte eine goldene Flüssigkeit in seinen Becher. Danton überlegte, ob Jerrer inzwischen wieder den Status von Sklaven bei den Dorgonen innehatte. Er hoffte jedoch für das dorgonische Kolonialvolk, dass die Errungenschaften von Kaiser Uleman nicht völlig zunichte gemacht worden waren. Vesus leerte den Becher Wein in einem Zug und gab einen erleichterten Seufzer von sich.

»Deine Argumentation ist schlüssig, Sohn von Perry Rhodan!«, erklärte er dann.

»Wenn der neue Kaiser die Linie Ulemans fortführt, wäre das ein Zeichen der Abkehr von der Revision des Commanus«, fügte Falcus hinzu. »In der Tat wäre der Dux Superior Vesus dazu hervorragend geeignet als ein Verfechter der republikanischen Philosophie von Uleman und seiner Tochter Arimad.«

Vesus stellte seinen Becher auf dem Tablett ab, allerdings zu nah am Rand. Die Dienerin hatte Mühe, das Trinkgefäß festzuhalten. Vesus stemmte die Arme an die Hüften.

»Wir Dorgonen sind kriegsmüde. Wir ziehen ab. Es war ein Fehler, die estartischen Galaxien anzugreifen. Es hat uns viel Blut und Leben gekostet und drei Kaiser verschlissen. Wir werden noch heute mit dem Truppenabzug beginnen, darauf habt ihr mein Wort.«

Danton atmete tief durch. Was war das Wort von Vesus wert?

»Ist das auch die beständige Meinung aller Dorgonen?«

»Nun«, sagte Falcus. »Vesus wird dem Forum Preconsus als Nachfolger von Volcus vorgeschlagen werden. Das Forum ist jedoch schwach, von den Ereignissen der letzten Jahre gebeutelt. Sie werden sich einem Rückzug nicht verschließen. Zumal wir sie vor vollendete Tatsachen stellen werden.«

»Einverstanden«, sagte Sam.

»Die LFT wird den Abzug überwachen. Doch eine Bitte haben wir noch. Schickt Sonden durch das Portal in M 100 nach Cartwheel. Ich möchte wissen, ob das Portal in Cartwheel noch existiert.«

Vesus nickte wohlwollend.

»Ich werde heute nach Dorgon aufbrechen. Sobald ich dort …«

Er blickte Falcus an. Dieser fühlte sich nun angesprochen.

»Nun, sobald Vesus als Kaiser vom Forum Preconsus bestätigt wird, meinte er wohl. Wir brauchen nun einen weisen und gerechten Herrscher. Vesus wird das sein.«

»Und dann werde ich eine Sonde durch das Portal schicken und euch unterrichten. Lebt Wohl, Terraner und Somer. Ich werde euch erst einmal nicht vermissen.«

Roi nickte dem designierten Kaiser zu.

»Guten Tag, die Herren«, wünschte Sruel Allok Mok.

Die beiden Dorgonen machten kehrt und gingen über den sandigen Weg zu ihrer Gefolgschaft zurück. Wenige Minuten später startete der Transporter und flog zur DOMULUS.

»Vesus ist ein mysteriöser Dorgone. Er war genauso oft unser Feind wie unser Verbündeter«, stellte Sam fest. »Hoffen wir, dass er uns nun gewogen bleibt.«

Die DOMULUS wurde immer kleiner und verschwand schließlich am Himmel. Ihr folgten die knapp hunderttausend dorgonischen Adlerraumschiffe. Sam ging zum Bürgermeister der Som-Ussadi und verkündete in ihrer Sprache, dass ihr Planet nun frei sei.

Die Bewohner des Dorfes stimmten ein freudiges Zwitschern an. Siom Som war frei. Der Krieg hatte ein Ende gefunden.

Zwischenspiel – DORGON

Der Wüstensand verwandelte sich in Schnee, und die Hitze wich einer klirrenden Kälte. Die Winde trieben eine weiße Wand auf DORGON zu, es war unmöglich, etwas in dem Gestöber zu erkennen. Er vernahm Klagerufe, glaubte hier und da etwas vorbeihuschen zu sehen.

DORGON verlangsamte die Zeit und den Wirbel um ihn herum. Gesichter des Todes starrten ihn an. Sie waren arme, verlorene Seelen, an deren unendlichem Leid und unsäglichen Qualen sich MODROR labte. Sie wurden als Willkommensgruß geschickt, um DORGON in die Knie zu zwingen. Die Furcht und der Hass, die die gepeinigten Geister begleiteten, waren schwer zu bewältigen, und DORGON spürte den Aufruhr der Konzepte, die mit dieser Angst konfrontiert wurden.

Der Kampf, der nun ausgetragen wurde, war schwer in Worte zu fassen. Die Reihen der Liebenden fielen den Berserkern des Zorns zum Opfer, und doch gab DORGON nicht nach und ließ sich nicht vom Rausch der tobenden Qualen beeinflussen, um Feuer mit Feuer zu bekämpfen.

MODRORS Opfer schrien, sie tobten, sie wüteten in Zorn und in Angst, als würden sie der Pein ihres Lebens und ihres Todes nun freien Lauf lassen. Der Schmerz dieser Geister mochte schon Hunderte, Tausende oder gar Millionen Jahre alt sein, und die Konzepte aus DORGON waren verunsichert. Die negative Energie von MODROR ließ sie ihre Schmerzen fühlen, sie in Argwohn zu seinem Bruder wechseln.

Um DORGON herum wirbelte ein Tornado der Kälte und der Grausamkeit, und jede Schneeflocke schien eine gefallene Seele zu sein, doch DORGON breitete in diesem tristen Moment seine positive Energie aus wie einen wärmenden Mantel. Er nahm mit Wärme und Hoffnung den traurigen Seelen ihre Furcht und ihren Zorn, erinnerte sie an ihr Leben, an ihre Liebe und die Dinge, die ihnen etwas bedeutet hatten. Als würde ein kreischendes Kind in einem Wutanfall alles zerschlagen und die Mutter behutsam ihre Arme um das Kind legen, welches sich dann noch mehr wehrte und kreischte, so legte DORGON seinen Mantel der positiven Energie um die Millionen Seelen aus MODRORS eisigem Tornado. Sie kämpften dagegen an, doch der Widerstand wurde geringer, und schließlich schlossen sie Frieden, verließen den kalten Moloch und wandelten hinüber in das Licht von DORGON.

DORGON sandte seine Konzepte aus, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Sie sollten jene Wesen suchen, die guten Herzens und positiver Einstellung waren.

Eine Säule aus weißem Licht schoss in den Himmel. Sie breitete sich wie ein Schirm über das Rideryon aus und wuchs. Sie sendete Liebe statt Hass aus, sie zwang zu Friedfertigkeit statt zu Krieg.

DORGON hatte den ersten Ansturm von MODROR überwunden und errichtete den Schutzwall, welcher über das Rideryon hinauswuchs und die Monde von Thol erreichte, dann den Weltraum darüber erfasste und zu einer Sphäre der Harmonie anwuchs.

Die Harmonie von DORGON war entstanden.

11. Die Reise des Linguiden

6. August 1308 NGZ, Objursha

Ich war abermals so ein Narr. Hätte ich alter Tor doch das Angebot von de la Siniestro zum Schein angenommen. Nicht um meinetwillen, doch für das arme Ding Pyla, denn ich hatte ihr Schicksal aus reiner Selbstgefälligkeit besiegelt. Was brachte mir mein Gewissen als Reue und Vorwürfe? Ich verdiente das, was nun kommen würde.

Nach einigen Stunden des Wartens glitt die Tür meiner dunklen Zelle in die Wand. Zwei in Grau gekleidete Männer standen am Eingang und zielten mit ihren Strahlern auf mich. Ich stand auf und folgte ihnen. Sie brachten mich zu einem Transporter.

Dort traf ich auch wieder auf Pyla. Sie war blass, ihr goldenes Haar war wirr zusammengebunden und die Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Sie setzte sich auf den Metallboden, zog die Beine an und wippte vor und zurück. Ich setzte mich neben sie. Was sollte ich ihr sagen? Alles würde gut werden?

Ich wusste, dass es nicht so war.

Es vergingen wieder einige Stunden, dann landete der Transporter. Ich wusste nicht, wo wir hinflogen, ahnte es jedoch.

Als sich die Luke öffnete, blendete mich die Sonne. Zuerst nahm ich den herbstlichen Duft wahr und dann einen frischen Luftzug. Sie schubsten mich hinaus, ich stolperte, fiel schreiend zu Boden und rutschte die Rampe hinunter. Pyla half mir wieder ein Stück hoch. Nun hörte ich Lachen. Ich blickte nach vorn und sah schwarze Stiefel, an denen Matsch klebte. Jemand schubste Pyla zur Seite, packte mich und zog mich hoch.

Der Ertruser blickte mich grimmig an. Doch das Lachen gehörte nicht ihm, sondern einem Mann hinter ihm, den ich sah, als der Ertruser zur Seite trat.

Ich blickte in die roten Augen des zweiten Mannes. Es war der gefürchtete Lagerkommandant Selvon da Gohd.

»Heute haben wir einen Ehrengast, meine Herrschaften. Den Herren Schriftsteller, Geschichtsrevisionisten und Verschwörungstheoretiker Jaaron Jargon.«

Da Gohd lachte herzlich, während ich vor Angst zitterte. Um mich herum standen CIP-Offiziere, meist Menschen, aber auch Dscherro und ein Pelewons als Wärter. Diese Bestie hätte mich mit einem Streich töten können. Doch wenn ich realistisch war, so hätte das jeder gekonnt. Da Gohd hätte einfach seinen Nadelstrahler aus dem Holster ziehen und abdrücken können, und ich wäre tot.

Er bemerkte Pyla und ging um sie herum. Der Arkonide musterte sie von Kopf bis Fuß.

»Du bist wunderschön. Wie ein Engel.«

Sanft berührte er ihr Kinn mit Daumen und Zeigefinger.

»Wie ist dein Name?«

»Pyla. Ich … stamme vom Rideryon.«

»Nun, hervorragend. Ich lade Sie beide zum Abendessen ein. Meine Frau zaubert einen köstlichen Schweinebraten. Sie werden mit meiner Familie und der Emperatriz speisen.«

Emperatriz? Rosan Orbanashol war auch hier? Oh, welch grausames Schicksal. Vermutlich hatten Jenmuhs und Stephanie de la Siniestro die Abwesenheit ihres Vaters genutzt, um die unliebsame, rebellische Rosan nach Objursha zu deportieren. Und welche Ironie, dass ich mir noch Sorgen um andere Lebewesen machte. Immerhin, so blieb mir noch meine Seele.

»Ach übrigens, Herr Jargon. Ihr Freund Robert Mohlburry und seine Tochter Janela werden es nicht zum Abendessen schaffen.«

Die beiden waren auch hier? Ich hatte ja gar keine Ahnung.

»Geht … geht es ihnen nicht gut, Herr Lagerkommandant?«, fragte ich devot.

Der lachte.

»Sie sind in einem Existenzstadium, in dem sie an keinem gesellschaftlichen Gelage mehr teilnehmen können.«

Da Gohd schmunzelte und kicherte dann über seinen Witz. Ich wusste, was das bedeutete. Die Mohlburrys waren tot.

Da Gohd und seine Leute stiegen in ihren Gleiter und flogen davon. Ich und einige andere Häftlinge, meist Somer und Pterus, begannen den langen Weg vom Raumhafen zum Lager. Wir gingen auf einem sandigen, steinigen Weg an kleinen idyllischen Höfen entlang, welche für das Personal vorgesehen waren.

Ich sah ausgemergelte Häftlinge, meist Jülziish, Hauris oder Kartanin mit stumpfem Fell in den Gärten arbeiten. Eigentlich war das eine Aufgabe für Roboter, doch es gab hier Lebewesen im Überfluss. Sklaven im Überfluss, die dazu bestimmt waren, ihren lemurischen Herrenmenschen bis in den Tod zu dienen. Ich sah sie vor meinem geistigen Auge als Skelette, die den Rasen mähten und das Laub rechten.

Der Tod regierte auf Objursha. Auf dieser Welt war ich einst geboren worden, da DORGON es so gewollt hatte, denn er hatte mich als Chronisten dieser Insel auserkoren. Jetzt hatte er mich an die Stätte meiner Geburt zurückgeführt.

War das hier mein Schicksal, DORGON? Wo warst du? Wieso ließest du all diese traurigen Seelen hier im Stich?

Der Weg zog sich endlos lang und ohne Pausen. Es fiel es mir immer schwerer, Schritt zu halten, da wir auch nichts zu trinken bekamen. Pyla hakte sich bei mir ein, um mir etwas Halt zu geben, denn meine Beine zitterten und das Atmen fiel mir schwer.

Endlich kamen die Wachtürme des Lagers in Sicht. Schon bald erkannte ich auch die erste große Mauer, dann erreichten wir den Todesstreifen. Rings um das Lager waren Minen ausgelegt, und Roboter patrouillierten durch die Todeszone. Die Kommandantur hatte sicher aus Cascals Flucht gelernt.

Unsanft schoben mich einige der anderen Häftlinge, wollten wohl, dass ich schneller ging. Keiner sprach mit mir. Wer wusste schon, ob sie nicht glaubten, ich sei ein Spion des Quarteriums?

Endlich erreichten wir das Haupttor. Der Hof mündete in zwei weitere Tore links und rechts. Wir wurden unsanft kontrolliert und mussten uns in Reihe aufstellen. Ein Zaliter trat an die Gruppe heran. Sein strenges Gesicht wurde von einer breiten Nase dominiert.

»Jaaron Jargon? Pyla vom Rideryon?«

Ich hob zitternd die Hand. Pyla hob die Hand und winkte. Er zeigte nach rechts. Wir gingen dort entlang. Die anderen wurden zu dem linken Tor geführt. Ein älterer Offizier kam zu mir. Er salutierte und schlug die Hacken zusammen.

»Major Fitschka, der Name. Sie sind Jaaron Jargon?«

»Ja …«, sagte ich außer Atem.

Fitschka nahm die Mütze ab. Er hatte fast eine Glatze. Ach, als ob das noch wichtig war.

»Sie sind Pyla vom Rideryon, meine Dame?«

Pyla nickte.

»Hier entlang!«

Er zeigte auf ein Rollband. Zu meiner Erleichterung musste ich nicht mehr marschieren. Es brachte uns zu einem mehrstöckigen Haus mit einem Innenhof. Türen und Fenster waren energetisch gesichert. Ein CIP-Soldat deaktivierte die Sicherung.

Fitschka deutete auf den Eingang.

»Im zweiten Stock ist Ihre Unterkunft. Wir haben einen weiteren Ehrengast, mit dem Sie beide sich das Haus teilen werden. Frische Garderobe steht bereit, Lagerkommandant da Gohd erwartet Sie um 20 Uhr zum Abendessen bei der Familie. Eine Eskorte wird Sie beide und Frau Rosan Orbanashol-Nordment de la Siniestro um exakt 19:45 Uhr abholen. Seien Sie bereit. Guten Tag!«

Fitschka schlug die Hacken zusammen, aktivierte die Haussperre und verließ das Grundstück.

»Jaaron?«

Ich drehte mich langsam um. Dabei war ich viel zu entkräftet und musste mich erst einmal hinsetzen. Rosan Orbanashol eilte herbei, stützte mich und half mir, mich in einen alten Sessel zu setzen. Sie sah gut aus, ihr rotblond gelocktes Haar schimmerte. Mit ihren roten Augen blickte die Halbterranerin mich besorgt an.

»Was ist passiert? Was ist mit den anderen?«

Während sie mir die Fragen stellte, holte sie eine Flasche Wasser und schenkte mir ein Glas voll. Dankend nahm ich die Stärkung an. Ich berichtete von den Ereignissen auf dem Rideryon und meiner misslichen Deportation.

Auch Rosan erzählte ihre Geschichte. »Nachdem mein Gatte mit euch auf dem Rideryon festsaß, dauerte es nicht lange, bis Stephanie und Niesewitz mich des Verrats und der Spionage anklagten und nach Objursha verschifften. Seitdem sitze ich hier und muss regelmäßig mit da Gohd speisen.«

Sie nahm nun auch einen Schluck Wasser.

»Er hat ein Auge auf mich geworfen, traut sich aber wohl nicht, da ich nach seinem Verständnis ja die Ehefrau des Emperadors bin und damit unantastbar. Mein Glück.«

»Ich habe das Gefühl, dass er sich auch für mich zu viel interessierte«, sagte Pyla traurig. Sie stöberte durch die Schubladen.

»Es liegen noch Sachen der Mohlburrys hier«, erklärte die Halbterranerin.

»Da Gohd erwähnte so etwas. Sind sie wirklich tot?«

Rosan nickte traurig.

»Janela wurde im Konverter entsorgt, Robert vor meinen Augen erschossen.«

Ich seufzte. Wann würde dieser Horror enden?

Ich kam langsam zur Ruhe. Vielleicht drohte ja keine unmittelbare Gefahr für uns.

»Meine Lieben, wir müssen nur durchhalten. Ich habe von deinem Gatten gehört, dass eine vereinte Flotte der Saggittonen, Alysker, Entropen, Kemeten, LFT und USO an den Toren des Sternenportals steht. Sie wollen zusammen mit dem Rideryon hindurch. Das bedeutet auch, dass dieser Krieg fortgeführt wird. Wir werden gewinnen.«

Rosan lächelte müde.

»Vermutlich, doch werden wir das auch überleben? Wenn mein toller Mann dich hierhergeschickt hat, glaube ich nicht, dass wir bei ihm um Gnade ersuchen können.«

Das sah ich anders.

»Oh doch. Er will, dass ich für das Quarterium schreibe und berichte. In meiner Arroganz habe ich abgelehnt. Ich mache das wieder gut. Wenn wir kooperieren, dann können wir auf Zeit spielen, mehr nicht.«

*

Um Punkt 19:45 Uhr meldete sich Major Fitschka mit dem obligatorischen Hackenschlag zur Begrüßung, um Rosan, Pyla und mich abzuholen. Wir wurden nicht wie Häftlinge behandelt, sondern als ob wir gern gesehene Gäste wären. Nun, ich genoss diese Abwechslung, denn sie linderte meine Angst vor einer raschen Entsorgung. Sie würden nicht mit uns speisen, wenn sie uns umbringen wollten.

Das Haus der da Gohds lag außerhalb des Lagers in einer Lichtung im Wald. Der Garten war groß und die Frau des Kommandanten schien eine passionierte Gärtnerin zu sein. Prachtvolle Blumen sprossen aus dem Boden, und ich erkannte Salat, Tomaten und anderes Obst im Schrebergarten. Einzig die Wachen an den Eingängen trübten dieses schöne Bild. Der Gleiter parkte auf dem Vorhof. Ein hochgewachsener, hagerer Hauri begrüßte uns, offenbar ein Haussklave. Er trug einen Smoking und keine Häftlingskleidung. Nun, die da Gohds waren sichtlich vornehm.

Der Hauri geleitete uns in den Salon, der vollgepackt mit Stühlen, Sofas, kleinen Beistelltischen und Schränkchen war. Die vielen Gegenstände verbesserten aber nicht das Wohngefühl. Es wirkte alles so kalt hier drin, so unnahbar.

Selvon da Gohd begrüßte uns mit einem Glas Vurguzz in der Hand. Er war nicht allein. Mir stockte der Atem. Der Minister für die Artenbestandsregulierung, Reinhard Katschmarek, und CIP-Chef Werner Niesewitz waren ebenfalls anwesend.

»Gnädige Frau«, begrüßte Niesewitz zuerst Rosan und gab ihr einen Handkuss. Auch Pyla begrüßte er galant. Katschmarek rülpste und hob seinen Humpen Bier zu Begrüßung.

Der Hauri reichte uns Getränke. Rosan wünschte sich einen dreifachen irischen Malt-Whisky. Ich begnügte mich mit arkonidischem Wein. Da Gohd bot uns Platz an, und Rosan setzte sich. Sie wirkte ähnlich besorgt wie ich. Was würde uns jetzt erwarten?

Pyla nahm auch Platz.

Stille.

»Ick hab da einen. Was macht ein Blue im Porzellanladen? Na? Na?«

Reinhard Katschmarek schaute alle erwartungsvoll an.

»Familienbesuch«, rief er und prustete los. Niesewitz und da Gohd lachten milde mit.

»Versteht ihr? Tellerkopf und Teller?«

»Ja, Reini, wir verstehen. Sind ja nicht doof, Mann«, meinte Niesewitz und blickte nun zu uns.

»So, so! Was sollen wir denn jetzt mit Ihnen dreien machen?«

Er nahm einen Schluck aus seinem Vurguzzglas.

»Wir könnten sie in den neuen Block J schicken. Ertüchtigung beim Barackenbau«, schlug da Gohd vor.

»Wieso nicht gleich in den Konverter? Zumindest den Alten. Frau Orbanashol und das Blondchen würde icke nicht von der Bettkante stoßen, nicht wahr?«

Katschmarek lachte schallend.

Niesewitz blieb gelassen.

»Sie hören, was die werten Herren vorschlagen.«

Er nahm wieder einen Schluck aus dem Glas.

»Ich bin mir nicht sicher. Rosan, Sie sind eine Feindin des Quarteriums. Ein Umstand, den Sie wohl kaum leugnen. Da nutzt auch diese schwachsinnige Hochzeit nichts. Der Emperador würde über Sie schon hinwegkommen.

Und Sie, Herr Jargon, haben jahrelang gegen das Quarterium gewettert. Sie haben das großzügige Angebot des Emperadors ausgeschlagen. Kurzum, Sie sind beide Staatsfeinde und gehören entsorgt.«

»Und was ist mit mir?«, fragte Pyla zaghaft.

Niesewitz zuckte mit den Achseln.

»Sie sind eine bedeutungslose Person. So wie ich gehört habe, die Bettgespielin von Roi Danton, Mathew Wallace, Joak Cascal, Jonathan Andrews und wem auch immer noch. Entbehrlich.«

»Keine Verwendung«, fügte da Gohd hinzu und lehnte sich tief in den Sessel. Er musterte Pyla eindringlich, als sei sie ein Zuchttier und er müsse entscheiden, ob sie auf die Schlachtbank oder in ein neues Zuchtprojekt kommen sollte.

Die Worte zeigten jedenfalls ihre Wirkung.

»Das stimmt doch gar nicht«, sagte Pyla weinerlich.

Ich blickte mich um. Sie sahen uns ernst an. Nun leerte ich das Glas Wein mit einem Zug. Rosan hingegen wirkte gelassen, ja geradezu cool. Sie lehnte sich tief in die Couch zurück und zeigte dabei viel Bein. Natürlich gingen die Blicke aller drei Männer sofort auf ihre Oberschenkel.

»Was würde mein Gatte denn sagen, wenn er erfährt, dass sie uns entsorgt haben? Er weiß vermutlich noch nicht einmal, dass ich hier bin. Aber er wird es in den nächsten Stunden sicherlich erfahren. Es wäre doch ärgerlich, wenn ihr mich entsorgt und kurz darauf der Befehl eintrudelt, mich zurück nach Paxus zu schicken?«

Niesewitz grinste.

»Punkt für Sie. Doch ich könnte mich auch zurücklehnen und die Schuld auf Stephanie schieben. Da Gohd und Katschmarek haben auch nur Befehle ausgeführt.«

»Vielleicht landen Sie auch selbst im Konverter. Wäre doch ironisch, oder?«

»Sie hoffen auf Befreiung, richtig?«

»Es ist der 6. August. Das Rideryon müsste sich bereits seit drei Tagen in Cartwheel befinden und mit der Sterneninsel auch die Flotte der Saggittonen, Alysker, Kemeten, LFT und Entropen.«

»Wo sind sie dann?«, fragte Niesewitz. »Wieso befreien sie euch nicht?«

Das war eine berechtigte Frage.

Sie mussten in starke Kampfhandlungen verwickelt sein. Oder sie hatten andere Ziele, um erst einmal in Cartwheel Fuß zu fassen.

»Der Emperador ist übrigens seit drei Tagen wieder auf Paxus. Er scheint Sie nicht zu vermissen«, erklärte Niesewitz.

Rosans überlegenes Lächeln gefror. Diese Karte konnte sie nun nicht mehr ausspielen.

Niesewitz schmunzelte und rieb sich den Bauch.

»Ich habe Hunger.«

Da Gohd nahm Haltung an.

»Selbstverständlich.«

Er geleitete uns in den Speisesaal. Seine Frau Terza hatte einen großen Schweinebraten mit Kartoffeln, Sauerkraut, frischem Gemüse und einer köstlichen Bratensauce gezaubert. Besonders Niesewitz und Katschmarek freuten sich über das Mahl, das wohl in ihrer Zeit besonders beliebt gewesen war.

Wir sprachen kaum noch über Politik. Ich berichtete Terza da Gohd, die mich neugierig über Alltagsgeschichten aus meinem Leben ausfragte. Hier und da hakte sie nach, wie es denn mit den Verbrechern gewesen sei. Ich versuchte, mich diplomatisch herauszureden.

»Wie wäre es, wenn Sie und Frau Orbanashol eine Sendung machen?«, schlug Niesewitz vor. »Sie berichten über die Erfolge des Lagers Objursha.«

»Was gibt es da zu berichten? Soll ich die vollen Energiespeicher loben?«, fragte Rosan schnippisch und leerte ihr fünftes Whiskyglas. Je mehr sie trank, desto unvorsichtiger wurde sie.

»Nun, welche Erfolge gibt es denn, über die wir berichten können?«

Niesewitz musste husten und wedelte mit der rechten Hand. Er nahm einen Schluck Bier und atmete tief durch. »Sehen Sie doch, was hier aufgebaut wurde. Auf einem unwirtlichen Planeten wurde eine große Industrie geschaffen. Die Nichtmenschen haben eine Aufgabe. Dokumentieren Sie das. Natürlich werden wir keine Livesendung machen. Die Emperatriz braucht ein Skript für ihre Dialoge.«

Rosan verdrehte die Augen.

»Meinetwegen«, sagte sie schließlich.

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Das bedeutete vielleicht unser Überleben. Wir mussten einfach auf Zeit spielen, und so signalisierte ich meine Bereitschaft mit einem Kopfnicken.

»Also gut, ich bin Chronist Cartwheels. Und ich bin bereit, das Kapitel Objursha zu schreiben. Auch wenn ich denke, dass vieles Ihrem Rotstift zum Opfer fallen wird.«

Da Gohd grinste zufrieden. Niesewitz hingegen zuckte mit den Schultern. »Erst ein strenges Lektorat macht einen Roman wirklich gut. Das wissen Sie sicher.«

Katschmarek lachte. Dann starrte er auf den Tisch.

»Wo ist der Nachschlag?«

Zwischenspiel – Nistant

Nistant spürte den vernichtenden Hass von MODROR und die überwältigende Liebe von DORGON. Die beiden Kosmotarchen bekämpften sich auf dem Rideryon und darüber hinaus. DORGON hatte eine Sphäre errichtet, die Harmonie von DORGON, und sie würde schon sehr bald jedes Lebewesen auf und über dem Rideryon beeinflussen.

Die PARICZA und die Beiboote der EL CID bombardierten immer noch unablässig die Oberfläche, unter der sich Amunrator befand. Die Schutzschirme hielten stand, und Nistant wusste, dass sie lange genug halten würden, bis sich das Blatt wendete.

Er warf einen Blick auf Anya Guuze. Sie saß im Speisesaal neben der Schaltzentrale des Sedendron, starrte aus dem Fenster und wirkte irgendwie verloren ob der Gewissheit, dass sie ihre Heimat auf Terra vorerst nicht wiedersehen würde.

Wie sehr sie doch Ajinah glich. Sie weckte die Erinnerungen an Sargomoph, die bedingungslose und unendliche Liebe zu ihr, die sich in den Gefühlen von DORGON widerspiegelten, aber auch den Schmerz und die innerlich zerfressende und brennende Einsamkeit, welche MODROR zum Ausdruck brachte. Ajinah war die einzige Blüte in der Welt aus Asche für ihn gewesen, einer Gesellschaft, in der er so fremd gewesen war, solch ein Außenseiter und Verstoßender, fern jeglicher Liebe, Zuneigung oder Geborgenheit.

Als die Blume Ajinah verwelkt war und als das Herz der Sterne aufgehört hatte zu schlagen, so waren ihm nur grenzenloser Hass und Wut geblieben, die Sargomoph in den Untergang getrieben hatten. Jene Ereignisse waren nun schon vor 260 Millionen Jahren geschehen und dennoch so frisch in seinen Erinnerungen, so lebendig, da es sein erstes Leben und so prägend für ihn gewesen war.

Das Rideryon befand sich nun am Ziel seiner Reise. Es hatte die Galaxie Chepri erreicht und auch Nistant blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Er würde mit Ajinah vereint sein und gemeinsam würden sie das Universum zu einem besseren Ort machen, ganz unabhängig vom Kampf der Bruderentitäten, der nun tobte.

12. Das Wunder von Amunrator

7. August 1308 NGZ

Ein dumpfes, beständiges Beben verriet, dass das Bombardement über Amunrator weiterhin anhielt. Die PARICZA und Verbände der EL CID entluden seit fast vier Tagen unablässig ihre Transformsalven über der Stadt im Untergrund. Doch der zehnfach gestaffelte Schutzschirm hielt stand.

Joak Cascal lehnte sich an eine Laterne, die ein blaues Licht spendete, und rauchte eine Zigarette. Er stand allein herum. Nun, nicht ganz allein, denn Buuraler, Dychoo, Miskatoor-Feen und andere Rideryonen wuselten durch die Grünstern-Gasse und beachteten ihn gar nicht. Also war er doch allein.

Wie lange würden die Energiereserven der Stadt ausreichen, um den Schutzschirm aufrecht zu erhalten? Es hieß außerdem, dass die Ylors in dem über tausende Kilometer verschachtelten Tunnelsystem lebten. Waren diese Nebeneingänge ausreichend gesichert?

»Störe ich?«

Cascal blies Rauch aus und blickte den Besucher an. Der Ritter der Tiefe wirkte würdevoll wie eh und je. Sein langes, braunes Haar war zu einem Zopf geflochten, der Kinnbart jedoch nicht ganz so gepflegt wie sonst. Auch der Elare aus der Galaxie Shagor hatte in diesen Zeiten Besseres zu tun.

»Nein«, sagte Cascal.

Gal’Arn stellte sich neben ihn und beobachtete die Bürger von Amunrator.

»Sie sind sehr gefasst«, stellte er fest.

»Ihr Vertrauen in Nistant ist sehr groß«, antwortete Gal’Arn.

»Er ist kein Heilsbringer.«

»Für die Rideryonen schon. Abgesehen davon spüre ich die Präsenz von DORGON sehr deutlich. Elyn spürt sie auch. DORGON ist seit dem Flug durch das Sternenportal auf dem Rideryon.«

Cascal warf die Zigarette auf den Boden.

»Und wie kann uns dieser Pazifist helfen? Über uns werfen kriegslüsterne Faschisten Bomben auf uns ab. Unterstützt werden sie von den brutalen und kampferprobten Söhnen des Chaos. Außerdem sind wir umgeben von blutdürstigen Vampiren, und sie alle stehen unter dem Befehl des finsteren Kosmotarchen MODROR.«

Cascal trat die Kippe mit der Fußspitze aus.

»Es wird nicht reichen, wenn DORGON seine Gitarre auspackt und ›Blowin’ in the wind‹ singt.«

Der Ritter der Tiefe schmunzelte. Vermutlich kannte er das Lied von Bob Dylan nicht, wusste aber, was Cascal meinte.

»Das Duell zwischen DORGON und MODROR wird auf geistiger Ebene bestritten«, hörte Cascal eine Frau sagen. Sie trat näher. Er erkannte Elyn. Hatten sie ihn gesucht, oder warum kamen sie in diese beschauliche Gasse?

Die Alyske mit den großen violetten Augen und dem blauschwarzen Haar schenkte ihm ein warmes Lächeln.

»DORGON wird MODROR mit Liebe konfrontieren. Der Kampf findet bereits statt. Die positive Energie, die Liebe der Konzepte, schöne Erinnerungen und Momente – all das wird MODROR zu schaffen machen.«

Cascal konnte es sich nicht so recht vorstellen. MODROR war ein abgrundtief böses Wesen. Er würde nicht seine Meinung ändern, nur weil DORGON sagte: »Hey Bro, ich hab dich lieb.«

Er konnte diesem ganzen Hippiegefasel ohnehin nichts abgewinnen. Vor vier Tagen waren seine Freunde auf der IVANHOE II gestorben, Wesen, die er über Jahrzehnte gekannt hatte. Kein Sohn des Chaos oder Anhänger von MODROR konnte das je wieder gutmachen. Die Verbrechen des Quarteriums konnten nicht gesühnt werden. Die Abermillionen Morde auf Objursha, die Millionenverluste auf den Raumschiffen und umkämpften Planeten konnte er nie vergeben und vergessen. Es gab nur einen Weg der Genugtuung, nämlich den Pfad der Rache. Die Söhne des Chaos töten, MODROR vernichten, das Quarterium zerschlagen, auf dass diese Bande niemals wieder solche Gräuel begehen konnte.

*

Ich beobachtete das Bombardement. Die ohnehin karge Landschaft um die Hangartore zum unterirdischen Raumhafen von Amunrator war völlig verwüstet. Dort gab es nur noch glühendes Gestein und Asche. Und wir kamen nicht voran.

»Gefällt Ihnen nicht, was Sie sehen, Despair?«

Ich drehte mich um und blickte in die einem Mongolen ähnelnden Züge von Leticron.

»Nein, es ist nicht von Erfolg gekrönt.«

Wir verschwendeten Zeit und Energie.

»Der Schutzschirm wird zusammenbrechen. Geduld, Despair. Dann werden wir die restlichen Vasallen Rhodans zerquetschen.«

Wir hatten vermutlich nicht die Zeit. Wieso überhaupt noch dieser Krieg? Ich würde am liebsten irgendwo an einem Strand sitzen bei einem Picknick mit meiner Freundin, die ich nie haben würde und … ich blickte mich um. Wo war Virginia eigentlich? Sie stand an einer Konsole und tippte gelangweilt auf dem Display herum. Sie sah so wunderschön dabei aus.

Woher kamen diese Sehnsüchte?

»Wenn ich doch nur früher einen Zellaktivator erhalten hätte! Ich wäre ein beständiger, guter Erster Hetran gewesen. Ich hätte so viele Leben retten können.«

Fast hörte es sich für mich so an, als würde Bedauern in Leticrons nostalgischem Anfall stecken. Er spielte auf eine Zeit an, die schon 1400 Jahre zurücklag, damals, als das Solare Imperium dank des Konzils der Sieben dem Untergang geweiht war und Leticron als Statthalter die Milchstraße regiert hatte. Ich wandte mich von ihm ab, wollte meine Ruhe haben. Das war jedoch schwer auf der PARICZA.

Es wimmelte hier nicht nur von Brückenpersonal, auch Cau Thon, Goshkan und Medvecâ befanden sich in der Zentrale. Ich ging in einen leeren Besprechungsraum, der von einem schwarzen, glänzenden Tisch dominiert wurde. Doch auch hier war ich nicht allein: Am anderen Ende, mit dem Rücken zu mir, saß eine Frau und weinte. Sie bemerkte mich und drehte sich mit dem Stuhl um.

Natalia. Tränen kullerten über ihre Wangen.

»Ob Jonathan mir vergeben kann?«

Sie meinte damit ihren Ehemann Jonathan Andrews.

»Nachdem Sie ihn betrogen und gedemütigt haben? Nachdem Sie unschuldige Existenzen brutal ausgelöscht haben?«

»Das war doch nur eine Phase. Er wird mir bestimmt vergeben. Dann gründen wir eine Familie. Ich liebe ihn noch …«

Was war denn nur los? Ich verließ den Besprechungsraum. Beinahe wäre ich in Cau Thon gerannt. Er starrte mich verwirrt an.

»Es tut mir so leid. Ich habe deine Eltern umgebracht. Ich wollte doch nur, dass du eine unglückliche Kindheit verbringst, keine Liebe und Freunde kennst, damit du ein würdiger, echt guter Sohn des Chaos wirst. Ich habe dich doch lieb, Bruder.«

Er umarmte mich. Ich wusste seit Jahren, dass Cau Thon der Mörder meiner Eltern war, hatte es verdrängt und griff instinktiv zum Knauf meines Schwertes, doch da war dieses große Gefühl der Barmherzigkeit. Ich wollte ihm vergeben. Ihm, der vermutlich im Auftrag MODRORS mein ganzes Leben zerstört hatte. Er, der mir sagte, dass er mich doch lieb hatte.

»Ist schon in Ordnung«, sagte ich schließlich.

Ich ging weiter. Immer mehr Offiziere und Soldaten wirkten, als wären sie in tiefe Depressionen gestürzt. Sie schwankten zwischen Freude und tiefer Reue.

Virginia kam zu mir und nahm meine Hand.

»Ich habe gehört, was Cau Thon gesagt hat. Das muss schrecklich für dich sein.«

»Ich wusste es bereits seit Jahren. Ihr Tod hat so einen Sinn.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Aber Cauthy, Cau Thon hat sie ermordet. Kannst du ihm das einfach so verzeihen?«

Sie blickte mich aus ihren rehbraunen Augen an.

»Ich … kann ihn nicht töten, selbst wenn ich es nun wollte. Es … ist der Einfluss von DORGON.«

Sie nickte und umarmte mich. Ihre Umarmung tat gut, und viel zu schnell löste sie sich wieder von mir, als ein Offizier laut »Corun« rief und sie in dessen Richtung blickte.

Der Feuerleitoffizier der PARICZA trat an Leticron heran. Der kleine Mann mit der runden Brille und dem Schnauzbart salutierte: »Quarteriumsfürst, ich habe das Bombardement eingestellt. Ich habe große Angst vor Ihnen, Sir, doch ich könnte Lebewesen verletzen, und das kann ich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.«

Der Mann zitterte am ganzen Körper. Er weinte und schien zugleich stolz zu sein. Leticron drehte sich um. Er packte den Offizier am Hals und drückte zu. Das Genick knackte, Leticron ließ los, leblos sank der Terraner auf den Boden. Nun wirkte der Corun bestürzt.

»Was habe ich nur getan? Wieso nur?«

Er beugte sich herab und legte seine Hand auf den Toten.

»Was macht ihr Narren denn?«, rief Goshkan und stampfte durch die Zentrale. Er schubste die Offiziere zur Seite und schnaubte wie ein wilder Stier.

Virginia stellte sich instinktiv hinter mich. Er war offenbar noch voller Hass und Zorn. Vielleicht weil er sich niemals nach Liebe und Harmonie gesehnt hatte?

»Das ist der Einfluss von DORGON«, stellte Medvecâ fest. »Der Kampf zwischen MODROR und DORGON hat begonnen. DORGON hatte sich im Sternenportal versteckt und wechselte beim Durchflug auf das Rideryon.«

Der Fürst der Ylors schmunzelte.

»Ein kluger Plan. Nun duellieren sich die Brüder. DORGON überschwemmt das Rideryon mit positiver Energie, mit Gedanken an Liebe, Freundschaft und Harmonie. Es sät Zweifel in uns, lässt uns unsere Taten bereuen.«

Medvecâ fasst sich an den Kopf. Bis auf Goshkan schien niemand dagegen immun zu sein. Alle verloren die Lust am Kämpfen. Mein Zorn war einer gewissen Gleichgültigkeit gewichen.

»Wollen wir uns einen Gleiter schnappen und an Meer fliegen?«, fragte ich Virginia. Ihre Augen glänzten und sie lächelte breit.

»Ja, das wäre wundervoll.«

Leticron stellte sich uns in den Weg. Er sah traurig aus.

»Ich muss mich bei Sandal Tolk für meine Taten entschuldigen«, sagte er. »Ich habe ihm so wehgetan.«

Goshkan brüllte. Er warf eine Konsole um.

»Kommt doch zu Sinnen! Wenn wir mit positiver Energie überflutet werden, so vielleicht auch unsere Gegner mit Zorn und Hass. Sie schlagen sich vielleicht gerade selber die Köpfe ein. Wir müssen nur warten.«

Worauf wollt ihr warten, ihr Narren?

Woher kam diese Stimme in meinem Kopf? Ich sah Verwunderung bei Virginia. Sie hatte offenbar auch diese mentale Stimme wahrgenommen.

Vielen von euch ist Leid zugefügt worden. Euch wurde Liebe verwehrt, Zuneigung verwehrt, ihr wurdet ausgeschlossen. Deshalb habt ihr diesen finsteren Pfad eingeschlagen. Doch es ist nun an der Zeit, die Waffen niederzulegen und eure Taten zu bereuen. Auf dass euch vergeben wird.

Das war DORGON! Ich spürte es ganz deutlich. Ich sah mich um. Die anderen hatten die Stimme auch gehört. Cau Thon stützte sich an einer Konsole ab. Offiziere an Bord der PARICZA fingen an zu weinen, andere hielten sich den Kopf und waren sichtlich konfus. Eine Welle der Gefühle und Emotionen brach offenbar über jeden herein.

Orlando de la Siniestro betrat die Zentrale. Er sah sich überrascht um.

»Despair, habt Ihr das auch gehört?«

»Ja«, bestätigte ich knapp.

DORGON trieb Psychospiele mit uns. Natürlich war das eine Art Suggestion, die auf uns einwirkte. Es schien aber keiner die Kraft zu haben, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Virginia packte mich am Arm.

»Lass uns doch den Ausflug zum Meer machen und gleich dortbleiben? Lassen wir den Krieg zurück. Nur wir zwei, ja?«

Das klang verführerisch, und doch musste ich mich gegen mein Verlangen wehren. Ich war Quarteriumsmarschall, und ich war ein Sohn des Chaos. Ich durfte nicht den Kopf verlieren.

Legt die Waffen nieder! Landet eure Raumschiffe an diesen Koordinaten.

Ich warf einen Blick auf die Anzeige. Dort wurden plötzlich Zahlen angezeigt. DORGON schien an alles gedacht zu haben. Wo war nur MODROR? War er besiegt? Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ein Teil von mir wollte den Worten von DORGON folgen, die Waffen strecken und einfach mit Virginia ins Blaue fahren. Wieso auch nicht? Ich empfand doch ohnehin große Zweifel an unserem Vorgehen. Orlando de la Siniestro konnte meine Augen durch mein Visier nicht sehen, aber er schien ihren Ausdruck zu erraten.

Er nickte.

»Tun wir es! Landen wir dort und schließen erneut Frieden.«

*

»Sie haben das Feuer eingestellt«, meldete Remus Scorbit aufgeregt.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sich Jonathan Andrews.

Inzwischen waren Joak Cascal, Elyn und Gal’Arn zum großen, transparenten Baum im Sedendron zurückgekehrt. Dort befanden sich das Zentrum der Stadt und die Steuereinheit des Rideryons. Der Baum bestand nicht aus Holz, sondern aus einem festen, kristallinen Stoff und Metall. Seine Äste ragten bis zur Decke. An den Seiten befanden sich Wohneinheiten, die wie Baumpilze aussahen.

Die Gruppe stand vor dem Baum. Die Rideryonen, die ihren Weg kreuzten, waren ausgesprochen fröhlich und glücklich. Kathy Scolar, Sandal Tolk, Jan Scorbit, Will Dean, Jaktar und Anya Guuze gesellten sich zu ihnen. Der Afroterraner Dean breitete die Arme aus.

»Was hat das zu bedeuten?«

»DORGON«, antwortete Gal’Arn. »Seine positive Energie überflutet das Rideryon.«

»DORGON beeinflusst offenbar auch das Handeln der bösen Jungs«, ergänzte Jonathan Andrews und stieß einen Pfiff aus.

Anya Guuze schloss die Augen. Sie wirkte entspannt. Joak blickte sie an. Er empfand viel für sie, doch sie nicht viel für ihn. Zum Glück auch nicht für Nistant.

»Diese Ruhe ist himmlisch.«

»Sie ist Harmonie«, sagte eine fremde Stimme. Joak drehte sich um. Auf dem Vorplatz stand ein alter Mann in weißer Kleidung, umgeben von einer leuchtenden Aura. Es war eine der vielen Erscheinungsformen von DORGON. Er hielt einen hölzernen Stab in der rechten Hand, sein weißes glattes Haar hing bis zum Rücken und sein Bart war ebenfalls weiß und lang. In dieser Erscheinung erinnerte DORGON an einen weisen Zauberer aus einem Buch.

Er trat näher an die Gruppe heran und lächelte.

»Ich bin stolz auf euch. Ihr habt viel erreicht in eurem Leben. Dieser entkräftende Krieg findet nun ein Ende.«

»Hast du MODROR besiegt?«, wollte Gal’Arn wissen.

DORGON lachte.

»Oh nein, noch nicht. Wir führen eine, nun ja, intensive mentale Diskussion über mehrere Dimensionen. Es ist ein Kampf ohne Schwerter und Strahler. Ohne Geschütze und Raumschiffe. Es ist eine Auseinandersetzung der Gefühle, Liebe gegen Hass. Und die Liebe scheint zu obsiegen.«

Cascal spürte es auch. Da war plötzlich Hoffnung. Das Gefühl, alles erreichen zu können. Er wollte erschaffen, er wollte lieben. Doch noch immer sagte etwas in ihm, dass das Quarterium gefährlich war und für seine Taten büßen musste.

»Wir werden nicht gegen die Feuerkraft der PARICZA und der Verbände der EL CID bestehen«, gab Gal’Arn zu bedenken. »Auch wenn eine Waffenpause herrscht, wir können sie nicht bekämpfen.«

DORGON hob seinen Stab und lachte.

»Oh, das müsst ihr auch nicht. Sie werden sich ergeben.«

Er zog den Stab an sich.

»Doch seid vorsichtig. Unser mentaler Kampf wogt hin und her. Nehmt sie gefangen, bis die Harmonie von DORGON sich etabliert hat.«

DORGON wanderte etwas weiter in Richtung des Baumes. Er blickte hinauf. Cascal erkannte Nistant auf einem Balkon. DORGON brummte etwas vor sich hin.

»Nistant kennt einen guten Platz für die Söhne des Chaos und die 75.000 quarterialen Soldaten. Beeilt euch, denn ich werde diese Aura nicht ewig aufrechterhalten können.«

*

Ein mächtiger Schatten fiel auf den heißen Sandstein. Dröhnend senkte sich der zweieinhalb Kilometer durchmessende Rumpf der PARICZA zu Boden. Ihr folgten zehn 100-Meter-Kreuzer der EL CID, dreihundert Space-Jets und knapp fünftausend Jäger.

Zwanzig Kilometer südlich des Schlachtfelds landete der gesamte Verband des Quarteriums in einem Radius von vier Kilometern. Die PARICZA befand sich im Zentrum. Die Kreuzer der EL CID landeten kreisförmig um sie herum, die Space-Jets ringförmig davor, gefolgt von den Raumjägern.

Fast 50.000 Soldaten verließen die PARICZA, und aus den zehn Kreuzern, den tausenden Jägern und hunderten Space-Jets kamen weitere 25.000 Soldaten.

Ich selbst war einer von ihnen. Virginia Mattaponi, meine treue und liebliche Ordonnanz, folgte mir auf Schritt und Tritt.

Unsere Kapitulation geschah wie in Trance. Ich sah die Offiziere der Holsteiner-Division, allen voran Oberst Henner von Herker, zusammen mit Leutnant Ash Berger und dessen Zug. Sie legten ihre Strahler auf einen Haufen und sahen sich irritiert um. Die Kunstsonne stand im Zenit. Ich sah Schweißperlen auf den Stirnen mancher Männer und Frauen.

Goshkan tobte noch immer, er schubste die Terraner umher und schien nicht zu begreifen, was hier geschah. Dann plötzlich wurde er von einem Strahl getroffen. Es war ein sanfter Schuss. Es gab keinen Austritt, sondern ein grünes Leuchten umgab den Katronen für einen Moment. Es war ein Paralysestrahl. Ungläubig dreht er sich um, wollte sich bewegen, doch ein zweiter Schuss traf ihn. Da sank Goshkan zu Boden und blieb regungslos liegen.

Leticron senkte den Strahler.

»Nun schlaf etwas, mein Bruder«, sagte er.

Der Überschwere blickte sich um.

»Soldaten, legt eure Waffen nieder. Betreten wir Amunrator in Frieden und Liebe.«

Diese Worte aus dem Mund des Coruns von Paricza klangen falsch. Hatte er jemals in seinem Leben das Wort »Liebe« benutzt? Ich war im Zwiespalt. Zweifel hatte ich mein ganzes Leben lang, und ich glaubte nicht an bedingungslose Gefühle, weder an Hass noch Liebe. Ich behielt mein Caritschwert.

Virginia sah mich verwundert an und deutete auf mein Schwert. Ich umklammerte den Knauf.

»Wir sollten erst einmal abwarten, was nun geschieht. Sei vorsichtig.«

Sie nickte. Virginia war eine Frau, die sich gut zur Wehr setzen konnte. Sie war voller Energie und Entschlossenheit und hatte eine gute Kampfausbildung genossen, doch sie war nicht gegen die Suggestion eines Kosmotarchen gefeit. Offenbar schien das niemand von uns zu sein außer Goshkan.

In der Wüste sah ich einen alten Mann mit langem weißem Haar und Bart. Ich wusste sofort, dass es sich um DORGON handelte. Wo war nur MODROR? Hatte DORGON etwa gewonnen? So einfach?

Leticron, Cau Thon und ich traten näher. Medvecâ und Natalia blieben zusammen mit den anderen Ylors im Schutz des Schattens unter der PARICZA.

Wir standen vor DORGON. Eine goldene Aura umgab den Menschen mit dem weißen Gewand.

»So«, sagte DORGON. »Ihr streckt die Waffen nieder?«

Er blickte mich an.

»Auch du, Despair!«

Ich zog mein Schwert wie in Trance und warf es in den Sand.

Das war der surreale Moment, in dem sich die Söhne des Chaos dem Kosmotarchen DORGON einfach so ergaben. Eine kleine Armee von 75.000 Soldaten des Quarteriums legte die Waffen nieder.

DORGON warf einen Blick auf die Gruppe Ylors.

»Verzieht euch in die Dunkelheit zurück. Doch vergesst nicht, dass die neue Harmonie von DORGON auch in euer Herz strahlen wird.«

Medvecâ und Natalia stiegen in einen Gleiter und schwebten davon. Die zweite Gruppe der Ylors nahm einen Transporter und folgte ihrem Fürsten. Es machte offenbar niemandem etwas aus, dass es sich dabei um Eigentum des Quarteriums handelte.

Nun wandte sich DORGON wieder an uns.

»Ihr habt viel Finsternis über das Universum gebracht. Geht in Buße nach Amunrator. Geht in Frieden nach Amunrator.«

Etwa dreihundert Meter hinter DORGON öffnete sich ein Loch im Sand. Es war ein versteckter Eingang nach Amunrator. Leticron ging entschlossen voran. Ich sah, wie ihm der Kommandant der PARICZA, Poleycra, folgte, dann Henner von Herker, Ash Berger und Krizan Bulrich. Zwei Soldaten der Holsteiner-Division trugen Goshkan auf einer Antigravscheibe.

Orlando de la Siniestro blieb neben mir stehen. Er lächelte zufrieden.

»Vielleicht wird dem Quarterium vergeben. Vielleicht erhält meine Familie hier Absolution durch DORGON.«

Virginia stand zu meiner rechten Seite.

»Du hast dein Schwert schneller abgegeben, als ich vermutet habe.«

»Du wusstest, ich würde es ablegen?«

Sie lächelte.

»Am Strand brauchen wir kein Schwert.«

»Ich fürchte, wir werden nicht viel Sonne zu Gesicht bekommen«, wandte ich ein.

Aus dem unterirdischen Aufstieg kamen Harekuul und Manjor, gefolgt von Terranern. Ich erkannte Joak Cascal und Sandal Tolk, aber auch den Ritter der Tiefe Gal’Arn. Sie waren bewaffnet. Wer konnte es ihnen denn auch verdenken?

Über uns tauchten Kugelraumer mit dem Emblem der Liga Freier Terraner auf. Es waren die 132 Raumschiffe der 777. Raumeingreifdivision. Ihr Flaggschiff, die DERINGHOUSE war mit 260 Metern Durchmesser relativ klein. Der ganze Verband bestand aus Kreuzern der INVINCIBLE II-Klasse. Wir hatten sie in der Ortung gehabt, doch diesen kleinen Verband ignoriert, denn er hätte uns beim Bombardement nicht gefährlich werden können.

Alle Kreuzer landeten, und die Soldaten stiegen aus, um unsere Bewacher zu werden.

Orlando ging ihnen entgegen, bis er vor Joak Cascal und einem Harekuul stand, den er wohl als Befehlshaber identifizierte.

»Wir ergeben uns und sind bereit, wie Gentlemen in Haft genommen zu werden, Sir! Wir hoffen dabei auf eine Behandlung als Kriegsgefangene.«

Cascal verzog das Gesicht.

»De la Siniestro, wir werden Sie wie Kriegsgefangene nach den Regeln der Liga Freier Terraner behandeln, keine Sorge. Sie werden nicht entsorgt.«

Orlando wirkte aufrichtig beleidigt.

»Ich verstehe Sie nicht, Sir?«

Cascal winkte ab. Die Harekuul und Manjor begannen, die Soldaten des Quarteriums in langen Reihen von Dreiergruppen nach unten zu bringen. Ich blieb bei Cascal stehen. Virginia hielt ebenfalls an, sah zu mir, dann nickte sie Cascal zu.

»DORGON hat uns offenbar willenlos gemacht«, bemerkte ich.

Cascal grinste und zündete sich eine Zigarette an.

»Zu eurem Glück spüren auch wir diese positive Aura. Es gibt keine Rachegelüste. Auch wenn jeder von uns einen Grund hätte, euch Söhne des Chaos zu desintegrieren.«

Cascal zeigte auf Jonathan Andrews.

»Er hätte einen Grund, Goshkan zu töten.«

Ich erinnerte mich an die Geschichten. Goshkan hatte damit geprahlt, ein Bauernmädchen ausgeweidet zu haben, in das sich Andrews verliebt hatte. Auch Gal’Arn hatte gute Gründe, den Katronen zu hassen.

»Und Sandal Tolk hat noch eine Rechnung mit Leticron offen.«

Es hätte mich nicht verwundert, wenn Tolk einen seiner Explosionspfeile auf den Pariczaner geschossen hätte. Aber vor Repressalien waren sie vorerst geschützt. Ich fragte mich nur, wie lange diese Suggestion durch DORGON anhielt. Der Kosmotarch konnte nicht unbegrenzt lang seine Beeinflussung aufrechterhalten. Er musste sich noch im Kampf mit MODROR befinden.

»In Amunrator gibt es eine ganze Ebene für Gefangene. Dort könnt ihr euch frei bewegen«, erklärte der Harekuul Tashree. »Euch wird kein Leid geschehen, sofern ihr nicht ausbrechen wollt.«

»Das gilt auch für Sie, Despair«, stellte Cascal klar und deutete in Richtung des Gefangenentrecks.

Leticron schritt an ihnen vorbei. Er blickte starr vor sich hin. Ihm folgte Goshkan auf seiner Antigravtrage. Der Katrone war noch immer paralysiert. Ich bemerkte die Wut in Gal’Arns Augen. Würde er die Gunst der Stunde nutzen? Doch nein, dazu war er zu diszipliniert. Ein Ritter der Tiefe sann nicht auf Rache.

Cau Thon ging als Nächster an ihnen vorbei, doch dann blieb er stehen. Cau Thon hatte den ganzen Ritter der Tiefe-Orden in Shagor mit Hilfe von Goshkan ausgerottet. Der Elare und der Xamouri blickten sich schweigend an.

Ich wandte mich wieder Cascal zu.

»Ich bin nicht mehr euer Feind.«

Der Terraner blies den Rauch seiner Zigarette aus.

»Für mich schon. Na los, weiter!«

Virginia und ich gingen an Cau Thon vorbei und setzten unseren Weg fort. So endete es also. Ich hatte eine große Schlacht um Amunrator erwartet, doch wir kapitulierten einfach so und gingen in die Gefangenschaft.

Zwischenspiel – MODROR

Egoismus wich Hingabe, Neid wich Wohlwollen und Gunst, Wut wich Verständnis, Angst wich Hoffnung und Hass ergab sich in Liebe. MODROR wurde schwach und spürte diese alles verzehrende Liebe von DORGON. Millionen seiner Konzepte waren bereits verloren. Sie waren schwach und konnten dem Lug und Trug von Geborgenheit nicht widerstehen.

Im Leben wie auch im Tode waren sie nichtsnutzige Versager, deren Qualen in MODRORS Hölle voller Berechtigung waren. Das Höllenfeuer hatte sie nicht lange genug gebraten.

DORGON kam näher an den Dualen Berg des Kosmos heran. Schritt für Schritt wurde die Distanz zu MODRORS Castle geringer. MODROR wagte einen zweiten Angriff und schleuderte Seelen von gepeinigten Schwachen auf DORGON. Es waren Gewaltopfer einer zivilisierten Gesellschaft. Sie waren gestorben durch häuslichen Terror, durch Kriminalität oder weil sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Sie litten noch heute unter ihrem plötzlichen Tod, da sie sich nie hatten verabschieden können. Es waren ruhelose Geister unschuldiger Wesen, deren Schmerz besonders stark und voll rastloser Energie war.

MODROR hatte so viel zu tun, denn das Rideryon war nun endlich am Ziel angekommen, doch seine Legionen waren durch die Manipulation von DORGON außer Gefecht gesetzt. Ausgerechnet seine Söhne des Chaos waren der Suggestion nicht standhaft entgegengetreten. Cau Thon, Leticron und Despair saßen in Amunrator und suchten nach Vergebung. Einzig die Ylors waren fähig gewesen, sich dem Einfluss von DORGON zu entziehen.

MODROR rief Medvecâ.

Ich brauche Nahrung und Energie. Entsende deine Krieger, zerstört Siedlungen im Grenzgebiet und schlachtet jeden Mann, jede Frau und jedes Kind dahin, damit ihre Todesqualen mich stärken.

Die Ylors zogen aus, um für Leid und Tod zu sorgen in jenen Gebieten, in denen die Sonnen des Rideryons kein Licht mehr spendeten. MODROR sog das Leid wie ein Schwarzes Loch in sich auf, um für den nächsten mentalen Kampf gegen seinen Bruder DORGON bereit zu sein.

13. Saggitton-System

8. August 1308 NGZ

Die hohen Nadelbäume vor den Toren der Hauptstadt Saggittan blühten in einem dichten Grün. Aurec hatte seit fast drei Jahren diese Wälder nicht mehr gesehen. Er genoss den Anblick vom Balkon des Regierungsgebäudes, welches auf einer Anhöhe gebaut war, mit freier Aussicht auf den Nooranwald.

Das Saggitton-System war frei. Die letzten Quarterialen hatten sich gestern nach einem kurzen und für sie aussichtslosen Kampf ergeben, denn die Übermacht von 175.000 Raumschiffen hatte sie in die Knie gezwungen. Der Planetenkommandant hatte eingeräumt, dass er bis zuletzt auf Verstärkung gehofft hatte, doch die war ausgeblieben. Vermutlich war sich die quarteriale Führung unsicher: Sollten sie ihre Verbände von wichtigen Welten abziehen oder gar vom Rideryon, um Saggittor zu halten oder hatte man die Welt der Saggittonen vorerst abgeschrieben.

Vermutlich war es aus Sicht des Quarteriums besser zu wissen, wo der Feind war. Die Alternative wären Raids gewesen. Aurec hatte mit Eorthor, Higgins und Osiris bereits darüber diskutiert: Die Flotte wäre von Sternensystem zu Sternensystem gesprungen und hätte quarteriale Ziele auf Paxus, Mankind, Bostich, Drorah-Neo oder auch Objursha angegriffen.

Doch dazu kam es nicht, zumindest vorerst. Aurec war froh, dass sein Volk nun erst einmal befreit war. Kaum war ihre Flotte im System aufgetaucht, hatte es auch schon erste Revolten der Saggittonen gegeben. Aurec war auch darüber erleichtert. Es hatte seine Befürchtung zerstreut, die Saggittonen hätten sich ideologisch mit dem Quarterium angefreundet.

Sicherlich gab es Kollaborateure, und Aurec machte sich keine Illusionen darüber, dass es in der Besatzungszeit nicht auch abtrünnige Saggittonen gegeben hatte, die sich nun treu gaben, doch er wollte in jedem Fall Lynchjustiz vermeiden. Jeder Fall musste vor Gericht gebracht und abgewogen werden.

Aurec verließ sein Privatgemach und schritt den mit glänzendem, grauschwarzem Marmor ausgelegten Fußboden des Korridors entlang zum großen Besprechungssaal. Dort erwarteten ihn bereits Admiral Higgins, der Akone Mirus Traban, Eorthor und Osiris. Higgins erhob sich. »Sir, ich …«

»DORGONS Plan zeigt Wirkung«, fiel Eorthor ihm ins Wort. Enttäuscht setzte sich Higgins wieder. Der Alyske stand auf und ging auf Aurec zu.

»Eine Strahlung geht vom Rideryon aus. Sie zwingt das Quarterium zur Untätigkeit.«

Ich verstand nicht so ganz. Das schien Osiris zu bemerken. Während Eorthor über meine Begriffsstutzigkeit schmunzelte, erklärte der Kemete: »In einem Umkreis von einem halben Lichtjahr um das Rideryon herum wurde auf jedem quarterialen Raumschiff gemeutert. Die Crew hat die Waffen niedergelegt und verweigert den Abflug aus der Zone.«

Das war erstaunlich.

»Und ihr vermutet, dass DORGON dahintersteckt?«

»Ich denke, das ist eine rhetorische Frage, Saggittone.«

Wieso musste dieser Alysker nur so arrogant sein?

»Nun denn«, fügte Eorthor hinzu und nahm wieder Platz. Er nahm ein leeres Glas. Dann winkte er einen Servoroboter herbei.

»Stilles Wasser«, sagte er leise.

Der Servo fuhr einen Schlauch aus dem Bauch und füllte die transparente Flüssigkeit in das Glas. Dann schwirrte er davon. Eorthor betrachtete das Getränk, nahm einen Schluck und stellte das Glas wieder ab.

Danach blickte er zu Aurec.

»DORGON verkündete auf Som, dass er beim Durchflug des Portals auf das Rideryon wechseln würde. Das ist ihm gelungen. Er wird nun einen mentalen Kampf in mehreren Dimensionen gegen MODROR führen, die Einzelheiten versteht ihr sowieso nicht. Jedenfalls hat meinen Messungen zufolge diese Sphäre ihren Ursprung auf dem Rideryon. Sie breitet sich aus und bewirkt Passivität und Pazifismus bei den Normalsterblichen. Sag mir, Saggittone, klingt das nach einer Waffe von MODROR?«

»Und doch haben wir keinen Beweis dafür«, warf Aurec ein.

Eorthor schwieg. Er schob das Glas mit dem Wasser von sich.

»Wir haben drei Aufgaben in den kommenden Tagen«, stellte Aurec fest.

»Erstens untersuchen wir dieses Phänomen direkt vor Ort. Zweitens festigen wir unsere Basis im Saggitton-System. Drittens beginnen wir mit der Befreiung weiterer Welten. Ganz oben stehen Drorah-Neo, Feretor von der akonischen Republik und Objursha. Je eher wir die Häftlinge aus dieser Hölle befreien, desto besser.«

Nun setzte sich auch Aurec. Er blickte seine Gesprächspartner entschlossen an.

»Wir könnten alle drei Aufgaben gleichzeitig meistern«, befand Eorthor.

Das hatte Aurec hören wollen. Der Alyske schlug vor, die Sphäre beim Rideryon zu untersuchen. Admiral Higgins meldete sich bereit, die Heimatbasis im Saggitton-System auszubauen. 60.000 Schlachtschiffe unter dem Kommando von Mirus Traban sollten die beiden akonischen Welten befreien. Weitere 10.000 Schiffe würden unter Aurecs Befehl nach Objursha fliegen. Osiris erklärte sich bereit, nach Kemet zu reisen, um die letzten Shak’Arit-Reserven zu mobilisieren.

»Es fehlt eindeutig die Frauenquote bei dieser nach Testosteron miefenden Versammlung«, hörte Aurec eine alte Frauenstimme sagen. Sie hatte nicht ganz unrecht, Adelheid hatte recht spät eine Benachrichtigung erhalten. Die alte Hexe wurde von Constance Zaryah Beccash begleitet. Aurec stand auf.

»Wichtige Dinge ließen sich nicht aufschieben.«

Er informierte die beiden Lilim über ihre Pläne.

»Constance soll mit Eorthor zum Rideryon fliegen. Sie ist als Empathin sicherlich nützlich. Ich werde Aurec begleiten. Es wird mir ein Vergnügen sein, Objursha zu befreien.«

Adelheid lachte hässlich.

Aurec machte eine angedeutete Verbeugung.

»Dann sollten wir keine Zeit mit den Vorbereitungen verlieren. Wir brechen morgen früh auf.«

Zwischenspiel – DORGON

Das kleine Mädchen lief über die toten Felder am Fuße des Berges Keshruuv und rief immer wieder den Namen Borry. Das Mädchen, es war eine Gannel, bemerkte nicht, dass die Hälfte ihres Kopfes fehlte, dass ihr der Schädel vom Strahlenschuss eines Ylors abgeschossen worden war. Sie sorgte sich nicht um sich selbst, sondern nur um Borry, ihren kleinen grünfelligen Hund. Sie weinte und schluchzte bitterlich, während sie nach ihm rief.

DORGON litt unter dem Schmerz und der neuen Welle an Qualen, die MODROR ihm entgegenwarf. Überall auf dem Rideryon wüteten die Ylors und metzelten unschuldige Wesen dahin, um MODROR neue diabolische Kraft zu gewähren. DORGONS Bruder nährte sich von der Qual, und je mehr Wesen in Agonie dahinschieden, desto stärker wurde MODROR.

DORGON vernahm das verängstigte Wimmern des kleinen Mädchens mit dem entstellten Gesicht. Sie suchte ihren Borry. Der Kosmotarch lauschte in das Chaos hinein, denn auch die Seele dieses kleinen Geschöpfes war verloren. Bald erhaschte DORGON den Vierbeiner, der verängstigt zwischen brennenden Häusern lief und nach einer Spur seines Frauchens schnupperte. Borry roch nur Asche und verbranntes Fleisch – besser gesagt, der Hund bildete sich ein, noch etwas zu riechen. Er war tot, so wie das Mädchen.

Beide hatten ihr persönliches Verhängnis noch nicht begriffen. Sie wandelten zwischen den Welten. MODROR zog an ihnen, wollte sie in den Abgrund reißen, doch DORGON hielt dagegen. Das Mädchen und ihr Hund gehörten nicht in MODRORS Hölle, sie sollten vereint über goldene Wiesen laufen. DORGON führte ihre Geister zusammen. Die Freude, die beide verspürten, erinnerten DORGON daran, wieso er all die Last seit Jahrmillionen auf sich nahm. Das Mädchen weinte vor Freude, wobei nur noch ein Auge tränte, denn das andere besaß sie nicht mehr. Ohne Vorurteile akzeptierte Borry das Aussehen seines Frauchens und schleckte ihr übers Gesicht.

Beide waren für das Jenseits gerüstet, da sie zusammen waren. Es galt, solch positive Energie zu sammeln, um die Harmonie von DORGON aufrechtzuerhalten. Sie sollte sich entfalten bis weit in Chepri hinein.

Doch du musst deinen Bruder in der Tiefe des Chaos stellen. Du wirst dich davor nicht verstecken können, raunte eine mentale Stimme. Sie gehörte dem Kosmokraten Amun.

Es war nie meine Art zu kämpfen, Kosmokrat!

Am Dualen Berg des Kosmos wird das Schicksal dieses Universums entschieden. Du kannst es nur retten, wenn du die Dualität mit deinem Bruder eingehst. Bekehre MODROR oder vernichte ihn.

Ich kann MODROR nicht vernichten.

Dann hast du die Wahl getroffen.

DORGON verstand die Bedeutung der Worte von Amun. Es war Zeit, hinab in die Tiefe des Chaos zu steigen, um MODROR zu stellen.

14. Objursha

8. August 1308 NGZ

Selvon da Gohd musterte Pyla und strich durch ihr goldenes Haar. Ihr war sichtlich unwohl dabei, und mir erging es vom Zusehen nicht anders. Wir befanden uns auf einer Aussichtsplattform. Von hier aus hatte der Lagerkommandant einen perfekten Ausblick auf die trostlosen Baracken, die finsteren schwarzen Eingänge zu den Konverterhallen und den Todesstreifen.

Selvon da Gohd hatte Rosan, Pyla und mich zu Tee und Gebäck eingeladen. Es gab einen leckeren Apfelkuchen und eine Kirschtorte. Wir saßen zusammen mit Werner Niesewitz, Major Fitschka und da Gohd auf der Plattform. Es regnete und war windig, doch Prallfelder schirmten uns vor dem unbehaglichen Wetter ab.

Im Hintergrund liefen Soldatenlieder. In einem mir unbekannten Lied sang jemand: »Flieger, grüß mir die Sonne, grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond.« Werner Niesewitz schien das Lied zu kennen, denn er wippte mit dem Fuß im Takt mit.

Das Lied wechselte. Nun ging es zu heiterer Musik ums Marschieren, wie lustig dabei der Wind durchs Haar spielt.

»Zum Marschieren! Zum Marschieren um die Welt«, grölte jemand. Ich zuckte zusammen. Reinhard Katschmarek betrat die Plattform. In den Händen hielt er je eine Flasche Vurguzz.

»Reini, es ist noch nicht 12 Uhr«, mahnte Niesewitz.

»Auf anderen Planeten schon.«

Katschmarek stellt die Flaschen auf den Tisch und stieß einen Pfiff aus, als er Rosan und Pyla sah.

»Na wenigstens gehen wir in guter Gesellschaft unter.«

Was meinte er nur damit? Ich traute mich nicht nachzufragen, doch Rosan schien nicht so viele Bedenken zu haben.

»Das heißt, das Rideryon bereitet euch Sorgen? Oder meine Freunde?«, fragte sie amüsiert und zog eine Flasche von dem grünen Getränk zu sich heran. Sie schenkte sich das Glas voll.

»Was ich so von Paxus höre, gefällt mir nicht«, sagte Katschmarek und hielt sein Glas hin. Rosan füllte es mit dem Vurguzz voll.

»Reini, halt doch mal deine Schnauze, Mann! Die drei sind Staatsfeinde und du plauderst hier munter drauflos.«

Der Minister für die Artenbestandsregulierung kippte den Vurguzz in einem Zug herunter und kommentierte das mit einem lauten und gedehnten »ahhh«. Dann lachte er.

»Was denn? Die drei werden Objursha doch sowieso nicht lebend verlassen tun.«

Alles in mir zog sich zusammen. War doch alles hoffnungslos? Ich dachte, ich könnte uns Zeit mit meinen Reportagen verschaffen. War die Lage am Sternenportal so schlimm? Vielleicht würden ja bald unsere Retter im Orbit auftauchen. Dann würde man uns nicht entsorgen. Sie brauchten Geiseln.

»Für morgen hat sich Jenmuhs angekündigt«, sagte Niesewitz. Er seufzte. »Keine Ahnung, was der Fettsack will.«

»Aber Herr Marschall-Kommandeur, immerhin ist er der Gos’Shekur.«

Niesewitz winkte ab.

»Lassen Sie mal alle fünfe gerade sein, da Gohd. Wir sind doch unter uns. Na ja, fast.«

Die Quarterialen genehmigten sich nun den Vurguzz. Ich blieb beim Tee, während Pyla mit zitternden Händen den Kaffee trank. Da Gohd betrachtete sie wieder.

»Ich weiß ja, dass diese Frau kein Mensch im eigentlichen Sinne ist. Doch sie ist schon sehr anmutig und wirkt terranisch.«

»Ich weiß nicht, wie terranisch sie ist. Ich steck da nicht drin«, kommentierte Katschmarek und lachte so prustend, dass er sich sogar auf die Schenkel klopfte. Ich verstand den Witz nicht.

Da Gohd stand auf und stellte sich hinter Pyla.

»Ist das nicht tückisch, meine Herren? Sie hat so weiches Haar. Und sie duftet lieblich. Ihre Lippen sind sinnlich, ihre Brüste üppig. Ihre Haut so weich.«

Er fuhr mit den Fingern über ihre freien Arme.

»Holde Maid, was soll ich nur mit dir anstellen, hm?«

Er setzte sich neben sie und blickte sie ganz verliebt an. Pyla schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln.

»Sie könnten uns ja freilassen. Wir würden Aurec sagen, dass sie uns gut behandelt haben.«

»Pyla hat nicht unrecht«, stellte Rosan fest. »Wenn die Schlinge sich um eure Hälse zuzieht, dann wäre es gut, wenn wir etwas Positives erzählen könnten.«

»Werte Emperatriz, Ihr wisst genauso gut wie ich, dass – sollte das Quarterium verlieren – Ihr ganz bestimmt kein gutes Wort verlieren würdet. Nein, es gilt zu kämpfen bis zum Untergang.«

Niesewitz nahm einen Bissen vom Apfelkuchen.

»Hm, sehr lecker. Übrigens, wir sind noch lange nicht am Ende. Wenn Sie es genau wissen wollen. Aurecs Pack hat sich im Saggitton-System verschanzt. Dort werden sie jetzt erst einmal die nächsten Monate ihre Basis ausbauen und von uns belagert werden. Das Rideryon verhält sich passiv und wird von uns beobachtet. Sie sehen, wir sind weit davon entfernt zu verlieren. Und Sie sind weit davon entfernt, befreit zu werden.«

Da Gohd legte seine Hand auf die von Pyla.

»Komm, wir wollen tanzen.«

»Aber, Herr Lagerkommandant. Vor Ihren Vorgesetzten doch nicht.«

»Nicht so schüchtern, Blondie.«

Beide standen auf. Da Gohd versuchte, sie mit Walzerschritten zu den Soldatenliedern zu führen. Pyla kannte die Abfolge der Schritte nicht, was den Arkoniden zu belustigen schien. Er lachte. Dann hatte er Erbarmen mit ihr.

»Komm, sieh dir die Aussicht an, Blondie.«

»Das ist … beeindruckend.«

Da Gohd war sichtlich guter Stimmung. Er zeigte Pyla die Standorte der Baracken, der Entsorgungskonverter und erklärte im Detail die Abfolge. Es schien, als würden wir überhaupt nicht existieren. War dieser Schlächter etwa in Pyla verliebt?

»Morgens komme ich gerne hierher, um den Sonnenaufgang zu sehen«, erklärte da Gohd und kicherte schelmisch.

»Das ist bestimmt sehr schön. Ich habe nur wenige Sonnenaufgänge auf anderen Planeten als dem Rideryon gesehen.«

Da Gohd zündete sich eine Zigarette an. Dann bot er Pyla eine an, und sie ließ sich darauf ein. »Wie wäre es … wie wäre es, wenn du für mich arbeitest. Als Assistentin.«

»Das ist aber lieb von Ihnen. Ich denke darüber nach«, antwortete Pyla prompt.

Was sollte sie auch sonst tun?

Da Gohd lachte. Er zog an der Zigarette.

»Eins muss ich dir lassen. Das ist die Reaktion einer echten Schlampe. Weißt du, du kleine Nutte, du machst mir erst schöne Augen, wackelst mit deinen Titten und lässt mich zappeln.«

Pyla blieb wie erstarrt an der Brüstung der Plattform stehen. Ich wechselte einen vielsagenden Blick mit Rosan.

»Meine Herren Minister und Generalkommandeur, sehen Sie sich die doch mal genauer an. Blondie, das Unschuldslamm. Aber ihre Titten platzen aus dem Oberteil und die enge Hose betont unten all ihre weiblichen Falten.«

Er wedelte mit dem Finger herum. Katschmarek hörte ihm aufmerksam zu, während Niesewitz eher gelangweilt wirkte.

»Und genau das ist ja das Perfide. Ein verführerischer Engel in Menschengestalt. Aber sie ist kein Mensch. Sie stammt vom Riff. Sie ist ein Unmensch, Untermensch, nicht lemurisch. Und beinahe wäre ich drauf reingefallen. Was sagst du dazu?«

Pyla schwieg. Sie starrte in die Ferne. Sie hatte Angst.

»Herr Lagerkommandant«, begann ich.

»Halt’s Maul, du Sau!«

Da Gohd wandte sich wieder Pyla zu.

»Ihr Frauen manipuliert die Männer doch nur. Ich habe es immer gesagt, ihr seid alles Nutten. Alles Nutten!«

»Es reicht jetzt, da Gohd«, sagte Niesewitz.

Der Arkonide lachte und hob entschuldigend die Hände.

»Verzeihen Sie mir, Herr Marschall-Kommandeur. Es ging mit mir durch. Aber Sie stimmen mir doch zu, dass diese Frau kein Mensch ist?«

»Sie ist zumindest weder terranisch noch lemurisch. Worauf wollen Sie hinaus?«

»Ich wollte nur Gewissheit, Herr Marschall-Kommandeur.«

Selvon da Gohd wandte sich wieder Pyla zu. Er lächelte und legte seine Hand auf ihren Rücken.

»Entschuldige bitte meinen kleinen Ausbruch. Das war nicht so gemeint. Du weißt nicht, was du sagen sollst, oder? Jedes Wort könnte mich ja wieder wütend machen.«

Pyla nickte.

»Es ist aber völlig belanglos, was du noch sagst.«

Er drückte sie ruckartig über die Brüstung. Pyla schrie, wollte sich festhalten, doch er packte ihre Beine und hebelte sie über das Gestänge. Ich sprang auf und rannte hin, blickte hinab und sah, wie sie schreiend fiel und mit einem dumpfen Geräusch auf dem Asphalt aufschlug. Unnatürlich verrenkt blieb sie liegen.

Pyla war tot. Rosan trat neben mich, und ich weinte. Wie konnte dieses Scheusal das nur machen? Pyla hatte ihm doch nichts getan. Nun war sie tot. Einfach so hatte da Gohd sie über das Geländer in die Tiefe geschubst. Ein Leben auf Objursha war nichts wert. Und ich begriff, dass auch wir nicht sicher waren.

Da Gohd räusperte sich.

Er strich sich durch das Haar.

»Entschuldigung für meinen Ausbruch.«

»Manchmal …«, begann Katschmarek und stieß auf. »Manchmal sind Sie mir echt unheimlich, da Gohd! Mensch, dat schöne Mädel hätte ich aber vorher nochmal richtig gepflügt, bevor ich sie von der Kante gestoßen hätte. Nun ja. Noch jemand Kuchen?«

Zwischenspiel – Nistant

Im Sedendron saß Nistant allein in dem dunklen Raum mit den Höhlenwänden und beobachtete das Verhalten der Gefangenen in der unteren Ebene von Amunrator. Friedlich und voller Neugier sahen sich die quarterialen Soldaten ihre Unterkünfte an. Die Söhne des Chaos schienen zu meditieren, bis auf Goshkan, der aufgrund seiner Aggressivität in seiner Zelle eingesperrt wurde.

Nistant schaltete sich durch die Ansichten der verschiedenen Kameras. Als er Anya Guuze erkannte, hielt er inne. Sie stand an einem Kontrollpunkt, der von Harekuul bewacht wurde. Dahinter befand sich ein Terraner, der eine graue quarteriale Uniform trug. Nistant zoomte näher heran und aktivierte die Mikrofone.

»Krizan, als ich hörte, dass du unter den Gefangenen bist, musste ich dich sehen«, sagte Anya.

Sie blickte ihn mit ihren großen, blauen Augen treuherzig an, während er verlegen wirkte. Eine Energiewand trennte die beiden voneinander, und das war gut so. Nistant wurde von Sekunde zu Sekunde unruhiger und sein Herz pochte wild. Wieso suchte Anya ihren Ex-Ehemann auf?

»Es tut mir so leid, was ich dir angetan habe. Ich erkenne jetzt, was ich für ein Trottel war«, platzte es aus Krizan Bulrich heraus. »DORGON hat mir die Augen geöffnet und gibt mir Mut und Hoffnung, die ich längst verloren hatte.«

Der Terraner fing an zu weinen und sank auf die Knie.

»Verzeih mir, Anya. Ich habe so schreckliche Dinge auf Objursha zu verantworten und doch büße ich dafür seit zwei Jahren, denn auch ich gehe seitdem durch die Hölle. Ich habe so viele Tote gesehen auf Pompeo Posar, auf Monol und auf Tefrod. Ich kann nicht mehr.«

Sie kniete nun auch nieder, streckte die Hand nach ihm aus, doch als sie die Energiesperre berührte, zuckte sie zurück.

»Ich liebe dich noch immer«, flennte Bulrich, als sei jegliche Männlichkeit aus ihm gewichen und doch schien genau dieses Verhalten das Herz der Sterne zu erweichen, denn nun kullerten auch über ihr Gesicht Tränen.

»Du hast so schreckliche Dinge getan und doch wünsche ich mir immer noch, dass wir eine Familie gründen und ein schönes Haus irgendwo haben.«

Bulrich blickte Anya ganz überrascht an, denn er hatte wohl nicht damit gerechnet. Ebenso wenig wie Nistant. Sein Herz stockte für einen Moment und zerbrach in tausend Teile. Er hatte einen neuen Widersacher in diesem terranischen Wurm.

»Das Rideryon ist gigantisch. Wir könnten durchbrennen und uns irgendwo verstecken, ein Haus bauen, Kinder kriegen. Das schaffen wir.«

Anya lächelte und schüttelte den Kopf.

»Nein, auf dem Rideryon wären wir vor ihm nicht sicher.«

»Wen meinst du?«

»Nistant! Er …«

Sie blickte sich um und vergewisserte sich, dass die Harekuul weit genug weg waren, um ihr Flüstern nicht zu hören. Sie ahnte nichts von den Kameras und Mikrofonen.

»Nistant ist regelrecht versessen auf mich. Er würde uns auf dem Rideryon finden, denn seine Obsession ist zu stark. Er glaubte, ich sei die Reinkarnation seiner längst verstorbenen Angebeteten.«

»Aber wieso will er deinen Körper ausnehmen, obwohl du noch lebst?«, fragte Bulrich.

»Häh?«

»Naja, du hast von Obsession gesprochen.«

Sie seufzte, dann lachte sie erst einmal herzhaft.

»Du Dummerchen, Obsession ist eine zwanghafte Vorstellung. Du meinst Obduktion.«

»Genau«, meinte Bulrich.

Sie lachte.

»Ich habe dich Trottel vermisst. Wir müssen nach Cartwheel. Dort sind wir sicher vor ihm.«

»Du willst ihn trotz seines Reichtums verlassen?«

»Oh ja, ich liebe ihn nicht. Er ist abstoßend, auch wenn er ein gutes Herz hat. Aber mein Herz schlägt nicht für die Sterne oder einen uralten Zombie. Es schlägt für dich …«

Nistant schaltete die Kamera aus. Er hatte genug gesehen. Seine Kehle schnürte sich zu, es war, als würde jemand sein Herz in einer Hand halten und diese zur Faust ballen. Er vernahm die mentale Stimme von MODROR.

Ich spüre deinen Schmerz und deinen Zorn. Du bist aus Fleisch und Blut und daher den Gelüsten und Trieben der Körperlichen unterworfen. Dein Körper sehnt sich nach ihrer weichen Haut, ihrem seidenen Haar, nach ihrem Duft und ihren Berührungen, ihrer säuselnden Stimme, die schöner hallt als jedes Gezwitscher eines Vogels. Und doch lehnt sie dich ab. Sie verspottet dich für einen Geringeren. Es hat sich nichts geändert. So wie Ajinah ihren Uricant vergötterte, so liebt diese Terranerin den quarterialen Soldaten, und du bist allein. Die Einsamkeit frisst dich auf.

Nistant fühlte sich schwach und ausgemergelt. Die Worte MODRORS trafen ihn ins Herz, und doch waren sie voller Weisheit gesprochen. Die Einsamkeit fraß ihn auf. Ihm wurde bewusst, dass Anya Guuze niemals Ajinah ersetzen konnte. Er brauchte das Original, doch deren Seele verweilte in DORGON. DORGON wiederum war hier und schritt unaufhaltsam in den Konflikt mit MODROR. Am Dualen Berg des Kosmos würde es sich entscheiden.

Harmonie war nur etwas für Schwächlinge.

Nistant erhob sich.

Er musste handeln.

15. Die Harmonie von DORGON

9. August 1308 NGZ

10.000 Raumschiffe der Alliierten fielen unweit des Rideryons aus dem Hyperraum. Aurec befand sich auf der SAGRITON. Als Gast war Constance Zaryah Beccash anwesend. Die Lilim mit dem braunen Haar und den irisierenden Augen saß direkt neben dem Saggittonen.

Weitere 10.000 Schiffe waren unter dem Kommando von Adelheid auf dem Weg nach Objursha. Aurec hatte spontan entschieden, sich das Rideryon und dieses Feld genauer anzusehen.

Aurec wusste, dass die schrullige Hexe für die Mission zur Befreiung von Objursha bestens geeignet war. Sie würde kein Mitleid mit dem Quarterium zeigen, und jene Schlächter auf Objursha verdienten auch keines.

Das Rideryon lag inmitten einer Sphäre, die sich immer mehr ausbreitete. Sie war inzwischen auf einen Durchmesser von sieben Billionen Kilometern angewachsen. Die 150.000 SUPREMO-Raumschiffe des Quarteriums hatten Position in acht Billionen Kilometern bezogen.

Die SAGRITON und ihre Verbände lagen noch einmal um weitere eine Billion Kilometer dahinter. Eorthor befand sich auf einem Spindelraumschiff der Flotte NESJOR. Er versorgte die SAGRITON mit neuen Daten, denn die Ortungsgeräte basierten auf Technologie der Kosmokraten.

»Spürst du etwas?«, fragte Aurec die Lilim.

»Ja. Es ist ein wohliges Gefühl. Sanft, warmherzig. Es kommt vom Rideryon.«

Auf der Hologrammkarte wurden 17.000 SUPREMOS des Quarteriums angezeigt, die sich innerhalb der Sphäre befanden. Sie sendeten Funksprüche, dass ihre Kameraden zu ihnen fliegen sollten, um frei und glücklich zu sein.

»Es handelt sich um ein siebendimensionales Feld, welches zunehmend größer wird. Die Quelle ist eindeutig das Rideryon«, bestätigte Eorthor. »Die Kommunikation mit dem Rideryon wird weiterhin einseitig blockiert.«

Rendera vermeldete die Ankunft der EL CID. Das Flaggschiff des Quarteriums nahm seinen Platz im Schutz der 150.000 Raumschiffe ein. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe ein Hyperkomfunkspruch die SAGRITON erreichte. Aurec ließ die Verbindung zustande kommen, und das Hologramm des Emperadors de la Siniestro erschien vor ihm.

»Aurec, Ihr überrascht mich. Ich dachte, ihr verkriecht euch auf Saggittor.«

»Ihr seid besorgt, de la Siniestro. Weder Ihr noch wir haben das Rideryon unter Kontrolle.«

Die Gesichtszüge des Monarchen verzogen sich zu einer Grimasse.

»In der Tat. Vielleicht sollten wir über einen Status Quo verhandeln. Behaltet das Saggitton-System, wir arrangieren uns damit.«

Aurec lächelte. Hatte de la Siniestro etwa Angst?

»Lasst umgehend die Häftlinge auf Objursha und den anderen Welten frei. Dann und nur dann können wir uns arrangieren.«

De la Siniestro lachte.

»Ich gebe euch den kleinen Finger und ihr nehmt den ganzen Arm. Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass das nicht möglich ist. Wir könnten auch mit 150.000 Raumschiffen sofort Ihre Position angreifen.«

Nein, das könnt ihr nicht. Das werdet ihr nicht.

Eine mentale Stimme. Dann wurde ein Wesen sichtbar. Es war, als sei es durchsichtig und würde im Weltraum schweben. Ja, so als würde es Millionen Kilometer groß sein und direkt aus dem Rideryon stammen.

»DORGON«, sagte Eorthor leise.

Schlagartig breitete sich die Sphäre um eine weitere Billion Kilometer aus. Die Flotte des Quarteriums zog sich hektisch zurück.

»Es ist auch für uns wichtig, Abstand zu halten, wenn wir kampffähig bleiben wollen«, riet Eorthor.

Aurec wies die SAGRITON an, auf zehn Billionen Kilometer Abstand zum Rideryon zu gehen. Sie waren nun mehr als ein Lichtjahr entfernt.

Die Harmonie von DORGON hat begonnen. Sie wird sich ausweiten und für Frieden in dieser Galaxie sorgen. Ihr könnt sie nicht bekämpfen. Jene, die ihren kriegerischen Pfad fortsetzen, sollten sie meiden. Doch jene, die in Liebe und Glück weiterexistieren wollen, sollten in diese Sphäre der reinen Harmonie reisen.

»Die Harmonie von DORGON wächst schnell«, meldete Eorthor.

Aurec atmete tief durch. Er hatte so viele Fragen und wieder einmal keine Antworten.

»Oh, frage mich ruhig.«

Plötzlich stand DORGON vor ihm. Aurec zuckte zusammen, als er den Kosmotarchen sah.

»Geht es Kathy gut? Und den anderen?«

»Sie sind wohlauf«, berichtete DORGON. »Das Quarterium hat die Waffen niedergelegt, die Söhne des Chaos haben sich ergeben.«

Das waren hervorragende Nachrichten.

»Wann kann ich Kathy sehen?«

»Niemals.«

Bitte was? Aurec verstand nicht. Was meinte DORGON mit niemals? War das wieder einer seiner seltsamen Witze?

DORGON seufzte. Es war die Art von Seufzer eines Elternteils oder Lehrers, also von jemandem, der einem Kind erklären wollte, dass es etwas nicht haben durfte und endlich Ruhe geben sollte.

»Für Äonen wird niemand mehr das Rideryon betreten oder verlassen. Das Schicksal jener dort ist ein anderes. Sie werden eine kosmische Reise in andere Dimensionen, Zeiten und Ebenen antreten, die euch verwehrt bleibt.«

Das war … Nein, das konnte er nicht akzeptieren. Das wollte er nicht akzeptieren.

»Wir haben diese Barriere schon mehrmals überwunden. Wir machen es erneut. Was soll das? Ich dachte, wir sind Verbündete.«

»Wenn ihr in die Harmonie fliegt, werdet ihr das Rideryon nicht betreten. Aurec, du musst loslassen. Je eher du dich damit abfindest, dass Kathy Scolar und all deine Freunde ein anderes Schicksal haben, desto einfacher wird es für dich sein.«

Loslassen?

Nein.

Nein!

Das war unmöglich. Kathy war auf dem Rideryon. Er liebte sie und brauchte sie.

Seine Freunde waren dort. Joak Cascal, Jonathan Andrews, Remus und Jan Scorbit, Will Dean, Gal’Arn, Elyn und Sandal Tolk. Sie konnten doch nicht einfach weg sein.

»Ich nehme einmal an, dass das auch für meinen Sohn Orlando und Cauthon Despair sowie Leticron gilt?«, wandte der Emperador ein, der immer noch über Holografie zugeschaltet war.

DORGON lachte abfällig.

»Selbstverständlich, du einfältiger Narr! Auch sie werden niemals mehr das Rideryon verlassen. Je eher ihr das versteht, desto besser. Menschen, versucht das Beste daraus zu machen. Ihr Schicksal ist nicht das eure. Sie werden einen anderen Weg gehen, auf und mit dem Rideryon.«

»Und wenn wir das nicht akzeptieren?«, wollte Aurec wissen.

»Was willst du tun, Saggittone?«

Einen Weg ins Rideryon finden! Kathy befreien!

DORGON stand nun direkt vor Aurec. Er lächelte milde.

»Es ist deine Bestimmung, Cartwheel zu beschützen. Trenne dich von deiner Geliebten nicht im Schmerz. Verabschiede dich nicht von deinen Freunden in Trauer. Blicke mit einem Lächeln zurück auf eure Erinnerungen und wünsche ihnen viel Glück.

Gewöhne dich daran, denn nur die Erinnerungen werden dir noch bleiben.

Konzentriere dich auf dein Schicksal.

Mein Konflikt mit MODROR ist noch nicht vorbei. Er wird in anderen Dimensionen, Realitäten und Zeitlinien geführt. Doch mein Bruder weicht zurück. Das Rideryon wurde durch die Harmonie von DORGON befriedet.

Die Harmonie von DORGON wird sich in Cartwheel ausbreiten. Sie wird zum Zentrum des Friedens und der Glückseligkeit werden. Kein Wesen vermag darin Böses zu tun. In meiner Harmonie wird die Liebe regieren und der Hass, den MODROR säte, wird weichen.«

DORGON löste sich auf.

Aurec fühlte sich verloren. Er wechselte einen traurigen Blick mit Constance. De la Siniestro beendete die Verbindung. Die Flotte des Quarteriums zog sich ins neun Lichtjahre entfernte Paxus zurück.

Aurec starrte vor sich hin.

Er würde Kathy Scolar niemals wiedersehen.

Aurec wandte sich an das Hologramm von Eorthor. Der Alysker musste eine Lösung kennen.

»Was tun wir jetzt, um sie zu befreien?«

»Nichts, Saggittone! Die Worte von DORGON sind wahr und unumstößlich. Das Rideryon entzieht sich uns. Es scheint sich in eine andere Dimension einzubetten.«

Wieso gab Eorthor einfach so auf?

»Deine Tochter Elyn ist ebenfalls dort. Wir müssen sie da rausholen.«

»Die Entscheidung von DORGON ist unumstößlich. Jene dort auf dem Rideryon haben nun ein anderes Leben. Sie werden andere Wesen lieben und mit ihnen leben. Wir werden ihre Freude und ihren Schmerz nicht mehr teilen können. Je eher du dich damit abfindest, desto besser für dich.«

Eorthor beendete die Verbindung. Das Spindelschiff verließ die Region des Rideryons. Aurec war völlig vor den Kopf gestoßen. Er sah zu Constance hinüber.

»Akzeptierst du das auch?«

Sie schüttelte den Kopf und kaute an ihrer Unterlippe. Die Lilim erhob sich und ging ein paar Schritte.

»Ich hatte gehofft, dass Cauthon Despair Absolution erhält. Es wäre schön zu wissen, dass es so ist. Doch irgendetwas sagt mir, dass es nicht so sein wird.« Sie wandte sich wieder Aurec zu.

»Wir müssen Geduld haben. Vielleicht werden wir es auch nicht mehr erleben, doch irgendwann wird das Rideryon sich wieder öffnen. Auch wenn wir oder unsere Freunde dann alt oder schon längst tot sind. Bis auf Despair und Elyn. Er trägt ja einen Zellaktivator und sie ist relativ unsterblich.«

Genau das wollte Aurec nicht hören. Er befahl, Kurs auf Objursha zu setzen. Still nahm er Abschied von seinen Freunden.

Und Abschied von seiner Liebe Kathy Scolar.

Er dachte traurig an die Worte DORGONS.

Gewöhne dich daran, denn nur die Erinnerungen werden dir noch bleiben.

Zwischenspiel – MODROR

Der Nebel legte sich über den verrottenden Körper, der Gestank der Fäulnis stieg beißend empor. Die Leiche zersetzte sich, wie es für physische Wesen seit jeher der Fall war. Mikroskopisch kleine Bakterien leiteten den Prozess ein, Maden tummelten sich im geöffneten Mund, und die Augen waren ein Festschmaus für die schwarzen Raben gewesen.

MODROR schwelgte in dieser Erinnerung eines Verstorbenen, während DORGON eine Aura der Liebe um ihn aufbaute. DORGON hatte das Herz des Rideryons erreicht und befand sich an einem Fuße des Dualen Berges des Kosmos. Sein Bruder zehrte an ihm und ließ ihn grübeln. Wer war der Verstorbene gewesen? Einst war er unter dem Namen Krochen von Schwarzfell bekannt gewesen. Als Händler war er ins nebelige Hügelland aufgebrochen, um ein Geschäft abzuschließen. Frohen Mutes hatte er sich von seiner Frau und seinen beiden Kindern verabschiedet und freute sich seines Auftrags. Fröhlich wanderte er die Wege entlang und betrachtete das Spektakel des Sonnenuntergangs. Der Himmel sei die Grenze, hatte er sich immer gesagt, denn dorthin würde nie ein Tholaner reisen können. Als die Nacht über das Hügelland anbrach, wurde ihm mulmig und er fürchtete sich, als ihm ein Mann in dunkler Kleidung und mit langem, nassem Haar über den Pfad lief. War es ein Wegelagerer?

Der Unbekannte entpuppte sich als gebildeter Mann und sprach in einer gehobenen Ausdrucksweise. Vielleicht konnte Krochen von Schwarzfell ja einen Handel mit ihm abschließen, denn immerhin war er – so glaubte er zumindest – ein Spitzenverkäufer. Nachdem er dem Unbekannten seine Handelswaren vorgestellt hatte, sprach der Fremde jedoch voll Argwohn, warf von Schwarzfell Habgier und Dummheit vor und mahnte zur Reue: »Oh Sohn des Seins, lege jeden Tag Rechenschaft ab, ehe dein Tod kommt. Hast du heute Rechenschaft abgelegt? Denn der Tod ereilt dich nun.«

Ehe Krochen von Schwarzfell begriff, schlitzte der Fremde ihn auf, stach ihm immer wieder in den Bauch und ließ den Händler weit vom Fußweg entfernt in der Dunkelheit sterbend zurück. Der Todeskampf dauerte eine Stunde, und bei Morgengrauen hackten die schwarzen Raben ihm die Augen aus. Niemand fand ihn abseits des Weges, doch nach zwei Wochen kehrte der Fremde zurück und betrachtete sein Opfer. Er bedauerte nicht den Tod des habgierigen Händlers, denn er hatte dessen Frau und Kinder getroffen, die schrecklicher Natur waren und von Dummheit und Oberflächlichkeit nur so strotzten. Der Unbekannte hatte Thol von ihrem bedeutungslosen Dasein erleichtert.

Der Mord an dem Händler und seiner Familie versetzte die Region in Aufruhr. Vergeblich suchten sie den Mörder. Sie konnten ihn nicht finden, denn er war längst auf einem anderen Kontinent und ihnen und ihrer Zeit weit voraus. Er würde leben, wenn die Urenkel der Ermittler schon längst zu Staub zerfallen waren. Er war der Wanderer von Thol, der Geist der Zeit, der Unsterbliche Untote, der Racheengel von Sargomoph – er war Nistant.

Die Taten von Nistant vor Jahrmillionen auf der Welt Thol waren für den Kosmotarchen MODROR ein Schub an negativer Energie, an der er sich nährte.

Einst hatte Nistant viel Blut auf der Welt Thol vergossen. Mal war es im zeitweiligen Wahn gewesen, andere Male aus Hunger und Unwissenheit und in anderen Zeiten aus eiskaltem Hass und Verachtung gegenüber Habgierigen.

MODROR rief diese Ereignisse wieder in Erinnerung:

Nistant, erinnerst du dich daran? Sicherlich tust du das. Du warst immer so voller Zorn und Hass. Sargomoph hatte das spüren müssen und auch Thol. Das Rideryon braucht jetzt diesen Hass. Ich brauche deinen Hass. Nur so wirst du Ajinah von DORGON befreien können.

DORGON startete seinen Angriff. MODROR wurde mit Schuldgefühlen und Reue überschüttet, doch er bereute nichts und antwortete DORGON mit einem Energiestoß aus Angst und Verzweiflung. DORGON konterte mit Liebe und Treue, doch MODROR stieß sie ab, ließ diese Gefühle nicht seine Konzepte infizieren.

Der Kampf in mehreren Dimensionen verfestigte sich nahe des Dualen Berges der Schöpfung und MODROR würde den Berg um jeden Preis verteidigen, doch er wurde schwächer.

Hörst du, Nistant? Ich brauche deinen Hass!

16. Der Fall von Amunrator

Die Pracht von Amunrator entzog sich mir, denn ich saß in einer kalten Höhle. Das braune Gestein war feucht. Meine Zelle war karg und spärlich eingerichtet. Ein unbequemes, viel zu kleines Bett, ein Tisch und ein Stuhl sowie Sanitäreinrichtungen. Ich fühlte mich buchstäblich wie ein Höhlenmensch, obgleich diese sicherlich zu ihrer Zeit mit weitaus weniger auskommen mussten.

Die Zelle war nicht verschlossen. Nistant hatte uns eine ganze Etage überlassen. Die Ein- und Ausgänge nach oben waren durch Energieschirme geschützt und von hunderten Harekuul bewacht. Nach unten wollten wir nicht. Wohin auch? Keiner von uns kannte sich in Amunrator und der Unterwelt des Rideryons aus.

Und es kümmerte auch keinen. Alle Gefangenen waren mit sich selbst beschäftigt. Sie grämten sich ihrer Taten, beteten hoffnungsvoll zu DORGON und flehten um Vergebung. Andere waren schneller mit sich ins Reine gekommen und feierten. Denn es gab genug Nahrung und Getränke hier. Sie feierten das Ende des Krieges, das Ende der Tyrannei durch das Quarterium und ihre seelische Befreiung vom quarterialen Joch.

Wie zynisch und heuchlerisch. Es mochte sein, dass sich desillusionierte und gebrochene Männer dem Quarterium angeschlossen hatten und zahlreiche wurden auch zum Wehrdienst gezwungen, jedoch gab es auch ebenso viele, die sich aus freien Stücken unserer Ideologie verpflichtet hatten.

Elende Opportunisten!

Sie waren alle der Suggestion durch DORGON verfallen. In seiner Selbstherrlichkeit hatte der Kosmotarch diese Beeinflussung »Harmonie von DORGON« genannt.

Selbst die Söhne des Chaos waren handlungsunfähig. Ich stand auf und verließ meine Zelle oder mein Quartier – wie immer man es nennen wollte. Ich warf einen Blick in das Quartier neben meinem und sah Virginia schlafen.

Es gab nur einen Raum, der verschlossen war: die Höhle von Goshkan. Der Katrone war inzwischen aus seiner Paralyse erwacht und wanderte wie ein Tiger auf und ab. Goshkan war von beeindruckender Gestalt und wirkte, als sei er der Phantasie eines mittelalterlichen Künstlers entsprungen. Hufe, ein Ziegenschwanz, dann der mächtige, kräftige Torso. Der Kopf mit drei Augen und Hörnern wurde von dem langen Rüssel dominiert.

»Bruder, befreie mich«, rief Goshkan eindringlich. Ich schüttelte den Kopf.

»Das kann ich nicht. Die Suggestion von DORGON zwingt mich zu Passivität.«

»Ihr mit euren weichen Herzen«, knurrte Goshkan.

Dann ging ich weiter, denn es gab nichts, was ich Goshkan hätte sagen können. Ohnehin hatten wir nie viel miteinander gesprochen. In Goshkans Welt war es immer nur ums Töten und den Kampf gegangen.

Ich ging an der Höhle von Leticron vorbei. Der Corun lag auf dem Boden und starrte an die Wand. In dem nächsten Felsraum befand sich Cau Thon. Der erste Sohn des Chaos saß im Schneidersitz auf dem Fußboden und meditierte.

»Cauthon, warte«, flüsterte Cau Thon, während ich vorbeischritt.

»Was willst du, Mörder meiner Eltern?«

»Du kennst diese Tatsache seit einer Dekade, woher kommt der plötzliche Groll? Ich hatte den Auftrag von Rodrom und MODROR erhalten, denn du warst ein auserwähltes Kind. Wie du weißt, vermischte ich im Mutterleib deine DNA mit der eines Sargomophen, und du solltest nie in Liebe und Geborgenheit aufwachsen. Deshalb musste ich dafür sorgen, dass du allein nach Camelot kommen würdest. Es war mein Auftrag – und außerdem sehr einfach –, die geistesschwachen Freunde deiner Eltern zu manipulieren.«

Cau Thons Gesicht verzog sich zu einem nachsichtigen Lächeln.

»Und sieh, was aus dir geworden ist. Du bist ein mächtiger Krieger. So voller Kraft und Tatendrang! Hätten deine Eltern überlebt, wäre dein Leben voller Mittelmaß gewesen. Du wärst unbedeutend.«

»Und glücklich.«

»Ja, ja, das Glück. Manch einer ist glücklich über gutes Essen. Andere über guten Wein. Ein dritter, wenn er es treiben kann. Andere sind glücklich, wenn sie auf der Couch liegen und Trivid sehen. Was wäre dir am liebsten?«

Der Zwang der Harmonie verhinderte, dass ich ihn angriff, und ich verstand auch nicht, woher der plötzliche Drang kam, den Tod meiner Eltern zu rächen. Nach den Ereignissen auf Dorgon vor vielen Jahren hatte MODROR mir die Wahrheit offenbart, und damals hatte ich es akzeptiert.

Einige Schritte weiter erreichte ich einen großen Raum. Dort saßen etwa dreißig Soldaten des Quarteriums. Sie spielten Karten, redeten miteinander und wirkten sehr ausgelassen und fröhlich. Unter ihnen befanden sich auch Henner von Herker, Ash Berger und ihre Einheit. Orlando de la Siniestro saß allein und abseits von ihnen. Ich fühlte mit ihm und überlegte, ob ich nicht Virginia wecken sollte für einen gemeinsamen Spaziergang durch diese Ebene. Ich entschied mich dagegen, als ich einen großen Platz erreichte, in dessen Mitte sich eine große Säule befand.

Die Säule ragte bis zur Decke und war mit dieser verbunden. Es gab keinen Eingang, keine Gravuren, nichts. Ich fuhr mit der Hand über die glatte Oberfläche.

Plötzlich bewegte sich etwas in der Säule. Linien bildeten sich und formten einen Eingang, der zur Seite glitt und einen Durchgang entstehen ließ. Ohne zu zögern ging ich hindurch und befand mich in einem Raum mit etwa vier Metern Durchmesser. Eine primitive Leiter führte nach oben. Ich nahm die Einladung an und kletterte hoch. Unvermittelt löste sich unter mir der Boden auf und führte in eine dunkle Tiefe.

Ich wollte weitersteigen, doch ich griff ins Leere. Wo war die nächste Sprosse? Die Leiter löste sich auf, und ich stürzte in den Abgrund. Mein Magen wurde flau, mein Herz raste. War das das Ende?

Dann schien auch ich mich aufzulösen und materialisierte wenige Momente später wieder, um unsanft auf dem sandigen Boden zu landen.

Wo war ich?

Ich saß auf einer Art Sandbank. Es war Nacht und die Sterne funkelten am Himmel. Ich stand auf. Der Sandstreifen musste etwa zehn Meter breit sein und war zu beiden Seiten von Wasser umspielt, in dem sich die Sterne spiegelten. Ich schritt näher ans Wasser. Nein, die mir bekannten Sterne spiegelten sich nicht darin. Das waren andere Konstellationen. Es sah aus, als seien die Welten und Sonnen unter dem Wasser.

Über mir bot sich ein unglaubliches Schauspiel: Dort zogen Planeten mit Ringen und solche mit tiefen, türkisfarbenen Meeren, Gasriesen und Eiswelten vorbei. Rote, gelbe, blaue und weiße Sonnen flogen ihre Bahnen. Blitze zuckten zwischen ihnen hin und her, bunte Energiebande hingen wie Fäden dazwischen. Ich blickte hinab auf das Meer. Auch dort waren Planeten und Sonnen aller Art zu sehen.

Der Strand schien sich viele Kilometer weit zu erstrecken. An seinem Ende ragte ein kegelförmiger Berg in die Höhe, dessen dunkelgraues Gestein von roten und grünen Linien durchzogen wurde.

Ich wanderte weiter. Der Strandabschnitt brach plötzlich vorn und hinten auseinander und tauchte ins Meer. Ich wurde von einer unsichtbaren Kuppel geschützt. Es kam mir so vor, als würde sich alles einmal drehen, und ich sah die Unterseite des Berges, welche eine Kopie der Oberseite zu sein schien. Das Wasser verschwand, und ich schwebte auf dem Rest der kleinen Insel zwischen Planeten, Sonnen und Asteroiden.

Nun übersah ich das volle Ausmaß dieses Doppelberges. Unter- und Oberseite glichen einander, wirkten wie Zwillinge und hatten doch kleine, aber feine Unterschiede. Während die Oberseite von roten und grünen Linien durchzogen wurde, waren es auf der Unterseite gelbe und hellblaue Linien.

Blitze zuckten überall durch die Dunkelheit. Hier und da öffneten sich grüne Löcher und verschwanden dann wieder in der Finsternis. War ich im Weltraum?

Innenillustration: Dualer Berg des Kosmos von Stefan Wepil
Dualer Berg des Kosmos © Stefan Wepil

»Du bist im Herzen des Rideryons«, sagte jemand. Ich drehte mich um. Da stand Nistant. Das uralte Wesen, das an einen Zombie erinnerte, trug seine schwarze Kombination, die zu seiner Erscheinung passte. Er wirkte wie ein edler Prinz aus ferner Vergangenheit, der aus dem Grabe auferstanden war.

Nistant zeigte auf den Berg.

»Das ist der Duale Berg des Kosmos. Er hat eine schöpferische und eine zerstörerische Seite: einen Berg der Schöpfung und einen Neganen Berg. An jeder Spitze werden drei Ultimate Fragen gestellt und empfangen.«

Das bedeutete, hier gab es sechs Ultimate Fragen zu beantworten. Waren drei davon jene, die auch Perry Rhodan gestellt bekommen hatte und von denen er zwei hatte beantworten können?

Der Strandstreifen bewegte sich. Wir zogen am Dualen Berg des Kosmos vorbei, passierten einen Kometen, einen weißen Stern und eine orangefarbene Gaswelt. In der Ferne sah ich ein Schwarzes Loch, welches Planeten und Sonnen an sich zog. Daneben schwebte eine Insel, offenbar noch nicht im Gravitationssog des Black Hole gefangen. Darauf stand eine Festung.

»MODRORS Castle«, sagte ich leise.

Ein rundes Portal flammte daneben auf. Ein Raumschiff flog hindurch und verschwand. Das musste das Sternenportal sein, durch das uns Cau Thon und Goshkan auf der KARAN gebracht hatten und durch das ich einst selbst geflogen war. Doch damals hatte es keinen Dualen Berg des Kosmos gegeben – oder er war nicht in Sichtweite gewesen. Ich begriff nun endlich.

»Das Rideryon ist das Versteck und der Anker von MODROR«, stellte ich laut fest.

MODRORS Castle reiste durch das Zentrum des Rideryons, das immerhin vierzig Millionen Kilometer lang war. Die Größe dieses Berges vermochte ich nicht einzuschätzen.

Ich fühlte den Zorn. Ich spürte den Hass und das brennende Lodern der Wut in mir. Der Einfluss der Harmonie von DORGON war verschwunden.

»Licht und Finsternis begegnen einander an diesem Ort«, erklärte Nistant. »Am Dualen Berg des Kosmos findet der Kampf zwischen den Brüdern statt. Den Sternenbastarden, wie sie von den Hohen Mächten bezeichnet werden, weil sie nicht aus dem Zwiebelschalenmodel entsprangen. DORGON und MODROR ringen miteinander.«

Der Strandstreifen kehrte mit uns darauf zurück zum Doppelberg. Meine Knie wurden weich. Ich fühlte Liebe und Geborgenheit. Sie war so stark, dass ich am liebsten zurück zu Virginia wollte, um mich neben sie zu legen und sie in den Arm zu nehmen. Doch dann schreckte ich zusammen. Ich fühlte Hass und Unsicherheit. Argwohn und Neid. Angst und Wut.

Ich fühlte Hass.

Ich fühlte meinen Hass!

»Der Einfluss der Harmonie schwindet«, sagte Nistant. »Er dehnt sich zwar ins Außen aus und wird bald die Welt Paxus umspannen. Doch das Rideryon wird von ihm befreit werden. Hier regiert MODROR.«

Mir fehlte das nötige Verständnis dafür. Offenbar bemerkte Nistant das.

»Die Kosmotarchen sind eine Dualität eingegangen. Wie der Duale Berg des Kosmos, so stehen DORGON und MODROR für Ordnung und Chaos. Doch diesmal als Einheit.«

Er hielt inne und verzog das Gesicht zu einem Lächeln, was bei ihm sehr unheimlich aussah.

»Eure terranische Mythologie spricht von Himmel und Hölle. Wende den Blick gen Himmel, so findest du das Reich von DORGON und seine Harmonie, doch je tiefer du schaust, desto näher kommst du dem Reich von MODROR.

»Himmel und Hölle«, wiederholte ich.

»Das liegt im Auge des Betrachters.«

Nistant blickte nach oben, und eine Röhre bildete sich aus dem Himmel. Sie wurde länger und länger, bis sie Fuß auf dem Grund unserer kleinen Insel fasste. Es war jene Säule aus meiner Ebene auf Amunrator. Sie musste eine Verbindung nach oben sein.

»Es sind mehr als 300.000 Kilometer nach oben«, stellte Nistant fest. »Wir sollten den Transmitter nehmen.«

Ich erinnerte mich, dass die Ortung nicht weiter als 183.000 Kilometer in die Tiefe des Rideryons vordringen konnte. Jetzt wusste ich, wieso. Hier befand sich wahrlich ein Mikrokosmos, und MODROR existierte in dieser Welt. Das Rideryon war mobil, weshalb es offenbar immer schwer gewesen war, MODROR zu finden und zu bekämpfen.

»Wo ist MODROR nun?«

Nistant zeigte auf den Dualen Berg des Kosmos.

»Er bekämpft DORGON.«

Eine Öffnung bildete sich in der Säule.

»Weshalb hast du mir das gezeigt?«

Nistant ging zur Öffnung, blieb dann stehen und drehte sich um.

»Weil es dein Schicksal ist.«

Dann ging er durch die Öffnung und verschwand. Ich zögerte kurz, sah mich noch einmal in dieser unwirklichen Welt um. Dann schritt ich auch hindurch.

*

Ich befand mich wieder auf dem großen Platz in Amunrator. Nistant war nicht mehr da. Stattdessen blickte ich in das rothäutige Gesicht von Cau Thon, und zu meiner Überraschung hielt er seinen Caritstab in der Hand. Neben ihm stand Goshkan, der mir mein Schwert aus dem Ultimaten Stoff Carit entgegenstreckte. Ich nahm es und fühlte, dass die Beeinflussung durch DORGON endgültig vorbei war.

Ich sah mich um. Die Quarterialen Soldaten sammelten sich und waren auch bewaffnet.

»Woher habt ihr die Waffen?«

»Sie wurden uns wiedergegeben«, hörte ich Leticron sagen. Er stand hinter mir und wirkte entschlossen. Dann hob er den Arm und zeigte nach links. Dort standen Medvecâ, Natalia und vielleicht einhundert Ylors.

Der Fürst der Ylors kam gemessenen Schrittes näher und blieb drei Meter vor mir stehen.

»Es hätte Monate gedauert, den Schutzschirm zu durchbrechen. Doch nun seid ihr aus freien Stücken nach Amunrator gebracht worden.«

»Aber wie seid ihr hierhergekommen?«, wollte ich wissen und steckte mein Schwert in die Scheide an meinem Gürtel.

»Es war nicht vorauszusehen, dass wir einen Helfer in Amunrator haben, dessen Macht uns unterstützen würde. An Amunrator grenzen unzählige Tunnel, die ins Reich der Ylors führen. In einem wurde der Schutzschirm deaktiviert. Es scheint, als hätte jemand all das geplant und koordiniert.«

»Doch zu welchem Zweck?«

»Um die Feinde auf dem Rideryon zu vernichten und DORGON in die Dualität der Kosmotarchen zu zwingen.«

Die dunkle, sonore Stimme war mir unbekannt. Ein Raunen ging durch die quarterialen Soldaten. Etwa zwanzig Meter von uns entfernt stand ein alter Mann mit weißem Bart und rotgoldener Krone. Er trug ein weiß-goldenes Gewand.

»Das ist der Kosmokrat Amun«, sagte Medvecâ. »Jener, nach dem diese Stadt benannt wurde.«

»Dieses kalte Loch verdient es nicht, meinen Namen zu tragen«, tadelte Amun und kam näher.

»DORGON glaubt, es sei sein Plan gewesen, unbemerkt auf das Rideryon zu gelangen. Doch ich war es, der all das arrangierte. Der Konflikt der beiden Sternenbastarde muss endlich beendet werden. Gemeinsam werden sie die Reformation des Universums einleiten.«

Das bedeutete, dass Amun im Grunde genommen ein Unterstützer von MODROR war? Oder sah er in beiden Kosmotarchen seine Geschöpfe und wollte den Plan vollenden, der vor 190 Millionen Jahren fehlgeschlagen war? Das musste es sein. Wir waren ein Trojanisches Pferd, um Nistant, die Terraner und ihre Verbündeten zu besiegen oder – um es mit Amuns Worten zu sagen – zu vernichten!

Ich sah zu Virginia, die mich traurig anblickte, denn sie wusste, dass wir nun erneut in den Krieg ziehen würden. Ich wollte das doch auch nicht mehr. Die Harmonie von DORGON hatte etwas Gutes an sich, wenn sie Frieden brachte und die Waffen schweigen ließ. Das hatten wir mehr als nur dringend nötig.

»Die Zugänge zu den oberen Ebenen sind frei. Nehmt Nistant gefangen und tötet den Rest«, sagte Amun kalt und wandte sich an mich. »Bring Nistant zum Dualen Berg des Kosmos. Dort findet ihr euer beider Bestimmung.«

Amun löste sich auf.

»Wie konnte ich nur so dumm sein, sach ich!«

Natalia schien immer noch von Zweifeln geplagt zu werden.

Sie blickte zu mir.

»Ich werde Jonathan nicht um Vergebung bitten. Er wird mir sein Herz schenken. Ich reiße es ihm aus der Brust und stelle es mir in eine Vitrine.«

Sie ballte die Hände zu Fäusten und grinste.

Nun, sie war wieder die Alte.

Ich blickte auf die Reihen des Quarteriums. Die Soldaten standen stramm. Allen voran die Holsteiner-Division. Ich vermochte nicht, den Befehl zu geben, und wandte mich an Orlando de la Siniestro. Der Sohn des Emperadors schwieg. Doch Leticron war nicht still.

»Soldaten des Quarteriums. Heute erobern wir das Rideryon und zerstören unsere Feinde.«

Er hob seinen Arm und zeigte nach oben.

»In die Schlacht!«

*

Wir überraschten sowohl die Harekuul und Manjor als auch die Truppen der IVANHOE II und der 777. Raumeingreifdivision völlig. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich das Viertel in ein Schlachtfeld. Granaten flogen und detonierten, Energiesalven prasselten auf Feinde und Häuser nieder. Die ersten Gebäude standen schnell in Flammen. Überall blitzte es, ob getroffener Schutzschirme oder explodierender Häuser. Die ersten Leiber wurden zerfetzt, Körperteile flogen durch die Gegend. Schreie erfüllten die rauchige Luft.

Ich versuchte, den Kampfhandlungen aus dem Wege zu gehen, doch da stand ein Harekuul vor mir. Der Zentaur hatte einen Energiespeer in der Hand und galoppierte auf mich zu. Ich wich aus und schlug ihm zwei Beine ab. Er kippte nach vorn, dann rammte ich mein Schwert in seinen Kopf.

Vor mir lag der transparente Raum. Dort befand sich die Schaltzentrale des Rideryons, und dort würde ich Nistant finden. Ich bahnte mir meinen Weg. Drei Soldaten der LFT feuerten auf mich. Ich suchte Schutz hinter einer Hauswand. Medvecâ und Natalia flogen über mir. Sie packten zwei Soldaten, rissen sie nach oben, bis fast zur Krone des Baumes, und ließen sie dann in den Tod stürzen. Der dritte Soldat starrte entsetzt nach oben. Ich nutzte die Chance, rannte zu ihm und durchbohrte ihn mit dem Schwert.

Unweit von mir kämpften Goshkan und Cau Thon gegen Gal’Arn und Elyn. Leticron befehligte einen Zug Soldaten der Holsteiner-Garde, die eine Stellung der LFT unter Beschuss nahmen. Ich glaubte, dort Joak Cascal und Sandal Tolk zu erkennen.

Der äußere Lift wurde von einer Rakete getroffen und stürzte in die Tiefe. Medvecâ und Natalia landeten bei mir. Der Ylors schmunzelte.

»Bereit für einen kleinen Flug?«

»Ich habe wohl keine andere Wahl.«

Natalia legte ihre Arme um meine Brust. Sie legte ihren Kopf über meine Schulter.

»Wie gefällt dir das, Süßer?«

Dann flog sie los und zog mich mit. Es war ein durchaus berauschendes Gefühl zu fliegen. Natürlich hätte ich mir auch ein Jet-Pack eines Soldaten besorgen können, doch so ging es schneller. Medvecâ stieß durch eine Glasfront, Natalia und ich folgten. Sie landete sanft und ließ mich los. Dabei zwinkerte sie mir zu und fuhr sich mit ihrer Zunge über die Lippen.

»Ob Jonathan hier ist?«, fragte sie sich laut. »Dann könnte ich sein Herz ablecken, sach ich.«

Ehe ich antworten konnte, stürmten zwei Harekuul uns entgegen. Doch sie wurden niedergeschossen. Quarteriale Soldaten mit Jet-Packs gaben uns Deckung. Aus einem anderen Raum stürmten Buuraler, Gannel und Manjor.

Ich betrat den nächsten Raum. Die Wände sahen aus wie aus einer Höhle. Ich folgte dem Verlauf eines Korridors und erreichte einen größeren Raum. Dort fand ich Nistant, der nicht allein war: Anya Guuze, Kathy Scolar und der Soldat Krizan Bulrich befanden sich dort. Ich gab den anderen ein Zeichen, sich abwartend zu verhalten. Anya und Bulrich standen zusammen und hielten Händchen. Nistant sah meine Truppe und mich und hob die Hand.

»Haltet mit eurem Anliegen vorerst ein, bis ich mich um diese zwei gekümmert habe.«

Ich warf einen Blick aus dem großen Fenster, wo vereinzelt Soldaten mit Gravo-Jets auf dem Rücken vorbeihuschten. Da ich von meiner Position aus kein gutes Sichtfeld hatte, ging ich zum Fenster und blickte auf die Schlacht hinab.

»Ihr wolltet also aus Amunrator fliehen?«, fragte Nistant und blickte Anya und Bulrich an. »Wie romantisch, die Liebenden haben sich wiedergefunden. Wie heuchlerisch, dass du ihm seine Morde auf Objursha und während der Feldzüge vergibst.«

»Lasst sie in Frieden, Nistant. Wenn es Anyas Wunsch ist, könnt Ihr Euch nicht dagegenstellen, auch wenn ihre Wahl sehr unglücklich ist und wir beide wissen, was für ein Penner dieser Typ ist«, wandte Kathy Scolar ein.

Nistant schritt auf die beiden zu.

»Sagt mir, Despair, was steht auf Desertieren in der quarterialen Flotte?«

»Der Tod.«

»Ich schenkte dir mein Herz und meine Liebe«, sagte Nistant an Anya gewandt. »Ich wäre bereit gewesen, dir ein ganzes Universum zu Füßen zu legen, doch du hast diese Ausgeburt mir vorgezogen.«

Nistant verzog das Gesicht. Ich konnte seinen Zorn förmlich spüren, hatte ich das doch auch mehr als einmal durchmachen müssen.

»Mir! Einem Titanen des Kosmos!«

Er schrie die letzten Worte.

»Mein Herz gehört nun einmal Krizan, daran kann ich nichts ändern. Lass uns bitte gehen. Du wirst dein Herz der Sterne irgendwann finden, doch ich bin es nicht.«

»Dann schenken wir ihm dein Herz.«

Nistant packte Anya am Arm und zog sie zu sich. Rippen brachen knackend, als sich Flügel aus Nistants Rücken formten. Auch das Gesicht veränderte sich, und Krallen wuchsen aus den Fingern. Nistant verwandelte sich in Cul’Arc, seine Inkarnation, die einer wandelnden Fledermaus ähnelte und durchaus an Ylors erinnerte. Anya schrie. Kathy legte ihre Hand auf Nistants Arm, während Bulrich wie angewurzelt stehen blieb, aber nichts tat.

»Ich beschwöre Euch, Nistant. Ihr werdet das bereuen«, sagte Kathy eindringlich. Cul’Arc stieß Kathy von sich. Nun schnellte Natalia auf ihre ehemalige beste Freundin zu und drückte sie gegen die Wand. Ich atmete tief durch und ahnte, was nun kommen würde.

Nistant hob Anya mit der rechten Hand in die Höhe. Mit der linken Pranke riss er ihr Oberteil auf und entblößte ihre Brüste. Sie zappelte und war kaum in der Lage zu schreien, denn nur erstickte Laute kamen aus ihrer Kehle, die in Nistants rechter Hand lag. Die Klaue drückte erbarmungslos wie ein Schraubstock zu.

Wer war ich, um einzugreifen? Ich kannte Nistants Schmerz, die Hoffnungslosigkeit und die brennende Einsamkeit, die Tag und Nacht an der Seele zehrt. Und doch war Anya ein guter Mensch, die mir oft gute Ratschläge gegeben hatte. Ich trat näher, doch Medvecâ stellte sich mir in den Weg und schüttelte den Kopf.

»Nistant«, rief ich. »Ist das notwendig? Kathy Scolar hat recht, du wirst diese Tat bereuen. Sieh sie dir an. Kannst du das tun?«

Nistant starrte sie aus seinen gelben Cul’Arc-Augen an. Seine linke Klaue fuhr über ihre linke Brust.

»So zart und weich«, flüsterte er. »So lebendig pulsiert dein Herz und so destruktiv zerschlägt es das meine.«

Dann bohrte er seine Krallen in ihre Brust und sie schrie auf. Anya zitterte und röchelte, als sich die Hand tiefer und tiefer in ihr Fleisch bohrte. Das Knacken verriet das Zerbrechen von Rippen, und Blut schwappte aus der Wunde. Die erstickten Schreie gingen bis ins Mark, Blut floss aus ihrem Mund und dann riss Cul’Arc ihr das Herz aus der Brust. Langsam verwandelte er sich in Nistant zurück, hielt Anya noch immer mit dem rechten Arm in die Höhe und mit dem linken ihr blutendes Herz.

Dann sah er zu Bulrich und warf ihm das Organ vor die Füße.

»Es kommt von Herzen …«

Nistant betrachtete Anya, die ihn mit offenen, toten Augen anstarrte. Behutsam ließ er sie los und legte ihre Leiche auf den Boden.

Krizan Bulrich war wie erstarrt und weinte bitterlich. Nistant atmete tief durch, trat auf ihn zu und sagte: »Oh Sohn des Seins, lege jeden Tag Rechenschaft ab, als sei dein letzter Tag angebrochen. Lege nun Rechenschaft ab vor mir, denn heute ist der Tag deines Todes.«

Nistant packte Bulrich, der nun brüllte, und warf ihn durch das zerberstende Panoramafenster neben mir. Ich blickte hinab und sah, wie der Körper des Terraners auf dem Steinboden aufschlug. Kaum einer nahm Notiz davon, denn der Kampf tobte weiter.

Natalia ließ Kathy Scolar los und grinste. Ihre ehemalige Freundin starrte auf den leblosen Körper von Anya Guuze. Ich verstand sie. Was war geschehen? Hatte Nistant im Affekt gehandelt oder war das seine wahre Natur, die er gut vor uns allen verborgen gehalten hatte?

Nistant wirkte traurig, aber gefasst. Er schien seine Tat zu bedauern und doch bereit zu sein, sie jederzeit erneut zu begehen.

»Ist das genug Hass, MODROR?«, flüsterte Nistant.

Einige Grautruppen stürmten in die Halle, und ich gebot ihnen zu stoppen. Virginia war auch dabei. Sie atmete erleichtert auf.

»Hier bist du … was?«

Sie starrte auf die Leiche von Anya. Kathy zog eine Decke vom Tisch und legte sie über den toten Körper. Virginia eilte zu mir. Sie wirkte irritiert und ich hatte nicht genug Zeit, ihr die Geschehnisse zu erklären. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich sie selbst verstanden hatte.

Nistant hatte die Reinkarnation seines Herzens der Sterne, seiner Ajinah, seiner vergötterten Geliebten bestialisch ermordet, weil sie seine Liebe nicht erwidert hatte und fliehen wollte. Den Tod des Trottels Krizan Bulrich bedauerte ich keine einzige Sekunde, doch um Anya tat es mir leid. Wer würde heute noch sterben?

Nistant wandte sich an die Anwesenden. »Das ist also der Wille von Amun? Ist das die Rache von MODROR?«

»Diese Frage könnt Ihr viel besser beantworten«, sagte Medvecâ.

Nistant ging zur Schaltzentrale und aktivierte den Transmitterlift, der nach unten führte, während Kathy Scolar auf ihrem Interkom eine Nachricht sendete. Sie versuchte, es so gut es ging zu verstecken, doch mir war es nicht entgangen. Es war mir jedoch gleich, an wen sie eine Nachricht gesendet hatte. Die Schlacht tobte ohnehin schon in ganz Amunrator.

»Die einzige Chance, das Herz der Sterne zu finden, ist, die Dualität der Kosmotarchen zu akzeptieren und sie zu unterstützen«, sprach Medvecâ und trat zu Nistant. »Verschließt Euch nicht vor Eurer wahren Natur. Ihr seid kein Freund der Terraner oder der Liebhaber dieser Blondine, die aussah wie Euer Herz der Sterne. Ihr seid der mächtige Praetor des Universums. Der Reformator. Das Ende und der Anfang.«

Nistants Blick war voller Zorn, voller Hass und Enttäuschung.

»Dann wird es Zeit, das Ende einzuleiten.«

Zwischenspiel – DORGON

DORGON hätte MODROR beinahe in die Knie gezwungen, doch der plötzliche Anstieg von Wut und Zorn in Amunrator, der Todeskampf vieler Wesen und das Leid von Nistant, hatten MODROR neue negative Energie beschert.

MODROR konterte, drang in DORGON ein und am Dualen Berg des Kosmos gingen beide Kosmotarchen eine Verbindung ein, die untrennbar wurde. DORGON versuchte immer wieder, sich zurückzuziehen, doch er blieb an MODROR gebunden, ohne von MODROR übernommen zu werden.

In jener Tiefe des Rideryons verbanden sich die Entitäten in einem Geflecht aus psionischer Energie, als würden Feuer und Eis nicht verdampfen oder schmelzen, als würden sie weiter im Gegensatz existieren.

Ein Liebespaar tanzte eng aneinander geschlungen, während direkt neben ihnen ein Mörder sein Opfer zerstückelte. Kinder tollten auf Wiesen herum und neben ihnen flogen zerfetzte Körperteile in einer brutalen Schlacht durch den Matsch.

DORGON konnte sich nicht lösen. War es ein Trick von MODROR, ihn nun ewig zu binden?

Am Dualen Berg des Kosmos beginnt die Dualität der Kosmotarchen, sagte der Kosmokrat Amun, der offenbar die ganze Zeit Zuschauer ihrer Auseinandersetzung war.

DORGON wird die Harmonie in die Galaxie tragen, während MODROR die Tiefe des Chaos regiert und ihren Sieg vorbereiten wird. Es ist Zeit, die Ultimaten Fragen zu beantworten.

Amun war sich sicher, und DORGON vermochte nichts dagegen auszurichten. Er steckte buchstäblich fest, als habe er Wurzeln in dem festen Erdreich geschlagen, und doch konnte er die Ranken weit nach oben wachsen lassen. Er würde die Lebewesen in Chepri berühren und ihnen Gutes bringen. Aber er war unfähig, MODROR und dessen kosmischen Plan zu stoppen, denn sie waren untrennbar miteinander verbunden und eins. Sie waren eine Dualität und konnten ohne einander nicht existieren.

Am Berge der Schöpfung und dem Neganen Berg warteten je drei Ultimate Fragen, deren Antwort keine Entität empfangen durfte, sondern nur Wesen aus Fleisch und Blut, deren Sterblichkeit außer Kraft gesetzt war.

Es waren jene, die einen lebensverlängernden Zellaktivator trugen oder eine andere Segnung der Hohen Mächte erhalten hatten.

Und sie begaben sich zum Dualen Berg des Kosmos.


Jene Ultimaten Fragen am Neganen Berg lauteten:

WAS VERBIRGT SICH HINTER DEM URTEIL DER HOHEN MÄCHTE?

WIE LAUTET DER PLAN HINTER DEM KOSMISCHEN PROJEKT?

WAS IST DIE TIEFE DES CHAOS?


Und jene Ultimaten Fragen am Berg der Schöpfung waren:

WIE LAUTEN DIE NAMEN DER AUSERWÄHLTEN VÖLKER?

WAS IST EINE KOSMOGENE CHRONIK?

WAS IST DAS GESETZ UND WER HAT ES INITIIERT?

17. Das Ende der Reise

9. August 1308 NGZ

Ein lautes Krachen ließ mich aus dem Schlaf aufschrecken. Das Getrampel von Stiefeln klang bedrohlich und versetzte mich in Panik. Meine Schlafzimmertür wurde aufgestoßen. Major Fitschka stand an der Türschwelle. »Aufstehen, Jargon! Na los!«, rief er barsch.

Er holte einen Prügel hervor und schlug auf mich ein. Ich schrie auf, verstand nicht, was los war. Wir sollten doch heute unsere Reportage planen. Wir waren uns einig gewesen. Ich wurde aus dem Bett gezerrt, man schleifte mich aus dem Haus und warf mich auf die harte Straße. Ich hatte mich kaum von den Schlägen erholt, da warfen sie Rosan Orbanashol neben mir zu Boden.

»Das … das ist ein Missverständnis. Fragen Sie doch bitte Herrn Niesewitz.«

»Schnauze, du Linguidenschwein«, rief einer der Offiziere und trat mir in die Seite. Ich fiel wieder hin und weinte vor Schmerzen. Wieso taten sie das nur? Wir kooperierten doch. Sie packten uns und verluden uns auf einen Transportgleiter. Dort befanden sich noch andere Häftlinge. Es waren fünf Blues und drei Somer.

Der Gleiter startete, und Rosan blickte mich düster an.

»Ich glaube diesmal nicht, dass sie mit uns spielen. Es muss etwas vorgefallen sein.«

»Aber was? Ob sie uns als Zeugen liquidieren wollen? Weil wir gesehen haben, was da Gohd mit der armen Pyla gemacht hat?«

Rosan schüttelte den Kopf.

»Dazu war Pyla zu unwichtig für sie.«

»Dann müssen die Alliierten erfolgreicher sein als Niesewitz und die anderen verraten haben. Vielleicht steht Objursha kurz vor der Befreiung«, spekulierte ich. Oh, sie waren endlich da und würden das Quarterium in die Knie zwingen. Sie bekamen es mit der Angst zu tun. Das musste es sein. Doch in dem Moment wurde mir auch klar, dass Rosan und ich sterben mussten. Sie würden es nicht riskieren, uns entkommen zu lassen. Viel zu groß wäre die Wirkung gewesen, wenn der Chronist der Insel und die Emperatriz wider Willen aus Objursha befreit worden wären. Eine Idee durchfuhr mich.

»Aber Rosan, wir könnten doch gute Geiseln sein. Das müssen wir den Herren dort sagen.«

Sie lächelte gequält.

»Sie vergessen die quarteriale Gründlichkeit. Da Gohd sieht in der Entsorgung seine Berufung. Das Quarterium ist noch nicht besiegt, aber vielleicht will es auf Objursha aufräumen und die Sache beenden, bevor die Alliierten eintreffen. Bis zum letzten Häftling …«

Das war unser Todesurteil, und dies war unsere letzte Fahrt. So viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich dachte an Nataly. Würde sie je Erlösung finden? Was war aus Kathy Scolar geworden? Aus allen Freunden?

Ich blickte in das schöne Gesicht von Rosan Orbanashol. Was hatte sie alles erlebt und durchlitten! Schon als kleines Kind war sie zusammen mit Cauthon Despair und Perry Rhodan in ein Abenteuer auf Mashratan verstrickt worden. Dann hatte sie den Untergang der LONDON überstanden, die Entführung der LONDON II und sie hatte auf Mashratan erneut Oberst Kerkum getrotzt. Rosan hatte den Mord an ihrem Mann Wyll überstanden und war als Leiterin der neuen USO zu einer Widerstandskämpferin gegen das Quarterium geworden. Sie war gegen ihren Willen vom Emperador zur Frau genommen worden, sonst wäre sie wohl hingerichtet worden. Sie hatte sich arrangiert, ohne sich aufzugeben. Am Ende war das umsonst gewesen, denn nun … nun fuhren wir mit gnadenloser Gewissheit zu den Konvertern.

Nach einigen Minuten einer quälend langen Ungewissheit – und doch viel zu schnell vorbei – hielt der Transporter. Mit lautem Gebrüll wurden wir entladen. Man zog mich brutal vom Transporter. Ich fiel in den Schlamm. Rosan beugte sich über mich und half mir hoch. Sie trug noch ihr Nachthemd und ich meinen Pyjama. Das bemerkte ich erst jetzt. Ich wäre gern ordentlich gekleidet in den Tod gegangen.

»Hoch mit euch«, brüllte eine Wachfrau mit kantigem Gesicht.

Ich wurde hin und her geschubst, prallte an Schultern und Rücken anderer. Dann standen wir in Reih und Glied. Jetzt sah ich mich um. Wir befanden uns auf einem großen Platz, an dessen Ende zwei quadratische, schwarze Gebäude ohne Fenster lagen. Eine Rampe führte in das Untergeschoss des Gebäudes. Sie wirkte auf mich wie der Rachen eines Ungeheuers.

Dort lagen die Konverter, etwa zweihundert Meter entfernt. Unsere Gruppe bestand aus schätzungsweise zwanzig Männern und dreißig Frauen. Warum trennten sie uns überhaupt noch bei der Entsorgung? Der Weg zu den Konvertern war von einem ganzen Zug Wachen gekennzeichnet. Sie alle standen mit ihren Gewehren im Anschlag.

»Marsch«, rief jemand.

Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Schluchzend, hustend, leise und flüsternd klagend. Jeder wusste, was geschah, aber es regte sich kein Widerstand. Warum ließen wir uns wie Lämmer zur Schlachtbank führen? Wo blieben die Saggittonen, Terraner, Kemeten? Oh, wie schön wäre es jetzt, einen terranischen Kugelraumer am Himmel zu erblicken, der uns eine Rettung in letzter Sekunde bescheren würde. Aurec würde uns doch nicht im Stich lassen?

Falls er überhaupt wusste, dass wir hier waren.

Nein, er würde nicht kommen.

Wir waren verloren.

Das war nun also das letzte Kapitel meiner Chronik. Und niemand würde sie fortführen. Rosan blieb stehen und ich sah sie verwundert an.

»Weiter«, rief einer.

»Jenmuhs!«, sagte Rosan bitter.

Ich blickte nach vorn. Dort stand die Verbrecherbande. Lagerkommandant Selvon da Gohd, Werner Niesewitz, Reinhard Katschmarek, Fitschka und der Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs in seiner weißen Paradeuniform mit den unzähligen Orden, die aus allen Nähten zu platzen drohte. Wir gingen weiter und hielten schließlich vor ihnen an.

Jenmuhs grinste breit über seine fetten Wangen.

»Endlich. Achtzehn Jahre habe ich darauf gewartet. Jetzt wirst du für den Mord an meinem Bruder büßen. Grüße ihn schön von mir.«

»Ich werde wohl an einen anderen Ort kommen«, erwiderte Rosan. Dann schritt sie auf Jenmuhs zu. Die Wachen wurden unruhig, doch Jenmuhs gebot ihnen Einhalt. Er schien diesen Moment auszukosten. Plötzlich fing Rosan an zu weinen und sank auf die Knie.

»Bitte, verschone mich. Ich werde alles tun, um am Leben bleiben zu dürfen. Bitte?«

Flehend sah sie nach oben, faltete die Hände. Jenmuhs lachte. Sie kroch zu da Gohd, klammerte sich an seine Beine. »Bitte, Herr Lagerkommandant, tut mit mir, was ihr wollt. Ich bin eine gute Liebhaberin. Bitte!« Sie fuhr mit den Fingern an seinen Schenkeln hoch. Da Gohd räusperte sich verlegen.

»Gos’Shekur, ich …«

Jenmuhs lachte nur.

»Einfach erbärmlich, Bras’cooi!«

Da griff Rosan nach dem Strahler im Holster von da Gohd. Noch während sie aufstand, feuerte sie in das Kinn des Kommandanten. Da Gohd zuckte zusammen und fiel nach hinten. Rosan zielte auf Jenmuhs und schoss, Major Fitschka stieß ihn zur Seite und brach getroffen zusammen. Rosan legte erneut an, doch ein ganzer Hagel an Energieschüssen traf sie in den Bauch, in die Arme, Beine. Sie hatte nicht mehr die Motorik, um noch einmal abzudrücken. Rosan sackte zusammen und fiel auf den Rücken.

»Halt!«, rief Jenmuhs.

Da lag Rosan nun in ihrem versengten und mit Blut verschmierten Nachthemd, die Beine unnatürlich angewinkelt, die Arme von sich gestreckt. Ihre roten Augen blickten in den Himmel.

»Selbst deinen Tod versaust du mir, Hure!«, brüllte Jenmuhs.

Sie hob leicht den Kopf. Blut floss aus ihrem Mund. Sie hustete, doch mit aller Kraft lächelte sie und verhöhnte Jenmuhs damit. Dann senkte sich ihr Kopf wieder auf den Boden. Ihre Augen wurden starr. Das Letzte, was Rosan Orbanashol sah, war der blaue Himmel von Objursha.

*

»Da Gohd ist tot«, stellte Niesewitz fest. »Sein Adjutant Fitschka auch. Wir brauchen wohl einen neuen Kommandanten, Reini.«

»Jo, ich werde eine Stellenausschreibung machen. Was machen wir mit dem Rest?«

Katschmarek zeigte auf die Gruppe und mich. Für einen kurzen Moment hatte ich die Hoffnung, dass ihnen der Spaß an der Entsorgung vergangen war, denn immerhin war ihr Lagerkommandant tot. Selvon da Gohd, der Schlächter von Objursha. Vielleicht würden sie ja die Entsorgung verschieben. Ja? Ich sah erwartungsvoll zu Jenmuhs.

»In den Konverter«, sagte Jenmuhs.

Oh nein! Nicht doch. Mein Herz machte einen Satz. Das war mein endgültiges Todesurteil.

Die Gruppe setzte sich in Marsch. Ich wurde weitergeschubst, blickte noch so lange es ging auf Rosan. Arme, tapfere Rosan Orbanashol-Nordment. Auf dass sie jetzt bei ihrem geliebten Mann Wyll war, wiedervereint und glücklich bis in die Ewigkeit. Sie schoben mich weiter, immer weiter in Richtung dieser grässlichen, kühlen Klötze. Es gab keine Einweisung, keine Beschwichtigung.

Ich sah mich um. Es war anders als in den Erzählungen von Joak Cascal und Myrielle Gatto. Es gab keine kleinen Hallen mehr, umgeben von friedlichen Gärten mit blühenden Blumen, denn inzwischen wusste doch jeder, dass man hier ermordet wurde.

Mörder! Mörder!

Ich fing an zu weinen.

Vor mir lag die schwarze Rampe, welche zum dunklen Eingang führte, und ich wurde von der Masse hinuntergeschoben.

Nur noch wenige Schritte bis zum Eingang. Hier endet nun die Reise eines Linguiden, die Chronik Cartwheels. Möge ein anderer sie fortsetzen. Möge am Ende doch Liebe und Gerechtigkeit obsiegen und die finsteren Kreaturen aus dieser Galaxie verbannen.

Die Masse drängte mich in den dunklen Raum. Ich wurde geschubst, fiel zu Boden. Sie traten auf mich, das Wehklagen wurde lauter. Jemand riss mich hoch. Ich wusste nicht wer. Oh DORGON, hilf uns. Sei unserer Seelen gnädig. Ich wusste nicht, zu wem ich beten sollte. Es gab so viele Götter. DORGON war kein Gott, und doch flehte ich ihn an. Im Angesicht des Todes war es wohl natürlich, zu einer höheren Instanz zu beten.

Ein lautes Grollen. Die schwere Tür schloss.

Wimmern. Weinen. Husten.

Es war stockfinster.

Allmählich, erst leise, dann immer lauter, ertönte ein Summen. Jetzt war es soweit. Das Ende war gekommen. Die Temperatur stieg, die Wände wurden rötlich. Es war so heiß. Ich konnte nicht mehr atmen. Das Wehklagen wurde lauter. Die Wesen schrien, dann wurde es unerträglich heiß. Es stach und brannte auf der Haut. Oh, DORGON, hilf …

*

Uwahn Jenmuhs, Werner Niesewitz und Reinhard Katschmarek beobachteten den Entsorgungsprozess auf einem Pikopad. Ein greller Blitz, und es war vorbei.

Soldaten brachten die Leichen von Selvon da Gohd und Major Fitschka fort. Uwahn Jenmuhs watschelte zu Rosan Orbanashol. Ihre Augen waren noch immer geöffnet.

»Hm, sie hat richtig schöne rote Augen. Richtig arkonidisch«, sagte der Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs. Er wandte sich ab und ging schnaufend fort. Dann blieb er noch einmal stehen, wandte sich an Katschmarek und ergänzte: »Verfüttert ihren Kadaver an die Häftlinge.« Er kicherte. »Sagt denen, es gibt arkonidisch-terranischen Eintopf.«

Plötzlich schrillten die Alarmsirenen los. Die Mannschaften wurden unruhig. Offiziere der ARKON und CIP-Agenten eilten heran.

»Die Feinde fallen mit über zehntausend Raumschiffen in das System ein.«

Jenmuhs blickte Niesewitz und Katschmarek an.

»Wie viel Zeit bleibt uns?«, wollte Niesewitz wissen.

Jenmuhs machte eine herrische Handbewegung.

»Vielleicht wenige Stunden, vielleicht nur Minuten. Bringt uns sofort auf die ARKON. Dann feuern wir eine Arkonbombe auf den Planeten ab.«

Jenmuhs, Niesewitz und Katschmarek wurden in den nächsten Transmitterraum gebracht. Die Wachmannschaften feuerten auf die Häftlinge, die nun vereinzelt revoltierten. Die alliierten Schiffe waren deutlich im Orbit zu erkennen. Immer wieder zuckten Blitze durch den Himmel.

Jenmuhs, Niesewitz und Katschmarek stiegen aus dem Transmitter auf der ARKON. Admiral Terz da Eskor grüßte den Gos’Shekur. Dieser winkte ab.

»Werfen Sie eine Arkonbombe auf das Lager. Sofort!«

»Aber mein Gos’Shekur, dort befinden sich mindestens hundert Millionen Lebewesen.«

»Unwertes, unreines Leben! Es muss beseitigt werden.«

Jenmuhs packte den Admiral am Kragen.

»Jeder Überlebende wird ein Feind des Quarteriums werden. Also hören Sie auf, meine Befehle infrage zu stellen und informieren sofort die Feuerleitzentrale. Oder soll ich das für Sie inkompetenten Essoya übernehmen?«

Der schlanke Admiral zuckte zusammen. Er informierte die Feuerleitzentrale über sein Interkom.

»Was ist mit unseren Soldaten da unten?«

»Geben Sie den Evakuierungsbefehl«, sagte Jenmuhs.

Die Gruppe begab sich in die Kommandozentrale. Es dauerte einige Momente, ehe die Arkonbombe bereit war. Auf einem großen Monitor sahen sie, wie die eiförmige Bombe in Position gebracht wurde. Niesewitz verfolgte die Evakuierung. Es würden längst nicht alle schaffen. Vielleicht nur zwanzig oder dreißig Prozent des Personals.

»Nun?«, fragte Jenmuhs ungeduldig.

Im Orbit wurde ein Wachfort nach dem anderen vernichtet. Die dreitausend SUPREMO-Raumer waren den Angreifern unterlegen. Es war nur eine Frage von Minuten, ehe die Verteidigung zusammenbrach und die ARKON zum Ziel der Saggittonen und Entropen wurde.

»Bereit«, meldete da Eskor.

»Zhym!«, befahl Jenmuhs.

»Zhym«, gab der Admiral auf Satron den Feuerbefehl weiter.

Die Bombe wurde abgeschossen und raste auf die Oberfläche zu, wo sie in einer Staubwolke aufschlug. Nach dreißig Sekunden detonierte sie. Die bei der Zündung freigesetzte harte Hyperstrahlung regte die Atomkerne aller Elemente mit einer Ordnungszahl größer als Neon an. Sie fusionierten unter Freisetzung derselben Strahlung. Ein grelles Licht blendete Jenmuhs, gefolgt von einer gewaltigen Detonation.

Ein Feuerball stieg Kilometer hoch auf und breitete sich aus. Alles darin wurde vernichtet. Nach dem Schneeballprinzip entstand eine Kettenreaktion, die in kurzer Zeit von Atomkern zu Atomkern sprang. Dieser Atombrand würde sich durch den ganzen Planeten fressen. Das Lager war bereits vernichtet.

Jenmuhs war zufrieden. Die ARKON verließ zusammen mit den noch verbliebenen Verbänden das System von Objursha.

Zwischenspiel – Nistant

Anya Guuze war tot. Das Ebenbild von Nistants Ajinah war verblichen und Zorn und Hass stiegen in ihm auf, während er mit den anderen den Lift zur Tiefe hinunter schwebte. Nistant würde erst spät den Transmitter aktivieren, denn er brauchte einige Minuten, um die Dinge zu verarbeiten.

Er hatte Anya getötet, weil sie ihn verraten hatte. Sie hatte ihn verschmäht, so wie einst Ajinah Uricant ihm vorgezogen hatte. Auf Sargomoph war Nistant ein Verlierer gewesen, dessen finanzielle Schwierigkeiten und gesellschaftliche Ächtung ihn bis in die Kloake der Stadt Mammon gebracht hatten, wo er sich hatte von Ratten ernähren müssen. Er erinnerte sich daran, wie er den stinkenden Penner erwürgt hatte, als der ihm seinen Mantel klauen wollte. Das war einer der Tiefpunkte in Nistants Leben gewesen.

All das war geschehen, weil Ajinah sich für jemand anderes entschieden hatte. Und all das, was später geschehen war … Nistant hatte nie den Schmerz der Einsamkeit vergessen und die demütigende Bedeutungslosigkeit seines Daseins auf Sargomoph. Er war ein Niemand gewesen, bis ihm die Streitmacht des alten Volkes übergeben worden war. Diese Macht hatte er genutzt, um der heuchlerischen und habgierigen Gesellschaft von Sargomoph ein Ende zu bereiten.

Womöglich hätte er vor 260 Millionen Jahren anders gehandelt, wäre Ajinah nicht vorher gestorben. Doch mit ihrem Tod war das letzte Gute in ihm ebenfalls gestorben, und Sargomoph wurde durch einen selbst erschaffenen Racheengel gerichtet.

Nun, so viele Äonen später, war es nicht mehr relevant, ob das Herz der Sterne schlug. Die Terranerin Anya Guuze war nur eine Kopie gewesen. Das hatte Nistant nun erkannt. Ebenso gut hätte er eine künstliche Intelligenz in einen Androiden- oder Roboterkörper von Ajinah setzen können. Er war töricht gewesen, zu glauben, Anya Guuze sei eine würdige Nachfolgerin von Ajinah. Nein, Ajinah war einmalig gewesen.

Es war besser, dass die Terranerin nun tot war. MODROR hatte recht, Nistant musste seinem Zorn und seinem Hass freien Lauf lassen, um die kosmischen Aufgaben zu bewältigen.

Die Beantwortung der Ultimaten Fragen am Dualen Berg des Kosmos gehörte dazu. Sie sollte den Kosmotarchax einleiten.

Heute würde es seinen Lauf nehmen.

18. Die Tiefe des Chaos

Wir standen vor dem Dualen Berg des Kosmos.

Nistant, Medvecâ, Virginia Mattaponi, Kathy Scolar und ich, Cauthon Despair.

Um uns herum rotierten Planeten, tobten Hyperstürme, und Schwarze Löcher verschlangen das Licht von Sonnen.

»Was ist das hier?«, wollte Kathy Scolar wissen.

»Das ist die Tiefe des Chaos«, antwortete Nistant.

Er blickte sich um und breitete die Arme aus.

»Hier entstehen Protoplaneten und Protosonnen. Hier entsteht ein Universum.«

Nistant drehte sich um.

»Mein Universum.«

Ich war beeindruckt. War das nicht der Plan meines Meisters MODROR?

»Es wird ein Platz der Gerechtigkeit sein. Heuchelei, Neid, Habgier und Einsamkeit werden keinen Platz darin haben.«

Kathy sah sich um. Sie wirkte auf der einen Seite fasziniert, doch auf der anderen Seite skeptisch, wie ihre Körperhaltung verriet.

»Das ist schön, doch beendet die Kämpfe.«

Sie wandte sich an mich.

»Despair, bitte! Stoppt die Kämpfe in Amunrator.«

Ich hob die linke Hand, wo sich mein Interkom befand.

»Die Leben dort sind wertlos, Terranerin«, sagte Nistant. »Despair kann es nicht stoppen. Er kann keinen Funkspruch aus der Tiefe des Chaos senden.«

Kathy starrte in den Himmel. Sie zuckte zusammen. Ich blickte auch hoch. Über uns trieb das Wrack der IVANHOE II. Von außen war kein Licht zu sehen. Teile der Metallhülle waren zerstört.

»Das Leben derer dort auf diesem Raumschiff ist wertlos. Sie alle werden vergehen und werden neu geboren in meinem Universum«, sagte Nistant.

Ich hatte so viele Fragen. Ich kannte die Pläne von MODROR, das Universum zu reformieren. Doch Nistant schien ebenso solche Pläne zu haben. Oder teilten sie dieselbe Vision und arbeiteten zusammen? Mir wurde klar, dass ich noch so wenig über MODROR und die Hintergründe wusste.

Kathy Scolar schien das nicht zu kümmern. Sie starrte traurig zur IVANHOE II. Dann sagte sie. »Wir müssen ins Schiff und nachsehen, ob noch jemand lebt.«

»Sie sind alle tot«, meinte Medvecâ gelassen.

»Sie werden eines Tages wieder leben. In einer anderen Form, einer anderen Existenz. Nichts vergeht für immer«, sprach Nistant.

Er schritt in Richtung Doppelberg.

Ich wechselte einen Blick mit Virginia. Sie wirkte mehr als verunsichert, in Anbetracht der Umgebung, und dennoch auf eine gewisse Weise fasziniert. Sie schenkte mir ein gequältes Lächeln.

Widerwillig folgten Virginia, Kathy und ich dem Herrn des Rideryons. Medvecâ begleitete uns. Von links schwebte ein Planet in unsere Richtung. Ich erkannte die Formen der Kontinente.

Das war Terra! Oder eine Kopie der Erde.

Wie war das möglich?

Kathy Scolar blickte ehrfürchtig auf ihre Heimatwelt.

»Ist die Erde jetzt hier?«

Medvecâ lachte.

»Nein, es ist das neue Terra. Diese Welt wird den Platz der alten Erde einnehmen. Sie wird neue Bewohner tragen. Das Alte wird vergehen im Chaos und das Neue wird entstehen in Ordnung und Harmonie.«

»Und … wie wird das Alte vergehen?«, wollte Kathy Scolar wissen.

Nun drehte sich auch Nistant um. Er ging auf sie zu. Instinktiv wich die Terranerin ein paar Schritte zurück.

»Aus der Tiefe des Chaos entsteht ein neues Universum. Sie reicht weit tiefer als das Rideryon, und deshalb sind wir in Cartwheel, denn hier wird es beginnen. Das eine Universum geht unter, wird verwehen in Zeitstrudeln und Dimensionsschlünden. Es wird ausgelöscht aus der Erinnerung des Moralischen Kodes.«

Ich begriff die Tragweite seiner Worte.

»Das Zeitchaos leitet den Kosmotarchax ein«, ergänzte Nistant.

Die Allianz aus Nistant, den Söhnen des Chaos und dem Kosmokraten Amun wollte im wahrsten Sinne des Wortes das bestehende Universum neu erschaffen. Meine Knie wurden weich.

Ich hatte ja mit viel Chaos und Zerstörung gerechnet, doch das übertraf meine kühnsten Vorstellungen.

Und eines war klar: Der Untergang des bestehenden Universums würde unendliches Leid verursachen.

Das war nicht, was ich wollte. Ich wollte die Menschheit zur vorherrschenden Spezies machen, doch nicht zu den Totengräbern des Universums. Nahe Cartwheel lag das Kosmonukleotid UDJAT. Es musste eine Rolle darin spielen, genauso wie der Duale Berg des Kosmos mit seinen Ultimaten Fragen.

»Nistant, ich dachte nicht, dass Ihr solch ein rachsüchtiges Monstrum seid«, sagte Kathy traurig.

»Jeder ist das, was das Universum aus ihm macht. Wer keine Liebe empfängt, der wird hassen. Ist es nicht so, Cauthon Despair?«

Das war mein Lebensmotto. Ich hatte ein Leben ohne Liebe und Zuneigung gelebt. Ohne jegliche Zärtlichkeit und stets in Einsamkeit. Natürlich verachtete ich jene Gesellschaft, die dafür verantwortlich war. Doch das ganze Universum deshalb neu zu erschaffen? Was musste Nistant nur für einen Hass in sich tragen. Und ebenso eine Entschlossenheit, die beispiellos war. Er wollte das Universum nicht nur in seinen Grundfesten erschüttern, er wollte es nicht nur reformieren, er würde es einfach neu erschaffen.

Was musste nur in Nistants Jugend vorgefallen sein, um nach Jahrmillionen noch so viel Energie zu besitzen, alles zu vernichten? Es war der Traum eines jeden Verlierers, sich an seinen Peinigern rächen zu können.

Doch Nistants Peiniger waren längst tot. Er wollte sich nicht für das ihm zugefügte Unrecht an den Sargomoph rächen, nein, er beabsichtige in seinem Zorn und seiner festen Entschlossenheit, das Universum zu reformieren.

Welch Weg musste Nistant gegangen sein, um an so einen Punkt zu kommen? Welch Leid musste ihm widerfahren sein, um so zu werden?

Diese destruktive Entschlossenheit war genau jene, die auch MODROR zeigte.

Blitze zuckten zischend über uns. Diese Fäden züngelten über unseren Köpfen.

»Ich liebe Cauthon«, sagte Virginia überraschend und sah mich an. »Ich liebe dich schon die ganze Zeit. Du bist nicht ungeliebt, Cauthy!«

Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Noch nie hatte eine Frau so etwas zu mir gesagt. In all meinen 44 Jahren hatte nie jemand die drei Worte zu mir gesprochen.

»Virginia … ich …«

Sie lächelte.

»Ich weiß, es fällt schwer, doch wir haben später Zeit dafür.« Sie blickte hoch und seufzte. »Das Chaos ist wunderschön und doch bedrohlich.«

Ein Blitz schoss durch den Raum und donnerte so laut, dass Virginia zusammenzuckte. Offenbar gab es außerhalb unserer transparenten Sphäre auch einen gewissen Anteil Atmosphäre, so dass Schallwellen sich ausbreiten konnten.

Nistant blickte hoch.

»Diese Linien und Blitze sind Portale zu anderen Zeitebenen, Dimensionen und Paralleluniversen. Wenn sie einen erfassen, kann man in der Zukunft oder Vergangenheit stranden oder in einem ganz anderen Universum. Die physikalischen Gesetze überlappen sich hier, verblassen und entstehen neu. Das ist die Tiefe des Chaos.«

Er streckte seinen Arm aus und öffnete die Handfläche.

»Folge mir, Silberner Ritter. Auf uns wartet eine Aufgabe, um die Reformation zu beginnen.«

»Welche ist das?«

Er deutete in Richtung des Dualen Bergs des Kosmos.

»Wir empfangen die Antworten auf die Ultimaten Fragen. Einst war es mir von Amun beschieden, das zu tun. Nach meinem vermeintlichen Tod hatten MODROR und er lange nach einem würdigen Nachfolger gesucht und in dir gefunden. Nun lebe ich wieder, doch es gibt genug Fragen zu beantworten. Erfülle deine Bestimmung, Sohn des Chaos, und erschaffe mit mir ein neues Universum!«

»Das ist Wahnsinn! Despair, tut das nicht.«

Nistant packte Kathy Scolar und warf sie zu Boden. Virginia stellte sich dazwischen. »Nein, das ist nicht der Weg! Das Quarterium will die Menschen in eine bessere Zukunft und nicht in den Untergang führen.«

Nistant blickte sie entgeistert an, während sie Kathy Scolar wieder auf die Beine half.

»Das Quarterium existiert nur zu diesem einen Zweck, es soll dabei dienen, das Universum zu vernichten, um es neu zu erschaffen. Du, kleine Frau, bist ebenso ein Teil davon wie der Emperador oder der Silberne Ritter«, sagte Nistant.

Der Herr des Rideryons zog sein goldenes Schwert. Auch er trug ein Schwert aus dem Ultimaten Stoff Carit und das verwunderte mich nicht, weil ich einst sein Erbe hätte sein sollen. Er richtete es auf Virginia.

»Stell dich mir nicht in den Weg.«

Nein, nicht auch noch sie. Ich zog mein Caritschwert und holte aus. Nistant parierte. Ich erkannte Unverständnis in seinen Augen.

»Wieso bekämpfst du mich? In unserem neuen Universum wirst du glücklich sein, du wirst geliebt werden.«

»Der Preis ist mir dafür zu hoch.«

»Es gibt keinen Preis, der dafür zu hoch ist. Du wirst zu einem kosmischen Titanen aufsteigen. Das Universum wird vor uns das Knie beugen. Empfange die Antworten der Ultimaten Fragen mit mir. Wir werden unser neues Universum besser machen als dieses. Kein Neid, keine Habgier, keine Heuchelei und Egoismus. Keine Lügen mehr. Ein wahrhaftiges Universum.«

Ich war versucht nachzugeben, doch das Opfer war mir zu hoch. Die Vernichtung des ganzen Universums und den Austausch durch ein neues Universum – alle würden sterben. Unschuldige, die nicht einmal etwas von diesem Konflikt wussten. Ich drückte Nistant nach hinten und holte aus. Er parierte den Hieb, schubste mich zurück und schlug selbst zu. Unsere Klingen kreuzten sich, während die Blitze über uns zischten.

Ich wich einem Schlag von Nistant aus, dann holte ich aus. Die Wucht meines Schlages ließen ihn ins Taumeln geraten. Ich wusste nicht, ob ich seinen kosmischen Plan verhindern konnte, wenn ich ihn tötete, doch vielleicht vermochte ich ihn erst einmal aufzuhalten.

»Stelle dich den Ultimaten Fragen des Neganen Berges«, rief Nistant. »Erstens: Was verbirgt sich hinter dem Urteil der Hohen Mächte?«

Nistant holte aus und zielte auf meine Beine, so dass ich hochspringen musste. Er lachte und machte einen Vorstoß, den ich parierte, doch er wich meinem Konter aus.

»Zweitens: Wie lautet der Plan hinter dem kosmischen Projekt?«

Unsere Klingen kreuzten sich erneut und die Blitze züngelten bedrohlich über unseren Köpfen.

»Drittens: Was ist die Tiefe des Chaos? Du kennst die Antworten, sie sind tief in dir.«

Ich war nicht bereit, dafür so viel zu opfern. Nistant machte einen Ausfallschritt, ich schlug sein Schwert zur Seite und rammte ihm meines in die Seite. Er schrie auf und wich zurück. Jetzt hatte ich ihn.

Plötzlich packte mich Medvecâ, zog mich in Fledermausgestalt in die Luft und ließ mich fallen. Ich fiel einige Meter tief und schlug auf dem harten Boden auf. Kathy Scolar griff ihn von hinten an, doch er schubste sie beiseite. Medvecâ flog auf mich zu, dann traf ihn der Strahl einer Waffe am Flügel, er driftete, trudelte und landete polternd. Ich sah, dass Virginia einen Strahler in der Hand hielt. Nistant erhob sich hinter ihr.

»Vorsicht«, rief ich, doch Nistant stieß sein Schwert in ihren Rücken. Sie starrte mich entsetzt an.

»Nein!«

Ich sprang auf und rannte zu ihr, doch Medvecâ war bereits auf den Beinen. Er stieß mich um, packte Virginia und riss sie in die Luft, dann schleuderte er sie aus der Schutzhülle in den Raum der Tiefe des Chaos. Dann kehrte er zurück und hielt auf mich zu.

Erneut warf sich Kathy Scolar ihm in den Weg und verpasste dem Ylors schmerzhafte Tritte. Ich rannte auf einen Vorsprung, sprang in Richtung Virginia und durchstieß die Schutzhülle. Mein Raumanzug schützte mich, doch Virginia war schutzlos. Ich wusste nicht, wie kalt es hier war und wie dünn die Atmosphäre, doch ich spürte, wie wir schwebten. Physikalisch war das schwer zu erfassen, denn hier überlappten sich wirklich die physikalischen Gesetze.

Das war mir im Moment gleichgültig, denn Virginia war in Gefahr. Ich schwebte auf sie zu und bekam ihre Hand zu fassen. Ich zog sie zu mir und sie lebte noch, doch das Atmen fiel ihr schwer. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch brachte keinen Ton aus ihrer Kehle.

»Es tut mir leid, Virginia. Ich liebe dich auch. Ich liebe dich.«

Sie durfte nicht sterben. Wieso war ich so ein Narr gewesen und hatte sie nicht besser beschützt oder viel früher ihre so offensichtlichen Gefühle erwidert. Ich blickte zurück. Wir entfernten uns immer weiter vom Dualen Berg des Kosmos.

Kathy Scolar fiel zu Boden und Medvecâ trat auf sie ein. Ihr Schicksal war besiegelt.

Nistant stand mit gesenktem Schwert auf einer Anhöhe und sah uns hinterher.

Ich konnte Virginia nicht retten, sie würde innerhalb weniger Momente sterben. Sie lächelte mich an und drückte meine Hand, dann wurde der Druck schwächer, die Augen starr und sie hauchte ihren letzten Atemzug aus.

Das durfte nicht wahr nicht sein! Wieso tat mir das Universum nur solch Grausamkeiten an? Ich schämte mich meiner Tränen nicht und weinte, während ich in ihr starres, wunderschönes Gesicht blickte. MODROR, Nistant und die Söhne des Chaos hatten mir alles genommen, was mir je etwas bedeutet hatte, und ich konnte mich nicht rächen, denn ich besaß keinen Gravo-Jet an meinem Anzug.

Ein Schlund in dunkelgrüner Farbe öffnete sich unweit von mir und zog uns zu sich. Der Sog war so stark, dass ich Virginia loslassen musste. Ihre Leiche trieb mir voran, und ich nahm Abschied.

Das war mein Ende. Ich stürzte in den Abgrund hinab.

So starb ich also. Einsam und allein hatte ich gelebt und einsam und allein starb ich, umgeben vom Dunkel des Leerraums.

Dann erfasste mich ein Blitz.

Epilog – MODROR

Dein Hass war ausreichend, Nistant! Die Aufgabe der Beantwortung der Ultimaten Fragen obliegt nun dir, genauer gesagt, obliegt sie uns beiden, denn wir waren es und werden es immer sein, ein Ursprung und eine Existenz.

Die Zahl der Feinde wird geringer, und die Zeit wird ihr Übriges tun. Niemand wird das Zeitchaos aufhalten, niemand wird den Kosmotarchax verhindern können.

Dieses Kapitel endet hier. Unsere Feinde haben tapfer gekämpft und am Ende doch alles verloren, wofür sie glaubten, kämpfen zu müssen.

Es hat begonnen. Die Tiefe des Chaos ist erwacht und die Ultimaten Fragen warten darauf, beantwortet zu werden.

Aus dem Kampf der beiden Kosmotarchen MODROR und DORGON entsteht die Dualität der Kosmotarchen.

Die Harmonie von DORGON wird in Cartwheel um sich greifen.

Das Kosmonukleotid UDJAT wird nach Cartwheel kommen und sich mit dem Rideryon verbinden, sich mit der Tiefe des Chaos verbinden.

Und der Anfang vom Ende für dieses Universum wird eingeleitet.

Ich bin das Ende – ich bin der Tod!

Ich bin der Anfang – ich bin das Leben!

Ich bin Nistant.

Und Nistant ist MODROR!

Das ist das Ende aller Dinge!

Ende

Damit endet der »Rideryon«-Zyklus.
Im nächsten Roman wird es einen Zeitsprung von 738 Jahren ins Jahr 2046 NGZ geben. Wir finden uns in der von Lügen und Mythen erfüllten Epoche der Cairaner wieder. Perry Rhodan ist eine Legende, eine Lüge – Terra ein Mythos. Und in jener Zeit versucht der Kopfgeldjäger Nathaniel Creen seinen Weg zu gehen. Er ist

DER RHODANJÄGER

DORGON-Kommentar

Mit Band 119 endet der »Rideryon«-Zyklus und leitet eine neue Ära ein. Dieser Roman bedeutet auch den Abschluss der Special-Edition, also der Überarbeitung der ursprünglichen DORGON-Serie seit 2011. Nun schreiben wir das Jahr 2022. Es hat lange gedauert, wir hoffen, dass es sich für euch als Leser gelohnt hat. Das Heft 117 war ursprünglich das letzte »alte« Material, was überarbeitet wurde. Die Romane 118 und 119 wurden von mir komplett neu geschrieben und basierten auf den Grundlagen der Special-Edition und nicht auf den alten Werken.

Dieses Heft stellt sicherlich auch einen großen Einschnitt dar, denn mit Band 120 machen wir einen Zeitsprung von 738 Jahren in das Jahr 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Damit stellen wir den überfälligen Anschluss an die Erstauflage weitgehend wieder her.

2046 NGZ – die Cairanische Epoche – stellt eine besondere Zeit dar, da die Galaktiker in einem Unwissen existieren und zu einem großen Teil die Existenz von Perry Rhodan und Terra verleugnen. Das ist spannendes Einsteigerumfeld für Neu- und Altleser, denn auch das Wissen um die Ereignisse zwischen DORGON und MODROR sind in Vergessenheit geraten. Seit der Hyperimpedanz-Erhöhung gibt es keinen Kontakt mehr nach Cartwheel. Was ist in den knapp 700 Jahren geschehen? Hat sich die Harmonie von DORGON ausgeweitet? Ist das Quarterium untergegangen? Was ist das Vermächtnis von Aurec? Was ist mit dem Rideryon geschehen und den Terranern dort?

Ist nun Frieden eingekehrt in die Sterneninsel? Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass es nicht so sein wird, da DORGON und MODROR offenbar im Begriff sind, eine Dualität einzugehen, und 700 Jahre Zeit hatten, um diese zu festigen.

Der neue Zyklus trägt den Titel »Tiefe des Chaos«. Jene Tiefe des Chaos mit ihrem Dualen Berg des Kosmos haben wir in den vergangenen Romanen kennengelernt.

Der Zyklusstart wird erst einmal eine andere Ebene beleuchten, neue Charaktere einführen und schildern, wie diese mit den Gegebenheiten in der Milchstraße 2046 NGZ zurechtkommen. Wir werden den Konflikt zwischen jenen schildern, die an die Existenz von Perry Rhodan und Terra glauben, und jenen, die sie bekämpfen. Ein Konflikt zwischen Rhodanmystikern und Rhodanjägern.

Nils Hirseland

GLOSSAR

Tiefe des Chaos

Die Tiefe des Chaos ist ein mehrdimensionaler Bereich, welcher offenbar sein Zentrum in den Tiefen des Rideryons hat. Zeitebenen, Dimensionen und Paralleluniversen scheinen dort aufeinanderzutreffen. Der Duale Berg des Kosmos befindet sich dort.

Die Ausdehnung ist nicht bekannt. Jedoch scheint sich auch ein Teil in Cartwheel zu befinden und in Verbindung mit dem Kosmonukleotid TRIICLE-3 alias UDJAT zu stehen.

In der Tiefe des Chaos werden offenbar Planeten produziert, die Kopien der existierenden Welten sind. Außerdem werden ganze Sonnen erschaffen. Das alles scheint Teil des großen Plans der Allianz aus MODROR, dem Kosmokraten Amun, Nistant und den Söhnen des Chaos zu sein.

Ihr Plan ist offensichtlich die Vernichtung des alten, bekannten Universums Meekorah und der Austausch der Planeten durch die Kopien mit einer neuen Bevölkerung.

Dualer Berg des Kosmos

Der Duale Berg des Kosmos ist ein kegelförmiger, psionischer Berg im Zentrum der Tiefe des Chaos. Er hat die Form eines Doppelkegels und steht für den Berg der Schöpfung und den Neganen Berg. Psionische, vielfarbige Linien durchziehen das Gestein des Berges.

Am Fuße oder – je nach Betrachtungswinkel – Spitze eines jeden Berges warten drei Ultimate Fragen, deren Antworten empfangen werden können.

In welcher Verbindung der Duale Berg des Kosmos mit dem Moralischen Kode steht, ist im Jahre 1308 NGZ noch unklar.

Harmonie von DORGON

Die Harmonie von DORGON ist ein psionisches Feld mit suggestiver Strahlung. Sie hat ihren Ausgang auf dem Rideryon und wird vom Kosmotarchen DORGON ausgesendet. Befindet sich ein Lebewesen im Wirkungsbereich der Strahlung, so kann es keine negativen Handlungen begehen. Es wird von positiver Energie und Gefühlen ausgefüllt und muss sich friedlich verhalten.

Die Harmonie von DORGON dehnt sich im Jahre 1308 NGZ vom Rideryon über Teile von Cartwheel aus und sorgt für Handlungsunfähigkeit bei den Streitkräften des Quarteriums.

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