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Band 118

Rideryon-Zyklus

Der Weg zum Sternenportal

Das Rideryon bricht nach Cartwheel auf

Nils Hirseland

Cover

Prolog

Die Brüder von Sargomoph bewegen sich unaufhaltsam aufeinander zu und werden ihren Konflikt am Dualen Berge des Kosmos austragen. Die Schlacht um das »Leben an sich«, um das Recht auf physische und geistige Existenz hat begonnen. Unrein sind DORGON und MODROR in den Augen der Hohen Mächte.

Die dumpfen Glocken der Apokalypse läuten mit einem leisen Wummern. Als hätte das Universum ein Herz und als würde es pulsierend pochen. Hört ihr es? Das Schlagen im Hintergrund des Weltalls? Es wird lauter.

Du willst es dir vorstellen? Nun, stelle dir alles vor, was du liebst. Was dir etwas bedeutet. Und stelle dir vor, wie es vergeht. Zu Asche zerfällt. Als Sternenstaub verweht.

Das Universum hält den Atem an.

Der Kosmos fürchtet sich vor den Kosmotarchen.

Vor MODROR.

Vor DORGON.

Das Lied der Bastarde der Sterne erklingt. Es erzählt von Leid und Zerstörung.

Das Schachspiel des Universums geht in die entscheidende Phase. Die Figuren sind zwischen die Sterne gesetzt, bereit, zu tödlichen Schlägen auszuholen.

Ein Gebet wäre wohl angebracht. Oh, Hohe Mächte, verschont uns vor dem Kataklysmus. Doch was soll das Beten, stehen doch eben jene Mächte hinter ihren Materiequellen und Materiesenken in tiefster Verantwortung für den drohenden Untergang.

Das Rideryon bahnt sich den Weg ins alte Chepri.

Der ruhelose, rastlos wandelnde Nistant bereitet sich auf seine Reise zum Neganen Berg vor.

Die Spur zur Lilith wurde gefunden.

Der letzte große Alysker Eorthor hofft auf seinen finalen kosmischen Applaus.

Die Söhne des Chaos stehen zum Kampf bereit.

Der Frieden droht zu zerbrechen. Brüder und Schwestern werden erneut in den Krieg ziehen. Liebende werden einander hassen, Geliebte werden betrauert.

Sie werden alle am Fuße des Kosmischen Dualberges dahinsinken und sterben.

Ihre Erinnerungen werden im Chaos von Raum und Zeit verloren gehen, so wie die Zeit selbst. Alles uns Bekannte, alles von uns Geliebte, alles uns Teure wird auf ewig erlöschen. Wir werden in die toten Augen unserer Nächsten starren und darin das verzehrende Schwarz des sterbenden Weltraums erblicken.

Die Nacht legt sich über das Universum.

Und die letzten Worte, die wir vernehmen, werden die Worte des Kosmotarchen sein.

Ich bin das Ende – ich bin der Tod!

Ich bin der Anfang – ich bin das Leben!

Ich bin MODROR!

1. Nistants Botschaft

8. Juni 1308 NGZ, Rideryon, Cauthon Despair

Die Absturzstelle der IVANHOE II lag vor uns, ein in grünen und roten Farben leuchtender Punkt inmitten des ockerfarbenen Sandmeers. Die bunten Farben stammten von den unterschiedlich gestaffelten Paratron- und HÜ-Schutzschirmen der umliegenden Raumschiffe. Quarteriale Kreuzer und die Beiboote des 2500 Meter durchmessenden Kugelgiganten bildeten einen Kreis um die Absturzstelle. Man hatte ein provisorisches Lager errichtet und das Areal mit Schutzschirmen vor Angriffen gesichert.

Quarterium und Liga Freier Terraner arbeiteten diesmal zusammen. Das war eine Wende. Allerdings trug ich Energiefesseln um die Handgelenke. Aurec hatte sie mir angelegt nach den Ereignissen am geheimnisvollen Transmitter in der alten Lilim-Station im Berge Keshruuv.

Uns – also Aurec, Constance Zaryah Beccash und mir – war der Zugang durch den Transmitter aus unbekannten Gründen verwehrt geblieben. Sato Ambush, Denise Joorn und Maya ki Toushi waren hindurchgegangen. Ihr Schicksal war ungewiss. Ki Toushi hatte immer wieder etwas davon gefaselt, dass sie die Spur der Lilith gefunden habe. Ob sie Lilith oder Antworten hinter dem Transmitter gefunden hatten, blieb uns verborgen.

Jedenfalls hatten uns meine Brüder des Chaos aufgelauert. Doch ich hatte mich gegen sie gestellt, um das Leben von Constance zu retten, und vielleicht auch ein wenig das Leben von Aurec. Cau Thon hatte mein Eingreifen vorerst akzeptiert, doch seine Drohung war eindeutig gewesen.

Ich stand am Scheideweg und wusste nicht, was ich tun sollte. MODROR verraten? Das Quarterium verraten? Sofern sich das Quarterium nicht von dem Kosmotarchen lossagen würde, blieb mir wohl keine andere Wahl. Oder sollte ich loyal zu MODROR und meinen Brüdern des Chaos stehen? Das würde letztlich die Auslöschung jener bedeuten, die mir am Herzen lagen: Constance, Pyla, Anya.

Ich empfand Respekt vor Perry Rhodan, Aurec und ihren Verbündeten. Mein Hass war längst nicht mehr so intensiv wie noch vor Monaten. Viele Ereignisse hatten mich ins Zweifeln gebracht. Mein Imperium mordete zu Millionen unschuldige Wesen! Das war es nicht, was ich bei seiner Gründung gewollt hatte. Eine neue, starke Ordnung war mein Ziel gewesen und die Ausmerzung dieser Dekadenz, die ebenfalls so vielen Lebewesen das Leben gekostet hatte und kosten würde. Doch musste der Weg dorthin mit so vielen Leichen gepflastert werden?

Aurec landete den Gleiter in einem Hangar der IVANHOE II. Er drehte sich in seinem Sessel um und blickte mich durchbohrend an.

»Nur widerwillig werde ich die Fesseln deaktivieren. Ich traue dir nicht und werde dir nie trauen. Wer sagt mir denn, dass das Quarterium uns nicht in den Rücken fällt?«

»Die Soldaten des Quarteriums werden es bestimmt tun, wenn sie herausfinden, dass ich dein Gefangener bin«, erwiderte ich kühl.

Aurec nickte kühl. Knapp gab er zurück: »Das denke ich auch.«

Er stand auf, schien zu überlegen. Ich streckte ihm meine gefesselten Arme entgegen. Er deaktivierte die Energiefesseln, ich rieb mir die Handgelenke. Weder Aurec noch ich wussten, wie es nun weitergehen würde. Waren wir Feinde? Alliierte? Es bestand ein Zweckbündnis. Doch wie lange noch?

Ich erhob mich. Constance saß an den Kontrollen und wirkte überrascht.

»Hört euch das mal an. Oder besser noch, seht es euch an.«

Vor uns baute sich das Hologramm von Nistant, dem Erbauer des Rideryons, auf. Nistant musste mehr als 200 Millionen Jahre alt sein und sah auch so aus: Er glich einem Zombie. Das wirre Haar hing in Strähnen vor dem Gesicht, die von Fäulnis zerfressene Fratze starrte in ein imaginäres Publikum.

»Estarten und ihre Besatzer! Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass wir keinen Austausch der Kulturen in Siom Som durchführen. Das Rideryon wird die Galaxie bald verlassen.«

Was? Das war wirklich eine faustdicke Überraschung.

»Die Botschaft wird auf allen Kanälen gesendet«, erklärte Constance. »Offenbar will er, dass jeder sie mitbekommt.«

Die Holografie zeigte Nistant nun komplett. In eine schwarze Kombination mit hohen Stiefeln und einen dunklen Umhang gehüllt, stand er vor einem nebeligen Hintergrund.

»Das Rideryon wird Kurs auf die Welt Som-Ussad nehmen, wo sich ein Sternenportal befindet. Das gesamte Resif-Sidera wird in eine andere Galaxie reisen, wo seine wahre Bestimmung liegt. Siom Som war stets nur eine Etappe auf dem langen Weg der Weltrauminsel gewesen. Ihr Ziel ist euch nicht unbekannt. Einige nennen die Galaxie Chepri – andere Cartwheel. Dorthin wird unser Weg uns führen und die Ankunft des Rideryons wird das Schicksal Cartwheels auf ewig verändern.«

Das Hologramm erlosch.

Das war ein Schock. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, mein Blut hämmerte in meinen Ohren. Ausgerechnet Cartwheel! Das war ein Angriff, eine Invasion! Wie würde der Emperador darauf reagieren? Wie die Quarteriumsfürsten Uwahn Jenmuhs und Leticron? Sicherlich würden sie die Ankunft des Rideryons als Kriegserklärung auffassen. Es war schon in Siom Som unerwünscht gewesen – doch im Herzen des Quarteriums würde es bestimmt nicht geduldet werden.

Aurec blickte mich starr an.

»Sieht so aus, als würde der Konflikt nun wieder nach Cartwheel getragen werden. Eine Erleichterung für die Estarten.«

Damit hatte der Saggittone recht. Unser Zweckbündnis würde wohl bald enden, denn natürlich wollte Aurec sein Volk von unserer Besatzung befreien. Wir konnten den Krieg nun nicht mehr aus Cartwheel fernhalten.

»Nun«, sagte ich mit belegter Stimme. »Wie auch immer die Zukunft wird, es sieht jedenfalls nach einem Abschied von Siom Som aus.«

*

»Ich gehe durch den Transmitter der Kemeten. Ich fürchte, dass die Verantwortlichen in Siom Som nicht die richtigen Entscheidungen treffen«, sagte Aurec entschlossen.

Xavier Jeamour, Kathy Scolar, Joak Cascal, Sruel Allok Mok, Roi Danton, Constance Zaryah Beccash und ich, der Silberne Ritter des Quarteriums, waren anwesend, als der Saggittone diese eindringlichen Worte sprach. Wir befanden uns nicht auf der IVANHOE II, sondern in einem provisorischen Unterstand mitten im Sand. Provisorisch war allerdings stark untertrieben. Durch die verwendete Formenergie wirkte er eher wie ein Sommerhaus. Der heiße Wüstenwind blies durch die Räume. Diese Region erinnerte mich an Mashratan, jene Welt, auf welcher der Silberne Ritter aus Feuer und Trümmern geboren worden war.

»Ich werde auch gehen«, entschied ich.

Was sollte ich noch auf dem Rideryon? Der Emperador befand sich hier, er würde einen kühlen Kopf bewahren. Doch außerhalb des Rideryons hatten Leticron und Jenmuhs das Sagen im Quarterium.

»Dann gehe ich auch«, wisperte Constance.

»Wie bitte?«, fragte Jeamour. Er hatte ihre Worte wohl akustisch nicht verstanden.

»Ich gehe auch. Zum einen muss Adelheid unterrichtet werden, dass wir Lilith auf der Spur sind. Und zum anderen fürchte ich die irrationalen Entscheidungen der Hexenmeisterin«, rief Constance nun lauter als beabsichtigt. Sie blickte sich verlegen um.

»Meine diplomatischen Erfahrungen werden in Siom Som benötigt. Aus diesem Grund schließe ich mich der Dame und den beiden Herren an«, entschied der Somer Sruel Allok Mok, der von den Terranern Sam genannt wurde. Der Somer mit dem blauen Gefieder war ein treuer Begleiter Rhodans und Aurecs – schon seit jener Zeit, als die Mordred die Entführung der LONDON organisiert hatte. Das war vor 23 Jahren gewesen.

»Ist der Transmitter denn überhaupt sicher? Wie oft wurde er getestet?«

Kathy Scolar brachte einen nicht unwesentlichen Punkt ins Spiel. Ihr dunkles Haar wehte wild im Wind. Sie schob sich die Strähnen aus dem Gesicht.

»Nicht oft genug. Deshalb wirst du zur Sicherheit hierbleiben«, entschied Aurec.

»Ach ja? Danke! Das macht mich ja auch viel glücklicher, wenn du bei einem Transmitterunfall stirbst und mich alleine zurücklässt.«

Aurec seufzte.

»Die Zeit drängt«, befand ich. »Das ist kein Abschied für immer. So wie ich es verstanden habe, ist der Transmitter der Kemeten ein Personentransmitter, der jedoch kleinere Bauteile transportieren kann.«

Jeamour räusperte sich.

»Das ist korrekt, Quarteriumsmarschall. Es ist geplant, dass wir weitere Transmitter errichten. Der Kontakt wurde über einen Roboter auch schon hergestellt, geehrte Kathy, er ist also sicher. So sicher, wie kemetische Technologie nur sein kann.«

»Wir wissen nicht, wie der Transmitter reagiert, sobald das Rideryon auf Kurs Som-Ussad geht. Ich muss leider Despair recht geben: Die Zeit drängt. Eorthor, Adelheid, Leticron und Jenmuhs sind eine gefährliche Kombination«, widersprach Aurec. Er ging auf mich zu.

»Ich kann darauf vertrauen, dass der Frieden in deinem Interesse ist?«

»Du kannst darauf vertrauen, dass ich keinen Krieg in Cartwheel haben will. Ich will auch nicht, dass das Rideryon angegriffen wird. Vergiss nicht, dass der Emperador hier ist.«

Ein Alarm heulte auf. Es war ein Kommunikationsalarm am Interkom des Kommandanten Jeamour. Er wischte mit dem Finger über das Display. Ein Hologramm des Posbi Lorif erschien.

»Sir, wir registrieren Bahnveränderungen der Tholmonde. Es sieht so aus, als würden sie zusammenrücken, wenn ich das so ausdrücken kann. Ein durchaus heikles physikalisches Vorhaben, doch wir sind ja bereits einige Wunder auf dem Resif-Sidera gewohnt. Meine Schlussfolgerung lautet, dass sich das Resif-Sidera für die Reise nach Som-Ussad bereit macht.«

»Aye, wir müssen uns sputen. Aurec, drück der lieben Kathy einen dicken Schmatzer auf die vollen Lippen. Oder soll ich das für dich übernehmen?«, drängelte Roi Danton. Der Saggittone schnaubte.

»Das schaffe ich schon selbst.«

Roi wandte sich an mich.

»Du hast ja niemand, dem du Lebewohl sagen kannst. Außer vielleicht der reizenden Pyla, doch wer weiß, wo und mit wem sich die Unbedarfte gerade unartig vergnügt.«

Dantons Worte schmerzten. Es gab Momente, da hätte ich ihm am liebsten den Kopf samt Dreispitz abgetrennt. Um mich zu beruhigen, warf ich einen Blick auf Constance. Sie kam ja auch mit, und sie war mir um einiges nahbarer als Pyla. Immerhin war sie eine Lilim, psionisch begabt und hatte noch dazu eine gute Seele, die es gewohnt war, mit ruchloseren Geschöpfen als mir umzugehen. Vielleicht war es Schicksal, dass wir zusammen auf die nächste Mission gingen.

»Ich muss mich nicht verabschieden. Unsere Wege trennen sich nicht.«

Constance lächelte mich an.

Danton verdrehte die Augen. Damit war alles geklärt. Und doch gab es jemanden, von dem ich mich verabschieden musste.

*

Die Holografie des Emperadors de la Siniestro gab einen Seufzer von sich.

»Mir wäre es wohler, wenn Ihr auf dem Rideryon verweilen würdet, doch ich sehe ein, dass Leticron und Jenmuhs in Schach gehalten werden müssen.«

»Kommt mit mir, mein Emperador.«

De la Siniestro winkte ab.

»Durch diesen unsäglichen Transmitter? Nein, nein. Ich bin auf der EL CID sicherer. Außerdem bedarf es eines geschickten Diplomaten wie mir, um die rivalisierenden Parteien unter Kontrolle zu halten.«

»Welche Instruktionen habt Ihr für Leticron und Jenmuhs?«

Das in Furchen gelegte Gesicht des Monarchen wirkte noch faltiger als sonst. Nachdenklich senkte er den Blick.

»Das Rideryon wird für Chaos in Cartwheel sorgen. Es wäre besser, würde es nicht in unsere Heimat reisen. Doch wir sollten es auch nicht um jeden Preis verhindern. Bekämpfen wir das Rideryon und die Allianz aus LFT, Saggittonen, Alyskern, Entropen und Estarten, so droht unser Untergang.«

»Ich verstehe.«

»Buena suerte, Despair. Viel Glück!«

Das Hologramm erlosch. Ich erhob mich und drehte mich um. Am Eingang meines Quartiers stand Virginia Mattaponi. Meine treue Ordonnanz sah mich aus ihren braunen Augen traurig an.

»Musst du wirklich gehen? Kann ich nicht mitkommen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, du musst auf den Emperador aufpassen. Oberst Tantum ist keiner, der Widerworte gibt. Sein Sohn Orlando und du werdet die Stimmen der Vernunft sein. Die braucht er jetzt mehr denn je. Die Arena mit Jenmuhs und Leticron ist nichts für dich.«

Sie nickte langsam. Dann straffte sie sich und salutierte.

»Wir werden uns wiedersehen, Cauthy!«

»Ich habe dir …« Ich hielt inne. Wieso meckerte ich sie eigentlich an? Störte mich die Anrede wirklich?

»Ja, Virginia. Wir werden uns wiedersehen. Pass auf dich auf.«

Ich schritt an ihr vorbei und verließ mein Quartier aus Formenergie. Mein Weg führte vorbei an den quarterialen Soldaten, die die Befestigungen um die IVANHOE II sicherten. Sie salutierten. Tapfere Männer und Frauen waren das, tapfere Terraner. Wohin würde ihr Weg führen? Würden wir weiter an MODRORS Seite dienen und gegen Brüder und Schwestern kämpfen? Vorerst hielt der brüchige Frieden.

Als ich den Transmitter erreichte, ging ich hindurch und materialisierte einen Lidschlag später in der Gegenstation auf der IVANHOE II.

Ich warf sogleich einen Blick auf den kemetischen Transmitter. Der war oval gebaut. Ein weißes Leuchten füllte den Durchgang aus.

Aurec, Sam und Constance Zaryah Beccash erwarteten mich bereits.

Rechts von ihnen stand Lorif an einer Konsole. Neben ihm lehnte Kathy Scolar.

Aurec seufzte, nahm Kathy zum Abschied in den Arm und küsste sie. Dann löste er sich langsam von ihr, räusperte sich und starrte ins Transmitterfeld. Er nickte. Es war wohl eher eine Art eigene Bestätigung.

»Also gut, der Erste, der drüben ist, kriegt einen Kelch Sorfa.«

Er lachte und trat ins Transmitterfeld.

»Ich mag eh kein Bier«, sagte Constance und folgte ihm.

»Ein 1285er Ebi-Vino Scil wäre angenehmer für meinen Schnabel«, meinte Sam und verschwand hinter den schwarzweißen Linien.

Ich nickte Kathy und Lorif zu. Dann schritt ich durch den Transmitter. Die schwarzweißen Linien verzogen sich zu Spiralen, dann wurde es für einen Moment dunkel und ich spürte, wie ich mich auflöste und wieder zusammensetzte. Es blieb ein flaues Gefühl in der Magengegend. Vor mit standen Osiris und Anubis. Links daneben Constance, Sam und Aurec. Wir hatten den Weg aus dem Rideryon geschafft.

Das war der einfache Teil der Aufgabe gewesen. Was nun vor uns lag, würde deutlich schwerer werden.

2. Gefahr aus Siom Som

Die Sterne spiegelten sich auf der dunkelgrauen Metallhülle aus Ynkelonium-Terkonit-Verbundmaterial. Das vierfache Aufblitzen aus der Ferne wurde ebenso von der metallischen Haut des Raumschiffes gespiegelt wie der Schein der roten Sonne des Systems. Der Himmelskörper war nur eine Nuance größer als die weit entfernten Gestirne und doch dominierend.

Der Kugelraumer befand sich am Rand des Sonnensystems des Planeten Som-Ussad, jener unbedeutenden Welt in der Galaxie Siom Som, dessen Lage über die letzten Jahre so wichtig geworden war. Denn hier befand sich das Sternenportal. Die gigantische Transmitteranlage bestand aus vier Raumstationen und vermochte – sofern eine Gegenstation vorhanden war – binnen weniger Momente sogar eine ganze Flotte in eine andere Galaxie zu transferieren.

Das SUPREMO-Raumschiff hatte ein bestimmtes Ziel: Die Galaxie Cartwheel, Sitz des Quarteriums. Wie alle Schiffe seines Typs war es ein Kugelraumer mit einem klassischen Ringwulst. Der Unterschied zu den Modellen der Liga Freier Terraner war jedoch eine markante, röhrenförmige Erweiterung an einer Stelle des Ringwulstes, welche manche als »Schweif« bezeichneten.

Sein Kommandant saß angespannt im breiten, weichen Kommandosessel, welcher zentral auf der runden Brücke thronte. Um ihn herum huschten Offiziere, Techniker und Kontrolleure. Auf dem runden Hologramm war die Region rund um das Sternenportal zu sehen. Aufmerksam blickte General Alcanar Benington auf die vier Stationen des Sternenportals. Durch einen kurzen Lichtblitz signalisierten sie ihre Bereitschaft. Der Navigator hatte zuvor die Koordinaten von Cartwheel eingegeben. Mehr musste man nie tun: Einfach die Daten des Ziels über eine vorgegebene Frequenz an das Portal senden, dann verrichtete es den Dienst.

Benington war in Eile, denn das Rideryon hatte sich in Bewegung gesetzt. Ihm war unverständlich, wie so ein gigantisches Gebilde, welches in der Masse einem Sonnensystem glich, so einfach auf Überlichtgeschwindigkeit gehen konnte.

Die Nachricht dieses mysteriösen Nistants war über alle Frequenzen in Siom Som gesendet worden und hatte einen Schock bei den quarterialen Besatzern ausgelöst.

Die Wissenschaftler hatten den Weg des Rideryons über Halbraumspürer nachverfolgen können. Ihren Berechnungen zufolge steuerte es tatsächlich auf Som-Ussad zu. Und damit würde die Ankündigung von Nistant wohl wahr werden: Das Rideryon wollte Siom Som verlassen und ausgerechnet nach Cartwheel fliegen.

Der Emperador war auf dem Riff gefangen. Ebenfalls dessen Sohn Orlando. Benington musste nun Meldung auf Paxus machen, und er freute sich nicht darauf.

Despair verweilte indes beim Feind. Vor einer halben Stunde hatten die Verbände des Estartukorps eine Hyperkom-Nachricht des Quarteriumsmarschalls von einem Raumschiff der Liga Freier Terraner erhalten. Despair erwartete, von einem quarterialen Raumschiff abgeholt zu werden. Das fand Benington obskur.

Ohnehin war ihm dieser Silberne Ritter inzwischen suspekt. Einst war Despair ein mächtiger Krieger gewesen, doch inzwischen war aus ihm ein Zauderer geworden, ein Freak, der zu viel Macht besaß. Benington hätte Despair abholen können, doch er hielt es taktisch für klüger, die Rückmeldung aus Paxus abzuwarten. Dann mussten Leticron, Uwahn Jenmuhs und Stephanie de la Siniestro entscheiden, ohne dass der Silberne Ritter sie beeinflussen konnte. Außerdem wollte Benington unbedingt Stephanie wiedersehen.

Der Kommandant wollte auch dem verhassten zalitischen Befehlshaber des Estartukorps, Toran Ebur, zuvorkommen. Sollte der doch Despair einsammeln, wenn er wollte. Ebur stand ihm gleich zweimal im Weg: Einmal im Kampf um militärische Ehren und einmal im Kampf um das Herz der Kaisertochter. Doch Ebur war ein Günstling von Jenmuhs und offenbar für den Emperador der ideale Schwiegersohn. Aber Stephanie liebte Ebur nicht. Sie liebte ihn! Ihn, Alcanar Benington, den größten Raumherrn aller Zeiten. Wer sein Herz sah, erahnte seinen Wert, dessen war er sich sicher.

Der SUPREMO-Raumer durchflog das Sternenportal. Nach wenigen Momenten in einer Art Hyperraumflug hatten sie Cartwheel erreicht. Rund um das Sternenportal erblickte Benington schwer bewaffnete Raumforts des Quarteriums.

Eine ganze Flotte von SUPREMO-Raumschiffen patrouillierte vor dem gigantischen Transmitter. Würde sie ausreichen, um das Rideryon abzuwehren? Benington war sich im Klaren, dass das Rideryon daran gehindert werden musste, Cartwheel zu erreichen. Seine Ankunft war eine Invasion von Billiarden fremdartiger Wesen. Eine Kriegserklärung.

Ohne große Verzögerung ging das SUPREMO-Raumschiff auf Überlichtflug und erreichte das zehn Lichtjahre entfernte Paxus innerhalb von fünf Minuten. Die drei grünen Kontinente des blauen Planeten faszinierten Benington immer wieder aufs Neue. Nach den Sicherheitskontrollen der Wachflotte steuerte der SUPREMO den Kontinent Erisor an.

Das Herz des Quarteriums wurde ebenfalls Paxus genannt, denn die Stadt erstreckte sich über den gesamten Kontinent. Aus dem Weltraum war die gigantische Hauptstadt Paxus-City mit bloßem Auge zu erkennen. Mit ihren siebenhundert Millionen Einwohnern war sie der Dreh- und Angelpunkt des Sternenreiches.

Nach dem Eintritt in die Atmosphäre wurde der SUPREMO langsamer. Benington erhob sich und eilte über die Antigravschächte zum Hangar. Dort war die Space-Jet schon startklar. Das Beiboot startete und steuerte auf den »Klotz« zu, jenes graue, quadratische Gebäude, welches das Regierungsgebäude darstellte.

Die Space-Jet landete auf einem der Landetürme. Beim Aussteigen bemerkte Benington, dass es regnete. Noch ehe Servoroboter einen Regenschirm aus Formenergie aufbauen konnten, rannte er in den Innenraum, suchte den nächsten Transmitter und ließ sich in die Zentrale abstrahlen. Er ging festen Schrittes an den Sicherheitskräften vorbei. Sie waren über seine Ankunft informiert.

Die schwere schwarze Stahltür glitt zur Seite und machte den Blick frei auf einen schmucklosen, grauweißen Raum mit einem großen Tisch. Dort saßen Leticron, Uwahn Jenmuhs, Stephanie de la Siniestro, Toran Ebur und Peter de la Siniestro.

Nun kam Beningtons große Stunde. Dessen war er sich sicher.

*

»General Benington, was gibt es so Dringendes?«, fragte der Gos’Shekur Uwahn da Jenmuhs. Der fette Arkonide wirkte in seiner engen, weißen Uniform mit den vielen Orden noch aufgeblasener als sonst.

Benington salutierte vor der Elite des Quarteriums.

Er blickte nun auf die imposante Gestalt des Pariczaners Leticron. Die Haut des Corun war olivgrün. Die kleinen braunen Augen waren bedrohlich auf den General gerichtet. Leticron verzog keine Miene. Jenmuhs hingegen war offensichtlich ungeduldig.

Der Generalmarschall Toran Ebur sah Benington grimmig an. Das war er gewohnt. Die Stirnfalten des dunkelhäutigen Zaliters schienen noch tiefer zu werden. Wieso war der eigentlich schon auf Paxus?

Peter de la Siniestro würdigte Benington ebenfalls keines freundlichen Blickes. Der Sohn des Emperadors trug seine blauweißrote, adrette Phantasieuniform, die eines Möchtegern-Generalmarschalls.

Peter war ein Wahnsinniger. Die Generalität und der Emperador hatten es bisher geschafft, ihn mit Spielzeugsoldaten und virtuellen Gefechten beschäftigt zu halten. Doch nun saß er am Tisch der Großen. Das pockige Gesicht war mit weißer Schminke übertüncht, und doch sah das geübte Auge die Entstellung. Auf dem Kopf trug er eine weiße Perücke, welche sein haarloses Haupt bedeckte. Sie war ebenfalls eine Anlehnung an die prästellare Zeit, in der Soldaten noch zu Fuß und zu Pferd mit Schwertern und primitiven Projektilwaffen gegeneinander kämpften.

Einzig das Antlitz von Stephanie war eine Wonne. Die Prinzessin leuchtete heller als eine Supernova. Ihr dunkles Haar ergoss sich in üppigen Wellen über ihre Schultern. Die graue, enge Oberkombination betonte ihre üppigen Brüste. Was sie weiter unten trug, vermochte Benington durch die Tischplatte nicht zu erkennen. Vermutlich eine enge Hose, welche ihren straffen Hintern wie eine reife, pralle Frucht erschienen ließ, reif zum Pflücken. Ach, könnte er doch Ebur vom Stuhl schießen und sie hier und jetzt auf dem Tisch vögeln.

»Was gibt es für dringende Meldungen aus Siom Som?« Leticron wirkte beinahe besorgt. Die Worte rissen Benington aus seinen feuchten Fantasien. Er fasste sich.

»Sir, die Ereignisse überstürzen sich. Das Rideryon ist auf Überlichtgeschwindigkeit gegangen. Berechnungen zufolge steuert es Som-Ussad an. Nistant hat einen Hyperfunkspruch an die ganze Galaxie gesendet. Das Rideryon verlässt Siom Som.«

Leticron erhob sich, während Jenmuhs mit dem Finger in der Nase stocherte und einen grünen, schleimigen Popel aus dem Riechorgan zog.

»Wohin?«, fragte Leticron.

Benington nahm Haltung an.

»Cartwheel, Sir!«

»Was?«, schrie Stephanie auf. »Unmöglich!«

»Gibt es Nachrichten von meinem Vater oder meinem Bruder?«, fragte Peter.

Jenmuhs rollte den Popel zwischen Daumen und Zeigefinger zu einer Kugel.

»Wir müssen das Sternenportal versperren«, schlug Toran Ebur vor.

»Sir, ich denke …«, begann Benington, als Jenmuhs den Popel mit dem Finger in seine Richtung schnippte.

»Sir?«, fragte der General verdutzt.

Jenmuhs erhob sich. Er wirkte gelassen.

»Meine Herren, meine Dame. Machen wir es uns einfach. Wir vernichten das Rideryon. Oder wir besetzen es. Das Quarterium wird diese Massenmigration nicht dulden. Billiarden Asylanten, Flüchtlinge und Gesocks wollen in unsere Galaxie? Nicht mit uns! Wir werden die Entsorgungslager reaktivieren, sollte es soweit kommen und Cartwheel von jedem Unterwesen reinigen. Besser wäre, das Rideryon bereits in Siom Som zu stoppen. Zur Not zerstören wir das Sternenportal bei Som-Ussad.«

Benington überwand seine Demütigung. Er stimmte Jenmuhs zu.

Im Gegensatz zum Corun von Paricza.

»So, da haben wir also wieder die Helden des Andromeda-Feldzugs. Haben Sie beide Ihre Niederlage bereits vergessen, General und Gos’Shekur?«

Leticron bedachte sie mit verächtlichen Blicken. Benington wand sich innerlich. Er hatte das natürlich nicht vergessen, war er doch wegen der angesprochenen Ereignisse vom Generalmarschall zum General degradiert worden – allerdings nur wegen seiner Feinde. Despair, Orlando de la Siniestro, Sizemore, diese defätistischen Schweinehunde hatten ihm seine Karriere verbaut!

Benington straffte sich. Jetzt konnte er sich wieder reinwaschen, mit einem glorreichen Sieg bei Som-Ussad, dort, wo er bereits vor drei Jahren eine Schlacht gewonnen hatte. Er würde abermals siegreich sein und die Vatergalaxie vor dem Schwarm der Massenmigranten erretten. Und dann würden alle seinen Wert erkennen.

»Wir müssen auch an das Wohl unserer Familie denken«, wandte Peter ein.

Stephanie nickte schwach. Benington wusste, dass sie nicht mehr mit der Meinung ihres Vaters übereinstimmte. Der Schandfrieden von Som hatte eine Allianz gegen den Emperador geschaffen. Leticron, Jenmuhs, Stephanie, Reinhard Katschmarek und Benington selbst waren dabei, Peter war nicht involviert. Er war zu instabil. In einem Wutanfall hätte er unliebsamen Mithörern von ihren Plänen berichten können. Der Sohn des Emperadors sollte sich lieber um seine virtuellen Spielzeugsoldaten kümmern.

»Deshalb können wir das Rideryon auch nicht angreifen. Der Emperador wäre in Gefahr. Vielmehr sollten wir auf seine Genialität setzen und auf eine Lösung warten, die von ihm kommt«, meinte Ebur.

»Schwachsinn«, rief Benington.

»Sie vergreifen sich im Ton, General«, brüllte Ebur los. Benington hielt dagegen.

»Sir, bei allem Respekt, Sir. Der Emperador ist eine Geisel. Heldenhafte Männer und Frauen des Quarteriums könnten ihn vielleicht befreien. Doch wir dürfen auf keine diplomatische Lösung hoffen. Wir müssen den Feind vor den Toren Cartwheels stoppen!«

Leticron und Jenmuhs hatten wieder Platz genommen. Der Corun sah den Gos’Shekur eindringlich an. War er ratlos?

»Wie reagieren die anderen? Die Saggittonen, Alysker, Estarten? Haben Sie mit ihnen gesprochen, Benington?«

»Nein, Sir. Ich … ich wollte zunächst Paxus Bericht erstatten.«

»Und haben mich dabei vergessen«, erklang die Stimme des Silbernen Ritters hinter Benington. Der General zuckte zusammen, als Despair an ihm vorbeischritt.

Mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung musterte Benington die prachtvolle Raumrüstung. Despair war die vollendete Mischung aus einem Raumfahrer und einem romantischen Kreuzritter. Er verkörperte Tugend, Moral und Stärke für das Quarterium. Zumindest hatte er das früher verkörpert. Welch ein Narr er geworden war, Rüstung hin oder her.

»Wir wollen doch nicht den brüchigen Frieden gefährden. Außerdem ist die ganze Situation sehr verworren. Wir wissen zu wenig. Solange der Emperador auf dem Rideryon weilt, wäre ein Angriff töricht«, erklärte Despair.

Nun stand er rechts neben dem breiten Tisch.

»Wieso sind Sie hier und der Emperador nicht?«, fragte Jenmuhs.

»Der Emperador und sein Sohn befinden sich auf der EL CID über dem Rideryon. Zusammen mit dem Saggittonen Aurec, dem Somer Sam und der Lilim Constance Beccash bin ich durch einen kemetischen Transmitter auf der IVANHOE II nach Siom Som zurückgekehrt. Hier sind seine Befehle: Der Emperador wünscht nicht, dass das Rideryon Cartwheel erreicht, er will es aber auch nicht um jeden Preis verhindern. Wir sollen das Wohl und Wehe abwägen. Der Emperador versucht mit seinem diplomatischen Geschick die Interessenparteien auf dem Rideryon zu einen.«

»Wir müssen meinen Vater befreien«, sagte Peter energisch.

Jenmuhs lümmelte unflätig in seinem breiten Sessel und schien beinahe seine Stretch-Uniform zum Platzen zu bringen.

»Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass das Rideryon Cartwheel erreicht. Wir wissen doch gar nicht, ob der Emperador noch lebt. Vielleicht hat Despair ihn ja auf dem Gewissen und ist in Feigheit geflohen.«

»Ein berechtigter Einwand«, stimmte Benington aus tiefster Überzeugung zu.

»Seien Sie vorsichtig mit Ihren Anschuldigungen«, drohte Despair und legte die Hand an die Schwertscheide. Das goldene Caritschwert ruhte darin. Es war schon oft mit dem Blut von Lebewesen getränkt worden.

»Ruhe«, gebot Leticron und erhob sich.

»In Abwesenheit des Emperadors sind Jenmuhs und ich als Quarteriumsfürsten die Regenten unseres Sternenreiches. Und ich sage, dass wir unter allen Umständen verhindern werden, dass das Rideryon Cartwheel erreicht. Wir haben kein Lebenszeichen vom Emperador erhalten, dem wir vertrauen können. Die Umstände seines Verschwindens sind mysteriös. Wachen!«

Agenten der Cartwheel Intelligence Protective, kurz CIP, dem Geheimdienst des Quarteriums betraten den Saal. Werner Niesewitz führte sie an, ausgerechnet der kleine Chef des Geheimdienstes selbst. Benington war überrascht. Das wirkte geplant. Er sah zu Stephanie. Sie war völlig gelassen. Ein feines Schmunzeln umspielte ihre sinnlichen roten Lippen. Wie gern würde er jetzt von denen kosten.

Peter stand überrascht auf. Auch Toran Ebur wirkte irritiert.

Jenmuhs sagte: »Ich stimme dem Corun voll und ganz zu. Despair muss verhört werden. Er hat sich als unbelastbar erwiesen. Ich spreche eine Beurlaubung von vier Wochen aus. Informieren Sie Niesewitz über alle Vorgänge. Er wird dann eine abschließende Bewertung durchführen.«

Jenmuhs grinste zufrieden. Benington dämmerte es jetzt. Er wurde Zeuge eines Putschversuchs, Leticron und Jenmuhs übernahmen das Zepter. Und so zufrieden, wie Stephanie wirkte, war sie Teil des Komplotts. Freude stieg in ihm auf. Eine bessere Chance, sich den Friedensbeschwörern Despair und de la Siniestro zu entledigen, gab es nicht.

Vielleicht war es auch wirklich nötig, dass der Emperador und Despair eine Auszeit bekamen, sie hatten sich seltsam verhalten. Wenn Leticron und Jenmuhs – und Benington selbst – das Reich retten würden, würden die beiden vielleicht auch wieder zur Vernunft kommen.

»Kommen Sie freiwillig mit?«, fragte Niesewitz.

»Falls nicht?«

Niesewitz gab seinen Männern ein Zeichen. Sie erhoben die Waffen. Der hagere, kleinwüchsige Terraner mit dem schütteren, grauen Haar blickte den Silbernen Ritter mit einem schelmischen Grinsen an.

»Nun denn, dann nach Ihnen«, sagte Despair.

»Oh nein, nach Ihnen, Sir!«

Despair wandte sich an Leticron: »Glauben Sie ernsthaft, der Emperador wird das nach seiner Rückkehr tolerieren? Das Rideryon ist geheimnisvoll und mächtig. Wir werden die Durchreise nach Cartwheel nicht verhindern können. Wir werden verlieren, viele Leben und Raumschiffe verlieren. Doch es ist wohl sinnlos, an Ihre Vernunft zu appellieren. Sie haben sich bestens auf diesen Moment vorbereitet.«

Despair drehte sich um, schritt wortlos an Benington vorbei und wurde von den CIP-Agenten und Niesewitz aus dem Saal eskortiert.

*

Es herrschte eine spürbare Anspannung im Konferenzraum. Benington beobachtete die Beteiligten. Peter de la Siniestro und Toran Ebur gestikulierten aufgebracht. Uwahn Jenmuhs und Stephanie de la Siniestro wirkten hingegen recht zufrieden. Der Corun von Paricza starrte gedankenverloren aus dem Fenster und schien den Flugverkehr zu beobachten.

Benington nahm allen Mut zusammen. »Sir, ich erwarte Ihre Instruktionen«, meldete er sich. Hatte ein Putsch stattgefunden, so wollte er auf der Siegerseite stehen. Und er musste seine bedingungslose Kooperation gegenüber Leticron, Jenmuhs und Stephanie signalisieren. Vielleicht gelang es ihm sogar, Ebur damit in den Schatten zu stellen.

»Despair zu inhaftieren ist Wahnsinn. Neben mir ist er der fähigste General«, erhob Peter seine Stimme. Er sprang aufgeregt auf, schob den Sessel zur Seite und schien sich damit Luft zu machen.

»Ich stimme dem Generalmarschall zu.« Natürlich stimmte Ebur zu. Und das obwohl er Zaliter war und aus dem Arkonblock stammte. Doch Loyalität gegenüber Jenmuhs besaß dieser Schandfleck keine.

»Meine beiden lieben Männer«, sagte Steph sanft, eine für Benington verletzende Aussage. »Es ist doch nur, um Zeit zu gewinnen. Der Kurs von Despair ist zu passiv, darin sind Leticron, Jenmuhs und ich uns einig. Despair braucht eine Auszeit, damit wir entsprechend in Siom Som handeln können.«

»Hört, hört«, rief Benington begeistert. Steph warf ihm einen abfälligen Blick zu. Der General fühlte sich wie ein Hund, der die falsche Zeitung apportiert hatte und sein Frauchen damit auf die Nerven gegangen war.

»Und unser Vater? Unser Bruder?«, fragte Peter. »Wie gedenken wir die beiden zu retten?«

»Nun«, sagte Benington gedehnt und erkannte die Chance, auch den wirren Peter loszuwerden. »Wieso vereinbaren Sie nicht ein Treffen mit diesem Nistant und flehen um das Leben des Emperadors?«

Peter kommentierte Beningtons Vorschlag mit einem düsteren Blick.

»General, sparen Sie sich Ihren Spott gegenüber meiner Familie«, rügte Stephanie zu Beningtons Überraschung. Sie tat das bestimmt nur, um den Schein zu wahren. Sie würde ihn niemals vor seinen Feinden bloßstellen. Würde sie doch nicht?

»Entschuldigen Sie, Prinzessin.«

»Benington, Sie organisieren zusammen mit Ebur die Verteidigung bei Som-Ussad. General Sizemore und General da Rohn werden für den Fall der Fälle zusammen die Heimatverteidigung planen«, entschied Leticron. »Einwände?«

Es gab keine. Alle schwiegen. Benington hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Ausgerechnet mit Ebur musste er sich wieder abgeben. Sein Konkurrent beraumte eine Lagebesprechung mit allen wichtigen Generälen und Admirälen an, in der über die Zukunft Cartwheels entschieden werden würde. Und viel wichtiger – über die militärische Laufbahn von Alcanar Benington!

3. Der Weg nach Som-Ussad

Das Universum hält den Atem an. Es ist mucksmäuschenstill im großen, allumfassenden Weltraum. Von Cartwheel bis Siom Som warten all jene, welche die Nachricht von Nistant erhalten haben, gebannt auf die vorprogrammierte Katastrophe. Das Quarterium mobilisiert seine Streitkräfte und fokussiert sie bei Som-Ussad.

Die Ouvertüre für den galaktischen, nein universellen Kataklysmus erklang. Der Frieden von Som war nach nur wenigen Monaten akut gefährdet. Die Auswirkungen waren nicht nur auf galaktischer Ebene zu spüren. Sie würde alle Galaxien in der einstigen Mächtigkeitsballung Estartu betreffen. Dazu Cartwheel, M 100 Dorgon und vermutlich sogar die Lokale Gruppe. Die Folgen waren noch nicht abzusehen.

Wie sind die Fakten?

Ich sprach heute Morgen bei einem üppigen, englischen Frühstück mit meinem alten Kumpel von der LFT, Henry »Flak« Portland. Er ist ein nüchterner, sachlicher Stratege, ein Fachmann. Seine Einschätzung lautet: Es wird zu einer Schlacht bei Som-Ussad kommen. Das Quarterium wird mit allen Mitteln einen Durchflug des Rideryons verhindern.

Die Migration von Billiarden Lebewesen entspricht nicht der Philosophie des faschistischen Regimes. Das Rideryon muss vom Quarterium als Gefahr wahrgenommen werden.

Doch wie werden die Alliierten reagieren? Die Saggittonen, die Alysker, die Kemeten, Estarten, die Liga? Dazu hat »Flak« geschwiegen. Es ist ein vielsagendes Schweigen gewesen. Es sagte mir so unendlich viel, und während ich nach dem Frühstück beim vierten Vurguzz saß und über die kommenden Zeilen grübelte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Die Alliierten werden angreifen. Es ist eine Option, und sie ist realistisch. Sie müssen das Rideryon vor der Zerstörung schützen. Vielleicht sogar müssen sie die Gelegenheit auch nutzen, um selbst nach Cartwheel vorzudringen.

Vielleicht gelingt Aurec das, was Perry Rhodan bisher nicht vollenden wollte: die Auslöschung dieses hasserfüllten, faschistischen Quarteriums.

Oder wird der Saggittone wieder einmal zu zögerlich sein? Welche Rolle werden die Entropen spielen?

Das Rideryon wird Anfang August bei Som-Ussad erwartet. Das Universum hält bis dahin den Atem an. Die Schachfiguren werden in ihre Positionen gebracht. Doch dieses Schachspiel ist ein Spiel von Feuer und Tod.

Euer Roppert »Speaky« Mohlburry an Bord der FOCUS

15. Juni 1308 NGZ

*

Bekket Glyn, Korrespondent INSELNET

15. Juni 1308 NGZ


Bürger des Quarteriums,

ich stehe hier vor einem Symbol der terranischen Macht: dem Transformgeschütz »Kleine Claudya«. Diese planetare Kanone wurde von unseren tapferen Soldaten auf Som-Ussad errichtet, nachdem sie vor drei Jahren heldenhaft diese Welt für das Quarterium erobert haben. Es war der erste Sieg des glorreichen Estartukorps unter Befehl von Generalmarschall Toran Ebur, dem Verlobten der bezaubernden Prinzessin Stephanie.

Es war eine von vielen gewonnenen Schlachten: Das Estartukorps eilte von Sieg zu Sieg, und daran hat sich nichts geändert.

Nun, drei Jahre später, stehen wir einer neuen, gefährlichen Bedrohung gegenüber: Invasive Massenmigration! Billionen, ja sogar Billiarden fremde Wesen wollen in unser Imperium. Einfach so. Illegal!

Was wollen sie in Cartwheel?

Das liegt auf der Hand. Sie wollen eure Jobs – im besten Fall. Eure Frauen und Kinder im schlimmsten Fall. Das eine Alien will vielleicht nur deine schöne Frau vergewaltigen. Doch ein anderes Alien will vielleicht deine Kinder fressen. Und deinen Besitz wollen sie alle.

Im Ernst, meine Herren Sternenjäger, was wollen die hier? So ein abstoßendes Monster sagt, es sei die Bestimmung dieser fliegenden Arche voller Asylanten.

Seht euch diesen Nistant einmal an! Ein Zombie, eine wandelnde Leiche. Eine Mumie auf zwei Beinen. Und der bringt sein Volk mal eben zu uns?

Wo wollen die leben? Was wollen sie essen und trinken?

Paxus, Mankind und all die anderen schönen Welten werden von ihnen überflutet werden. Die Kriminalität wird steigen.

Das Quarterium befindet sich erneut im Krieg. Es muss unter allen Umständen verhindern, dass das Riff durch das Sternenportal fliegt.

Wenn ich mir unsere »Kleine Claudya« ansehe, dann bin ich beruhigt. Das Geschütz wird das Riff vom Himmel holen!

*

Aurec blickte besorgt auf die dreidimensionale Hologrammkarte von Siom Som. Ein leuchtender Punkt zeigte das Resif-Sidera, welches sich im vielfachen Überlichtflug befand. Eine grüne, gerade Linie prognostizierte die Route. Sie führte direkt zum Sternenportal von Som-Ussad.

Neben Aurec standen der Alysker Eorthor, der Kemete Osiris und der Somer Sruel Allok Mok, den alle nur Sam nannten.

Seit sich das Rideryon im Überlichtflug befand, war die Verbindung zum Transmitter unterbrochen. Aurec verfluchte sich, dass er Kathy nicht vorher geholt hatte. Nun waren sie wieder getrennt.

Die Kemeten hatten Sonden durch den Transmitter geschickt, doch sie waren alle zerstört zurückgekommen. Offenbar war es nicht möglich, das Gerät zu nutzen, solange das Resif-Sidera im Hyperraumflug war. Von der anderen Seite war kein Lebenszeichen gekommen. Das nagte an ihm. Wären doch alle durch den Transmitter gegangen.

Aurec betrachtete wieder seine Gesprächspartner, zwang sich dazu, sich wieder auf die aktuelle Situation einzulassen. Eine wichtige Person fehlte: die Anführerin der Entropen. Adelheid hatte auf die Besprechung verzichtet.

Die Faktenlage war recht klar. Das Resif-Sidera, das System des Rideryons, hatte sich auf Überlichtflug Richtung Sternenportal begeben. Nistant hatte zuvor eine Nachricht verkündet, die seine Absichten deutlich aufzeigte.

Seit Nistants Nachricht schossen Aurec tausende Gedanken und Befürchtungen durch den Kopf. Er sorgte sich um Kathy, die sich noch auf dem Rideryon befand. Er sorgte sich um die anderen Freunde auf dem Riff, und er fürchtete eine militärische Aktion des Quarteriums. Er hatte Angst vor einem militärischen Angriff seitens der Entropen unter Adelheid. Siom Som und Cartwheel drohten ins völlige Chaos zu stürzen.

Aurec blickte in die Gesichter der Anführer ihrer Völker. Die lebensgroße Holografie von Admiral Nepomuk Higgins, Kommandant der Terranischen 8. Flotte der Liga Freier Terraner als auch Henry »Flak« Portland als einer der stellvertretenden Befehlshaber der LFT-Flotte waren dazugeschaltet. Ihre Flotte verfolgte das Resif-Sidera im Hyperraum.

»Meine Herren, die Zeit läuft uns davon. Wir müssen unsere Freunde auf dem Rideryon aus diesem Schlamassel befreien und sofort Kontakt zu den Entropen als auch zum Quarterium aufnehmen.«

»Weshalb?«, fragte Eorthor betont gelangweilt.

»Was?«

Aurec war von dem Gehabe des spitzohrigen Alyskers angewidert. Gut, er war 190 Millionen Jahre alt und hatte etliche Millionen Jahre auch tatsächlich erlebt, doch das gab ihm nicht das Recht, sich so unempathisch aufzuführen.

Eorthor blickte ihn an, als würde er einem unwissenden Kind gerade eine Selbstverständlichkeit erklären, auf die es aufgrund von mangelndem Wissen und begrenztem Horizont nicht selbst kam.

»Das Rideryon wird nach Cartwheel fliegen. Das Quarterium wird sich aus den estartischen Galaxien zurückziehen. Ein Ziel ist damit erreicht. Wir folgen dem Rideryon nach Cartwheel und werden den Krieg dort zu einem Ende bringen. Einfacher können wir die Galaxie nicht befreien.«

»Eorthors Argumentation ist nachvollziehbar«, meinte Osiris.

»Mag ja sein, aber bedenkt ihr auch, dass wir dann wieder in einen totalen Krieg schlittern? Das Quarterium, die Entropen und das Rideryon werden sich bekriegen. Wenn wir einmal in Cartwheel sind, sind wir auch Feinde des Quarteriums. Es wird ein blutiger Kampf und der Frieden, den wir vor kurzer Zeit dank Perry Rhodan geschlossen haben, ist vorbei. Wollt ihr das?«

»Ja«, antwortete Eorthor nüchtern.

»Ich verstehe deine Bedenken, Saggittone! Doch wir müssen handeln. Also ja«, entschied Osiris.

Aurec blickte das Hologramm von Henry Portland fragend an. Er wollte die Meinung des Terraners hören. Portland war bedacht, bescheiden, intelligent und kein unmenschlicher Kriegstreiber.

»Es ist eher die Frage, welche Alternativen wir haben. Können wir das Rideryon an dem Flug überhaupt hindern? Können wir das Quarterium an einer militärischen Reaktion hindern? Müssen wir nicht auch nach Cartwheel?«

Als ob sich Aurec diese Fragen nicht auch gestellt hätte! Er wusste die Antwort nicht. Oder er wollte sich nicht eingestehen, dass es vielleicht gar keine Alternative gab. In Cartwheel lebte sein Volk der Saggittonen. Auf dem Rideryon befand sich die Frau, die er liebte. Die Rückkehr nach Cartwheel war nichts als logisch.

»Sam?«

Aurec sah den Somer mit dem blauen Gefieder an, den er nun schon seit über 23 Jahren kannte. Damals hatte er Sam zusammen mit Perry Rhodan, Rosan Orbanashol-Nordment, heute gezwungenermaßen de la Siniestro, und Sato Ambush während ihrer Abenteuer mit dem Luxusraumschiff LONDON kennen- und schätzen gelernt. Er vertraute seiner Meinung. Das blaue Gefieder glänzte, als der Somer sich reckte und zu einer Antwort ansetzte: »Die Estarten wären über einen Rückzug des Quarteriums erleichtert. Wir müssten uns nur noch mit den Dorgonen herumschlagen.«

»Würden die estartischen Streitkräfte uns in der Schlacht um Cartwheel unterstützen?«, fragte Henry Portland. Der Terraner mit den harten Gesichtszügen stellte die richtige Frage.

»Die Föderation Estartischer Separatisten sicherlich. Ob die Estartische Republik das auch so sieht, muss demokratisch abgestimmt werden. Es hängt vor allem davon ab, wie die Dorgonen reagieren und ob das Quarterium tatsächlich seine Truppen auf Som-Ussad konzentriert«, erklärte der Somer.

»Wie ist Ihr Standpunkt, Higgins?«, wollte Aurec wissen.

»Die Terranische 8. Flotte ist nicht zum Teetrinken hier, Sir! Es wäre mir wohler, wenn ich Anweisungen vom Terranischen Residenten hätte, doch da diese nicht vorliegen, sehen wir Sie, Aurec, als Befehlshaber der Alliierten Streitkräfte an. Wir folgen Ihrem Befehl. Auch wenn er uns nach Cartwheel führt.«

Die Blicke der Anwesenden ruhten auf Aurec. Er dachte an Kathy, seine Freunde Joak, Jonathan, Remus, Mathew, Elyn, Roi Danton und all die anderen auf dem Rideryon. Und er dachte an sein Volk, welches in Cartwheel seit zwei Jahren unterdrückt wurde. Sollte er auf eine bessere Gelegenheit warten oder war die Zeit gekommen, um den Krieg nach Cartwheel zu tragen und sein Volk zu befreien? Es war seine Pflicht. Aber war es nicht auch seine Pflicht, Leben zu schützen und Verluste zu vermeiden? Welche Alternativen gab es denn überhaupt? Würde er die Flotten zurückhalten, wäre das vermutlich der Untergang des Rideryons. Kathy wäre dann auch tot.

Das zweite Szenario wäre Tatenlosigkeit. Aurec würde einfach zusehen, wie das Rideryon und das Quarterium den Krieg in Cartwheel austragen.

Nein, keine der beiden Möglichkeiten war eine Lösung.

»Wir reden mit den Parteien. Mit Nistant, Despair und Falcus«, sagte Aurec. Er warf einen Blick auf die Messdaten der Sternenkarte. Bei gleichbleibendem Kurs und Überlichtgeschwindigkeit würde das Rideryon am 3. August 1308 NGZ am Sternentor eintreffen. Das würde wohl ein schicksalsträchtiger Tag werden.

4. Die Ruhe vor dem Sturm

18. Juni 1308 NGZ, Aus den Chroniken Cartwheels

Das Resif-Sidera flog wie ein Raumschiff durch Siom Som und hielt Kurs Richtung Sternenportal von Som-Ussad. Es war normal, dass Sonnensysteme auf einer natürlichen Bahn durch die Galaxie zogen, doch dass sie einen Kurs selbst festlegten, das war ungewöhnlich.

Aurec, Sam, Despair und Beccash waren durch den kemetischen Transmitter nach Siom Som gegangen. Nur wenige Stunden später hatte das Resif-Sidera Überlichtgeschwindigkeit erreicht, und die Verbindung zwischen dem Transmitter und der kemetischen Gegenstation war erloschen.

Ein Botschafter Nistants, der Manjor Zigaldor, hatte uns, den Emperador de la Siniestro und Kaiser Volcus jeweils einzeln aufgesucht und über die Reise informiert. Der Flug würde erst in Cartwheel enden, so hieß es.

Die Beantwortung der brennenden Frage, ob die gestrandeten Terraner, Dorgonen und Quarterialen vorher das Rideryon verlassen könnten, war ernüchternd gewesen. Sie war mit »nein« beantwortet worden. Wir alle waren damit Geiseln von Nistant. Das war auch die einzige Gemeinsamkeit, welche die drei Mächte miteinander teilten. Die VOLCUS GLANZ, die EL CID und die FLASH OF GLORY schwebten in einer Höhe von zehntausend Kilometern über der notgelandeten IVANHOE II. Die drei Raumschiffe im Orbit trennte jeweils nur eine Distanz von ebenfalls zehntausend Kilometern voneinander. In raumfahrenden Maßstäben gemessen, standen sie direkt nebeneinander.

Ratlos verharrten die Anführer auf ihren Schiffen. Vorgestern hatte das Quarterium seine Schutztruppen von dem Wrack der IVANHOE II abgezogen. Die Reparaturen am SUPREMO-Raumschiff würden noch Wochen dauern.

Nach Auskunft des Manjors und Berechnungen des Posbi Lorif würde das Rideryon am 3. August 1308 NGZ das Sternenportal von Som-Ussad erreichen. Bis dahin verblieben noch knapp sechs lange Wochen. Wochen der Ungewissheit, Wochen, in denen verwegene und gefährliche Pläne geschmiedet wurden. Wochen der Instabilität. Doch würde es besser werden, wenn das Rideryon Som-Ussad erreichte? Oder würde es dann zu einer kosmischen Eruption kommen zwischen den rivalisierenden Mächten?

Es war zu befürchten, dass die IVANHOE II bis dahin einsatzbereit sein musste. Denn die Zukunft war ungewiss. War das Rideryon uns oder Cartwheel feindlich gesonnen? War es eine »Dritte Macht«, die nur in ihrem eigenen Interesse handelte? Wer war überhaupt der Herrscher des Rideryons: Nistant oder Medvecâ? Konnte überhaupt jemand das Rideryon beherrschen mit seinen Billiarden Lebewesen und unzähligen Spezies und Völkern?

Nun, zumindest wusste jemand den Kurs für das Rideryon zu setzen, sonst wären wir nicht in dieser Situation. Es widerstrebte mir zutiefst, hier zu sein. Ich spürte die dunkle Präsenz meiner einst so geliebten Nichte Nataly, die sich als Ylors in Natalia umgetauft hatte. Und mir widerstrebte es genauso, wieder nach Cartwheel zurückzukehren, in die Höhle des Löwen, erinnerte ich mich doch allzu gut an damals, als Nataly, Kathy Scolar und ich so viele Anstrengungen unternommen hatten, um aus dieser unsäglichen Galaxie zu fliehen.

Sie schien mein Schicksal zu sein. Immerhin war ich der Chronist Cartwheels. War meine Rückkehr nicht vorherbestimmt? Und offensichtlich war der Emperador de la Siniestro um ein gutes Verhältnis bemüht. Sein enger Vertrauter, der Posbi Diabolo, hatte vor wenigen Stunden eine Einladung an Roi Danton, Elyn, Kathy Scolar, Xavier Jeamour und mich ausgesprochen. Allerdings mit dem Vermerk, dass auch Kaiser Volcus und dessen perverser Praefektus Tutum Kruppus, der Anführer der Prettosgarde, eine Einladung erhalten hätten.

De la Siniestro wollte sich offenbar mit uns beraten. Mir fiel auf, dass Joak Cascal, der Ritter Gal’Arn und andere von uns nicht eingeladen waren. Danton informierte mich, dass er gedachte, die Einladung anzunehmen, also willigte ich auch ein. Es wurde ein neutraler Treffpunkt gewählt, der sich auf dem Rideryon befand. Und so reisten wir unter Eskorte ins Land der Miskatoor-Feen.

Jaaron Jargon

5. Die Feen von Miskatoor

Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon

Die Miskatoor-Feen gelten als ein friedvolles Volk auf dem Rideryon. Sie lügen nie, heißt es, und so ist ein Treffen unter ihrem Schutz eine gute Wahl. Im Land der Miskatoor-Feen, welches mit 54 Millionen Quadratkilometern nur etwas kleiner ist als Eurasien auf Terra, leben nicht nur die kleinen Feen, sondern allerlei friedensliebende Wesen, die nicht von den Ylors gejagt oder in regionalen Konflikten stehen wollten.

Wir hatten uns darauf geeinigt, mit je einem Beiboot in die Stadt Miskatara zu reisen. Die sieben Millionen Bewohner große Metropole ist das Zentrum des Landes der Feen. Unser Raumschiff überflog einen Wald mit großen, gepunkteten Pilzen. Unweit dahinter erkannte ich die Stadt Miskatara. Im Zentrum ragten in sich geschwungene, türkisfarbene Türme in die Höhe. Sie leuchteten in der Dunkelheit.

Je näher wir kamen, desto mehr Details fielen mir ins Auge. Die Stadt war kreisförmig angelegt. Zwischen den Siedlungen lagen Wälder und Parkanlagen. Sah man von den Türmen in Türkis im Zentrum ab, waren die Abstände zwischen den Wohneinheiten sehr großzügig gestaltet. Die Häuser lagen in den Wäldern versteckt, nur das sanfte Leuchten der Laternen verriet ihre Position. Miskatara wirkte weiträumig, und doch wie eine Einheit.

Die Parkanlagen waren ebenfalls beleuchtet – die Stadt wirkte aber nicht hektisch und überfrachtet, wie man es von Paxus oder Terrania City her kannte, wo es niemals ruhig wirkte. Nein, Miskatara wirkte beschaulich, bescheiden und friedlich.

Roi Danton landete die Space-Jet auf einer scheibenförmigen Plattform auf einem der türkisfarbenen Türme, direkt neben der quarterialen Ausführung einer Space-Jet der CVI-Klasse.

Elyn, Xavier Jeamour, Kathy Scolar und ich stiegen aus – gefolgt von Roi Danton. Ein kühler, nasser Wind wehte uns entgegen, es nieselte ein wenig. Drei wunderschöne Wesen flogen auf uns zu. Sie waren vielleicht zwanzig Zentimeter klein, äußerst grazil und besaßen je zwei Flügelpaare. Bei zwei der Miskatoor-Feen waren die Flügel schmal und transparent. Bei der Fee in ihrer Mitte hingegen leuchteten die Flügel bunt und waren am ehesten mit denen von Schmetterlingen zu vergleichen. Als sie uns erreicht hatten, erkannte ich, dass ihre Statur der eines Menschen entsprach. Ihre blauen Augen waren groß und zwei Fühler ragten aus der oberen Stirn. Ihr schwarzes Haar trugen sie lang und glatt. Den Hautton würde ich als karamellfarben bezeichnen.

Innenillustration: Der Weg zum Sternenportal von Nils Hirseland
Fee Kalinda Sprossnervort mit Begleiterinnen © Gaby Hylla

»Seid gegrüßt«, sprach die Fee mit den Schmetterlingsflügeln. »Ich bin Fee Kalinda Sprossnervort. Das sind Beffatina Gnerrbotin und Cacevilla Zakutrim. Wir freuen uns und gewähren euch Frieden und Wohlsein.«

Danton verneigte sich und stellte uns vor.

»Wir bedanken uns und versichern Friedlichkeit und gutes Benehmen. Zumindest unsere Partei.«

»Die andere Partei mit dem Namen Quarterium befindet sich bereits in unserem Wohlfühlsaal und genießt die Melodie der Harmonie, gesungen von der lieblichen Saratana Vielerfachs.«

»Nun, dann werden wir uns der Harmonie gern anschließen«, sagte die Alyske Elyn mit einem sanften Lächeln.

Die drei Feen flatterten in Richtung Eingang. Dort herrschten blaue und grüne Leuchttöne vor. Schon im Korridor begegneten uns weitere Feen, die offensichtlich zufrieden an den Pflanzen und Blumen arbeiteten, welche den Weg zierten. Deren gelbe und knallrote Blätter waren vielseitig und bunt. Einige von ihnen waren dreimal so groß wie die Feen selbst.

Der Gang wurde breiter und mündete in einen türlosen Saal. Die Architektur war auch hier sehr naturverbunden: An den Marmorsäulen und Statuen wuchs getrimmter Efeu.

Ich vernahm den melodischen, lieblichen Gesang einer Fee. Obgleich ich kein Wort verstand, zog mich das Lied sogleich in seinen Bann. Vielleicht würde ich es am ehesten mit keltischer Musik vergleichen. Eine etwa dreißig Zentimeter große Fee mit kräftigem Körper schwirrte im Zentrum der Halle inmitten der quarterialen Delegation. Die Flügel der Sängerin Saratana Vielerfachs leuchteten golden.

Auf einem braunen Stuhl mit rotem Polster saß der Emperador de la Siniestro höchst selbst. Er trug ein goldrotes, barockes Kostüm. Sein weißes Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden. Neben ihm stand sein ständiger Begleiter und Berater Diabolo. Der silberne, humanoide Posbi trug ein rotes Gewand. Die beiden anderen Begleiter kannte ich nur von Berichten. Der hochgewachsene Oberst Tantum war der Kommandant der EL CID, und die schlanke Frau mit den wirren, brünetten Haaren war die Beraterin des Quarteriumsmarschalls Cauthon Despair. Sie hieß Virginia Mattaponi.

Bei der Betrachtung wurde mir bewusst, wie viele Führungspersonen von uns auf dem Rideryon gefangen waren und wie wenige vom Quarterium. Gut, der Emperador war der Herrscher des Quarteriums. Doch das Sternenreich der Vier war ohne ihn keineswegs handlungsunfähig.

Der Emperador erhob sich und verneigte sich galant vor den beiden Frauen.

»Señora Elyn und Señora Scolar. Ihr Anblick erhellt meinen Tag.«

»Sehr schmeichelhaft. Sie wissen nicht zufällig, ob mein Verlobter auch wirklich in Siom Som angekommen ist?«, fragte Kathy geradeheraus. De la Siniestro machte ein betrübtes Gesicht.

»Auch wir haben noch keine Nachricht von Cauthon Despair erhalten. Wir können die Grenze des Resif-Sidera nicht überwinden und Kontakt mit Siom Som herstellen.«

Scheinbar verdutzt sah sich der Emperador um.

»Danton, Sie alter Schlingel! Haben Sie auf Cascal und seine Hardliner verzichtet? Sehr freundlich von Ihnen.«

Der Spanier aus dem 18. Jahrhundert alter Zeitrechnung setzte sich wieder ächzend auf den Stuhl. Als ob ihm jemand noch seine Gebrechen abkaufte. Jeder wusste, dass er seit 1298 NGZ einen Zellaktivator trug und damit relativ unsterblich war. Er faltete die Hände zusammen und blickte uns fragend an.

»Wollen wir noch auf die Dorgonen warten?«

»Gewiss«, sagte Danton.

Ich blickte mich um. Die Miskatoor-Feen hatten still unserer Konversation gelauscht. Die Halle leuchtete in einem sanften, blaugrünen Licht, einzelne Bereiche um die Sitzgelegenheiten waren jedoch hell erleuchtet. Viele Pflanzen und kunstvoll geschnittene Hecken trennten die Abschnitte voneinander. Die Halle wirkte ein wenig wie ein Abbild der Stadt mit ihrem naturverbundenen Aufbau.

Ein großer, runder Tisch aus hellbraunem Holz fuhr aus dem Boden vor uns heraus. Ihm folgten breite, bequeme Sessel. In der Mitte des Tisches stand ein weiterer, kleinerer Tisch, an dem die drei Miskatoor-Feen Platz nahmen, die uns begrüßt hatten.

Es hieß, Miskatoor-Feen könnten ein jedes Wesen in Harmonie versetzen. Man munkelte, sie besäßen suggestive Fähigkeiten. Ich zog gewisse Parallelen zu den Linguiden. Vielleicht waren die Feen die Friedensstifter des Rideryons?

Der Gesang wurde leiser. Saratana Vielerfachs flatterte dezent in den Hintergrund. De la Siniestro spendete ihr Beifall.

»Bezaubernd.«

Er stand auf, um sich an die runde Tafel zu setzen. Ich tat es ihm gleich, gefolgt von Kathy Scolar und Elyn. Dann setzte sich auch Virginia Mattaponi. Danton, Jeamour und Tantum blieben stehen, ließen sich von einem Harekuul Getränke servieren und schienen über den Zustand der IVANHOE II zu diskutieren.

Die Fee Kalinda Sprossnervort mit den großen Schmetterlingsflügeln schwebte in Augenhöhe über den Tisch.

»Ihr spracht von einem Aurec und einem Cauthon Despair. Ich darf euch mitteilen, dass sie wohlbehalten Siom Som erreicht haben.«

»Er lebt«, rief Kathy erleichtert.

»Cauthon ist am Leben«, erklang es von der bisher schweigsamen Virginia Mattaponi. Auch sie klang erleichtert.

»Gute Nachrichten«, stimmte der Emperador zu. »Doch, meine gute Fee, sagt uns, wieso werden alle Hyperfunk-Nachrichten blockiert? Wir müssen mit den Unseren kommunizieren dürfen.«

»Darüber darf ich nicht sprechen. Bitte habt Verständnis. Doch ich darf verraten, dass es in unserem Interesse liegt, wenn die Liebenden und die Freunde wieder zueinander finden. Deshalb sind wir auch hier, nicht wahr?«

Kalinda Sprossnervort wirkte aufrichtig auf mich. Ein blauviolettes Leuchten schimmerte in ihren großen, eher dunklen Augen. Ich fühlte mich wohl und geborgen in der Gegenwart dieser Wesen, die wirkten, als seien sie aus alten Kindermärchen entsprungen.

Eine zweite Fee schwirrte heran. Sie berichtete von der Ankunft der Dorgonen. Nur wenig später traten Kaiser Volcus und der Praefektus Tutum Kruppus ein. Beide wirkten arrogant und schienen sich erhaben zu fühlen. Volcus trug seinen purpurfarbenen Umhang, das Zeichen seiner kaiserlichen Würde, über der goldbraunen Rüstung, die an einen Feldherrn des antiken terranischen Reiches Rom erinnerte.

Kruppus wirkte nicht so elegant wie sein Kaiser, seine Rüstung schien aus allen Nähten zu platzen ob seiner Masse und sein blauer Umhang war schmutzig. Das feiste Gesicht des Dorgonen mit dem Silberblick und den grauen Haaren war auf uns gerichtet. Volcus zwang sich immerhin zu einem Lächeln. Doch sein Gesicht wirkte aufgedunsen und verlebt, und die rote Farbe an seinen Wangen zeugte von hohem Blutdruck. Kein Wunder, dem Kaiser wurden beinahe tägliche, ausschweifende Orgien nachgesagt.

Diese beiden Gestalten beherrschten ein ganzes Sternenreich! Allerdings reihten sie sich damit in eine unrühmliche Geschichte dorgonischer Herrscher ein, die einander an Brutalität, Inkompetenz und Wahnsinn überboten. Seitdem die Terraner und Saggittonen das erste Mal auf Dorgonen getroffen waren, hatte diese Gesellschaft sieben Kaiser verschlissen. Volcus war der achte Herrscher innerhalb von siebzehn Jahren.

»Bitte, fühlt euch wohl«, sagte Kalinda und schwirrte vor Volcus’ Nase. Den Blick auf Elyn und Kathy gerichtet, sagte der Kaiser: »Bei diesem Antlitz werde ich mich sicher wohl fühlen.«

Er lümmelte sich in den Sessel neben Kathy und grinste sie vielsagend an. Seine wasserblauen Augen musterten ihre Figur.

»Ich schenke dir einen Planeten, wenn du mit nach Dorgon kommst.«

Kathy schmunzelte, lehnte sich in ihren Sessel zurück und verschränkte die Arme.

»Eher ziehe ich eine Liaison mit dem Fürsten der Ylors vor«, antwortete sie.

Kruppus lachte laut. »Die Schlampe hat Feuer.«

Volcus wirkte wenig amüsiert.

»Nun, das kann ich vielleicht arrangieren.«

Wütend stand er auf und donnerte die Fäuste auf den Holztisch.

»Keiner von euch wird das Rideryon lebend verlassen.«

»Ist das eine Drohung?«, fragte der Emperador.

»Eine Feststellung!«

Nun war es de la Siniestro, der sich erhob, offenbar um seinem Kaiserkollegen die Stirn zu bieten.

»Spricht da Kenntnis oder nur pure Angst? Nistant ist uns bis jetzt freundlich gesonnen. Er scheint ein vernünftiger Mann zu sein, mit dem wir verhandeln können.«

Volcus winkte ab und setzte sich wieder. Er beobachtete einen Harekuul, der ihm ein Glas mit einer roten Flüssigkeit kredenzte. Bevor der Zentaur ging, schnappte sich Volcus die ganze Flasche.

Er leerte das Glas in einem Zug und schenkte sich nach. Ich betrachtete seinen Begleiter, den Anführer der Prettosgarde. Dessen Silberblick klebte an Elyn. Es war die Art von Blick, bei dem man sofort wusste, dass er vor seinem geistigen Auge die Alyske bereits auszog und sich seiner Phantasie hingab.

»Nun«, fing Volcus an. »Nistant ist ein Relikt. Er ist nicht der wahre Herrscher des Rideryons. Das ist Medvecâ.«

»Hat Medvecâ das Rideryon in Bewegung gesetzt?«, wollte Roi Danton wissen.

»Nicht direkt. Doch Nistant hat nicht die Alleingewalt. Es steckt so viel mehr dahinter«, erklärte Volcus. »Wir müssen hier weg. Und zwar schnell. Soll doch das Rideryon nach Cartwheel. Das ist dann euer Problem, de la Siniestro.«

»Darf ich Sie daran erinnern, dass das Quarterium dem dorgonischen Kaiserreich Beistand nach der Invasion in den estartischen Galaxien geleistet hat? Sie haben uns doch den ganzen Schlamassel eingebrockt«, erwiderte de la Siniestro ungehalten.

Volcus wirkte gelassen. Er leerte sein zweites Glas.

»Das dorgonische Volk und sein Kaiser sind nicht verantwortlich für die Entscheidungen meiner Vorgänger.«

»Wir sind hier, um unsere Optionen zu diskutieren«, erinnerte der Posbi Diabolo die Runde.

»Oui«, bestätigte Danton und legte die Füße auf den Tisch. »Wir haben wohl zwei Möglichkeiten. Wir harren aus und fliegen mit dem Rideryon durch das Sternenportal nach Cartwheel oder wir wagen einen Ausbruch, da weder Nistant noch Medvecâ uns freiwillig abziehen lassen werden. Doch wie verlassen wir das abgesicherte Resif-Sidera, während es durch den Hyperraum reist?«

Stille!

Es gab durchaus Überlegungen zur Flucht, doch keiner von uns wollte sie mit dem Quarterium und den Dorgonen teilen. Das Misstrauen war zu groß. Die Crew der IVANHOE II arbeitete an einem modifizierten Transitionstriebwerk. Außerdem besaßen wir dank Sandal Tolk einen kemetischen Transmitter, der jedoch nicht im Hyperraum funktionierte.

Elyn seufzte während sie mit dem Finger am Rand ihres Glases entlang fuhr.

»Die Zeit rennt uns davon. Ich befürchte, Ihr Quarterium wird alles daransetzen, das Rideryon aufzuhalten.«

Elyn blickte zu de la Siniestro, der sich räusperte.

»Gut möglich. Ich selbst weiß doch auch nicht, was wir tun sollen. Die Ankunft des Rideryons ist ein Horror für unser Imperium. So viele … Fremde. Unsere Bürger werden besorgt sein.«

»Sie werden mehr als besorgt sein. Sie werden kämpfen«, vermutete Elyn.

»Ja, das werden sie. Vermutlich sogar schon am Sternenportal von Som-Ussad.«

»Und ich schätze unsere Leute so ein, dass sie das Rideryon verteidigen werden«, fiel Danton ein.

»Mein Vater wird die Gelegenheit nutzen, um Cartwheel zu befreien.«

»Befreien, Señorita Elyn? Von wem bitte?«, empörte sich de la Siniestro.

Es kehrte ein bedrückendes Schweigen ein.

Mir wurde bewusst, dass es ohne unseren Einfluss zu einer Katastrophe kommen würde. Doch ich war mir nicht einmal sicher, ob die hier Anwesenden die Situation deeskalieren würden. Für das Quarterium war das Rideryon ein Invasor, und die Billiarden Wesen des Rideryons stellten aus Sicht der Quarterialen eine Bedrohung dar, insbesondere für ihre Rasse. Das neue Imperium der Lemurer, als das sie sich verstanden, würde durch eine Überschwemmung fremdartiger Intelligenzwesen um seine Reinheit, seine Überlegenheit und seinen Lebensraum fürchten.

So tickte das Quarterium. Der Hass gegen Andersartige war eine der treibenden Kräfte. Die Menschen des Quarteriums sahen sich als auserkoren an. Sie sahen das Universum voller Feinde und nicht voller Freunde. Natürlich war es naiv anzunehmen, alle Lebewesen im Universum wären friedliche Blumenkinder. Vorsicht war ein Überlebensinstinkt. Doch die Haltung des Quarteriums war gefährlich, zutiefst bösartig und beängstigend. Sie kämpften nicht gegen Ungeheuer – sie selbst waren die Ungeheuer.

Und dann war da noch der Kosmotarch MODROR. Es war bis heute nicht eindeutig zu verstehen, in welcher Weise er das Quarterium beeinflusste. Und auch nicht, welche Macht er auf dem Rideryon besaß. Wir wussten dank Kathy Scolar, die an den Erinnerungen Medvecâs teilgehabt hatte, dass es Rodrom gewesen war, der die Ylors zum Rideryon geleitet hatte. Es war nur logisch, dass sie im Auftrag des Kosmotarchen handelten. Und das wiederum machte doch eigentlich die Ylors und das Quarterium zu Verbündeten, oder nicht?

Die Miskatoor-Feen hatten bisher geschwiegen, jedoch aufmerksam der Diskussion zugehört. Kalinda startete von ihrem Tischlein auf dem Tisch und schwirrte in der Mitte der Tafel, so dass jeder sie gut sehen und hören konnte.

»Ich spüre das Misstrauen. Ich verstehe euren Wunsch, in eure Heimat zurückzukehren. Möglicherweise solltet ihr in Betracht ziehen, dass eine neue Epoche beginnt, eine Zeit von Frieden und Harmonie. Das Rideryon wird die Zwistigkeiten zwischen euch beenden. Cartwheel wird erleuchtet. Seht es als eine Chance und Abkehr von Krieg, Tod und dem Einfluss des Kosmotarchen.«

»Welche Befehle habt ihr denn von MODROR, de la Siniestro? Und du Volcus, hast du nicht noch vor kurzer Zeit mit den Söhnen des Chaos paktiert?«

Dantons zynische Art sorgte sogleich für einen Streit. Die Parteien brüllten einander an und verteilten Schuldzuweisungen. Die Feen wirkten sichtlich irritiert, ja gar verängstigt, sie flatterten von den Streithähnen weg. Ich stand auf, wollte etwas frische Luft schnappen.

Wobei die Luft in dem offenen Saal schon gut war, allerdings wollte ich Abstand zu den Streithähnen haben. Vom Balkon am Ende des Saals blickte ich über die Stadt in ihren sanften Farben, der dezenten Beleuchtung und den üppigen, malerischen Wäldern. Alles war eine perfekte Kombination aus Natur und Zivilisation. Die Abstände zu den Anwesen waren groß genug für Privatsphäre, aber nicht so weit voneinander entfernt, dass man Gefahr liefe, im Dunkel der Waldwege verloren zu gehen.

»Du bist nachdenklich«, flüsterte eine feine Stimme neben mir. Eine Miskatoor-Fee schwirrte zu mir heran. Ihre Flügel leuchteten bunt.

»Die Zukunft ist ungewiss, liebe Kalinda.«

»Das ist sie immer.«

Ich lachte. Ja, das war die Zukunft immer. Doch es gab Momente, da war sie noch unvorhersehbarer.

»Ich fürchte, der brüchige Frieden endet. Das Quarterium, die Dorgonen, die Allianz aus Terraner, Alysker, Saggittonen, Akonen und Estarten – sie und die Entropen werden gegeneinander kämpfen. Das Rideryon wird das nicht verhindern können.«

Kalinda flog zum Geländer und ließ sich nieder. Ihre Beine baumelten über dem tiefen Abgrund.

»Für euch mag alles aussichtslos erscheinen, doch Nistant wird alles ändern. Vertraut auf Nistant, so wie wir es tun. Er ist der Schöpfer des Resif-Sidera.«

»Ein Einzelner vermag diesen Konflikt nicht zu lösen.«

»Nistant ist mehr als ein Einzelner, Terraner. Er hat Kosmisches vollbracht.«

»Woher kommt das Vertrauen?«

Kalinda berichtete mit großen, leuchtenden Augen über die Miskatoor-Feen. Sie gehörten zu den ersten Völkern, welche das Rideryon besiedelt hatten, nachdem die große Apokalypse ihre Galaxie zerstört hatte. Damals waren die Miskatoor keine Feen gewesen, sondern Halbintelligenzen, irgendwo zwischen Insektoiden und Humanoiden. Doch Nistant hatte ihnen Platz auf dem Rideryon geboten und sie vor dem sicheren Untergang bewahrt. Und aus den Halbintelligenzen waren innerhalb von zwei Millionen Chroms psionisch begabte Feen geworden, geschätzt und geliebt auf dem ganzen Rideryon.

»Unsere Anmut, unser Intellekt und unsere empathischen Fähigkeiten haben es uns ermöglicht, einen besonderen Platz auf dem Rideryon einzunehmen. Wir vermitteln zwischen den Völkern. Es gibt Zeiten, da hört sogar Medvecâ auf uns«, fuhr Kalinda fort.

»Nun sage ich euch, habt Geduld. Ihr könnt den Lauf des Schicksals nicht aufhalten. Das Rideryon wird nach Chepri reisen. Das ist die Bestimmung. Hat es einmal die Galaxie erreicht, werden sich die Dinge entspannen.«

Für einen Moment wollte ich der Fee Glauben schenken – doch ich wusste, dass ihre allzu optimistische Art nicht der kriegslüsternen Mentalität der Kriegsparteien entsprach.

6. Militärische Planungen

Alcanar Benington starrte gelangweilt auf die holografischen Karten. General Mandor da Rohn, Generalmarschall Toran Ebur, Generalmarschall Peter de la Siniestro und Generalmarschall Red Sizemore änderten die Positionen der Verbände im Minutentakt. Sie tippten neue Koordinaten auf ihren Pads ein, simulierten Angriffe, Bewegungen des Rideryons und der feindlichen Alliierten. Doch sie planten nur eine heimatliche Verteidigung. Cartwheel musste aber in Siom Som verteidigt werden, nicht erst in Cartwheel!

Benington musterte seine Vorgesetzten. Sie waren ihm alle nicht gewachsen. Es tat weh, sich ihren Anweisungen beugen zu müssen.

Da Rohn war ein miesepetriger Zauderer.

Sizemore ein völlig überschätzter Kommandant.

Toran Ebur ein Speichellecker.

Peter de la Siniestro ein geisteskranker Trottel. Wenn die beiden nur wüssten, dass er vor einer Stunde Stephanie gevögelt hatte.

Eburs Verlobte, Peters Schwester – und seine Betthure.

»Wir könnten noch die 7. Raumflotte von Saggittor abkommandieren. Es würden uns 25.000 Einheiten dadurch mehr zur Verfügung stehen«, schlug der Arkonide da Rohn vor. Sein bleiches Gesicht lag in Falten und wurde von der großen, krummen Nase dominiert. Seine roten Augen waren kaum noch zu erkennen vor Tränensäcken und herabhängenden Lidern.

»Machen wir es so«, bestätigte Ebur und beobachtete die leuchtenden, virtuellen Raumschiffstatistiken auf der Hologrammkarte. Auf der Karte konnten sie die Flotten hin und her schieben. Doch im Gefecht würden sie sich in die Hose machen. Er nicht. Er würde handeln.

»Und das Estartukorps, Sir? Entweder wir bauen eine Front bei Som-Ussad auf oder wir ziehen die Verbände ebenfalls nach Cartwheel zurück«, fand Benington.

Da Rohn und Ebur sahen sich fragend an. Benington verzog keine Miene. Sein charakteristisches Schmunzeln verkniff er sich.

»Wie ist der Stand der Evakuierung aus den estartischen Galaxien?«, fragte Sizemore.

»Nun, der Befehl wurde erteilt. Die kampftauglichen Raumschiffe werden in zehn bis elf Tagen nacheinander eintreffen, also Som-Ussad vermutlich bis spätestens 3. August erreicht haben. Die Evakuierung in vier bis fünf Wochen zu stemmen ist eine Herkulesaufgabe. Immerhin sprechen wir von einem Rückzugsgebiet aus fünf Galaxien«, erklärte Ebur.

»Jenmuhs hat den Nerobefehl erteilt. Sofortiger Start und Zerstörung der Anlagen«, sagte Peter mit einem breiten Grinsen.

Was für ein Wahnsinn. All das, wofür sie die letzten Jahre gekämpft hatten, wurde einfach vernichtet. Sie sollten alles aufbieten und das Riff vernichten!

»Außerdem«, ergänzte da Rohn mit mürrischem Blick, »sind Sondergruppen der CIP unterwegs.«

»Weswegen?«

»Aufräumkommando Artenbestandsregulierung.«

Ebur blickte verbittert in die Runde. Er senkte den Kopf, starrte wieder auf die Hologrammkarte und atmete tief durch.

»Ich dachte, das wäre schon seit dem Friedensabkommen erledigt.«

»Reißen Sie sich zusammen, Mann!«, schrie Peter los. »Die Kameraden von der CIP und Artenbestandsregulierung machen ihre Arbeit. Wenn es nach mir ginge, würden wir noch viel mehr entsorgen. Aber so muss getan werden, was getan werden muss. Ebur, konzentrieren Sie Ihre Truppen bei Som-Ussad. Wir werden Anfang August entscheiden, wie es weitergeht.«

»Zu Befehl«, erwiderte der Zaliter knapp.

»Sir«, warf Benington ein. »Was ist mit dem Emperador, Sir?«

Nun war Peter überrascht.

»Worauf spielen Sie an, General?«

»Nun, Sir, ich denke, eine Befreiungsaktion wäre immer noch die beste Alternative. Das Rideryon soll am 3. August Som-Ussad passieren. Das wird nicht im Überlichtflug geschehen, denn nach unserem Wissen erfolgte der Flug in das Sternenportal bisher nie mit Überlichtgeschwindigkeit. Hier sehe ich unsere Chance für eine gezielte Operation zur Befreiung des Emperadors und Ihres Bruders.«

Peter verschränkte die Arme vor dem Bauch. Der arrogante Affe schien Benington nicht zu trauen.

»Eine große Armee zur Befreiung? Ein Traum. Wir sollten vielleicht sogar gleich das ganze Riff erobern, was meinen Sie?«

Peter blickte erwartungsvoll in die Runde.

»Wir könnten es vorher auf diplomatischem Weg versuchen. Außenministerin Stephanie könnte ihr Glück versuchen. Scheitert sie, ziehen wir die militärische Option.«

Benington schmunzelte.

Nun musste Peter zustimmen. Es gab keine Alternative. Auch er wusste, dass das Rideryon, sobald es in Cartwheel war, schwer angreifbar sein würde.

»Nun, die Anwesenheit Ihrer Schwester erscheint mir geschickter als die des Gos’Shekur oder des Corun«, räumte da Rohn ein.

»Wie darf ich das verstehen?«, wandte Toran Ebur ein.

»Wir wissen alle, dass Diplomatie nicht das Steckenpferd der beiden ist.«

Schweigen. Nun musste Benington erneut schmunzeln. Ebur wanderte nachdenklich im Raum umher. Dann blieb er stehen.

»Wer soll die Mission leiten?«

»Sir, ich melde mich freiwillig, Sir!«

Mit breiter Brust trat Benington einen Schritt vor.

»Das hatte ich mir gedacht. Also gut, Sie brechen morgen mit meiner Verlobten auf. Ich will, dass sie auch mit Aurec und Falcus spricht. Langsam verliere ich den Überblick, wer hier gegen wen kämpfen wird. Während meine Verlobte verhandelt und eine Möglichkeit sucht, Kontakt mit dem Rideryon aufzunehmen, bereiten Sie auf Som-Ussad alles vor. Damit …« Ebur machte eine Pause. »Damit, meine Herren, ist auch beschlossen, dass wir Som-Ussad nicht vorher verlassen. Wir werden den Emperador befreien.«

*

Alcanar Benington blickte auf die mächtige SOLARE EMPIRE, die im Orbit von Som-Ussad schwebte. Vor wenigen Tagen hatte er sie verlassen und nun kehrte er zurück. Mit Stephanie de la Siniestro, der Außenministerin des Quarteriums, Tochter des Emperadors und seiner Geliebten. Sie würde am runden Tisch ihr Glück versuchen. Er würde abwarten und sich vorbereiten auf die glorreichste Rettungsmission aller Zeiten.

Benington blickte in den Versammlungsraum seiner Mannschaft. Die Holsteiner-Division würde den Einsatz leiten. Oberst Henner von Herker war ein loyaler Verfechter der quarterialen Ideologie. Andere waren gute Soldaten. Ash Berger, Roppert Nakkhole, Booz Shiningjokes, Ace Blacktree und Henner Wosslyn hatten bereits vor drei Jahren auf Som-Ussad gekämpft.

Dazu kam dieser aufgeblasene ehemalige CIP-Agent Krizan Bulrich. Wer wohl als Erster von ihnen ins Gras beißen würde? Nun, sie würden neben echten CIP-Agenten den Kern der Truppe bilden. Er brauchte Veteranen und keine geleckten Akademieabgänger.

Der Kreuzer dockte inzwischen in der Hangarbucht des SUPREMO-Raumers an. Benington winkte Oberst Herker zu sich. Zusammen holten sie Stephanie ab. Sie trug eine schwarze, enge Kombination und war einfach nur hinreißend.

»Prinzessin, die SOLARE EMPIRE steht zu Ihrer Verfügung.«

»Mit weniger würde ich mich auch nicht zufriedengeben. Mein Verlobter befindet sich bereits auf Som-Ussad?«

Beningtons Laune wurde wieder schlechter.

»Ja, Mylady!«

»Gut, dann werde ich mich ebenfalls nach Kijito begeben. Ich habe gehört, das Oberkommando hat eine schöne Villa am Aragy-Fluss.«

Benington biss sich auf die Lippe und nickte.

»Meine Ordonnanz wird sich darum kümmern.«

Er wandte sich Oberst Henner von Herker zu.

»Bereiten Sie Ihre Leute vor. Besprechung in dreißig Minuten!«


Einsatzlogbuch 1308-04

Leutnant Ash Berger hatte ein ungutes Gefühl. Sie saßen im Mannschaftsquartier der Holsteiner-Garde in der SOLARE EMPIRE. Es war ein schmuckloser, grauer Raum mit metallischen Wänden und Boden. Die Stühle waren hart und unbequem, und doch waren es Stühle aus echtem, quarterialem Stahl. Immer wieder hatte der Ingenieur des SUPREMO-Schlachtschiffes darauf hingewiesen. Vor ihnen stand Oberst von Herker – ihr Befehlshaber – an einem grauen Pult mit einer Konsole. Neben ihm leuchtete das Hologramm der Galaxie Siom Som.

»Die wollen doch keine Dummheiten machen?«, flüsterte Roppert Nakkhole, Ashs Kamerad und Freund seit ihrer Zeit in Redhorse Point.

»So einen geraden Rücken, wie der Lackaffe macht, gut möglich«, gab Ash leise zurück. Rechts neben ihm saßen Ace Blacktree und Booz Shiningjokes. Auch sie waren kriegsmüde und hatten sich durchaus mit dem Frieden von Siom Som arrangiert. Unweit von ihrem Oberst Henner von Herker standen Henner Wosslyn und Krizan Bulrich. Der ehemalige CIP-Agent sprach amüsiert mit Wosslyn, der Herkers bester Freund und Vertrauter war. Das fiel auch Blacktree auf.

»Fehlt nur noch, dass der Junge ihm gleich den Arsch leckt«, meinte der hagere, hochgewachsene Scharfschütze.

»Ich frag mich immer«, warf Shiningjokes ein und fuhr mit Daumen und Finger durch seinen Kinnbart, »ob der gute alte Wosslyn wieder voll funktionstüchtig ist nach dem Vorfall auf Monol. Habt ihr ihn bei einer Frau oder einem Kerl mal gesehen?«

Er spielte damit auf die Entmannung vor gut eineinhalb Jahren durch die Rebellin Elyn an, als diese Alyske auf Monol kurzzeitig in Gefangenschaft geraten war. Kein Glanzstück, denn die Jungs hatten darum gewürfelt, wer als Erster Elyn vergewaltigen durfte. Wosslyn hatte gewonnen, aber nicht damit gerechnet, dass sich die Alyske wehren konnte. Sie hatte ihm den Schwanz mit einem Energiemesser abgeschnitten und war dann entkommen. Wosslyn hatte man sein wertvolles Teil angenäht. Er hätte es verdient gehabt, für immer ohne seinen Lümmel durch die Gegend zu laufen.

M 87 war in jeglicher Hinsicht die Hölle gewesen. Schlachten auf unwirklichen Welten wie eben jenem Kristallplanet Monol. Dann der Tod seines Freundes Glaus Siebenpack. Noch immer schnürte es Ash die Kehle zu, wenn er daran dachte.

Blacktree lachte heiser. Die anderen waren immer noch beim Thema Wosslyn und Bulrich.

»Vielleicht will es ja Bulrich mal ausprobieren, nachdem es mit seiner Blondine nicht mehr geklappt hat.«

»Anya ist ein heißer Feger«, schwärmte Nakkhole. Auf seinem kantigen Gesicht bildete sich ein breites Grinsen. Nakkhole kannte Anya Guuze, die ehemalige Frau des ehemaligen CIP-Agenten Krizan Bulrich seit ihren Ausbildungstagen. Sie waren gemeinsam nach Cartwheel gereist. Während Roppert und Bulrich dem Quarterium dienten, war Anya desertiert. Es hieß, sie befand sich jetzt auf dem Rideryon und verkehrte mit der High Society. Sie hatte es offenbar am besten von allen getroffen.

»Achtung!«, rief Henner Wosslyn.

Umgehend kehrte Schweigen ein. Wosslyn, Bulrich und Herker standen stramm, als General Alcanar Benington den Besprechungsraum betrat. Seine graue Uniform war mit vielen Orden dekoriert. Dabei hatte der Typ doch gerade erst seine Degradierung halbwegs verdaut. Benington stellte sich ans Pult und blickte die Mannschaft aus seinen kleinen braunen Augen an. Das verschmitzte Grinsen huschte kurz über seine Lippen.

»Soldaten der Holsteiner-Garde! Der Emperador und der erstgeborene Kaisersohn befinden sich auf dem Rideryon in Gefangenschaft. Es wird am 3. August Som-Ussad erreichen. Wir werden ihm einen würdigen Empfang bereiten. Und wir werden den Emperador und den Generalmarschall befreien.«

Die Anwesenden schwiegen. Beningtons Miene verdüsterte sich. Offenbar hatte er mehr Euphorie erwartet.

»Nun denn, bis dahin gilt es noch Vorkehrungen zu treffen. Som-Ussad muss einer Festung gleichen. Herr Oberst!«

Henner von Herker trat ans Pult. Er aktivierte einige Punkte auf der Karte. Der Kurs des Rideryons wurde angezeigt.

»Unsere Mission lautet, am 3. August mit einem Kommando in das Rideryon zu fliegen, die EL CID zu finden und aus dem Rideryon zu eskortieren. Das Zeitfenster ist knapp. Und doch ist es eine große Ehre, die uns zuteilwird. Wir sind die Elite. Wir sind jene auserwählten Soldaten, die den Emperador befreien werden.«

»Hooah«, grölte Wosslyn.

Die Soldaten stimmten in das laute »Hooah« ein.

Nun erhob Benington wieder das Wort.

»Der Feind ist in der Überzahl, und er lauert in jedem Sektor der Galaxie. Die Rideryonen wollen unsere Heimat überschwemmen. Es gilt zu verhindern, dass sich obskure und abartige Kreaturen mit ihren schleimigen Tentakeln in unserer Heimat breit machen, unsere wertvollen Ressourcen stehlen, sich an unseren Frauen und Kindern vergreifen und unseren Boden beanspruchen. Es ist ein Kampf um unsere Existenz. Das Rideryon wird Cartwheel nicht erreichen. Das werden wir verhindern.«

Er machte eine Pause und grinste überheblich. Dann deutete er auf rote Punkte in den umliegenden Sonnensystemen.

»Die Saggittonen, die LFT, die Entropen, Kemeten, Alysker und estartischen Rebellen werden den Frieden von Som brechen. Sie lauern nur darauf, Som-Ussad anzugreifen. Das müssen wir verhindern. Das werden wir verhindern.«

»Sir, jawohl, Sir«, rief Henner von Herker euphorisch.

Benington starrte eindringlich auf die Soldaten. Sein Blick kreuzte sich auch mit dem von Ash Berger. Ash fühlte sich unwohl, hielt aber dem Blickkontakt stand.

»Ihr tapferen Terraner habt Som-Ussad erobert, ihr habt in Siom Som, Erendyra, M 87, Andromeda, der lokalen Gruppe und bereits in der Heimat Cartwheel gekämpft. Wir werden das Quarterium erneut verteidigen. Die menschliche Zivilisation, unsere Zivilisation, ist die Krönung der Schöpfung. Im August wird sich ihr Schicksal entscheiden. Verlieren wir, geht sie mit uns unter.«

Benington zog den altertümlichen Säbel, den er immer bei sich trug. Er reckte ihn grinsend in die Höhe.

»Ich bin nicht bereit zu verlieren. Wir werden siegen! Siegen! Siegen! Siegen!«

»Siegen! Siegen! Siegen!«, skandierten alle.

Fast alle. Ash bewegte nur die Lippen. Er wollte nicht auffallen. Das könnte ihm sonst den Kopf kosten. Und er wollte diesen verdammten Krieg überleben.

Benington wurde wieder ernst.

»Die SOLARE EMPIRE wird in zwei Tagen nach Som aufbrechen. Die erlauchte Stephanie de la Siniestro wird Verhandlungen mit Aurec und seiner Bagage führen. Sie sind für den 25. Juni terminiert. Ich erwarte die Einsatzbereitschaft der Holsteiner zu diesem Zeitpunkt. Wir müssen für alles gewappnet sein.«

Benington nickte den Soldaten zu, dann verließ er den Besprechungsraum. Das gefiel Ash gar nicht. Er blickte in die besorgten Gesichter von Roppert, Ace und Booz. Einsatzbereitschaft bedeutete Kampfbereitschaft. Ash bezweifelte, dass die Saggittonen, USO oder LFT den Frieden brechen würden. Bisher war das Quarterium immer der Aggressor gewesen. Er blickte Henner von Herker an.

»In zwei Stunden Treffen in Kijito zur Übung. Wir werden zwei Tage hart an unseren Fähigkeiten üben.«

Berger konnte es nicht mehr hören.

»Zu welchem Zweck, Herr Oberst? Offiziell sind wir im Frieden mit der LFT und den Saggittonen. Aurec wird sich bestimmt daran halten.«

»Wird der Herr Leutnant wieder vorlaut? Überlassen Sie das Denken Ihren Vorgesetzten. Wir hinterfragen die Befehle nicht, wir führen sie aus. Haben Sie ein Problem damit, Leutnant Berger?«

Ein tödlicher Unterton schwang in Herkers Frage mit.

»Nein«, presste Berger zwischen den Zähnen hervor.

»Gut. Abtreten, Soldaten!«

Sie folgten Henner von Herkers Befehl. Berger wollte den Raum verlassen, doch Wosslyn stellte sich ihm in den Weg. Er nickte in Herkers Richtung. Berger seufzte und blickte seinen Kommandanten fragend an.

»Mensch Ash, ich kann deine schlechte Laune hier und jetzt nicht gebrauchen. Ich musste eben auf dicken Chef machen. Ich weiß, dass du zu unseren besten Soldaten zählst. Also räume deine Zweifel aus und präsentiere dich in Bestform auf Som.«

Berger atmete tief durch.

»Hast du genauere Instruktionen? Brechen wir den Frieden?«

Herker zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung, was Benington und seine Nutte Stephanie planen. Doch wir sollten auf alles vorbereitet sein.«

Der Oberst lachte und schlug Ash freundschaftlich auf die Schulter.

»Mach nicht so ein Gesicht, Alter! Es wird Zeit, dass die Rohre wieder rauchen und wir kämpfen. Wir sind Soldaten. Krieg ist unser Geschäft. Sollte es tatsächlich zu Problemen auf Som kommen, dann freue ich mich richtig drauf.«

7. Die Geschichte von Amunrator

24. Juni 1308 NGZ, Aus den Chroniken Cartwheels

Der Besuch bei den Feen von Miskatoor war angenehm und erhellend gewesen. Doch nicht einmal diese friedvollen, lieblichen Feen des Rideryons vermochten uns die Sorge vor den drohenden Konflikten zu nehmen.

Ich zwinge mich, das Gute zu sehen: Die Fee Kalinda Sprossnervort hat mir tiefe Einblicke in die Geschichte des Rideryons gewährt. Einst war es aus dem Planeten Thol erbaut worden, auf dem der Erbauer Nistant lange gewandelt war. Die erste Stadt des Rideryons trug den Namen Amunrator – geweiht ihrem Namensgeber, dem Fürsorger von Nistant, dem Kosmokraten Amun. Es heißt, er habe Nistant vor dem bevorstehenden Untergang der Doppelgalaxie gewarnt, so dass Nistant mit dem Bau der kosmischen Arche begann.

Amunrator war einst eine Bergmiene der Tholaner. Sie trug den Namen Annysberg. Nistant hatte bei den Mienenarbeitern während seiner unsteten Odyssee ein Zuhause gefunden.

In den Tiefen der Höhlen von Annysberg soll Amun seinen Schützling Nistant über die bevorstehende kosmische Aufgabe informiert haben. In den Schächten, Stollen und künstlichen Verschlägen sollen Wissenschaftler – einfache Tholaner – die ersten Ideen zur Arche entwickelt haben.

Das geschah vor ungefähr 210 Millionen Jahren.

Eines ist gewiss: Nistant ist ein Unsterblicher. Vermutlich trug er damals einen Zellaktivator. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass ein Kosmokrat ihm die relative Unsterblichkeit verliehen hätte.

In den folgenden Jahrzehntausenden entstand durch Terraforming das Rideryon. Aus der Materie von Hunderten von Welten wurde diese Insel zwischen den Sternen geschaffen, die für viele Lebewesen aus der Doppelgalaxie Platz bot – und doch längst nicht für alle.

Es kam, wie es kommen musste – die Galaxien vergingen. Das Rideryon begann seine über 210 Millionen Jahre andauernde Reise durch die weiten des Kosmos.

Eine Begleiterin der ersten Stunde war Lilith. Sie entstammte dem kriegerischen Volk der Lilituu. Nur wenige von ihnen hatten unter Führung Liliths das Rideryon besiedelt, die anderen waren in der Apokalypse der Doppelgalaxie untergegangen.

Es folgten Jahrtausende des Friedens auf dem Rideryon. Doch als die negative Superintelligenz NACHJUL Asyl fand und das Rideryon infiltrierte, kam es zum Bruch zwischen den Lilim und Nistant. Lilith fiel dem Erschaffer in den Rücken, so heißt es. Sie tötete seinen Körper und entführte seine Inkarnationen, auf dass er ohne sie nie wieder zurückkehren könnte.

NACHJUL übte grausame Rache und löschte die Lilim aus. Lilith wurde in ein ewiges Gefängnis gesperrt und ist seitdem verschollen. Es hieß, es sei ein Verlies zwischen den Dimensionen und trage den Namen »Der Schwarze Mond«!

Diese Überlieferungen sind 210 Millionen Jahre alt. Doch der Name Lilith und der Begriff »Schwarzer Mond« tauchen auch in der terranischen Mythologie auf. So hieß es in religiösen und mythischen Schriften, Lilith sei die erste Frau von Adam gewesen und von Gott aus dem Paradiese verstoßen worden.

In der prärhodanistischen Ära hat sich Lilith in einer aufkeimenden Emanzipationswelle der Frauen zum Symbol des Feminismus entwickelt. In esoterischen Kreisen war vom Schwarzen Mond die Rede.

Und wieder schienen kosmische Legenden nach Terra gelangt zu sein. Es wäre nicht das erste Mal. In Verbindung mit Amun haben die Terraner erst vor einer Dekade herausgefunden, dass die altägyptischen Götter in Wirklichkeit die Kemeten waren, dessen Anführer Osiris lange Zeit ein Günstling des Kosmokraten Amun gewesen war. Selbst Atlan hatten die Kemeten getäuscht und ihre Identität verborgen.

Es würde mich nicht verwundern, wenn Lilith auch auf Terra gewesen war. Wer weiß, was in 210 Millionen Jahren alles geschehen ist. Sato Ambush, Denise Joorn und Maya ki Toushi sind auf der Suche nach eben dieser Lilith im Rideryon verschollen. Ich bin mir sicher, dass wir nicht das letzte Mal von ihnen gesehen oder gehört haben.

Das Rideryon stand nach dem vermeintlichen Tod von Nistant, der Entführung von Cul’Arc und Brok’Ton und der Verbannung von Lilith unter Kontrolle von NACHJUL. Doch die Superintelligenz verließ das Rideryon, um ein Chaotarch zu werden. 20 Millionen Jahre später war der junge Chaotarch Nachjul Teil des kosmischen Projektes, aus dem die Kosmotarchen DORGON und MODROR entstanden.

Die Rideryonen waren danach auf sich allein gestellt. Die Weltrauminsel zog von Galaxie zu Galaxie, nahm Spezies auf, siedelte eigene Bewohner in den Galaxien an und drückte dem Universum seinen Stempel auf. Dieser war den Galaktikern aus der Milchstraße lange verborgen geblieben. Wir wussten nicht, ob das Rideryon jemals in der Lokalen Gruppe oder gar der Milchstraße gewesen war.

Zumindest hatte es keine Anzeichen dafür gegeben. Kalinda Sprossnervorts Worten zur Folge war offenbar Chepri das vorherbestimmte Ziel der Insel zwischen den Sternen.

Offensichtlich liefen die Fäden hier zusammen. Amun hatte einst die Kemeten als Bewacher Cartwheels auserkoren. Nachdem sie in Ungnade gefallen waren, so waren die Xamour eine Zeit lang die Hüter des Kosmonukleotids TRIICLE-3.

Cartwheel war immer wieder von DORGON und MODROR umkämpft gewesen. Doch welche Rolle das Rideryon in diesem kosmischen Schachspiel, dem Duell der Kosmotarchen spielte, das wussten wir »niederen Wesen« nicht.

Ich war mir sicher, dass weder Emperador de la Siniestro noch Kaiser Volcus um die großen Zusammenhänge wissen, sondern allenfalls Medvecâ, der Fürst der Ylors, und Nistant.

Ich schweife mit meinen Gedanken ab. Dabei wollte ich doch noch etwas über Amunrator schreiben. Zwar ist Ajinahstadt die Haupt- und Regierungsstadt des Rideryons. Doch Amunrator ist als älteste Stadt die heimliche Schaltzentrale des Riffs, wie wir es ab und zu nennen. Die Rideryonspäher werden von hier aus feierlich zur Erkundung einer neuen Galaxie geweiht und losgeschickt.

Es heißt, die tiefen Stollen und Schächte Amunrators würden bis ins Zentrum des Rideryons gehen und zum Herzen des Kosmos führen. Freilich ist das eine Metapher. Wir wissen, dass die Ortung nach 183.000 Kilometern ins Innere des Rideryons abbricht. Aller Vorstellungskraft zum Trotz gibt es hier nichts mehr außer Gestein und Magma. Es ist sowieso schwer vorstellbar, dass die Landmasse Millionen Kilometer in die Tiefe geht. Die Ausmaße des Rideryons sind noch immer kaum vorstellbar für mich. Ich wage auch zu bezweifeln, dass die rideryonische Folklore alle Details offenbart.

In nur wenigen Jahrzehntausenden soll dieses gewaltige kosmische Wunder erbaut worden sein? Das scheint mir doch zu knapp bemessen.

Auch wissen wir nicht, welchen Einfluss die Ylors auf das Rideryon haben. Nachweislich sind Fürst Medvecâ und seine Ylors vor rund vierzig Millionen Jahren von Rodrom im Auftrag MODRORS auf dem Rideryon angesiedelt worden. Sie gelten seitdem als heimliche Herrscher, lassen die Bewohner des Riffs jedoch ihrer Arbeit und ihrem Auftrag nachgehen.

Sind die Ylors im Laufe der Jahrmillionen degeneriert? Jedenfalls wirken die Brüder der Alysker keinesfalls so technisch hochstehend, wie man es von diesem besonderen Volk erwartet hätte. Es gibt keine große Raumflotte, keine modernisierte Armee und keine hochstehende Technologie. Es scheint, als hätten sie nur das Nötigste getan. Oder verbarg sich auf der Dunklen Seite des Rideryons noch das ein oder andere Geheimnis um Medvecâ? Ich mag gar nicht darüber nachdenken. Zu sehr schmerzt noch der Verlust von Nataly.

Oh, meine geliebte Nichte Nataly. Was ist nur aus dir geworden? Der Ylorsvirus hat dich vergiftet und aus dir die finstere Natalia, die Braut Medvecâs, gemacht. Ich weiß, dass es für dich keinen Weg mehr zurück gibt. Mein Herz ist gebrochen. Das Herz deines Mannes Jonathan ist ebenfalls gebrochen.

Jeden Tag erfüllt dieser bedrückende Kummer meine Stunden. Wie ein schwerer Asteroid lastet dein Schicksal auf meinem Herzen. Ich wünsche mir so sehr Erlösung für dich. Dabei weiß ich, dass diese Form der Absolution nur in Form deines endgültigen Ablebens eintreten würde.

Das ist der schreckliche Fluch der Ylors.

Kann die Ankunft des Rideryons mit all seinen Ylors denn positiv für Cartwheel sein? Werden sie nicht als Verbündete des Quarteriums für noch mehr Schrecken sorgen?

Wird das Quarterium überhaupt den fremden Einfluss gestatten? Niemand kann vorhersagen, was ab dem 3. August 1308 NGZ passieren wird. Jenem Tage, an dem das Rideryon das Sternenportal erreichen wird.

Die Uhr tickt. Der kosmische Countdown läuft ab.

Jaaron Jargon

8. Lügen und belogen werden

Welch interessante Wendung im Spiel der Lügen und Intrigen. Die quarteriale Prinzessin Stephanie de la Siniestro verweilt in Siom Som und hat die alliierte Führung um Verhandlungen auf Som gebeten. Ich war überrascht, als mein guter alter Freund Henry Portland mich per Interkom darüber informierte. Meine Tochter Janela hat mir auf die Überraschung hin erst einmal reichlich Gin in meinen Earl Grey schütten müssen.

Das finstere, diabolische Quarterium ist in Panik. Der Emperador ist auf dem Rideryon, von allem abgeschnitten, es gibt kein Wort vom Silbernen Ritter seit dessen Rückkehr.

Gerüchte besagen, er nehme Urlaub in Anspruch. Humbug! Sie haben ihn abserviert. Leticron, Jenmuhs und die Natter des Quarteriums, Stephanie, haben die Machtübernahme sorgsam geplant. Und sie sind in riesiger Furcht vor dem Rideryon. Wer kann es ihnen verübeln? Für die Despoten aus Cartwheel bedeutet die Ankunft des Rideryons in der eigenen Galaxie drohendes Chaos.

Die Stärke des Rideryons war noch unbekannt. Nistant und Medvecâ wirken jedenfalls entschlossen. Ob sie die technologischen Machtmittel besitzen, steht auf einem anderen Blatt Papier geschrieben. Falls der geneigte Leser nicht weiß, was Papier ist: Darauf schrieb man früher Aufzeichnungen. In Museen findet ihr noch wertvolle alte Bücher aus Papier.

Jedenfalls droht dem Quarterium eine völlige Destabilisierung, sollten nun auch die Alliierten mitmischen. Nicht auszudenken, wenn Aurec den Mut findet, die Flotte nach Cartwheel zu führen, um die geknechteten Völker aus ihrer Sklaverei zu befreien. Sein eigenes Volk wartet seit zwei Jahren auf die Rettung durch ihren saggittonischen Helden. Kann Aurec weiter die Augen verschließen? Muss er nicht das Risiko des Konflikts eingehen, auch wenn er damit über den Tod von Tausenden, vielleicht sogar Millionen entscheidet? Denn die Verluste bei einer Invasion in Cartwheel wären beträchtlich.

Auch ist nicht sicher, auf wessen Seite sich das Rideryon stellen würde. Ist es überhaupt ein Machtfaktor, den man einkalkulieren muss? Die Rideryonen scheinen keine große Raumflotte zu besitzen. Man mag es kaum glauben, sind die Ylors doch einstige Alysker und verfügen über ein Millionen Jahre altes Wissen an Technologie. Die gigantische Schutzbarriere, die knapp achttausend fliegenden Tholmonde und die Fähigkeit, mit Überlichtgeschwindigkeit zu reisen, sprechen dafür, dass die Rideryonen ihre Technologie vor uns verbergen. Vielleicht müssen sie sie gar nicht einsetzen? Vielleicht ist eine Raumflotte ob der Verteidigungsapparaturen gar nicht notwendig?

Oder … das Rideryon ist ein Trojanisches Pferd? Doch falls es so ist – für wen? Für das Quarterium? Es ist auch gut möglich, dass die einstige Mission und Stärke dieser Weltrauminsel in Vergessenheit geraten ist und erst durch Nistants Rückkehr wieder ins Gedächtnis gerufen wurde.

Die Zukunft ist ungewiss. Sie ist beängstigend. Der Frieden von Som, den Perry Rhodan ausgehandelt hatte, droht in seiner Abwesenheit zu zerbrechen.

Ist dies der erneute Auftakt zum großen intergalaktischen Krieg? Oder vermögen die menschlichen Brüder und Schwestern sich doch zu verständigen?

Die Galaxie blickt auf Som.

Roppert »Speaky« Mohlburry an Bord der FOCUS

*

Aurec betrachtete die beiden Monde Culio und Ijarkor. Sie hingen sichelförmig am Firmament dieses warmen Sommerabends. Die Stadt Somata war noch immer von den Folgen des Krieges gezeichnet. Zwar war die Regierungsstadt schon seit längerer Zeit von Gefechten verschont geblieben, doch noch immer ragten Trümmer aus Schlacke in der ohnehin überschaubaren Skyline auf. Die runden Bauten der Somer ruhten auf baumähnlichen Gebäuden mit allerlei Auswüchsen. Sie erinnerten an künstliche Bäume mit ihren Nestern.

Der Regierungspalast war eine große runde Kuppel direkt auf dem Erdboden. Seit 1305 NGZ hatten sich hier die Dorgonen eingenistet, später war Som zum freien Planeten erklärt worden.

Am 23. Februar 1305 NGZ hatten die Dorgonen ihre Invasion begonnen. Aurec hatte zunächst die USO unterstützt. Die Saggittonen waren im August 1305 NGZ in den Krieg eingetreten, das Quarterium kurz darauf. Seit fast dreieinhalb Jahren tobte dieser intergalaktische Krieg nun schon, auch wenn seit dem 13. März diesen Jahres ein Frieden herrschte. Wie brüchig dieser Frieden war, zeigte sich in diesen Stunden. Gerade mal drei Monate nach seiner Einführung, drohte erneut das Chaos auszubrechen.

Aurec blickte in den runden Saal hinein. Er wirkte spartanisch mit dem großen, eckigen grauen Tisch im Zentrum. Der Fußboden bestand aus weißgrauem Marmor, die Wände waren in einem hellen Braun gehalten. Der Raum war schmucklos. Die Dorgonen hatten beim Einzug ihre Statuen und Hologrammbilder mitgebracht und beim Auszug wieder mitgenommen. Die estartischen Völker hatten wohl keine Zeit gehabt, sich neu einzurichten.

Der dorgonische Dux Superior Vesus betrat den Balkon. Sein hageres, faltiges Gesicht war von den vielen Schlachten und Problemen seines Lebens gekennzeichnet. Die wasserblauen Augen wirkten jedoch wach. In seiner Hand hielt er ein Glas mit einer bordeauxroten Flüssigkeit. Aurec vermutete, dass es sich um Wein handelte. Vesus trank viel und oft.

»Die estartischen Galaxien haben Dorgon viele Verluste bereitet.«

Verbitterung klang aus den Worten des Dorgonen, den Aurec bereits seit 1292 NGZ kannte. Damals war Vesus schon ein Kriegsherr der Dorgonen gewesen. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Er hatte gegen die Terraner und Saggittonen gekämpft und unter dem guten Einfluss von Kaiser Uleman wiederum auf ihrer Seite gestritten. Vesus diente immer dem aktuellen Kaiser. Und war trotz seiner Loyalität manchmal auch bereit, auf sein Gewissen zu hören.

»Commanus, Elgalar, Carilla und Arimad. Den Tod der Kaiserin bereue ich zutiefst.«

»Ich auch«, flüsterte Aurec. »Wo steht Dorgon?«

Vesus nahm einen großen Schluck aus dem Glas. Betrübt stellte er fest, dass es schon fast leer war.

»Der Kaiser und sein Stellvertreter sind auf dem Rideryon. Das neue Forum Preconsus hat Falcus und mich legitimiert, Entscheidungen zu treffen. Ein ehrenvoller Rückzug ist eine sinnvolle Lösung – wenn es so etwas noch gibt. Ein Rückzug wird Dorgon politisch schwächen. Würde doch Arimad noch am Leben sein …«

»Ihre Ansichten leben noch. Vesus, wer kann ihre Ideale vertreten und umsetzen, wenn nicht du?«

Der Admiral der Dorgonen atmete tief durch. Ehe er antworteten konnte, betrat auch Henry Portland den Außenbereich. Der LFT-Kommandant wirkte in seiner blauen Uniform adrett und würdevoll. Das zerknautschte Gesicht trug eine ernste, seriöse Miene zur Schau. Wenn Portland unkte, lachte oder schmunzelte, so änderte er meist nur eine kleine Nuance in seinem Gesichtsausdruck. Er wirkte selbst dann mürrisch, wenn er belustigt war.

»Die Delegation des Quarteriums ist eingetroffen. Außenministerin Stephanie de la Siniestro und General Alcanar Benington.«

Innenillustration: Stephanie de la Siniestro und Alcanar Benington
Stephanie de la Siniestro und Alcanar Benington © Gaby Hylla

»Danke«, sagte Aurec. »Wir sollten besser rein, bevor Stephanie ihren Charme versprüht.«

Aurec ging mit den beiden Männern in den Saal, wo sie Adelheid und Constance Zaryah Beccash trafen, die Repräsentantinnen der Entropen. Constance schenkte Aurec ein warmes Lächeln. Die Lilim befand sich ganz offenkundig in einem Konflikt. Adelheid war zweifellos die oberste Lilim und die Anführerin der Entropen, doch ihre fanatische, brutale Art hatte zumindest Constance abgeschreckt, und andere Lilim auch. Ihre männerhassende Art und ihre extremen Ansichten machten die Herrin der Entropen zu keiner verlässlichen Partnerin.

Neben ihr standen Eorthor, der uralte, relativ unsterbliche Alysker, und der Kemete Osiris. Dahinter saßen der Somer Sruel Allok Mok alias Sam und der dorgonische Legat Falcus bereits am Tisch und diskutierten. Die Gespräche endeten, als Stephanie de la Siniestro und Alcanar Benington den Raum betraten.

Stephanie trug ein schwarzes, enges Kleid mit tiefem Dekolleté. Es ging ihr bis zu den Oberschenkeln. Schwarze Stiefel rundeten ihr ebenso attraktives wie ein Stück weit verruchtes Erscheinungsbild ab. Benington trug seine graue Uniform. Der General des Quarteriums grinste überheblich wie immer. Stephanie wirkte aufgesetzt freundlich. Sam ergriff das Wort, begrüßte die Teilnehmer und bat, Platz zu nehmen.

»Das Rideryon wird Siom Som verlassen. Wie gehen wir als Gemeinschaft mit dieser Situation um?«, fragte der Somer.

»Das Rideryon fällt in den quarterialen Zuständigkeitsbereich. Gerne kann die Gemeinschaft das Riff aufhalten, doch sobald es Som-Ussad erreicht, betritt es unser Hoheitsgebiet. Da sich mein über alles geliebter Vater und mein ebenso geliebter Bruder als Geiseln dort befinden, wird das Quarterium so mit ihm verfahren, wie es für Entführer und Invasoren üblich ist.«

»Das Rideryon ist von kosmischer Bedeutung. Die Grenzen des Quarteriums sind bedeutungslos«, stellte Eorthor nüchtern fest.

»Sowohl die LFT als auch die Saggittonen, Alysker und die USO haben Truppen und Freunde auf dem Rideryon. Auch wir möchten sie befreien«, warf Henry Portland ein.

Das wusste Aurec nur zu gut. Kathy war dort.

»Dorgon möchte ebenfalls seinen Kaiser zurück. Das Kaiserreich hofft hierbei auf eine konstruktive Kooperation mit dem Quarterium«, sagte der Legat Falcus gedehnt.

Adelheid faltete die Hände vor dem Bauch zu einem Dreieck und lehnte sich tief in ihren Sessel.

»Nun, dann bin ich wohl dran? Hier spricht eine weibliche Vertreterin, die vom Phallus ihres Begleiters gesteuert wird. Das Quarterium ist ein männerdominiertes, verbrecherisches Regime. Es muss ausgelöscht werden. Das Rideryon ist tatsächlich von kosmischer Bedeutung. Wir müssen es kontrollieren. Und das Quarterium vernichten. Marschieren wir also in Cartwheel ein.«

Benington sprang auf.

»Wie können Sie es wagen? Wie können Sie es nur wagen, altes Weib?«

»Sollen wir das als Kriegserklärung auffassen?«, fragte Stephanie provozierend.

»Oh, Kindchen. Deine einzige Methode, Männer gefügig zu machen, ist deine Vulva. Wie erbärmlich. Übrigens, die Entropen befanden sich mit dem Quarterium niemals im Frieden«, antwortete Adelheid gelassen.

Nun musste Aurec das Wort ergreifen. Die Diskussion verlief ganz und gar nicht wie erwartet.

»Wir können das Rideryon nicht ignorieren. Außerdem wurden Saggittor und weite Teile der Sternensysteme in Cartwheel widerrechtliche erobert. Die alliierte Flotte der Terraner, Saggittonen und USO wird nach Cartwheel übersiedeln. Dort werden wir zusammen mit dem Quarterium über das Rideryon und den Rückzug aus den besetzten Gebieten sprechen.«

Beningtons Gesicht lief rot an, er grinste nicht mehr. Stephanie wirkte verdutzt. Hatte sie allen Ernstes mit Unterstützung gerechnet?

»Seit wann ist der Möchtegernkanzler der Saggittonen so mutig? Er gilt doch als Zauderer«, provozierte sie.

»Das Quarterium macht mir die Entscheidung leicht«, antwortete Aurec.

Nun erhob sich Osiris.

»Die Kemeten werden die Saggittonen, die Terraner und die USO nach Chepri begleiten. Es ist ohnehin unsere Heimat.«

»Die Alysker schließen sich mit der Kampfkraft von NESJOR an.«

Stephanie blickte sich ratlos um. Benington starrte auf den Tisch und atmete schwer. Aurec wandte sich an die Dorgonen und Sam. Ihre Entscheidung fehlte noch.

Zuerst meldete sich Sam zu Wort: »Die estartische Föderation wünscht sich vom Krieg zu erholen. Legat Falcus und Dux Superior Vesus haben den Abzug aus den besetzten Gebieten bis Ende 1309 der Neuen Galaktischen Zeitrechnung zugesichert. Vor uns liegt viel Aufbauarbeit. Doch ich persönlich bin Cartwheel verbunden, ich werde Aurec begleiten.«

Nun erhob sich Vesus. Er räusperte sich und musste sich kurz am Tisch abstützen.

»Das Dorgonische Reich ist seinem Kaiser verpflichtet. Deshalb wird unter meinem Kommando eine Flotte nach Cartwheel reisen. Wir hoffen, vom Quarterium als Freunde begrüßt zu werden.«

»Darf ich den Dux Superior an den Beistandspakt erinnern?«, warf Stephanie aggressiv ein.

Vesus schwieg und warf einen Blick zu Falcus, der den Kopf senkte und lieber den Boden betrachtete als zu antworten.

»Das ist unglaublich. Ich bin empört. Ihr alle droht mit einer Invasion? Die Konsequenzen dürften doch jedem von euch klar sein: eure völlige Auslöschung. Wie könnt ihr es nur wagen!«

Stephanies Reaktion wirkte echt.

Aurec hatte genug: »Ich will kein Massaker. Doch die Zeit ist gekommen, um zu kämpfen. Möglich, dass wir ausgelöscht werden. Vielleicht wird aber auch das Quarterium verlieren. Uns ist euer Rückzugsbefehl aus den estartischen Galaxien nicht entgangenen, und da sich auch die Dorgonen zurückziehen wollen, scheint unsere Mission hier beendet zu sein. Nun gilt es, die Unterdrückten in Cartwheel von eurem Joch zu befreien. Ich bin bereit dazu!«

»Kaum ist Rhodan fort, spielen sich die Ratten selbst als Herrscher auf«, kommentierte Stephanie zynisch. Sie und Benington erhoben sich.

»Nun denn, dann ist alles gesagt. Wir werden euren lächerlichen Forderungen nicht nachkommen. Jedem Raumschiff der uns entgegenstehenden Parteien wird das Betreten von Cartwheel untersagt. Wir betrachten das Sternenportal von Som-Ussad als unser Hoheitsgebiet. Zuwiderhandlungen versteht das Quarterium als Kriegserklärung.«

Stephanie de la Siniestros blaue Augen waren finster zusammengekniffen, als sie die Runde musterte. So viel Verachtung lag in ihrem Blick. Sie gab Benington ein Zeichen. Beide verließen ohne ein weiteres Wort den Saal.

Was nun? Hatte er richtig gehandelt? Was geschah, wenn die Dorgonen das Geschehen als Anlass nahmen, um die estartischen Galaxien vollständig zu erobern? Alles, wofür sie die letzten drei Jahre gekämpft hatten, wäre dann umsonst gewesen. Was wäre, wenn es bei Som-Ussad oder bei Paxus zu einer Schlacht käme, die hunderte Millionen Wesen das Leben kosten würde?

Doch wenn sie tatenlos blieben, was würde dann geschehen? Wie viele Unterdrückte würden sterben? Die Motive von Nistant und dem Rideryon waren unbekannt. Würde nicht auch die Ankunft des Rideryons in Cartwheel einen Krieg auslösen? Einen Genozid vielleicht?

Wenn es dem Quarterium gelang, Fuß auf dem Rideryon zu fassen, waren Billiarden Lebewesen bedroht. Niemand garantierte, dass sie in ihrem Wahn der Artenbestandsregulierung nicht die Bevölkerung des Rideryons auslöschten.

Aurec stand auf. Er brauchte frische Luft. Die Dielen gaben bei jedem Schritt ein knarzendes Geräusch – das war ihm vorher gar nicht aufgefallen. Die Tür zum Balkon öffnete sich automatisch und glitt zur Seite. Ein warmer Windzug blies ihm entgegen. Er stellte sich an die Brüstung und blickte hinab auf die Stadt.

»Deine Fragen sind die richtigen. Deine Entscheidung ist richtig«, sagte jemand. Aurec drehte sich um. Vor ihm stand ein Mann mit langen braunen Haaren und einem wallenden Bart in einem weißen Gewand. Um ihn herum leuchtete eine goldene Aura.

»DORGON!«

*

Schnell hatten sich alle Beteiligten um DORGON versammelt. Dieser stand ruhig auf dem Balkon und schenkte ihnen ein mildes Lächeln.

»Euer Weg ist mutig und es ist richtig, den Verlust jeden Lebens abzuwägen«, begann die Projektion des Kosmotarchen. »Das Rideryon birgt selbst für mich Geheimnisse. Doch eines ist sicher: MODROR und seine Söhne des Chaos kontrollieren das Rideryon und Cartwheel. Das Kosmonukleotid TRIICLE-3 ist nicht weit von Chepri entfernt. Die Nachbargalaxie Seshonaar wird von Truppen aus Barym beherrscht. Es droht der völlige Verlust dieser Sternenregion an meinen finsteren Bruder, sollten wir nicht einschreiten.«

Aurec hatte so viele Fragen, und doch stand er stumm vor DORGON. Er war geradezu überwältigt. Die Präsenz dieser Entität erfüllte ihn mit Hoffnung.

»Mit anderen Worten, der Krieg ist unvermeidlich«, erklang eine tiefe Stimme. Ein Mann schritt von der anderen Seite des Balkonrondells auf sie zu. Älter als DORGONS Erscheinung, mit strengen Gesichtszügen und dunklen Augen. Auf seinem Haupt trug er eine Krone, die Aurec als kemetisch identifizierte. Auf Terra war es die vereinte Krone von Ober- und Unterägypten gewesen. Der rechteckige Kinnbart und das weiße Leinengewand mit dem goldenen Schmuck rundeten das Bild ab, welches die Terraner am ehesten als ein Pharao aus der altägyptischen Epoche verstanden hätten. Der Kosmokrat Amun war nun ebenfalls hier.

»Es gibt Alternativen zur Gewalt«, wandte DORGON ein.

Amun winkte ab.

»Versuche es ruhig, mein Junge. Stelle dich deinem Bruder. Sollte dein Plan jedoch scheitern, so muss erneut der kosmische Applaus für den Alysker erklingen und die Kemeten müssen ihre Heimat befreien.«

Amun warf einen Blick auf Eorthor und Osiris. Beide wirkten angespannt, als würden sie zu etwas Höherem berufen werden und wollten zeigen, dass sie würdig sind.

»Ich bin bereit«, sagte Eorthor. »Nach 190 Millionen Jahren werde ich den Hohen Mächten beweisen, wie bereit ich bin und dass die Alysker das Schicksal der …«

Amun hob die Hand und blickte Eorthor streng an. »Lobe das Universum nicht vor dem Urknall.«

Eorthor seufzte verdrießlich.

»Ah«, machte Amun erfreut. »Die Hexen der Kahaba haben sich der Mission angeschlossen, um Rache zu nehmen. Die Alysker, Kemeten und Lilim werden kosmische Geschichte schreiben.«

Amun schritt an Henry Portland, Sam und Falcus vorbei.

»Und die anderen dort …«

Er kommentierte die Worte mit einer abfälligen Handbewegung. Seine Mundwinkel zuckten verächtlich. Die Arroganz des Kosmokraten war bemerkenswert.

»Mit anderen Worten sollen wir deine Fehler ausbügeln«, stellte Adelheid fest. »Die Fehler eines Mannes!«

Der Vorwurf perlte an Amun ab.

»Ich bin ein Geisteswesen. Die Begriffe Mann, Frau, Zwitter spielen für mich keine Rolle, Dummchen. Du wirst das nie begreifen, zu sehr frönst du den Lehren der Lilith und SI KITU nach. Nun, vielleicht findest du Lilith, sollte MODROR besiegt werden. Strenge dich also an.«

»Ich empfange nur Befehle von SI KITU!«, rief Adelheid aufgebracht.

»SI KITU ist unsere Verbündete, mein Kind«, beschwichtigte sie DORGON. »Wir werden gemeinsam gegen MODROR vorgehen. Ein Teil von mir befindet sich bereits auf dem Rideryon. Erwartet mein Erscheinen am Tage der Ankunft des Rideryons beim Sternenportal. Es wird sich alles zum Guten wenden. Lasst die Hoffnung nicht fahren …«

DORGON löste sich auf.

Amun warf einen Blick auf die Runde.

»Eorthor, Raumherr der Kosmokraten. Nutze deine Chance, und ich verzeihe dir und deinem Volk eure Verfehlungen.

Osiris, Auserwählter der Kosmokraten. Hole dir deine Heimat zurück und deine Fehler mögen auch dir vergeben sein.«

Nun löste sich auch die Projektion Amuns auf.

Aurec war sprachlos. Henry Portland ergriff eilig das Wort.

»Sir, das Quarterium hat eine Offensive gegen unsere Flotten gestartet.«

Der Krieg hatte also wieder begonnen.

*

BREAKING NEWS

Bekket Glyn – INSELNET-Korrespondent


ES IST WIEDER KRIEG

Pack aus Saggittonen, USO, Estarten und LFT fällt uns in den Rücken

Es sind so viele von dem Geschmeiß, dass ich nicht einmal weiß, wen ich da alles aufzählen muss, um politisch korrekt zu sein. Die Allianz aus feigen Feinden ist dem Quarterium in den Rücken gefallen. Unter der Ägide des verschlagenen Saggittonen Aurec wurde verkündet, dass ein Bündnis aus Saggittonen, LFT, Alyskern, Entropen und USO das Quarterium erobern wollen. Sie wollen die Gunst der Stunde nutzen. Wenn das Rideryon durch das Sternenportal fliegt, will das Bündnis die Invasion starten.

Unser genialer Stratege und General Alcanar Benington hat umgehend reagiert und mit den Kampfhandlungen begonnen.

Fassen wir doch mal zusammen, was uns da für Abschaum den Krieg erklärt hat:

Die United Stars Organisation ist seit Jahren eine Terrororganisation, die für den Tod vieler quarterialer Bürger verantwortlich ist.

Die Saggittonen unter der Knechtschaft von Aurec sind Verfassungsfeinde. Während sich der Großteil des saggittonischen Volkes friedlich in die menschliche Gemeinschaft des Quarteriums eingegliedert hat, spalten diese Hetzer unsere Gesellschaft und sind für den Krieg in den estartischen Galaxien mitverantwortlich.

Die Alysker sind ein Haufen degenerierter Verstoßener der Kosmokraten, genauso wie die Kemeten.

Über die Power-Emanzen und Männerhasserinnen der Entropen verlieren wir mal kein Wort.

Es ist Krieg. Vielleicht war der Frieden ohnehin unnötig gewesen. Das Quarterium verteidigt Cartwheel in Som-Ussad. Männer und Frauen zuhause, denkt an unsere tapferen Soldaten, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um eure Freiheit, euren Ruhm und eure Prinzipien gegen den feigen Abschaum zu verteidigen.

Ein Hoch auf sie. Sie sind Helden!

9. Die Reinkarnation von Ajinah

27. Juni 1308 NGZ, Aus den Chroniken Cartwheels

Die STERNENMEER schwebte majestätisch über dem großen Ozean. Aus zehn Kilometern Entfernung wirkte das goldgrüne Raumschiff mit dem hohen Turm riesig und zugleich zwischen den Wolkenmassen des Himmels und der Weite des Meers winzig und verloren.

Wir befanden uns in einem entlegenen Fjord. Der Strand war steinig und beschwerlich zu begehen, und doch waren die großen Brocken ideale Sitzplätze. Ich nahm auf einem großen Stein Platz. Es war idyllisch und ruhig hier. Kein Wesen war weit und breit zu sehen, mit Ausnahme meiner beiden Begleiterinnen: Pyla und Anya Guuze.

Die Buuralerin zog die Schuhe aus und patschte mit den Füßen ins Wasser. Anya setzte sich auf einen anderen Stein und blickte auf die STERNENMEER. Die hübsche Blondine seufzte.

»Ich will hier weg. Einfach zurück in die Milchstraße.«

»Und dann, mein Kind?«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Eine neue Identität annehmen, mich auf einer abgeschiedenen Kolonie niederlassen. Ein normales Leben führen. Nie wieder den Planeten verlassen. Einfach ein normaler Mensch sein.«

Pyla kehrte zurück. Auch ihr Haar war blond und die Augen blau, sie war aber größer als Anya.

»Das Wasser ist nass«, sagte sie mit einem Lächeln und bewies damit, dass sie sich inzwischen mit terranischer Geschichte beschäftigt hatte.

»Ich möchte zwischen den Sternen reisen. Je mehr Planeten, desto besser. Ich freue mich auf Cartwheel, auch wenn es offenbar sehr gefährlich dort zugeht.«

Anya verzog die Mundwinkel.

»Ich kann es kaum erwarten, dorthin zurückzukehren. Vielleicht haben sie ja noch eine Pritsche in einer Baracke auf Objursha für uns frei.«

Unweit von ihnen materialisierte eine Gestalt. Sie war imposant und erschreckend zugleich: Das nasse schwarze Haar hing strähnig ins fahle Totengesicht, die Kleidung war von den Stiefeln bis zum Umhang schwarz.

Nistant.

Der Erbauer des Rideryons suchte uns auf. Ich wusste, dass er in Anya Guuze eine Reinkarnation seiner geliebten Ajinah sah. Die tragische Liebesgeschichte von Nistant und Ajinah war Teil der Folklore des Rideryons. Auch wenn Ajinah nie einen Fuß auf das Rideryon gesetzt hatte und schon lange vor dessen Konstruktion gestorben war, so war ihre Präsenz zu spüren. Die Stadt Ajinahstadt war nach ihr benannt worden, sie war das Symbol für Einsamkeit und jene bedingungslose Liebe, die Nistant ihr gegenüber in all den Äonen fühlte.

Nistants Blick fiel auf Anya, die nervös wurde. Er kam auf uns zu, blieb vor uns stehen und blickte über den Fjord auf das Meer.

»Es ist wunderschön. Damals, als ich auf Thol wanderte, hielt ich mich am liebsten an den Küstenabschnitten auf. Die Gezeiten hatten die Küste immer wieder verändert. Nichts bleibt auf ewig. Fast nichts.«

Er sah erneut zu Anya herüber. Sie lächelte, zeigte sich freundlich. Was sollte sie auch anderes tun? Sie war sich bewusst, dass wir auf Nistants Gunst angewiesen waren, und dass er außer ihr nichts mehr wahrnahm.

»Es ist, als blicke ich Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück, wenn ich in dein wunderschönes Gesicht sehe. Als ich ein junger Sargomoph war, da versank ich in deinen tiefblauen Augen, ertrank in ihnen wie in einem tosenden Meer. Deine Schönheit und deine Anmut haben mich auf ewig in ihren Bann gezogen.«

Die junge Frau schüttelte heftig den Kopf.

»Nein, das haben sie nicht. Ich bin nicht Ajinah. Ich bin Anya Guuze, 1280 NGZ auf Terra geboren. Ich bin 37 Jahre alt und feiere in drei Tagen meinen 38. Geburtstag. Ich war und werde nie deine Ajinah sein, auch wenn ich so aussehe. Wir sind zwei völlig verschiedene Wesen.«

Nistant lächelte, was eher schrecklich aussah.

»Die Quantenphysik lehrt uns, dass nichts wirklich stirbt, sondern in einer anderen Form weiter existiert. Charakterlich sind du und Ajinah euch übrigens sehr ähnlich.«

»Wirklich? Dann wundert es mich, dass sie deine Visionen geteilt hat. Ich sehne mich nach einem normalen Leben und nicht nach kosmischem Ruhm.«

»Ajinah starb in meinen Armen, bevor ich meine Visionen mit ihr teilen konnte.«

Anya blieb für einen Moment still.

»Das tut mir leid.«

»Ihr Tod war symbolisch für den Untergang meiner Heimatwelt. Nach ihrem Tod begann mein kosmischer Pfad, der mich auf Thol führte. Dort fristete ich einsam mein Dasein, ehe Amun mich an mein Schicksal erinnerte und ich mit der Konstruktion des Rideryons begann.«

»Du willst das sicherlich nicht hören, aber vielleicht solltest du nach ein paar Millionen Jahren loslassen. Sie ist tot und kehrt nie wieder.«

Nistant beugte sich hinab, um auf Augenhöhe mit Anya zu sein.

»Ich sehe sie vor mir. Ihre Hülle ist da. Alles was fehlt, ist ihr Geist, ihre Seele. Und ich weiß, wo sie verweilt. Ich habe sie niemals aufgegeben.«

Es lag ein dunkler Unterton in seiner Stimme. Es klang schon beinahe bedrohlich, wie er das sagte. Anya wirkte eingeschüchtert. Nistant erhob sich wieder und blickte uns drei an.

»Ich weiß, dass ihr den Wunsch habt, das Rideryon zu verlassen. Doch ich muss euch enttäuschen. Ihr werdet mit nach Cartwheel kommen. Dort warten auf uns alle große Aufgaben. Das Rideryon ist zerstritten, so wie Cartwheel. Die Konflikte werden beendet werden, ein für alle Mal.«

Ich wurde neugierig.

»Wie wollt Ihr das bewerkstelligen?«

»Das werdet ihr später erfahren.«

Nistant betätigte an seinem Gürtel einen Schalter und löste sich auf. Er benutzte die Technologie eines Fiktivtransmitters, der ohne Gegenstation Materie an einen anderen Ort abstrahlen konnte.

Anya seufzte leise.

»Wir sind Gefangene auf dem Riff.«

Pyla blickte sie verdutzt an. Doch die Terranerin hatte recht. Aus welchen Gründen auch immer – Nistant wollte nicht, dass wir das Riff verließen, bevor wir Cartwheel erreichten. Anscheinend waren wir Teil seines Plans, sowohl das Rideryon als auch Cartwheel zu vereinen. Mit welchen Mitteln er das bewerkstelligen wollte, blieb uns verborgen, doch ich wusste, dass sich weder die Ylors noch das Quarterium seinem Diktat beugen würden. Sie würden kämpfen. Es würde Blut fließen. Sehr viele Wesen würden sterben.

Vielleicht begann das große Sterben bereits am Sternenportal von Som-Ussad. Ich hatte eine düstere Vorahnung, dass der Durchflug des Rideryons nicht mit friedlichen Mitteln zu erreichen war.

Jaaron Jargon

10. Der Benington-Raid

Das Metall zerplatzte in glühenden Funken. Die Explosion zerriss das glühende Ynkelonium, zurück blieben glimmende Reste. Ein SUPREMO-Raumer flog durch die Funkenspirale, wirbelte die glühenden Teilchen in alle Richtungen. Mehr war nicht mehr übrig von dem 800 Meter durchmessenden Kugelraumer des Feindes.

Ash Berger atmete tief durch. Hunderte, vielleicht tausende Männer und Frauen waren gestorben, verbrannt, atomisiert. Sie waren Terraner gewesen, seine Brüder und Schwestern. Es blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn die Schlacht ging weiter. Ein Verband von SUPREMO-Raumern führte den Angriff auf den Pulk von LFT-Kreuzern fort.

Es waren 20 SUPREMOS Typ D und 20 SUPREMOS Typ E gegen 23 LFT-Schiffe der NOVA-Klasse und 14 Kugelraumer der ODIN-Klasse. Alle vier Schiffsklassen ähnelten sich in Größe und Bewaffnung: Ein SUPREMO Typ D hatte wie die NOVA-Klasse achthundert Meter Durchmesser. SUPREMO E- und ODIN-Klasse besaßen einen Durchmesser von fünfhundert Metern. In keilförmiger Dreierformation flogen die SUPREMOS ihre Angriffe und versuchten, gegen ein oder maximal zwei feindliche Schiffe vorzugehen.

Ash Berger verfolgte die Schlacht auf der Anzeige. Neben ihm stand Roppert Nakkhole und pfiff erstaunt, als ein NOVA-Schiff einen SUPREMO vernichtete. Sie konnten in dieser Phase des Angriffs nichts anderes tun als zu beobachten. Ihre Zeit würde kommen, sobald Schiffe gekapert werden mussten.

Ihre Einsatzgruppe stand in der Transmitterhalle bereit. Zu seinem Zug gehörten neben ihm selbst und Nakkhole noch Booz Shiningjokes, Ace Blacktree und Krizan Bulrich. Ihr Vorgesetzter Henner von Herker und dessen Adjutant Henner Wosslyn leiteten die zweite Gruppe. Je fünfzig Mann fasste ein Angriffszug.

Nakkhole stupste Ash an und deutete auf eine Anzeige. Abseits des Kampfgeschehens wurde ein 250-Meter-Raumer von drei SUPREMOS flankiert. Die Anzeige des Schiffes leuchtete blau, was bedeutete, dass es kein Kriegsraumschiff war. Wenige Sekunden später leuchtete eine weitere Ansage auf: Einsatzgruppe A. Das war ihre. Es ging los.

Die Teleskopkameras der drei SUPREMOS lieferten Bilder aus der Nähe, zuerst von einem umfassenden Beschuss, der den Paratronschutzschirm zusammenbrechen ließ. Dann wurden aus dem Hangar zwei unbemannte, schachtelförmige Schiffe ausgeschleust. Sie dockten an den Schleusen an und sicherten sie. In den sechzig Meter langen Transportern befanden sich aktivierte Transmitter. Der grüne Haken, der nun aufleuchtete, war das Signal.

»Auf, Männer. Es geht los«, rief Berger und deutete auf den Torbogen des Transmitters. Er lief hindurch und kam nach einem zeitlich kaum zu verstehenden Unwohlsein der Ent- und Rematerialisierung im Transporter heraus. Am Ende des langen Korridors rauchte es. TARA-Kampfroboter hatten bereits die Schleuse geknackt. Berger warf einen Blick hinter sich. Nakkhole, Shiningjokes, Blacktree und Bulrich folgten als Erste, dann einer nach dem anderen der Rest des Zugs. Berger winkte seine Kernmannschaft zu sich, um die Flanken zu sichern. Dann betrat Berger das feindliche Raumschiff. Er zielte mit dem MAR-Strahlergewehr nach links und rechts, doch da war niemand.

Blacktree zeigte ihm die Deckaufteilung. Die Kommandozentrale befand sich zwei Etagen über ihnen. Sie bahnten sich ohne Kampfhandlung den Weg in das obere Deck, wo sie ein alter, dicker Mann mit Halbglatze und Brille erwartete. Neben ihm stand eine Frau mit lockigem blonden Haar.

»Wir ergeben uns«, sagte sie leise.

Hinter den beiden befand sich die Crew. Es waren Terraner, Unither, Blues und ein Hasproner, insgesamt ein Dutzend Besatzungsmitglieder.

»Sind das alle?«, fragte Berger.

Die Frau nickte.

»Wir sind Journalisten«, fing der alte Mann in störrischem Ton an. »Wir sind Verfechter der Wahrheit.«

»Roppert und Janela Mohlburry«, stellte Krizan Bulrich fest. »Propagandisten der LFT und der Lohnempfänger der galaktischen Anti-Terra-Allianz von Blues, Topsidern und anderem Geschmeiß.«

Nun stand Mohlburry auf. Janela fasst ihrem Vater offensichtlich besorgt am rechten Arm. Mohlburry war aufgebracht.

»Das ist eine Frechheit. Ich bin der Wahrheit verpflichtet. Die Propaganda stammt eindeutig vom Quarterium. Eure Siniestro-Natter verbreitet Lügen, Fakenews und gefährliche Hetze. Es gibt keine Anti-Terra-Allianz, außer jene in Cartwheel.«

Bulrich trat näher.

»Stopp«, sagte Berger. »Sie, Ihre Tochter und Ihre Besatzung stehen ab sofort unter Gewahrsam des Quarteriums. Selbstredend wird Ihre Berichterstattung vorerst gestoppt, und die FOCUS wird nach Som-Ussad gebracht. Dort werden Sie als Kriegsgefangene interniert.«

»Wir sollten das Schwein gleich exekutieren«, schlug Bulrich vor.

»Das ist nicht unsere Art«, entschied Berger.

»So, ist es nicht?«, fragte Mohlburry zynisch.

Berger atmete tief durch.

»Es ist zumindest nicht die Art der Holsteiner-Division. Wir sind nicht die CIP.« Das meinte er aufrichtig. Er wollte keine Gefangenen hinrichten. Von Mohlburry und seiner Besatzung ging keine akute Gefahr aus.

Bergers Interkom summte auf. Es war Oberst von Herker.

»Berger, komm mit deinen Leuten zurück auf die SOLARE EMPIRE. Wir haben neue Einsatzziele. Ein Raid auf einen entropischen Verband, der sich im Nachbarsystem von Som-Ussad versteckt und eine Station errichten will.«

»Aye, Sir!«

»Zehn Mann bleiben hier und fliegen die FOCUS nach Som-Ussad. Der Rest kommt mit mir.«

Berger warf noch einen Blick auf die beiden Mohlburrys. Er las im Gesicht der Tochter Besorgnis, während das runde Gesicht ihres Vaters Trotz und Stolz ausdrückte. Berger ging zu Sergeant P.B. Hecker. Der Mann mit dem graubraunen Haar und der eckigen Brille blickte ihn fragend an. »Sie sorgen dafür, dass die Gefangenen anständig behandelt werden. Das Oberkommando auf Som-Ussad soll dann über sie entscheiden.«

»Ja, Sir!«

Hecker salutierte. Ash legte keinen Wert darauf. Er kehrte mit seinem Zug zurück auf die SOLARE EMPIRE. Der nächste Einsatz begann.

*

Es ging schnell. Die SOLARE EMPIRE war vierzig Minuten später im Ukryat-Sonnensystem. Es war unbewohnt und bedeutungslos. Um einen blauen Stern kreisten sieben Planeten außerhalb einer habitablen Zone. Es waren Eiswelten und Gasplaneten. Doch das Ukryat-System hatte einen Vorteil. Es war nur zwei Lichtjahre von Som-Ussad entfernt. Ein entropischer Verband stand nahe dem zweiten Planeten, der sich durch schwarzen Sand aus Asche und viele Mineralien auszeichnete. Sie konstruierten Werften zur Reparatur von Raumschiffen und Sonnenzapfern zur Energiegewinnung.

Der Raid bestand aus 157 SUPREMO-Raumern, mit der SOLARE EMPIRE als Flaggschiff.

Die Entropen errichteten eine Basis und einen Rückzugspunkt. Zwar war es auch möglich, die Hypertropzapfer und vergleichbare Energiespeicher im Weltraum mühelos aufzuladen sowie Reparaturen an Schiffen durchzuführen, doch ein koordinierter Sammelpunkt hatte eindeutige Vorteile.

Es würde noch einen Monat dauern, bis das Rideryon Som-Ussad erreichte. Würden sie bis dahin tatenlos zusehen, hätten die Entropen ihre Basis auf Ukryat II errichtet.

Innerhalb weniger Sekunden begann der Angriff auf die 390 eiförmigen Schiffe der Entropen. Gut 100 von ihnen hatten im Orbit von Ukryat II bereits Position bezogen. Ein weiteres Dutzend war auf dem Gesteins- und Aschebrocken gelandet und hatte erste kuppelförmige Gebäude errichtet. Der Raid war zahlenmäßig unterlegen, doch das Überraschungsmoment sollte das wieder wett machen. Zuerst wurden die Schiffe beschossen, die noch keinen Schutzschirm aktiviert hatten. 27 von ihnen verglühten in gleißenden Explosionen. Benington ging in geschlossenen Formationen von sieben Schiffen gegen maximal zwei Gegner vor, eine Taktik, die dem Feind innerhalb weniger Minuten weitere 44 Raumer Verluste einbrachte.

Die SOLARE EMPIRE und sechs SUPREMO D-Raumschiffe steuerten nun Ukryat II an. Inzwischen erlitt auch der Raid Verluste. Berger verfolgte, wie 17 Schiffe von den Entropen vernichtet wurden, Punkte auf der holografischen Karte, die einfach erloschen.

Er richtete den Blick auf Ukryat II. Die Oberfläche war schwarzgrau, obwohl sie auf die von der Sonne bestrahlte Seite zu flogen. Es blitzte im Orbit: Das Feuer der Schlacht. Es war nicht zu erkennen, ob ein Schiff vernichtet wurde oder nur eine Transformsalve detoniert war.

»Wir haben Befehle, Holsteiner«, rief Oberst Henner von Herker durch das Interkom. »Wir sollen aus der Basis der blauen Weicheier alle verfügbaren Informationen sammeln. Das heißt Nahkampf! SERUNS anziehen, sonst geht euch innerhalb von Sekunden die Luft aus.«

Berger nickte Nakkhole und Shiningjokes zu. Diesmal würde ihnen die Zeit fehlen, um unbemannte Transmitterdrohnen voraus zu schicken.

Die SOLARE EMPIRE tauchte ins Kampfgetümmel ein. Benington musste sich auf dem Kommandostuhl richtig wohl fühlen. Die SOLARE EMPIRE beschoss die zwölf gelandeten Entropenschiffe. Drei von ihnen konfrontierten den Kugelraumer mit heftigem Abwehrfeuer. Berger spürte die Vibrationen des Bodens. Die SOLARE EMPIRE schaltete jedoch einen Entropenkampfraumer nach dem anderen aus. Die Gegner fielen zur Seite, einige explodierten komplett, andere waren beschädigt.

Herker erteilte den Einsatzbefehl. Nun wurde es ernst.

Ihr Ziel wurde auf ihren Helm-Displays eingeblendet, es war die kuppelförmige Station zwischen dem siebten und achten Eiraumer der Entropen. Sie wurde von den Analytikern als Zentrale der Basis ausgewertet.

Die Hangartore öffneten sich. Berger startete sein Gravojet, schwebte zwei Meter über dem Boden. Immer mehr Kameraden stiegen mit ihm. Dann folgten ihnen Shiftpanzer und kleine Space-Jets durch den Hangar.

Berger verließ die SOLARE EMPIRE, fühlte sich so winzig im Vergleich zu diesem Kugelraumer. Er blickte hinab. Einige der Raumschiffe der Entropen brannten. Die SOLARE EMPIRE legte die noch intakten Schiffe mit Punktbeschuss unter Feuer. Nur das Areal um die zwei Raumer und die Station blieb vom Strahlenhagel verschont.

Doch die eröffneten nun ihrerseits das Feuer. Energiestrahlen sausten an Berger vorbei. Rechts neben ihm wurde ein Shift getroffen, unter ihm glommen die Überreste zweier Soldaten.

Über ihnen zogen die Abfangjäger vom Typ Zecke, Wespe und Hummel vorbei, um die Geschützstände der Entropenschiffe anzugreifen. Verdammte Arschlöcher, dachte Berger, das hätten sie ruhig schon vorher machen können. Aber nein, es musste ja alles schnell gehen, ohne nachzudenken. Mit gezücktem Säbel rein ins Verderben. Auf ein paar Tote mehr kam es ja nicht an.

»Schneller nach unten«, hörte er von Henner von Herker aus dem Interkom. »Los, ihr Höllenhunde. Hier sind wir nur Kanonenfutter. Fürs Quarterium!«

Berger beschleunigte mit dem Gravojet und erreichte den Erdboden. Er justierte den Mikrogravitator, denn die Gravitation auf dieser Welt war sehr gering. Jeder schwungvolle Schritt könnte ihn meterhoch in den Himmel katapultieren.

Die stationären Abwehrgeschütze feuerten auf sie. Immerhin waren die großen Kanonen der Raumer durch die Raumjäger außer Gefecht gesetzt worden, doch als normaler Soldat war man immer noch schutzlos. Die Energiesalven zischten durch das Vakuum. Körperteile von zerfetzten Kameraden schwebten um sie herum und zeigten ihnen ihr mögliches Schicksal.

An der Seite preschten die Shifts vor. Die neuen Modelle Mammut und Simbakubwa waren ein gutes Paar: Mammut-Shifts waren stark gepanzert, während Simbakubwa höhere Geschwindigkeiten erreichen konnten. Eine große Feuerkraft besaßen beide Shifttypen.

Die Infanterie suchte hinter den Shifts Schutz. Berger aktivierte das Gravopack und schnellte zur Seite. Er huschte zwischen zwei Mammut-Shifts hindurch und fand hinter ihnen Schutz.

Die Entropen schleusten ebenfalls Kampfgleiter aus – eine kritische Situation. Die Soldaten waren viel zu früh nach unten geschickt worden.

»Grenadiere vor«, befahl Henner von Herker.

Berger beobachtete, wie eine Gruppe von vier Shiftgrenadieren die unhandliche Shiftfaust justierten. Dann feuerte ein Gleiter auf sie. Alle vier starben in einer Flammenkugel. Dann explodierte der Gleiter. Eine zweite Gruppe war erfolgreicher. Sie feuerten und trafen ein zweites Vehikel. Berger sah etwa hundert Meter von ihnen entfernt den Eingang zur Station. Er winkte Blacktree, Nakkhole, Shiningjokes und Bulrich zu sich.

»Drinnen haben wir größere Chancen, was auszurichten, und müssen nicht gegen Gleiter kämpfen.«

Berger funkte Henner von Herker an und bat um Feuerschutz, während sie auf die Station zuflogen. Vier Shifts richteten nun ihr Feuer auf die vor dem Eingang zur Station postierten Gleiter und Geschützstellungen. Berger zündete sein Gravojet. Seine Stammcrew und vierzig weitere Soldaten flogen zum Eingang. Das Dachgeschütz eines entropischen Gleiters drehte sich in ihre Richtung und schoss, die Energiesalve traf zwei Kadetten. Berger konnte nicht ausmachen, wer es war. Die armen Teufel wurden auf der Stelle zerrissen, immerhin mussten sie nicht leiden. Der Gleiter zerbarst wenige Sekunden darauf durch den Beschuss eines Mammut-Shifts.

Sie erreichten den Eingang, der durch einen grünen Schutzschirm geschützt wurde. Die Thermostrahler brachten den schwachen Schirm zum Zusammenbruch. Die Tür selbst stellte nach wenigen Schüssen kein Hindernis mehr dar.

»Los jetzt, rein«, rief Berger und eilte voran. Die Luft fegte aus dem Gang ins Freie, dann stoppte der Druck. Offenbar wurde vor ihnen eine Schleuse geschlossen. Er gab ein Zeichen. Shiningjokes und Blacktree justierten den STOG-Säure-Werfer. Dann feuerte Shiningjokes auf die verschlossene Tür. Die Säure fraß sich durch das blaue Metall. Der zerborstene Stahl wurde durch den Überdruck in ihre Richtung gepresst, dann verstopfte der Körper eines Sekundärentropen die Öffnung. Berger hätte nie gedacht, wie biegsam Knochen sein könnten. Mit dem Hintern voran wurde der Entrope in seinem braunen Raumanzug durch die brüchige Öffnung gequetscht, der Rücken unnatürlich gekrümmt, Beine und Arme dicht aneinander gelegt. Er schoss hinter sie. Berger und Nakkhole traten einen Schritt zur Seite und blickte ihm kurz hinterher. Doch dann zischten bereits grüne Energiestrahlen an ihnen vorbei.

Blacktree warf eine Thermogranate in den Raum. Nach der Detonation wurde es ruhig.

»Vorwärts«, kommandierte Berger und eilte voraus. Sie hatten den nächsten Raum erreicht und gesichert. Bulrich errichtete ein Prallfeld am zerstörten Eingang, so dass keine weitere Luft entweichen konnte.

Eine dritte Stahltür versperrte ihnen den Weg ins Innere. Diesmal legte Blacktree eine Thermitladung an die Tür. Sie gingen einige Schritte zurück, dann machte ihnen die Explosion den Weg frei.

Zwei Soldaten stürmten zur Sicherung durch die Öffnung. Berger folgte ihnen, da sah er bereits die Mündung des Zwillingsgeschützes an der Decke. Es feuerte, Berger wurde getroffen, aber der Schutzschirm des SERUNS hielt stand. Er wich zurück, doch die beiden Kameraden konnten nicht rechtzeitig ausweichen. Ihre Schirme brachen zusammen. Erbarmungslos zerfetzten die Energiestrahlen den Körper eines Terraners. Der zweite Soldat verschanzte sich verletzt hinter einem Pult.

Berger, Shiningjokes, Blacktree und Nakkhole stürmten vor und belegten die Deckenkanone mit Sperrfeuer, bis sie explodierte. Die Trümmer wirbelten durch den Raum und prallten gegen Shiningjokes, doch der Schutzschirm des SERUNS hielt.

Shiningjokes stellte sich an die Kontrollen, während sich der Sanitäter um den verletzten Soldaten kümmerte.

»Vor uns liegt der große Mannschaftsraum. Der teilt sich rechts in die Kantine und dahinter die Küche. Links geht es zur Kommandozentrale, den Laboren und den hydroponischen Gärten. Dahinter folgen die Einrichtungen zur Energieversorgung und die Lebenserhaltungskontrollen.«

Ihr Ziel war die Kommandozentrale. Berger vermutete, dass der Mannschaftsraum als Zentrum der Station voller Entropen war.

»Die Ortung wird gestört«, berichtete Ace Blacktree. »Die Blauger machen es uns nicht leicht.« Mit Blauger meinte Blacktree die Entropen. Die Bezeichnung hatte sich aufgrund ihrer blauen Haut in der Quarterialen Armee etabliert.

Ash Berger sah sich die holografische Karte der Station an. Die Entropen würden sie am Eingang erwarten. Doch was wäre, wenn …

Er grinste.

»Jungs, ich habe eine Idee!«

*

Berger blickte auf die zwanzig Mann hinter ihm, die vorsichtig an der Außenwand der Station entlang schlichen. Die kuppelförmigen Bereiche waren modular aufgebaut und mit Korridoren verbunden. Sie umgingen die Mannschaftshalle und suchten Zugang zu den hydroponischen Gärten, dem Modul zwischen der Zentrale und der Energieversorgung.

Eine zweite Gruppe unter dem Kommando von Booz Shiningjokes befestigte jede Menge Thermitladungen an der Hülle des Mannschaftsmoduls. Ein kleiner Trupp unter Blacktrees Befehl legte Sprengladungen zwischen der Zentrale und den Mannschaftsquartieren, da es ihr Ziel war, das Zentralemodul zu isolieren.

Berger blickte nach oben und sah, dass das Gefecht am Himmel immer noch tobte. Die SOLARE EMPIRE schwebte als stählerne Festung über ihnen. Sie war offenbar Dreh- und Angelpunkt der Angriffe, denn von ihr gingen kleine Kreuzerverbände und Raumjägerstaffeln zu den Brennpunkten im Orbit. Überall am Himmel blitzte es immer wieder auf. Explosionen, Detonationen, Schutzschirme, die standhielten oder ob der Angriffsenergie nachgaben.

Sie selbst waren wie winzige Ameisen in einem Kampf großer Bären. Auf dem Boden kämpfte abseits seines Zuges die Shift-Division gegen die Soldaten der gelandeten entropischen Raumschiffe. Henner von Herkers Shifts schienen die Oberhand zu gewinnen, wenn Berger den Interkommeldungen Glauben schenken durfte.

Nun mussten sie ihren Auftrag erfüllen.

Alle drei Gruppen waren in Position, und er gab das Signal. Die Thermitladungen detoniert, die Zentrale war abgetrennt. Sie drangen über den Korridor der Hydroponischen Gärten ein. Nur zwei Entropen liefen ihnen über den Weg, sie waren mit gezielten Schüssen schnell beseitigt. Dann erreichten sie die Zentrale. Über Interkom hörte Berger, dass Shiningjokes’ Leute im Gefecht mit Entropen aus dem Mannschaftsraum standen.

Blacktree befand sich mit seinen Soldaten auf der anderen Seite der Zentrale. Durch die Sprengungen war die Luft entwichen und die künstliche Schwerkraft aufgehoben. Plötzlich schnellte ein über drei Meter großer Gigant in seinem braunen Raumanzug hervor. Er packte Berger. Der Schutzschirm des SERUNS flackerte und zischte, als er den Energieschirm des Entropen berührte. Der Angreifer warf Berger einfach weg.

Berger wurde es ganz anders, als er durch das Vakuum flog, denn er sah die Station von außen. Um das Modul der Zentrale wurde gekämpft. Beim Mannschaftsraum flogen Körper und Körperteile durch die Gegend. Berger atmete tief durch, stabilisierte sich und zündete das Gravopack, dann flog er zurück und feuerte mit seinem MAR-21 auf den Hinterkopf des Tertiärentropen. Der Schutzschirm des Feindes brach zusammen, dann zerplatzte der Helm mit dem Kopf.

Ein Blauger weniger.

Berger flog in die Zentrale und sah, dass Bulrich und Nakkhole Gefangene gemacht hatten.

»Sieh mal, wir haben eine Hexe«, rief Nakkhole.

Darum ging es also in diesem Raid. Offenbar hatte die CIP Informationen über ihren Aufenthalt erlangt.

Aus dem Visier des Helms blickten ihn blaue Augen an. Die Hexe war schön und wirkte so menschlich. Zwei Sekundärentropen hatten sich ebenfalls ergeben.

»In Ordnung, sammelt alle Informationen aus den Speichern. Dann nichts wie weg hier«, befahl Berger und meldete an Henner von Herker: »Herr Oberst, melde gehorsam, Mission erfüllt. Hexe im Sack. Erbitten Abholung.«

Vier Shifts und Panzergleiter erreichten die Module und räumten auf. Die Hexe und die zwei Entropen wurden in den Gleiter gebracht. Shiningjokes und Blacktrees Gruppe schloss sich Berger wieder an. Sie hatten insgesamt neun Kameraden während des Einsatzes verloren. Berger stieg als Letzter in den Mammut-Shift ein. Als sich die Schleuse schloss, öffnete er den Helm des SERUNS und atmete tief durch.

Oberst Henner von Herker sah ihn aus seinen Glubschaugen an und grinste.

»Das war ein echter Höllenritt, Alter! Respekt. Es ist geschafft. Die CIP wird sich über die Hexenschlampe und Daten aus dem Rechner freuen.«

Bergers Begeisterung hielt sich in Grenzen. Ash war einfach nur erleichtert, dass er überlebt hatte.

*

Wir marschieren und zeigen gegenüber dem Feind keine Manieren!

Über Stein – das ist fein!

Über Felsen – da lugen die Aliens hervor mit ihren langen Hälsen!

Wir rasen über Asteroiden – und bringen den Aliens keinen Frieden!

Die Shifts brummen über Weiden – jeder, den sie treffen, wird arg leiden!

Wir sind Soldaten des Quarterium – singen und schießen dem Feind in sein Rekturium.

Wir sind Soldaten – wir essen gerne Braten.

Von Tellern aus Köpfen der Blauen – die wir ihnen vom Schlachtfeld klauen.

Wir stehen im Feuerregen – ganz verwegen.

Das Quarterium oh Kamerad, das Quarterium oh Soldat – unser Leben, unsere Ehre, unser Stolz!


Roppert Nakkhole sang mit lauter Stimme und schwang dabei den Krug Bier von links nach rechts. Die Erleichterung war ihm anzumerken, aber auch Berger genehmigte sich erst einmal ein kühles Blondes.

Oberst Henner von Herker hatte berichtet, dass die erbeuteten Daten potenzielle Basen in einem Radius von hundert Lichtjahren um Som-Ussad enthielten. Benington würde Punkt für Punkt angreifen.

Für heute hatten sie gewonnen, und sie waren auf der SOLARE EMPIRE in Sicherheit.

Ash Berger fragte sich, wie lange das Gefühl vermeintlichen Schutzes anhalten würde, denn er wusste, dass es noch ein langer, zehrender Sommer 1308 NGZ werden würde. Und er wusste nicht, ob seine Kameraden oder er diesen Sommer überleben würden.

11. Amunrator

2. Juli 1308 NGZ, Aus den Chroniken Cartwheels

Ich wohnte einem Treffen mit dem Emperador de la Siniestro und dem dorgonischen Kaiser Volcus bei. In knapp einem Monat würde das Rideryon das Sternenportal bei Som-Ussad erreichen, und seit Wochen hatte niemand von uns Kontakt zu Siom Som.

Als Dinner der Despoten hatte Roi Danton das illustre Essen zuvor bezeichnet und da keiner dem anderen vertraute, hatten man erneut einen neutralen Ort gewählt.

Auf Einladung von Nistant waren sie alle nach Amunrator gereist.

Der Zugang zur unterirdischen Stadt erfolgte über einen Hangar im Erdreich. Von dort führten Korridore zehn Kilometer tief zur Stadt selbst.

Amunrator bestand aus sechzehn Stadtteilen. Je vier der Viertel waren auf einer Ebene errichtet, so erstreckte sich die Stadt über vier Etagen. Die einzelnen Viertel hatten natürlich selbst Stockwerke, und jede Ebene war bis zu einem halben Kilometer hoch. So reichte die Stadt also noch einmal bis zu zwei Kilometer in den Erdboden.

Es hieß, Amunrator sei die Heimat von etwa 198 Millionen Einwohnern. Die Stadt erinnerte auf den ersten Blick an einen Termitenbau oder einen chaotischen Ameisenhaufen. Die Gänge waren lang, teils roh in den Fels geschlagen – zum Teil aber auch in elegante Fassaden gehüllt. So wechselten dunkle Höhlengassen mit verzierten, hell beleuchteten Tunneln ab.

Ein Großteil der Gebäude war in den Fels gebaut, es gab aber im Zentrum auch viele freistehende Gebäude, und in einigen Vierteln gewann man den Eindruck, man befände sich unter freiem Himmel.

Ein Großteil der Häuser wirkte auf mich kühl und schlicht. Sie erinnerten mich an Häuser aus Kappadokien im terranischen Bundesstaat Türkei oder an die Höhlenhäuser im spanischen Navarra.

Eine Ausnahme bildete der Stadtkern, denn der war prachtvoll. Eine breite Straße führte zur Innenhöhle, die seitlichen Wohnungen am Straßenrand reihten sich bis fast zur Decke, die sich oben wölbte und von hellen Lichtern erleuchtet war.

Die Unterkünfte reihten sich entlang der gelben Wände und umgaben den Stadtkern. Dort befanden sich freistehende Gebäude aller möglichen Architekturstile. Da waren Häuser mit roten Kuppeldächern und spitze Wolkenkratzer, die an Terrania City oder New York erinnerten.

Im Zentrum stand ein weißer, silbrig schimmernder Baum, dessen Krone die Höhlendecke berührte. Die Wohnungen an der Seite des Stamms sahen aus wie Baumpilze. Der Baum war natürlich kein echter Baum. Es war ein elegantes Gebäude aus einem mir unbekannten Material, und es dominierte das gesamte Viertel.

Auf diesem Baum befand sich auch das Restaurant, in das Nistant uns geladen hatte. Ein Antigrav brachte uns entlang der Außenwand in die weit oben liegende Etage und bereitete mir Unbehagen, da ich nicht schwindelfrei war.

Freundliche Fithuul nahmen uns in Empfang und geleiteten uns in den Speisesaal. Uns – das waren Anya Guuze, Kathy Scolar, Roi Danton, Joak Cascal und meine Wenigkeit.

Der Speisesaal war offenbar im alten Stil von Amunrator gehalten, die spärliche Beleuchtung, die Wände aus Stein und der große, klobige Holztisch mit Metallverschlägen in der Mitte vermittelten den Eindruck eines Bergarbeiterlagers unter Tage. Der Raum erinnerte mich eher an den Tunnel eines Bergwerks als an ein beschauliches Restaurant.

Nistant stand am Kopfende des Tisches, Kaiser Volcus und Praefektus Tutum Kruppus auf der linken Seite. Zur Rechten thronte Emperador de la Siniestro zusammen mit seinem Sohn Orlando und ihrer Ordonanz Virginia Mattaponi.

»Willkommen im Sedendron«, sprach Nistant und blickte Anya Guuze an. »Das Herz der Sterne leuchtet hell in diesen dunklen Hallen.«

Wir nahmen Platz, die Miskatoor-Feen brachten uns Getränke und eine Vorspeise. Ich genoss einen vorzüglichen, halbtrockenen Weißwein. Auf Nachfrage verriet mir Nistant, dass dieser edle Tropfen von den Weinbergen im Lande Buural stammte.

»Diese Halle ist dem kargen und entbehrungsreichen Leben der Bergleute von Annysberg, einer Stadt auf Thol, nachempfunden. Vor Millionen von Jahren suchten sie nach Erzen und kämpften in diesen Stollen gegen Tholwürmer – Tiere von der Länge dreier ausgewachsener Männer. Sie wurden von transparenten Asseln attackiert und von weißen, tellergroßen Spinnen gebissen.«

»Hört, hört«, rief Kruppus und erhob seinen Becher Wein.

»Die größte Gefahr waren aber Troglophen, halbintelligente Amphibien. Sie konnten sich behände zwischen den engen Tunneln bewegen und durch die unterirdischen Seen schwimmen. Troglophen waren brutal, denn sie verteidigen ihre Heimat. Doch heute bilden ihre Nachfahren dank Prallfeldern, Schutzschirmen und Frühwarnsystemen keinerlei Gefahr mehr für die Bewohner von Amunrator.«

»So interessant diese Geschichte ist, wir sind doch nicht hier, um über Halbintelligenzen zu sprechen?«, warf Volcus ein. Der dorgonische Kaiser mit dem verlebten Gesicht lächelte leicht.

»Nun, ich für meinen Teil spreche nicht nur über Halbintelligenzen. Ich spreche auch mit ihnen«, stellte Nistant fest. Er erhob sich erneut. »Das Rideryon wird in einem Monat Cartwheel erreichen. Es gibt nichts, was ihr dagegen tun könnt. Akzeptiert dieses kosmische Ereignis und kooperiert.«

Volcus stand nun auch auf.

»Das Kaiserreich Dorgon hat nichts mit Cartwheel zu tun. Wir erheben keinen Anspruch auf diese Galaxie. Ich wünsche sofort das Rideryon zu verlassen. Schreibt eure kosmische Geschichte ohne mich.«

Kruppus donnerte mit der Faust auf den Tisch.

»Und ohne mich!«

Die Dorgonen machten ihren Standpunkt sehr klar.

Nistant grinste und entblößte dabei seine hässlichen, gelb-schwarzen Zähne.

»Ihr habt wohl keine andere Wahl.«

Der Emperador de la Siniestro räusperte sich. Der Monarch des Quarteriums hatte bisher geschwiegen. Bedächtig tupfte er seinen Mund mit einer Serviette ab, faltete die Hände vor sich und sagte: »Zum einen, Señor Nistant, ich gehe davon aus, dass Sie das Rideryon steuern, sí?«

Nistant schwieg und setzte sich wieder in seinen Sessel.

»Sie könnten also durchaus, sofern Sie Willens sind, das Rideryon anhalten und die Dorgonen ziehen lassen. Doch Sie wollen eben das nicht. Auch sind Ihre Ziele für Ihre Reise nach Cartwheel unklar. Sie müssen doch wissen, dass mein Quarterium mit Waffengewalt darauf reagiert.«

»Dorgon hat nichts mit Cartwheel zu tun«, protestierte Volcus.

»Darf ich an den Beistandspakt erinnern?«, fragte de la Siniestro.

Volcus winkte ab.

»Der interessiert mich einen Scheiß, alter Knacker!«

Wütend sprang Orlando auf und forderte eine Entschuldigung von Volcus. Die einstigen Verbündeten gingen einander an die Gurgel. Kruppus erhob sich, fuchtelte drohend mit der Gabel in Orlandos Richtung, da sprang Virginia Mattaponi auf, nahm ihr Glas und schüttete den Inhalt in Kruppus’ Gesicht. Der stieß ein paar wüste Drohungen und unflätige Bemerkungen in ihre Richtung aus. Ich blickte in die amüsierten Gesichter meiner Begleiter.

Roi Danton nippte genüsslich an seinem Weinglas und Kathy schmunzelte, nur Anya wirkte wie immer genervt.

»Ihr habt recht, Emperador! Ich bin nicht willens, Euch gehen zu lassen. Das Rideryon wird Cartwheel erreichen. Ihr wollt doch sowieso dorthin. Weshalb also die Aufregung?«

»Wir wünschen als Herrscher des Quarteriums unsere Galaxie zu betreten. Nicht als Gefangene auf dem Riff«, erwiderte de la Siniestro.

»Welchen Standpunkt vertreten die Liga Freier Terraner und die USO?«

»Wir mögen es nicht, als Gefangene behandelt zu werden. Ich denke, wir könnten alle deeskalieren, wenn wir außerhalb des Riffs sind«, sagte Danton.

»Die Dorgonen und Quarterialen beweisen gerade, wie beruhigend sie auf uns an diesem Tisch wirken«, warf Nistant amüsiert ein. »Es wird keinen Unterschied machen, ob ihr auf dem Rideryon seid oder in Siom Som. Es wird zu einer Schlacht am Sternenportal von Som-Ussad kommen. Das Quarterium will seine Galaxie verteidigen. Das Bündnis aus Liga, USO, Saggittonen, Alysker und Entropen wird die Chance nutzen, um Cartwheel befreien zu wollen. Es wird keine Verhandlungen geben. Dieser Konflikt ist gewiss und es richtig, dass er zu einem Ende geführt wird.«

»Das ist nicht deine Entscheidung, Knochengesicht. Vielleicht sollten wir lieber mit Fürst Medvecâ sprechen. Er scheint mir der Vernünftigere zu sein«, zischte Volcus. Kruppus lachte.

»Nistant, du bist ein alter hässlicher Mann. Du schaffst es ja nicht mal, deine Blondine zu vögeln. Doch ich sage dir, ich werde es tun. Das verspreche ich dir. So lange, bis sie schreit.«

Kruppus warf einen anzüglichen Blick auf Anya Guuze. Immer wieder musste dieser widerliche Dorgone mit seinen sexuellen Drohungen prahlen. Doch in einem hatte Volcus nicht Unrecht, denn vielleicht zog Nistant nur eine große Show ab und Medvecâ war der eigentliche Beherrscher des Rideryons.

Nistant stand gelassen auf und betätigte einen Schalter an seinem Armband. Die Wand fuhr nach oben und offenbarte einen neuen Raum, in dessen Zentrum sich eine vier Meter dicke, silbern leuchtende Säule erhob.

An den Wänden befanden sich Konsolen und Steuerungselemente, so dass der Eindruck entstand, es handelte sich um eine Schaltzentrale.

»Das hier ist die Kommandozentrale des Rideryons. Von hier aus kann ich es steuern. Ich kann die Nebelbarriere aktivieren oder deaktivieren.«

Nistant wanderte zwischen den Anwesenden umher.

»Ich kann das Resif-Sidera aus dem Hyperraum befehlen. Ich kann die Geschwindigkeit erhöhen oder drosseln. Ich kann Kommandos an die Tholmonde senden, ihren Kurs bestimmen.«

Volcus und Kruppus erhoben sich und folgten ihm in die Zentrale

»Dann stoppe den Flug des Riffs«, forderte der dorgonische Kaiser.

»Wir steigen jetzt aus«, stimmte Kruppus zu.

Nistant betätigte einen Schalter. Die Säule wurde transparent und löste sich auf, bis nur noch ein Energierohr übrig blieb, welches irisierend in gelb, rot und blau leuchtete. Kreisförmig darum klaffte nun ein tiefer, schwarzer Abgrund, dessen Ende niemand zu erkennen vermochte.

»Dieser Schlund führt tief in die Unterwelt des Rideryons. Direkt zu den Troglophen.«

Volcus und Kruppus warfen einen Blick in die Tiefe, dann wandte sich der Kaiser wieder Nistant zu.

»Stoppe das Riff. Sofort. Oder wir werden es machen.«

»Ihr wisst doch gar nicht wie …«

»Das finden wir heraus.«

Nistant packte Volcus am Kragen, hob ihn mit einer Hand hoch und warf ihn zurück in den Speiseraum, dann widmete er sich Kruppus, fasste ihn an seinem dicken Hals und drehte ihn in Richtung Abgrund.

Langsam schritten beide auf die gähnende Leere zu, Kruppus schlug verzweifelt mit den Händen gegen Nistants Arme, doch der ließ nicht los.

»Was … was soll das? Lass doch los.«

Die Stimme von Kruppus wurde höher, die Worte schneller und in Aufregung gesprochen, dann fing er an zu schreien. Es war eher ein Quieken wie das eines Schweins. Mit all seinem Gewicht versuchte Kruppus, sich gegen Nistant zu stemmen, doch der drückte den Dorgonen immer näher zum Abgrund, bis sie die Kante erreichten.

»Du willst aussteigen? Oh, Sohn des Seins, lege jeden Tag Rechenschaft ab. Dein Ende ist nun gekommen.«

Nistant stieß Kruppus rückwärts in Richtung der Leere und ließ ihn los. Der Dorgone fiel kreischend in den Abgrund. Es gab keinen Zweifel, dass Kruppus den Tod fand, sobald er auf den Grund aufschlug. Die Frage war nur, wie lange das dauern würde.

Ein Dutzend bewaffnete Harekuul und Manjor betraten die Halle und Nistant drehte sich um.

»Möchte sonst noch jemand aussteigen?«

Jaaron Jargon

12. CIP-Inspektion

3. Juli 1308 NGZ

Marschall-Kommandeur Werner Niesewitz blickte aus dem Kommandoposten vor Kijito um sich. Die »Kleine Claudya« dominierte die Skyline. Das gigantische Transformgeschütz mit einem Kaliber von 12.000 Gigatonnen TNT war die gewaltigste Kanone in der ganzen Galaxie. Die Reichweite der Kleinen Claudya betrug 127 Millionen Kilometer. Sie konnte drei Salven in der Sekunde abfeuern. Gesetzt den Fall, dass jeder Schuss ein Treffer war, konnten das Planetengeschütz damit hundertachtzig Raumschiffe in der Minute vernichten.

Die Kleine Claudya thronte auf einem sechshundert Meter durchmessenden Pyramidensockel, der hundert Meter hoch war. Der linsenförmige Multiprojektorkopf besaß einen Durchmesser von vierhundert Metern und eine Höhe von hundert Metern. Das ganze monumentale Konstrukt war grau, nur das blaue Wappen des Quarteriums leuchtete an allen Seiten als Emblem.

Die Energieversorgung und die Munitionszuführung der Geschützstellung erfolgten durch den vor Bombardements geschützten Sockel. Unterhalb des Sockels befanden sich die Fusionsreaktoren für die Energieversorgung.

Niesewitz war ehrlich beeindruckt von der Kreativität und dem festen Willen der Erbauer. Er fühlte sich bestätigt: Nur der menschliche Geist konnte das vollbringen. Das Geschütz thronte über dem Verlauf des Aragy-Flusses. Dahinter lag die Hauptstadt Kijito, welche fast komplett neu aufgebaut worden war, nachdem sie vor gut drei Jahren in Schutt und Asche gebombt worden war. Die Fassade der Kleinstadt war durchaus malerisch und erinnerte Niesewitz an französische Städte mit ihrem Hauch mittelalterlicher Nostalgie.

Technologisch waren die Som-Ussadi auch nie weiter gewesen. Als sich Perry Rhodan vor etwas mehr als 860 Jahren auf diesem Planeten aufgehalten hatte, war Kijito eine Stadt aus Holzhütten gewesen, die von Dreck und Unrat zusammengehalten wurde. Als das Quarterium vor drei Jahren den Fuß auf diesen Planeten setzte, hatten die Som-Ussadi immerhin den Stand einer Kultur entwickelt, die Niesewitz mit dem terranischen Mittelalter verglich.

Der Terraner, der aus dem Deutschland vor der Mitte des 20. Jahrhunderts entführt worden war, sinnierte weiter. Eigentlich waren die Som-Ussadi immer völlig unwichtig gewesen. War es Zufall, dass damals vier Knotenpunkte des psionischen Netzes hier endeten? War es Zufall, dass das Sternenportal in diesem System errichtet worden war? Oder sollte es so sein, dass eine Welt mit Unterwesen als idealer Standpunkt für kosmische Konstrukte besonders gut geeignet war?

Niesewitz drehte sich um und blickte in das Mondgesicht des neuen Generalkommandeurs. Der kompakte Terraner mit den kurzen, blonden Stoppelhaaren und der eckigen Brille hieß Toffting Rudloff. Als Beauftragter für die Artenbestandsregulierung in M 87 hatte er sich durchaus verdient gemacht, außerdem gingen Niesewitz langsam die fähigen Leute aus. Er überlegte, ob er nicht Selvon da Gohd zum Generalkommandeur und Stellvertreter machen sollte, immerhin leistete der Arkonide vorbildliche Arbeit auf Objursha. Auf der anderen Seite fehlte es da Gohd an Feinfühligkeit und der nötigen Raffinesse als Geheimdienstchef. Nein, er brauchte kalte, hartherzige und coole Typen. Die ganzen Kommandeure der CIP waren ihm zu militärisch und zu wenig verschlagen.

Ein leises Grollen ließ ihn erneut aus dem Fenster sehen, und er wandte sich nach links. Da sah er einen SUPREMO B-Raumer über Kijito ziehen. An seiner Seite flogen Transporter. Vermutlich handelte es sich um einen Konvoi aus einer der anderen Galaxien. Der Anblick der kugelförmigen Stahlgiganten war immer wieder beeindruckend.

Es herrschte ein reger Verkehr über Som-Ussad, denn die Evakuierung war leider notwendig. Niesewitz bedauerte das, denn sie hatten in den drei Jahren so viel erreicht und hätten beinahe ein intergalaktisches Imperium errichtet, und nun mussten sie alles abbauen. Aber es war noch nicht aller Tage Abend!

Eine Kompanie marschierte zu den Klängen eines zackigen Marsches an seiner Villa vorbei. Der Terraner aus dem 20. Jahrhundert schmunzelte. Er beneidete die jungen Kerle da draußen und dachte sehnsüchtig an seine Jugend zurück.

Ach, was waren das noch Zeiten, als er als junger Bursche selbst marschierte. Damals hatte er immer »Prima Damenschlüpfer« beim Westerwald-Lied dazwischengerufen. Er musste an die schönen Marschlieder wie »Erika« von Herms Niel oder »Wozu ist die Straße da?« von Heinz Rühmann denken.

Damals wehte nicht das »Q« mit dem Buchstaben aus dem Interkosmo als Banner, sondern das Hakenkreuz. Das waren Zeiten gewesen! Als Teenager war er in die Hitlerjugend gekommen und von dort schnell zur Wehrmacht.

Niesewitz setzte sich verträumt auf einen Stuhl auf der Veranda, ließ den warmen Wind auf sich wirken und sinnierte über die Vergangenheit. Polen, Norwegen, Frankreich. Dann Jugoslawien und Griechenland, ehe es nach Russland gegangen war. Als Aufklärer hatte er zu den ersten Soldaten gehört, die sowjetischen Boden betreten hatten, und war tief in Feindesland vorgedrungen. Es war aufregend gewesen. Was hätte er damals für ein Interkom oder einen Schutzschirm gegeben! Er erinnerte sich gut daran, wie eine Granate direkt vor ihm eingeschlagen war. Er war in den Bombentrichter gestürzt und hatte Glück gehabt, da die Splitter seine Kameraden um ihn herum zerfetzten.

Was würde er dafür geben, wieder jung zu sein. Die jungen, wilden Buben konnten zwischen den Planeten springen und für Ehre und Ruhm und für eine Zukunft der Menschheit kämpfen. Freilich, Adolf Hitler hatte schon die richtige Vision gehabt. Vielleicht war es auch gut gewesen, die Menschheit auszudünnen. Hätte ein Perry Rhodan die Menschheit vereinen können, wenn Hitler nicht die Vorarbeit geleistet und Millionen über Millionen Schädlinge der Menschheit beseitigt hätte?

Doch vielleicht war Hitler auch zu engstirnig gewesen. Die Juden waren ja nicht alle schlecht gewesen, denn die hatten früher ja auch im ersten großen Krieg auf deutscher Seite gedient und waren tüchtige Geschäftsleute gewesen. Doch Hitler war ein Mann, der in der Gegenwart gedacht hatte. Er hatte ja auch keine anderen Perspektiven gehabt, keine Möglichkeit auf einen Langzeitplan wie Rhodan oder de la Siniestro.

Aus heutiger Sicht wusste man, dass die Neger gar nicht so dumm waren und nicht jeder Slawe ein Untermensch. Sie wussten inzwischen, dass die Hautfarbe nicht ausschlaggebend war, seitdem es terranische Kolonisten gab. Nein, das terranische Blut war maßgeblich.

Der Führer hatte die richtigen Ansätze gehabt. Niesewitz verstand nicht, wieso die Nachwelt so hart zu ihm gewesen war. Was waren schon 55 Millionen Tote, die als Verluste im Zweiten Weltkrieg galten, welche letztlich dann Deutschland zugeschrieben wurden? Ohne Hitler hätte es keine deutschen Raketenforscher gegeben, die später die US Space Force mit ihrem Wissen unterstützt hätten. Ja, so gesehen, ohne Hitler und das Deutsche Reich hätte es nie die STARDUST gegeben, die Rhodan und Bull auf den Mond gebracht hätte.

Er, Niesewitz, war immer in der Wehrmacht gewesen und hatte damals nichts mit der Endlösung zu tun gehabt. Reinhard Katschmareks Bruder war in der SS gewesen.

Niesewitz hatten den Glücklichen immer beneidet, ob er wusste, dass der Job hart gewesen sein musste.

Doch ein Mann musste tun, was ein Mann tun musste, wenn es das Richtige war. Und genau das verlangte Niesewitz auch von der Cartwheel Intelligence Protective. Nicht von ungefähr hatte der Emperador ihn als Geheimdienstchef ausgewählt. Die CIP war nach dem Vorbild des SD, der Gestapo und der SS strukturiert. Was damals gut funktioniert hatte, hatte er selbst perfektioniert.

Am Ende hatten die Nationalsozialisten gravierende Fehler begangen. Hitler hatte es nicht mit der ganzen Welt aufnehmen können und seine Verbündeten falsch agieren lassen. Diesen Fehler durfte das Quarterium nicht wiederholen. Er selbst hatte in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs die Sinnlosigkeit des Krieges erkannt und Funkanlagen sabotiert, um mögliche heroische Gefechte zu verhindern, bei denen er und seine Kameraden gefallen wären. Und dann war er in französische Kriegsgefangenschaft geraten. Die Franzosen waren unmenschlich gewesen, denn er war zum Mienenräumkommando eingeteilt worden. All die schönen Minen im Atlantikwall, die sie mühsam hatten verbuddeln lassen, hatten er und seine Kameraden wieder ausgraben müssen.

Doch er hatte sich gerächt. Als sich die Gelegenheit bot, hatte er einen Zug sabotiert, der dann entgleist war. Niemand legte sich ungestraft mit einem Werner Niesewitz an. Er hatte sein Leben selbst in die Hand genommen.

Nach der Gefangenschaft war er nach Brandenburg zurückgekehrt. Doch da das inzwischen sowjetische Besatzungszone war, war er von dort geflohen und nach Hamburg gezogen. Die Hansestadt an der Alster war ohnehin viel schöner gewesen als die Mark in Brandenburg.

Ach, er erinnerte sich noch, als er eines Nachts an der Alster spazieren war und überfallen wurde. Den Dieb hatte er so gehörig verprügelt, dass dieser wohl seinen Verletzungen erlegen war. Die Polizei hatte einige Zeit später einen Gauner am Flussufer tot aufgefunden. Zwar konnte niemand mit Sicherheit sagen, dass es sich um den Räuber gehandelt hatte, doch Niesewitz hatte nie bezweifelt, dass er es gewesen war, der diesen Halunken zur Strecke gebracht hatte. Vor der Polizei hatte er sich nie verantworten müssen.

Toffting Rudloff rief ihn und riss ihn aus seinen nostalgischen Gedanken.

Er reichte Niesewitz einen Reader.

»Der aktuelle Stand der Evakuierung, Herr Marschall-Kommandeur!«

Niesewitz nahm das Gerät und überflog die Daten. Die Evakuierung aus Trovenoor, Erendyra und Siom Som verlief planmäßig. Leticrons Klonanlagen waren zerstört worden und alle Beweise vernichtet. Es war ohnehin nur ein perverses Spielchen von ihm gewesen und nicht zu vergleichen mit den Klonanlagen zur Erschaffung der Grautruppen.

Toffting Rudloff blieb erwartungsvoll stehen.

»Was noch?«

»Der Reporter und seine Tochter sind hier.«

»Ah, der alte Mohlburry. Na dann. Das Wetter ist schön. Sie sollen auf die Veranda kommen. Serviert ihnen Tee. Er ist doch Brite. Die trinken immer noch gerne Tee.«

Rudloff gab einem Soldaten ein Signal. Der machte sich auf den Weg und kam wenige Momente später mit dem untersetzten Mohlburry und dessen durchaus hübschen Tochter Janela zurück.

»Setzen Sie sich«, bot Niesewitz an.

Der hochgewachsene Terraner mit dem graublonden, schütteren Haar nahm Platz. Seine braunen Augen blickten Niesewitz ernst an. Die ganze Haltung verriet einen stolzen Trotz, als ob er sagen wollte: Na, ihr habt mich gefangen. Na und?

Janela nahm ebenfalls Platz.

»Ach, Speaky, was ist nur aus Ihnen geworden. Sie hätten INSELNET behalten können.«

Niesewitz spielte damit auf den größten Trivid-Sender in Cartwheel an, den Mohlburry vor zwölf Jahren gegründet hatte.

»Ich glaube, ihr Faschisten wärt mit dem Inhalt meiner Sendungen nicht zufrieden gewesen.«

Niesewitz lachte.

»Sie hätten einfach für den Faschismus berichten sollen. Er steht für Ordnung und für Sicherheit.«

»Er steht für Tyrannei und Unterdrückung.«

Niesewitz ließ sich vom zylinderförmigen Servoroboter sein Glas mit Cognac füllen.

»Wissen Sie, die Menschen lassen sich gerne unterdrücken, wenn sie dafür ihr normales Leben weiterführen können. Routine ist ihnen wichtiger als Freiheit. Denn Routine ist eine Form von Geborgenheit.«

Mohlburry verzog das Gesicht. Niesewitz wurde ungeduldig.

»Mein Angebot: Sie und Ihre Tochter werden leben, wenn Sie eine uns gewogene Reportage machen. Ich denke sogar an ein Interview mit der Emperatriz. Was gibt es Überzeugenderes als zwei so kritische Personen, die positiv vom Quarterium sprechen?«

Niesewitz lehnte sich zurück.

»Und die Alternative?«, fragte Janela Mohlburry.

Der CIP-Chef zuckte mit den Schultern und verzog den Mundwinkel. Er kostete diesen Moment aus.

»Objursha, was sonst?«

*

Es war wenig überraschend für Werner Niesewitz gewesen, dass die beiden Mohlburrys seinem Vorschlag zugestimmt hatten. Er plante eine kurzfristige Reportage zum 10. Juli. Er musste noch die Emperatriz aus Cartwheel holen, was jedoch kein Problem darstellen würde, denn sie hatte sowieso keine andere Wahl als zu tun, was die CIP verlangte.

Niesewitz widmete sich wieder den Berichten, als ein Unteroffizier mit Abzeichen der Holsteiner-Garde an der Türschwelle stand. Niesewitz blickte hoch und war erstaunt.

»Ex-CIP-Agent Krizan Bulrich. So so. Was tun Sie hier?«

»Sir, ich melde die Gefangennahme einer entropischen Hexe. Ihr Name ist Zabryna. Ich wollte sie Ihnen persönlich übergeben.«

»Um Pluspunkte zu sammeln?«

Der CIP-Chef sprang erbost auf und fuchtelte bedrohlich mit der Faust.

»Sie haben so viel Scheiße gebaut und haben es nicht einmal geschafft, einen ehrenvollen Soldatentod zu sterben. Übergeben Sie die Entropin Toffting, der soll sie verhören. Und nun zurück in Ihren Zug, Soldat Bulrich!«

Der Taugenichts schlich von dannen. Niesewitz atmete tief durch. Solche Dilettanten waren selbst zu dumm, um vom Feind erschossen zu werden. Er hatte keine Zeit dafür, denn er musste sich auf die Reportage konzentrieren. In diesen Zeiten war Propaganda mehr als notwendig.

13. Pylas Hoffnung

9. Juli 1308 NGZ, Aus den Chroniken Cartwheels

Niemand trauerte über den Tod des Praefektus Tutum Kruppus. Nistant hatte mit dieser Demonstration den Willen des dorgonischen Kaisers gebrochen. Schweigend war Volcus in sein Adlerraumschiff zurückgekehrt.

Nistant war in Amunrator verblieben. Roi Danton, Joak Cascal und Xavier Jeamour hatten kurz beraten, ob es eine Alternative wäre, Amunrator in einem Kommandounternehmen anzugreifen. Myrielle Gatto und Kalky hätten als Teleporter in die Schaltzentrale springen können, um das Rideryon zu stoppen. Doch es sprachen zwei Dinge dagegen. Zum einen würden sie sich Nistant zum Feind machen und zum anderen wusste niemand, wie die Schaltungen zu bedienen waren.

Außerdem würde Nistant vermutlich mit so einem Schritt rechnen, denn er wusste um die Fähigkeiten von Myrielle Gatto und Kalky.

Pyla saß in meinem Quartier und half mir bei der Recherche über Amunrator. Sie selbst war noch nie dort gewesen und hatte auch vorher nie etwas davon gehört. Die Ältesten aus ihrem Dorf hatten es nicht für nötig gehalten, ihre Bürger über die Außenwelt aufzuklären.

Ich setzte mich in den weichen Sessel aus Formenergie und trank eine Tasse Tee.

»Es ist kaum vorzustellen, dass das Rideryon aus einem Planeten konstruiert wurde«, sagte Pyla.

»Nun, ich schätze einmal, dass Thol nur der Beginn war. Die Landmasse des Rideryons muss Tausenden von Welten entsprechen.«

Ich sinnierte über dieses gigantische Projekt und kam schnell zum Entschluss, dass es meinen Geist überforderte. Planeten aneinander zu bauen war etwas, was nur durch eine Planung der Kosmokraten möglich sein konnte.

Die Kerne der Welten, deren Gravitation, die Atmosphäre – ja, allein schon der Transport. Es gab zwar Möglichkeiten, Planeten an andere Positionen zu verschieben – der Erde war es schon mal passiert. Doch Tausende von Welten? Es dann noch zu vollbringen, dass sie miteinander verbunden wurden, aus ihnen Regionen zu schaffen, die bewohnbar waren – das war faszinierend.

Faszinierend aber auch diese junge Frau mit ihren ozeanfarbenen Augen, ihrem großen Lächeln und ihrer unverstellten Art. Pyla war Rideryonin und wusste genauso wenig über diese kosmische Insel wie ein Galaktiker. Sie war allein, denn ihr ganzes Dorf war durch Medvecâ ausgelöscht worden. Sie hatte in der kurzen Dauer ihres Abenteuers schon eine Menge durchgestanden, und doch war sie frohen Mutes und richtete den Blick zu den Sternen.

Sie war neugierig, sie war wissbegierig, sie war abenteuerlustig und sie war mir in der kurzen Zeit ein Trost über den Verlust von Nataly geworden. Es tat gut, dass jemand da war für einen alten, verbitterten Narren wie mich.

Die Buuralerin war wohl neben dem Riffmausbiber Kalky die beste Freundin der Galaktiker auf der Sterneninsel.

»Du siehst besorgt aus«, stellte Pyla fest.

Ich seufzte.

»Nun ja, ich kehre ungern nach Cartwheel zurück. Dunkle Erinnerungen trüben meine jüngste Zeit dort. Kathy, Nataly und ich wurden von der CIP gejagt und unter Druck gesetzt. Wir standen lange unter Hausarrest, waren nach Saggittor geflohen, nur um dort wieder gejagt zu werden. Ich …«

Tatsächlich wusste ich nicht so recht weiter und zuckte ratlos mit den Schultern.

»… ich weiß nicht, was uns dort erwartet.«

Ich nahm ein Schluck Tee, wobei mir ein Brandy jetzt lieber gewesen wäre.

»Habt ihr eigentlich mal in Betracht gezogen, dass es Nistant gut meinen könnte mit uns allen? Was ist, wenn er Frieden und Harmonie einleitet?«

»MODROR, das Quarterium, die Ylors, die Dorgonen – es gibt aber noch viele Hürden«, warf ich ein.

Pyla wirkte nun etwas trotzig.

»Ich weiß, wie schlimm die Finsteren sind. Und doch …« Sie schmunzelte. »Ich stelle mir uns in einem Jahr vor. Du sitzt auf deiner Veranda in New Turin und schreibst über die Ereignisse, die wir heute erleben werden.«

Ich lachte. Ein tröstlicher Gedanke, der mir gefiel.

»Und du?«

»Ich reise durch die Galaxie. Ich kaufe mir ein eigenes, kleines Raumschiffchen und schippere durch Cartwheel.«

Ich lächelte. So schön ich Pylas Idee fand, so sehr wusste ich, dass es schwierig werden würde, sie in die Realität umzusetzen. Wir mussten erst einmal den nächsten Monat überleben.

Was war denn nun, wenn das Rideryon am 4. August vielleicht in Cartwheel war? Würde die Barriere der kompletten SUPREMO-Flotte standhalten oder würde sie zusammenbrechen? Die Folge wäre ein Angriff des Quarteriums auf das Rideryon. Höchstwahrscheinlich würde die Besetzung folgen. Entsorgungslager wären die Folge. Bei so einer Vielzahl an Spezies würde die Artenbestandsregulierung mit unmenschlicher Grausamkeit zuschlagen.

Ein anderes Szenario wäre der totale Krieg in der Galaxie. Die vereinigten Flotten der Saggittonen, LFT, USO, Alysker, Kemeten und Entropen würden erbittert um die Freiheit Cartwheels kämpfen. Das schloss Szenario Eins übrigens nicht gänzlich aus.

Ein drittes Szenario wäre eine Überraschung aus dem Rideryon heraus. Hatte Nistant ein Ass im Ärmel? Oder Medvecâ?

Solange wir die Ziele von Nistant und Medvecâ nicht kannten, war alles nur spekulativ. Und das beunruhigte mich zutiefst.

Ich betrachtete Pyla. Es wäre so ein großer Trost, sollte sie recht behalten.

Jaaron Jargon

14. Die Reportage

Rosan de la Siniestro, ehemals Orbanashol-Nordment, blickte gelangweilt auf den Bildschirm. Vor ihr erschien die Welt Som-Ussad. Sie sah friedlich aus. Som-Ussad war eine grüne Welt. Selbst die Berge waren von einem dichten Dschungel bewachsen. Mit bloßem Auge war der Strom des Aragy-Flusses zu erkennen. Rund um die Stadt Kijito, der Hauptstadt des Planeten, dominierten jedoch graue und triste Farben. Die Wälder waren gerodet und militärischen Anlagen gewichen.

Etwa fünfhundert Meter abseits vom Militärkomplex lag eine wie eine mittelalterliche Burg gestaltete Villa. Sie besaß vier hohe Zinnen und einen großen Torbogen als Eingang. Dahinter ragte eine etwa zweihundert Meter hohe Antenne in die Luft. Dort befand sich der Sitz von INSELNET.

Die CIP-Agenten waren höflich, aber schweigsam. Es fehlte Rosan an nichts in dem Panzergleiter, denn es war für Champagner und Essen gesorgt. Immerhin war sie die Emperatriz. Ein einfacher CIP-Bewacher würde nichts von den Hintergründen wissen, denn offiziell hatte sich Rosan von der USO losgesagt. Dass sie inoffiziell das Regime weiter verachtete, das wusste nur die Führungsclique des Quarteriums.

Die Tür des Gleiters öffnete sich und ein Agent mit unscheinbarem, aber beruhigendem Gesicht blickte sie an.

»Bitte, Euer Hoheit«, forderte er devot.

Sie stieg aus und betrachtete das Anwesen. An den Steinwänden wuchs Efeu bis hoch zu den dunkelroten Ziegeln am Giebel. Einige Roboter huschten geschäftig über den Vorhof. Sie ging weiter ins Innere, und der Holzboden knarrte bei jedem Schritt. Die CIP-Agenten blieben an der Türschwelle stehen. Vor ihr begann eine große Treppe, die an einer Galerie endete. Im Treppenbogen befand sich eine große Tür. Sie zuckte zusammen, als forschen Schrittes der gedrungene Mann mit den Stoppelhaaren und der eckigen Brille auf sie zuging. Er klatschte dreimal in die Hände.

»Ah, da ist sie ja. Die erlauchte Hoheit.«

Er schnippte mit den Fingern.

Zwei stylisch gekleidete ferronische Frauen mit hochgesteckten Haaren kamen herbei.

»Ab in die Maske mit ihr. Hoheit, Sie sehen ja aus wie hundertfünfzig.«

Rosan lächelte.

»Bekket Glyn, welche Kanalratte hat Sie denn wieder ans Tageslicht geschmissen? Hat INSELNET schon alle guten Reporter entsorgt?«

Glyn räusperte sich, dann lachte er schrill und zeigte mit dem Finger auf sie.

»Mein Humor, genau mein Humor. Kommen Sie rein.«

Er winkte Rosan zu sich und sie folgte ihm in einen großen Saal. Zuerst fiel ihr die hell erleuchtete Sitzecke auf, um die Kameradrohnen kreisten. Vermutlich würden sie dort ihr Interview abhalten. Rechts davon waren Standkameras und Kontrollpulte aufgebaut, vor denen drei INSELNET-Mitarbeiter standen und sich offenbar auf die Sendung vorbereiteten.

Links befand sich eine weitere Sitzecke, in der Roppert Mohlburry und seine Tochter Janela saßen. Es war also wahr. Sie waren dem Quarterium ins Netz gegangen.

»Hey Fettarsch, komm her«, rief Glyn in Richtung Mohlburry.

Doch der weigerte sich. Glyn wurde ungehalten.

»Draußen steht ein Dutzend CIP-Agenten. Die werden dir Beine machen, wenn du nicht nach meiner Musik tanzt. Also hebe deinen fetten Arsch hoch.«

Mohlburrys Lippen bebten. Langsam erhob er sich.

»Na also«, meinte Glyn. »Also, Kinder, das läuft folgendermaßen ab: Ihr erzählt, wie sehr ihr euch geirrt habt. Das Quarterium behandelt euch gut und die Gräueltaten sind nur Propaganda. Schätzchen, du hast im Emperador deine wahre Liebe gefunden. Mohlburry bittet zutiefst um Entschuldigung für drei Jahre Lügen und Propaganda. Perry Rhodan hat ihn gezwungen.«

»Ich werde kein Wort von diesem Mist erzählen«, stellte Mohlburry klar.

Rosan zuckte mit den Schultern.

»Wieso nicht? Ich wohne in einem Schloss und mir fehlt es an nichts. Speaky, ich stelle Sie und Ihre Tochter als Hofberichterstatter ein. Alles was wir tun müssen, ist die reine Wahrheit sagen. Nicht wahr, Bekket?«

»Aber klar, Sweety.«

Rosan wechselte einen vielsagenden Blick mit Mohlburry. Es schien, dass er verstanden hatte.

»Gibt es am Hofe de la Siniestro schwarzen Tee und Brandy? Lamm mit Pudding und eine große Bibliothek?«, fragte Mohlburry.

Rosan lachte.

»Oh ja, so viel Sie wollen, Speaky!«

»Nun, dann werde ich mich wohl mit dem Gedanken arrangieren, eine Feldstudie direkt in den vier Wänden des Feindes durchzuführen.«

Rosan hob die Augenbrauen und amüsierte sich über den dummen Blick des INSELNET-Reporters.

»Sehen Sie? So geht das, Süßer! Allerdings fehlt es Ihnen an Charisma, Charme und Intelligenz, um mit Menschen richtig zu reden.«

Bekket Glyn fuchtelte mit dem Zeigefinger vor ihrer Nase herum.

»Das ist Ihre Chance«, sagte er drohend. »Für Sie beide. Die letzte Chance.«

»So wie ich das sehe, Mister Glyn, ist das wohl Ihre letzte Chance. Sie sind ein abgehalfterter und verstoßener Journalist. Ihre einzige Stärke waren Demagogie und Hetze. Wenn nicht einmal das Quarterium Ihre Dienste benötigt, dann stehen Sie auf verlorenem Posten. Nein, das ist Ihre letzte Chance. Vermasseln Sie die Reportage nicht!«

Mohlburry lachte. Es war das erste Mal, dass er lachte, seitdem Rosan ihn heute getroffen hatte.

»Die Reportage wird aufgezeichnet, richtig?«, fragte Rosan.

»Ja, wieso?«

Glyn wirkte gereizt.

»Nur so …«

»Hm«, machte Mohlburry.

»Was?«, wollte Glyn wissen.

»Nun, wenn die Sie sowieso nicht für besonders talentiert halten, werden die Ihre Szenen kürzen. Der Fokus wird auf uns beiden liegen. Wir sind die Stars. Sie nur der Statist«, erklärte Mohlburry.

*

Glyn zog an seiner Zigarette und dachte nach. Rosan wusste, worüber er grübelte. Seine Karriere war schon lange am Ende. Früher war er Sprecher einer Bewegung rund um ihren Stiefvater Spector Orbanashol und die Jenmuhs-Brüder gewesen, doch mit der Zeit war er in die Bedeutungslosigkeit versunken. Im Bund der Vier und dem Quarterium war er ein drittklassiger Reporter geworden. Nicht, dass er das nicht vorher auch schon war, nur hatte ihm das Regime keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt.

Er winkte sein Team zu sich.

»Hört zu, wir senden das live«, sagte er mit gewichtiger Stimmlage.

»Nö du, die CIP hat gesagt, das wird aufgezeichnet«, erwiderte ein feminin wirkender Mann mit sanfter Stimme und gestylten braunen Haaren.

»Domynic!«, herrschte Glyn ihn an.

»Heute bin ich Domynica«, erwiderte es.

»Wenn ich der CIP von deinen Neigungen erzähle, bist du bald nur noch Energia.«

Domynica seufzte.

»Also gut. Es ist nicht schwer, den Schalter für die Liveübertragung zu betätigen. Wir können in Siom Som live senden. Doch nach Cartwheel geht das nicht. Das Sternenportal muss dazu geöffnet sein. Und das geht nicht ohne Genehmigung des Militärs.«

Bekket Glyn biss sich auf die Lippe.

»Siom Som muss reichen. Das ist meine Chance.«

Glyn war von sich selbst so überzeugt, dass er gar nicht auf Rosan und die Mohlburrys achtete. Rosan besprach sich abseits in Ruhe mit den beiden. Sie konnte diese Entscheidung nicht allein fällen, doch sowohl Vater als auch Tochter Mohlburry stimmten zu.

Wieder klatschte Bekket Glyn in die Hände.

»Showtime! Und meine Damen, packt mal mehr an Titten raus. Das zieht beim Publikum.«

Rosan und Janela kamen Glyns Wunsch nicht nach und setzten sich zusammen mit Roppert auf die Gästecouch. Glyn stand zur Kamera gewandt vor ihnen.

Domynica gab ihnen ein Zeichen. Es ging los.

*

»Guten Morgen, Universum! Ich bin Bekket Glyn! Meine erste Frage: Was haben Sie zum Frühstück gegessen? Ich habe mir ein Eieromelett gemacht. Eier sind gut. Eier von terranischen oder arkonidischen Hühnern. Die sind glücklich und machen große Eier mit viel Proteinen. Denn: Wer viele Eier isst, hat dicke Eier!«

Glyn klatschte in die Hände und lachte.

»Ich spreche die tapferen Soldaten des Quarteriums an. Und ich spreche unsere Feinde da draußen an. Aurec mit dem kleinen Lümmel. Ihr wisst, dass ihr verlieren werdet, oder? Ich meine, ihr seid nicht so dumm zu glauben, ihr habt eine Chance gegen unsere Armee und Flotte? Wir sind die besten. Und das haben auch drei andere Menschen erkannt.

Meine Gäste heute: Die Emperatriz Rosan de la Siniestro. Von der USO-Verräterin zur Monarchin. Die Frau des heiligen Emperadors wird uns von ihrer erstaunlichen Läuterung erzählen.

Und dann haben wir jemand, der die Worte aus dem Äther donnerte wie eine Transformgeschützsalve: Roppert Mohlburry und seine Tochter Janela. Sie wurden vor kurzem von der tapferen Holsteiner-Division aufgebracht und gefangen genommen. Doch siehe da: Die Mohlburrys stellen fest, wir sind gar nicht so böse, wie sie selbst immer in ihrer Propaganda behauptet haben. Wir sind die Guten. Die anderen sind die Bösen. Das ist die Wahrheit.«

»Gut und Böse liegt wohl im Auge des Betrachters. Das Quarterium ist durchaus gut«, sagte Mohlburry. »Gut darin, ihre Bürger zu unterdrücken. Gut darin, Planeten und Galaxien zu überfallen. Gut im Töten. Gut darin, Unschuldige millionenfach zu ermorden. Darin ist das Quarterium einsame Spitze.«

Rosan lachte.

»Aber Speaky, wie können Sie denn so etwas sagen? Mein Mann streitet das immer ab, während sich Jenmuhs mit dem Mord an Milliarden Lebewesen in den Entsorgungslagern brüstet. Ein Angeber. Ich denke, mein Mann hat auch einen großen Anteil daran. Wie alle, die das unterstützen. Da werden Familien in Massen deportiert, entwürdigt und in Energiekonvertern zerstrahlt, wenn sie nutzlos geworden sind. Das muss man doch toll finden.«

»Lachen Sie oft am Tisch darüber?«, fragte Mohlburry.

Bekket Glyn saß da wie eine Salzsäule.

»Nein, zumeist esse ich allein.« Rosan stand auf. »Uns bleiben vermutlich nur noch wenige Sekunden, ehe die Verbindung gekappt wird. An die quarterialen Soldaten: Sagt euch los von dieser Tyrannei. Wollt ihr als Mörder in die Geschichte eingehen? Ihr vertretet nicht die Menschheit. Ihr rettet sie nicht. Ihr beschämt die Menschheit mit euren zutiefst unmenschlichen Taten.

An Aurec und meine Freunde: Kämpft weiter für uns. Kämpft für die Freiheit von Cartwheel. Für die Unterdrückten. Für alle, die in Angst aufwachen und in Angst einschlafen. Befreit Cartwheel. Wir zählen auf euch. Wir warten auf euch. Wir brauchen euch. Ach ja, und an meinen Mann: Schatz, ich will die Scheidung. Ich …«

Rosan sah, wie die Kameraleuchten in den Robotern erloschen. Sie waren nicht mehr auf Sendung, doch sie hatte ihre Botschaft mitteilen können.

Sechs CIP-Agenten stürmten mit Strahlern in der Hand herein und richteten sie auf die Mohlburrys. Die Agenten vermieden es, die Waffen auf Rosan zu richten, denn immerhin war sie noch die Frau ihres Herrschers.

Bekket Glyn stand wie angewurzelt herum. Speaky Mohlburry schlenderte an ihm vorbei, tätschelte ihm auf die Schulter.

»Gut gemacht. Sie haben das erste Mal der Freiheit einen Dienst erwiesen.«

Dann setzte sich Mohlburry neben seine Tochter und lächelte zufrieden. Rosan atmete tief durch. Der Spaß war nun jedoch endgültig vorbei, denn der CIP Marschall-Kommandeur Werner Niesewitz und Stephanie de la Siniestro eilten ins Studio.

*

Werner Niesewitz und Stephanie de la Siniestro waren außer sich vor Wut. Rosan hatte ihr Ziel erreicht und zusammen mit Speaky Mohlburry ein Signal gegen die Diktatur und die Heuchelei des Quarteriums gesetzt.

»Glyn, Sie sind eine ausgesprochen dämliche Sau! Sie werden nie wieder irgendwo irgendetwas senden«, schrie Stephanie.

Niesewitz ging an Glyn vorbei.

Der kleine, hagere alte Mann, der so viel Macht besaß, baute sich vor Rosan auf.

»Das war ein bedauerlicher Fehler.«

Sie lächelte dem fiesen Gnom ins Gesicht.

»Siom Som kennt nun die Haltung der Ehefrau des Emperadors.«

Stephanie raufte sich die braune Haarpracht. Fassungslosigkeit stand in ihrem hübschen Gesicht geschrieben.

»Glyn, Sie haben das ganze Quarterium blamiert. Sie hatten Ihre Befehle!«

Der Reporter brachte kein Wort heraus, denn er stand noch immer unter Schock. Stephanie verpasste ihm eine Ohrfeige, dann schlug sie ihm auf die andere Wange und dann auf die Brust, und brüllte sich dabei ihren Frust aus der Seele.

Rosan bemerkte vergnügt, wie sehr ihre Aktion die Prinzessin des Quarteriums aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

Doch sie wusste nur zu gut um die eigenen Konsequenzen. Ihr Mann war auf dem Rideryon abgeschnitten, Despair stand unter Arrest und Brettany de la Siniestro hatte nicht die Mittel, um sie zu schützen.

Rosan war bereit, die Strafe anzunehmen und ihr tapfer entgegen zu treten. Sie wechselte einen Blick mit Roppert Mohlburry. Seine Augen waren voller Stolz und Entschlossenheit, so wie auch die seiner Tochter Janela. Sie alle drei hatten etwas Gutes getan.

Niesewitz winkte vier CIP-Agenten zu sich. In ihren schwarzen Uniformen wirkten sie durchaus bedrohlich.

»Deportation nach Objursha«, sagte Niesewitz knapp. Einer der Männer, dessen volles Gesicht unfreundlich dreinblickte, nickte und zog seinen Strahler.

»Die Emperatriz wünscht ja die Scheidung. Die Mohlburrys können mit Mister Glyn eine Reportage über die Artenbestandsregulierung aus nächster Nähe drehen.«

Jetzt erwachte Bekket Glyn aus der Schockstarre.

»Objursha? Was? Ich?«

Stephanie konnte sich ihren Spott nicht verkneifen. »Nun zeigen Sie mal den Aliens, was für dicke Eier Sie haben.«

Rosan atmete tief durch. Objursha also.

Endete dort ihr langer Weg der Abenteuer, der auf Mashratan begonnen hatte?

15. Der duale Berg des Kosmos

Aus den Chroniken Cartwheels, Jaaron Jargon

Am 22. Juli 1308 NGZ war es zu einem Treffen zwischen Nistant und Anya Guuze gekommen. Die Terranerin hatte mir jedes Detail, so hatte sie zumindest versichert, beschrieben. Als Chronist versuche ich, das Gespräch so gut es geht wiederzugeben, ohne etwas hinzuzufügen.

Anya Guuze lag gelangweilt auf ihrem Bett, als plötzlich Nistant in ihrem Schlafzimmer materialisierte. Sie erschrak und schrie laut, dann fasste sie sich, als Nistant mit gesenktem Kopf und leiser Stimme um Verzeihung bat.

»Ich will dir etwas zeigen.«

»Jetzt? Mitten in der Nacht? Ich bin … wie du siehst, nicht für einen Ausflug gekleidet.«

»Es ist ausreichend.«

Nistant nahm Anya bei der Hand und sie spürte, wie sich ihr Körper auflöste, nur um sich sofort wieder zusammenzusetzen. Sie stand in einer großen, runden Halle. Die Wände waren aus braunem Stein. An der Decke schien ein Fluss zu fließen. Wieso tropfte das Wasser nicht herunter? Offensichtlich sorgte Antigravtechnik für diesen optischen Effekt.

Der Boden war transparent. Anya schrie auf. Sie dachte zuerst, sie würde ins Nichts fallen. Nistant lachte leise.

Es ging tief, sehr tief bergab. In der Mitte des Raums stand die silberne Säule, die sie aus dem Sedendron von Amunrator kannte, doch das war nicht derselbe Raum, denn sie befanden sich einige Kilometer tiefer.

»Die Säule ist ein Lift in das Zentrum des Rideryons. Er ist Antigrav und Transmitter zugleich.« Nistant nahm ihre Hand. »Ich zeige es dir.«

Sie gingen hindurch, und die Wände verschwanden. Sie wusste nicht, ob es abwärts oder seitwärts ging. Vermutlich beides in einer sehr hohen Geschwindigkeit. Die Bilder um sie herum wechselten von Gestein und Höhlen bis hin zu Lavaströmen, und dann war da plötzlich der Weltraum, oder so etwas in der Art. Sie standen auf einer Insel, die spitz ins Nichts ragte und mitten im Vakuum flog. Sie war kaum breiter als sechs mal sechs Meter. Um sie herum flogen Planeten, funkelten Sonnen und zogen Asteroiden ihre Bahnen.

Doch am meisten prägten sich Anya die blitzenden Fäden ein. Sie leuchteten blau und wirkten wie Schlangen, deren Strahlen durch die Umgebung wanderten und pulsierten. Einige verschwanden, um woanders wieder neu zu entstehen.

Weit von ihnen entfernt sah sie einen kegelförmigen Berg, der sowohl nach oben als auch nach unten wuchs. Sein Gestein war dunkelgrau, rote und grüne Linien durchzogen diesen Doppelberg. Das Ende und der Anfang waren nicht genau zu erkennen, denn ein weißer Nebel umhüllte sie.

»Der Duale Berg des Kosmos. Er steht für die Schöpfung und für den Untergang. Ein Berg der Schöpfung als auch ein Neganer Berg in einem Konstrukt vereint«, erklärte Nistant.

Anya verstand das nicht. Waren sie noch auf dem Rideryon?

»Warum zeigst du mir das?«

»Weil das die Zukunft ist.«

Nistant blickte sie verliebt an.

»Es kann unsere Zukunft sein. Gestalte sie mit mir. Zusammen können wir das Universum regieren.«

Sie sah sich um. Natürlich wirkte dieses Schauspiel beeindruckend auf sie. Welten zogen an ihr vorbei, Sonnen gingen auf und unter, alles wirkte wie eine Schmiede der Planeten. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Bahnen mit dem Dualen Berg des Kosmos zogen, und der Berg schien das Zentrum zu sein.

»Ajinah wollte das nicht, oder?«, fragte Anya schließlich.

Nistant seufzte.

»Sie hätte es gewollt, wenn sie es gesehen hätte. Doch Ajinah war ein Kind ihrer Gesellschaft. Die Kultur der Sargomoph hatte sie geformt und ihr Innerstes, ihr Herz, verschlossen.«

Anya verstand nicht.

»Wer waren die Sargomoph?«

»Mein Heimatvolk. Sie waren von Gier zerfressen. Es gab keine wahre Liebe und Leidenschaft, keine Visionen, keine Nächstenliebe oder Mitgefühl. Es gab Gier, Neid und Kälte – sie waren angetrieben von dem stetigen Streben nach mehr Geld. Ein Sargomoph wurde nach seiner Rentabilität beurteilt. Jene, die unwirtschaftlich waren, wurden ins Tal der Asozialen verstoßen. Ich lebte einen Alptraum in dieser Gesellschaft.«

Anya konnte sich so eine lieblose Gesellschaft nicht vorstellen. Geld war doch eigentlich gar nicht so schlecht. Sicherlich übertrieben es die Menschen oft mit ihrer Habgier. Doch Reichtum bedeutete Wohlstand, es bedeutete ein schönes, großes Haus, einen schnellen Gleiter – all die Dinge, die über den Durchschnitt hinausgingen. Sie hatte keine Lust, im 300. Stockwerk eines Hochhauses in Terrania City zu wohnen. Sicherlich, man hatte seinen Balkon, seinen Kleingarten und all die Annehmlichkeiten, aber sie wollte ein Haus mit großem Garten. Es sollte abgeschieden liegen, denn dort wollte sie ihre Kinder großziehen, sollte sie jemals welche haben.

Und ihr Mann sollte einfach nur ein normaler, fürsorglicher Mann sein. Kein Held, kein Schurke – nur ein einfacher, gut verdienender Mann. Sie hatte es so satt, dass sie ein Spielball war. Zuerst war sie eine Marionette des Quarteriums gewesen, dann stellte ihr Joak Cascal nach und nun noch dieser Nistant, der nur eine verrottete Mumie war. Auch wenn Nistant ganz offenbar ein großes, gutes Herz besaß, so konnte sie ihn niemals lieben. Niemals. Selbst wenn er sich einen neuen Körper gäbe, selbst wenn er ihr alles Geld des Universums schenkte – es war nicht ihre Art zu leben. Sie wollte keine Schöpferin von Welten und Planeten werden und mit Nistant über Leben und Tod entscheiden.

Sie wollte doch nur ein Haus mit Garten, Kinder und einen ganz normalen Mann, der im Finanzsektor oder bei einer Verwaltung arbeitete. Nicht mehr und nicht weniger.

»Es tut mir leid, dass du eine schlimme Jugend hattest. Und dann hast du Ajinah getroffen und ihr habt euch ineinander verliebt?«

»Sie war mein Licht in der Finsternis. Mein Herz der Sterne. Doch sie liebte einen anderen.«

»Bitte bring mich zurück.«

»Das werde ich. Sei meine Gefährtin. Zusammen regieren wir das Rideryon. Es wird dir an nichts fehlen.«

Sie lächelte verlegen. Genau das wird es doch.

»Ich denke darüber nach«, flüsterte sie zögerlich.

Dann spürte sie, wie sich ihr Körper auflöste und wieder zusammensetzte. Sie lag allein in ihrem Bett. War das nur ein Traum gewesen?

16. Eskalation

27. Juli 1308 NGZ

General Alcanar Benington stand vor seinem Kommandosessel und betrachtete zufrieden den Verlauf des Angriffs. Nun war seine Zeit gekommen. Seit vier Wochen tobten die Kämpfe um die Vorherrschaft in Som-Ussad.

Das Ende der alliierten Streitkräfte stand bevor. Noch bevor sie Som-Ussad erreichen würden, war ihr Schicksal besiegelt. Sie würden alle sterben, und er würde als größtes militärisches Genie des Quarteriums – nein, der gesamten Menschheit – in die Geschichte eingehen. Die Überraschung war auf ihrer Seite gewesen.

Der Benington-Raid war ein voller Erfolg. Er ließ ihren Ablauf gedanklich Revue passieren.

Heute, am 27. Juli, hatte Benington eine Großoffensive gestartet.

In vier Verbänden mit je zwanzigtausend Schlachtschiffen hatte er zum Angriff auf die feindlichen Verbände geblasen. Es war ein Alleingang, denn Generalmarschall Ebur schien noch zu schlafen. Benington war es satt, auf diesen dekadenten Zaliter warten zu müssen. Wenn Beningtons finaler Raid von Erfolg gekrönt war, würde er selbst Generalmarschall sein.

Ziel war es, die feindlichen Verbände so sehr zu schwächen, dass sie sich aus dem Radius zurückziehen mussten. Das würde dem Quarterium mehr Zeit verschaffen. Vielleicht holten sich die Feinde auch so eine blutige Nase, dass sie der Ankunft des Rideryons fern blieben.

Die Standorte der Terranischen 8. Flotte, der saggittonischen Verbände, der USO und der Flotte NESJOR war ihnen bekannt. Sie hatten sich dümmlicherweise in einem Radius von fünfhundert Lichtjahren um Som-Ussad positioniert. Nur die Entropen schienen stets unterwegs zu sein. Sie verfügten – wie auch das Quarterium – über Störsender von Halbraumspürern. Zu jeder Technik war eine Gegentechnologie entwickelt worden. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis es ein Upgrade zum Halbraumspürer gab. Wobei die Kemeten und Alysker über so etwas bereits verfügten.

Benington las die Meldungen. Während die Terranische 8. und die saggittonische Flotte wie auch die kümmerlichen Verbände der USO überrascht waren, schienen die alyskischen und saggittonischen Besatzungsmitglieder auf NESJOR vorbereitet zu sein. Siebenhundert quarteriale Schiffe gingen verloren. Die Verluste der anderen drei Raids auf einen LFT-Verband, einen Pulk der Alysker und eine Flottille der Estarten beliefen sich auf gerade mal zweihundert. Die Verluste auf gegnerischer Seite schienen hoch zu sein. Genauere Zahlen lagen ihm nicht vor, denn die Analysen wurden gerade erst durchgeführt.

»Sir?«, meldete der Funkleitoffizier.

»Was gibt es? Eine weitere Erfolgsmeldung?«

»Nein, Sir! Generalmarschall Ebur erreicht die SOLARE EMPIRE. Er wünscht Sie sofort zu sprechen.«

Dieses Arschloch musste ihn jetzt im Augenblick des Triumphs stören?

»Ich erwarte ihn in meinem Quartier.«

Benington verließ die Zentrale und eilte in die etwa hundert Meter Fußweg entfernte Kabine des Kommandanten. Dort saß bereits Stephanie und hielt ein Glas Vurguzz in der Hand. Ein Zeichen, dass sie beunruhigt war. Dabei sah sie so schön aus, ihr brünettes Haar war wellig und glänzte. Und ihr schwarzes Kleid zeigte viel Haut. Er hätte sie am liebsten sofort genommen, doch sie war in keiner guten Stimmung.

»Ebur ruft ständig auf meinem Interkom an. Ich bin nicht ran gegangen. Dein erneuter Alleingang kann dir den Kopf kosten!«

Benington sah das gelassen.

»Die Raids sind ein Erfolg. Und nun gibt es kein Zurück mehr. Leticron und Jenmuhs müssen die restliche Flotte mobilisieren. Wir zerquetschen sie noch in Siom Som! Noch bevor das Rideryon hier eintrifft. Du musst mit Jenmuhs und Leticron reden.«

Sie leerte das Glas und stieß leise auf.

»Zuerst müssen wir meinen aufgebrachten Verlobten überzeugen.«

Drei Minuten später betrat der Zaliter Toran Ebur die Kabine.

»Sind Sie völlig wahnsinnig geworden? Sie hatten keinen Befehl zu diesem Großangriff!«, brüllte Ebur los. Dann sah er zu seiner Verlobten. »Wusstest du davon?«

»Sir, nach dem Verlauf der Scharmützel und den Erfolgen der Raids in den letzten Wochen schien es mir die beste Lösung, eine große Offensive zu starten«, verteidigte sich Benington.

»Das haben nicht Sie zu entscheiden, Sie Scheißbarbar!«

Benington hatte genug von der Inkompetenz seines Vorgesetzten. Toran Ebur war doch nur der Günstling eines Günstlings. Er besaß nicht das militärische Genie eines Benington.

»Jetzt reiß dich zusammen. Ich rede mit Leticron und Jenmuhs«, sagte Stephanie genervt.

Ebur packte sie wütend am Arm und zog sie von der Couch. »Ich bin der Oberbefehlshaber des Estartukorps. Ich brauche deine Einmischung nicht. Ihr habt einen neuen Krieg angezettelt. Und jetzt setzt ihr noch einen drauf und sucht eine Entscheidungsschlacht, die uns in den Untergang führt. Ihr Wahnsinnigen!«

Wie konnte dieses zalitisches Schwein sie nur so grob anfassen? Wer war hier der Barbar? Benington ging zur Wand und ergriff sein Schwert. Diese elegante Waffe war keine Zierde, denn er schärfte sie jede Woche.

»Leticron ist nicht so ein Schlappschwanz, wie du es bist. Du konntest doch nie deinen Mann stehen und kneifst bei jeder Herausforderung«, kreischte Stephanie.

Ebur stieß sie von sich.

»Aber diese Essoya, ja?«

Ebur zeigte mit dem Finger auf ihn. Benington hatte genug. Eher Ebur begriff, dass sein Gegenüber ein Schwert in der Hand hatte, rammte Benington es in seinen Bauch. Ebur starrte ihn entsetzt an und Stephanie schrie auf. Benington drehte die Klinge in der Wunde, merkte, dass Ebur kraftlos wurde und Blut spuckte. Langsam drückte er ihn von sich. Ebur sackte auf die Knie und fiel seitlich zu Boden, dann warf Benington das blutige Schwert neben den Toten.

Stephanie starrte entgeistert auf die Szene und rang nach Worten. Benington kam ihr zuvor:

»Ein echter Mann trifft Entscheidungen, Stephanie! Ich bin ein echter Mann. Ebur war schwach. Ich bin stark. Ich werde die Feinde besiegen und dann werden wir über das Quarterium herrschen.«

»Aber … ihn gleich töten? Wie sollen wir das erklären?«

»Er hat dich angegriffen. Ich habe dich verteidigt. So einfach.«

Stephanie blickte noch einmal zum regungslosen Ebur. Bei Benington hingegen regte sich so einiges. Er drückte sie an sich und küsste sie. Zuerst zierte sie sich, doch dann ging sie auf sein Spiel ein.

Er küsste ihren Hals, riss ihr Top auf, um an ihren Brustwarzen zu lutschen, während ihre Hand zwischen seine Beine fuhr und sanft massierte.

Er wollte nicht warten, öffnete seine Hose und warf sie auf die Couch. Rechts daneben lag der reglose Ebur. Nun würde er vor seinen halb geschlossenen Augen seine Verlobte vögeln. Ihm gehörte Stephanie. Ihm gehörte das Quarterium.

Er zog ihren Rock hoch und sie spreizte die Beine. Hastig schob er ihren Slip zur Seite und drang in sie ein.

Sie stöhnte auf.

Es fühlte sich so gut an. Sie wollte es härter. Sollte sie nur! Er stieß in sie rein. Sie schrie. Er knetete ihre Brüste, sie rollte die Augen vor Ekstase und …


… und dann war Alcanar Benington tot. Der Energiestrahl versengte seinen Kopf. Stephanie spürte die Hitze und erkannte, was geschehen war, als sie in die verkohlte Gesichtshälfte starrte. Entsetzt kreischend schob sie Benington von sich. Er rollte zu Boden. Sie blickte nach links, sah Toran Ebur am Boden liegen, mit größter Mühe hielt er den Strahler auf sie gerichtet. Sie spürte, sie war am Ende. Sie weinte und wimmerte um Gnade, erwartete jede Sekunde den Tod, doch Ebur hatte keine Kraft mehr. Der Arm senkte sich, und der Zaliter hauchte seinen letzten Atem aus.

Dann wurde es still.

Stephanie saß halbnackt auf der Couch und starrte auf die Leichen der beiden Männer, die sie geliebt hatten.

Beide waren tot.

Ihretwegen gestorben.

Wie sollte sie das nur erklären?

17. Söhne des Chaos

Cauthon Despair

Ich erhielt früher Besuch, als ich erwartet hatte. Die schwere Tür glitt in die graue Wand. Ich erhob mich. Sie hatten mir meine silberne Rüstung gelassen, jedoch mein Caritschwert genommen und ein Großteil der Technik in meinem Raumanzug deaktiviert. Natürlich nur zu meinem eigenen Schutz. Zuerst erwartete ich Niesewitz, doch statt des CIP-Chefs betrat Leticron meine Zelle.

»Despair«, grüßte er knapp.

»Schwierigkeiten?«, fragte ich.

»Benington hat eine Großoffensive ohne Rücksprache gestartet«, erwiderte der hochgewachsene Pariczaner. Sein kantiges Gesicht zuckte vor Erregung. Er war ungewöhnlich angespannt.

»Dann wird er wohl erneut degradiert werden«, spottete ich.

»Nein. Er ist tot. Er und Ebur haben sich gegenseitig getötet. Wohl im Kampf um die Gunst von Stephanie.«

Die Wochen mit mir in Gewahrsam hatten dem Quarterium nicht gutgetan. Die militärische Führung des Estartukorps existierte damit nicht mehr, während eine große Schlacht tobte. Was für eine Wirkung das auf die Soldaten haben musste!

»Prekär.«

»In der Tat …« Leticron atmete tief durch. »Offiziell sind sie im Kampf gefallen. Nun denn, Bruder des Chaos. Du bist frei.«

Das überraschte mich nicht.

»Ich nehme an, ich soll an die Front, um gegen Aurec und die anderen zu kämpfen?«

»Nein. Cau Thon hat uns einbestellt. MODROR will alle Söhne des Chaos sehen.«

Das überraschte mich nun doch. Cau Thon und Goshkan waren zuletzt auf dem Rideryon gewesen. Offenbar kannten sie eine Möglichkeit, von dort zu verschwinden. Vielleicht konnten sie auch den Emperador vom Rideryon evakuieren. Wenn de la Siniestro wieder auf Paxus wäre, könnte ein längerer Krieg verhindert werden. Wenn es überhaupt noch möglich war.

Wir verließen die Zelle. Ein schwarzer, kugelförmiger Roboter schwebte auf mich zu und hielt in seinen Tentakelarmen mein Caritschwert, meinen Technikgürtel und die fehlenden Module meines Raumanzugs. Ich nahm sie schweigend an und stattete mich mit meinem Equipment aus, während ich Leticron nach draußen folgte.

Wir erreichten einen Balkon, von dem eine Brücke zur Landeplattform führte, auf der ein Gleiter wartete. Ich blickte in den wolkenverhangenen Himmel. Es regnete, und der Bauch eines SUPREMO-Schlachtschiffes hing aus der Wolkendecke. Es war die PARICZA. Sie würde uns vermutlich zum Rendezvous mit meinen Brüdern bringen. Ich freute mich nicht auf diese Begegnung, denn einerseits war mein Zweifel an MODROR groß und auf der anderen Seite war ich des Krieges müde.

*

Die PARICZA verließ das Sternenportal. Som-Ussad war nur ein winziger Punkt, die Markierung auf der Hologrammkarte hob ihn grün hervor. Blaue Punkte symbolisierten die quarterialen Streitkräfte, während rote Punkte den Feind darstellten. Es waren viele rote Punkte, die an diesem 31. Juli 1308 NGZ am Rand des Systems aufleuchteten.

Eine Analyse ergab, dass es sich dabei um 90.000 Raumschiffe der Entropen handelte. Es gab jedoch bis auf kleinere Scharmützel zwischen Aufklärern noch keine Kampfhandlungen, denn die Benington-Raids waren nach dessen Tod vor vier Tagen eingestellt worden.

Die Großoffensive war beendet, und das Quarterium beschränkte sich nun auf die Verteidigung.

Immer mehr Einheiten erreichten das System um Som-Ussad. Das Quarterium räumte die estartischen Galaxien, und seine Feinde sammelten sich ebenfalls. Die Sternenkarte zeigte nun auch die Verbände der Liga Freier Terraner, der Saggittonen, Kemeten, USO und Alysker an, die gemeinsam mit den Einheiten der Kampfstation NESJOR vermutlich über 250.000 kampfbereite Raumschiffe verfügten. Dazu kamen noch Jäger, Space-Jets und kleine Kreuzer.

Die PARICZA ging auf Überlichtflug. Es dauerte zwei Stunden, ehe sie aus dem Hyperraum fiel. Die Ortung vermeldete wenige Momente später die Ankunft der KARAN. Leticron und ich wussten, was zu tun war. Der Corun gab seinem Stellvertreter letzte Anweisungen. Wortlos folgte ich ihm in den Konferenzraum. Kaum waren wir dort, spürte ich, wie ich entmaterialisierte und an Bord der KARAN wieder zusammengesetzt wurde.

Vor mir stand der große Katrone Goshkan. Er hielt eine schwere Axt in seiner mächtigen Pranke. Mein Bruder des Chaos strahlte allein schon mit seinem Antlitz eine beängstigende Brutalität aus. Die vier schwarzen Augen im gehörnten Kopf, der lange Rüssel, der aus dem Gesicht hing, der wuchtige Körper, der in zwei ziegenartigen Beinen mit behuften Füßen mündete – er wirkte wie eine Karikatur aus dem terranischen Mittelalter, eine Inkarnation des Teufels. Und das war er im Grunde auch.

»Willkommen«, sprach das Wesen hinter dem Katronen. Das rote Gesicht schälte sich aus der dunklen Kutte. Mein Bruder Cau Thon. Er trat näher heran und legte die Kapuze ab. Das Mal der drei in sich gewundenen Sechsen dominierte das kahlköpfige Haupt des Xamouri. Cau Thon war der heimliche Anführer der Söhne des Chaos, war er doch der erste Auserwählte von MODROR.

»Wie ich sehe, hast du deinen Flirt mit den Hexen beendet«, bemerkte er spöttisch und spielte dabei wohl auf meinen Alleingang am Berg Keshruuv auf dem Rideryon an.

»Ich werde mich nicht rechtfertigen.«

»Jedenfalls stehen Aurec und deine Hexe nun auf der Seite der Gegner. Abermals.«

»Das habe ich nicht zu verantworten.«

Ich drehte mich in Richtung Leticron.

»Ich hielt es für besser, wenn Despair eine Auszeit nimmt«, verteidigte sich der Pariczaner.

Cau Thon lachte heiser und ging ein paar Schritte.

»Möglich, doch die Feinde unseres Vaters des Chaos haben sich nun in dieser Galaxie versammelt. Ein Teil DORGONS befindet sich auf dem Rideryon. MODROR braucht seine Söhne des Chaos, um DORGON zu trotzen. Medvecâ ruft uns zu sich.«

Cau Thon drehte sich um. Ich folgte ihm, hinter mir setzten sich Goshkan und Leticron in Bewegung. Wir gingen den dunkelgrauen Korridor entlang. Das grüne Licht hatte seinen Namen nicht verdient. Die roten Leuchten an den Wänden zeigten uns immerhin den Weg, doch zur Not hätte ich auch die Sehverstärkung in meinem Visier aktivieren können. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, denn ich war auch nicht das erste Mal an Bord der KARAN. Ich kannte den Weg, er führte in die Kommandozentrale des Raumschiffes mit dem fünfhundert Meter durchmessenden Kugelzentralmodul.

»Wie gelangen wir auf das Rideryon?«, wollte Leticron wissen. »Es ist für uns unerreichbar, da es im Hyperraum fliegt und sein Schutzwall aktiv ist.«

»Nicht für einen Sohn des Chaos«, antwortete Goshkan mit tiefer Stimme und schnaubte leise durch seinen Rüssel.

Wir erreichten die Zentrale. Sie war in dunkles Rot gehüllt. Die Zievohnen standen an ihren Konsolen und verrichteten schweigend ihr Werk. Auf einer holografischen Karte erkannte ich das Rideryon, vor dem einige Tholmonde schwebten

»Während wir sprachen, haben wir das Rideryon erreicht«, erklärte Cau Thon.

»Befindet sich MODROR hier?«

Es war nur logisch, dass der Kosmotarch uns half.

»In gewisser Weise. Medvecâ beherrscht seit Millionen von Jahren das Rideryon im Namen MODRORS und hat natürlich Vorkehrungen getroffen. Die Ylors sind nicht nur die barbarischen, antik wirkenden Blutsauger aus Gruselgeschichten. Sie sind eine hochstehende Rasse.«

Ich erkannte die EL CID und die FLASH OF GLORY. Sie waren nur einige tausend Kilometer voneinander entfernt.

»Wir hätten diese technologischen Möglichkeiten früher benötigt«, warf Leticron seinem Bruder Cau Thon vor. »Sind wir nicht mehr würdig?«

Cau Thon schnellte herum, zog seinen Caritstab und hielt ihn Leticron an die Kehle. Der Corun verzog keine Miene, zuckte nicht und starrte Cau Thon finster an.

»Das Quarterium hat MODROR mehr als einmal enttäuscht. Euer Friedensvertrag mit der LFT und deren Verbündeten, euer zögerliches und egoistisches Verhalten und eure internen Kriege haben MODROR tatsächlich an der Kompetenz des Quarteriums zweifeln lassen.«

Thon senkte den Stab.

»Nun, es ist eine Sache, willenlose Sklaven zu kommandieren oder eine Ideologie zu leben. Die Lemurerabkömmlinge sind zu großen Taten in der Lage, doch sie müssen an die Sache glauben. Sklaven werden nie die Effizienz von Ideologien erreichen«, sagte Leticron.

Dann schmunzelte er.

»Barym ist schon vor knapp zehn Jahren gescheitert. Das Quarterium hat hingegen viel erreicht.«

»Nicht genug«, grollte Goshkan.

»Was wünscht MODROR?«, fragte ich in dem Versuch, das Thema auf eine sachliche Ebene zu lenken.

»Das Rideryon muss Cartwheel erreichen. Das ist die Bestimmung der kosmischen Weltrauminsel. Doch wir müssen DORGON und seine Verbündeten auf dem Rideryon beseitigen.«

»De la Siniestro fehlt«, stellte Leticron fest. »Gehört er noch zu den Söhnen des Chaos oder ist ein Verbündeter DORGONS?«

»Nun, Corun. Das wird sich bald herausstellen …«

18. Objursha

1. August 1308 NGZ

Rosan de la Siniestro hatte viel von Objursha gehört, doch sie war noch nie dort gewesen. Nun befand sie sich zusammen mit knapp fünfhundert anderen Lebewesen im spärlich beleuchteten Frachtraum eines Transporters. Es waren vor allem estartische Wesen wie Somer und Ophaler, vereinzelt auch Pterus. Hier und da sah sie auch einen Sekundärentropen.

Rosan saß neben den Mohlburrys auf dem Boden. Die CIP gab sich während der Deportation nicht einmal den Anschein, als würde es sich um eine freundliche Reise handeln. Jeder wusste, wohin es ging, und die meisten mussten wissen, was sie erwartete.

Sie warf einen Blick auf Bekket Glyn. Der Demagoge kauerte mit angewinkelten Knien in einer Ecke. Für ihn war wohl eine Welt zusammengebrochen. War es ironisch, dass ausgerechnet dieser Hetzer Opfer seiner eigenen Machenschaften wurde? Nun ereilte ihn dasselbe Schicksal wie die unzähligen Nichtlemurer, die auf Objursha ihr Leben verloren hatten.

Eine gespenstische Stille kehrte ein. Rosan bemerkte, dass die leichten Vibrationen des Bodens aufgehört hatten. Die Maschinen waren abgestellt. Das bedeutete, der Transporter war gelandet.

Langsam öffnete sich die Laderampe. Es wurde hell. Rosan kniff geblendet die Augen zusammen, obwohl das Tageslicht durch Wolken getrübt war. Frische Luft drang in den Laderaum, es war windig draußen. Und hell genug, um ihre Augen, die stundenlang ins Dunkel gestarrt hatten, schmerzen zu lassen.

Soldaten stürmten hinein. Sie sagten nicht viel, sie brüllten nur immer wieder: »Raus, raus. Bewegung.«

Rosan stand auf, half Roppert Mohlburry hoch. Sie gingen den Laderaum entlang. Die Wesen drängten über die Rampe. Unsanft wurden sie vom Wachpersonal weitergeschubst. Es waren Terraner, Arkoniden und Dscherro. Von draußen hörte sie beschauliche Schunkelmusik, welche offenbar zur Beruhigung dienen sollte.

Es wurde das Ende des Lieds »Das Mädchen aus Mirkandol« gespielt. Als es endete, begann »Wir wandern über den Buckligen Reiter«, ein Evergreen von Ertrus.

Endlich war Rosan draußen. Etwa zwanzig Meter von ihr standen CIP-Offiziere auf einer Empore.

Das Gesicht von Selvon da Gohd kannte sie, und sie erkannte den Mann, dessen rote Augen ihr kühl entgegen blickten. Er gab einem Offizier einen Befehl und der Mann mit dem grauen Schnauzbart nickte eifrig. Dann ging er die Rampe der Empore hinunter und winkte zwei Wachsoldaten in grauen Uniformen zu sich.

Der Offizier blieb vor ihnen stehen, schlug die Hacken zusammen und stellte sich vor.

»Major Fitschka, angenehm die Damen. Die Herren. Der Herr Bezirkskommandeur da Gohd wünscht Sie drei heute Abend beim Essen willkommen zu heißen.«

»Tja«, meinte Bekket Glyn und lächelte. »Ich schätze mal, dass der alte Mohlburry dabei für unseren Strom sorgt.«

Fitschka hob die Hand und drückte sie auf die Brust von Glyn.

»Die Einladung gilt für die Mohlburrys und die Emperatriz. Sie hingegen werden in den Block H-15 verlegt. Wir nennen ihn Bluestown. Doch die spielen bestimmt nicht Ihre Musik, Herr Glyn.«

Die zwei Wachen packten den Demagogen und zogen ihn weg. Er wehrte sich und rief, er sei unschuldig und lange lebe das Quarterium. Rosan glaubte, das hätte er besser nicht tun sollen, denn bestimmt hatte Glyn nun keine Freunde im Block H-15. Fitschka deutete mit ausgestrecktem Arm auf einen Gleiter. Offenbar hatten die drei nochmal Glück gehabt. Zumindest vorerst, denn das Quarterium schien noch Pläne mit ihnen zu haben.

Womöglich hatten Niesewitz und Stephanie Angst vor der Reaktion des Emperadors, sollte man sie ermorden, aber vielleicht sammelte die CIP auch schon Geiseln, sollte die Invasion von Aurec und dem Bündnis erfolgreich sein.

Rosan warf noch einen Blick auf die armen Seelen, die von der Laderampe gingen und eingeteilt wurden. Von den anderen Wesen würde vermutlich keines mehr lebend Objursha verlassen, es war auch möglich, dass sie sofort entsorgt wurden.

Selvon da Gohd winkte Fitschka zu sich. Der eilte zu seinem Befehlshaber. Der Bezirkskommandeur flüsterte Fitschka etwas ins Ohr, dann ging dieser zurück und schlug erneut die Hacken zusammen.

»Der Herr Bezirkskommandeur erinnert mich daran, dass auch für Sie die Routinekontrolle erfolgt. Es tut mir leid, aber Sie müssen durch den Sicherheitscheck. Seit jemand Anfang des Jahres eine Bombe eingeschmuggelt hat und bei der Detonation vier Kameraden der Wachmannschaft starben, werden die neuen Bewohner direkt hier kontrolliert.«

»Nun, wenn ich nicht bald eine Toilette aufsuchen darf, werde ich vermutlich eine Bombe zünden«, warf Roppert Mohlburry sarkastisch ein.

Janela lächelte. Rosan blieb ernst.

»Nun, wie sieht denn die Sicherheitskontrolle aus?«

»Bitte entkleiden Sie sich vollständig und stellen sich vor die Rampe mit dem Bezirkskommandeur.«

»Bitte was? Ich bin die Emperatriz! Ich stelle mich nicht nackt vor euch auf.«

Fitschka wirkte verlegen, blickte in Richtung da Gohd.

»Ich habe meine Befehle. Wenn Sie sich weigern, müssen wir Sie paralysieren und Ihnen die Kleider abnehmen.«

Rosan zog sich aus.

Ihr Kleid, die Schuhe, ihre Nylons und ihre Unterwäsche. Sie warf alles auf einen Haufen und hob die Arme. Waren jetzt alle zufrieden?

Es wurde kalt so ganz ohne Sachen am Leib.

Roppert und Janela Mohlburry taten sich schwer mit dem Entkleiden. Rosan war nun trotzig, sie blickte hinüber zu den anderen Häftlingen, die sich ebenfalls auszogen und in einer Reihe aufstellten. Der kalte Wind blies unerbittlich und sie bibberte, denn auch der Boden war eisig und eine unangenehme Kälte zog in ihre Zehenspitzen und Füße. Sie stellte sich vor die Empore.

Da Gohd musterte sie. Dann hob er den Zeigefinger und gab ihr zu verstehen, dass sie näher kommen sollte. Sie trat in eine braune Pfütze. Das Wasser war kalt und ging ihr bis zu den Knöcheln.

Neben da Gohd flog ein Servoroboter und hielt ein Tablett mit vollen Gläsern Schnaps. Da Gohd nahm eines und leerte es genüsslich. Er wartete, bis Janela Mohlburry auch kam, die ihren Intimbereich verdeckte. Roppert Mohlburry präsentierte sich lasziv vor da Gohd. Natürlich gefiel das dem Bezirkskommandeur nicht, er wendete wieder seinen Blick auf Rosan. Sie brauchte nicht viel Phantasie, um die seine zu erraten.

Es fing an zu regnen und sie wurden nass, während die Empore natürlich überdacht war.

»Seife«, rief er. Er sah Fitschka auffordernd an. Der schüttelte den Kopf und lief los, um zwei Minuten später mit einer Flasche Shampoo zurückzukehren, und überreichte sie da Gohd. Der nahm sie und warf sie Rosan und den Mohlburrys vor die Füße.

»Sie müssen ja entsetzlich stinken. Auf dem Transporter gab es keine Hygienebereiche. Nutzen Sie die Chance und waschen Sie sich.«

Da Gohd drückte auf einen Knopf auf dem Pikosyn an seinem Handgelenk. Hinter ihm baute sich aus Formenergie ein Stuhl auf. Er fläzte sich auf die Sitzfläche und streckte die Beine von sich, dann nahm er ein weiteres Glas und leerte es. Mit einem feinen Lächeln sah er zu, wie sich Rosan und Janela wuschen. Mohlburry drehte sich um und zeigte da Gohd seinen Allerwertesten.

Jeder versuchte anders mit der Demütigung umzugehen. Da Gohd ließ sie danach noch einige Minuten im Regen stehen. Rosan fror so sehr, dass sie am ganzen Körper zitterte. Nach einer Weile hatte der Arkonide endlich ein Einsehen und deutete mit einer Handbewegung an, dass sie gehen durften.

Fitschka lief wieder zum Gleiter. Rosan blickte auf ihre Sachen. Sie lagen auf dem Boden und waren vom Regen durchnässt. Sie hob sie trotzdem auf, feucht und kalt wie sie waren, doch lieber nasse Klamotten am Leib, als nackt durch die Gegend laufen.

Das Schauspiel von eben war nur der Anfang, da Gohd würde sie noch oft demütigen, bevor er sie umbringen würde. Sie hatten eigentlich nur eine Chance: So lange am Leben zu bleiben, bis die Invasionsflotte sie befreien würde.

19. Flucht nach Amunrator

Jaaron Jargon

Das Rideryon näherte sich unaufhaltsam dem Sternenportal bei Som-Ussad. Wir schrieben den 2. August 1308 NGZ. Die Zeit rannte an uns allen vorbei und wir bereiteten uns vor. Ich, der einfache Chronist dieser Geschichte, war nur ein Statist, der in einem bequemen Sessel aus Formenergie saß und den wirklichen Helden zuhörte.

Der helle Konferenzraum auf der IVANHOE II war voll.

Am Kopfende des weißgrauen Tisches, der mit blauen und gelben Tassen und etwas Gebäck hergerichtet war, saß der kahlköpfige Kommandant Xavier Jeamour. Ihm zur Rechten hatten Mathew Wallace, der erste Offizier, Irwan Dove, der Posbi Lorif, Remus und Jan Scorbit Platz genommen. Zu Jeamours linken Seite saßen Roi Danton, Kathy Scolar, Elyn, Jonathan Andrews und Gal’Arn, dann folgte meine Wenigkeit und neben mir Will Dean. Am anderen Kopfende leuchtete das Hologramm des quarterialen Emperadors Don Philippe de la Siniestro.

Kaiser Volcus war der Einladung nicht gefolgt. Niemand bedauerte das, denn niemand vertraute dem dorgonischen Monarchen. Soeben betraten Joak Cascal und Sandal Tolk als letzte fehlende Teilnehmer den Konferenzraum.

Ich blickte in die Gesichter der Protagonisten. Viele Jahre hatten sie gegen MODROR und dessen Schergen gekämpft. Xavier Jeamour war schon Kommandant der ersten IVANHOE gewesen. Der Terraner aus dem europäischen Bundesstaat Belgien hatte vor gut fünfzehn Jahren an der Expedition nach M 100 teilgenommen wie auch seine Besatzungsmitglieder Mathew Wallace, Irwan Dove und Lorif.

Das Trio hatte so einige Abenteuer auf der IVANHOE erlebt. Der schelmische Frauenheld Wallace mit seinen langen, wirren Haaren war ein Draufgänger mit einem großen Herzen, während der schweigsame und loyale Oxtorner Dove ein brillanter Geist und starker Kämpfer war. Der Posbi Lorif war eine treue Seele, geschwätzig, unfreiwillig komisch, aber genauso menschlich wie der Rest der Crew der IVANHOE II. Vor drei Jahren waren sie mit der IVANHOE II desertiert, hatten sich vom Quarterium losgesagt und sich der USO angeschlossen.

Die terranischen Zwillingsbrüder Jan und Remus Scorbit hatten auch einen langen Weg zurückgelegt. Früher waren sie kaum zu unterscheiden gewesen mit ihrem braunen, dichten Haar und dem Vollbart, inzwischen hatte Jan ein paar mehr Pfunde zugelegt. Remus’ erstes Abenteuer hatte er mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Uthe auf der LONDON II bestanden, die 1290 NGZ von dem abtrünnigen arkonidischen Mascanten Prothon da Mindros entführt worden war. Remus gehörte später zu den Kolonisten von Cartwheel, hatte eine Militärkarriere beim Terrablock und später bei der Liga eingeschlagen. Sein Bruder Jan war Wissenschaftler und hatte schon gegen die Mordred Einsätze bestritten. Nachdem er der USO beigetreten war, hatte er es sogar zu deren Leiter in Cartwheel gebracht.

Der dunkelhäutige Terraner Will Dean wirkte lässig wie eh und je, er nahm jedoch keine Mission auf die leichte Schulter. Als TLD-Agent hatte er viel erlebt und war gegen die Mordred und das Quarterium im Einsatz.

Der Ritter der Tiefe Gal’Arn flößte Respekt ein. Eine magische Aura umgab ihn, obgleich er niemals im Dom Kesdschan geweiht worden war. Der hochgewachsene Elare mit dem Spitzbart und dem langen, braunen Haar wirkte wahrlich wie ein heldenhafter Ritter.

Neben ihm saß sein Schüler Jonathan Andrews. Ebenso beherzt wie die anderen, stritt der sture Terraner stets für Gerechtigkeit und hatte manchmal seine Emotionen nicht unter Kontrolle. Es verband mich sehr viel mit dem kräftig gebauten, braunhaarigen Ritterschüler. Er hatte meine Nichte Nataly geheiratet, und er hatte sie geliebt. Nun war sie uns entrissen, denn der finstere Mantel des Ylorsfürsten Medvecâ hatte sich um sie gelegt. Aus meiner geliebten Nichte, Jonathans geliebter Frau, war die unmenschliche Bestie Natalia geworden, die nun als ein mordendes Ungeheuer im Dienste der Ylors ihr Unwesen trieb.

Noch immer wurde mein Herz schwer, wenn ich daran dachte.

Die Terranerin Kathy Scolar war auch mit Nataly sehr verbunden gewesen. Von einer erklärten Feindin zur verlässlichen Freundin und nun erneut zu einer Feindin – Kathy hatte in den letzten knapp zwölf Jahren viel erlebt und durchgemacht. Ihre Liebe zum Saggittonen Aurec hatte ihr Stabilität und Kraft gegeben. Ihre anfangs labile Persönlichkeit war gereift. Kathy war mit ihrem brünetten Haar und den großen braunen Augen nicht nur wunderschön, sie war auch eine tapfere Persönlichkeit und konnte kämpfen, wenn es sein musste. Sie stand wahrlich ihre Frau.

So wie die anmutige Alyske Elyn mit ihren violetten Augen, den spitzen Ohren und dem pechschwarzen, glatten Haar. Sie war über 2000 Jahre alt und eine Freundin der Galaktiker und ihrer Verbündeten. Im Gegensatz zu ihrem Vater Eorthor zeigte sie keine Arroganz, sondern Mitgefühl und Liebe gegenüber dem »Leben an sich«. Sie gab Hoffnung, wo andere diese schon lange hatten fahren lassen.

Roi Danton – Michael Rhodan – war nicht nur der Sohn Perry Rhodans, er war auch ohne seinen Vater eine eigene Persönlichkeit. Manche unkten sogar, er habe mehr als eine Persönlichkeit. Zumindest verkörperte er unterschiedliche Rollen: Die des Michael Rhodan, die des Freihändlerkönigs Roi Danton oder die des rebellischen Freibeuters Roi Danton. Trotz seiner exzentrischen und draufgängerischen Art war Michael Rhodan der inoffizielle Anführer hier. Nicht nur weil er ein Zellaktivatorträger war. Nicht nur weil er ein Rhodan war. Sondern weil er es sich aufgrund seiner Taten verdient hatte.

Und am anderen Ende des Tisches … da befand sich die Holografie des Emperadors. Bezeichnend, denn er gehörte nicht wirklich »zu uns«. Und doch ging es offenbar nicht ohne ihn.

Joak Cascal und Sandal Tolk setzten sich demonstrativ weit weg von dem Quarterialen. Die beiden Veteranen aus dem Solaren Imperium verachteten das Quarterium. Es war kein Wunder, beide Männer hatten viel gelitten. Cascal war seines Gesichts, seiner Identität beraubt worden und als Wahnsinniger eingesperrt gewesen, ehe ausgerechnet die ebenfalls verlorene Kathy Scolar ihm geglaubt hatte und sie zusammen geflohen waren vor den Häschern des Quarteriums. Sandal Tolk war durch die mutantischen Fähigkeiten von Leticron übel zugerichtet worden. Doch der Barbar von Exota-Alpha, wie man ihn nannte, hatte sich ins Leben zurück gekämpft und war vor kurzem zu uns ins Rideryon gekommen.

»Morgen soll das Rideryon das Sternenportal erreichen. Wenn es uns nicht gelingt, bis dahin vom Riff zu fliehen, werden wir alle sehr bald in Cartwheel sein«, erklärte Xavier Jeamour sachlich.

»Nun, dann bin ich wieder zuhause«, sagte de la Siniestro spöttisch.

»Nicht, wenn Ihre Vasallen das Rideryon angreifen und es eine gigantische Raumschlacht geben wird«, warf Cascal ein. Der ehemalige SolAb-Agent zündete sich eine Zigarette an.

»Muss das hier sein?«, fragte Jeamour genervt.

»Das Verhalten, innerhalb eines Raumes zu rauchen, wurde schon oft in der Menschheitsgeschichte diskutiert. Lange Zeit galt es als schicklich und gesellschaftlich war es eine Norm«, begann der Posbi Lorif und fuhrt sogleich fort: »Dann wurde es aufgrund gesundheitlicher Nebenwirkungen verboten. Als die Inhaltsstoffe synthetisch hergestellt und unbedenklicher wurden, wurde es wieder erlaubt, doch der Rauch rief bei vielen Unbehagen hervor und es wurde wieder eingeschränkt … und …«

»Danke für diesen Exkurs, Lorif«, sagte Jeamour und hob genervt die Hand.

»Gern geschehen, Sir!«

Cascal stieß den Rauch aus und drückte die Kippe auf einem Sideboard aus. Jeamour seufzte.

»Wie wird nun das Quarterium reagieren?«, wollte Elyn wissen.

De la Siniestro hob die Arme und wirkte ratlos.

»Wäre ich im Kommando, würde ich das Rideryon passieren lassen. Doch vermutlich haben Leticron und Jenmuhs das Sagen. Ich denke, sie werden das Sternenportal verteidigen. Sowohl gegen das Rideryon als auch gegen Ihren Vater und all seine Alliierten.«

Betretende Stille.

Der Krieg scheint unausweichlich. Doch es gibt immer Hoffnung. Es gibt immer eine Alternative.

Ich schreckte hoch. Wer hatte das gesagt? Und auch die anderen im Saal wirkten überrascht. Plötzlich schwebte eine leuchtende, goldene Kugel über den Tisch. Sie wurde breiter, schwebte zur Seite und nahm Gestalt ein. Die Umrisse waren humanoid. Ein goldenes, nacktes, geschlechtsloses, gesichtsloses Wesen. Sofort spürte ich die wohlige Aura der Hoffnung, des Friedens und der Liebe.

»DORGON«, rief Kathy Scolar als Erste. Alle erhoben sich. Ich blieb wie angewurzelt sitzen. Ja, das war DORGON. Der Kosmotarch war hier?

»Ein Teil von DORGON ist hier. Sandal Tolk brachte uns mit den Kemeten hierher. Eine kleine Inkarnation, die inzwischen gewachsen ist. Bereit, den Söhnen des Chaos die Stirn zu bieten. Mit eurer Hilfe.«

Niemand zweifelte an der Wahrhaftigkeit dieser Erscheinung. Das war DORGON! Ich spürte es mit jeder Faser meines Körpers.

»Ein Kampf?«, fragte Danton skeptisch. »Das ist untypisch für DORGON.«

»Wer sprach von einem Kampf?«

Das Wesen lachte und verwandelte sich in einen alten Mann in weißem Gewand, mit weißem Haar und langem weißen Bart.

»Ich bin mir sicher, dass die Söhne des Chaos einen Kampf wollen. Ich jedoch nicht.«

»Nun, zum Softball werden wir sie gewiss nicht herausfordern«, warf Danton ein.

DORGON änderte nun erneut seine Form in eine goldene Kugel mit zwei grün leuchtenden Augen, die geradewegs auf Danton gerichtet waren.

»Begebt euch nach Amunrator. Ihr alle, die ihr hier seid. Denn sonst seid ihr des Todes. Ich spüre einen Verräter.«

DORGON wurde erneut zu einem gesichtslosen Mann. Sein Arm wurde länger und länger, bis er mit ausgestrecktem Finger auf das Hologramm von de la Siniestro wies.

»Nun, es ist nicht mein ausdrücklicher Wunsch euch zu vernichten, deshalb akzeptiere ich die bedingungslose Kapitulation aller auf der IVANHOE II befindlichen Lebewesen.«

»Was?«, stieß Joak Cascal hervor. »Niemals!«

In diesem Moment schrillten die Alarmsirenen des Schiffes auf. Lorif erhob sich und sagte:

»EINSTEIN meldet, dass die EL CID soeben zusammen mit der VOLCUS GLANZ die FLASH OF GLORY angreifen.«

»Amunrator«, flüsterte DORGON und löste sich auf. Alle blickten entsetzt und fassungslos auf das holografische Abbild des Emperadors de la Siniestro. Der Herrscher des Quarteriums wirkte gelassen.

»Ihr letztes Wort?«

Lorif meldete: »Die FLASH OF GLORY wird die Schlacht verlieren, Sir! Außerdem meldet unsere Außencrew, dass die Quarterialen Soldaten vor unserem Schiff Stellung beziehen.«

»Es ist Ihre letzte Chance«, appellierte de la Siniestro. »Ergreifen Sie diese Chance.«

Roi Danton erhob sich und richtete den Blick gen de la Siniestro.

»Ich denke, ich spreche für alle, dass wir kämpfen werden, Sie elender Verräter. In diesem Moment beweisen Sie endgültig, dass Sie ein Vasall MODRORS sind.«

De la Siniestro lachte.

»Fürwahr, doch ich werde leben. Sie werden sterben. Nun denn, es ist entschieden. Ich wünsche Ihnen einen ehrenvollen Tod.«

Das Hologramm erlosch.

Jeamour gab Alarmstufe Rot. Wenn die FLASH OF GLORY vernichtet wurde, würden sich die feindlichen Raumschiffe gegen die manövrierunfähige IVANHOE II wenden. Sie mussten schnell handeln. Jeamour wandte sich an Joak Cascal.

»Wir müssen evakuieren. Die Beiboote müssen nach Amunrator. Lorif, können Sie die Koordinaten überall einspeisen?«

»Selbstverständlich Sir. Amunrator ist eine unterirdische Stadt, die bis in die dunkle Zone des Rideryons reicht. Möglich, dass sie uns Schutz bietet.«

»Wir müssen DORGON vertrauen«, warf Gal’Arn ein.

Xavier Jeamour blickte ernst in die Runde. Er war fahl im Gesicht. Es wirkte, als hätte er über etwas Gewissheit erlangt, was ihm keinesfalls behagte. Er atmete tief durch.

»Bis auf eine Rumpfbesatzung werden alle Besatzungsmitglieder auf den Beibooten nach Amunrator fliegen. Ich werde die Stellung halten, bis alle anderen sicher sind. Ich ordne die Evakuierung der IVANHOE II an!«

Ende

Der »Rideryon«-Zyklus nähert sich dem Höhepunkt. Nils Hirseland schrieb den Abschlussband 119 mit dem Titel

ABSCHIED VON SIOM SOM

GLOSSAR

Amunrator

Amunrator ist eine Stadt auf dem Rideryon.

Lage

Sie liegt unterirdisch im Osten des Rideryons zur Grenze an der im Schatten gelegenen Unterseite. Oberhalb von Amunrator liegt eine schroffe, trockene Wüste, die von Bergen umgeben ist. In einem Tal liegen die Hangartore.

Aufbau

Der Zugang über die Hangartore ist mehrfach durch weitere Tore und Schutzschirmstaffeln geschützt. Amunrator selbst liegt in 10 Kilometern Tiefe. Dort befinden sich die Landeplätze. Von dort führt ein drei Kilometer und nur zehn Meter breiter Korridor zum Eingang der Stadt.

Amunrator selbst hat 16 Viertel und erstreckt sich in einer Breite von sieben Kilometern und eine Tiefe von zwei Kilometern.

Die Architektur der Stadt ist sehr unterschiedlich. Es gibt viele Wohnungen und Stollen, die direkt in den Fels gebaut sind. Die Höhlenwohnungen dominieren das Erscheinungsbild. Es existieren aber auch freistehende Häuser, Pilzbauten, Kelchbauten und Hochhäuser.

Diese Stadt hat ca. 198 Millionen Einwohner. Vornehmlich wohnen Gannel dort, aber auch Manjor, Harekuul, Dychoo, Fithuul, Miskatoor-Feen, Buuraler und andere bekannte rideryonische Spezies.

Beschreibung von Jaaron Jargon im Juli 1308 NGZ

»Sie erinnert auf den ersten Blick an einen Termitenbau oder einen chaotischen Ameisenhaufen. Die Gänge sind lang, teils roh in den Fels geschlagen – zum Teil aber auch in elegante Fassaden gehüllt. So wechseln dunkle Höhlengassen mit verzierten, hell beleuchteten Tunneln ab.

Ein Großteil der Gebäude ist in den Fels gebaut. Es gibt aber im Zentrum auch viele freistehende Gebäude.

In einigen Vierteln gewinnt man den Eindruck, man würde sich unter freiem Himmel befinden.

Ein Großteil der Häuser wirkt auf mich kühl und schlicht. Sie erinnern mich an Häuser aus Kappadokien im terranischen Bundesstaat Türkei oder den Höhlenhäusern in Navarra in Spanien.

Eine Ausnahme bildet der Stadtkern. Dieser ist prachtvoll. Eine breite Straße führt zur Innenhöhle. Die seitlichen Wohnungen am Straßenrand reihen sich bis fast zur Decke, die sich dann wölbt und von hellen Lichtern erleuchtet ist. Die Wände sind gelb. Die Unterkünfte reihen sich entlang der Wände und umgeben den Stadtkern. Dort befinden sich freistehende Gebäude aller möglichen Architekturstile. Es sind Häuser mit roten Kuppeldächern, spitze Wolkenkratzer, die an Terrania oder New York erinnern. Im Zentrum steht ein weiß bis silbern schimmernder Baum, dessen Krone und Äste die Höhlendecke berühren. Die Wohnungen an der Seite des Stamms sehen aus wie Baumpilze. Der Baum ist natürlich kein echter Baum. Es ist ein elegantes Gebäude. Es dominiert das ganze Viertel.«

Geschichte

Nach Nistants Erzählungen ist Amunrator aus einer uralten Bergbaustadt Annysberg auf dem originalen Planeten Thol entstanden. Demnach müsste die Stadt weit über 210 Millionen Jahre alt sein. Sie wurde nach dem Kosmokraten Amun benannt.

Bedeutung

In Amunrator befindet sich im »großen Baum« die Schalt- und Steuerzentrale des Rideryons. Angeblich führt ein Schacht direkt ins Zentrum des Rideryons.

Außerdem findet in Amunrator die Weihe des Spähers des Rideryons statt, eine feierliche Zeremonie, in der die Kundschafter vor ihrem Aufbruch in eine unbekannte Galaxie gesegnet werden.

Feen von Miskatoor

Die kleinen Miskatoor-Feen ähneln tatsächlich Feen aus Märchen. Es sind kleine Humanoide mit großen Augen und Flügeln. Sie sind sehr friedlich und pazifistisch. Sie legen Streitigkeiten bei und gelten als die Diplomaten in der Riffgemeinschaft. Ihr Lebensraum sind märchenhaft schöne Wälder, Pilzwälder, Berglandschaften und stark blühende, oft blaue Wiesen mit kniehohem Gras. Ihre »Tageszeiten« dauern 31 Stunden und sie sind an 0,8 Gravo gewöhnt. Ihre Hauptstadt ist die 7 Millionen Einwohner zählende Metropole Miskatara mit ihren charakteristisch gewundenen, blauen oder bunten Türmen. Das Klima im Land Miskatoor ist angenehm warm fast ohne Jahreszeiten bei einem heiteren Wetter.

Ihre Einwohnerzahl wird auf ca. 750 Millionen geschätzt, wovon die meisten jedoch in kleineren Städten bis 500.000 Einwohner leben. Ihr Verbreitungsgebiet ist etwa so groß wie Eurasien.

Alcanar Benington

Geboren: 09.09.1254 NGZ

Gestorben: 27.07.1308 NGZ

Geburtsort: Tarate, LFT

Größe: 1,81 m

Gewicht: 76,5 kg

Augenfarbe: grau

Haarfarbe: braun

Bemerkungen: schlank, sportlich, sehr streng und hart, auf seinen Vorteil bedacht, will die Dinge für sich mit allen Mitteln zum Ziel bringen


Alcanar Benington wächst als Sohn armer Bauern auf der Welt Tarate auf. Er muss sich in seinem Leben stets hocharbeiten. Ihm wird nichts geschenkt. Deshalb verbeißt er sich in seine Aufgabe und wird mit der Zeit skrupellos. Er legt eine glänzende militärische Karriere in der Raumakademie der LFT hin und wird auf seine Bitte hin nach Cartwheel versetzt, wo er mehr Möglichkeiten für sich sieht.

So wird er als Offizier in der Ausbildung in der Elite-Akademie Redhorse Point eingesetzt. Seine Arroganz und sein Sadismus sind schnell bei den Kadetten gefürchtet. So legt er sich auch mit Jonathan Andrews und Remus Scorbit an. Letztlich wird Benington degradiert und seine Ausbilderkarriere ist vorbei.

Dank des Einsatzes von Stephanie de la Siniestro bekommt Benington jedoch eine zweite Chance beim Militär und so gehört er während der Linguskrise zu den Ausbilderoffizieren.

Mit zunehmender Stärke des Bundes der Vier und begünstigt durch Stephanie kann Benington seine Offizierskarriere ausbauen. So verdient sich Benington zwischen 1298 und 1302 NGZ während der Alienkrise seine Lorbeeren in Cartwheel. Mit Gründung des Quarteriums kommt er in den Rang eines Generals.

1305 NGZ führt Benington das Kommando bei der Eroberung von Som-Ussad und erhält dafür eine Beförderung zum Generaloberst. In der Folgezeit zeichnet sich Benington mit seinen Soldaten während der Eroberungen in Som-Ussad, Erendyra und Trovenoor aus.

Zu dieser Zeit führt der quarteriale General eine leidenschaftliche Affäre mit Stephanie de la Siniestro.

1306 NGZ ist Benington auch bei der Invasion in M 87 eingesetzt und feiert Erfolge bei Pompeo-Poser.

1307 NGZ kommandiert Benington als Generalmarschall eine Flotte in Andromeda. Er scheitert jedoch bei der Belagerung von Vircho und wird abermals degradiert. Aufgrund der Degradierung und dem Friedensvertrag von Som Anfang 1308 NGZ sympathisiert Benington mit Putschisten, darunter auch Stephanie. Als der Emperador auf dem Rideryon festsitzt und das Rideryon in Richtung Cartwheel unterwegs ist, erklärt das Quarterium den Alliierten erneut den Krieg. Die Benington-Raids sind von Ende Juni bis Ende Juli sehr erfolgreich.

Als Benington eine Entscheidungsschlacht sucht, wird er von Generalmarschall Toran Ebur zur Rede gestellt. Blind vor Ehrgeiz und Begierde zu Stephanie ersticht Benington seinen Vorgesetzten. Als Benington dann mit Stephanie Sex hat, wird er mit dem beinahe letzten Atemzug von Ebur erschossen und stirbt am 27. Juli 1308 NGZ auf der SOLARE EMPIRE.

Kleine Claudya

Die Kleine Claudya ist ein Transformgeschütz auf dem Planeten Som-Ussad. Das Abwehrgeschütz wurde vom Quarterium im Jahre 1305 NGZ errichtet.

Das gigantische Transformgeschütz mit einem Kaliber von 12.000 Gigatonnen TNT ist die gewaltigste Kanone in der ganzen Galaxie. Die Reichweite der Kleinen Claudya beträgt 127 Millionen Kilometer. Sie kann drei Salven in der Sekunde abfeuern. Gesetzt den Fall, dass jeder Schuss ein Treffer ist, kann das Planetengeschütz damit 180 Raumschiffe in der Minute vernichten.

Die Kleine Claudya thront auf einem 600 Meter durchmessenden Pyramidensockel, der 100 Meter hoch ist. Der linsenförmige Multiprojektorkopf besitzt einen Durchmesser von 400 Metern und eine Höhe von 100 Metern. Das ganze monumentale Konstrukt ist grau. Das blaue Wappen des Quarteriums leuchtet an allen Seiten als Emblem.

Die Energieversorgung und die Munitionszuführung der Geschützstellung erfolgen durch den vor Bombardements geschützten Sockel. Unterhalb des Sockels befinden sich die Fusionsreaktoren für die Energieversorgung.

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