Cover DORGON-Band 97

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Band 97

Quarterium-Zyklus


Friedenskonferenz Wanderer

Alle Mächte treffen sich auf Einladung der Superintelligenz


Nils Hirseland



Was bisher geschah Hauptpersonen des Romans
Es herrscht Krieg im Jahre 1307 NGZ!

Nach der Gründung des neuen Imperiums der Menschen, des Quarteriums, war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem intergalaktischen Eklat kam. Als die Dorgonen Anfang 1305 NGZ die estartischen Galaxien angreifen und zu unterdrücken beginnen, bricht der große Krieg los.

Eine Allianz aus Saggittonen, Akonen und USO-Agenten – unterstützt von der Liga Freier Terraner – hilft den estartischen Rebellen. Das Quarterium greift zugunsten seiner Verbündeten, der Dorgonen, ein und nutzt diesen Krieg, um ganz Cartwheel zu unterwerfen.

In dieser verzweifelten Zeit, in der die Schergen der finsteren Entität MODROR die Oberhand gewinnen, erscheint die Superintelligenz ES und gibt neue Hoffnung. ES lädt ein zur FRIEDENSKONFERENZ WANDERER …
Perry Rhodan – Der Unsterbliche hofft auf eine Lösung.

Aurec – Der Saggittone schöpft neue Hoffnung.

Kathy Scolar, Nataly Andrews, Jaaron Jargon – Der Chronist und die jungen Frauen sind endlich wieder in Freiheit.

Emperador de la Siniestro, Kaiser Commanus, Sruel Allok Mok, Imperator Bostich, Joak Cascal, Rosan Orbanashol-Nordment, Osiris – Anführer der jeweiligen Interessengruppen.

ES – Die Superintelligenz erweist sich als ungewohnt offen und hilfsbereit.

Elyn, Gucky, Roi Danton, Remus Scorbit, Uthe Scorbit, Jonathan Andrews, Mathew Wallace, Gal’Arn, Saraah, Arimad, Lorif, Irwan Dove – Sie betreten die Welt Wanderer.

Prolog

Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt.

Ralph Waldo Emerson

*

Aus den Chroniken Cartwheels oder Die Reise eines Linguiden

Die Nachricht von der Feier entzückte alle drei Damen gleichermaßen. Der Emperador ließ ihnen einen Berg Kleider zur Auswahl bringen und mir einen neuen Anzug. Nun musste ich als Jury für die Modenschau herhalten. Allerdings muss ich gestehen, dass mir diese Aufgabe ein gewisses Vergnügen bereitete.

Nach zwei Stunden hatten sich alle drei Frauen das passende Outfit ausgesucht. Meine Nichte Nataly trug eine dezente, aber sehr elegante schwarze Kombination. Die Schultern waren frei, das Dekolleté meines Erachtens zu gewagt und die Hosen waren ab den Knien weit ausgeschnitten, so dass ihre schwarzen Stiefel zum Vorschein kamen.

Kathy trug ein rotes Kleid, hoch geschlossen, aber keineswegs prüde wirkend. Der Schlitz im Rock und der freie Rücken würden wohl jeden Mann zum Hinschauen verlocken. Rosan Orbanashol-Nordment wählte ein enges, grünes, mit funkelnden Diamanten besetztes Kleid, das all ihre sehr weiblichen Rundungen betonte. Ich war mir sicher, dass nicht nur der Emperador von ihrem Anblick gebannt sein würde.

Einige Sicherheitsbeamte betraten unser Quartier, unter ihnen der Kommandant der EL CID, Oberst Tantum.

»Mein Herr, meine Damen. Ich habe Sie darüber zu informieren, dass für Sie um zwanzig Uhr eine Fähre bereitsteht. Sie werden mit Ihrer Hoheit dem Emperador, dem Gos’Shekur und Quarteriumsmarschall Despair reisen. Leider darf auf Befehl des Emperadors Miss Orbanashol-Nordment nicht mitkommen …«

»Aber wieso?«, rief Kathy überrascht. »Sie hat auch das Recht, endlich mal wieder unter normale Menschen zu kommen.«

»Das ist eine Frechheit!«, stimmte ihr meine Nichte Nataly zu. »Ihr habt wohl einen totalen Dachschaden.«

Tantum schien unbeeindruckt und entschuldigte sich damit, dass er seine Befehle habe. Er und die Sicherheitsleute verließen unseren Raum. Rosan schien wenig überrascht, wirkte aber dennoch enttäuscht.

»Ich kann mir denken, warum ich nicht mit darf …«

Kathy setzte sich zu ihr.

»Wieso? Weil du die Leiterin der USO bist?«

»Das ist es nicht allein. Sondern weil ich einige Dinge über das Quarterium weiß, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. Bestimmte Geschehnisse innerhalb des Reiches, von denen ihr auch nicht wisst.«

»Was für Dinge?«

Kathy wurde neugierig.

»Wir müssen Aurec davon berichten!«

Rosan schüttelte den Kopf.

»Nein, ihr solltet nichts davon wissen. Je weniger ihr wisst, desto sicherer ist euer Leben. Geht ohne mich, und wenn ihr clever seid, kehrt nicht mehr zurück.«

Raumstation SOLARIS STATION

Elyn

Das Jahr 1306 NGZ war ein trauriges Jahr für die Bewohner Druithoras gewesen. Seit einigen Monaten tobte der Krieg in M 87. Es war ein grauenvoller, rücksichtsloser Krieg, der auf beiden Seiten mit unerbittlicher Entschlossenheit geführt wurde.

Gefangene wurden kaum gemacht, die Rechte der Wesen wurden mit Füßen getreten.

Elyn war sehr froh, diesen Ort des Grauens für eine Weile verlassen zu können. Die TERSAL war direkt aus M 87 durch das Sternenportal gekommen. Das Quarterium hatte Wort gehalten und sie unbeschadet passieren lassen.

Die Alyske betrachtete gelangweilt das Chronometer, welches die terranische Zeitrechnung anzeigte: 3. April 1307 NGZ. In zwei Tagen begann die Konferenz von Wanderer.

Vor ihnen lag die Raumstation SOLARIS STATION, hinter ihr die beiden anderen Stationen SOL STATION und SUN STATION. Elyn war seit fast einem Jahr nicht mehr hier gewesen.

Es hatte sich nichts verändert. Die tausend Schiffe MODRORs blockierten immer noch das Sternenportal. Sie waren zwar nicht in der Lage, Ankömmlinge abzuwehren, führten jedoch Kontrollen beim Abflug durch das Sternenportal durch.

Unweit davon entfernt befanden sich fünftausend Schiffe der LFT, der Posbis, Tefroder und der Maahk sowie einige wenige Haluterraumer und fünftausend SUPREMO-Raumer des Quarteriums. Die Schiffe hatten in den letzten Monaten gemeinsame Übungen abgehalten, um der Bedrohung durch MODROR entgegenzutreten. Elyn deutete dies als erstes hoffnungsvolles Zeichen der Annäherung zwischen den beiden menschlichen Staaten.

Hinzu kamen jetzt hunderte Schiffe aller möglichen Völker, allen voran saggittonische, dorgonische und akonische Raumer. Für Elyn, die noch vor kurzer Zeit in M 87 gegen das Quarterium gekämpft hatte und nun all jene Stahlkolosse friedlich nebeneinander schweben sah, bot sich ein seltsames Bild.

Das war hier möglich, denn politisch gesehen waren die LFT und das Quarterium noch Verbündete, während die Allianz aus USO, Saggittor und Akon zu den Feinden des Quarteriums zählten.

Dass die LFT die USO mit Waffen und Raumschiffen unterstützte, war dem Quarterium sicherlich bekannt, doch anscheinend kein Kriegsgrund für Emperador de la Siniestro. Außer er spielte auf Zeit. Oder gab es andere Gründe?

Elyn betrachtete Gal’Arn und Jaktar. Inzwischen hatte sie sich an den weisen Ritter gewöhnt, der ihr um einiges voraus war, obgleich er jünger war als sie. Doch Gal’Arn strahlte eine seltene Souveränität aus. Selbst Elyn konnte nach all ihren Lebensjahren noch etwas von ihm lernen.

Den Krieg hatte sich die Alyske nicht so grausam vorgestellt. Es war abscheulich, mitansehen zu müssen, wie Skoars und Dumfries Menschen totprügelten und quarteriale Soldaten die Zivilbevölkerung in M 87 erniedrigten und niedermetzelten. Dieser Krieg wurde mit unvorstellbarem Hass geführt, den die Bestien auf die Spitze trieben. Sie kannten kein Erbarmen. Anscheinend war Torsor davon besessen, ganz M 87 zu entvölkern.

Umso ungewöhnlicher war die Situation am Sternenportal der Lokalen Gruppe.

Die TERSAL landete im großzügig angelegten Hangar von SOLARIS STATION. Die Alyske freute sich, endlich wieder Bewegungsraum zu bekommen. Am Leben teilzuhaben. Die Eindrücke von M 87 waren schwer zu verarbeiten und der beengte Raum auf der TERSAL hatte sie auch nicht recht abschalten lassen, selbst wenn Jaktar immer bemüht war, sie aufzuheitern, und Gal’Arn ihr in Gesprächen half, den Tod hinter sich zu lassen.

Zwei Terraner und ein kleines Pelztier begrüßten die Ankommenden. Elyn hatte von dem Knirps aus Infomaterial über die terranische Geschichte gehört. Sein Name … der hatte was mit den großen, glänzenden Augen zu tun, die sie neugierig musterten. Der Kleine hielt ihr die Handfläche entgegen, spreizte zwei Finger und sagte: »Lebe lang und in Frieden, Vulkanierin.«

Elyn wusste damit nichts anzufangen.

»Guten Tag«, erwiderte sie zögerlich.

Gucky zeigte seinen blinkenden Nagezahn.

»War ein Insider. Du musst Elyn sein, die Alyske. Ich bin Gucky, Retter des Universums, Überallzugleichtöter, meistverkauftestes Stofftier neben dem Teddybären und vieles mehr. Es würde den Abend füllen, wenn ich dich mit meinen Heldentaten und Auszeichnungen ergötzen wollte.«

Elyn war sprachlos. Dann musste sie loslachen. Das war ihr peinlich. Sie wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, Gucky auszulachen, und hoffte, er sah das auch so. Ein Terraner mit dunkler Hautfarbe reichte ihr die Hände.

»Schöne Frau, ich bin Will Dean, Agent des TLD. Stets zu Diensten.«

Sie ergriff die Rechte des freundlichen Terraners. Er wirkte auf sie sehr charmant. Der zweite Terraner, der sie begrüßte, war ihr bestens bekannt: Remus Scorbit. Sie gab ihm eine freundschaftliche Umarmung.

»Wie geht es deiner Frau?«

Remus schüttelte den Kopf.

»Wir leben in Trennung. Uthe versteht leider nicht, was mir in meinem Leben wichtig ist. Es war eine schwere Entscheidung, aber ich benötige meine Freiheit.«

Elyn war über diese Nachricht betrübt. Dass Remus und Uthe Scorbit sich nach so vielen Jahren getrennt hatten … Aber sie wusste ja, dass Uthe nichts mit kosmischen Abenteuern am Hut hatte. Sobald Remus sich entschlossen hatte, wieder aktiv am Kampf gegen MODROR teilzunehmen, war der Konflikt unvermeidlich gewesen. Er hatte seine Wahl getroffen. Vielleicht war es für beide Beteiligte das Beste.

Gal’Arn und Jaktar wurden nun auch von Scorbit, Dean und Gucky begrüßt.

»Wir sind froh, euch wiederzusehen. M 87 ist kein schöner Platz«, sagte Gal’Arn und bestätigte damit Elyns Eindrücke. »Es sieht schlecht aus für die Konstrukteure. Der Krieg wird mit aller Brutalität geführt.«

Während die drei zu ihren Kabinen gebracht wurden, berichtete Will Dean über die Lage am Sternenportal.

»So langsam trudeln die Raumschiffe der verschiedenen Völker hier ein. Die SAGRITON, EL CID und die LEIF ERIKSSON sind schon da.«

»Jonathan«, rief Gal’Arn mit sichtlicher Freude.

Dean nickte.

»Ganz richtig. Wir werden sie alle heute Abend treffen. Rhodan gibt auf der SOLARIS STATION einen Empfang. Das wird bestimmt höchst interessant, mit den ganzen legendären Persönlichkeiten«, erklärte Dean.

Die Gruppe erreichte Elyns Kabine und sie verabschiedete sich. Jetzt wollte sie erst einmal in Ruhe ein Bad nehmen.

1. Die Feier für den Frieden

Aurec

Es tat ausgesprochen gut, Perry Rhodan wiederzusehen. Wir umarmten uns herzlich bei der Begrüßung. Perry reichte Jonathan Andrews die Hand und lächelte ihm zu.

»Ihr seid die ersten Gäste«, meinte er und grinste. »Von mir aus muss der Rest auch nicht kommen.«

»Mit Ausnahme von Kathy … und Nataly«, erwiderte ich. Dabei sah ich Jonathan vielsagend an. Er verstand mich nur zu gut.

Perry führte uns in einen großen Saal, der festlich hergerichtet war. Alles, was man für einen Ball benötigte, war vorhanden. Ein Buffet, Tresen, eine Musikband, Tanzfläche, Sitzgelegenheiten, einfach alles. Geschmackvoll dominierten Rot und Gold die farbliche Gestaltung des Saales.

»Unten geht es spießig zu, aber oben steigt die richtig geile Party!«

Gucky! Der Ilt war plötzlich neben uns aufgetaucht. Er strahlte über beide Wangen und präsentierte seinen blitzenden Nagezahn.

»Also, wenn ihr nicht zu den alten Säcken gehören und lieber zu elektronischer Musik abhotten wollt, dann ab in die obere Etage!«

Andrews grinste.

»Nach einer Flasche Whiskey können wir darüber reden.«

Ich musste lachen. Gegen einen guten Tropfen hatte ich auch nichts einzuwenden, doch musste ich mir bewusst sein, dass wir hier nicht zum Spaß waren. Morgen würde ein historischer Tag anbrechen, der über Wohl und Wehe aller mir bekannten Völker entschied.

»Ah, Mozart!«, kommentierte eine dunkle Stimme aus dem Hintergrund die Musik der Band. Es war Sam. Mit ihm waren Jan Scorbit, Mathew Wallace, seine Verlobte Saraah und Xavier Jeamour gekommen.

»Hey, Kleiner«, sprach Gucky ihn an.

»Ich denke, ich bin immer noch etwas größer als Sie, Herr Maus!«

»Mausbiber!«, stellte Gucky richtig. Er wirkte beleidigt.

Sam zwinkerte ihm zu. Damit war alles geklärt. Er begrüßte die anderen freundlich. Gerade betraten Remus Scorbit, Gal’Arn und Will Dean den Saal. Das Wiedersehen der beiden Scorbit-Zwillinge fiel auch sehr herzlich aus.

»Alle beieinander«, sagte Jan sichtlich zufrieden. »Bis auf eure beiden holden Damen …«

Er sah mich und Jonathan an. Hoffentlich würde sich das bald ändern. Ich sehnte mich nach Kathy. Vielleicht war es nur noch eine Frage von Minuten, bis ich sie in meine Arme schließen konnte.

Eine Bedienung brachte ein Tablett. Jonathan ergriff zwei Whiskey-Gläser und reichte mir eines.

»Auf dass die beiden bald da sind!«

Ich stieß mit ihm an.

»Jo, gute Idee«, meinte Jan Scorbit und nahm sich ein Vurguzz-Glas.

Will Dean zögerte auch nicht lange. Gal’Arn, Remus, Perry und Sam hingegen nahmen nur nichtalkoholische Getränke zu sich. Perry wollte einen klaren Kopf bewahren, wobei sein Zellaktivator sowieso einen Rauschzustand verhindert hätte. Remus wollte offensichtlich ebenfalls klar im Kopf bleiben. Sam und Gal’Arn tranken aus Prinzip nicht. An sich eine lobenswerte Eigenschaft, aber nach all den Abenteuern und Eskapaden hatte ich mir mal einen Drink verdient.

Langsam füllte sich der Raum mit Gästen. Die Delegationen der verschiedensten Völker betraten die Festhalle, dazu ebenso viele Journalisten, Geschäftsmänner, Zivilisten und Prominente. Sie alle waren dem Ruf von ES gefolgt. Es beeindruckte mich sehr, welche Wirkung ES auf die Völker hatte.

»Wir haben nun einige dienstliche Pflichten«, sagte Perry und sah mich an.

Ich verstand, leerte mein Whiskey-Glas und stellte es weg. Rhodan nickte Sam zu. Wir drei gingen zum Eingang des Saals, um die Honoratioren zu begrüßen. Nun kamen die Dorgonen. Mir wurde ganz anders, als ich dieses prunkvoll kostümierte Pack sah, deren Kleidung an die Rüstungen und Gewänder des alten Rom erinnerte. Mit Ausnahme der wunderschönen Arimad: Die Schwester von Ulesia, der Frau, die ich einst liebte, hatte ein freundliches Gesicht und wirkte ebenso schön wie traurig. Neben ihr schritt ihr Gemahl Commanus, der Kaiser Dorgons. Begleitet wurden sie von Legat Falcus und Commanus Bruderschwester Elgalar.

Elgalars Anblick war eine Sache für sich. Er – sie – trug ein pinkes Kleid, das bis zu den Knien reichte. Die Schuhe hätten einer Frau gut gestanden. Sein ganzer Körper war mit Schmuck verziert, das Kleid hatte am Bauch einen Ausschnitt. Aus dem Bauchnabel baumelte ein Piercing. Die Haare waren hochgesteckt, die Lippen grellrot angemalt.

Rhodan begrüßte die dorgonische Delegation.

»Es freut mich, dass auch du, Commanus, dem Ruf unserer Superintelligenz gefolgt bist.«

»Fühle dich nicht geschmeichelt, Rhodan«, sagte Commanus schroff. »Der Emperador hat darauf bestanden. Mir bedeutet deine Superintelligenz nichts. Vielleicht aber kann ES euch überzeugen, dass wir Dorgonen im Recht sind. Wenn ES so weise ist, wie ihr Terraner behauptet, wird er das sicherlich tun.«

Rhodan war für einen Moment sprachlos.

»Ich wünsche noch einen schönen Abend hier«, meinte er schließlich, sah zu mir herüber und verdrehte die Augen.

Ich begrüßte Arimad und ging mit ihr etwas beiseite.

»Wie erträgst du es mit diesem Scheusal?«, fragte ich sie direkt.

Arimad sah mich vorwurfsvoll an, aber die Etikette war mir in diesem Moment egal. Mir ging es um ihr Wohlergehen.

»Mein Volk braucht mich. An seiner Seite kann ich viel bewirken, so wie ich es auf Som getan habe. Das ist das Wichtigste.«

»Dein Mut und deine Sorge um dein Volk und den Krieg sind ehrenwert, doch du wirst das nicht ewig durchstehen können. Schließe dich offiziell dem Widerstand an. Stürze Commanus und führe den Traum deines Vaters fort.«

Sie sah mich überrascht an.

»Ich habe nicht die Kraft meines Vaters …«

Ich nahm ihre Hand in die meine und drückte sie.

»Du hast dieselbe Kraft, wie sie dein Vater und deine Schwester besessen haben. Du kannst Dorgon in eine bessere Zukunft führen. Wir alle wollen dir dabei helfen.«

Sie lächelte kurz.

»Danke!«

Eine durchdringende Stimme unterbrach unser Gespräch.

»Gemahlin, wo bleibst du? Musst du dich mit unseren Gegnern abgeben?«

Am liebsten hätte ich meine Faust in Commanus’ arroganter Fratze platziert, aber im Gegensatz zu ihm wahrte ich die Höflichkeit und die Regeln der Diplomatie.

Arimad begab sich wieder an die Seite ihres Mannes zurück. Die dorgonische Delegation zog in Richtung Buffet von dannen. Dort sah ich auch den Abgesandten der Völker aus M 87, den Druis Druid Aflesh, der sich mit sichtlicher Begeisterung über das terranische Essen hermachte.

Mein Atem stockte. Im Eingang des Saals erschien die quarteriale Delegation! Kathy! Mein Herz schlug höher. Zuerst betraten de la Siniestro, Jenmuhs und Despair die Bühne, gefolgt von Stephanie de la Siniestro, Werner Niesewitz und Katschmarek. Hinter ihnen erkannte ich Kathy, Jaaron und Nataly.

Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich tun sollte. Zuerst die Quarteriums-Leute begrüßen? Nein! Ich drängte mich an ihnen vorbei und stand, ehe ich mich versah, vor ihr. Sie verharrte in ihrer Bewegung und starrte mich an. Beide waren wir wie versteinert. Nach all den Monaten! Die vielen einsamen Monate, die mir wie Jahrzehnte vorgekommen waren.

Tränen der Freude liefen über Kathys Wangen. Wortlos schloss ich sie in meine Arme, drückte sie fest an mich. Es war mir in diesem Moment gleichgültig, was um mich herum geschah. Kathy und ich waren wieder vereint.

Sie fing an zu weinen. Ich streichelte über ihr Haar, küsste sie und umarmte sie wieder.

»Aurec«, hauchte sie immer noch fassungslos. »Ich habe dich so sehr vermisst. Ich liebe dich!«

»Ich liebe dich auch, Kathy!«

Endlich waren wir wieder zusammen. Einen zeitlosen Augenblick lang versank die Welt um uns. Dann tippte jemand auf meine Schulter. Es war Perry. Nur widerwillig ließ ich Kathy los.

»Dazu habt ihr später noch Zeit …«

Ich blickte mich um und sah die ungehaltenen Gesichter der Quarterialen. Offenbar nahmen sie mir übel, dass mir Kathy wichtiger gewesen war, aber das scherte mich herzlich wenig. Die Routine diplomatischen Umgangs half mir, angemessen zu reagieren: Ich ergriff die Hand des Emperadors und schenkte ihm ein angemessen dosiertes Lächeln. Den anderen nickte ich begrüßend zu.

Dann nahm ich Kathy bei der Hand und zog sie mit mir.

»Die Herrschaften entschuldigen uns bitte. Perry wird sich um Sie kümmern.«

Ich zwinkerte Rhodan zu, der sich ungehalten räusperte. Dann gingen wir in einen Nebenraum.

*

Wir küssten uns innig. Wie sehr hatte ich das vermisst! Nachdem wir wieder etwas klarer denken konnten, setzten wir uns hin. Kathy schmiegte sich an mich.

»Auf diesen Moment habe ich seit 574 Tagen gewartet«, flüsterte sie.

»So lange ist das her?«

»Naja, ungefähr. Du weißt, ich bin in Mathe nicht die beste.«

Wir lachten. Es tat gut, sie wieder an meiner Seite zu haben. Ihre Anwesenheit gab mir Kraft. Zum ersten Mal seit vielen Monaten fühlte ich mich wieder als Mensch, nicht als Maschine, die nur noch funktionierte. Kathys Nähe gab mir die Hoffnung und Kraft, diesen Konflikt bis zum Ende zu führen.

»So viel Zeit ist vergangen. Es ist so viel passiert«, sagte sie. »Ich habe mich verändert.« Sie blickte zu mir hoch. »Langsam gewöhne ich mich an die ständigen Abenteuer. Ich weiß jetzt, wie man mit Waffen umgeht, wie man fechtet und all diesen Kram.«

»Normalerweise müsste eine Frau die Kriegskunst nicht erlernen, doch in Zeiten wie diesen ist es unvermeidbar. Es nimmt mir eine große Sorge, wenn ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst.«

»Das werde ich auch bald müssen, sollte diese Konferenz scheitern. Dann werden wir wieder getrennt.«

Nein! Das durfte nicht geschehen! Instinktiv drückte ich sie eng an mich.

»Wir trennen uns nicht mehr. Du wirst nicht mehr auf die EL CID zurückkehren. Da kann der Emperador tun, was er will.«

»Nataly und Jaaron müssen aber auch hierbleiben.« Sie schmunzelte. »Ich hätte nie gedacht, dass ich Nataly einmal meine beste Freundin nennen würde …«

»Dinge ändern sich. Man lernt Freunde und Feinde erst in der Gefahr kennen.«

Wir schwiegen und genossen diesen Moment. Mein Körper und meine Seele waren endlich wieder im Einklang. Ich war zufrieden, glücklich und schöpfte Mut und Hoffnung. Kathy ahnte nicht, wie wichtig sie für das Wohl Saggittors und aller Völker war. Denn sie gab mir die Kraft, für diese Wesen zu kämpfen.

Die Feier

Cauthon Despair

Ich hatte wie immer den zweifelhaften Vorteil, mich nicht schick machen zu müssen. Meine Rüstung war poliert, mein Caritschwert blitzte, mein Umhang war sauber. Mehr brauchte ich nicht. Ich erinnerte mich flüchtig an die Zeiten, als ich ein junger Mann war. Damals hatte ich mich zurecht gemacht, um auf Frauen zu wirken. Es hatte niemals hingehauen. Ich war damals immer nur der Narr gewesen, über den sich andere lustig gemacht, den sie einfach nicht für voll genommen hatten.

Das hatte sich entscheidend geändert. Meine Rüstung symbolisierte meine Stärke. MODROR hatte aus mir einen Ritter gemacht, den jeder respektierte und sogar fürchtete. Eine Rolle, die mir gefiel, auch wenn ich niemals lieben würde.

Partys hatten mich seit jeher gelangweilt. Diese bildete keine Ausnahme. In meinen Augen gab es nichts zu feiern, denn diese Konferenz würde scheitern. Entweder gelang es den zerstrittenen Völkern sowieso nicht, einen Konsens zu finden, oder MODROR würde eingreifen. So oder so, Grund zum Feiern gab es nur für die Anhänger MODRORs. Deshalb hatte ich eigentlich einen Grund, aber es widerte mich an, diese Emotionen zu zeigen. Ich war der unnahbare Ritter. So sollte es bleiben. Trotzdem musste ich belanglose Konversation betreiben und gute Miene zum bösen Spiel machen, solange es ein Spiel blieb.

Ich gesellte mich zu Emperador de la Siniestro, der mit Diabolo und seiner Tochter Stephanie nahe bei Perry Rhodan stand und sich bei ihm einschmeichelte. Demütigend war das. Diese Anbiederung hatte de la Siniestro wahrlich nicht nötig.

Roi Danton erschien. Er wirkte in seinem Kostüm eines französischen Edelmannes eitel und affektiert.

»Bonjour, entschuldigt die Verspätung. Ich wurde aufgehalten von so einem Bürokraten der CIP …«

Der Emperador hustete. Stephanie warf sich Roi an den Hals. Ich fragte mich, ob sie etwas damit zu tun hatte, dass Brettany auf Siniestro geblieben war. Wahrscheinlich rechnete sich Stephanie so mehr Chancen bei Danton aus.

Rhodans Sohn löste sich aus ihrer Umklammerung und grüßte Gucky. Er nahm ein Glas Champagner. Beide standen schweigend nebeneinander.

»Und sonst?«, fragte Gucky.

»Ja …«

»Jo … nett«

Ich wandte mich von dem langweiligen Gespräch ab und beobachtete lieber die Gäste.

Alle waren sie gekommen. Unweit mir gegenüber unterhielt sich Uthe Scorbit mit ihrer naiven Freundin Yasmin Weydner und der seltsamen, unnahbaren Alyske Elyn. Eine ungewöhnliche Gruppe. Uthes Noch-Ehemann saß mit seinem Bruder Jan, Mathew Wallace und Will Dean an der Bar. Aurec hatte sich längst mit seiner Geliebten zurückgezogen.

»Hey, Großer! Na, alles klar unter der Blechbirne?«

Gucky! Der hatte mir gerade noch gefehlt! Offenbar war ihm die Konversation mit Danton zu langweilig gewesen.

Ich sah zu dem Mausbiber hinab, der mich aus seinen großen Augen ansah und grinste. Sicherlich versuchte er meine Gedanken zu lesen, doch daran biss er sich seinen einzigen Zahn aus. Im Grunde mochte ich dieses kleine Pelzwesen, stand es doch für Gerechtigkeit und Ordnung zu Zeiten des Solaren Imperiums. Doch wir befanden uns auf gegnerischen Seiten. Bald würde auch er wissen, wie verfeindet wir waren und ihm würde sein Humor schnell vergehen, wenn die quarteriale Flagge über Terrania City wehte. Dann würde er kämpfen.

»Ich habe deine Präsenz nicht vermisst, Ilt«, sagte ich barsch und hoffte, er würde gekränkt verschwinden.

»Tja, von den einen vergöttert, von den anderen gehasst. Das Schicksal aller Superhelden. Aber ich verzeihe deine Impertinenz. Wollen wir nicht einen drauf machen? Oben spielt eine tolle Mucke. Du kannst ja den Robotertanz vorführen.«

Gucky wollte mich offensichtlich provozieren. Sein plumper Humor brachte mich jedoch nicht aus der Fassung. Ich ignorierte ihn einfach. Aber das war bei diesem Ilt nicht so einfach. Er glotzte mich an und grinste. Ich blickte in seine braunen Kulleraugen, die jedes Herz erweichten. Beinahe auch das meine. Immerhin hatte er mich als kleines Kind auf Mashratan vor perversen Einheimischen gerettet.

Die kleine Gruppe der Damen begab sich zu uns. Uthe nickte mir zurückhaltend zu, während sie Gucky freundlich begrüßte. Yasmin gab dem Ilt einen dicken Kuss. Elyn hielt sich im Hintergrund. Die attraktiven Frauen musterten mich skeptisch.

Warum? Glaubten sie, ich sei ein Monster? Ich war keines. Oder doch? Was unterschied mich von einer Bestie? Ich war MODRORs Kettenhund, nicht mehr und nicht weniger. Egal was ich fühlte – ich durfte nicht so lange schweigen, sonst schöpfte Gucky vielleicht Verdacht.

»Meine Damen, ich bin erfreut, Sie zu sehen. Frau Scorbit, es ist schade, dass Sie nicht mehr Sozialministerin sind. Wirklich bedauerlich.«

»Wozu benötigt eine Diktatur eine Sozialministerin?«

»Sie tun dem Quarterium Unrecht. Wir sind nicht so schlimm, wie Sie denken. Konservativ, monarchistisch und sogar imperialistisch. Aber wir sind keine Tyrannei. Außerdem habe ich gehört, dass Orlando de la Siniestro Ihre Nähe sucht?«

Uthe blickte mich seltsam an. Ihre Augenlider zuckten. War sie nervös? Fühlte sie sich ertappt?

»Er hat mich eingeladen. Ich werde seiner Aufforderung vermutlich im Juni folgen. Die Trennung von meinem Gatten ist noch sehr frisch. Sie schmerzt. Von ›Nähe suchen‹ kann daher keine Rede sein.«

Natürlich. Wahrscheinlich würde sie sich Orlando nach ein paar Gläsern Wein, jammern um ihre Ehe und romantischem Gesäusel um den Hals werfen. Gleich am ersten Abend.

Ich beobachtete Yasmin Weydner. Sie tanzte unbeschwert, wirkte vergnügt und gut gelaunt. Wieso waren die anderen Menschen so viel glückseliger und genügsamer als ich? Vielleicht, weil ihnen nicht in frühester Jugend alles verwehrt worden war?

Uthe Scorbit ignorierte mich oder sie war nicht gewillt, weiter mit mir zu reden. Ihre Schönheit glich ihrer Arroganz. Beides war enorm.

Das Zerbrechen von Glas ließ mich aufhorchen. Ich sah in das erschrockene Gesicht des Emperadors. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Eingang. Was ich dort sah, ließ mich ebenfalls zusammenfahren. Joak Cascal, Anya Guuze und Horus marschierten in die Halle. Das durfte nicht wahr sein!

Aber noch eine vierte Person betrat den Saal, was mich überraschte, erschreckte und zugleich in größte Euphorie versetzte. Eine ein Meter dreiundsechzig kleine Frau mit strahlenden blaugrünen Augen und hochgesteckten blonden Haaren marschierte in die Halle. Sie trug ein schwarzsilbernes Kleid.

Myrielle Gatto! Sie lebte! Sie war am Leben! Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Es hieß, sie sei vor zehn Monaten auf Objursha entsorgt worden. Ich hatte es geschehen lassen und um sie getrauert. Und plötzlich tauchte sie auf, noch dazu in Begleitung von Cascal? Oh, nun dämmerte es mir! Zusammen mit Cascal und Anya war ihr die Flucht gelungen. Offenbar waren da Gohds Berichte unvollständig gewesen.

»Bekannte von Ihnen?«, fragte Uthe.

Ich antwortete ihr nicht. Jetzt erst blickte de la Siniestro zu mir herüber. Diabolo flüsterte ihm etwas zu. Mittlerweile hatte auch Rhodan die vier entdeckt. Wahrscheinlich erkannte er nur Horus, denn Cascals neues Gesicht war ihm gänzlich unbekannt. Vielleicht gereichte uns das zum Vorteil. Horus gestikulierte wild und deutete auf Cascal, der vor Rhodan salutierte. Perry wurde ernst und sah zu der quarterialen Delegation herüber.

»Das gibt Ärger für euch, wenn es stimmt, was die beiden zuckersüßen Blondinen denken«, meinte Gucky.

Er klang ganz und gar nicht humorvoll. Es gab nur noch einen Ausweg: zuzugeben, dass ich sie kannte.

»Das ist Anya Guuze, die Ehefrau eines CIP-Agenten. Sie ist angeblich auf Objursha in einem Besserungslager verstorben. Die andere ist Myrielle … das verwirrt mich.«

Gucky lachte bitter.

»So? Wer’s glaubt …«

Ich ging auf die Gruppe zu und begrüßte den Kemeten Horus, der mir abfällig zunickte. Dann wandte ich mich an Myrielle

»Miss Gatto, ich hörte von Ihrem Dahinscheiden auf Objursha. Ich bin froh, dass es eine Fehlinformation war.«

Sie blickte mich an. Ihre blaugrünen Augen funkelten seltsam. Ihr Blick verriet Hass.

»Die letzten siebzehn Monate waren alles andere als schön für mich, lieber Quarteriumsmarschall. Schade, dass Sie sich erst jetzt nach meinem Wohlbefinden erkundigen.«

Das saß.

»Ich dachte, du wärst tot …«

»Falsch gedacht. Eine Katze hat neun Leben. Drei wurden mir schon genommen. Da habe ich noch ein paar übrig.«

Sie blickte mich herausfordernd an. Ihre Schönheit war überwältigend, ebenso aber auch ihr Zorn auf mich.

»Ich habe mich während der Folter auf Objursha immer wieder gefragt, wieso du mir nicht geholfen hast …«

Für einen Moment hörte ich tiefe Trauer in ihrer Stimme. Ich war sprachlos. Dass Myrielle noch lebte, war wundervoll. Doch sie verabscheute mich jetzt. Ich wich zurück. Was sollte ich noch sagen?

Nun kam der Emperador dazu. Er wirkte einigermaßen gefasst.

»Lieber Horus, liebe Miss Guuze! Das müssen Sie mir jetzt erklären. Was für Folter? Wer sind die beiden dort?«, heuchelte er – schlecht, jedoch wesentlich besser, als ich es konnte.

»Sparen Sie sich Ihre Leier«, rief Cascal. »Sie wissen doch, dass Millionen auf Objursha ermordet werden. Im Namen des Quarteriums oder doch eher im Namen von MODROR?«

Siniestro zuckte zusammen. Es wurde ruhig im Raum. Offenbar hatte man das Gespräch mitbekommen. In diesem Moment glich das Ansehen des Quarteriums einem wackeligen Kartenhaus, welches jeden Moment zusammenzufallen drohte.

»Die Artenbestandsregulierung unterliegt Uwahn Jenmuhs und Reinhard Katschmarek. Der Emperador weiß nichts von solchen grauenvollen Taten, sonst würde es sie nicht geben«, erklärte Diabolo.

»Eine fade Ausrede. Uns ist vom verblichenen Stevan da Reych etwas anderes zu Ohren gekommen«, erklärte Sam.

Der Somer deutete damit an, dass seine Widerstandsgruppe für die Ermordung verantwortlich war. Roi Danton scharwenzelte umher und grinste seltsam. Der wusste doch bestimmt auch Bescheid. Das bedeutete, die Artenbestandsregulierung war kein Geheimnis mehr. Rhodan musste seit seinem ersten Kontakt mit Sam vor zwei Wochen davon gewusst haben. Ich bezweifelte, dass ihm eine solch wichtige Nachricht nicht mitgeteilt wurde.

Nun mischte sich auch Perry Rhodan ein.

»Don Philippe, sagen Sie mir die Wahrheit. Ich vertraue Cascal und Horus, auch wenn sich alles sehr unglaublich anhört. Was geschieht auf der Welt Objursha? Was genau ist die Artenbestandsregulierung?«

Siniestro schwieg. Was sollte er auch sagen? Wir waren ertappt. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass die Kemeten noch einmal eingreifen würden. Aber nun ergab alles einen Sinn: Sie waren es, die Myrielle, Cascal, Tolk und Guuze von Objursha gerettet hatten. Nun war mir auch klar, wo sich der Stützpunkt der Alliierten befand.

»Jenmuhs ist dafür verantwortlich …«, stammelte der Emperador. »Die Wesen sollten eine … eine neue Heimat bekommen und uns in Ruhe lassen. Und was das Ganze mit MODROR zu tun hat, weiß ich auch nicht …«

Es klang ziemlich überzeugend, denn der Emperador war ein geübter Lügner. Ob es jedoch bei Rhodan funktionierte?

»Sie können mir nicht weiß machen, dass der mächtigste Mann von Cartwheel nichts von dieser Vernichtungsaktion weiß«, meinte Rhodan.

»Jenmuhs hat seinen eigenen Kopf. Hätte der Emperador auf mich gehört, wäre der Gos’Shekur längst nicht mehr im Amt«, stellte Diabolo fest. »Er ist sehr rassistisch und tendiert eher zu einem nationalistischem Imperium als zu einem harten, aber gerechten, wie wir es tun.«

Rhodan blickte den Posbi skeptisch an.

»Es stecken jede Menge Leute mit drin. Jenmuhs, Niesewitz, Katschmarek, der ganze CIP-Apparat«, berichtete Joak Cascal. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der gute Despair davon nichts wusste. Richtig, Myrielle?«

Sie blickte mich an.

»Hast du Beschryr schon vergessen, Schatz

»Das Geschwätz einer hergelaufenen Psychopatin, die Aufmerksamkeit erregen will. Sehr überzeugend«, zischte Stephanie de la Siniestro. »Das sind alles sehr vage Aussagen. Wer garantiert uns, dass dieser Mann überhaupt Joak Cascal ist? Vor einiger Zeit ist aus einer Irrenanstalt ein Bekloppter entflohen, der sich für Cascal hielt. Ist das dieser Mann?«

»Und wenn die Kemeten die Aussage untermauern?«, fragte Horus. Das verschlug Stephanie die Sprache. Das Kartenhaus brach zusammen. Über die Integrität der Kemeten gab es keinen Zweifel. Rhodan würde ihnen glauben.

»Ich und mein Bruder Anubis haben die vier Terraner von Objursha gerettet. Wir haben das Lager gesehen. Es stimmt. Das Quarterium deportiert und ermordet Millionen Lebewesen. Doch es kommt noch schlimmer.«

Jetzt konnte nur ein Wunder helfen. Und das Wunder kam. Plötzlich fingen die Menschen an zu schreien. Eine Panik brach in den Gängen vor der Festhalle aus. Ein LFT-Offizier stürmte fassungslos in den Raum und rannte zu Perry Rhodan.

»Sir, die Dscherr’Urk! Cau Thon … sie sind hier.«

Duell der Mächte

Jaaron Jargon

Die Ereignisse überschlugen sich. Während ich noch vor Minuten wohlgelaunt den Turteleien meiner Nichte Nataly und ihres Ehemanns Jonathan zugesehen hatte, galt das Interesse des ganzen Saals nun dem Kemeten Horus und der drohenden Ankunft des schrecklichen Sohns des Chaos, Cau Thon.

Perry Rhodan stand wie angewurzelt auf der Stelle. Eine tödliche Stille kehrte ein. Kein Wesen wagte diese Ruhe zu stören. Nur vereinzeltes Räuspern und Husten unterbrach das gespannte Schweigen.

In diesem Moment betraten sechs Dscherr’Urk den Raum, angeführt von ihrem Hauptmann Agla. Es wurde totenstill. Dann wichen die grässlichen, mit Hauern statt Zähnen bewehrten Geschöpfe zur Seite und Cau Thon marschierte in den Saal. Sein rötliches Gesicht zeigte Triumph, die Zeichnung der drei Sechsen auf seiner kapuzenverhüllten Stirn hob sich schattig vom lodernden Gold seiner kalten Augen ab. Er konzentrierte sich auf Perry Rhodan. Der wahrte Haltung.

»Wieso wurde ich nicht über die Landung informiert?«, fragte der Terraner ruhig.

»Weil sie uns nicht orten konnten«, antwortete Cau Thon mit einem feinen Lächeln. »Eine Friedenskonferenz der Superintelligenz ES und MODRORs Vertreter ist nicht eingeladen? Welch ein Affront!«

Rhodan gab ein Zeichen in meine Richtung. Es galt Jonathan Andrews, der sofort verstand und reagierte. Um die Dscherr’Urk stellten sich Jonathan, sein Mentor Gal’Arn, Will Dean, Wallace, die beiden Scorbits und Gucky. Bewaffnete Sicherheitskräfte standen am Eingang der Halle. Rhodan winkte sie zurück.

»Was wollen Sie?«

Cau Thon ging nicht auf die Frage ein. Er wanderte umher und betrachtete die Anwesenden. Kein Wesen hielt seinem Blick lange stand. Aus seinen Augen loderte das Feuer der Verdammnis. Thon blieb vor Anya Guuze stehen, die ihn gelähmt vor Furcht anstarrte. Er fuhr mit der Hand durch ihr blondes Haar.

»Du hast die Drachen Rodroms gesehen«, sagte er. »Das ist eine Ehre. Und dennoch fürchtest du dich.«

»Sie … waren unheimlich. Es war grausam. Ich habe tausend Tode durchlitten.«

Ihre Stimme vibrierte vor Angst, sie zitterte am ganzen Körper. Cau Thons Hand blieb in ihrem Haar.

»Bald wirst du auch sterben. Dann werden die Drachen erneut kommen und deine Seele nehmen.«

»Nein!«

Anya wich zurück, doch Thon hielt sie am Haarschopf fest und zog sie an sich. Die junge Frau schrie laut auf.

Gal’Arn und Jonathan Andrews zogen ihre Schwerter.

»Es wird kein Entrinnen geben, kleine, schwache Terranerin. Noch ehe sich der Himmel Wanderers in Blut färbt, wirst du sterben.«

Er schubste sie in Cascals Arme. Der fing sie auf und drückte die weinende Anya behutsam an sich.

Myrielle Gatto war ebenfalls zurückgewichen. Ausgerechnet Cauthon Despair stellte sich schützend vor die fremde Schönheit.

»Ich sollte dich gleich über den Haufen knallen, du elender Drecksack«, rief Cascal, schob Anya beiseite und zog seinen Strahler.

»Halt!«, brüllte Rhodan.

Cascal hielt sofort inne. Cau Thon stellte sich breitbeinig hin.

»Versuche es nur. Mit deinen primitiven Strahlenwaffen bist du der Technologie MODRORs nicht gewachsen.«

Inzwischen hatten die beiden Ritter der Tiefe, Wallace, Dean, die Scorbits und auch Gucky die Gruppe der Dscherr’Urk und Cau Thon umringt. Sie machten deutlich, dass sie bei einer Eskalation eingreifen würden.

»Cau Thon, sagt mir, weshalb Ihr hier seid«, wiederholte Perry Rhodan seine anfängliche Frage.

»Er will wohl seine Verbündeten unterstützen, jetzt, da die Lüge ans Tageslicht gekommen ist.«

Cascal blickte Despair und den Emperador verächtlich an.

»Ich habe damit nichts zu tun«, beteuerte der alte Spanier erneut. »Ich habe von etwas so Schrecklichem nie gehört. Und wir fürchten Cau Thon genau wie ihr. Wir haben nichts mit ihm zu tun.«

Cau Thon lachte den Emperador aus.

»Wahrlich, ich spüre deine Angst. Du und deine Bande wäret nutzlose Verbündete. MODROR braucht niemanden, obwohl euer Krieg in unsere Hände spielt. Schwächt euch gegenseitig und wir werden euch überrennen.«

»Seht ihr, Perry! Wir sind unschuldig«, rief der Emperador de la Siniestro mit gut gespielter Erleichterung.

Perry Rhodan ging darauf nicht ein. Er näherte sich dem Sohn des Chaos, stellte sich direkt vor ihn und hielt seinem Blick stand.

»MODROR wird scheitern«, sagte er mit fester Stimme. »Schon morgen werden sich Menschen und Extraterrestrier wieder einigen und dann werden wir gemeinsam gegen MODROR kämpfen!«

Perry Rhodans Ankündigung klang ernst und war mit großer Sicherheit ausgesprochen. Ich glaubte fest an seine Worte. Morgen, schon morgen, würde sich die Menschheit zusammen mit Dutzenden extraterrestrischer Völker gegen MODROR erheben.

»Das Vertrauen in eure Superintelligenz ist eure Schwäche.«

»MODRORs Überheblichkeit ist die seine.«

Rhodan und Thon starrten einander an. Dann geschah etwas Unerwartetes: Cau Thon wich zurück. Er wich vor Perry Rhodan zurück! Empfand er Unterlegenheit? Erkannte Cau Thon, dass er dieses Duell verloren hatte? Ein leises Raunen ging durch die Versammlung. Ich blickte mich um, sah in verwunderte Gesichter.

Der Sohn des Chaos begab sich zu seinen Dscherr’Urk, dann drehte er sich um und grinste überheblich. War es ein Zeichen von Schwäche? Hatte er seinen Meister gefunden?

Ich ging näher an Rhodan und die anderen heran. Nataly folgte mir. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Aurec und Kathy die Halle betraten. Der Saggittone war sofort bei Rhodan.

»Nehmen wir Cau Thon gefangen. Das ist eine einmalige Gelegenheit«, schlug Aurec dem Terraner vor.

»Nein, es sind zu viele Unschuldige hier. Ich will ihr Leben nicht gefährden. Er soll verschwinden. Cau Thon, verlasst unverzüglich SOLARIS STATION!«

Der Sohn des Chaos machte keine Anstalten zu gehen. Seine Dscherr’Urk wurden unruhig. Sie fletschten die Zähne und zogen ihre Waffen. Die Sache drohte zu eskalieren. Dann wurden die grünen Giganten wie von Geisterhand gegen die Wand gedrückt. Ihre Waffen schwebten zur anderen Seite des Raumes. Es dämmerte mir – Gucky hatte uns gerettet. Er war wahrlich der Retter des Universums!

Gal’Arn und Jonathan stellten sich vor Cau Thon und richteten ihre Carit-Schwerter auf ihn.

»Du hast Rhodan gehört. Geh, Sohn des Chaos!«

»Nein!«

Thon wich zurück und eine Feuerfontäne schoss aus dem Boden. Die Druckwelle warf uns zu Boden. Ich prallte unsanft gegen einen Tisch.

»Onkel!«, rief Nataly aufgeregt.

Sie half mir hoch. Dann suchte sie im entstandenen Chaos nach ihrem Mann, der benommen am Boden lag. Ohne auf die Gefahren zu achten, stürmte sie auf ihn zu und warf sich über ihn. Cau Thon ergriff seinen Caritstab und holte aus.

»Nataly! Nein!«

Todesmutig stürmte Elyn dazwischen und parierte Thons Hieb. Gal’Arn rappelte sich auf und stellte sich ebenfalls schützend vor Nataly und Jonathan. Cau Thon ließ von ihnen ab.

Die Feuerfontäne hatte sich zu einer drei Meter hohen, lodernden Flamme entwickelt, die immer heißer brannte. Eine Gestalt schälte sich aus dem bläulichweißen Kern, eine feurige Gestalt. Entsetzt fuhren wir zurück, als wir in den Flammen das feuerrote Gewand Rodroms erkannten. Nur der gelbleuchtende Sehschlitz seines roten Helms deutete an, dass sich dort Sehorgane befanden – wenn das humanoide Schema körperlich genug war, um von Organen sprechen zu können. Rodrom richtete sich auf, breitete die Arme aus.

Joak Cascal zog seinen Strahler und feuerte auf den Boten der Entität. Rodrom absorbierte die Schüsse. Eine Druckwelle schleuderte Cascal gegen die Wand. Die leuchtende Gestalt drehte sich um und drückte die Scorbit-Zwillinge zu Boden. Will Dean stürmte auf ihn zu und feuerte immer wieder und wieder. Die Flammengestalt packte Dean. Dann ergriff er die Waffe des Afroterraners und schlug ihn mit einer lässig aussehenden Handbewegung zu Boden.

Rodrom zerdrückte den Strahler und warf ihn weg. Elyn und Gal’Arn stellten sich vor den Körperlosen und versperrten ihm den Weg zu Perry Rhodan. Der Rote blieb stehen.

»Weicht, Alyske und Elare. Sonst werdet ihr sterben.«

»Kehre zu MODROR zurück, Verräter!«, rief Elyn. »Mein Vater hat mir von dir erzählt, Rodrom. Du hast unser Volk verraten!«

»Die Alysker haben sich selbst verraten. Eorthor ist nichts als ein arroganter, selbstgefälliger Greis. Schon bald wird er sterben. Soll seine Tochter noch vor ihm zu Grabe getragen werden?«

»Niemand wird hier sterben!«

Ein weißes Licht erschien hinter Rhodan. Auch aus dieser leuchtenden Erscheinung trat eine Gestalt heraus, ein alter Mann mit weißem Bart und Haar und einem grauweißen Gewand. Er lachte schallend. Homerisch. ES war gekommen, um uns zu retten.

»Kehre in die Finsternis zurück, Rodrom! Und nimm deine Vasallen mit. Hier hast du keine Macht.«

Was jetzt geschah, war unnatürlich und für uns sterbliche Wesen nicht fassbar. Rodrom und ES duellierten sich. Der Rote schleuderte eine Art Energiesalve auf seinen Gegner Der alte Mann wurde in Feuer umhüllt, doch das Feuer verging und ES stand unversehrt dort.

Rodrom feuerte erneut einen Feuerschwall auf die Superintelligenz, doch ES baute eine Art Barriere auf. Das Feuer prallte ab und traf den Angreifer, der zu Boden fiel.

ES zog einen Stab aus seinem Gewand. Er wirkte nun wie ein Zauberer, erinnerte mich an Merlin aus der Artus-Sage. War das beabsichtigt? Sicher war es nur ein symbolischer Stab, denn diese Wesen duellierten sich auf einer Ebene, die wir Sterblichen wahrscheinlich gar nicht wahrnahmen. Was wir sahen, war eher ein Schaukampf zwischen den beiden Geisteswesen, damit auch Menschen und Außerirdische das Duell miterlebten.

Aus dem Stab von ES donnerten blaue Kugelblitze, die Rodrom aufs Heftigste trafen.

»Du kannst hier nicht bleiben!«, rief ES und rammte den Stab in den Körper seines Gegners.

Ein rotes Feuer schoss hinaus, hüllte beide Wesen ein. Wir verfolgten den Kampf wortlos, gebannt, entsetzt und fasziniert zugleich, bis das Feuer zögernd erlosch und ES in hellem Weiß vor uns stand.

»Es ist vorüber! Rodrom ist geschlagen.«

Cau Thon und die Dscherr’Urk stürmten aus dem Raum. Gal’Arn und Elyn wollten hinterher.

»Haltet ein. Lasst sie ziehen. Es würde unnötig Leben kosten, sie zu stellen«, rief ES.

Gal’Arn hielt sofort inne, während Elyn ungeduldig auf dem Fleck hin und her lief.

»Cau Thon muss sterben.«

ES lächelte sie an.

»Siehst du die Farben denn nicht schon anders, Elyn?«

Die Alyske ließ das Schwert fallen und starrte ES ungläubig an. Die Superintelligenz legte seine Hand auf Elyns Schulter.

»Lass die Rache deine neugewonnene Freude nicht trüben. Cau Thon wird seine gerechte Strafe ereilen, doch nicht heute.«

Über Elyns Wangen kullerten Tränen. Die Worte der Superintelligenz mussten für sie eine besondere Bewandtnis haben. ES wandte sich nun Perry Rhodan und den anderen zu.

»Für heute haben wir das Böse vertrieben, doch Rodrom und Cau Thon werden nicht aufgeben.«

Die Superintelligenz richtete seine Augen auf den Emperador. Dann schien er jemanden zu suchen und fand ihn schließlich: Kaiser Commanus. Der Herrscher der Dorgonen hatte den ganzen Kampf aus der Ferne beobachtet.

»Deshalb ist es wichtig, dass wir morgen eine Einigung finden und die Gefallenen sich eines Besseren besinnen.«

Der Emperador blickte verlegen zu Boden. Commanus stand starr da, verzog keine Miene. Als er die Blicke der Umstehenden auf sich spürte, fing er an zu lächeln und wandte sich von ihnen ab. Ein Zeichen von Unsicherheit?

»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, mahnte ES. Er packte Perry Rhodan an der Schulter. »Wir müssen uns zusammenschließen, ehe MODROR seine Macht demonstriert. Mein Freund, um fünf Uhr morgens eurer Zeitrechnung soll es beginnen. Findet euch in Esthor ein und erwartet mein Erscheinen.«

Mit diesen Worten verschwand die Superintelligenz so überraschend, wie sie gekommen war. Ehrfürchtiges Schweigen kehrte ein. Jeder musste die Eindrücke erst einmal verarbeiten. Medoroboter kümmerten sich um die Verwundeten, doch soweit ich es abschätzen konnte, hatte niemand ernsthafte Verletzungen davon getragen.

»Nun, wenn es am schönsten ist, soll man gehen«, beschloss der Emperador und gab seiner Delegation ein Zeichen. »Ich nehme an, dass Herr Jaaron, Ihre Braut und Frau Andrews nicht mit uns zurückkommen wollen, obwohl unser Gesetz das vorsieht?«

Aurec warf dem Emperador einen finsteren Blick zu. Der nickte ohne Überraschung. Dann packte der Saggittone den Emperador am Arm.

»Keine Tricks bei der Konferenz, Siniestro. Sie haben ES gehört. Wir müssen Frieden schließen, sonst sind wir alle verloren.«

De la Siniestro blickte den Kanzler seltsam an. Sein Blick wirkte abwesend, ging an Aurec vorbei.

»Vielleicht sind wir das schon jetzt – verloren.«

Aurec ließ ihn los, als Despair an das Heft seines Schwertes griff. Der Emperador, seine Tochter, Niesewitz, Katschmarek, Despair und der Posbi Diabolo verließen den Raum. Despair blieb vor Myrielle Gatto stehen. Sie starrten sich wortlos an, bis die Frau sich von ihm abwandte. Despair senkte den Kopf und zog wie ein geprügelter Hund von dannen.

Perry Rhodan blickte ihm nachdenklich hinterher.

»Wir treffen uns in fünfzehn Minuten. Joak, ich will genau wissen, was auf Objursha vor sich geht.«

Rhodan setzte sich in Bewegung. Gucky und Sam folgten ihm auf den Fersen. Jonathan und Nataly kamen zu mir.

»Ich muss auch auf die Besprechung. Ihr beide geht am besten in mein Quartier auf der Station.« Er gab Nataly die Code-Karte. »Mir wäre es am liebsten, wenn ihr einen Transporter Richtung Terra nehmen würdet.«

»Das erscheint mir weise«, unterstützte ich ihn.

»Nein!«

Natürlich hatte Nataly etwas dagegen. Sie war immer so schrecklich stur. Das hatte sie nicht von mir!

»Wir waren so lange schon voneinander getrennt. Du glaubst doch nicht, dass ich dich jetzt freiwillig verlasse? Wir bleiben!«

Jonathan gefiel das ebenso wenig wie mir, doch er akzeptierte die Entscheidung seiner Frau. Und für mich kam es nicht in Frage, meine Nichte allein zu lassen. Also blieben wir beide.

Die schreckliche Wahrheit

Aurec

Ich konnte jedes noch zu vernünftige Argument anführen, Kathy interessierte es nicht. Sie wollte bei der Besprechung mit dabei sein. Eine ganze Reihe an Wesen hatte sich eingefunden. Perry Rhodan, Reginald Bull, Gucky, Gal’Arn, Sam, Jonathan Andrews, Jan und Remus Scorbit, Elyn, Wyll Dean, Joak Cascal, Anya Guuze, Myrielle Gatto, Horus und wir beide.

Mir entging der giftige Blick Kathys nicht, der Elyn galt. Offensichtlich war sie noch immer auf die Alyske eifersüchtig. Dabei war es schon so lange her, dass die beiden sich das letzte Mal begegnet waren. Vielleicht hätte ich ihr doch nicht von meinem guten Verhältnis zu ihr erzählen sollen. Elyn war eine besondere Frau. Ich liebte sie auch irgendwie. Aber auf eine platonische, freundschaftliche Art und Weise. Doch das war jetzt alles uninteressant.

Joak Cascal, Myrielle Gatto und Anya Guuze begannen mit dem Bericht. Anya wirkte in Gegenwart der ganzen »großen« Staatsmänner und Helden sehr verlegen. Es war sicher das erste Mal, dass sie vor so einer erlauchten Runde stand. Ihre Erzählungen waren auch sehr emotional. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten.

Sam erzählte, dass das telepathische Verhör von Stevan da Reych, kurz vor seinem Ableben, auch Aufschlüsse über den Massenmord an Extraterrestriern bestätigte. Das wussten wir länger, doch wie grausam vorgegangen wurde, erfuhren wir erst durch die Berichte derer, die die Qualen durchlebt hatten.

Diese Myrielle berichtete, dass sie ehemalige Sekretärin beim Quarterium gewesen war. Sie erzählte von ihrem Unfall, ihrer Mutation, den Verbrechen auf Beschryr und ihrer Deportation nach Objursha. Die Schilderungen der Entsorgung schockierten jeden. Betretenes Schweigen trat ein, als sie geendet hatte.

Horus stand schließlich auf.

»Wir wussten von Sandal Tolks Befreiungsaktion. Deshalb haben wir im Objursha-System gewartet. Ich kann Cascals Bericht bestätigen. Es wird dort ein organisierter Massenmord vollzogen. Rodrom scheint die Seelen der Toten in sich aufzunehmen.«

»Eine Art Seelenfänger? Zu welchem Zweck?«, wollte Sam wissen.

»Rodrom wächst durch die Aufnahme der Bewusstseine. Er hat eine Stufe erreicht, in der er sehr mächtig geworden ist. Je mehr Bewusstseine, desto größer die Macht dieses Geisteswesens.«

Das war sehr alarmierend. Ich dachte an die Zerstörung Saggittors. Ob Rodrom schon damals vorhatte, alle Bewusstseine in sich aufzunehmen? Aber DORGON war ihm zuvor gekommen. Ich fragte mich, was aus meinem Volk geworden war?

»Das bedeutet, dass das Quarterium und MODROR zusammenarbeiten«, stellte Remus Scorbit fest.

»Wusste ich es doch. Dreckspack! Wir sollten die gleich zum Mond schießen!«

»Bully, beruhig’ dich!« Perry konnte es nicht leiden, wenn sich sein Freund Reginald Bull so ereiferte, aber im Laufe der Jahrtausende hatte er sich wohl eine gewisse Routine angeeignet.

»Der Emperador muss dazu Stellung nehmen. Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Bedingungen. Rückzug aus den besetzten Gebieten von Saggittor und Akon, Rückzug aus den estartischen Galaxien und freie Wahlen aller Völker des Quarteriums, ob sie dort bleiben wollen oder nicht.«

»Sir, ich glaube nicht, dass Sie damit Erfolg haben werden«, sagte Cascal, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte. »Ich unterstütze Mister Bulls Vorschlag. Wir sollten das Quarterium militärisch in die Knie zwingen.«

Perry würde darauf nicht eingehen. Er wollte kein unnützes Blutvergießen provozieren – doch er nickte! Das überraschte mich.

»Wenn der Emperador nicht kooperiert, werden wir vielleicht in den Krieg ziehen müssen. Ich kann nicht mitansehen, wie Milliarden Unschuldiger ermordet werden und ihre Seelen den Diener eines Chaotarchen füttern. Seit zwei Wochen habe ich mir das reiflich überlegt, nachdem Sam mich über die Erkenntnisse aus dem Verhör von da Reych informiert hat.«

Er machte eine Pause und bedachte jeden in der Runde mit einem Blick.

»Alles wird sich morgen entscheiden. Wir geben ES eine Chance. Er ist unsere letzte Hoffnung auf einen unblutigen Frieden.«

Reginald Bull meldete sich zu Wort: »Wir sollten ein paar Truppen auf Wanderer stationieren und eine Flotte in Alarmbereitschaft versetzen. Nur um auf Nummer sicher zu gehen.«

Rhodan schüttelte den Kopf.

»Nein, wir setzen auf friedliche Mittel.«

»Das kann doch nicht dein Ernst sein, Perry? Was ist, wenn MODROR angreift? Oder das Quarterium und die Dorgonen uns in den Rücken fallen? Wir müssen doch gewappnet sein, verdammt nochmal!«

»Ich will keinen Krieg provozieren. Ende der Diskussion.«

Bully verließ mit hochrotem Kopf den Konferenzraum. Rhodan blickte ihm nachdenklich hinterher. Ob Perry dasselbe dachte, wie ich? Ganz so unrecht hatte Bull nämlich nicht.

*

Draußen gab es tatsächlich noch einige, die feierten. Denen konnte offenbar niemand den Spaß verderben. Mich trieb der Hunger noch mal zurück in die Festhalle. Kathy begleitete mich. Wenige Minuten später trafen wir Jonathan und Nataly.

»Auch noch Hunger?«, fragte er mich.

Ich nickte und suchte mir etwas Leckeres vom Buffet aus. Einige Terraner torkelten die Treppe hinunter. Darunter waren auch Yasmin Weydner und ihre Freundin Jaquine.

»Ich bringe euch besser in euer Quartier«, hörte ich Elyn sagen. Ich drehte mich um. Sie kam just in diesem Moment auf uns zu. Kathy bedachte sie mal wieder mit einem finsteren Blick.

»Die Dinge nehmen ihren Lauf«, flüsterte sie und schaute mir tief in die Augen. »Morgen wird Geschichte geschrieben. Ihr werdet mein Vertrauen nicht enttäuschen. Du wirst mich nicht enttäuschen.«

Sie sprach wieder einmal in Rätseln. Aber irgendwie verstand ich doch. Sie hatte Vertrauen in die Menschheit und uns Sterbliche gesetzt. Vertrauen in mich, dass wir diesen Konflikt meistern würden. Nun hatten wir in der Tat die Gelegenheit dazu.

Ich nahm Elyns Hand und lächelte.

»Nein, ich werde dich nicht enttäuschen. Ich danke dir für das Vertrauen und deine Freundschaft.«

Sie erwiderte mein Lächeln. Dann räusperte sich Kathy. Sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt. Das tat sie meistens, wenn sie sauer war. Und das war sie! Ich sah es an ihren Augen.

»Ist ja eine nette Turtelei, aber zufällig ist das mein Bräutigam. Ich weiß ja nicht, ob es in deinem Volk so etwas wie Treue gibt, aber wir legen sehr viel Wert darauf.«

Kathy hakte sich bei mir ein und drückte sich demonstrativ an mich. Mir war das sehr peinlich. Elyn dagegen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Auch die Alysker legen viel Wert auf Treue. Er ist dein Mann und ich will ihn dir nicht streitig machen.«

»Ist auch besser für dich«, zickte Kathy.

»Aurec und ich verstehen uns auf einer Ebene, welche die meisten Menschen nie erreichen werden«, erwiderte Elyn sachlich.

Ich ahnte schon, was jetzt kam.

»Ach? Soll wohl heißen, dass ich diese Ebene nicht erreichen werde? Aurec und ich befinden uns auch auf Ebenen, die eine alte Jungfer wie du nie erreichen wird.«

Das hatte gesessen. Elyns Lächeln gefror. Sie blickte verlegen zu Boden. Ich verdrehte die Augen, dann sah ich zu Jonathan herüber. Während Nataly über Kathys Äußerung amüsiert den Mund verzog, schien Jonathan mich zu verstehen.

»Wie sollen wir uns morgen mit Staatsmännern einigen, wenn wir es heute nicht einmal unter Freunden können?«, fragte Jonathan.

Er sprach mir aus der Seele.

Kathy seufzte. Sie wurde ernst, kam zur Besinnung.

»Es tut mir leid«, brachte sie schließlich hervor.

Elyn sah sie an. Ich konnte ihren Blick nicht deuten. War da sogar Zorn dabei?

»Aurec ist etwas Besonderes. Er ist ein Mann, der Geschichte geschrieben hat und weiter schreiben wird. Die Frau an seiner Seite sollte ihn nicht nur unterstützen, damit er diese Aufgaben meistert, sondern auch ebenso handeln wie er, sich an den gleichen Werten orientieren. Eifersucht und Missgunst gehören nicht dazu.«

Jetzt war also auch Elyn beleidigt. Langsam war mir der Appetit vergangen.

»Ich werde Aurec mit meiner Liebe unterstützen. An den anderen Dingen arbeite ich«, erklärte Kathy sanft. »Aber das bekomme ich in den Griff, keine Sorge. Ich wollte nur klarstellen, dass ich Aurecs Frau bin und nicht du.«

»Das stand nie zur Debatte«, erwiderte Elyn leise.

Jetzt lächelte Kathy und reichte Elyn die Hand.

»Gut … Frieden?«

Elyn starrte auf die ausgestreckte Hand. Dann legte sie ihre hinein.

»Frieden.«

Elyn wandte sich Yasmin Weydner zu, die teilnahmslos daneben stand und stark nach Alkohol roch.

»Hab ich etwas verpasst?«

»Nur das Kräftemessen zwischen ES, Rodrom und zwei weiblichen Drachen«, antwortete Jonathan mit einem breiten Grinsen.

Elyn warf ihm einen bitterbösen Blick zu und fasste Yasmin am Arm. Sie verabschiedete sich von uns und brachte die betrunkene Terranerin in ihr Quartier.

»Das war unnötig.«

Kathy sah mich gereizt an. Sie schien meine Meinung nicht zu teilen, schüttelte lebhaft den Kopf.

»Elyn ist wunderschön und weitaus besser, als ich es jemals sein kann. Ihr seid lange zusammen in den estartischen Galaxien gewesen. Kannst du nicht verstehen, dass ich da Angst um dich habe?«

»Wir gehen mal«, meinte Nataly, doch Jonathan blieb beharrlich stehen. Er wollte noch etwas essen und es schien ihm auch nichts auszumachen, dass wir gerade Beziehungsstress hatten. Wahrscheinlich interessierte es ihn sogar.

»Es ist für uns alle eine schwere Zeit. Du solltest mir vertrauen. Wenn das nicht funktioniert, wird unsere Liebe am Ende doch scheitern …«

Kathy versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Es gelang ihr nicht. Sie wandte sich von mir ab und ging weg. Nataly lief hinter ihr her, um sie zu trösten. Wieso fühlte ich mich jetzt wie der letzte Mistkerl? Ich setzte mich auf einen Stuhl und vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Hatten wir nicht schon genug Probleme? Eigentlich sollte es doch eine Freude gewesen sein, Kathy wiederzusehen? Wieso machte sie alles mit ihrer krankhaften Eifersucht zunichte?

Jonathan setzte sich neben mich und drückte mir ein Glas Wein in die Hand.

»Trink, das beruhigt.«

Ich leerte das Glas. Nataly kam wieder.

»Kathy entschuldigt sich, ihr geht es nicht gut. Sie will allein sein. Das hast du sauber angestellt, Aurec!«

Wie bitte? Jetzt sie auch noch?

»Maus, was soll das! Aurec hat recht. Elyn ist eine gute Freundin. Ich finde auch, dass sie eine extrem heiße …«

Er fasste sich an den Mund. Natalys Gesicht färbte sich rot. Besäße sie die Gabe, Blitze aus ihren Augen zu schießen, so hätte sie dies jetzt sicherlich getan.

»Ich meine, sie ist … ist eine ganz süße und gute Freundin … platonisch und so … eher, wie ein Mann …«

»Soso. Ist ja schön zu wissen, dass ihr beide eine heiße Tusse als Freundin habt. Noch dazu als männliche Freundin. Wie ein Mann! Denk’ dir doch wenigstens eine bessere Lüge aus. Wenn das mit euch so ist, dann liegt Kathy ja gar nicht so falsch. Wer weiß, was du noch mit ihr gemacht hast, Schatz

»Nichts natürlich. Du solltest mal etwas Vertrauen haben. Warum müsst ihr eigentlich immer so eifersüchtig sein?«

Nataly verdrehte die Augen.

»Warum könnt ihr Männer uns nicht einmal zeigen, dass ihr uns liebt? Warum reichen wir euch nicht? Ich geh jetzt zu Kathy! Komm du mir mal nachher nach Hause. Ich hasse diese Unregelmäßigkeiten mit dir! Davon hatte ich schon in den letzten Monaten zu viel …«

Nataly zog wütend von dannen. Jonathan blickte ihr entgeistert nach. Dann seufzte er.

»Dabei hatte ich mich eigentlich schon auf die Nacht gefreut, wenn du verstehst …«

»Ja«, sagte ich verbittert. Mir erging es nicht anders. Andrews nahm zwei Flaschen Wein und drückte mir die eine in die Hand. Na dann Prost!

EL CID

Cauthon Despair

»Was für ein Tag …«

Sichtlich mitgenommen ließ sich der Emperador auf seinen Thron fallen. Es war wirklich alles schiefgelaufen. Unsere schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Die Verbrechen von Objursha waren ans Tageslicht gekommen und Rodrom wurde von ES geschlagen. War das die Wende?

»Was soll ich jetzt tun?«

»Wir werden dies in Ruhe besprechen«, sagte ich und warf einen Blick auf Stephanie de la Siniestro.

Der Emperador verstand und bat seine Tochter, uns allein zu lassen. Nur Diabolo weilte bei uns. Der Posbi gehörte zu den wenigen Eingeweihten. Jenen, die über unseren Pakt mit MODROR Bescheid wussten.

»Wir stehen am Scheideweg, meine Freunde«, sprach de la Siniestro. »Morgen muss ich eine Entscheidung treffen. Mein Verstand sagt mir, dass wir mit MODROR einen sicheren Weg gehen, mein Herz schlägt aber für ES und die Terraner …«

Mir erging es nicht anders. Wir taten all dies doch nur, um der Menschheit eine Zukunft zu garantieren, um ihr zu neuer Größe zu verhelfen. Zu jener Machtstellung, die sie einst zur Zeit des Lemurerreiches und des Solaren Imperiums innehatte.

Der Weg dorthin war jedoch nicht gut. Krieg, Artenbestandsregulierung und der Pakt mit MODROR, meinem Vater des Chaos. Was, wenn er, der Kosmotarch, doch nicht so mächtig war, wie er stets behauptete? Wenn schon ES seinen wichtigsten Diener Rodrom besiegte, konnte es mit seiner Macht nicht so weit sein.

»Was gedenken Sie zu tun, Emperador?«, fragte Diabolo.

»Mir morgen von Rhodan und Aurec die Bedingungen diktieren lassen. Dann werde ich entscheiden. Ich muss mit ES reden. Unter vier Augen. Wenn er uns Schutz vor MODROR garantiert, können wir die Seiten wechseln.«

Der Emperador war ein Opportunist. Doch dieses Mal wusste er nicht, wer die stärkere Seite war. Ich wusste es auch nicht.

Es gab eigentlich keinen Weg mehr zurück. Wie sollten wir die Verbrechen der Artenbestandsregulierung vernünftig erklären? Jenmuhs, Leticron und Torsor würden sich außerdem niemals mit Perry Rhodan alliieren. Diabolo äußerte gerade dieselben Bedenken.

Der Emperador machte eine ratlose Geste. Er sah müde und angegriffen aus.

»Das Morden in Objursha muss aufhören. Wir müssen alle Wesen, die gehen wollen, ziehen lassen. Ich fürchte auch, dass wir gewisse Gebiete wieder abgeben werden. Damit könnte sich Rhodan einverstanden erklären …«

»Selbst wenn, was ich bezweifele«, sagte ich, »wird die Rache MODRORs grausam sein. Er wird Cartwheel zermalmen!«

Glaubte ich an diese Worte? Ja, denn ich war mir sicher, dass er Cartwheel vernichten konnte. Ob er in der Lage war, den gesamten Krieg zu gewinnen, wusste ich nicht. Doch bis jetzt hatte ich niemals daran gezweifelt.

»Das darf nicht geschehen! Despair, helfen Sie mir!«

Der Emperador stand auf und klammerte sich an meinem Arm fest. Er bettelte und flehte um sein Leben, das seiner Kinder und den Fortbestand des Quarteriums.

»Wir sollten Kontakt mit Cau Thon aufnehmen. Er wird Rat wissen«, schlug ich vor.

»Aber was, wenn ES etwas davon erfährt? Und was soll uns Cau Thon schon raten? Er wird uns drohen.«

Der Emperador ging unruhig auf und ab. Sein Gesicht war noch faltiger als sonst.

»Nein, mein silberner Freund. Wir sind in dieser Entscheidung auf uns allein gestellt. Ich will nicht gegen Perry Rhodan kämpfen. Bis jetzt hat er jeden besiegt. Keine Macht konnte ihn in die Knie zwingen.«

»Es gab auch noch keinen Gegner wie MODROR!«

Cau Thon stand plötzlich im Raum. Wie war mein Bruder hierhergekommen? Das blieb sein Geheimnis. Der Emperador erschrak, schrie laut auf.

Cau Thon schien darüber amüsiert zu sein. Er grinste diabolisch, während er seinen Caritstab beinahe liebevoll streichelte.

»Habt keine Sorge, de la Siniestro. MODROR ist nicht untätig. Wir haben eine Armee Dscherr’Urk auf Wanderer eingeschleust. Eine gigantische Flotte MODRORs steht an den Toren eines Sternenportals bereit, um loszuschlagen.«

Der Emperador starrte Cau Thon mit weitaufgerissenen Augen an. Dann hatte MODROR doch noch einen Trumpf im Ärmel!

»Auf Wanderer? Unbemerkt? Wie ist das möglich?«, stammelte der Spanier fassungslos.

»ES ist nicht so mächtig, wie ihr glaubt. ES ist nichts weiter als eine ordinäre Superintelligenz. Keine Herausforderung für MODROR.«

»Offensichtlich jedoch für Rodrom«, warf Diabolo ein.

»Spare dir deinen Sarkasmus, Roboter«, entgegnete mein Bruder des Chaos. »Rodrom ist mächtig, jedoch nicht so mächtig wie eine Superintelligenz. MODROR steht jedoch weit über ES …«

Cau Thon war stets von MODROR überzeugt. Doch ich wusste, dass er auch ein Realist war. Woher nahm er diese Selbstsicherheit? Es musste einen Grund geben, dass er so leichtfertig mit der Gefahr durch ES umging.

»Alles ist bisher stets nach MODRORs Plan geschehen. Die lächerlichen Teilsiege haben DORGON nichts gebracht, als nur noch mehr Probleme. Das große Ziel war die Gründung des Quarteriums und die Allianz mit dem Sternenreich Dorgon. Das haben wir erreicht.«

Das stimmte. Auch die Niederlage im HELL-Sektor konnte das nicht verhindern. Im Gegenteil. Sie hatte uns in die Hände gespielt. Die Saggittonen waren danach militärisch so geschwächt, dass wir sie mit Leichtigkeit erobern konnten.

»Und was Perry Rhodan angeht«, Cau Thon wandte sich an mich, »es wird deine Aufgabe sein, Rhodan zu töten. Du kannst dies. Das ist dein Schicksal, Cauthon Despair!«

Mein Schicksal? Ich, der Bezwinger Perry Rhodans? Sollte ich vollbringen, woran Wesen wie Mirona Thetin, Iratio Hondro, Imperator Dabfrifa, Leticron, Hotrenor Taak und selbst Monos gescheitert waren?

»Die Ära Perry Rhodans ist vorbei. Das Zeitalter des Emperadors und Cauthon Despairs hat für die Menschheit begonnen.«

Ich blickte meinen Bruder verwundert an. Unser Zeitalter? War es wirklich so? Nun, irgendwann musste Rhodans Zeitalter enden. Er war nicht mehr der Mann von einst. Nur noch ein Schatten seiner selbst, verblasst und alt geworden. Aber gleich töten? Würde es nicht reichen, ihn ins Exil zu schicken? Nun, das würde von Rhodan selbst abhängen.

»Was sollen wir jetzt tun, Thon?«, fragte der Emperador.

»Besucht die Konferenz von ES, hört euch an, was ES zu sagen hat und lasst eure diplomatische Kunst spielen. Haltet allerdings stets eine Fähre bereit. Die quarteriale Flotte wartet ab. Gleich was passiert. Wartet auf meine Instruktionen.«

Cau Thon verneigte sich knapp und verschwand – einfach so. Wahrscheinlich verwendete er eine Art Fiktivtransmitter. Aber in diesem Moment war dies uninteressant. Viel wichtiger war, was er gesagt hatte: Die Ära des Emperadors de la Siniestro und Cauthon Despairs. Gemeinsam würden wir über die Menschheit herrschen und sie zu neuem Glanz führen. In Cartwheel hatte es begonnen und es würde auf Terra enden. Offenbar hatte MODROR Vertrauen in uns, dass wir diese Aufgabe bewältigen würden. Das beseitigte meine Zweifel. Opfer mussten gebracht werden. So traurig es war. Für MODROR.

*

»Emperador, ich erhalte soeben Nachricht, dass die PAXUS und HOLSTEIN eingetroffen sind. Ihre Söhne kommen zu Besuch«, meldete Diabolo.

Der Emperador tat erschrocken. Nun, sicherlich konnte er seine Liebsten wirklich nicht hier gebrauchen, wo es so gefährlich war.

»Bereite alles für den Empfang vor«, bat er den Posbi.

»Ich werde mich nun zurückziehen. Ich habe noch etwas Persönliches zu erledigen«, sagte ich und verneigte mich vor meinem Herren und Gebieter.

Der Emperador nickte mir zu. Ich verließ den Raum und begab mich via Transmitter zurück nach SOLARIS STATION. Ich musste etwas klären. Meine Gedanken kreisten um Myrielle Gatto. Ich musste sie sprechen. Dennoch, die kurz bevorstehende Ankunft von Brettany bereitete mir ebenfalls Freude. Sie war bis jetzt die einzige Frau, die wirklich nett zu mir gewesen war. Doch ich wusste, dass ihr Herz für Roi Danton schlug.

*

Über zwanzig Minuten wartete ich, bis Myrielle endlich das Café betrat. Ich hatte nicht mehr daran geglaubt. Aber nun war sie da, sie war meiner Einladung gefolgt. Langsam stand ich auf und bot ihr einen Platz an. Myrielle trug ihre Haare immer noch hochgesteckt, zwei Strähnen hingen in ihr zartes Gesicht. Statt des silbernen Kleids trug sie eine schwarze Lederkombination, in der sie nicht minder atemberaubend aussah. Aus der tapsigen Sekretärin war eine entschlossene Frau geworden. Zumindest ließ ihre Erscheinung darauf schließen.

Sie blickte mich finster an. Es war nicht schwer zu sehen, dass sie mich von Grund auf verabscheute.

»Ich danke dir, dass du gekommen bist«, begann ich. Eine Floskel ohne jede Bedeutung. »Myrielle, ich bin froh, dass du lebst. Ich wusste nicht, dass du …« Ich stockte. Dann erklärte ich ihr, was vorgefallen war. Dass da Reych sich meinem Befehl, sie zu schützen, widersetzt und sie stattdessen nach Objursha deportiert hatte. Dass ich nur eine Todesmeldung erhalten hatte.

Sie sah mich an, dann blickte sie zu Boden, spielte mit dem Bändchen um die Serviette. Dann sagte sie ruhig: »Dass du mich nicht gerettet hast, mache ich dir nicht zum Vorwurf. Doch du tolerierst den Völkermord, unternimmst nichts dagegen. Das hat mich zutiefst enttäuscht.«

Sie blickte nach kurzem Zögern zu mir hoch. Ihre Augen wurden wässrig. Immer nervöser spielte sie mit ihren Fingern an dem Band.

»Ich habe nicht erwartet, dass mein Ritter mich dummes Mädchen aus der Hölle rettet. Oder doch? Den Schrecken, das Leid … diese Gräueltaten werde ich nie vergessen können. Aber du – dass du all das akzeptierst!«

Ich schwieg.

»An das Gute in dir kann ich nicht mehr glauben. Eigentlich dachte ich, du hättest irgendwo unter dem Stahl auch ein Herz.« Tränen sammelten sich in ihren Augen, kullerten ihr übers Gesicht. »Niemand, der so etwas zulässt, hat ein Herz.«

Wie in Trance nahm ich ihre Worte wahr. Ich dachte an Objursha, MODROR und sah vor meinem geistigen Auge die Zukunft des Universums. Würde es überall so aussehen wie auf Objursha? Mussten Billionen sterben, damit andere in neuem Glanze lebten? Ich stellte mir Myrielles Leid vor. Wie ein wildes Tier mit anderen in stickige Transporter zusammengepfercht, nackt in die Konverterhalle laufend, ihrer Würde beraubt, unmenschlicher Gewalt ausgesetzt. Und dann die letzten Sekunden vor dem Tod. Irgendwie hatte sie es überstanden. Aber was sie auf Objursha miterlebt hatte, hätte ich ihr niemals gewünscht.

»Bist du noch da?«, fragte Myrielle schließlich.

Ich bewegte den Kopf und brachte ein krächzendes »Ja!« heraus.

»Myrielle … ich … kann dir keine Wiedergutmachung geben. Du hast recht, mit deiner Anklage. Ich bin schuldig, diese abscheulichen Verbrechen zu tolerieren.«

»Aber wieso? Warum tust du das?«

Ich atmete tief durch.

»Zum Wohle der Menschheit. Ich heiße die Entsorgung nicht gut, aber sie wird verlangt. Ich kann es leider nicht ändern. Dennoch liebe ich dich und würde alles für dich tun …«

Die letzten Worte waren mir herausgerutscht. Sie entsprachen dem, was ich in meinem tiefsten Inneren fühlte. Myrielle stocherte mit einer Gabel auf dem Tisch herum. Natürlich aßen wir nichts, tranken auch nichts. Das war kein geselliger Nachmittag. Sie fing an zu lachen. Myrielle lachte lauthals. Das war nicht sehr angenehm, da sie sich über mich lustig machte. Wut und Zorn stieg in mir hoch. Doch ich wusste mich zu beherrschen. Dazu bedeutete sie mir zu viel, als dass ich sie in einem zornigen Moment tötete oder endgültig gegen mich aufbrachte.

Alle im Café schauten sich nach uns um. Plötzlich wurde sie ernst.

»Dann schwöre ab von deinen Dämonen. Beende diese Verbrechen und schließe dich Perry Rhodan an. Vielleicht hast du dann die Chance, einiges wiedergutzumachen …«

Wie gern hätte ich dies getan. Doch es war unmöglich. Sie wusste nicht, dass ich MODROR gegenüber loyal zu sein hatte. Sollte das Quarterium MODROR entsagen, war die Menschheit verloren.

»Das ist nicht möglich.«

Sie stand auf.

»Dann sind wir Feinde. Der Parder wird dich töten, wenn diese Konferenz scheitert. Ich werde dich töten. Du kannst weglaufen, aber ich werde dich finden und deine ganze Brut richten.«

Nun erhob ich mich auch.

»Ich will nicht gegen dich kämpfen, Myrielle. Du verstehst nicht, wieso mir die Hände gebunden sind. Du begreifst die kosmischen Zusammenhänge nicht.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, die kapiere ich wirklich nicht. Du sagst, du liebst mich. An sich habe ich damit kein Problem. Wir beide sind ja nicht ganz normal und würden wohl gut zusammenpassen. Aber ich kann keinen kaltblütigen Mörder lieben. Niemals!«

Das war ich dann wohl. Ein Mörder, der, wenn nötig, kaltblütig tötete oder Unschuldige töten ließ. Im Namen von MODROR. Ich war ratlos. Ich liebte Myrielle, sie mich offenbar auch, aber immer wieder wurden wir getrennt. Eine mächtige Barriere stand zwischen uns.

»Ach wie nett«, schnaufte etwas hinter ihr. Wir drehten uns um. Der magische Moment war vorbei. Diese Missgeburt hatte mir noch gefehlt.

»Das Miezekätzchen und der Ritter. Romeo und Julia, Jack und Rose, Jenmuhs und Miss Universum. Wie herzzerreißend …«

Jenmuhs lachte, dabei sabberte er und spuckte auf Myrielles Kombination. Ich beobachtete sie. Sie schien keinerlei Angst mehr vor ihm zu haben. Hoffentlich gab’s keine Kurzschlussreaktion. Dann musste ich eingreifen.

»Seit unserer letzten Begegnung sind Sie nicht charmanter geworden«, sagte sie kühl. »Sie gestatten doch, dass ich diesmal meine Sachen anbehalte.«

Sie hatte tatsächlich die Entsorgung durchlebt. Wir hatten bis jetzt nicht darüber gesprochen. Nun wusste ich es definitiv. Mein Gott, wie sie sich wohl fühlte? Was sie durchlebt hatte?

»Erinnern Sie noch an das kleine Ophalermädchen mit der Blume?«

Jenmuhs röchelte.

»Es endete wohl als Kilowattstunde?«

Myrielle versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Dann fing sie an zu weinen. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse aus Trauer und grenzenlosem Hass.

»Nein, ich teleportierte mit ihr weg. So überlebten wir. Dank der stümperhaften Arbeit Ihrer Herrenmenschen.« Sie rang sichtlich um Fassung, ihre Stimme wurde lauter, schon fast hysterisch. »Silla starb an den Folgen dieser Drachen. Aber mit denen arbeiten Sie ja auch zusammen.«

Jenmuhs lachte. Er sah wieder abartig aus. Sein Hemd war mit irgendwelchen Essensresten beschmiert. Hinter ihm tauchten Naats auf. Natürlich war er nicht allein auf SOLARIS STATION.

Ich fragte mich sowieso, was er hier tat. Sein Besuch war erst für morgen zur Konferenz angekündigt. Wollte er einen Puff besuchen? Dem widerlichen Kerl war alles zuzutrauen.

»Ich habe gerade eine Epiphanie«, meinte Jenmuhs. Sein gieriger Blick ruhte auf Myrielles Busen. »Du schwänzelst nackt auf leisen Sohlen in meinem Schlafzimmer umher, in der rechten Hand ein Glas Wein, links eine gebratene Schweinskeule, hüpfst in das Bett deines Meisters und tust das, wozu du geboren wurdest.«

»Jenmuhs, es reicht!«, rief ich.

Myrielle griff ein Messer und drückte es an Jenmuhs fetten Hals, packte seine fettigen Haare. Er schrie auf. Die Naats wurden unruhig. Ich gebot ihnen mit einer Handbewegung, stehen zu bleiben.

»Du solltest tausend Tode sterben. Millionen Tode, du und deine Brut. Für jedes unschuldige Lebewesen. Eine kleine Bewegung«, zischte sie und kicherte irre, »und du bist tot.«

Jenmuhs zitterte, bebte. Sollte Myrielle ihn töten, war sie selbst des Todes. Das wollte ich nicht. Ich besann mich auf meine mutantischen Fähigkeiten und zog sie telekinetisch in meine Arme. Sie wehrte sich, doch ich war kräftiger.

Jenmuhs griff sich an den Hals, röchelte und grunzte wie ein Schwein.

»Tötet sie«, befahl er den Naats.

»Sollte sie einer anfassen, werde ich ihn zermalmen. Das gilt auch für Euch, Jenmuhs. Verschwindet! Ich nehme mich ihrer persönlich an.«

Der fette Arkonide starrte mich aus seinen glubschigen, roten Augen entgeistert an. Langsam gewann er seine Fassung wieder, denn er fing an zu lachen.

»Despair, Despair. Irgendwann wird Ihre Querdenkerei auch anderen auffallen. Sie wissen schon wem, nicht? Und dann werden Sie Ihre Muschi nicht mehr beschützen können …«

Er spuckte vor unsere Füße, fing dabei an zu husten, verschluckte sich und erbrach sich. Eine eklige Pfütze aus gelbgrünem Schleim klatschte auf den Boden. Dann verließ der Gos’Shekur Uwahn Jenmuhs mit seinen Naats das Café.

Myrielle in meinen Armen zu halten, gefiel mir. Sie hatte den Widerstand aufgegeben. Am liebsten hätte ich ihr alles gesagt. Dass ich ein Sohn des Chaos war und MODROR diente. Vielleicht hätte sie mein Verhalten dann verstanden? Oder mich noch mehr gehasst … Ich ließ sie los.

»Versprich mir, dass du das nicht noch einmal versuchst. Ich kann dann nicht für deine Sicherheit garantieren.«

Sie lachte schrill.

»Das konntest du vorher auch nicht, geliebter Cauthon. Ich gehe jetzt, aber wir werden uns wiedersehen. Wenn ich die unschuldigen Wesen auf Objursha räche!«

Sie drehte sich um und lief weg. Ich blickte ihr hinterher, war machtlos, musste sie ziehen lassen. Es brach mir das Herz. Die Frau, die ich liebte, war nun meine Feindin. Aus der zweitklassigen Tippse war eine mächtige, aber unberechenbare Mutantin geworden, die Rache wollte. Hoffentlich war wenigstens Rhodan in der Lage, sie aufzuhalten.

Frauengespräche

Jaaron Jargon

Schlaf zu finden war eine Kunst. Besonders, wenn zwei Frauen tratschten, weinten und sich über ihre Männer unterhielten. Es war unmöglich, ihr Gespräch zu überhören.

Kathy und Nataly waren auf Aurec und Jonathan wütend. Ging es um die Alyske Elyn? Ich wurde neugierig und hörte etwas aufmerksamer zu. Die beiden Damen dachten, dass ich schon schlief, doch mit einem Ohr und einem halb geöffneten Auge verfolgte ich ihr Gespräch. Schließlich musste ich wissen, was in den beiden vorging. Ich war doch schließlich für sie verantwortlich. Außerdem könnte es ein interessantes Kapitel in meinen Chroniken abgeben.

»Ich liebe Aurec doch …«

Nataly legte ihren Arm um Kathy und drückte sie.

»Ich weiß. Ich liebe Jonathan auch, doch manchmal bringt er mich zu Weißglut. Wie eben wieder. Er ist manchmal so taktlos.«

»An Aurecs Liebe zweifele ich auch nicht. Aber ich habe Angst, dass er irgendwann merkt, dass ich nicht die Richtige für ihn bin.«

»Aber wie kommst du denn darauf?«

»Ich bin nicht wie Elyn. Nicht so rein, so selbstbewusst, anmutig, mit einem großen Horizont, von einem besonderen Volk und all das. Was zu ihm passen würde.«

Nataly hörte schweigend zu. Sie zündete sich eine Zigarette an, Kathy tat es ihr gleich. Ich verstand nicht, wieso die beiden hübschen Damen ständig qualmen mussten, aber naja, ich genoss ja auch ab und an eine schöne Zigarre bei einem wohlschmeckenden Glas Cognac.

»Aurec liebt dich trotzdem. Er will dich doch gar nicht gegen Elyn eintauschen. Die Tussi ist eben eine gute Freundin … wohl von allen.« Sie seufzte. »Ich bin auch etwas eifersüchtig auf dieses Spitzohr, aber wir müssen auch Vertrauen in unsere Männer haben …«

Kathy nickte.

»Ich weiß, dass er mich liebt. Aber ich bin so – normal. So durchschnittlich. Was geschieht, wenn ich irgendwann seinen Ansprüchen nicht mehr genüge und er darunter leidet? Ich stelle mir vor, wie er versucht, mir seine Enttäuschung nicht zu zeigen … das ertrage ich nicht.«

»Quatsch! Du hast dich doch schon sehr verändert. Du hast mehr Selbstbewusstsein, hast Verantwortung übernommen und dich als gute Freundin erwiesen. Und hey, wenn ich das sage, dann hat das was zu bedeuten. Ich sag so was selten.«

Nataly grinste. Kathy fing nun auch wieder an zu lächeln und wischte sich die Tränen vom Gesicht.

»Ich muss mich verändern. Nicht nur, um Aurec zu unterstützen, sondern auch, weil ich jetzt erkannt habe, dass wir nicht tatenlos herum sitzen können, während da draußen der Krieg tobt. Auch wir müssen kämpfen. Sicherlich können wir beide nicht den Krieg gewinnen«, sie legte eine kurze Pause ein, um an ihrem Glimmstängel zu ziehen, »aber wir können jenen helfen, die wir lieben.«

Nataly schwieg. In ihren Augen sah ich einen seltsamen Glanz. Kathys Worte hatten sie beeindruckt. Auch ich war von ihren Worten sehr angetan. Kathy Scolar hatte soeben bewiesen, dass sie sich in der Tat weiterentwickelt hatte. Sie hatte verstanden, worum es ging. Eine Wandlung, die nicht jedem Wesen gelang.

Langsam wurde ich müde und schloss das offengehaltene Auge. Ich hörte noch ihre Stimmen, lauschte aber nicht mehr. Jetzt wollte ich schlafen, denn morgen in alle Frühe würde sich unser aller Schicksal auf Wanderer entscheiden.

2. Die Konferenz

5. April 1307 NGZ

Aurec

»Kommt nur her. Kommet ihr Narren!«

Die Stimme von ES hallte durch die ganze Welt. Sie war nicht in unseren Köpfen, sondern real. Als ob die Superintelligenz Lautsprecher im Himmel befestigt hätte. Fünf Kilometer vor Esthor landeten die ganzen Fähren. Ein bunter Haufen an verschiedenster Technologie. Alle waren sie gekommen. Die Terraner, die Arkoniden, die Blues, die Quarterialen, Saggittonen, Somer, Elfahder, Pterus, Dorgonen, Konstrukteure des Zentrums, Druis, Topsider, Springer, Gurrad, Kartanin, Haluter, Maahk, Tefroder, Galornen, Zentrifaal und viele Wesen mehr.

Nicht nur Politiker waren versammelt, sondern auch hunderttausende Zivilisten, die einfach nur der Konferenz beiwohnen wollten. Eine beeindruckende Masse verschiedenster Lebewesen schob sich durch die grüne, reich mit Bäumen und Pflanzen bestückte Landschaft nach Esthor, der Stadt im Berge, auf deren Spitze die Burg von ES thronte. In jenen Hallen sollte die Konferenz stattfinden.

Ich versuchte, meine vom gestrigen Wein stammenden Kopfschmerzen zu verdrängen. Ein Blick auf Jonathan verriet mir, dass es ihm nicht anders erging. Noch dazu hatte ich Kathy heute noch nicht gesehen. Es tat mir leid, dass unser Wiedersehen so sehr getrübt worden war. Kathy und ich hatten so wenig Zeit. Wir sollten sie in Zukunft besser nutzen. Wenn sie das überhaupt noch wollte.

Von einem Hügel aus überblickten wir das Geschehen. Neben mir standen Jonathan, sein Meister Gal’Arn und Perry Rhodan. Wir alle verfolgten das bunte Treiben wortlos.

»Es sind Zehntausende«, brach Jonathan schließlich die Stille.

»Hunderttausende«, korrigierte Rhodan.

Wahrlich ein gewaltiger Anblick – so viele Wesen, die ihren Weg nach Esthor bahnten. Nur ein Bruchteil von ihnen waren Politiker oder Militärs. Die meisten waren Zuschauer der Konferenz. Sie wollten, aus welchen Motiven auch immer, diesem historischen Tag beiwohnen.

»Es sind sehr viele Zivilisten hier«, meinte Gal’Arn hörbar beunruhigt.

Der Ritter der Tiefe aus Shagor betrachtete mit unübersehbarem Unbehagen den Aufmarsch der Schaulustigen. »Wir wissen nicht, was passiert. Wer sorgt für den Schutz dieser Lebewesen?«

»ES«, sagte Rhodan knapp. »Wir befinden uns auf Wanderer. ES trägt Sorge für all jene hier. Wir brauchen keine Angst zu haben.«

Gal’Arn schien nicht damit zufrieden zu sein, doch er schwieg. Perry hatte jedoch recht. Was sollte ausgerechnet hier passieren? Die Superintelligenz der Menschheit war mächtig genug, um Wanderer vor MODROR zu verteidigen. Und selbst die Dorgonen und Quarterialen würden es nicht wagen, hier einen offenen Konflikt zu riskieren.

Mit einem »Plopp« materialisierte Gucky direkt neben uns und grinste uns an. Sein Nagezahn blitzte weiß. Ich fragte mich immer wieder, wie der Kleine eigentlich so essen konnte, aber Perry hatte mir mal erklärt, dass der Mausbiber sehr starke Kiefer hatte und damit die Nahrung im Mund zermalmte. Jedoch, so hatte er hinzugefügt, führte dies oft zu unangenehmen Schmatzgeräuschen beim Essen.

»Wollen wir zum großen Onkel?«, fragte der Ilt.

Rhodan nickte. Gucky nahm zuerst Gal’Arn und Jonathan Andrews an der Hand und verschwand mit ihnen. Bevor ich zu Perry etwas sagen konnte, war er aber auch schon wieder da und teleportierte mit uns in die Innenstadt.

Der Anblick der Anlage faszinierte mich. Sie glich einer Burg aus mittelalterlichen Erzählungen. Esthor erinnerte mich an die Zeit auf Entrison. Jedoch waren die Erinnerungen daran, bis auf die von Kathy, wenig vergnüglich. Seltsam gekleidete humanoide Wesen begrüßten die Gäste. Offenbar waren es Konzepte von ES. Sie wiesen den Besuchern Quartiere zu und erklärten ihnen, von wo aus sie die Konferenz verfolgen konnten.

Wir wanderten durch die Straßen. Esthor lag an einem Berg und bestand aus fünf Ebenen. Auf der obersten befand sich eine silberne Halle. Das war unser Ziel. Dort würde die Konferenz stattfinden. An jenen Ort hatte uns ES bereits vor wenigen Wochen eingeladen. Die Besucher waren in ausgesprochen guter Stimmung. Sie freuten sich, tranken, sangen und feierten an jeder Ecke, in jeder Kneipe und in jedem Gasthaus. An anderen Plätzen standen Dutzende Journalisten und berichteten von dem Ereignis. Ich fühlte mich wie auf einem Volksfest. Hoffentlich würden wir die ganzen Wesen nicht enttäuschen.

»Das ist mir zu anstrengend«, jammerte Gucky. »Ich teleportiere schon einmal vor.«

»Nimm mich mit!«, rief Jonathan.

Die beiden nahmen die parapsychische Abkürzung auf die oberste Ebene der Stadt. Nach einer Weile hatten wir die Pforte zur silbernen Halle ebenfalls erreicht. Von hier oben hatten wir einen gewaltigen Ausblick auf die Stadt und die karge Landschaft davor.

Zwischen den üppigen Wäldern und Wiesen auf der einen und Esthor auf der anderen Seite erstreckte sich eine trostlose Landschaft aus verdorrtem Gras und sandigem, trockenem Feld. Ich schätzte so etwa drei Kilometer rund herum. Hinter den üppigen Wäldern, deren Wege wir entlang gegangen waren, befand sich rechts eine Hügelkette und links ein Meer. Etliche der Besucher zelteten am Strand. Hinter die Hügel konnte ich selbst von hier oben aus nicht blicken. Sie umgab ein dichter Nebel.

Soeben war eine dorgonische Raumfähre gelandet. Etwa einhundert berittene Soldaten eskortierten die Sänfte des Kaisers. Davor trabte ein Dutzend Musikanten, die eine pompöse Marschmusik spielten. Commanus setzte sich wieder in Szene. Kaum danach landete ein Kreuzer mit quarterialen Hoheitszeichen. Vier Gleiter schwebten aus dem Kugelraumer und steuerten auf die Stadt zu. Sie überholten die kaiserliche Eskorte und wirbelten dabei etwas Staub auf. Wenn wir Glück hatten, führte das zu einer Unstimmigkeit zwischen den beiden Diktatoren.

Ich zuckte zusammen, als die donnernde Kapelle des Quarteriums auf der obersten Ebene anfing, Märsche zu spielen.

»Mankind-Space heißt der Marsch«, erklärte Sam, der uns entgegen gekommen war. »Eine Variation der alten amerikanischen Hymne Dixieland. Ironisch, denn damals stand dieses Musikstück für die Konföderation Amerikas, die sich von dem eigentlichen Amerika abgespalten hatten. Das führte zum Krieg. Parallelen zwischen LFT und Quarterium?«

Sam klang sarkastisch. Ich war ihm dankbar für diese kleine historische Exkursion. Er war ein wandelndes Lexikon, offenbar kannte er sich mit allem aus. Wenn es ein Wesen gab, welches ich als Bürger des Universums bezeichnen würde, dann Sam. Kein anderes Geschöpf respektierte so viele Kulturen, schätzte und kannte sie.

Auf den unteren Ebenen grölten quarteriale Anhänger das Lied mit. Neben den üblichen Lobhudeleien auf das Quarterium, enthielt es auch jede Menge anstößige Bemerkungen gegen die LFT. Ein Propagandalied zweifellos.

Alles in allem verwandelte sich die Stadt in ein großes Festival der Militärmusik, denn immer mehr Nationen begannen Märsche zu spielen.

Perry Rhodan hatte wohl kein großes Verlangen, auf die beiden Widersacher zu warten. Er gab uns ein kurzes Zeichen, dann ging er bereits auf die silberne Halle zu. Das Tor öffnete sich automatisch und ES kam ihm entgegen. Der alte Mann in weißem Gewand und weißen Haar lächelte gütig.

»Es freut mich, dass wir uns wiedersehen. Wo bleiben die anderen? Pünktlichkeit scheint deren Tugend nicht zu sein.«

»Manche von ihnen haben wohl gar keine Tugenden«, bemerkte Perry mit einem Lächeln und verneigte sich knapp vor der Superintelligenz.

So langsam trafen alle wichtigen Vertreter ein. Mirus Traban, de la Siniestro, Jenmuhs, Despair, Commanus, Falcus, Arimad, Saraah, Torrinos, Decrusian, Horus und Anubis, Druid Aflesh und mehr als vier Dutzend Delegierte von allerlei Völkern.

ES musterte sie streng, vermittelte uns allen den Eindruck einer Prüfung: Wer würdig genug war, um in seine Halle eingelassen zu werden. Schließlich signalisierte er uns, hinter ihm das Innere zu betreten. Wir folgten der Superintelligenz wie Kinder dem Lehrer und nahmen auf den rustikalen Stühlen an der steinernen Tafel Platz.

»Unsere Worte, unsere Taten und unsere Entscheidungen werden durch Hologramme an die Beiwohner in der Stadt übertragen. Von dort an alle Welten«, verkündete ES. »Wählt Eure Worte weise. Ferner verlange ich Respekt und Achtung. Benehmt Euch, wie es zivilisierten Wesen gebührt …«

Ich sah mich um. Jenmuhs verdrehte die Augen, Commanus gähnte. Der Emperador nickte eifrig. Wie unterschiedlich doch die Auffassungen und Ansichten waren.

Das Tor knallte auf. Ich erschrak, wie wohl alle im Raum. Bis auf Despair. Der wirkte wie immer – kalt! Ich schaute zum offenen Tor. Leticron! Der Corun von Paricza grinste überheblich und ging gemächlichen Schrittes auf uns zu.

»Komme ich zu spät?«

»Pünktlichkeit gehörte noch nie zu den Tugenden der Pariczaner. Nimm Platz, Leticron«, sagte ES und deutete mit seinem Stab auf einen breiteren Sessel.

War der vorher da gewesen? Ich hatte nicht darauf geachtet. Oder hatte ES gewusst, dass Leticron noch dazustoßen würde?

»Was macht Ihr hier?«, fragte der Emperador.

»In den estartischen Galaxien ist es langweilig«, antwortete der Überschwere. »Es ist Waffenstillstand. Deshalb wollte ich Zeuge der bedingungslosen Kapitulation unserer Gegner werden.«

Eine Frechheit! Was bildete sich dieser aufgeblasene Überschwere eigentlich ein? Mirus Traban schien es ähnlich wie mir zu gehen. Er erhob sich zornig.

»Akon wird niemals kapitulieren und sich dem Quarterium beugen. Niemals!«

Nun stand Sam auf.

»Auch die estartische Föderation nicht. Das ist auch nicht der Anlass dieser Zusammenkunft.«

Der Somer warf einen Blick auf ES, der den Kopf schüttelte. Offensichtlich ärgerte sich die Superintelligenz über die sterblichen Wesen.

»Genug davon!«, rief ES. »Hier sind meine Forderungen. Dorgon zieht sich aus allen estartischen Galaxien zurück. Die Kampfhandlungen werden beendet.«

Commanus wurde fahl im Gesicht. Er sah auf den Boden, schien einen Blickkontakt mit ES zu scheuen.

»Ferner zieht sich das Quarterium aus den besetzten Gebieten in ESTARTU und M 87 zurück. Die Hoheitsgebiete von Saggittor und Akon werden wieder zurückgegeben.«

»Bravo«, applaudierte Druid Aflesh.

»Ich bin noch nicht fertig!« Der Druis wurde ruhig. »Die Konstrukteure des Zentrums entsagen ihrer Diktatur und tolerieren Pelewon und Moogh in Druithora. Alle Rassen sollen gleichberechtigt behandelt werden und die Macht demokratisch teilen. Nur so kann das Morden in M 87 gestoppt werden.«

Die Anwesenden diskutierten und gestikulierten wild miteinander, als ES seine Bedingungen vorgetragen hatte. Ich war mir sicher, dass die Quarterialen und Dorgonen sich benachteiligt fühlten, aber sicher auch die Vertreter Druithoras. Ein Frieden mit den Bestien war für sie inakzeptabel.

Commanus erhob sich und blickte in die Runde.

»Was, oh ehrenwerte Superintelligenz, wäre, wenn wir uns deinem Diktat nicht beugen?«

»Törichter Narr!«, fluchte ES und schritt bedrohlich auf Commanus zu, der etwas zurückwich. »Dann werdet ihr alle untergehen! MODROR wird euch vernichten. Die Kosmokraten werden euch vernichten. Die Chaotarchen. Fremde Mächte aus den Tiefen des Universums. Ihr habt von der Ankunft Rideryons gehört, richtig? Ihr nennt es Riff. Und – habt ihr euch gefragt, was die Entropen beabsichtigen? Was sie wollen? Wahrlich, ich sage euch: Agiert als Einheit und ihr könnt überleben. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, werden Eure Zivilisationen verloren sein!«

Arimad erhob sich, bedachte ihren Ehemann mit einem giftigen Blick und applaudierte den Worten von ES.

»Wäre es nach meinem Vater gegangen, hätte Dorgon niemals ESTARTU angegriffen. Ich bitte dich, ES! Ich bitte euch alle! Es ist Zeit, Commanus abzusetzen. Für Frieden und Demokratie! Helft mir!«

Saraah stimmte ihrer Kaiserin zu.

»Decrusian und Arimad sollen herrschen. Commanus und seine Bande muss ins Exil gehen.«

Commanus packte seine Frau und schubste sie herum. Jetzt reichte es mir. Ich sprang auf und griff mir diesen eitlen Fatzken, stieß ihn von Arimad weg. Commanus wollte sein Schwert ziehen, doch ich war schneller und traf ihn mit meiner Faust direkt auf die Nase. Der dorgonische Kaiser taumelte zurück und ließ sich in einen Sessel fallen. Falcus war sofort zur Stelle und verarztete das kaiserliche Riechorgan.

Arimad sah mich an. Sie war ganz aufgewühlt, in ihren braunen Augen funkelte es rebellisch. Sie sah gut aus.

»Endlich habe ich den Mut gefunden«, flüsterte sie zu mir. »Ich werde das Erbe meines Vaters antreten. Ich werde Dorgon befreien. Aber ich brauche eure Hilfe.«

Ich nahm sie in den Arm und drückte sie. Arimad hatte die Tapferkeit ihrer Schwester und die Weisheit ihres Vaters geerbt. Ich erinnerte mich kurz an die erste Begegnung mit ihr. Damals war sie ein sechzehnjähriges Mädchen gewesen. Nun, beinahe fünfzehn Jahre später, war sie gereift. Sie war zu einer bedeutungsvollen Persönlichkeit herangewachsen.

»Ich werde dir helfen. Dir und deinem Volk. Doch du musst uns auch helfen. Bleibe bei uns und gehe nicht wieder zu Commanus zurück.« Ich versuchte die Worte so eindringlich wie möglich zu sagen, damit sie den Ernst der Lage verstand. Doch Arimad lächelte mich nur an.

»Ich glaube, ich habe es mir bereits mit ihm verscherzt. Ich werde mir wohl eine neue Bleibe suchen müssen …«

Ich schmunzelte. Meine Sorgen, dass Arimad an Commanus zerbrach, waren unnötig gewesen. Jeder hatte es damals befürchtet. Sie war einsam gewesen, isoliert von dem Rest Dorgons. Hatte immer traurig gewirkt und hatte stets unter der Kontrolle ihres Mannes gestanden. Damit war nun Schluss! Arimad sagte sich von ihm los und gleichzeitig begann sie den Kampf um ihr Volk.

»Ergreift diesen elenden Saggittonen. Er hat meine Nase beschädigt«, rief Commanus, nachdem er sich erholt hatte.

Ich lachte innerlich. Wer sollte mich ergreifen? Falcus etwa? Perry Rhodan stellte sich zwischen uns.

»Der Vorfall ist bedauerlich, aber Commanus hat angefangen. Dein Näslein wird wieder heilen. Ich schlage vor, wir fahren fort.« Rhodans fester Blick ruhte auf Commanus. »Und zwar mit dem Rückzug aus ESTARTU und der Demokratisierung Dorgons!«

*

Ich warf einen flüchtigen Blick auf mein Chronometer. Seit zweieinhalb Stunden diskutierten wir bereits. Commanus weigerte sich natürlich, seine Macht abzugeben. Er verstieß offiziell Arimad aus seinem Hause und entzog ihr alle Rechte und Privilegien. Ferner bekundete er, dass die Dorgonen keinesfalls die Kolonien in Estartu hergeben werden. Dann zweifelte er noch die Macht von ES an. Die Superintelligenz war ihm gegenüber spöttisch, blieb jedoch ruhig.

Arimad hatte sich inzwischen neben mich gesetzt. Kein Wunder, denn sie hielt es neben Commanus nicht mehr aus.

»Schweig endlich, Dorgone!«

Völlig überrascht registrierte ich, dass Leticron diese Worte gesprochen hatte. Was war denn nun los? Die waren doch Verbündete! Der Pariczaner stand auf und wandte sich an ES.

»Das Quarterium hat sich beraten. Da die estartischen Galaxien in mein Resort fallen, werde ich unsere Entscheidung verkünden.«

Nun war ich gespannt.

»Aus Respekt vor ES und dem Willen, zu einem Frieden zu kommen, ziehen wir unsere Streitkräfte ab …«

Ein Raunen ging durch die Halle. Wieder Gemurmel, Getuschel, dann laute Diskussionen.

»Ruhe, ihr Narren!«, rief ES dazwischen.

Leticron fuhr fort, als es ruhiger wurde. »… unter einer Bedingung: Wenn wir Cartwheel vollständig beherrschen dürfen. Das setzt ein Einverständnis der Saggittonen und Akonen voraus, die sich dann eine neue Heimat suchen müssen.« Leticron sah mich finster an. »Doch in den estartischen Galaxien wäre ja Platz. Sobald sie zustimmen, herrscht Frieden.«

Verdammt! Jetzt saß ich in der Zwickmühle. Erneut eine Umsiedlung meines Volkes? Langsam wurden wir zu Heimatlosen. Erst vor zwölf Jahren hatten wir Cartwheel besiedelt und nun sollten wir wieder vertrieben werden? Das gefiel mir gar nicht. War Siom Som eine Alternative? Oder die Milchstraße? Andromeda?

»Das kann ich nicht entscheiden«, sagte ich schließlich. »Nur das saggittonische Volk kann darüber befinden. Deshalb muss in den nächsten Wochen eine Abstimmung stattfinden.«

»Wir verstehen Aurecs Anliegen und gewähren ihm und seinem Volk, darüber zu beraten«, antwortete de la Siniestro.

Immerhin ein kleiner Erfolg. Vielleicht wäre es sogar das Beste, wenn wir nach Andromeda siedeln würden. Die Galaxie war groß genug, die Tefroder und Maahks seit Jahrhunderten friedlich.

»Und was wird aus unserem Bündnis?«, rief Commanus aufgeregt. »Wir bilden eine Allianz. Ihr dürft uns nicht im Stich lassen, de la Siniestro.«

Der Emperador wirkte unbeeindruckt. Offenbar kümmerte ihn das herzlich wenig. Wahrscheinlich versuchte er nur, seine eigene Haut zu retten.

»Wir stehen Dorgon im Angriffskrieg weiterhin bei. Jedoch dürfen wir die Zeichen der Zeit nicht ignorieren. ES fordert uns zu einem Frieden auf, den wir akzeptieren müssen.«

Commanus bebte vor Wut. Mit einer Armbewegung fegte er Geschirr und Becher vom Tisch. Dann stapfte er aus dem Saal.

»Die Dorgonen werden keine andere Wahl haben, als den Frieden zu akzeptieren«, meinte Perry. »Ich bin froh, dass das Quarterium so weise ist.«

Der Emperador nickte lächelnd. Jenmuhs kauerte in seinem Sessel und sagte keinen Ton. Offensichtlich hatte er Anweisungen bekommen. Das gefiel mir. Es kam sowieso nie etwas Gutes aus seinem Maul.

»Belassen wir es damit für heute«, beschloss ES. »Doch morgen stehen noch weitere wichtige Themen an.« Er blickte ernst in die Runde. »M 87, Objursha und eine Kooperation mit MODROR …«

Ich blickte mich um. Der Emperador wurde ganz bleich bei diesen Worten. Offenbar hatte er so einiges zu verbergen. Während heute Commanus sein Fett weg bekam, war morgen das Quarterium an der Reihe. Das dürfte interessant werden.

ES verschwand und ließ uns allein. So langsam standen alle auf. Rhodan, Rosan, Traban, Sam und Horus gesellten sich zu mir und Arimad.

»Tapfere Entscheidung«, lobte Rhodan die Dorgonin.

»Danke. Es wird Zeit, dass Dorgon sich endgültig von den alten Unsitten lossagt. Ich hoffe, es wird mir gelingen.«

Wir verließen die Halle. Draußen tummelten sich die Massen. Gucky, Gal’Arn, Jaktar, Jonathan Andrews und Jan Scorbit warteten auf uns.

»Es sind inzwischen fast drei Millionen Wesen hier auf Wanderer. Eigentlich sind alle in der Stadt oder lagern davor. Sie haben bis zum Ende der Konferenz gebannt alles mitverfolgt und feiern jetzt«, berichtete Jan.

Drei Millionen Besucher. Das war eine beachtliche Zahl. Wer weiß, wie viele sich inzwischen auf den drei Raumstationen und auf diversen Raumschiffen in diesem System tummelten. Ich vermutete, dass es weit mehr als zehn Millionen zivile Beiwohner dieser Konferenz gab. Die Besatzungen der Schiffe hatte ich nicht mitgezählt. Man spürte es förmlich: Hier wurde Geschichte geschrieben.

Der Emperador schritt an uns vorbei. Perry Rhodan bat ihn auf ein Wort. Der Spanier wirkte freundlich und zuvorkommend. Ich glaubte ihm kein Wort.

»Ich möchte, dass Sie Rosan Orbanashol-Nordment als Zeichen Ihres guten Willens unverzüglich freilassen«, sagte Rhodan ebenso freundlich, aber mit Nachdruck.

Das Lächeln verließ das Gesicht des Emperadors de la Siniestro.

»Wir verhandeln am morgigen Tag darüber.«

Perry war damit nicht zufrieden.

»Ich wüsste nicht, was es da zu verhandeln gibt. Miss Orbanashol-Nordment gehört als Vertreterin der USO mit zur Konferenz. Ich erwarte, dass sie am zweiten Konferenztag teilnimmt.«

Der Emperador stand scheinbar ratlos vor Rhodan und rang nach Worten. Despair kam ihm zu Hilfe.

»Wenn es dir so viel bedeutet, werden wir Rosan noch heute freilassen, obwohl es ihr als Gast auf der EL CID an nichts fehlt.«

Der Emperador blickte den Silbernen Ritter irritiert an. Despair zeigte keinerlei Regung. Es war schwer, seine Haltung zu deuten.

»Ja, ich bestehe darauf«, antwortete Rhodan.

»Dann sei es so«, beschloss der Emperador. »Señora Orbanashol-Nordment wird umgehend die Erlaubnis bekommen, die EL CID zu verlassen. Kann ich euch sonst noch einen Gefallen tun?«

Weder Rhodan noch ich überhörten den Spott in der Stimme des Spaniers.

»Ja. Beendet noch heute die Verbrechen auf Objursha. Im Namen der Menschlichkeit. Wenn es wahr ist, was Cascal und Gatto berichtet haben, dann müsst Ihr diese Untaten sofort unterbinden!«

De la Siniestro wurde das Gespräch unangenehm. Er hielt Rhodans Blick kaum mehr stand, sondern schaute verlegen zu Boden oder in den Himmel.

»Wir prüfen das bereits. Sofern solche Verbrechen tatsächlich geschehen, werde ich sie unterbinden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Das verspreche ich Ihnen, Señor Rhodan!«

Der Emperador nickte uns zu und ging. Despair und die anderen Quarterialen folgten ihm. Wir sahen ihnen schweigend hinterher.

*

Der Emperador hielt Wort. Am Abend traf eine Raumfähre mit dem Hoheitszeichen des Quarteriums auf Wanderer ein. Rosan Orbanashol-Nordment war an Bord. Erleichtert begrüßte sie uns. Wir aßen gemeinsam zu Abend. Wir, das waren Perry Rhodan, Joak Cascal, Will Dean, Elyn, Gucky, Jan und Remus Scorbit, Gal’Arn, Jonathan Andrews, Sam, Nataly, ihr Onkel Jaaron, Kathy und meine Wenigkeit.

Rosan berichtete von ihrer Gefangenschaft, von Generaloberst Red Sizemores zuvorkommender Art und von den Nachstellungen des Emperadors de la Siniestros. Dabei mussten wir schon lachen.

»Ich bin froh, dass so langsam alle wieder vereint sind«, erklärte Sam feierlich und hob das Glas. »Gemeinsam werden wir den Frieden in die Galaxien zurückbringen.«

Wir stimmten ihm zu. Es tat wirklich gut, alle wieder zu sehen. Besonders natürlich Kathy. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie an mich. Sie war nicht mehr sauer wegen unseres gestrigen Streits. Ich hatte ihr gesagt, dass ich nur sie liebte und mir viel Mühe gegeben, ihr meine Liebe zu zeigen. Anscheinend war die Botschaft angekommen. Sie war die einzige, die ich liebte. Natürlich ging auch von anderen Frauen eine Faszination aus, Elyn und Rosan zum Beispiel, doch ich hatte mich für Kathy entschieden. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

Wenig später betraten Mathew Wallace, Saraah, Irwan Dove, Arimad, Lorif und Xavier Jeamour den Raum. Wallace und Saraah strahlten über beide Wangen. Ich fragte mich, was der Anlass war. Schnell erfuhr ich es: Sie verkündeten ihre erneute Hochzeit. Die Trauung sollte morgen Abend stattfinden. Jonathan Andrews gratulierte Mathew und Saraah als erster. Ich schloss mich ihm an. Es freute mich, dass die beiden wieder zueinander gefunden hatten.

Saraah war die erste uns freundlich gesonnene Dorgonin gewesen. Lange war es her. Im Jahre 1292 NGZ hatten wir die blauhaarige Frau vom Planeten Jerrat kennengelernt. Mathew hatte sich sofort in sie verliebt und einiges riskiert, um sie aus den Händen des dorgonischen Senatoren Priamus zu befreien. Nach Nersonos’ Ende hatten die beiden geheiratet. Aber das ging nicht lange gut. Mathew liebte seinen Job auf der IVANHOE und Saraah liebte ihr Volk und ihr politisches Engagement. Die Ehe war zerbrochen, als keiner seine Berufung aufgeben wollte.

Seit dieser Zeit hatten sich Saraah und Mathew kaum mehr wiedergesehen. Erst im Jahre 1298 NGZ, auf der Hochzeit von Arimad und Commanus war es soweit, immerhin. Ihre Liebe bestand damals wie heute, doch die Probleme schienen sie erst jetzt in den Griff bekommen zu haben. Sie hatten in den letzten Monaten des Krieges viel Zeit miteinander verbracht – ein Glück, dass Kathy und mir nicht vergönnt war.

Ich freute mich aufrichtig für die beiden. Sie waren füreinander geschaffen und hatten die richtige Entscheidung getroffen. Und warum nicht hier auf Wanderer heiraten? Das war etwas Besonderes, das wohl kaum einem Paar vergönnt war.

Zeit für die Liebe

Aurec

Am heutigen Abend war alles sehr harmonisch. Wir saßen in einer großen Runde vor einem lauschigen Feuer in der Gartenanlage der Halle und hörten Perry Rhodans und Guckys Geschichten zu.

Kathy lag in meinen Armen und schmiegte sich an mich. Über uns der Sternenhimmel, prall gefüllt mit Galaxien und den vielen tausend Schiffen, die im Sternenportalsektor umher kreisten. Es war ein schönes, perfektes Gefühl der Glückseligkeit. Etwas, auf das ich so lange verzichten musste. Der Streit von gestern war vergessen und ich war froh und glücklich, dass Kathy bei mir war.

Gucky rezitierte ein Gedicht aus seiner eigenen Feder.

*

»Hier eine Maus und dort ein Biber –

zusammen wär’s mir lieber.

Und größer.

Ein Mausbiber.«

*

»Mehr davon gibt es in der Biografie ›Der Retter des Universums – Gucky, die Legende‹ zu lesen«, sagte der Ilt so laut, dass es jeder wohl verstanden hatte. »Geschrieben von dem Starautoren Walter ›Clark‹ Ernsting, ein guter Freund von mir und ein sehr warmherziger Mensch.«

Und bestimmt ein Mann mit guten Nerven, dachte ich, wenn er Guckys endlose Erzählungen und sein unaufhörliches Selbstlob über sich ergehen lassen konnte. Dennoch war der kleine Mausbiber einer der ganz Großen. Er hatte eine große Klappe, aber ein ebenso großes Herz.

Ich sah mich um. Nataly und Jonathan saßen ebenfalls eng umschlungen beieinander, auch Mathew und Saraah waren nur auf sich fixiert und in ihre Liebe vertieft. Es gab keine unglücklichen Gesichter. Bis auf Joak Cascal. Er saß abseits und zog an einer Zigarette.

»Kathy, ich muss mal zu Joak. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht«, flüsterte ich meiner Verlobten ins Ohr. Sie nickte und löste sich mit einem Lächeln von mir. Dann drückte sie mir einen Kuss auf die Lippen.

»Ich werde mich mal mit Rosan unterhalten«, sagte sie.

Keine Vorwürfe. Ich war recht froh darüber. Vielleicht war auch alles nur zu neu gewesen, so dass sie derart gereizt reagiert hatte.

Ich setzte mich zu Cascal, der trübsinnig ins Feuer starrte.

»Alles in Ordnung?«

»Erst, wenn die armen Teufel auf Objursha frei sind und das Quarterium gestürzt ist.«

Ich verstand ihn. Doch was sollte ich sagen? Dass die Konferenz Wunder bewirken würde? Das war nicht absehbar. Der Emperador würde sich wie ein Aal winden und alles abstreiten. Unsere Forderungen waren – aus quarterialer Sicht – hoch! Rückgabe der besetzten Gebiete, besonders von Saggittor, Abzug aus den estartischen Galaxien und Abschaffung der Artenbestandsregulierung. Was verbarg sich genau dahinter? Waren solch unmenschliche Verbrechen wirklich möglich? Doch wenn Cascal das behauptete, dann stimmte es auch. Abgesehen von ihm hatten noch Anya Guuze, Myrielle Gatto und die Kemeten Horus und Anubis davon berichtet. Letztere waren besonders gewichtige Zeugen.

»Wo ist eigentlich deine Anya?«

Cascal sah mich verwundert an.

»Meine Anya?«

»Naja, es sah so aus, als würdet ihr zwei euch gut verstehen. Und jetzt, wo offenbar alle Liebenden zueinander finden, solltest du auch mal etwas für dein Herz tun …«

Cascal sah auf den Boden. Diese Haltung überraschte mich, da er mir eher als Frauenheld bekannt war. Vielleicht schlug sein Herz wirklich für die zierliche Terranerin. Wenn Liebe im Spiel war, war es besonders schwer, um eine Frau zu werben. So erging es mir zumindest. Wobei ich eigentlich niemals etwas mit einer Frau zu tun gehabt hatte, wenn nicht Liebe im Spiel gewesen war.

Es gab viele Wesen, die Terraner wohl besonders, die sexuelles Verlangen von Gefühlen trennen konnten. Mir war das fremd und in meinem Volk auch nicht besonders angesehen. Da unterschieden sich unsere beiden menschlichen Kulturen voneinander.

»Sie hat ein paar alte Bekannte von Terra wieder getroffen. Stinkreiche Geschäftsmänner

Cascal sprach das Wort verächtlich aus.

»Irgendwelche Typen aus ihrem früheren Berufsleben. Sehr seltsame Leute. Ich verstehe nicht, wieso sie überhaupt mit solchen Typen etwas zu tun haben will.«

»Weiß sie von deinen Gefühlen?«

»Habe ich behauptet, dass ich welche für sie habe?«

Ich lachte.

»Sonst würdest du dir nicht solche Gedanken machen.«

Nun schmunzelte auch Cascal. Dann wirkte er wieder verlegen, etwas, was ich nicht von ihm kannte.

»Als sie auf Objursha halb tot in meinen Armen lag, hat es gefunkt. Ich fühlte mich für sie verantwortlich und auf Kemet habe ich mich um sie gekümmert. Da sind wir uns näher gekommen, aber nicht nahe genug, um von einer Liebschaft zu sprechen.«

»Ungewöhnlich für den Herzensbrecher Joak Cascal«, konnte ich mir nicht verkneifen.

»Sehr witzig. Bei ihr ist es etwas anderes. Sie ist kein schnelles Abenteuer. Ich könnte mich an ihr Gesicht gewöhnen.«

Er räusperte sich. Offenbar war ihm das alles unangenehm. Für den harten Soldaten und Agenten Cascal war es wohl immer noch eine Schwäche, Gefühle zu zeigen.

»Man wird halt älter und sehnt sich nach einer festen Partnerin. Und so langsam habe ich den Verlust von Zelia überwunden.«

Cascals Ehefrau! Sie war in der Raumzeitfalte gestorben, in der Cascal und Sandal Tolk 1290 NGZ gefunden wurden.

Ich legte freundschaftlich meine Hand auf seine Schulter.

»Worauf wartest du dann noch? Regele das mit Anya. Sie ist eine hinreißende Frau. Ehrlich, ich fand sie auch sehr anziehend, als ich ihr auf der BAMBUS begegnet bin.«

Cascal nickte und stand auf.

»Dann werde ich sie suchen.«

Ich lächelte und sah ihm noch einen Augenblick hinterher, dann ging ich zurück zu Kathy. Sie saß mit Rosan und den anderen beiden Pärchen zusammen. Außerdem waren Remus und Jan Scorbit dabei. Eine gemütliche Runde, wie ich fand. Ich gesellte mich zu ihnen.

Jan hatte wohl schon einen im Tee. Er grinste mich seltsam an. Aber auch Jonathan lallte hörbar. Ich genoss die Nähe meiner Freunde. Es war so lange her, dass wir alle vereint waren. Hoffentlich brachte der morgige Tag den Frieden.

Doktor Jenny Taylor und Tania Walerty gesellten sich zu uns. Die Ärztin sah bezaubernd aus. Es war mir nie so richtig aufgefallen: Auch sie war eine echte Schönheit. Tania wankte und schwankte: Sie war völlig betrunken, fiel mehr oder minder vor das Lagerfeuer und stierte mit glasigen Augen hinein.

»Geht es Ihnen nicht gut, Miss Walerty?«, fragte Lorif. In dem Moment fing sie an, sich zu übergeben. Ein Raunen des Ekels glitt durch die Männer und Frauen.

Jenny kicherte.

»Ich diagnostiziere eindeutig zu viel Wodka …«

»Mir ist das Verhalten der Terraner schleierhaft«, meinte Lorif. »Es ist allgemein bekannt, dass Alkohol schädigende Wirkung zeigt. Wieso trinkt man etwas, um es anschließend wieder zu erbrechen?«

Jenny lachte. Als sie bemerkte, dass Lorif eine Antwort erwartete, wurde sie ernst und zuckte mit den Schultern.

»Weil es schmeckt«, antwortete Mathew und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas.

»Ein tödlicher Pilz oder eine tödliche Frucht kann ebenso schmackhaft sein. Klingt wenig logisch«, sagte der Posbi offenbar nicht zufrieden mit Wallaces Antwort.

»Alkohol hebt die Stimmung. Damit verschwinden Hemmungen und man ist viel gelöster«, erklärte Mathew weiter. »Es verschönert den Abend.«

»Finden Sie das auch, Miss Walerty?«, erkundigte sich Lorif. Tania, noch damit beschäftigt, sich zu säubern, sah ihn glasig an und murmelte etwas Unverständliches.

»Ich verstehe das nicht«, wiederholte sich Lorif. »Dabei ist Alkohol schon jeher mit dem Menschen verbunden. Die Substanz gab es schon sehr früh, beispielsweise bei den alten Ägyptern circa 3000 vor Christus. Auch die Griechen und Römer setzten Alkohol bei kultischen Handlungen ein, benutzten ihn aber auch als Genussmittel. Die Römer begannen, Alkohol für medizinische Zwecke einzusetzen, beispielsweise bei der Seuchenbekämpfung. Cäsars Soldaten mussten täglich einen Liter Wein trinken, um ansteckenden Krankheiten vorzubeugen. Die Römer brachten den Alkohol auch in unsere Breitengrade. Seit dem 11. Jahrhundert alter Zeitrechnung kennt man hier die Alkoholherstellung durch Destillation.«

Wallace seufzte.

»Es ist genug, Lorif.«

Der Posbi schwieg.

Kathy kuschelte sich wieder an mich. Ich streichelte ihr duftendes Haar.

»Wir brauchen noch Trauzeugen«, meinte Saraah plötzlich. »Wie wäre es mit Jonathan und Aurec?«

»Ich bin dabei«, meinte Jonathan und rülpste herzhaft. »Tschuldigung, wohl etwas zu viel Bier.«

»Es wäre mir eine Ehre«, sagte ich zu Saraah und Mathew. Beide freuten sich über meine Zusage.

»Dann sind wir auch Trauzeugen bei eurer Hochzeit«, sagte Saraah strahlend.

Kathy sah mich lächelnd an. Ich drückte sie und nickte. Heute war ein schöner Tag. Ein unvergesslicher Moment des Glücks. Hoffentlich würde er anhalten …

Die sturen Terraner

Reginald Bull

Ich war endlich angekommen und hatte meinem Instinkt gehorcht. Das hier war wirklich die Höhe! Wieso war Perry eigentlich immer so vertrauensselig? Ohne Eskorte wollte er auf Wanderer landen und sich mit diesen ganzen Verbrechern zum Kaffeekränzchen treffen. Idiotie! Purer Schwachsinn! Wir hätten wenigstens eine kleine Division auf Wanderer stationieren sollen, aber nein, der Herr Rhodan wusste wieder einmal alles besser.

Aber nicht mit mir! Ich war ja nicht irgend so ein Hans oder Franz! Schließlich war ich für die Sicherheit unseres Volkes, und dazu zählte auch Perry selbst, verantwortlich. Also musste ich halt Perrys Befehle etwas ignorieren, zu seinem eigenen Besten. Er würde es mir schon danken.

Ich stellte mich an die Brüstung des Geländers und blickte auf den Hangar hinab. Was für ein Anblick! Knapp achtzigtausend Soldaten marschierten in ihre Schiffe, die Panzer rollten … schwebten … in die Landungsboote.

Das war meine Reserve, falls etwas schiefging. Die würden Perry und die anderen dann schon raushauen.

»Toller Anblick, Sir!«

Neben mir stand plötzlich McHenry, Scott C. McHenry! Ich musterte den General der LFT von oben bis unten. Da stand er in seiner lindgrünen Uniform, reich mit Orden dekoriert und mit einem weißen Generalshelm auf seinem kahlen Kopf.

Der Mann war Soldat durch und durch. Perry konnte ihn nicht leiden. Er war ihm zu militaristisch. Einmal hatte Rhodan ihn als stupiden Cowboy bezeichnet. Das war während eines Konfliktes mit Arkon gewesen, als McHenry vorgeschlagen hatte, einen Präventivschlag mit Arkonbomben gegen Arkon I zu führen. Naja, er nahm halt die Sache sehr ernst. Auf seine Loyalität war Verlass.

»Wann soll der Angriff losgehen, Sir?«

Ich lachte innerlich, ließ mir aber nichts anmerken.

»Ganz ruhig, McHenry! Vielleicht verläuft ja alles doch friedlich. Dann müssen Ihre Jungs nicht eingreifen und wir vermeiden Tote.«

»Glauben Sie wirklich, dass wir diesen Bastarden trauen könnten? Wenn es nach mir ginge, würden wir bis nach Paxus und Dom marschieren und diesen Möchtegernkaisern in den Arsch treten!«

McHenrys Einstellung gefiel mir. Aber Perry würde das niemals erlauben.

»Welch blumige Ausdrucksweise Sie heute wieder an den Tag legen, General!«

Ich drehte mich um. Da kam ja unser Flottenkommandant! Der kleine Terraner mit dem Schnauzer und der Plauze wirkte manchmal ein wenig unbeholfen, aber Nepomuk Higgins gehörte zu den fähigsten Soldaten, die wir besaßen. Ein genialer Taktiker und von sehr ruhigem Gemüt.

»Higgi!«, begrüßte ich ihn.

»Sir, ich wäre Ihnen dankbar, mich in Anwesenheit Dritter förmlich anzusprechen. Alles andere dürfte meine Autorität untergraben.«

»Pah«, machte McHenry und zündete sich eine Zigarette an. »Wie war das damals, als Sie morgens in dem Häschenpyjama aus dem Zelt kamen?«

Admiral Higgins schwieg.

Ich war ebenfalls still, sah mir die Soldaten an. Von Herzen hoffte ich, dass ich Unrecht hatte. Niemand von denen sollte sterben. Bis jetzt hatten wir uns gut aus dem Krieg herausgehalten. Aber das Resultat war absehbar – unsere Bemühungen, ESTARTU und Cartwheel zu befreien, waren ins Stocken geraten. Im Grunde genommen waren sie gescheitert. Ganz zu schweigen von der Aussicht, diesen MODROR irgendwie zu besiegen.

So gesehen kam die Hilfe von ES zum richtigen Zeitpunkt. Sollte diese Konferenz scheitern, dann war der Krieg unausweichlich, wenn wir weiterhin behaupten wollten, uns für die Unterdrückten einzusetzen.

»Schauen wir uns mal meine Jungs an«, schlug McHenry vor.

Higgins seufzte, dann erklärte er sich einverstanden. Ich wollte mir die Truppe ebenfalls aus der Nähe ansehen. Jene Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen würden.

McHenry ging zielstrebig auf die Soldaten zu. Die Männer und Frauen nahmen Haltung an.

»Meldung!«, forderte der General.

Ein Terraner mit schwarzem Haar trat hervor.

»Captain Wolgg, Sir! 777. Raumeingreifdivision, Kommandierender der Kompanie Frey.«

McHenry musterte den jungen Offizier von oben bis unten und ging gemächlichen Schrittes um dessen Männer herum.

»Wie ist die Stimmung in der Truppe, Captain?«

»Sir, gut, Sir! Wir halten Übungen und beobachten die Konferenz.«

»Und was passiert, wenn die Konferenz scheitert und Perry Rhodan angegriffen wird?«, hakte McHenry nach.

»Dann hauen wir ihn heraus, Sir!«, rief Wolgg.

McHenry grinste.

»Meine Jungs!«

Ich hoffte ja immer noch, dass ich Hirngespinsten nachjagte, aber ich wollte gewappnet sein. Sollte irgendetwas schiefgehen und irgendeine von diesen Mistbanden es wagen, Perry und die anderen anzugreifen, standen wir bereit.

»Insgesamt hunderttausend Soldaten. Die gesamte 7. Raumeingreifarmee. Sie besteht aus hundert Raumeingreifdivisionen zu je tausend Mann. Die Bezeichnungen der Einheiten erfolgt in Zehnerschritten, das bedeutet die 10. RED, die 20. RED bis hin zur 1000. RED. Auch sogenannte Schnapszahlen werden verwendet, daher auch die 777. RED«, erklärte Higgins sehr ausführlich.

Ich wunderte mich, dass es hier eine tausendste Raumeingreifdivision gab, die in Wirklichkeit die einhundertste war. Higgins klärte mich auf.

»Diese Raumeingreifdivisionen sind in zehn einzelne Kompanien unterteilt mit je hundert Mann. Diese wiederum in vier Züge mit je fünfundzwanzig Soldaten«, führte er weiter aus. »Die Frey Kompanie ist Bestandteil der 777. Raumeingreifdivision.«

»Gut, das reicht, Higgins.«

Der General machte einen etwas pikierten Eindruck, insbesondere als McHenry anfing zu lachen. Trotz des Gehabes der beiden waren sie fähige Soldaten, die Fähigsten, die wir hatten. Vor knapp zehn Monaten hatten wir sie mit der Bildung der 8. Terranischen Flotte beauftragt. Nun war sie beinahe fertig. Fünfundzwanzigtausend Schiffe umfasste die 8. Flotte. Sie würde unsere Angriffsflotte sein, sollte es am Sternenportal zum Äußersten kommen.

»Worauf es ankommt, ist, dass die hunderttausend Soldaten für einen Notfall gerüstet sind«, sagte ich ernst.

»Das sind sie, Sir! Die 8. Terranische Flotte ist bereit.«

Rodroms Legionen

Cauthon Despair

»Sish!, Sish!«, brüllten die Dscherr’Urk. Begleitet wurde ihr Gesang vom monotonen Brüllen der Trommeln.

Ich sah mir die gewaltige Armee an. Sie erwarteten den Sturm auf die Stadt von ES. War MODROR nun zu weit gegangen? Konnten seine Armeen mitten im Herzen der Superintelligenz bestehen? Doch offenbar bemerkte ES ihre Anwesenheit gar nicht.

Die Drachen Rodroms flogen über die Legionen hinweg und kreischten schrill. Rodrom selbst saß auf einem kleineren Drachen, thronte auf einem Felsen und überblickte die Soldaten. Ich ging mit Cau Thon und Goshkan zu ihm. Der Anblick der Legionen war mehr als beeindruckend. Hunderttausende Dscherr’Urk marschierten die Küste entlang, sammelten sich, übten für den Angriff.

»Wie sind Eure Befehle, Meister?«, fragte Cau Thon.

»Halte die Flotte bereit. Auf mein Zeichen werdet ihr einen Ring um Wanderer schließen. Zerstört die gesamte feindliche Flotte, falls notwendig.«

Rodroms Worte ließen mich erstarren. Sie waren endgültig. Und so würde die Zukunft des Quarteriums aussehen. Morden und abermals morden. Mehr und mehr zweifelte ich an diesem Pakt, doch ich war gebunden.

»Und was soll ich tun, Herr?«, rief Goshkan. Er war wie immer im Blutrausch. Diese Kreatur kannte nur das Töten. Das war für ihn der Sinn des Lebens.

»Du wirst mein Heerführer sein, Goshkan. Marschiere mit den Dscherr’Urk nach Esthor. Schlachtet alle ab. Jeden Soldaten, jeden Mann, jede Frau, jedes Kind …«

Das hatte nichts mehr mit meinen Vorstellungen einer neuen Ordnung zu tun.

»Ich möchte lieber hier kämpfen, Herr. Der Kampf Mann gegen Mann ist besser als im All«, forderte Cau Thon.

»Gewährt«, sagte Rodrom knapp. »Dann werde ich den Weltraum rot färben!«

»Was soll ich tun, Rodrom?«

Beinahe trotzig stellte ich die Frage. Auch weigerte ich mich, ihn als Meister zu bezeichnen.

»Führe die Truppen des Quarteriums in den Krieg gegen die Liga Freier Terraner! Besetze SOLARIS STATION und töte jeden, der sich in den Weg stellt.«

»Meine Soldaten werden diesen Krieg nicht verstehen. Wir brauchen einen Grund, um gegen die LFT zu kämpfen.«

Rodroms Drache zischte und wurde unruhig. Rodrom straffte die Zügel. Der Drache dreht sich in meine Richtung. Rodrom sah mich an.

»Ist das Überleben deiner Spezies Grund genug? Kämpfen sie nicht für MODROR, werden sie mit der LFT untergehen.«

Ich verstand. Nun zeigte Rodrom sein wahres Gesicht. All die schönen Worte waren gelogen. Rodrom war das Sprachrohr MODRORs. Alles, was Rodrom sagte, war im Sinne seines Herrn. Und ich hatte gedacht, dass MODROR uns helfen wollte, die Menschheit in eine neue Zukunft zu führen, dass er uns als auserwählte Rasse ansah. Jetzt ließ er die Maske fallen. Offenbar waren wir nur Mittel zum Zweck und reine Befehlsempfänger. Doch wir hatten keine andere Wahl.

»Was ist mit ES, Rhodan und den Kemeten?«, fragte ich schließlich. Rodrom schien sich wenig um unsere ärgsten Feinde zu kümmern.

»Sie werden alle sterben …«

3. Der zweite Tag der Konferenz

6. April 1307 NGZ, 4:45 Uhr

Perry Rhodan

»Morgenstund hat Gold im Mund«, sagte ich und stopfte mir das Honigbrötchen zwischen die Zähne. So früh morgens schliefen die meisten. Für mich war es ein willkommener Anlass, in Ruhe mit Sam zu frühstücken. Der Somer war ein angenehmer Tischnachbar. Draußen war es noch dunkel, doch langsam erhellte sich der Himmel, die künstliche Sonne war bereits zu erahnen.

Zwei komisch gekleidete Menschen, die man vielleicht am ehesten als Herolde bezeichnen konnte, fegten das Wirtshaus, putzten Tische und Stühle. Schon bald würde es mit den Verhandlungen weitergehen.

»Ich habe deinen Sohn während der Konferenz vermisst«, meinte Sam und nippte an seiner Tasse Earl Grey.

»Mikes Wege sind manchmal unergründlich. Die GRAND MASUT hat zehn Lichtjahre vom Sternenportal entfernt Position bezogen. Dort wartet er – auf was auch immer …«

Joak Cascal und Sandal Tolk betraten den Raum. Cascal wirkte etwas wirr, sein Haar war zerzaust, die Kippe drohte jeden Moment aus dem Mund zu fallen. Seufzend lümmelte er sich auf einen Barhocker.

»Whiskey.«

Tolk bemerkte uns und nickte zur Begrüßung. Wir erwiderten den Gruß. Sam starrte Cascal kopfschüttelnd an.

»Was ist geschehen?«, wollte ich schließlich wissen.

»Frauen!«, sagte Cascal knapp. »Anya ist einfach so in die Milchstraße zurückgekehrt, um da ein neues Leben anzufangen. Hat nicht mal Lebewohl gesagt. Klasse …«

Rhodan schmunzelte. Ein gebrochenes Herz. Cascal würde sich wieder erholen, er war hart im Nehmen. Dann dachte Rhodan über Anya Guuze nach. Zwei Frauen hatten Objursha überstanden. Von Myrielle Gatto wusste er, dass sie nun kämpfen wollte, um Objursha zu befreien. Anya war von anderer Art und ließ die Vergangenheit hinter sich und war offenbar von Cau Thons Drohung eingeschüchtert. Das war der feine Unterschied zwischen normalen Menschen und so etwas, was der allgemeine Volksmund als Helden bezeichnete. Auch wenn Rhodan diese Titulierung meist ablehnte, aber es war die beste Bezeichnung für jene, die die Verantwortung übernahmen und sich den Gefahren stellten.

»Einfache Menschen handeln einfach«, gab Sam von sich. »Mir bereitet jedoch eher Sorgen, wie die komplizierten Menschen heute handeln werden.«

Er spielte damit auf die bevorstehende Konferenz an. Ich wurde schlagartig ernst. Es ging um heikle Themen und ich bezweifelte, dass wir die Lösung dieser Probleme heute erreichten.

6:30 Uhr

Aurec

Langsam öffnete ich die Augen. Eigentlich war ich noch viel zu müde, um aufzustehen, aber ich musste ein Vorbild und einer der ersten bei der Konferenz sein. Ich blickte nach rechts. Kathy schlief noch. Ich schaute in ihr zartes Gesicht. Sie sah aus wie ein Engel. Friedlich, sanft – wie alle Frauen, wenn sie schliefen. Manchmal änderte sich das völlig, wenn sie erwachten. Nun, heute würde ich es nicht herausfinden. Ich wollte Kathy ausschlafen lassen.

Sicher würde ich sie erst heute Abend sehen. Bestimmt würde sie zusammen mit Saraah die Hochzeitsvorbereitungen angehen, wobei die Jerrer eigentlich auch auf der Konferenz sein müsste, als Repräsentantin ihres Volkes.

Ich drückte Kathy noch einen sanften Kuss auf die Stirn und machte mich ausgehfertig. Kaum war ich aus der Tür, lief mir Elyn über den Weg.

»Bereit für einen geschichtsträchtigen Tag?«, fragte ich sie.

Sie schenkte mir ein Lächeln und nickte.

»Ich bezweifele, dass dieser Tag als guter Tag in die Geschichte eingehen wird«, hörte ich eine bellende Stimme.

Ich drehte mich um. Anubis, gefolgt von Horus. Die beiden Kemeten waren imposante Erscheinungen. Wahrscheinlich wirkten sie auf die Terraner noch ehrfürchtiger, denn Anubis und Horus waren Gottheiten in der menschlichen Historie gewesen.

»Das Quarterium wird sich nicht am runden Tisch ergeben, vermutet mein Bruder«, sagte Horus schon etwas freundlicher. »Wir wissen noch nicht, was Rodrom mit dieser Artenbestandsregulierung zu tun hat – und das beunruhigt mich am meisten.«

Eines musste man den beiden Kemeten lassen: Sie holten einen schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Horus stoppte. Er hatte offensichtlich eine Nachricht erhalten. Der Falke öffnete eine Schatulle. Die Holografie von Isis erschien. Sie sprach etwas in kemetisch. Ich verstand es nicht, doch beide Kemeten wirkten sehr besorgt.

»Aurec, gehe du bereits zur Konferenz. Wir werden nachkommen. Wir müssen Wanderer verlassen, kommen aber bald zurück.«

Horus packte mich an den Schultern.

»Halte durch, Saggittone. Wenn Ra zum zweiten Mal aufwacht, erwarte unsere Ankunft.«

Mit diesem Rätsel ließen Horus und Anubis mich stehen. Ich blickte Elyn an. Was immer auch geschehen war, es verhieß nichts Gutes.

8:30 Uhr

Alle waren versammelt. Die Stimmung wirkte längst nicht mehr so euphorisch wie am gestrigen Tag. Die quarteriale Fraktion wirkte auch alles andere als freundlich. Nur der Emperador wahrte die diplomatischen Gepflogenheiten. An seiner Seite stand wieder sein Berater Diabolo.

Despair und Leticron zeigten sich wortkarg und wenig zuvorkommend. Aber das war man von ihnen gewohnt.

Perry Rhodan wirkte angespannt. Er begrüßte mich knapp. Kaiser Commanus war der letzte, der die Halle betrat, dann erschien, wie aufs Stichwort, auch schon ES.

»Ihr Narren! Was habt ihr nur getan?«, polterte er los. »Ihr wolltet euch gegen MODROR wehren und habt Cartwheel zu seinem potentiellen Verbündeten gemacht. Rodrom schaltet frei in Cartwheel und stiehlt die Seelen der Toten!«

Der Emperador sah verlegen auf den Boden und schwieg. Wie ein Schuljunge ließ er die Schelte über sich ergehen.

»Was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?«

»Wir dementieren dies«, erklärte Diabolo anstatt des Spaniers.

Sam erhob sich.

»Lügner! Wir wissen von dem Völkermord. Ihr habt euch MODROR angeschlossen. Gebt es endlich zu!«

»Nein!«, schrie der Emperador beinahe entsetzt auf. Er stand auf und schlug mit den Handflächen auf den Tisch. Es herrschte Stille. Perry Rhodan stand auf und ergriff das Wort.

»Leugnen nützt hier gar nichts. Die Anschuldigungen sind gewichtig und sie stammen von absolut zuverlässigen Quellen.« Rhodan nickte Sam zu. »Es gibt nur noch einen Ausweg für das Quarterium. Ein Geständnis!« Er wandte sich dem Emperador zu. »Don Philippe, ist es wirklich das, was ihr wollt? Tod und Krieg? Wollten Sie nicht etwas Neues und Gutes für die Menschen schaffen? Ein Imperium, das in Blut watet, soll etwas Besseres sein?«

Der Emperador setzte sich hin. Er schien geschafft zu sein, er atmete schwer und stierte Rhodan seltsam glasig an.

»Oder hat MODROR seine Finger im Spiel?«, fragte Perry. »Hat er Sie beeinflusst? Sagen Sie sich von ihm los und wir führen Cartwheel seinem eigentlichen Schicksal zu: als Bastion gegen MODROR.«

»Wieso?«

Perry Rhodan blickte den Überschweren verdutzt an. Leticron wiederholte seine Frage: »Wieso?« Dann grinste er überheblich. »Wieso soll Cartwheel eine Bastion gegen MODROR werden? Das hat uns nur Übel und Krieg eingebracht. Warum erkennst du nicht, Rhodan, dass das Quarterium auf die LFT keine Rücksicht nimmt. Im Gegenteil, nicht du solltest uns etwas diktieren, wir sollten es bei euch tun!«

»Bravo«, applaudierte Jenmuhs.

Dieses Gespräch wurde mehr und mehr zu einer Farce. Nur der Emperador und Despair schwiegen sich aus. Offenbar hatten Leticron und Jenmuhs die Verhandlungen übernommen.

»Der Kaiser von Dorgon schließt sich den Quarterialen Fürsten an«, erklärte Commanus in gewohnt arroganter Art.

Arimad ließ nicht lange auf eine Antwort warten.

»Es steht hier noch zur Diskussion, ob die hier versammelten Repräsentanten Dorgons und des Quarteriums überhaupt befugt sind, Entscheidungen zu treffen. Das Volk hat ihnen diese Erlaubnis jedenfalls nicht erteilt.«

»Frechheit!«, gellte Jenmuhs und plusterte die Backen auf. Es gelang ihm tatsächlich, noch fetter als üblich auszusehen.

»Ruhe jetzt!«, brüllte Rhodan. Er räusperte sich. »Wir haben uns hier versammelt, weil ES es so will. Wir waren uns einig, dass wir uns dem Willen von ES beugen und nun das! Seht ihr denn nicht die Bedrohung durch MODROR? Entweder wir halten zusammen oder wir sterben zusammen – denn MODROR wird nicht eher Ruhe geben, bis wir alle vernichtet sind! Auch Dorgon und das Quarterium werden keine Ausnahme bilden.«

Ich beobachtete die Reaktion des Verbrecherhaufens genau. Der Emperador blieb regungslos, Jenmuhs winkte ab, Leticron lächelte überheblich. Als ob er etwas wüsste, was uns verborgen blieb.

»MODROR hat uns seit der Schlacht im HELL-Sektor in Ruhe gelassen. Er wird es auch weiterhin tun, wenn wir ihn in Ruhe lassen«, sagte Leticron betont gelassen.

Rhodan blickte ihn verständnislos an. Doch auch er blieb ruhig. Ich ahnte nur, was in den beiden Erzfeinden vor sich ging. Ihre Fehde war uralt – mehr als tausend Jahre alt.

»Und was ist mit Rodrom? Er wurde in Siom Som und über Objursha gesichtet. Was sagt ihr dazu?«

Sams Frage war berechtigt.

»Wir sind über diese Phänomene ebenso beunruhigt«, versicherte der Emperador. »Wir wissen nicht, was Rodrom von uns will. Aber er lässt uns in Ruhe. Vielleicht sollten wir MODROR nicht mehr als Feind sehen, nur weil es DORGON gesagt hat. Besteht nicht die Möglichkeit auf einen friedlichen Kompromiss mit dieser Entität?«

»Das ich nicht lache«, rief Sam dazwischen. »Rodrom hat uns seine Verhandlungsbereitschaft ja so was von gezeigt. Als er die LONDON versenkte, Saggittor ausradierte und den SONNENHAMMER auf die Milchstraße hetzte, zum Beispiel. Wahrlich, die wollen mit uns verhandeln …«

Der Emperador verzog sein hässliches Gesicht zu einer Grimasse. Er wandte sich ab und schüttelte den Kopf.

»Dass Ihr immer so negativ denken müsst …«

»Wir sollten erst einmal die Ereignisse auf Objursha genauer klären. Daran liegt mir viel«, warf Perry ein.

Ich lehnte mich zurück. Der zweite Tag würde bestimmt nicht so erfolgreich sein wie der erste. Auf jeden Fall würden die Verhandlungen sehr lange dauern.

10:40 Uhr

Wir verfolgten die Diskussion auf der Raumstation. Hier war es für einen alten Mann viel gemütlicher. Außerdem waren die Damen sowieso mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt. Sie schmückten den Festsaal und bereiteten alles für die Trauung vor. Kurzfristig und aus organisatorischen Gründen hatten sie sich entschlossen, die Trauung auf SOLARIS STATION abzuhalten, anstatt auf Wanderer. Deshalb waren wir – kurz nach Beginn der Konferenz – nach SOLARIS STATION geflogen. Hier war es auch viel ruhiger als in Esthor.

Die Damen, das waren Nataly, Kathy, Jenny Taylor, Tania Walerty und die Braut selbst, Saraah! Mathew Wallace befand sich noch auf der IVANHOE II und musste Patrouillen mit dem SUPREMO-Raumer fliegen. Man ging bei der LFT auf Nummer sicher.

Auf Wanderer befanden sich mit Cascal, Gal’Arn, Jonathan Andrews, Sandal Tolk, Jan Scorbit und Elyn sehr erfahrene Kämpfer.

Uthe Scorbit und Yasmin Weydner betraten die Halle. Offensichtlich wollten sie mithelfen. Yasmin machte sich gleich daran und erzählte, wie sehr sie sich schon auf den Festschmaus freute. Uthe wirkte wieder sehr in sich gekehrt.

»Chronist«, grüßte sie mich dennoch sehr freundlich.

»Kindchen, wo ist denn Ihr Ehemann?«

Sie seufzte.

»Noch-Ehemann. Wir sind ja getrennt. Keine Ahnung. Er schwirrt irgendwo mit Will Dean hier herum.«

»Irgendetwas ist dann wohl nicht in Ordnung?«

»Keine Ahnung. Wieder einmal spielt Remus den Helden. Das hat die Ehe ruiniert. Nun lässt er mich wieder hängen.«

»Man spielt nicht den Helden, Misses Scorbit«, sagte ich ernst. »Man ist es. Und man kann die Verantwortung nicht ablehnen.«

Sie sah mich skeptisch an und seufzte. Missmutig musterte sie die Vorbereitungen. Ich konzentrierte mich wieder auf die Konferenz. Mein Freund Robert Mohlburry kommentierte über FOCUS-TV die Diskussionen. Er befand sich direkt auf Wanderer. Vielleicht sollte ich auch dorthin, obwohl es dort nicht so bequem war.

Ein lautes Stöhnen riss mich aus den Übertragungen. Tania Walerty ging es offensichtlich noch nicht viel besser. Sie hatte einen Kater und war unausstehlich. Die Mutantin Myrielle Gatto betrat den Saal. Sie wirkte verlegen, fast verloren. Ich wandte mich ihr zu.

»Kann ich Ihnen helfen, holdes Kind?«

Ihr Gesicht verzog sich einen Moment und dann fauchte sie:

»Ich bin kein holdes Kind und außerdem suche ich Cascal …«

»Der befindet sich auf Wanderer«, meinte Uthe Scorbit. »Brach heute Morgen recht früh auf, war übel gelaunt.«

»Ich weiß, warum. Diese Anya Guuze ist nach Terra zurückgeflogen, hat alle Brücken abgebrochen und sich nicht einmal verabschiedet. Das hat Joak wohl wehgetan.«

Bedauerlich fand ich es. Bedauerlich, dass Miss Guuze so charakterlos war. Aber es war auch ein relativ unbedeutendes Einzelschicksal, im Vergleich zu dem, worüber heute entschieden wurde.

Tania stürmte, die Hand auf dem Mund gepresst, aus dem Saal. Ich schmunzelte. Sie hatte ihre Fähigkeiten gestern wohl deutlich überschätzt.

Schlagartig wurde ich wieder ernst, als die Regenten über Objursha sprachen. Meine Geburtsstätte. Ich verstand nicht, wie solche grausamen Dinge dort passieren konnten.

Ich bemerkte, dass auch Myrielle Gatto ernst wurde. Ihre großen, grünblauen Augen waren wässrig. Die Erinnerung an Objursha musste ihr sehr nahe gehen. Sie hatte es durchlebt – aber auch überlebt.

»Wieso streiten die das ab?«, fragte sie mich.

»Weil sie sich den Konsequenzen nicht stellen wollen.«

»Ich hatte für diesen Verein noch gearbeitet. Und Cauthon vertraut. Es war die Hölle.«

Saraah rief Nataly und Kathy zu sich.

»Ich muss noch so viel machen. Hoffentlich diskutieren die noch sehr lange.« Sie lachte. »Falls nicht, hat Arimad die Aufgabe von mir bekommen, noch ein paar extra Diskussionen zu beginnen.«

Nataly drückte Saraah.

11:10 Uhr

»Findest du das wirklich spannend, Elyn?«

Jonathan sah die Alyske fragend an, schien ihr nicht zu glauben, dass die Konferenz sie begeisterte. Dabei war es höchst faszinierend für Elyn, die fremden Völker argumentieren zu sehen.

»An sich ist das ja wirklich interessant«, meinte Jan Scorbit und schnippte den Zigarettenstummel weg. »Aber im Moment ist so ein toter Punkt eingetreten.«

»Schau dir lieber einmal die beiden da an«, sagte Jonathan und deutete auf das Pärchen, das erheitert in Richtung Strand eilten.

Gal’Arn, Jonathan Andrews, Jan Scorbit und Elyn befanden sich dreizehn Kilometer von der Stadt entfernt. Sie überprüften eines der unzähligen kleinen Lager der »Zuschauer«. Gal’Arn hatte die Idee gehabt, sich so etwas nützlich zu machen.

Aber alles war friedlich. Zahlreiche Beiwohner der Konferenz waren zwar alkoholisiert, aber keiner war gewalttätig.

Elyn genoss die Gesellschaft all jener Wesen. Es war so ganz anders als bei ihrem Heimatvolk. Die Alysker waren zwar alt und weise, aber auch gefühlskalt geworden. Diese Wesen hier waren anders – lebendiger. Sie hatte neue Freunde gefunden, wie den weisen Gal’Arn, den kühnen Jonathan Andrews, den kämpferischen Jan Scorbit. Und auch viele andere, wie Yasmin Weydner oder Aurec. Die Alyske hatte Vertrauen zu diesen Menschen gefasst.

Sie hatte Hoffnung in diese Wesen. Hoffnung, dass durch das Gute in ihnen der Kampf gegen MODROR gewonnen werden konnte.

Elyn reckte den Kopf plötzlich in die Höhe. Sie hatte etwas gehört, einen Schrei. Es war sehr leise, aber sie hatte es deutlich wahrgenommen.

»Was ist?«, fragte Gal’Arn und blickte sie beunruhigt an.

»Irgendjemand ist in Gefahr.«

Gal’Arn nickte Andrews und Scorbit zu. Die vier rannten in Richtung Strand. Vor ihnen lag ein kleines Wäldchen. Langsam und mit gezückten Waffen liefen sie darauf zu. Ein Rascheln ließ Elyn stoppen. Die anderen blieben ebenfalls stehen und versuchten, etwas im Dunkel der Bäume zu erkennen.

Dann taumelte eine junge Frau heraus, eine Terranerin. Ihr Körper war blutverschmiert und ihr fehlte ein Arm. Kraftlos brach sie zusammen. Gal’Arn rannte auf sie zu, als urplötzlich eine zweite Gestalt aus dem Dickicht sprang. Der Ritter der Tiefe rollte sich zur Seite und wich dem Schlag der Kreatur aus. Während er noch in der Drehbewegung war, schlug er mit dem Schwert beide Beine des Angreifers ab. Der Ritter sprang auf und rammte die goldene Stichwaffe in die Kehle der Bestie.

Schwer atmend musterte Gal’Arn das Wesen. Elyn, Jonathan Andrews und Jan Scorbit traten näher. Jan untersuchte die junge Frau. Sie war tot.

Dann starrten alle vier auf das Geschöpf.

Es war ein Dscherr’Urk!

Elyn hörte wieder etwas. Sie konnte es nicht genau definieren. War es das Rauschen der Wellen? Die Brandung am Strand? Nein! Es klang anders. Trommeln! Es waren eindeutig Trommeln. Gemischt mit einem finsteren Gesang aus tausenden Kehlen. Ganz leise erst, aber es kam immer näher.

»Zum Strand«, rief Elyn und rannte los.

Ohne eine Sekunde zu zögern, liefen Gal’Arn, Scorbit und Andrews ihr hinterher. Als sie am Strand angekommen waren, lauerten zwei Späher der Dscherr’Urk auf sie. Andrews und Scorbit schossen sie mit ihren Strahlern nieder.

Elyn kletterte auf einen Felsen und sah in die Ferne.

»Was siehst du?«, fragte Andrews.

Elyn wurde bleich. Sie glaubte nicht, was sie sah. Hunderttausende Dscherr’Urk marschierten am Strand entlang. Eine schier endlos lange Schlange an Kriegern wälzte sich in Richtung Stadt.

»Eine Armee von MODROR bewegt sich auf uns zu. Hunderttausende Dscherr’Urk …«

»Bist du sicher?«, fragte Jan Scorbit. »Die Abtaster zeigen nämlich nichts an.«

»Sieh es dir an«, forderte die Alyske.

Scorbit, Andrews und Gal’Arn kletterten auch auf den Felsen. Nun sahen sie die gewaltige Streitmacht MODRORs.

Jedem war klar, welches Ziel diese Armee hatte: die Stadt.

4. Rodroms Feuersturm

Cauthon Despair

»Wie ich schon einmal betonte: Wir resozialisieren, wir terminieren nicht!«, sagte der Emperador trotzig.

Die Verhandlungen würden nichts bringen. Die Streiterei führte nur in eine Sackgasse. Die LFT würde uns niemals Glauben schenken.

Plötzlich schlug die Tür auf. Gal’Arn, Jonathan Andrews und Jan Scorbit stürmten hinein.

»Hunderttausende Dscherr’Urk marschieren auf die Stadt zu! Sie haben schon Zivilisten angegriffen!«

Es hatte begonnen! Die Meldung schlug ein wie ein Blitz. Ich sah Perry Rhodan fassungslos. Etwas, was sehr selten war. Aurec stand auf und blickte Sam und Gal’Arn fragend an. Nun wurde es für uns Zeit aufzubrechen. Doch Rhodan und Aurec sollten die Finte nicht merken. Der Emperador blickte entsetzt zu Perry Rhodan und brachte kein Wort hervor. War es gespielt?

»Wie weit sind die Dscherr’Urk entfernt?«, fragte ich schließlich Jan Scorbit, der immer noch außer Atem war.

»Etwa dreißig Kilometer. Sie werden wohl in zwei bis drei Stunden vor den Toren der Stadt sein.«

Drei Stunden waren eine lange Zeit. Ausreichend, um alle Zivilisten zu evakuieren.

»Jan, informieren Sie bitte sofort die Raumstationen und die LFT-Flotte. Sie sollen die Zivilisten sofort abholen.«

Scorbit bestätigte und eilte zum nächsten Kommunikationsmittel. Rhodan sah zu ES hinüber. Der Weißbärtige war sehr gefasst und zog eine Augenbraue hoch.

»Ich werde in zwei Stunden wieder hier sein. Ich muss etwas erledigen«, sagte ES und löste sich auf, ehe Perry etwas sagen konnte. Ich fand es seltsam, dass ES so von MODROR überrumpelt wurde. Vielleicht wollte die Superintelligenz sich jetzt erneut Rodrom stellen, um ihn zu schlagen. Wie dem auch sei, ich musste meine Befehle befolgen.

»Was tun wir jetzt, Despair?«, fragte der Emperador ängstlich. »Wir sollten hier weg. Steht unsere Fähre bereit?«

Ich nickte kurz.

De la Siniestro gab Leticron, Jenmuhs und Diabolo ein Zeichen. Wir machten uns auf den Weg.

Gucky stellte sich uns in den Weg.

»Wo wollt ihr eigentlich hin?«

Der kleine Mausbiber stemmte die Hände in die Hüften und blickte uns böse an.

»Wir … wir … wollen nicht von den Dscherr’Urk getötet werden. Wir machen einen strategischen Rückzug«, erklärte der Emperador. »Am besten, ihr tut das gleiche.«

»Wir benötigen jede Fähre, um die Zivilisten zu evakuieren. Auch die Quarterialen«, beharrte Gucky. »Das bedeutet, ihr bleibt hier und zuerst die Zivilisten.«

Jan Scorbit stürmte wieder in den Raum.

»Alle Kommunikationskanäle sind blockiert …«

Ich bemerkte, wie der Emperador immer unruhiger wurde. Auch Jenmuhs und Leticron wirkten aufgewühlt.

»Lass uns jetzt hier durch, Ratte!«, grollte Leticron. Dann begann sich Gucky vor Schmerz zu winden. Es eskalierte nun! Der Ilt drückte Leticron telekinetisch gegen die Wand.

»Aufhören!«, rief Rhodan.

Der Emperador, Jenmuhs und Diabolo nutzten die Verwirrung und schlichen sich aus dem Gebäude. Ich bekam mit, wie sie Rosan packten und mit sich zogen. Sie wehrte sich, hatte aber keine Chance, den mechanischen Fängen des Posbis zu entrinnen.

Leticron rappelte sich auf und versuchte, seine mutantischen Fähigkeiten einzusetzen.

»Du wirst mir nichts tun, Ilt. Du liebst mich doch.«

Gucky fasste sich an die Stirn und schien unter dem von Leticron erzeugten psychischen Druck zu leiden. Plötzlich fegte er den Überschweren mit einer Handbewegung telekinetisch gegen den Tisch.

Jetzt musste ich eingreifen. Ich zog das Schwert und schlug mit der stumpfen Seite auf Guckys Kopf. Der Mausbiber brach sofort zusammen. Jan Scorbit zog seinen Thermostrahler – umsonst, denn ich schlug ihm die rechte Hand ab.

Commanus packte mich.

»Gut gemacht, Despair. Jetzt nichts wie weg.«

Der Kaiser Dorgons hielt inne, als er seine Frau sah. Er griff in Arimads Haar und zog sie zu sich.

»Du wirst mitkommen, Weib!«

Leticron rappelte sich auf und folgte uns. Wir stürmten aus der Halle. Gal’Arn und Jonathan Andrews rannten uns entgegen. Sie liefen an uns vorbei, offenbar, um den anderen zu helfen.

Wir gingen weiter. Es brach eine Panik in der Stadt aus. Tausende, Zehntausende von Menschen rannten in die Stadt. Weit in der Ferne erkannten wir eine dunkle Masse, die sich auf Esthor zubewegte. Sie war noch weit weg, kam aber immer näher.

Das waren die Dscherr’Urk. Da marschierten Rodroms Monster, angeführt vom Roten selbst und meinen Brüdern des Chaos Goshkan und Cau Thon.

»Weiht mich ein, Despair«, rief Commanus, während wir rannten. »Hat er den Befehl gegeben? Ihr wisst es doch sicherlich.«

Noch nie hatten wir offen darüber gesprochen, obwohl ich von Cau Thon wusste, dass Commanus von ihm rekrutiert worden war.

»Unser Meister hat alles geplant. Es geschieht nach seinem Willen.«

Arimad versuchte sich loszureißen. Sie biss in Commanus Hand. Brüllend ließ er von ihr ab, doch sie rannte direkt in Leticrons Arme. Mit einem mächtigen Schubser landete sie wieder bei Commanus.

»Halt!«, rief eine Frauenstimme.

Wir stoppten. Die Alyske Elyn versperrte uns den Weg. Ich zog mein Caritschwert und grüßte die Gegnerin. Elyn erwiderte die Ehrbezeugung mit ihrem gekrümmten Schwert.

»Verräter der Menschheit. Wie konntet ihr das nur tun?«

»Ich weiß gar nicht, wovon du redest?«, meinte Commanus und hob unschuldig die Hände.

»Von eurem Angriff in der Halle«, erwiderte Elyn. »Von Jan und Gucky.« Sie blickte mich an. »Und ich denke, dass ihr mit MODROR unter einer Decke steckt.«

Leticron zog seinen Strahler und schoss auf Elyn. Behände wich sie aus. Ich nutzte die Gelegenheit, um sie anzugreifen. Sie parierte den ersten Schlag, doch sie blieb am Boden.

»Lauft weiter«, rief ich den anderen zu.

Elyn rollte sich, doch ich trat ihr in die Seite. Keuchend rollte sie weiter, kam nicht hoch. Sie war mir ausgeliefert. Ich konnte sie nun töten. Aber ich wollte es nicht. Elyn war wunderschön. Und sie kämpfte – aus ihrer Sicht – für eine edle Sache.

»Rette dein Leben, Alyske! Flieh, solange es noch geht.«

Sie sah mich verdutzt, ungläubig, zweifelnd an.

»Du bist ein Sohn des Chaos, richtig? Ich spüre dieselbe Aura, die ich bei Cau Thon gespürt habe. Wieso zeigst du dann Erbarmen?«

Sie war klug und sehr intuitiv. Elyn hatte die Dinge erkannt, aber das war zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht mehr schwierig. Wir konnten unsere Allianz mit MODROR nicht länger verbergen. Die Maskerade war vorbei. Ich redete wider besseres Wissen:

»Weil ich ein Mensch bin. Das Quarterium wird die Menschheit in eine neue, bessere Zukunft führen, wenn der Krieg vorbei ist. Die Ära Perry Rhodan ist vorbei. Die Ära der Kosmokraten und Superintelligenzen ist vorbei. Die Stunde des Kosmotarchen schlägt. Das Universum wird reformiert und das Quarterium steht ganz vorn!«

Elyn stand auf und hielt mir die Spitze ihres Schwertes entgegen.

»Ich habe schon vor Jahrtausenden die Reformen des Kosmotarchen erlebt. Tod und Zerstörung. Eine herrliche Zukunft, nicht wahr?«

Sie verstand nicht, worum es ging. Es würde zu lange dauern, es ihr zu erklären. Aber ich wollte Elyn nicht töten.

»Geh mir aus dem Weg, Alyske. Dein Tod nützt mir nichts.«

»Aber mir nützt deiner etwas, Silberner Ritter.«

Ich konzentrierte mich auf meine mutantischen Fähigkeiten, schaute um mich, bemerkte ein kleines Kind. Ich schubste es telekinetisch über die Burgzinne. Das Kind klammerte sich schreiend am nackten Gestein fest und drohte den Halt zu verlieren. Elyn bemerkte dies.

»Nun darfst du wählen. Mein Tod oder der Tod eines unschuldigen Kindes.«

Elyn zögerte nur einem Moment, sah zum Kind herüber, dann zu mir. Und schon rannte sie los, um das Kind zu retten. Ich lief nun in Richtung der Fähre weiter. Aus der Ferne hörte ich die Trommeln und den Gesang der Dscherr’Urk. Ein schwarzer Nebel glitt langsam auf die Stadt zu. Das war die Armee MODRORs. Sie würde Perry Rhodans Untergang herbeiführen.

Ich erreichte die Fähre. Leticron wartete draußen auf mich.

»De la Siniestro, die Frau, der Posbi und unser feiger Fettsack sind schon drin. Jetzt schnell los.«

Plötzlich zischte ein Energiestrahl an mir vorbei. Ein zweiter schlug in die Metallhülle der Fähre ein. Ich zog mein Schwert und parierte den dritten Schuss.

Cascal und Tolk!

Leticron hob die Hände.

»Wir ergeben uns.«

Cascal spuckte auf den Boden.

»Das ist mir egal. Auf diese Chance habe ich schon seit Jahren gewartet. Die gesamte Führung des Quarteriums auf einen Haufen – endlich als Verräter der Menschheit enttarnt.«

Sandal Tolk schrie laut auf. Er presste die Hände an den Bauch und brüllte als befand er sich im Todeskampf. Der Barbar von Exota Alpha sank auf die Knie und hechelte, rang nach Luft.

Leticron blickte ihn kalt an. Jetzt verstand ich. Der Corun setzte seine mutantische Fähigkeit der Metagruppierung ein. Er verformte Tolks Organe. Welch schrecklicher, qualvoller Tod.

Bevor Joak Cascal auf Leticron feuerte, hatte ich seine Sorge um Tolk genutzt, um ihn zu packen. Mühelos riss ich ihm die Waffe aus der Hand und drückte zu.

Cascal zückte ein Messer und hieb es mir in die Seite. Vor Schmerzen ließ ich los, dann donnerte ich mit meiner Faust in Cascals Gesicht. Benommen kullerte er zu Boden und blieb liegen.

»Weg hier«, sagte ich knapp.

Leticron machte keine Anstalten zu gehen. Er schien Sandal Tolks Todeskampf zu genießen. Tolks Leben lag in Leticrons Händen.

»Es ist genug jetzt. Töte ihn oder lass ihn am Leben. Aber entscheide dich jetzt, bevor noch mehr von denen ankommen«, sprach ich eindringlich.

Leticron sah mich irritiert an. Er schmunzelte, dann verfinsterte sich sein Blick. Tolk schrie auf, röchelte. Gewaltige Schmerzen zogen durch den muskelbepackten Körper, ließen nach. Tolk rappelte sich auf, nahm Pfeil und Boden und zielte. Im gleichen Moment bogen sich seine Unterarme um, als seien sie aus Gummi. Tolk starrte ungläubig auf seine baumelnden Arme. Dann knickten die Beine weg.

»Sieh nur, du Untermensch! Was bist du jetzt noch wert? Nichts«, verhöhnte ihn Leticron. »Ein Krüppel. Und nun, Barbar von Exota Alpha, wirst du sterben!«

Leticron lachte. Doch es knallte plötzlich laut. Leticron brüllte auf und fasste sich an die Brust. Ehe ich ihm helfen konnte, war ich von drei Gestalten umringt: Gal’Arn und Elyn mit gezogenem Schwert und Jonathan Andrews mit einem Gewehr in der Hand. zugleich startete die Space-Jet. Die Außengeschütze feuerten. Leticron krabbelte in die Luke und ich sprang mit einem Satz ebenfalls hoch. Gal’Arns Schwert streifte mich noch am Bein, aber wir waren gerettet.

Die Space-Jet verließ mit hoher Beschleunigung den Planeten und brauste auf die EL CID zu. Kaum hatten wir den Orbit verlassen, verdunkelte sich der Himmel über den Planeten, bis sich eine schwarze Hülle um ihn legte. Nichts war mehr von der Oberfläche zu erkennen.

MODRORs Krieg hatte begonnen.

*

Xavier Jeamour schüttelte genervt den Kopf. Die Hälfte seiner Brückencrew war dienstuntauglich. Tania Walerty torkelte in Katerstimmung durch SOLARIS STATION, Jenny Taylor war ebenfalls noch von den Folgen des gestrigen Abends gezeichnet. Wallace wirkte angegriffen und schlief beinahe im Sessel ein. Nur Dove und Lorif waren voll auf der Höhe. Der Posbi brachte ihnen seit zwei Stunden den Alkohol in wissenschaftlicher Form näher.

Jeamour aktivierte das Trivid. Robert Mohlburry kommentierte den gestrigen Tag.

»Hoffnung und Endgültigkeit liegen nahe beieinander. Geschichte wurde gestern schon geschrieben, als Arimad ihren Ehemann herausforderte. Demokratie gegen Monarchie. Dorgon ist erneut im Wandel der Zeit. Wer wird diesmal siegen? Ich wünsche der Freiheit und dem Frieden alles Gute.«

Jeamour erinnerte sich an ihr erstes großes Abenteuer auf der IVANHOE. Das war 1292 NGZ in M 100 gewesen. Eine lange Zeit, in der er zumeist Kommandant der IVANHOE war. Bei der LFT, unter Camelot und kurzzeitig im Dienste des Quarteriums, um dann schließlich zur USO zu desertieren. Wenige Konstanten hatte es in dieser Zeit gegeben. Zwei wichtige waren das Schiff selbst – die IVANHOE und IVANHOE II – und ihre Crew! Mit Stolz sah er Wallace, Lorif, Dove und die anderen an. Auf diese Besatzung bildete er sich etwas ein, wusste, dass er jederzeit auf sie zählen konnte. Bis auf Jonathan Fraces, der während der Schlacht um den HELL-Sektor gestorben war, war es die alte Hauptcrew. Tania Walerty war 1298 NGZ dazu gestoßen. Aber sie war auch schon neun Jahre dabei.

Inzwischen lief die Übertragung der Konferenz wieder. Wallace kauerte in seinem Navigationssessel und nuckelte lustlos an seinem Kaffee.

Plötzlich brach die Verbindung zum Trivid ab.

»Lorif, justieren Sie die Frequenz neu.«

Der Posbi tippte wild auf seinem Touchpad herum, bekam aber keine stabile Verbindung zustande. Er versuchte eine Funkverbindung mit der FOCUS herzustellen. Nichts! Lorif funkte die Space-Jets auf Wanderer an. Wieder nichts.

»Die Abtaster dringen nicht mehr durch die Atmosphäre«, meldete er. »Offenbar baut sich eine Barriere um Wanderer auf.«

Jeamour gab Alarm gelb.

Eine dunkle Wolkendecke zog sich um Wanderer. Innerhalb weniger Minuten hatte ein schwarzer Nebel die gesamte Welt umschlossen. Blitze zuckten überall aus den Wirbeln.

»Die Beschaffenheit dieser Wolken ist nicht genau zu definieren. Sie blockieren jegliches Scannen.«

»Schicken Sie eine unbemannte Sonde hindurch, Mister Dove«, befahl Jeamour.

»Captain Elahrt ist bereits mit einer Space-Jet unterwegs. Er wird die Sonde aussetzen.«

Jeamour nickte knapp und beobachtete das seltsame Phänomen. Urplötzlich durchbrachen zwei Fähren die dicke Wolkendecke. Ein quarteriales und ein dorgonisches Schiff.

»Funkverbindung aufnehmen …«

»Sie antworten nicht«, meldete Lorif. »Es sind die kaiserlichen Fähren von de la Siniestro und Commanus. Den Abtastern nach befinden sich jene auch an Bord.«

Jeamour fragte sich, was vorgefallen war. Inzwischen hatte Tym Elahrts Raumer die Dunkelwolke erreicht. Langsam fuhren aus einem Dock die Robotersonden aus. Zwei Energiesalven zerschossen die Sonde und unmittelbar danach die Space-Jet. Jeamour schloss die Augen für wenige Sekunden. Tym Elahrt war tot. Seine nächste Frage war rein rhetorisch. Die Antwort kannte er.

»Position der MODROR-Schiffe?«

»Sie bewegen sich auf Wanderer zu und haben das Feuer eröffnet«, meldete Dove und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Roter Alarm, Admiral?«

Jeamour bestätigte.

»Informieren Sie die Wachflotten der Alliierten, der Dorgonen und des Quarteriums. Wir sind immerhin rund zehntausend Einheiten, die nur eintausend.«

»Das ist nicht ganz korrekt, Sir«, sagte Lorif und deutete auf die Ortungsanzeigen. Vor Jeamour vergrößerte sich der Abschnitt direkt vor dem Sternenportal. Plötzlich strömten tausende Schiffe heraus, darunter auch zwei, die Jeamour besonders auffielen. Eine burgähnliche, fliegende Stadt mit einer Höhe von mehreren hundert Kilometern und ein Raumschiff, dessen Form einem humanoiden Totenschädel glich.

»Die LEIF ERIKSSON fragt, was wir tun sollen?«, meldete Dove.

»Einundzwanzigtausend Schlachtschiffe sind es nach ersten ungenauen Zählungen«, erklärte Lorif. »Schiffe aus Barym, von den Dscherr’Urk und viele unbekannte Einheiten.«

»MODRORs Invasion«, sagte Wallace leise.

Die Einheiten MODRORs flogen direkt auf Wanderer zu und positionierten sich im Orbit. Noch war außer den zwei Schüssen auf Tym Elahrts Space-Jets kein Kampfgefecht zustande gekommen. Doch Jeamour war sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis hier die Hölle losbrach. Die Verbindung nach Wanderer war unterbrochen, das Schicksal von Perry Rhodan und Aurec ungewiss. Vor ihnen befand sich eine Übermacht. Nun dämmerte es Xavier Jeamour so langsam, was hier vorging.

»Eine Falle …«

»Was?«, fragte Wallace.

»Die Konferenz, Mathew … die ganze Konferenz war eine Falle von MODROR!«

5. Offenbarung

6. April 1307 NGZ, 13:19 Uhr

Perry Rhodan

»MODRORs Truppen sind auf Wanderer!«

Mit aller Eindringlichkeit sprach ich diese Worte, denn ES schien den Ernst der Lage nicht ganz zu verstehen. Die finsteren Kreaturen MODRORs waren in seiner Residenz. Wie musste sich die Superintelligenz jetzt fühlen? Entmachtet? Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte ich Furcht. Wenn nicht einmal ES dieses Höllengeschöpf MODROR stoppen konnte, wer zum Teufel dann?

Zwei Stunden war ES weg gewesen. In jener Zeit waren die Dscherr’Urk bedrohlich nahe gekommen. Sie waren vielleicht noch zehn Kilometer von Esthor entfernt. In rund einer Stunde, maximal neunzig Minuten waren sie vor den Toren der Stadt.

Lachen! ES lachte! Es war das mir so verdammt bekannte höhnische Gelächter der Superintelligenz. Hatte ES noch einen Trumpf im Ärmel?

»Keine Sorge, Perry Rhodan. MODROR wird mir nichts anhaben.«

Ich blickte in das alte Gesicht der Superintelligenz. Die grauen Augen zwischen den wallenden weißen Haaren und dem Rauschebart funkelten zuversichtlich.

Seine Worte beruhigten mich.

»Was sollen wir tun? Ich habe Anweisung gegeben, alle Lebewesen nach Esthor zu bringen. Jedoch ist die Kommunikation zu meinen Schiffen abgebrochen. Ich fürchte, MODROR unterbricht sie.«

»Oh«, machte ES und wanderte, gestützt auf seinem Stab, durch die Halle. »Nein, MODROR tut das nicht.«

»Nein?«

Ich war überrascht. Wer dann?

»Rodrom hat den Befehl gegeben, die Kommunikation zu blocken. Das weiß ich aus sicherer Quelle.«

Welche Relevanz hatte es, ob MODROR oder seine Inkarnation Rodrom die Verbindung zu meiner Flotte unterbrochen hatte? ES lachte wieder. Was war mit ihm los? Wieder so ein Anfall, wie damals, als er uns die Zellaktivatoren abgenommen hatte?

Aurec stürmte in den Thronsaal. Er war völlig außer Atem, seine Kombination dreckig, blutig.

»Was ist passiert?«

»Skurits und Dscherr’Urks lauerten uns auf, aber wir haben die Stadt erreicht. Sie marschieren auf Esthor zu. Zu Hunderttausenden!«

ES lachte wieder. Verdammt, war unsere Superintelligenz jetzt total meschugge? Seinen Humor wollte ich haben. Wir saßen in der Falle, eine Armee blutdurstiger Bestien marschierte auf uns zu und ES lachte.

»ES! Hilf uns!«

Aurec und ich sahen die Superintelligenz erwartungsvoll an. ES machte keine Anstalten uns zu antworten. Er setzte sich gemächlich in seinen breiten Thron mit dem purpurnen Bezug und breitete die Arme aus. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Wieso wusste ich nicht. Moment mal, es wurde hier wirklich kalt. Ich sah Aurec an. Auch er merkte es. Die Kälte ging von ES aus.

»Perry Rhodan, Aurec! Ich habe einen Rat für euch. Öffnet die Tore dieser Stadt und ergebt euch. Vielleicht lässt Rodrom Milde gegenüber den Unbedeutenden walten, Euer Tod ist jetzt gewiss.«

Aurec ballte die Fäuste. Er stellte sich vor ES.

»Bist du völlig durchgedreht? Wie kannst du uns in dieser finsteren Stunde solch einen Rat geben? Hilf uns! Es ist deine Pflicht!«

ES hob den Stab und schleuderte einen Energieblitz auf Aurec. Der Saggittone prallte zu Boden. Ich fuhr zusammen. Was war gerade passiert? Ich war völlig verwirrt, sah ES fassungslos an. Dann erst begriff ich, dass mein Freund verletzt am Boden lag. Ich eilte zu ihm, beugte mich herab. Auch in Aurecs Gesicht stand Verwunderung.

Ich sprang auf.

»ES! Was soll das? Bist du verrückt geworden?«

»ES …«, murmelte die Superintelligenz seltsam, »ES ist seit Jahrmillionen nicht bei Sinnen. Und du Wurm wagst es, den Verstand deiner geheiligten, göttlichen Superintelligenz in Frage zu stellen?«

ES hob seinen Stab. Ich sah den Blitz aufzucken, er traf mich. Mein ganzer Körper wurde von fürchterlichen Schmerzen durchzuckt. Ich fiel hin, schüttelte mich, dann ließ der Schmerz nach. Zurück blieb Entkräftung, Enttäuschung. Eine Welt brach für mich zusammen.

ES hatte uns verraten!

Jetzt erst begriff ich! Unser getreuster Gefährte stellte sich gegen seine Menschheit!

»Deine Zeit, Perry Rhodan, ist vorbei«, sagte ES mit donnernder Stimme, während er sich erhob. »Emperador de la Siniestro wird deinen Platz einnehmen und eine neue Menschheit anführen. Die alte werde ich aus diesem Universum vertilgen!«

Ich rappelte mich auf. Auch Aurec kam wieder auf die Füße. Er zog seinen Strahler und feuerte auf ES. Die Energieblitze verpufften an einer unsichtbaren Sphäre, die die Superintelligenz offenbar umhüllte.

»Du Narr! Ihr alle seid Narren. Insbesondere du, Rhodan. Du kleiner Wicht wolltest dich gegen MODROR stellen? Nun wirst du den Preis für deine Impertinenz bezahlen.«

Es wurde immer kälter. Ich begann zu zittern. Panik stieg in mir hoch. Ich kannte dieses Gefühl gar nicht mehr. Ich hatte furchtbare Angst. Wieso? Ich versuchte mich dagegen zu wehren, doch es ging nicht. Panik! Furcht! Bleib weg, ES! Lass mich in Ruhe!

»Hier auf dieser Welt werdet ihr sterben. Hier in diesem System wird die Elite der Feinde MODRORs untergehen.«

»Was hast du davon, ES?«, schrie Aurec laut.

Seine Stimme zitterte. Entweder vor Kälte oder auch er hatte diese unerklärliche Angst.

ES donnerte zwei Energieblitze auf uns. Die Schmerzen raubten mir beinahe den Verstand. Was war mit Aurec? Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er sich auf dem Boden wälzte.

»ES? Habt ihr es immer noch nicht erkannt, ihr hirnlosen Fleischdenker? Aber nein, dazu seid ihr zu leichtgläubig.«

ESʼ Stimme dröhnte in meinen Ohren. Die Schmerzen ließen nach. Ich wollte aufstehen, brach aber zusammen. ES hatte mir alle Kraft genommen, physisch wie auch psychisch. Ich konnte nur noch zusehen. Für einen Moment schloss ich die Augen. Jetzt kam mein Ende. Ausgerechnet ES würde mich richten. Er hatte sich von uns abgewandt. Nun erkannte ich, wie rücksichtslos auch ES war.

»Rhodan, mein junger Freund. Verzage nicht, noch wirst du nicht sterben. Nicht heute. Morgen wohl eher. Doch bevor du stirbst, sollst du einmal das Antlitz deiner Nemesis erblicken.«

ES ging einen Schritt zurück. Die Sphäre begann, blau zu leuchten. ES wurde in einen Nebel eingehüllt. Die Temperatur sank immer tiefer. Der Gefrierpunkt musste erreicht sein. Aurec packte mich, zog mich hoch. Mit letzter Kraft stellte ich mich auf die Beine.

»Wieso, ES? Wieso?«, schrie ich.

»Nicht ES …«

Was?

Aus dem Nebel schälte sich eine Gestalt. Sie trug ein schwarzes Gewand und auf dem Kopf lastete eine Kapuze.

Das dunkle Gesicht war von der Nase bis zum Hals mit einem grauen Tuch bedeckt. Die Augen leuchteten rötlichgolden. Es flammte ein dunkles Feuer in diesen Augen.

»Du Narr! Nicht ES!«

Die Kreatur schwebte auf uns zu. Mein Herz schlug höher, ich begann zu weinen, zu schreien. Panik schüttelte mich. Ich wollte mich nicht so gehen lassen, aber die Gewalt, die von diesem – Ding ausging, zwang mich dazu. Ich fiel auf den Boden, kreischte und wimmerte. Aurec erging es nicht anders.

Die Gestalt blieb stehen und sagte nur ein einziges Wort, seinen Namen, und dieser Name besiegelte meine Verzweiflung: »MODROR!«

ENDE

Es war eine Falle! MODROR selbst hat sich als ES ausgegeben und Perry Rhodan in einen tödlichen Hinterhalt gelockt. Tausende Schiffe haben Wanderer umschlossen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch das Quarterium eingreift. Mehr darüber erfahrt ihr in Heft 98, ebenfalls aus der Feder von Nils Hirseland, mit dem Titel:

STERNENWINDE

DORGON-Kommentar

Nun ist es also heraus. Der »Gott« der Terraner ist in Wirklichkeit der »Teufel« gewesen. Und ich hatte wohl allen Grund, gegenüber den Kosmokraten misstrauisch zu sein. Die Frage ist nun, wie es unsere Helden schaffen können, der tödlichen Falle MODRORs zu entgehen.

Meine Hoffnung stützt sich dabei auf Perrys alter Ego Bully, der wohl rechtzeitig »Lunte« gerochen hatte und einem ausdrücklichen Befehl seines Freundes zuwiderhandelte. Hoffen wir, dass er das Sternenportal rechtzeitig erreicht.

Auch bleibt die Frage offen, warum Perrys Sohn Michael so plötzlich verschwunden ist, es ist ja sonst bekanntermaßen nicht seine Art, bei irgendwelchen Feierlichkeiten zu fehlen.

Doch es steht zu befürchten, dass die Alliierten auf verlorenem Posten stehen, die Kosmokraten scheinen MODROR zu unterstützen und ES bleibt verschwunden. Wer soll Wesen mit der Macht der »Söhne des Chaos« eigentlich stoppen? Bleiben noch die Kemeten und die vage Hoffnung auf … ja, auf wen eigentlich? Niemand weiß Genaueres, doch irgendeine höhere Macht scheint auf den Plan getreten zu sein. Wird sie MODROR entgegentreten?

Lassen wir uns überraschen …

Jürgen Freier


Im vorliegenden Band führen wir wieder unsere Serie über die aktuellen Theorien der Kosmologie weiter. Im Mittelpunkt des Beitrages steht der 2. Teil von Max Planks Quantentheorie.

Quantentheorie II

Eine andere Konsequenz der Quantenphysik ist, dass die klassische, wohl bestimmte Bahn eines Teilchens auf der Ebene der Quanten nicht existiert. Sie erscheint uns als Beobachtern nur so!

Im quantentheoretischen Bild wird das Teilchen, das sich auf einer bestimmten Bahn bewegt, am einen Ort und Zeitpunkt im Raum erzeugt, an einem anderen vernichtet und wieder erzeugt, wieder vernichtet usw. Da dies auf der Quantenebene abläuft, die makroskopisch nicht beobachtbar ist, erscheint es uns so, als ob ein Teilchen eine Bahn durchläuft. Doch in Wahrheit gibt es in der Quantenwelt, also auch in der realen Natur, ein ständiges Kommen und Gehen, einen ständigen Prozess von Entstehung und Vernichtung von Teilchen, was mathematisch auch mit Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren beschrieben wird. Diese Erkenntnis bildet die Grundlage der Zweiten Quantisierung.

Die Konzepte der Zweiten Quantisierung wurden auch auf die Kosmologie übertragen. Diese Disziplin nennt man Quantenkosmologie.

Die Existenz vieler Paralleluniversen ist eine zwingende Folge dieses Ansatzes.

In der Quantenkosmologie spricht man daher von einem Multiversum. Auch diese Forschung bewegt sich im spekulativen Bereich und ist reine Theorie. Bisher gab es keinen Hinweis aus astronomischen Beobachtungen, die quantenkosmologische Szenarien stützen.

Die vermutlich schwerwiegendste Problematik der Physik ist die Verknüpfung der Quantentheorie mit der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die theoretischen Konzepte, die dieses Ziel verfolgen, werden als Quantengravitationen bezeichnet. Die aussichtsreichsten Kandidaten für eine Quantengravitation sind die Stringtheorien und – später hinzugekommen – die Loop-Quantengravitation.

Mit diesen Theorien ist wieder eine revolutionäre Sichtweise der Welt der Physik verbunden, vor allem bei der Loop-Quantengravitation. Sie unterscheiden sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von der Quantentheorie und der Relativitätstheorie: Beide haben sich noch nicht bewährt! Deshalb müssen Hypothesentests durchgeführt werden, die Stringtheorien und/oder Loop-Quantengravitation mehr Gewicht verleihen – oder entkräften. Nur auf diese Weise rückt man diese neuen theoretischen Konzepte aus dem Gebiet der Mathematik in das der Physik. Sie werden Theorien, die die Natur beschreiben.

GLOSSAR

Das Sternenportal der Lokalen Gruppe

Sternenportale sind riesige transmitterähnliche Portale, die in Nullzeit Raumschiffe von einer Galaxis zur anderen transportieren. Es muss jedoch eine Gegenstation dazu vorhanden sein. Die Technologie ist unbekannt. Man weiß nur, dass sie von DORGON stammt. Wie viele Sternenportale es gibt, ist nicht klar. Die Funktion ist simpel. Der Navigator eines Raumschiffes gibt die Koordinaten der Zielgalaxis ein und fliegt in einem entsprechenden Kursvektor durch das runde Portal, das einen Durchmesser von mehreren Kilometern haben kann.

Von dem Portal in Siom Som weiß man, dass im unmittelbaren Umfeld des Portals teilweise unbekannte Naturkräfte wirksam werden. Auch über ihre Natur liegen keinerlei Kenntnisse vor.

Das Sternenportal in der Lokalen Gruppe wurde 1296 NGZ entdeckt. Es befindet sich nahe einer planetenlosen Kleinsonne. Die genauen Koordinaten sind:

X = 3.439.926,49
Y = −4.144.647,70
Z = −1.811.266,29

Entfernung: 5.682.594,863 Lichtjahre

Das Portal liegt Richtung Maffei I (Maffei Group) und Richtung NGC 404.

Galaxien in der Nähe: Camelopardalis A 3,820 Mio Lichtjahre vom Sternenportal
NGC 752 1,777 Mio Lichtjahre vom Sternenportal
NGC 404 2,536 Mio Lichtjahre vom Sternenportal

Im Jahre 1307 NGZ befinden sich drei Raumstationen um das Sternenportal herum: SUN STATION, SOLARIS STATION und SOL STATION. Sie sind Anlaufstellen und Umschlagplätze für den Handel mit den weiter entfernten Galaxien.


Good Hope

12.400 Kilometer Durchmesser, Sauerstoffwelt, reich an Wasservorkommen. Stützpunkt der Rebellen und der USO in Erendyra. Good Hope trägt im erendyrischen den Namen Wlsom. Die Welt wird zumeist von primitiveren Lebensformen bewohnt und liegt weit abseits der Raumfahrtrouten.

Der Planet bietet allerlei Formen von Vegetation – Kiefernwälder, Savannen, Wüsten, große Ozeane und Eis- und Schneeregionen. Wlsom bzw. Good Hope umkreist eine blaue Sonne, besitzt zwei Monde und ist der fünfte von insgesamt neunundzwanzig Planeten, jedoch der einzige mit einer Atmosphäre.


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V. — Copyright © 1999-2017

Internet: www.proc.org & www.dorgon.netE-Mail: proc@proc.org

Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 97, veröffentlicht am 30.03.2017 —

Titelillustration: John Buurman • Innenillustrationen:

Lektorat: Alexandra Trinley • Digitale Formate: René Spreer