Band 59

Osiris-Zyklus

 

Hail Commanus

Dorgon krönt einen neuen Imperator

 

Ralf König

 

Was bisher geschah

Im Jahre 1299 hat sich in Cartwheel der Bund der Vier etabliert – eine Allianz aus dem Terrablock, dem Arkonblock, den Pelewon & Moogh und den Pariczanern.

In der Milchstraße konnte sich Perry Rhodan zwar mit Osiris, Horus, Anubis, Isis und Hathor einigen, doch Seth und Apophis haben die Kontrolle über die Pyramidenraumschiffe übernommen und wollen Terra erobern.

In M100 Dorgon muss Kaiser Uleman sich mit Widerständlern herumplagen. Der ehemalige Tribun versuchte Uleman zu töten. Doch ein ganz anderer Mann bekommt immer mehr Macht. Es ist der Schwiegersohn von Uleman. Nach der Heirat zwischen Commanus und Arimad ist der junge Dorgone nun der designierte Nachfolger des Kaisers. Schon bald könnte es heißen: HAIL COMMANUS …

Hauptpersonen

Uleman – Der Kaiser Dorgons.

Commanus – Er sieht sein Erbe bedroht.

Decrusian – Ein junger und starker Dorgone.

Arimad und Saraah – Für sie brechen schwere Zeiten an.

Cau Thon – Der Sohn des Chaos stiftet Unruhe.

Carilla – Der Separatist findet neue Verbündete.

Waldron Tragonar und Shenia Drenia – Die beiden Goner streiten sich unaufhörlich.

Torrinos – Der neue Anführer der Prettosgarde ist in Gefahr.

 

 

 

 

Die Verfolgten

»Von allen Schwachsinnigen, die mir jemals begegnet sind, bist du aber wirklich der Schlimmste.«

Die keifende Stimme schreckte mich aus allen Träumen. Ich verstand anfangs nicht, was die Person von mir wollte. Aber dann erkannte ich ihn. Er war mein Albtraum, das Schlimmste, was mit jemals passieren konnte. Leider wusste ich das damals noch nicht, sonst hätte ich ihn einfach erschlagen.

Heute war das leider nicht mehr so einfach. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, etwas, was alle in unserem Volk nicht oft taten. Ich musste es tun, denn sonst wäre ich tot gewesen. So hatte ich dank seiner Hilfe überlebt.

Die Dankbarkeit hielt sich aber heute in Grenzen.

»Schrei nicht so«, murmelte ich schläfrig. Dann musterte ich ihn. Er war schlampig gekleidet, aber das war nichts Neues. Etwas anderes hätte gar nicht zu ihm gepasst. Ich konnte seinen Anblick kaum noch ertragen. Aber ich musste mich beherrschen. »Waldron Tragonar, du stinkst wie tausend Ochsen.«

Er wirkte nicht im Geringsten beeindruckt. Er griff nach mir und zerrte mich aus dem Bett. »Langsam wird es wirklich Zeit, Trottel. Wir sollten schon längst diesen Ort verlassen haben.«

»Dom ist viel zu groß. Wir werden hier noch lange bleiben müssen.«

Ich schüttelte seufzend den Kopf, rappelte mich auf und verschwand im Badezimmer. Ich verriegelte die Tür hinter mir. Ich hatte zwar keine Angst, aber ich war vorsichtig. Eine Eigenschaft, die mir schon einige Mal das Leben gerettet hatte.

Wasser massierte meinen Körper, ich räkelte mich wohlig unter dem warmen Schleier, der mich wie eine zweite Haut umgab. Ich genoss diese Augenblicke, in denen ich allein war. Leider konnte Waldron dies nicht teilen, er verstand einfach nicht, worum es ging. Er hatte keinerlei Gefühl für eine Situation. Aber man konnte sich in den meisten Situationen auf ihn verlassen. Da ich die einzige war, die seine Bedürfnisse erfüllen konnte und außerdem die einzige Goner in diesem Teil der Galaxis, blieb ihm kaum etwas anderes übrig. Alle anderen betrachtete er als Gegner und das war in vielen Situationen hilfreich. Vor allem dann, wenn man weitgehend hilflos gegenüber den Wesen war, die auf dieser Welt lebten.

Zumindest galt das für die Teile der Stadt, in der man Fremde wie uns duldete. In den meisten Stadtteilen würde man sofort nach den Ordnungskräften schreien, wenn man Wesen wie uns sehen würde. Nicht so in den Bereichen östlich der Domar, einem Fluss, der die Unterbezirke der Stadt in zwei Teile teilte. Westlich des Flusses lebte man auf der richtigen Seite. Sollte man allerdings im Osten wohnen, dann war man nicht sehr angesehen. Wenn man von außerhalb kam, dann landete man bevorzugt im Osten.

Der kaiserliche Palast Pons Domus mit all den Prunkbauten lag im Westen. Ich hatte erst vor kurzem die Bilder der Traumhochzeit gesehen. Sie war schon eine schöne Frau, das musste man der Prinzessin lassen. Aber sie war offensichtlich auch nicht sonderlich intelligent. Bei ihrem Bräutigam hatte ich gleich ein ungutes Gefühl und ich war fast sicher, dass mich dieses nicht trügen würde. Sicher würde er sich gegen sie stellen. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber es würde geschehen, so sicher, wie auf Gon die Sonne immer hell grün am Morgen aufging.

Ich ließ mich trocknen und verließ das Hygienezimmer. Waldron wartete bereits ungeduldig. Körperliche Hygiene schien ihm ein Gräuel zu sein. Er hatte sich jedenfalls noch nie in eine dieser Nasszellen begeben, solange ich wach war. Allerdings musste das nichts heißen, er gehörte zu einer Unterart der Goner, die extrem wenig Schlaf benötigten. Es konnte durchaus sein, dass er während meiner ausgedehnten Schlafperioden all jene Tätigkeiten verrichtete, die ich ihn sonst niemals tun sah. Was sollte er auch sonst machen, solange ich wie schlief? Diese Eigenschaft meines Zweiges des gonischen Volkes war es, die mein Leben sehr abenteuerlich machte. Ich brauchte sehr viel Schlaf und war in dieser Zeit vollkommen hilflos. Ohne einen Goner wie Waldron wäre ich vermutlich schon lange tot.

»Ich wundere mich einfach, wie lange du immer für alles brauchst. So wirst du es niemals schaffen.«

Was auch immer mein Partner damit meinte, es blieb im Dunkeln. Ich brach auf die Knie, nachdem ein Blitz meine Gedanken auszulöschen schien. Von einem Augenblick zum anderen war da nichts mehr. Dann drehten sich meine Gedanken wie in einem Strudel, wirbelten umher, spukten mich im Irgendwo aus und zeigten mir ein Gesicht, das mir nur zu vertraut war. Es erschien mir öfter in meinen Träumen. Bisher war es mir allerdings noch niemals in Wirklichkeit erschienen, niemals während einer Wachperiode. Während einer Wachperiode war ich jedem Gegner überlegen. Drei Tage dauerte eine solche an. Danach folgte eine ebenso lange Schlafperiode, in der ich fast übergangslos das Bewusstsein verlor und nur unter dem Schutz meines Freundes überleben konnte. Ich brauchte ihn also. Trotzdem konnte mein unfreiwilliger und ungeliebter Freund in diesen drei Tagen des Schlafes tun, was auch immer er wollte.

Jetzt aber hatte es mich während einer meiner Wachperioden erwischt. Ich studierte das Gesicht, konnte es aber nicht einordnen. Es gehörte einem Wesen, das eindeutig eine Bedrohung darstellte. In dieser Galaxis war es auf keinen Fall zu Hause. Woher auch immer es kam, es war in jedem Fall gefährlich.

Seine Gefährlichkeit tat fast körperlich weh. Es schmerzte, in seine feurig glühenden Augen zu sehen, die mir entgegen loderten und mir die schlimmsten Höllenqualen versprachen. Seine Haare waren der gleichen Flammenhölle entlehnt, züngelten von seinem Schädel und brachten die Umgebung beinahe zum Schmelzen, so heiß waren die Höllengluten, die dieses Wesen mit sich brachte.

Es öffnete den Mund und entblößte spitze Zähne. »Chaos«, stöhnte es. »Meine Söhne werden euch vernichten.«

Dann verschwand der Spuk, als wäre er niemals Wirklichkeit gewesen.

Stöhnend prallte ich auf den Boden, aufgefangen von einer Hand, die allerdings nicht schnell genug war, um meinen Sturz zu verhindern. Ich rappelte mich stöhnend auf, saß auf dem Boden und presste meine Hände gegen den Schädel. Er schien zerplatzen zu wollen. Die Schmerzen ließen aber schnell nach.

»Was war los, Trottel? Gestolpert?« Die Stimme von Waldron klang besorgt, im Gegensatz zu den Worten, die er verwendete.

Ich schüttelte den Kopf und erzählte es ihm.

Er wiegte den Kopf. »Er scheint schon nahe zu sein. Ich glaube nicht, dass wir es verhindern können.«

Er hörte sich vernünftig an, aber das war normal. Davon durfte man sich nicht täuschen lassen, er verstand es wunderbar, sich zu verstellen, wenn es darauf ankam.

»Du meinst, du kannst es nicht verhindern. Ich kann es ja allenfalls sehen.« Ich ballte ohnmächtig die Fäuste und neigte den Kopf nach links, eine Geste der Verneinung. Er sollte schweigen, das würde besser sein.

Schweigend verließen wir die Unterkunft, die wir die letzten drei Tage, während meiner Schlafphase, verwendet hatten. Der Domar erstrahlte im Licht der untergehenden Sonne. Wir Goner waren bevorzugt nachts aktiv, aber da wir mehrere Tage wach bleiben konnten, spielte das kaum eine Rolle. Letztendlich waren wir so lange aktiv, wie ich konnte, dann suchten wir uns wieder eine Unterkunft.

Ich ließ die glänzenden Bauten der Stadt auf mich wirken. Gemeinsam vertrauten wir uns den Bändern an, die uns in Richtung des Westens führten. Eine Zeit lang würden wir noch auf dieser Seite des Domar bleiben, irgendwann würden wir dann überwechseln. Verboten war es nicht, es war nur ungewöhnlich. Hindern würde uns niemand, wir wären nur ein Fremdkörper.

Diese Welt war seltsam. Und sie war durchaus gefährlich für Wesen wie uns, auch wenn wir äußerlich den Dorgonen nicht unähnlich waren. Sie rochen es, sie erkannten uns an unseren kupferfarbenen Haaren und an unserer grünen Haut. So grün, wie die morgendlichen Sonnenaufgänge auf Gon, die nur deshalb eine so ungewöhnliche Farbe hatten, weil unsere Atmosphäre von schwebenden Algen durchsetzt war.

Auch sie fehlten uns hier. Sie würden uns sehr viel Nahrung verschaffen, die wir nun mühsam erjagen mussten. Es war ungastlich, unsere Welt zu verlassen. Aber manchmal blieb einem nichts anderes übrig. Ich seufzte und warf einen Seitenblick auf meinen großen Freund. Er war fast drei Köpfe größer als ich und im Gegensatz zu mir ein wahres Kraftpaket. Letztendlich mochte ich ihn vielleicht nicht leiden, aber ich war auf ihn angewiesen. Und er auch auf mich. Eine perfekte Symbiose. Jedenfalls fast perfekt.

»Nun beweg' dich endlich, du Trottel.«

Ich seufzte. Waldron würde sich nie ändern. Nur mit Mühe konnte ich dranbleiben. Ich bemühte mich sehr darum.

Der Westen würde uns bald begrüßen dürfen.

Nur kurz streifte mein sehnsüchtiger Blick das andere Ufer, dann konzentrierte ich mich wieder auf unseren Weg. Das Wesen mit der Höllenfratze war nicht mehr erschienen. Irgendwann würde es wieder sichtbar werden.

Dann mussten wir vorsichtig sein.

Ich stolperte und prallte gegen den Rücken meines Begleiters. Er seufzte und setzte zu einer neuerlichen Beschimpfung an, aber er beherrschte sich. Vielleicht änderte sich doch einmal etwas. Ich wollte es aber nicht wirklich glauben.

 

Uleman

Carilla war immer noch der Schlächter, aber er war nicht mehr im Gefängnis von Dorgon. Derzeit hielt er sich in den Katakomben der Stadt Dom auf, in den Randbereichen, immer noch gejagt von Uleman und den Prettosgarden, aber in einer relativen, trügerischen Sicherheit, die ihn aufatmen ließ. Dazu gab es zwar keine Veranlassung, aber gerade ein Dorgone wie er brauchte es einfach, hin und wieder zu entspannen. Es war ihm klar, dass solche Momente selten waren. Deshalb strich er nachdenklich über seinen kahlen Kopf und spannte seinen muskulösen Körper an, während er in die Dunkelheit lauschte. Die Abwesenheit von Geräuschen beruhigte ihn. Nur das leise plätschern von Wasser konnte er vernehmen, unterbrochen vom fiepen einheimischer Tiere, die lichtscheu waren, aber wesentlich weniger Veranlassung dazu hatten, als er selbst.

Er lehnte an der Wand direkt neben einer Tür, die die Unterwelt einigermaßen wohnlich werden ließ. Direkt hinter der Tür wohnte er im Augenblick und nachdem er die Dunkelheit für einige Momente genossen hatte, betrat er wieder den dahinter liegenden Raum und verschloss die Tür sorgfältig hinter sich.

Der Raum war überraschend modern eingerichtet. Überwachungsanlagen zeigten die Umgebung des Palastes, Anlagen, die wohl nicht einmal der amtierende Kaiser kannte, lieferten Bilder in bestechender Schärfe.

Ein Spiegel an der Wand, zwischen den Anlagen wie ein Anachronismus wirkend, warf das Bild des Schlächters zurück. Der Dorgone schaute sich einen Moment lang in die Augen und musterte das Bild, das er abgab. Haare hatte er derzeit keine mehr, er hatte sich entschlossen, sie abzurasieren, bis er seinen Willen haben würde. Und sein Wille war die Macht über Dorgon. So lange wollte er auch äußerlich ein Zeichen setzen, selbst durch einen Blick in den Spiegel wollte er sichergehen, dass er sein Ziel niemals aus den Augen verlor.

Ein Ziel, das er seit langem im Auge hatte. Seit jener Zeit, als der schreckliche Unfall im All ihn seine Besatzung und fast auch seinen Verstand gekostet hatte. Eine Tatsache, die er nur zu gerne verleugnete.

Er war sich darüber im Klaren, dass sein Zustand eher sehr bedenklich war. Aber letztendlich war es ihm egal. Er wollte in dieser entscheidenden Phase seines Lebens, in der er es geschafft hatte, im Untergrund des Planeten Dorgon zu leben, ganz in der Nähe des Palastes keine Veränderung seines Bewusstseins in Kauf nehmen. Er wollte auch weiterhin so denken, wie bisher, auch wenn es bedeutete, die persönliche Freiheit, ein normales Leben zu führen, aufzugeben.

Als Kaiser musste man eben Opfer bringen. Das machte sich Carilla immer und immer wieder klar, so lange, bis er selbst daran glaubte, der Kaiser zu sein. Er straffte seinen kräftigen Körper, richtete sich auf und bewunderte sein Spiegelbild. Das Spiegelbild eines großen Mannes, eines bedeutenden, einzigartigen Dorgonen, der dazu bestimmt war, zu herrschen. Für wenige Augenblicke gab er sich diesem durchaus vertrauten Anfall von Narzissmus hin und atmete tief ein. Seine Mundwinkel verzogen sich, als er an den Schwächling dachte, der im Palast beheimatet war. Er schüttelte langsam den Kopf, drehte sich von seinem Spiegelbild weg und richtete den stechenden Blick seiner Augen auf Jarus, seinen treuen Diener.

»Es ist nicht zu glauben, dass dieser Kaiser immer noch Widerstand leistet.«

Jarus schwieg, lauschte dem Monolog seines Herrn schweigend.

»Jetzt hat er sogar einen Schwiegersohn, der nicht weniger schwach ist, als er selbst. Was sind diese Dorgonen gegen einen starken Herrscher, wie ich es wäre.«

Jarus nickte bestätigend. Er würde seinem Herrn niemals widersprechen.

»Wir werden es noch einmal versuchen. Diesmal wird es deine Aufgabe sein, den Kaiser und seinen Schwiegersohn zu töten. Seine Tochter ist keine Gefahr, vielleicht wäre sie sogar eine gute Gefährtin für mich selbst.« Er strich über sein Kinn und warf wiederum einen Blick in den Spiegel.

»Ohne jeden Zweifel«, bestätigte Jarus. Dann wagte er es, seinem Herrn eine Frage zu stellen: »Ihr meint, dass ich diesen Mord begehen soll?«

Carillas Stirn umwölkte sich, aber nur für einen Augenblick. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt.

»Du bist der richtige Kämpfer dafür. Ich vertraue dir.«

Jarus wollte widersprechen, aber dann gewann seine demütige Einstellung die Oberhand. Er nickte und wollte sich umdrehen.

Carilla hob die Hand und hielt ihn zurück. »Ich schätze es nicht, wenn man an meinen Entscheidungen zweifelt.«

Jarus zitterte, aber er ließ sich äußerlich nichts anmerken. Er nickte, wagte aber nicht, noch einmal etwas zu sagen.

Carilla blickte in den Spiegel und nickte sich dann selbst zu. Er wandte sich zu seinem Untergebenen um und blickte ihm tief in die Augen.

»Ich vergebe dir, mein treuer Diener. Aber ich erwarte, dass du meinen Befehl buchstabengetreu in die Tat umsetzt.«

Jarus nickte, verbeugte sich und verließ den Raum.

Carilla war allein und beschäftigte sich in der Folgezeit weniger mit seinen Bildschirmen, als vielmehr mit seinem Spiegelbild. Er nickte sich selbst zufrieden zu. Schließlich hatte er wieder einmal bewiesen, dass er der ideale Kaiser war.

Er setzte sich vor seine Bildschirme und beobachtete die kaiserliche Familie. Zumindest insoweit es auf den offiziellen Kanälen übertragen wurde.

Abgesehen davon waren seine Möglichkeiten der Beobachtung eher eingeschränkt. Es gab da zwar drei Kameras, aber sie waren nicht an den wichtigsten Stellen angebracht. Deshalb war nicht immer das zu sehen, was er zu sehen sich wünschen würde.

Aber damit musste er einfach leben. Seine Revolution war zu einem Zeitpunkt bereits fast gescheitert, als er eigentlich erst mit dem Aufbau des Widerstands beschäftigt gewesen war. Er musste sich eingestehen, dass er inzwischen fast alles verloren hatte, wofür er kämpfte. Letztendlich war er gescheitert. Er legte das Gesicht in die Hände und badete für einige Augenblicke in Selbstmitleid. Für wenige Momente war er bereit, sich der Realität zu stellen. Dann schüttelte er den Kopf, fuhr sich mit beiden Händen über den kahlen Schädel und richtete seinen fiebrigen Blick wieder auf die Bildschirme in seiner Unterkunft. Ja, die Revolution war in Gefahr. Aber er würde es dennoch irgendwie schaffen.

*

Jarus verschwand in seiner Unterkunft, verschloss die Tür und setzte sich auf sein karges Lager. Das Bewusstsein, seinen letzten Auftrag von seinem Herrn und Meister erhalten zu haben, machte sich mehr und mehr in ihm breit.

Sterben wollte er nicht, aber er wollte auch seinem Herrn ein treuer Diener sein. Und Jarus wusste, dass er diesen Auftrag erfüllen konnte. Er verfügte über weitaus größere Fähigkeiten, als seinem Herrn lediglich ein Diener zu sein. In seiner Heimat war er ein geachteter Krieger. Obgleich kleinwüchsig, war er schnell, absolut tödlich, wenn es darauf ankam und im Kampf mit mehreren Waffen ausgebildet. Ein Auftrag wie der eben erhaltene war also durchaus etwas für ihn.

Er richtete sich langsam auf, nahm eine Kombination aus seinem Schrankkoffer, die er bis heute darin verborgen hatte und legte sie mit langsamen, bedächtigen Bewegungen an. Eine Kampfmontur, wie sie in ganz Dorgon nur einmal zu finden war, kleidete ihn nun und schützte ihn auch. Das Kleidungsstück war mit Abwehrmöglichkeiten aktiver und passiver Art ausgerüstet, verfügte über Schutzschirme, Unsichtbarkeitsschirme und auch über Schusswaffen. Er selbst war in mehreren dorgonischen Kampfkünsten bewandert und damit ein gefährlicher Gegner für jeden, der sich mit ihm anlegen wollte. Auch ohne die Montur, würde es so mancher bereuen, sich mit Jarus anzulegen.

Aber die gesamte Prettosgarde war ein Gegner, den auch Jarus nicht gerne zum Feind haben wollte. Jedenfalls nicht dann, wenn er allein und nur mit seiner Kombination bewaffnet, gegen die Feinde ausziehen würde. Er war sich fast sicher, dass er von diesem Auftrag nicht zurückkehren würde. Und er war sich ebenso sicher, dass sein Herr und Meister das sehr genau wusste.

Also hatte sich Carilla entschlossen, die Zukunft ohne ihn anzugehen. Nicht etwa, weil er dachte, auf Jarus verzichten zu können. Carilla war sich über den Nutzen seines ergebenen Dieners im Klaren, das wusste auch Jarus sehr genau, und aus diesem Grund hatte er in der Vergangenheit auch jegliche Laune seines Herrn klaglos über sich ergehen lassen. Letztendlich würde ein Erfolg des Jarus aber bedeuten, dass Carilla ohne seinen treuen Gefolgsmann weitermachen musste. Und das würde sicher nicht einfach werden für den Herrscher. Jarus konnte das dann allerdings egal sein. Trotzdem machte er sich darüber Gedanken, war immer noch der treue Gefolgsmann seines Herrn.

Auf der anderen Seite, wenn er scheitern sollte, dann war auch die Revolution endgültig gescheitert. Jarus hätte es lieber gesehen, wenn sein Herr zusammen mit ihm eine neue Organisation unterhalb von Dom aufgebaut hätte, in den Katakomben, die schon so mancher Revolution in Dorgon ein fruchtbarer und sicherer Ort gewesen war, nicht zuletzt auch für die Revolution des Uleman von überragender Bedeutung.

Vermutlich war es einfach so, dass Carilla eine schnelle Entscheidung haben wollte. Wobei sich Jarus durchaus nicht sicher war, ob Carilla, dessen Geist nicht ungetrübt war, über die Konsequenz des Scheiterns seiner Person im Klaren war.

Wie auch immer, Jarus hatte einen klaren Auftrag. Und er gedachte, ihn auch zu erfüllen.

Entschlossen zog er jede einzelne Waffe aus dem dafür vorgesehenen Halfter, überprüfte sie, lud sie noch einmal nach, legte Energiemagazine und Raketen in entsprechende Werfer ein und überzeugte sich vom richtigen Sitz eines jeden Messers, das sich an seinem Körper befand. Für einen Moment musterte er das Emblem auf einer der Waffen, das zwei stilisierte Schlangen darstellte, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen und sich so gegenseitig gefangen hielten, in einem immerwährenden Schutzmantel eine Krone umgaben, die Krone seiner Welt. Jarus steckte den Dolch ein und verharrte für wenige Augenblicke. Eine Krone, die nicht dem Kaiser von Dorgon gehörte. Es gab nicht viele Völker, die solches vorweisen konnten. Und sein Volk war zwar bekannt, hatte es dennoch geschafft, seine Unabhängigkeit zu bewahren. Jarus spannte seine Muskeln. Er war zwar nicht gerade einer der größten Vertreter seines Volkes, aber ein wichtiger. Er war zum Herrschen geboren.

Er war ein Goner.

Zu schade, dass daraus nun wohl nichts mehr werden würde.

*

»Letztendlich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Entscheidung fallen würde.« Uleman räusperte sich und blickte mit leichtem Unbehagen in das Gesicht seines Schwiegersohnes.

Commanus sagte nichts, biss die Zähne zusammen, wirkte aber verletzt.

»Ich verstehe«, presste er dann zwischen den Zähnen hervor.

Uleman bemerkte sehr wohl, dass der Mann seiner Tochter mit dieser Entscheidung nicht einverstanden war. Nun, da er offiziell Thronfolger des Kaisers war und damit eine Position erreichen konnte, die er sich als Monarchist sehnlichst wünschte, war es für ihn wie ein Schlag ins Gesicht, dass der Kaiser ihm einen Partner an die Seite stellte, der zusammen mit ihm regieren sollte. Letztendlich hatte er es schon vermutet, früher oder später hatte es passieren müssen.

Und jetzt war es soweit. Der Kaiser, der sich offenkundig Sorgen über die Zeit nach seinem Tod machte, wollte seinem Volk ein gerechter Führer werden. Deshalb hatte er die Entscheidung verkündet, aus Dorgon eine Republik machen zu wollen. Die Frage der Führung ließ sich nicht so einfach klären. Solange das Volk noch nicht an eine Republik gewohnt war, war es nötig, eine Übergangsphase zu schaffen. Diese sollte von seinen Nachfolgern gestaltet werden. Wobei Commanus die Rolle der Monarchie übernahm und sein Adoptivsohn Decrusian auf die Seite der Demokratie gestellt werden sollte.

Damit war die zukünftige Regierung Dorgons ein Duumvirat, eine Zweierkonstellation, ein Konstrukt aus zwei Personen mit durchaus gegensätzlichen Ansichten, die sich erst einmal einigen mussten, bevor eine Entscheidung an den Senat übergeben wurde. Der Senat wurde als Instrument der Legislative neben den beiden Vertretern der Exekutive gestärkt und hatte weiter gehende Befugnisse als bisher. Zwar waren diese Befugnisse bereits unter Uleman sehr großzügig ausgelegt worden – der Kaiser hatte auch in Fällen, in denen er per Gesetz alleine entscheiden durfte, den Senat befragt –, aber auf diese Weise war das Forum Preconsus praktisch als wichtiges Instrument der Volksvertretung etabliert. Mit allen Konsequenzen, die eine solche Entscheidung nach sich zog.

Decrusian wirkte zufrieden, zufriedener jedenfalls als sein Schwager. Auch wenn der junge Dorgone nur ein Adoptivsohn war, fühlte er sich der Familie, die seine Ausbildung finanziert und gestaltet hatte, sehr verbunden. Besonders zu Arimad hatte er ein Verhältnis entwickelt, das dem zwischen Bruder und Schwester gleich kam. Besser sogar noch, denn im Gegensatz zu so manchen Geschwistern, die sich bevorzugt in die Haare bekamen, hatten die beiden ein eher freundschaftlich-harmonisches Verhältnis.

Commanus und Decrusian sollten nach dem Willen Ulemans also die Herrscher des Reiches Dorgon werden. Nach Ulemans Abdankung würde Dorgon zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Führung erhalten, die nicht absoluter Natur sondern vom Volk gelenkt war und auch im Interesse des Volkes entscheiden sollte. Ob das eine weise Entscheidung war, würde sich erst nach der Abdankung des Kaisers zeigen, vermutlich sogar einige Zeit danach, wenn das Volk und alle Beteiligten erkennen würden, wo die Vorteile oder aber auch die Nachteile einer solchen Konstellation lagen.

Commanus kannte die Nachteile schon jetzt – er würde den Anspruch auf den Thron nur bedingt umsetzen können, wäre dann darauf angewiesen, dass seine Anweisungen auch das Wohlgefallen eines Demokraten und des Senats fanden. Und das würde bedeuten, dass er zu einem Politiker werden musste, was er eigentlich niemals gewollt hatte. Die Rolle des absoluten Herrschers hingegen stand ihm wesentlich besser, das war ihm von vornherein klar gewesen.

Uleman erkannte durchaus, was in seinen beiden Nachfolgern vorging und genau wegen diesem Dualismus hatte er diese Konstellation gewählt. Letztendlich würden beide Kompromisse machen müssen, um zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Darüber hinaus würde dann auch noch der Senat zustimmen müssen. Nur gemeinsam war eine Regierung somit möglich.

Nun musste er diese Konstellation nur noch offiziell verkünden und zusammen mit dem Senat die dafür nötigen Gesetze erlassen, dann wäre die Republik Dorgon Wirklichkeit und somit zehn Jahre nach dem Ende der Revolution ein Abschluss gefunden, der für das Volk und auch die Herrschenden im Reiche Dorgon von geradezu ungeheuerlicher Tragweite war.

Uleman machte sich Sorgen, ob das Forum Preconsus so positiv reagieren würde. Wahrscheinlich konnte er sie mit dem erweiterten Machtbereich durchaus auf seine Seite bringen. Aber auch unter den Adligen und gewählten Vertretern im Senat waren Menschen und Wesen zu finden, die dem Kaisertum huldigten und gegen eine solche Novelle stimmen würden.

Also musste eine Rede und die folgenden Debatten ausgearbeitet und auf eine Weise vorbereitet werden, wie noch niemals zuvor. Dafür würde er noch einige Zeit benötigen und das machte er seinen beiden Thronfolgern auch klar.

»Ich schlage vor, dass ihr beide erst einmal über die Sache schlaft und euch Gedanken dazu macht. Ich bin sicher, dass es für Dorgon das Beste ist. Aber wenn ihr andere Vorschläge habt, bin ich gerne bereit, mir eure Argumente anzuhören.«

Er musterte beide. Sie schwiegen, vor allem Commanus beherrschte sich. Er wusste genau, dass er ohne gute Argumente seinen Schwiegervater nicht von diesem unheilvollen Entschluss abbringen konnte. Diese musste er aber erst einmal finden. Und so nickte er nur schweigend und verließ zusammen mit seinem Schwager den Raum. Als Uleman ihn aber zurückhielt, verharrte er auf der Schwelle, drehte sich zögernd um und trat wieder einige Schritte in den Raum, so dass sich die Tür schließen konnte. Er bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Decrusian vor der Tür wartete.

»Hoheit?« Fragend blickte er auf den Kaiser, der sich zurück gelehnt hatte und einen langen Blick aus dem Fenster in die untergehende Sonne warf.

Uleman zuckte zusammen, als er so unvermutet aus seinem Tagtraum gerissen wurde und blickte Commanus ins Gesicht.

Für einige Augenblicke lastete das Schweigen noch zwischen ihnen, dann räusperte sich der Kaiser.

»Mir ist schon klar, dass dieser Gesetzentwurf deine Zustimmung nicht findet, Commanus. Aber glaube mir, unser Volk verdient nach diesen langen Jahren eine Führung, die nicht nur ihren eigenen Interessen sondern vor allem jenen des Volkes seine volle Aufmerksamkeit widmet. Dies sollte aber nicht nur zufällig immer dann geschehen, wenn gerade mal wieder ein gerechter Herrscher an der Macht ist, sondern immer. Letztendlich ist das wohl für den Rest aller Tage nicht möglich, dazu passiert in unserer Welt zu viel. Regierungen kommen und gehen und auch die Republik wird eines Tages Vergangenheit sein.

Ich bin aber der Meinung, dass die Republik eine Chance verdient. Und aus diesem Grund wird meine Abdankung als Kaiser vor allem für Decrusian eine Bewährungsprobe werden. Er ist zwar sehr gut ausgebildet, aber nicht zum Herrschen. Dafür bist du besser geeignet. Trotzdem ist er meines Erachtens ein wichtiger Faktor, da er eher auf Seiten des Volkes steht. Ich wünsche daher, dass du Decrusian in allem bei der Führung der Amtsgeschäfte unterstützt. Wie sich das letztendlich auf die Zukunft des Reiches auswirkt, wird sich zeigen und hängt nicht zuletzt von eurem Geschick ab. Du und Decrusian, ihr seid das Paar der Zukunft. Jedenfalls wenn es um Dorgon geht.«

Mit diesem Worten entließ er Commanus, der die Fäuste ballte und sich am liebsten auf den Kaiser gestürzt hätte. Er beherrschte sich aber und nickte nur. Wortlos verließ er den Raum. Eine Nacht darüber schlafen, hatte der Kaiser gesagt.

Keine schlechte Idee, dachte der Thronfolger. Mal sehen, was der neue Morgen bringen wird.

 

Cau Thon

Eine unscheinbare Gestalt, deren rote Haut unter der Kapuze der Kutte hervorloderte, schlich fast lautlos durch die Gänge des Palastes. Wenn man genau hinschaute, konnte man die Schatten auf seiner Stirn erkennen. Sie sahen für einen Terraner aus wie drei Sechsen. Was sie in Wahrheit bedeuteten, wusste wohl nur das dunkle Wesen selbst, das wie ein Geist durch die Gänge des Palastes schlich und in die nächtlichen Schlafzimmer blickte. Menschen beim Liebesspiel, Menschen, die schliefen, nicht ahnend, dass ein Sohn des Chaos nahe war, Grabesstille, die nur durch die Geräusche von schlafenden Menschen unterbrochen wurde.

Cau Thon faltete die Hände und wanderte durch die Gänge wie ein Mönch. Seine Haltung wirkte fast demütig, aber sein Gang hatte etwas gefährliches, eine Ausstrahlung, die jedem, der ihn gesehen hätte, klargemacht hätte, dass ihr Ende nur die Bewegung einer Hand, vielleicht nur eines Fingers bedurft hätte.

Die düstere Gestalt wanderte zielstrebig in Richtung eines Flügels, in dem die kaiserliche Familie untergebracht war. Er näherte sich immer mehr einem Raum, in dem ein Mitglied der Familie eine rastlose Wanderung aufgenommen hatte. Ein zufriedenes Lächeln spielte um die Mundwinkel der Gestalt. Die dunklen Gänge verschluckten ihn. Niemand kreuzte seinen Weg.

*

Arimad und Saraah wanderten durch den Garten des Palastes, der in Blüte stand. In diesen Breiten war es fast das ganze Jahr über sehr schön. Natürlich nistete sich der Kaiser bereits seit alters her in einer Region des Planeten ein, die zu den schönsten gehörte.

Arimad, die ihre Hochzeit erst vor wenigen Monaten erlebt hatte, schwebte noch immer über den Wolken. Die ehemalige Sklavin Saraah beneidete sie darum. Eigentlich wäre sie auch sehr gerne mit einem Mann zusammen, aber letztendlich war es die einzig richtige Entscheidung gewesen, sich nicht auf eine neuerliche Affäre einzulassen. Der Abschied wäre nur umso schmerzhafter gewesen, wenn zwischen Matthew und ihr mehr gewesen wäre.

Das Gesicht des Geliebten tauchte vor ihrem geistigen Auge auf, schwebte geradezu im blauen Himmel des Planeten. Wenige Augenblicke nur gab sie sich dem Luxus hin, seine Gesichtszüge zu studieren und sie stellte erleichtert fest, dass sie noch jede Falte, jede Furche, jede Pore seines Gesichts zu kennen schien. Wenn sie es hätte zeichnen müssen – falls sie hätte zeichnen können, stellte sie mit einem inneren Schmunzeln fest – hätte es eher einer exakten Fotografie geglichen als einem Bild. So perfekt war das Antlitz, das da in der Helligkeit des schönen Tages stand.

Sie warf ihrer Begleiterin einen Seitenblick zu. Seit der Hochzeit hatte sich zwischen Arimad und Saraah eine ganz neue Art der Vertrautheit gebildet, die vorher nicht da gewesen war. Vielleicht war es der politischen Bedeutung zuzuschreiben, die Arimad nun erlangt hatte, da sie die Frau des Thronfolgers geworden war. Schon vorher war sie von vielen beneidet und umschwärmt worden. An ihrer Stellung hatte sich nicht viel geändert, nur war sie, an der Seite eines gut aussehenden Mannes, noch wesentlich mehr die Prinzessin der Herzen der Dorgonen geworden. Was auch immer geschehen würde, Arimad würde im Volk immer einen geradezu unsterblichen Ruf genießen.

War da Neid in ihren Gedanken? Letztendlich hatte sie dieses Leben doch gehabt, hatte sich davon verabschiedet, als sie in der Galaxis der Terraner zusammen mit Matthew gelebt und einige haarsträubende Abenteuer überstanden hatte. Gerne dachte sie noch an ihre Zeit auf Lepso zurück. Schön war es schon gewesen, aber die Gefahr war ziemlich schnell zum Alltag geworden, einem Alltag, den sie nicht genießen, dem sie nach kurzer Zeit nicht mehr sehr viel abgewinnen konnte. Und was war schon die Liebe zu einem Mann wert, um dessen Leben man fast täglich fürchten musste? Als er dann auch noch auf die IVANHOE zurückgekehrt war, war das Maß voll gewesen. Sie hatte eine schmerzliche, aber, wie sie meinte, endgültige Entscheidung getroffen und letztendlich war das auch der Grund, warum sein Aufenthalt auf Dorgon in jener Zeit nicht zu mehr als einem schüchternen Kuss auf die Wange geführt hatte.

Nein, Neid war da nicht. Nur eine innere Leere. Irgendwie fühlte sie, dass sie für eine lange Zeit nicht mehr würde lieben können. Eine Partnerschaft machte auf diese Weise keinen Sinn. Insofern war es durchaus verständlich, dass sie sich mehr und mehr auf ihre Arbeit konzentrierte und das Wort Vergnügen anscheinend aus ihrem Wortschatz gestrichen hatte. Aber da ging es ihr ähnlich, wie Arimad. Seit der Hochzeit hatte die Aufmerksamkeit der Medien kaum nachgelassen, das klatschsüchtige Volk auf Dorgon erwartete mehr und mehr Nachrichten, die sich um das Liebesleben der Kaisertochter und ihres Bräutigams drehten. Dabei waren Tatsachen durchaus nicht das Wesentliche. Auf der anderen Seite waren die Dorgonen schon von jeher ein Volk der Schöngeister gewesen. Deshalb ging es auch nicht nur um Klatsch. Einige der bedeutendsten Schriftschöpfer des Planeten hatten sich erboten, Geschichten um die Thronfolger zu schreiben, Erzählungen, die ihr Leben begleiten, immer wieder in neuen Auflagen, erneuerten Ausgaben, erscheinen würden, so lange, bis die Legende von Commanus und Arimad zu einem Ende gekommen war.

Ein solches Maß an Aufmerksamkeit war nun wiederum eindeutig zu viel, jedenfalls nach dem Geschmack der eher schüchternen Sklavin, die sich mittlerweile zwar durchaus zu einer selbstbewussten Erscheinung gewandelt hatte, die aber trotz allem immer noch die Zurückgezogenheit eher zu schätzen wusste als das Leben in der Öffentlichkeit.

Lange Zeit sprachen die beiden Frauen miteinander, über das Leben im Allgemeinen, ihre Erfahrungen in den letzten Jahren und das Glück, das sie beide doch hatten. Letztendlich kam dieses Glück Saraah auch nicht so erfüllt vor, es hatte mehr etwas von einem goldenen Käfig. Aber wer war sie, dass sie der zukünftigen Kaiserin von Dorgon widersprechen würde.

»Besonders aufregend waren die Wochen nach der Hochzeit. Eigentlich wollte ich mit Commanus weit weg fliegen, irgendeinen Planeten, vielleicht sogar deine Heimatwelt, aufsuchen und dort einen ausgiebigen Urlaub machen. Aber natürlich ging das nicht.«

Saraah nickte. Sie hatte alles über den Urlaub der beiden in der Presse gelesen und was sie nicht dort gefunden hatte, war letztendlich im Klatsch der gehobenen Gesellschaft von Dorgon breitgetreten worden. Sie hatten ihre Flitterwochen, wie die Terraner das so schön blumig beschrieben, auf einem der beiden Erholungskontinente von Dorgon verbracht. Ägol lag ebenfalls in einer gemäßigten Zone und genauso, wie Sasus, bestand es überwiegend aus einer wunderbaren Landschaft, einer reichhaltigen Tierwelt und einem Angebot aus Vergnügungsparks, Hotelanlagen, Safariparks und ähnlichen Zerstreuungen. Unterm Strich betrachtet ein Ort, an dem es sich gut leben ließ, wie Arimad auch nicht müde wurde, zu versichern.

»Du solltest da unbedingt auch mal hingehen. Ich würde dich gerne begleiten. Vielleicht wäre es ohnehin das Beste, wenn ich einige Zeit von der Bildfläche verschwinden würde.«

Für einen Augenblick verdüsterte sich ihr Blick, was Saraah durchaus bemerkte. Sie war in der Versuchung, diesen Augenblick zu ignorieren, aber letztendlich siegte sowohl die Neugier als auch ihre Sorge um die Freundin.

»Was ist los?«, fragte sie daher. »Alles in Ordnung?«

Nein, da war keine Träne. Nur das Sonnenlicht schimmerte im Auge der Kaisertochter. Aber es hätte eine Träne sein können. Saraah gewann den Eindruck, dass nach dieser Märchenhochzeit der Himmel längst nicht so voller Geigen hing – wie es die Terraner ebenso blumig ausdrückten – wie es den Anschein erwecken mochte.

»Ach, nichts. Es ist nur Commanus. Er ist so gereizt in letzter Zeit. Er scheint langsam aber sicher zu verstehen, welche Verantwortung da auf ihn zukommt. Eigentlich habe ich den Eindruck, dass er sich auf das, was da auf ihn zu kommt, nicht so richtig vorbereitet hat.«

»Oder ist es vielleicht was anderes? Verhält er sich merkwürdig?«

»Wie meinst du das?«

»Ach, nichts. Ich weiß nicht, was ich meine.«

Arimad blickte genauso ratlos, wie sich Saraah im Augenblick fühlte.

»Na ja, heute Morgen hat er besonders schlecht ausgesehen. So, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich weiß nicht, was los ist mit ihm. Vielleicht hatte er Streit mit meinem Vater. Oder mit Decrusian. In den letzten Tagen habe ich die beiden öfter zusammen gesehen, als mir lieb war. Ich verstehe nicht, was da los ist. Aber ich fühle, dass es eine ernste Sache ist.«

»Inwiefern ernst?«

»Nun ja, vielleicht wird es uns alle betreffen. Wie auch immer, ich weiß es nicht. Wie gesagt, letztendlich wäre ich am liebsten nicht mehr hier. Was meinst du, wollen wir uns auf den Weg machen, einen kurzen Urlaub auf Ägol verbringen, nur einige Tage ausspannen, vielleicht sogar nur einige Stunden?«

Ihr Blick hatte fast etwas Flehendes bekommen, während sie ihre Bitte äußerte. Sie schien wirklich nicht glücklich, und so willigte die Jerrer ein.

*

Am privaten Gleiter-Landeplatz trafen sich die beiden Frauen. Arimad wirkte etwas weniger aufgelöst, als sie mit ihrem Gepäck am Gleiter erschien. Saraah wartete bereits auf sie. Letztendlich war ihr nicht unrecht, dass sie einige Tage Erholung bekommen würde. Erholung war nicht das Schlechteste, vor allem, wenn man, wie sie beide, zu den Privilegierten des Planeten gehörte. Alles war nur eine Frage des Preises, oder auch der Bedeutung, die man selbst innerhalb des Volkes genoss. In diesem besonderen Fall war es ungeheuer, wie sehr die Lokal-Presse auf den spontanen Entschluss der zukünftigen Kaiserin reagierte. Fast alle lokalen Nachrichtenstationen brachten Sondersendungen, einige der Live-Sender, die fast ununterbrochen aus dem Kaiserpalast berichteten, verfolgten sie bereits mit fliegenden Kameras. Damit würde aber am Urlaubsort auf jeden Fall Schluss sein. An ihrem Urlaubsort würden sie in Ruhe gelassen werden.

Sie bestiegen schnell den Gleiter, winkten noch einmal in die Kameras und verließen dann unter dem Schutz einer Eskorte der Prettosgardisten den Kontinent. Schnell lag der Pons Domus hinter ihnen, versank in der Dunstglocke, die immer über der Stadt hing. Es war kein Smog, nur die Ausdünstungen einer Welt, die eindeutig überbevölkert war. Fast der gesamte Kontinent Patronn, auf dem die Stadt Dom gelegen war, wurde von der Hauptstadt des Landes bedeckt. Wie ein Moloch reichten die Häuser von einem Ende des Kontinents bis zum anderen. Ausgedehnte Hafenanlagen umgaben den Kontinent, allerdings fast ausnahmslos zum Zwecke der Vergnügung. Waren wurden fast ausschließlich mit Raumschiffen von den Kolonialwelten gebracht. Insgesamt war Dorgon durchaus eine schöne Welt, der man anmerkte, dass sie von Kaisern unterschiedlichsten Geschmacks auf unterschiedlichste Weise umgebaut worden, ausgebaut, erweitert, verkleinert, wiederum erweitert und in viele Richtungen gewuchert war. Grundsätzlich war Dom eine Welt, die von den Reichen und Schönen Dorgons bewohnt war. Ausnahmen waren früher Sklaven gewesen. Heutzutage gab es kaum noch Sklaven, was viele aus der gehobenen Bevölkerungsschicht durchaus bedauerten. Dafür gab es aber ein Stadtviertel östlich des Domar, in dem bevorzugt Mitglieder niederer Bevölkerungsschichten und Fremdlebewesen angesiedelt wurden.

Nach dem Ende der Tyrannei hatte sich schon eine Menge zum Guten verändert.

Nicht vergessen durfte man, dass die Stadt sich auch unterirdisch fortsetzte. Nicht nur die Katakomben waren unterhalb der Erde zu finden, außerdem gab es ausgedehnte Wohnviertel, deren Einwohner niemals oder zumindest sehr selten das Tageslicht sahen. Saraah dachte an Gerüchte, nach denen es ein Viertel geben sollte, das bis zu acht Kilometer tief unter der Erde lag. In diesem Viertel wohnten nur Ausgestoßene, geflohene Sklaven, Sträflinge, gescheiterte Adlige, die untertauchen mussten und allen Grund hatten, sich zu verstecken. Niemand wusste so genau, ob es dieses Viertel wirklich gab und wie es zu finden war. Aber es musste da sein, denn es bildete den Gegenstand vieler Geschichten der Welt Dorgon und wie jeder wusste, gab es immer einen wahren Kern in den Geschichten einer Welt.

Der Kontinent blieb hinter den beiden Frauen zurück. Saraah schüttelte den Gedanken an das Viertel der Verlorenen ab und richtete ihr Augenmerk lieber nach vorn. Nur wenige hundert Kilometer blieben sie über dem Wasser und erreichten dann einen weiteren Kontinent, der in den Karten des Landes als Ägol verzeichnet war. Der Pilot ging extra etwas tiefer, flog auf eine Prärie zu, die im Schein der Sonne erglühte, deren Land regelrecht verbrannt war von der Sonne und in dem viele Wesen lebten, die an große Hitze gewöhnt waren. Hier hatten die ehemaligen Kaiser viele ihrer Raubtiere eingefangen, die damals im Zirkus der Stadt zur Belustigung der Adligen Sklaven und Gladiatoren aufgefressen hatte. Auch Saraah hatte da unangenehme Erinnerung und sie erschauerte fast, als sie an die Tiere dachte, die damals in der Arena auf sie und Matthew losgelassen wurden. Noch immer erschien es ihr wie ein Wunder, dass sie dieses Abenteuer überlebt hatten. Sie schüttelte den Gedanken ab. Es erinnerte sie zu sehr daran, warum sie Matthew so sehr liebte.

Voraus tauchten ausgedehnte Anlagen auf, die der kaiserlichen Familie gehörten. Viele der Landstriche waren unbesiedelt, dienten lediglich Vergnügungen wie der Jagd und dem Aufspüren von Tieren, die man ansonsten auf dieser Welt eher selten zu sehen bekam. Die Dorgonen lebten weitgehend mit der Natur im Einklang, deshalb war die Jagd durchaus ein angesehenes Vergnügen, aber sehr kontrolliert, nur insoweit es für die Erhaltung der Arten und einem gewissen Gleichgewicht innerhalb der einzelnen Tiergruppen nötig war. Leider konnte die Natur in dieser Hinsicht kaum sich selbst überlassen werden, weil einige der frühen Kaiser natürliche Feinde von bestimmten Tieren ausgerottet hatten. Genetische Zuchtprogramme hatten hier zwar eine Besserung bewirkt, aber letztendlich war die Welt Dorgon bei weitem nicht so perfekt, wie sie es sein könnte. Sie war nur ideal an das Leben ihrer Bewohner angepasst.

Der Pilot landete auf dem Dach des Hauses und geleitete die beiden Frauen ins Innere. Sie richteten sich schnell ein und verwendeten die folgenden Stunden darauf, sich in einem der Bäder zu vergnügen. Lachend plantschen sie im Wasser herum und vergasen für wenige Stunden die Welt um sich herum und ihre Sorgen. Aber sie selbst wurden nicht vergessen.

*

Saraah kannte das Viertel der Verlorenen nicht, aber da ging es ihr, wie den meisten Dorgonen. Nur wenige kannten das Geheimnis und diejenigen, die es kannten, hüteten es, so lange, bis sie von jemandem danach gefragt wurden. Dann nahmen sie Geld und führten die Verzweifelten in diesen unterirdischen Teil von Dorgon.

Manche kannten das Viertel aber auch aus ganz anderen Gründen. Jarus zum Beispiel hatte einige der Verzweifelten rekrutiert, um sie in ihrem Kampf gegen die herrschende Regierung unter Uleman einzusetzen. Und deshalb kannte er die Zugänge in diesen Bereich Dorgons sehr genau. Er folgte einem der Tunnel, die für die Röhrenbahn geschaffen worden waren. Man glaubte es kaum, aber es gab Bereiche, die kaum ein Mensch jemals gesehen hatte. Blindgänge, die nur angelegt, nicht aber vollendet worden waren.

Einer dieser Blindgänge war das Ziel des Wesens von Gon. Er röchelte für einen Augenblick. Die Atmosphäre dieser Welt war eigentlich schon schlimm genug, für den Organismus von Wesen aus ihrer Welt denkbar ungeeignet. Aber hier unten war es noch viel schlimmer. Er vermisste die Algen, die in seiner Heimat, als grüne Partikel, in der Luft herumschwirrten und die sie mit ihrer grobporigen Haut direkt aufnehmen konnten. Er konnte aber denken, was er wollte, es würde an seiner Situation nichts ändern.

Fast lautlos glitt der Schatten des Goners durch die Dunkelheit. Glücklicherweise war niemand sonst unterwegs. Selbst wenn, letztendlich hätte ihm in seiner Kampfkombination niemand widerstehen können.

Dunkelheit umgab ihn, die er nur mit der Hilfe eines Infrarotsichtgerätes durchdringen konnte. Das Gerät zeigte ihm die Umgebung fast wie am Tag. Ein Loch in der Wand führte von dem Blindgang weg in einen kleinen Tunnel, der zu niedrig war, um aufrecht darin gehen zu können. Für den kleingewachsenen Goner stellte die geringe Höhe kein Problem dar, auch die Enge nicht. Er schlängelte sich durch die Dunkelheit, wich einigen Steinbrocken aus, die den Weg fast versperrten und gelangte auf diese Weise in einen Gang, den nur sehr wenige Menschen kannten. Der Gang führte in die Tiefe und brachte ihn auf das Niveau des Viertels, das in der Öffentlichkeit vollkommen unbekannt war.

Nur Geschichten darüber gab es, die sicher jedem die Lust darauf nahmen, jemals hier zu landen. Wer nach hier unten kam, der hatte einen Grund dafür. Und dieser Grund war für ihn selbst oder jemand anderen kein besonders erfreulicher.

Menschen, die jegliche Lust am Leben verloren hatten, gingen in den Untergrund. Menschen, die alles verloren hatten, fanden sich hier wieder. Menschen, die von den Herrschern dieser Welt gejagt wurden, gingen ebenfalls nach hier unten. Kranke Menschen, die keine Hoffnung mehr kannten. Mörder, Vergewaltiger, Gejagte. Ein gefährlicher Ort, an dem man jeden Tag um sein Leben kämpfen musste, tauchte aus dem kaum heller werdenden Dämmerlicht vor ihm auf.

Er kam in einer großen Halle heraus, in der das Leben zu pulsieren schien. Die Stadt unter der Stadt war nicht etwa wie ausgestorben. Eine unübersehbare Menge an Menschen drängte sich hier unten, in einigen Bereichen der unterirdischen Stadt zumindest. In anderen Bereichen war es eher ruhig. In diesen Bereichen sollte man nicht alleine unterwegs sein, wenn man sich nicht wehren konnte. Viele konnten das hier unten nicht, deshalb rotteten sie sich in einigen Bereichen der Stadt zusammen. Und sie machten einen ungeheuren Krach.

Direkt vor Jarus traten vier Vermummte Gestalten aus einer Tür. Sie trugen Kutten, die ihre Gesichter verhüllten und auch sonst kaum etwas von ihrer Gestalt erkennen ließen. Nur, dass die Körper schlank und ausgemergelt waren. Kaum Fleisch schien auf den Knochen dieser Menschen zu liegen. Und das, welches sich dort befand, verströmte einen Geruch, der unbeschreiblich war. Jarus hielt sich die Nase zu, kassierte dafür einen Blick von den vier Gestalten, der deutlich erkennen ließ, dass sie seine Fremdartigkeit in dieser Welt bemerkten. Das machte nichts. Er konnte sich durchaus wehren. Nur nicht gegen das, was aus diesen Menschen strömte. Es war der Geruch des Todes.

Die Vermummten schlugen eine Glocke, murmelten etwas, das Jarus nicht verstand, und verschwanden um die Ecke. Kurz bevor sie nicht mehr sichtbar waren, drehte sich der letzte der Männer um und blickte in seine Richtung. Licht fiel unter den Rand seiner Kapuze, zuckendes Licht, von einer Fackel erzeugt. Es zeigte ein entsetzlich entstelltes Antlitz, das als Gesicht nicht mehr erkennbar war. Ein Loch war anstelle der Nase, durch das der blanke Knochen weißlich schimmerte. Jarus erschauerte, als er die Auswirkungen der letalen Dronaar-Pest erkannte. Nur durch Berührung konnte man sich anstecken, deshalb machte man um diese Menschen besser einen weiten Bogen.

Jarus schüttelte sich und machte sich in eine der weniger besiedelten Gegenden auf den Weg. Sein Weg war durchaus lang, drei Stunden wanderte er durch die Dunkelheit. Und sie fanden ihn, verstellten ihm den Weg. Ihre rauen Hände klammerten sich an harten Knüppeln fest. Einer von ihnen hatte sogar einen Schläger bei sich, wie er den Ordnungskräften von Dorgon zur Verfügung stand, ein metallener Gegenstand, der fürchterlich wehtat, wenn man getroffen wurde und Knochen brechen konnte.

Ein anderer hielt einen Ast in der Hand, der zugeschnitten worden war und ihm so als Schlaginstrument dienen konnte.

Wieder ein anderer nahm einfach die Fäuste hoch.

Hier war der wahre Untergrund zu finden.

Jarus schüttelte langsam den Kopf. Er wirkte vollkommen entspannt, atmete flach und gleichmäßig und wartete auf den Angriff der zerlumpten Dorgonen. Seine hervorragende Ausrüstung war kaum zu erkennen. Nur seine Kombination zeigte deutlich, dass er nicht hierher gehörte. Die dreckigen, zerlumpten Gestalten hätten sicher gerne eine solche Kombination gehabt.

Die Waffen sahen sie unter den verschlossenen Taschen nicht. Sie waren so flach, dass sie kaum auftrugen. Außerdem sorgte der Anzug selbst durch besondere Spiegeleffekte dafür, dass solche auffälligen Dinge nicht erkennbar waren.

Einer der sieben Dorgonen schlug seinen Knüppel hart in die linke Hand. Das klatschende Geräusch machte Jarus klar, auf was er sich einließ, wenn er sich mit ihnen anlegen würde. Jarus hatte keine Angst. Er lächelte herausfordernd.

Er spreizte leicht die Beine, richtete seinen Blick fest auf die Angreifer, dann machte er etwas Unglaubliches. Er schloss die Augen.

In seinem Gehirn verarbeitete er die Geräusche der unterirdischen Welt. Er filterte alles aus, was stören konnte, richtete seine Sinne auf die sieben Verlorenen vor ihm und atmete noch flacher, als bisher schon.

Als der Mann mit dem Holzknüppel ihn angriff und schon dachte, leichtes Spiel zu haben, glitt er wie ein Schemen unter dem Schlag zur Seite. Der Angreifer taumelte und fing sich gerade noch, bevor er den Boden berührte. Ein Unterarm explodierte in seinem Nacken, ließ ihn feurige Sterne sehen. Er brach in die Knie.

Zwei weitere Angreifer setzten sich zögerlich in Bewegung, die anderen folgten sofort und ließen Fäuste, Knüppel, Eisenstangen und sonst alles, was sie in Händen hielten, auf den Fremden nieder prasseln. Er war plötzlich nicht mehr da, war mit einer unglaublich schnellen, mit den Augen kaum festzuhaltenden Bewegung, zur Seite geglitten und stieß seine Faust in das Gesicht eines Mannes. In der klebrigen Schmutzschicht auf seinem Gesicht blieb er fast hängen, stieß den Mann dann aber von sich und drehte sich dabei um die eigene Achse. Sein Bein zuckte nach oben und traf den Gegner mit dem Schlagstock direkt in den Magen. Sein Unterarm folgte und landete im Gesicht des Mannes, der zurücktaumelte und gegen eine Wand prallte. Er hielt sein Gesicht und wehrte sich nicht mehr.

Wirbelnde Fäuste schienen den Fremden zu umgeben. Ungläubiges Staunen erfüllte die Anwesenden. Die Fäuste trafen mit tödlicher Präzision, brachen Nasenbeine, zerschmetterten Knochen, verletzten Menschen, die sich im Dreck wanden und durch ihren eigenen Schmutz kaum mehr vom Boden zu unterscheiden waren. Seine Waffen benötigte er nicht einmal.

Dann nichts mehr, nur noch das Keuchen von verletzten Menschen. Jarus selbst keuchte nicht. Sein Atem ging kaum schneller, als zuvor. Er öffnete die Augen, die er die ganze Zeit über geschlossen hatte und fixierte das Häuflein Angreifer, das vor ihm auf dem Boden lag. Er nickte zufrieden.

Der Kampf selbst hatte in fast gespenstischer Stille stattgefunden. Niemand hatte sie gestört. Die Gesetze der Unterwelt wiesen den sieben das Opfer zu, niemand würde sich einmischen. Und jetzt, da das vermeintliche Opfer gewonnen hatte, würde sich erst recht niemand mehr blicken lassen.

Jarus sprach das erste Wort, seit er die Befehle seines Herrn entgegengenommen hatte.

»Folgt mir!«, flüsterte er tonlos.

Die Gestalten richteten sich langsam auf, stützten sich gegenseitig und folgten dem Fremden. Gemeinsam verließen sie die Unterwelt.

Das war vor drei Tagen gewesen. Mittlerweile war seine Kampfgruppe in ordentliche Kleidung gehüllt, gesäubert und wirkte tadellos. Sie standen vor ihm und ließen seine kritische Musterung über sich ergehen. Kein einziger konnte seinem Blick standhalten, sie hatten offensichtliche Angst vor dem kleinen Mann, der doch so unglaubliche Fähigkeiten hatte und so tödlich präzise zuschlagen konnte.

»Das reicht«, sagte Jarus mit leiser Stimme. Kein Wort entging seinen Männern, die noch nichts davon wussten, was sie tun sollten. Er erklärte ihnen mit leisen Worten, was ihre Aufgabe war.

»In dieser Nacht werden wir in den Palast des Kaisers eindringen. Wir werden sie alle töten. Die gesamte kaiserliche Familie. Nur Arimad wird überleben, sie hat sich rechtzeitig auf Ägol begeben, wo sie gerade Urlaub macht. Aber auch sie wird ihr Schicksal ereilen.

In dieser Nacht werden wir die Revolution wagen. In dieser Nacht werden wir sie töten. Es lebe Carilla, es lebe der neue Kaiser von Dorgon!«

Die Kampftruppe, die er rekrutiert hatte, verstand kaum etwas von dem, was er sagte. Den Palast kannten sie allerdings alle und sie tauschten unruhige Blicke miteinander. Dorthin wollten sie eigentlich nicht, aber sie würden ihm folgen. Er hatte sie besiegt, damit gehörte ihr Leben nur ihm allein. Er konnte es nehmen, er konnte es ihnen lassen. Er konnte befehlen, dass sie ohne Raumanzug zum Mond schwimmen mussten. Sie würden es tun. Oder zumindest versuchen.

Sie nickten und bestätigten. Ihre Fäuste ballten sich, fast synchron schlugen sie damit gegen ihre Brust. Jarus nickte zufrieden. Was wohl Carilla zu seiner Armee der Verlorenen sagen würde? Vermutlich wäre er nicht sehr begeistert von der Idee. Auf der anderen Seite war alles besser, als allein gegen die kaiserlichen Truppen loszuschlagen. Und so einfach würden sie sicher nicht in den Palast kommen. Da mussten einige Opfer zu Ablenkung schon gebracht werden. Bei diesen Verlorenen kam es nicht darauf an. Sie würden auf diese Weise einen besseren Tod haben, als in dem würdelosen Dreck, in dem sie schon seit Jahren hausten. Und ihr Tod wäre weniger Verschwendung als der seine oder auch der Tod von vielen gut ausgebildeten Rebellen, die in der Vergangenheit ihr Leben hatten lassen müssen.

Es war unglaublich, dass Carilla so lange gewartet hatte ohne etwas zu tun. In den letzten drei Monaten hätten sie viel erreichen können. Außer einer Basis war aber nichts geschaffen worden. Und nun sollte er mit nichts in den Händen die Revolution wagen.

Jarus befahl seiner Truppe den Aufbruch. In dieser Nacht noch musste es geschehen. Lange würde die Geduld seines Herrn nicht mehr reichen.

Die acht Mitglieder der Truppe verschwanden in der Dunkelheit der Katakomben. Für lange Zeit mieden sie jeden Kontakt zu den Menschen. Daran waren sie gewohnt. Dann hatten sie das Versteck in der Dunkelheit erreicht. Ihre Augen waren schon seit Jahren an das künstliche Licht der Unterwelt gewohnt. Jarus machte nicht den Fehler, sie in das grelle Tageslicht zu führen. Sie wären dort umgehend geblendet, hätten in dem grellen Licht nichts gesehen. Wenn es Nacht geworden war, wollte er los schlagen. In wenigen Stunden würde er in den Palast eindringen. Sie waren bereits ganz in der Nähe, was die Verlorenen nicht wussten. So lange würden sie noch warten müssen, begraben in der Dunkelheit, auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft.

Die meisten von ihnen würden den Morgen nicht erleben. Jarus war sich darüber im Klaren, dass er den Mord begehen würde oder keiner.

Schweigen breitete sich aus. Die Zeit verstrich.

 

Die Nacht der Verlorenen

»Ein Glück, die Sonne verschwindet.« Waldron fuhr sich über die Stirn und trocknete den Schweiß, der ihm in die Augen lief. Es störte ihn normalerweise nicht, aber nach Stunden zeigte er durchaus Reaktion.

Seit Stunden schon liefen wir scheinbar ziellos durch die Straßen dieser gewaltigen Stadt. Wobei »Straßen« nicht immer bedeutete, dass diese auch überirdisch angelegt waren. Dom war eine Stadt, die sehr verschlungen errichtet war. Es gab Viertel, die vollständig unter der Erde lagen. Es gab Bereiche, die regelrecht über anderen Bereichen errichtet worden waren. Und es gab die Kanalisation. Sie wurde hier nur Katakomben genannt. In den Katakomben wurden nicht nur die körperlichen Abfälle der Menschen entsorgt, hier sammelten sich auch menschliche Abfälle, Abschaum, der sich in der großen Stadt, die den Planeten fast völlig bedeckte, nicht mehr halten, ihr Leben an der Oberfläche weitgehend beendet hatte.

Früher oder später landeten viele von ihnen in einem Viertel, das nur den Verlorenen vorbehalten war. Es war eine Legende, dieses Viertel, und sein Vorhandensein zeigte nur, wohin die Moral der Dorgonen in den letzten Jahrhunderten abgeglitten war.

Moral war ohnehin eine merkwürdige Sache.

Ohne jeden Zweifel war es wichtig, in Dom zu sein. Aber es reichte uns allmählich. Es wurde Zeit, nach fast drei Tagen endlich an ein Ziel zu gelangen. Andernfalls mussten wir drei Tage warten, bevor ich wieder aktiv werden konnte.

Letztendlich war es nicht die Hitze, die den Großen störte. Es war mehr der Umstand, dass wir wieder lange Zeit verlieren würden.

Manchmal verwünschte ich meine Einschränkungen.

Gut gekleidete Menschen wanderten um uns herum und musterten uns, als wären wir ein Fremdkörper auf dieser Welt. In der Tat waren wir auch genau dieses. Wahrscheinlich war es wirklich so, dass wir einen fremden Geruch verströmten. Unglaublich, aber wahr: Sie rochen, dass wir Fremde waren. Natürlich war es auch kaum zu übersehen. Als Touristen gingen wir aber durch, auch wenn solche auf Dorgon nach zehn Jahren des Friedens immer noch nicht alltäglich waren.

Selbst lange Jahre in Freiheit hatten nicht ausgereicht, um das Volk in den Straßen etwas außerhalb des zentralen Viertels zu anderen Ansichten zu bewegen.

Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass menschliche Müllhalden wie das Viertel der Verlorenen immer noch existierten und nichts unternommen worden war, um dagegen anzugehen.

Vermutlich war es dem derzeit Herrschenden auch ganz recht, dass sich so einige Probleme ganz von alleine lösten.

Wie auch immer, langsam näherten auch wir uns dem zentralen Viertel. In der Ferne konnten wir schon den Palast erkennen. Er war höher, als alle anderen Gebäude. Nur die Arena hatte sich früher an Größe mit ihm messen können. Diese war aber heute eine Gedenkstätte und hatte sehr viel von ihrer gewaltigen Größe eingebüßt.

Lange würde es nicht mehr dauern. Die Straßen des zentralen Viertels verschluckten uns, nahmen uns auf. Nicht bis zur letzten Konsequenz, aber immerhin in ausreichendem Maße, um nicht zu sehr aufzufallen.

Langsam schlich sich die Dunkelheit in die Gassen der Stadt. Nur noch 11 Stunden bis zu meiner nächsten Schlafperiode.

*

Commanus konnte nicht schlafen, schon die zweite Nacht in Folge. Im Grunde war er froh, dass seine Frau sich zu dieser kurzen Reise entschlossen hatte. Ihre Abwesenheit ermöglichte ihm, an Dinge zu denken, die ihm in den letzten Tagen den Schlaf raubten. Bis jetzt hatte der alte Kaiser seine Drohung, aus Dorgon eine Republik zu machen, noch nicht an die große Glocke gehängt. Aber lange würde es nicht mehr dauern. Dann würde sein Plan gescheitert, er selbst nur einer von zweien sein, und auch noch diesem verweichlichten Decrusian bei seinen Entscheidungen beistehen müssen, ihn regelrecht anleiten, ein guter Demokrat und Staatsmann zu werden.

Etwas, was ausgerechnet Commanus niemals werden wollte.

Er atmete tief durch, presste beide Hände auf seine brennenden Augen und seufzte. Verständlich war es nicht, jedenfalls nicht für ihn, wie man freiwillig auf eine solche Fülle von Macht verzichten konnte. Letztendlich war es aber nachvollziehbar, dass ein Mann wie Uleman sich so verhalten würde. Ohne die Hilfe der Galaktiker wäre ein schwacher Geist wie er niemals ein Kaiser der Dorgonen geworden. Mittlerweile hatte sich das Volk an diesen merkwürdigen Kerl gewöhnt. Es würde sich still verhalten, das hatten sie, bis auf den Adel, auch bisher immer getan. Und sie würden sich auch still verhalten, wenn ein Kaiser seine Macht verschenkte und diesen Planeten zu einer Demokratie machte.

Die Terraner waren die Ursache für das alles, da war sich Commanus ganz sicher. Ohne ihre merkwürdigen Ideen, Philosophien und Ansichten, die in den Köpfen von Uleman und Decrusian letztendlich nur Unfug erzeugt hatten, wäre es niemals so weit gekommen. Der Kaiser hätte sich keineswegs auf diese Weise mit den Galaktikern einlassen sollen.

Er hatte es aber getan und das Ergebnis war nun sehr deutlich zu sehen. Es gefiel dem überzeugten Monarchisten ganz und gar nicht, aber was konnte er tun? Von seiner Frau hatte er jedenfalls keine Unterstützung gegen ihren Vater zu erwarten. Was sollte sie dabei auch schon entscheiden? Sie würde hinnehmen, was auch immer von ihrem Vater und Bruder entschieden würde. Und das würde bedeuten, dass den Dorgonen der Weg in die Demokratie kaum noch erspart bleiben würde.

Commanus ging zum Fenster und ließ seine Blicke über das sich langsam in einen dunklen Mantel hüllende Dom schweifen. Diese glücklichen Menschen, die in den Straßen da unten wohnten und keine Ahnung hatten, womit sich ein Mensch wie er so beschäftigen musste. Sie wussten gar nicht, was ihnen da erspart blieb.

Aber das war letztendlich auch besser so. Denn würden sie es jemals erfahren, dann würden sie womöglich wirklich noch mitmischen wollen. Und das wäre nun ganz dem entgegengesetzt, was Commanus beabsichtigte.

Vielleicht war es ausreichend, wenn man Uleman und Decrusian einfach machen ließ. Wenn man einfach wartete, bis sich die negativen Folgen dieser verhängnisvollen Entscheidung zeigen würden und wenn man dann das Richtige tun und die Macht wieder an sich reißen würde. Ja, das wäre mit Sicherheit eine gute Idee.

Commanus nickte, legte sich aber auch über diesen Gedanken nicht hin. Er nahm die ruhelose Wanderung durch das geräumige Zimmer wieder auf, runzelte sorgenvoll die Stirn, streichelte sich über das Gesicht und wirkte nicht glücklich. Er konnte einfach nicht schlafen.

War da nicht ein Geräusch gewesen? Er wandte sich um, drehte sich in Richtung des Fensters, dann wieder zur Tür. Nein, offensichtlich war da nichts gewesen. Nachdenklich wanderte er weiter.

*

Fast schien es, als schwebten die Füße der unheimlichen Gestalt einige Zentimeter über dem Boden, während er langsam durch die Gänge des Palastes glitt. Die Hände tief in den Ärmeln seiner Kutte vergraben, den Kopf gesenkt, so dass nicht einmal das Gesicht zu erkennen war, es tief in diesen Schatten gehüllt war, so wandelte die Gestalt durch die Gänge des Palastes. Niemand begegnete ihm, aber selbst wenn, dann wäre ihm eine solche Begegnung nur schlecht bekommen. Er hätte sie kaum überlebt.

Der rote Tod schlich durch die Hallen des dorgonischen Kaiserpalastes, unerkannt, unbemerkt, gefährlich und mit Gedanken, die niemand kennen sollte. Niemand, außer einigen wenigen Auserwählten. Menschen, Dorgonen, die er noch in dieser Nacht selbst ansprechen würde.

Sein Gang war mehr ein Gleiten als ein Schreiten, er schien tatsächlich den Boden nicht mehr mit den Füßen zu berühren, während er den Gängen folgte. Da war der Flügel der Familie, da waren auch Wachposten. Die Gestalt wich ihnen aus, verschwand immer gerade noch im rechten Augenblick um ein Biegung, glitt hinter eine große Vase, schlüpfte fast lautlos hinter einen Vorhang und wartete geduldig ab, während die Wesen dieser Welt an ihm vorbei gingen, ihn nicht bemerkten, obwohl sie manchmal nur wenige Zentimeter von ihm entfernt waren.

Er war wie ein Geist, so lange, bis er vor der Zimmertür seines Opfers stand.

Er betrat den Raum, öffnete die Tür nur einen Spalt weit, glitt hindurch und ließ sie fast lautlos einrasten, mit einem Geräusch, das unter den Schritten des Commanus nicht zu hören war.

Für einen Augenblick merkte der Dorgone zwar auf, aber dann nahm er das rastlose Wandern wieder auf.

Bis die Gestalt in der Kutte plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihm stand.

Commanus konnte nicht einmal schreien. Er sah die Gestalt vor sich, als er gerade das andere Ende des Teppichs erreicht und sich ruckartig auf dem Absatz umgedreht hatte. Wie ein Geist erschien die Gestalt vor seinen Augen und stützte ihn, als ihn glühender Schreck durchfuhr und ihn zum Taumeln brachte.

Seine Hand presste sich auf die Brust, er keuchte, brauchte einen Augenblick, fing sich dann aber wieder.

Er sagte nichts, nicht einmal schreien konnte er. Irgendetwas war da, eine Ausstrahlung, eine Schwingung in der Luft, die ihm jeglichen Widerstand raubte. Willenlos stand er vor der Gestalt, atmete tief durch und fing sich.

Dann richtete er sich auf.

»Wer bist du?« Seine Stimme klang fest, Cau Thon konnte nicht heraushören, ob der Dorgone Angst hatte. Anerkennend nickte er.

»Ich bin Cau Thon, der erste Sohn des Chaos.« Seine Stimme bannte den Dorgonen, der noch etwas hatte fragen wollen aber wie erstarrt den Worten lauschte, die das Wesen aussprach.

»Was bist du?« fand er schließlich seine Sprache wieder.

»Das tut nichts zur Sache. Sohn des Chaos reicht. Nenn mich einfach Cau Thon.« So etwas wie Ironie schwang in der Stimme des merkwürdigen Wesens mit. Commanus hätte der Gestalt nicht zugetraut, dass sie zu einer solchen Regung überhaupt fähig war.

»Cau Thon«, sagte Commanus bedächtig. War das jener Cau Thon, der einst Kaiser Thesasian dazu ermuntert hatte, eine Invasion in die Milchstraße zu planen? Es musste so sein. »Dann sage mir wenigstens, was du willst.« Commanus beschloss, das Spiel mitzuspielen. Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Die Wachen konnte er dann immer noch rufen.

»Dich.«

Das Wort schwang für wenige Sekunden nach. Die Gesichtszüge des Commanus zeigten einen Ausdruck, den man eindeutig als fragend bezeichnen konnte. Aber er sagte nichts. Die Zeit der Scherze war vorbei. Commanus spürte, dass das Wesen es vollkommen Ernst meinte.

»Wieso mich, und wozu?«

»Immer schön eines nach dem anderen. Wieso, fragst du? Nun, das wirst du noch früh genug erfahren. Lass mir dieses Geheimnis noch für eine gewisse Zeit. Wozu, das kann ich dir allerdings erklären.«

Das Wesen verstummte, hob langsam den Kopf und ließ Commanus einen Blick in sein Gesicht werfen. Abstoßend war es nicht, die Tätowierung auf seiner Stirn wirkte fremdartig auf den Dorgonen. Die Farbe der Haut war rot. Ein Gesicht, das nicht aus dieser Galaxis stammte, da war sich Commanus sicher.

»Du willst Kaiser werden? Das ließe sich einrichten. Bist du bereit, die Revolution zu wagen? Wenn ja, dann folge mir nach. Bekenne dich zu mir, werde mein getreuer Diener und Gefolgsmann. Das ist der Preis, den du zahlen wirst. Du wirst Kaiser der Dorgonen, kannst tun und lassen was du willst. Aber wenn ich wiederkomme und einen Gefallen einfordere, dann erwarte ich, dass du ihn erfüllst. Was auch immer es sei.«

»Wie lange soll denn dieser Pakt bestehen?«, erkundigte sich Commanus misstrauisch.

»Solange du lebst.«

»Ein schlechtes Geschäft«, lachte der Dorgone dem Fremden ins Gesicht. Unbewegt nahm die Gestalt die Reaktion seines Opfers hin. »Warum sollte ich mich darauf einlassen? Kaiser Thesasian hat eine Allianz mit dir in den Tod geführt.«

»Thesasian unterschätzte die Galaktiker. Wenn du nicht einwilligst, wirst du deinen Willen niemals erreichen. Und selbst wenn, wirst du dann einen unversöhnlichen Feind haben.«

»Du wagst es, mir in meinem eigenen Palast zu drohen?«, fuhr der Thronfolger auf. Er machte Anstalten, den Eindringling anzugreifen.

Mit einer kaum sichtbaren Bewegung fing Cau Thon die zustoßende Faust des Dorgonen ab, stieß ihn zurück und nagelte ihn mit einem eisenharten Griff an einer Säule fest. Keuchend wand sich Commanus unter dem unbarmherzigen Griff, schaffte es aber nicht, sich zu befreien. Die Luft blieb ihm weg, als der Eindringling genüsslich seinen eigenen Unterarm gegen seine Kehle presste. Er rang nach Atem, wehrte sich für einige Augenblicke vergeblich. Kein Ton drang über seine Lippen. Schließlich stellte er jegliche Gegenwehr ein.

Cau Thon ließ ihn los. Seufzend sank er entlang der Säule nach unten und presste seine Hand gegen die Kehle. Minutenlang rang er nach Atem, verscheuchte mit einem Kopfschütteln die Schleier vor seinen Augen und kam mit gesenktem Kopf wieder auf die Beine. Er hob den Blick und schaute Cau Thon trotzig ins Gesicht. »Mir gefallen die Optionen nicht, die ich und vor allem meine Familie haben«.

Cau Thon lachte gehässig. »Welche Familie denn? Ein degenerierter Greis, ein alternder Revolutionär mit verschrobenen Ideen, die so gar nicht zu deinem Volk und deinen eigenen Ansichten passen. Dazu noch eine Frau, die dir ohnehin gehorsam schuldet. Und außerdem noch ein Kerl, der nicht einmal zur Familie gehört, ein angenommenes Kind, das dir deinen Platz streitig machen will. Schöne Familie, die du da hast.«

Er ließ seine Worte wirken. Plötzlich drehte er sich um, warf einen Blick über die Schulter, drehte sich dann wieder zu Commanus.

»Ich komme wieder. Mach keine Fehler, ich bin ganz in der Nähe.«

Mit diesen Worten verschwand er in den Schatten des spärlich erleuchteten Zimmers, verschmolz förmlich mit der Wand.

Als Commanus ihm einige Schritte ins Dunkel seines eigenen Zimmers folgte, konnte er ihn nirgends mehr entdecken. Der Rote war verschwunden. Genauso unheimlich, wie er erschienen war.

*

Es klopfte an der Tür.

Commanus zuckte zusammen, griff sich wieder an die Brust. Wer wollte denn jetzt noch was? Für diese Zeit war noch ganz schön Betrieb im Palast. Langsam näherten sich die Zeiger der Uhr Mitternacht.

»Herein.« Seine Stimme klang nicht sehr freundlich und sein Gesicht hellte sich auch nicht auf, als er erkannte, wer ihn da mitten in der Nacht noch störte. Sein Schwiegervater betrat den Raum.

»Schläfst du schon?« Die Stimme des Kaisers klang müde. Er trat mit schleppenden Schritten in den Raum und verschloss die Türe hinter sich.

Commanus konnte Torrinos' Gesicht erkennen. Der neue Anführer der Prettosgarde stand direkt hinter dem Kaiser, nur durch die Tür von ihnen getrennt.

Uleman trat in den Raum, näherte sich dem offenen Fenster und nahm einen tiefen Atemzug. Der Mond stand über der Welt, brachte etwas Licht in die Gassen der Stadt, nicht genug jedoch, um genaueres zu erkennen. Die interessanten Dinge spielten sich allerdings ohnehin unter der Erde ab. Dinge, von denen niemand etwas ahnen konnte, außer den Beteiligten.

*

Ganz langsam bauschte sich der Wandvorhang, wie von einem Luftzug gestreichelt. Eine blasse Hand tastete am Rande des Saums entlang, schob ihn fast lautlos zur Seite. Jarus sondierte die Lage, winkte seinen Begleitern und schob sich in den Raum.

Unterirdisch hatten sie sich bis zum Palast bewegt, einen Zugang zu finden war kein Problem. Lange genug schon erkundete der Stellvertreter des Carilla die Umgebung des Gebäudes, hatte fast jeden Gang, der dorthin führte, schon mehrfach überprüft. Er war auch schon einige Mal im Palast selbst gewesen und hatte sich gewundert, warum das so einfach gewesen war. Irgendeinen Grund musste es auf der anderen Seite haben, dass die Sterberate unter den Kaisern so hoch war.

Hinter ihm, wesentlich geräuschvoller, schoben sich die Körper der sieben Verlorenen in den Raum. Sie blickten sich um und setzten sich in Bewegung. Mit dieser großen Gruppe wäre es ein Wunder, unentdeckt zu bleiben. Deshalb schickte Jarus jeden der Verlorenen in einen anderen Gang, erklärte ihm grob, wie schnell er wohin zu gehen hatte und wartete dann, bis auch der letzte im nächtlichen Palast verschwunden war.

Dann näherte er sich wieder der Wand. Mit den besonderen Fähigkeiten seiner kampferprobten Vorfahren, verschmolz er fast mit den Schatten, die den Palast erfüllten. Er nahm einen anderen Weg, näherte sich auf diese Weise unaufhaltsam dem kaiserlichen Flügel. Heute Nacht würde der Kaiser sterben. Jedenfalls dann, wenn er erfolgreich war.

Und es musste schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht.

*

»Schläfst du schon?« Die Stimme klang anzüglich und ich wurde wütend. Waldron machte wieder mal Sprüche, und dieser Ort war der denkbar falscheste dafür.

»Halt die Klappe, du großer Trottel. Wenn dich einer hört!«

»Dann wird es auch nicht besser.«

Seine Stimme klang beleidigt. Das wäre allerdings das erste Mal gewesen und so ignorierte ich die merkwürdigen Anwandlungen des Großen.

Der Palast war dunkel, nur wenige, gedimmte Leuchtkörper sorgten für ein schwaches Dämmerlicht. Es war gerade hell genug, dass man in der Dunkelheit nicht stolpern würde. Und dass einen die Wachen erkennen könnten, wenn sie mal genauer hinschauten. Das würde aber bei uns nicht so einfach werden. Gerade in der Dunkelheit war es ausgesprochen schwer, einen Goner auszumachen. Unsere Vorfahren waren in dieser Hinsicht sehr geübt. Sie hatten diese Fähigkeiten auf uns vererbt, jedem Goner war sie angeboren. Dazu gehörte noch eine besondere Erziehung, die uns zu dem machte, was wir waren – lautlose Kämpfer, absolut tödlich.

Das galt sogar für meinen Zweig des Volkes. Dafür hatten wir aber auch ein Handicap von der Natur mit auf den Weg bekommen. Eben mein Schlafbedürfnis war manchmal ein großes Hindernis. Nur noch wenige Stunden, bis es wieder so weit sein würde.

Dafür hatten wir aber auch die Fähigkeiten, besonders elegant in abgeschlossene Gebäude zu kommen.

Lautlos schlichen wir durch das Dunkel.

Noch ahnten wir es nicht, aber in dieser Nacht war wirklich viel Betrieb im Palast. Tag der offenen Tür, sozusagen. Aber es würde auch entscheidendes geschehen.

*

Uleman wandte sich vom Fenster ab, drehte sich wieder zu seinem Schwiegersohn und lächelte unglücklich.

»Du weichst mir aus. Glaubst du, das ist mir nicht aufgefallen?«

Commanus schwieg.

Uleman seufzte. »Das hat keinen Wert. Du musst dich dem, was dich belastet, schon stellen. Sonst wirst du gegen Decrusian niemals bestehen.«

»Das ist nicht deine Sache.« Commanus reagierte abweisend.

Irgendwie hatte Uleman das aber erwartet. »Doch, Commanus. Das ist die Sache des gesamten dorgonischen Volkes. Letztendlich ist dein Verhalten für unsere Zukunft mindestens genauso wichtig, wie das von Decrusian. Oder das meine.«

Er schwieg, starrte wieder für einige Augenblicke aus dem Fenster. »Ich hätte mir gewünscht, dass du in den letzten Tagen zu mir gekommen wärst und mit mir über alles geredet hättest, was dich belastet. Und dass es dich belastet, das ist vor allem deiner Frau aufgefallen. Was glaubst du, warum sie sich zu diesem Urlaub entschlossen hat? Sie wollte weg von allem, solange diese Sache zwischen uns steht. Und ich gedenke, ihre Abwesenheit zu nutzen, um das zu klären.«

Er drehte sich um und blickte seinem Schwiegersohn in die Augen. »Ich habe mich mit meinem Anliegen noch nicht an den Senat gewandt. Bis jetzt zumindest. Ich wollte erst von dir eine Entscheidung hören. Aber du bist nicht zu mir gekommen. Ich musste zu dir kommen. Irgendwie enttäuscht mich das.«

»Ach ja? Bist du schon einmal auf die Idee gekommen, wie sehr mich deine Entscheidung enttäuscht hat?« Frustrierter Trotz sprach aus seinen Worten.

Er merkte selbst, dass er sich wie ein unreifes Kind verhielt, dem jemand sein Spielzeug wegnahm. Aber es war ihm gleichgültig. Er spürte Hass in sich aufsteigen.

»Mein halbes Leben habe ich an der Seite deiner Tochter darauf gewartet, dass es endlich so weit ist, dass ich endlich die Gelegenheit erhalte, mein Erbe anzutreten. Ich habe dich verehrt, deine Leistungen um unser Volk bewundert. Und ich wollte in deinem Sinne weitermachen, als Herrscher über das Volk der Dorgonen. Als Kaiser, nicht jedoch in einem Duumvirat mit diesem … Schwächling.« Verächtlich drehte er den Kopf weg.

»Jetzt wirst du aber ungerecht. Decrusian weiß sehr genau, was er tut. Er ist zwar noch kein Politiker, aber er wird da hineinwachsen, da bin ich sicher.«

»Blödsinn, wenn es einen starken Kaiser gäbe, dann wäre ein Politiker nicht nötig.«

Der Kaiser blickte betroffen in das Gesicht seines Schwiegersohnes, dessen Unterlippe zitterte. Nervös zupfte er an seinem Ohrläppchen. Er war zu weit gegangen und er wusste es auch. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück.

»Ich unterstütze deinen Kurs nicht, Vater. Selbst wenn du deine Entscheidung verkündest, werde ich alles daransetzen, das Kaisertum wieder zu etablieren. Es tut mir leid.«

Er ballte die Fäuste und blickte dem Kaiser aufrecht ins Gesicht. Uleman seufzte, verschränkte die Hände. Er schüttelte traurig den Kopf.

»Dann tut es mir leid, Commanus. Dann wird es kein Duumvirat geben. Ich werde Decrusian zum Alleinherrscher machen; du wirst sein Berater sein. Du wirst dich mit ihm arrangieren müssen. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

Er drehte sich weg und schritt zur Tür. Tumultartiger Lärm war davor zu hören, aber er beachtete es nicht. Zu aufgewühlt war er.

»Töte ihn!« Nur ein Flüstern erfüllte den Raum, aber dennoch hörten es beide sehr genau. Commanus zuckte zusammen. Seine Finger zuckten, sein flammender Blick erinnerte an einen Verrückten.

Langsam drehte sich der Kaiser um.

»Wer war das?« Seine Stimme war kaum zu hören, aber Commanus beachtete ihn ohnehin nicht.

»Er muss sterben, töte ihn!« Nur geringfügig drängender, aber nicht lauter, erklang die Stimme. Dumpf, düster, der Geruch von Verwesung war für einen Augenblick spürbar.

Der Kaiser zitterte, wich einen Schritt zurück, als Commanus auf ihn zukam. Er wollte sich umdrehen und weglaufen, konnte sich aber nicht mehr bewegen. Commanus hob beide Hände, bewegte die Klammer langsam auf den Hals seines Schwiegervaters zu.

*

Schüsse hörte Jarus schon eine Weile, aber er hatte nicht mehr den Überblick, wer von den Eindringlingen noch lebte. Er näherte sich dem kaiserlichen Flügel, musste aber feststellen, dass Uleman nicht in seinem Zimmer war.

Ich brach in die Knie, Schaum trat mir auf die Lippen. Ich verdrehte die Augen, bis die Nickhäute sich schützend über die kaum mehr sichtbaren Pupillen legten.

Waldron wachte neben mir, als ich meinen Anfall hatte.

»Er ist hier«, gurgelte ich. »Nicht … weit.«

An Ort und Stelle verharrten wir, hörten nicht, was um uns herum geschah. Nur einen Gang weiter wurde ein Mensch getötet, einer der Wachposten erschoss ihn mit seinem Strahler. Ich bekam es kaum mit.

Ein leeres Zimmer wurde für wenige Augenblicke unsere Zuflucht. Waldron erfüllte seine Aufgabe, ohne dumme Sprüche zu machen. Ich hätte auch nichts davon mitbekommen. Mein ganzer Körper verkrampfte, den Waldron auf den Boden gebettet und in den Schatten des Raumes gelegt hatte. Er selbst wachte an der Tür und hoffte, dass niemand die Geräusche hören würde. Wenn doch, dann würde er reagieren. Schnell und erbarmungslos.

Die Fratze des roten Todes, verzerrt bis zur Unkenntlichkeit, lähmte mich beinahe.

Chaos!, brüllte es in meinen Gedanken, während eine Hand nach meinem Geist zu greifen, ihn fast zu zerquetschen schien. Ich versuchte, alles Schlechte auf mich zu ziehen und den sehr nahen Geist des Chaoten an meinen zu binden. Ich hatte keine Chance, viel zu schwach waren meine Fähigkeiten, konnten nur wahrnehmen, nicht aber beeinflussen.

Ich verlor das Bewusstsein.

*

Verkrampft stand Commanus vor seinem Schwiegervater. Vor allem seine Hände waren eigenartig starr. Langsam kehrte er von seiner Reise in die Tiefe seiner finsteren Seele wieder, erkannte, was da passiert war und keuchte erschrocken.

»Nein«, flüsterte er, während seine Blicke jedes Detail der grausamen Szene in sich aufnahmen.

Der Körper seines Schwiegervaters lag vor ihm, Blut sickerte aus seinem Mund. Druckstellen an seinem Hals zeigten mehr als alles andere, was wirklich passiert war. Er hatte ihn erwürgt. Seinen eigenen Schwiegervater, den Mann, der Dorgon gerettet, das Volk befreit und in den letzten Jahren weise regiert hatte. Den Mann, dessen Tochter er geheiratet hatte.

Entsetzt schlug er die besudelten Hände vor das Gesicht. »Das ist mein Ende«, flüsterte er.

Ein Rascheln direkt neben ihm zeigte, dass er gekommen war. Seine Hand legte sich schwer auf die Schulter des Mörders. Cau Thon spendete auf seinen Weise Trost.

»Mach dir keine Sorgen, niemand wird dich damit in Verbindung bringen. Dafür werde ich sorgen.«

»Aber wie … Torrinos! Er steht vor der Tür, er hat alles gehört. Ich bin verloren.«

»Keine Angst, er hat andere Sorgen. Er wird merken, was passiert ist. Und du wirst unschuldig erscheinen. Leg' dich schlafen.« Er strich über die Augen des Dorgonen und raubte ihm mit einem Schlag das Bewusstsein. Er fing den Körper auf und ließ ihn auf den Boden gleiten. Dann verließ er den Raum.

*

Torrinos hörte ihn kommen, aber er konnte ihn nicht sehen. Fast verschüttete Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Lange Jahre waren vergangen, seit damals seine Eltern bei der Katastrophe ihr Leben gelassen hatten. Damals, als er ihre Bekanntschaft gemacht hatte. Damals, als er …

Er vergaß, was er hatte denken wollen, als ihm der Geruch in die Nase stieg. Er ignorierte die Schüsse, die um ihn herum fielen und verkündeten, dass etwas nicht in Ordnung war. Unter den Schüssen, auf einer Ebene, die vollkommen anders beschaffen war, konnte er es spüren. Eine Ebene, die er nur erreichen konnte, wenn er alles ausblenden konnte. Er konzentrierte sich, versenkte sich in die Nitara der sieben Karuchen.

Die erste Karuche war vergleichsweise einfach. Trotzdem war sie die Wichtigste. Sie schenkte ihm die Konzentration, die er brauchte. Auf der zweiten Karuche blendete er die Dunkelheit vollkommen aus und bewegte sich so auf die dritte, die ihn kein vertrautes Geräusch mehr wahrnehmen ließ. Auf der vierten Karuche konnten seine Augen mehr sehen, als die Dunkelheit erlaubte. Sie baute auf der zweiten Karuche auf. In der fünften, die eigentlich der dritten folgte, konnte er es dann hören. Er näherte sich der sechsten Karuche. Sein Körper spannte sich an, ein Fuß schob sich nach vorne. Konzentriert lauschte er, dann schloss er langsam die Augen. Die siebte Karuche war jetzt ganz nahe.

Plötzlich explodierte er, wie ein Schatten schien er zu verschwinden. Außer seinem unmittelbaren Gegner nahm er nichts mehr wahr. Da wurde der Geruch stärker, da konnte er einen verwischten Schatten erkennen, der an der Wand entlang, in der relativen Dunkelheit, zu verschwinden suchte. Ungläubige Überraschung erkannte er im Gesicht des Gegners, als er plötzlich aus dem Nichts vor ihm auftauchte und ihn hart traf.

Mindestens auf der fünften Karuche war der Gegner schon gewesen, schloss nun die Augen und trachtete danach, auf die siebte zu kommen. Der Ehrenkodex verlangte, dass Torrinos ihn nicht daran hindern durfte. Und so schenkte er ihm die Sekunden, die ein erfahrener Kämpfer brauchte. Dann standen sie sich mit geschlossenen Augen gegenüber, sahen mit Sinnen, die kaum fassbar, aber nicht psionisch waren, die nur die wahre Welt erweiterten.

»Ein Goner«, flüsterte Torrinos.

»Zu Diensten.« Ironisch troff die Stimme des Goners, Jarus lächelte, wenn auch nicht sichtbar. »Ungewöhnlich, außerhalb von Gon auf einen Meister der sieben Karuchen zu treffen.«

»Ungewöhnlich, einen Goner außerhalb von Gon zu treffen. Ungewöhnlich und sicher gefährlich.«

»Sie wollten mich nicht mehr haben. Ich bin ein Ausgestoßener. Der erste seit vierhundert Dekaden.«

Torrinos nickte. Das Wortgeplänkel hatte nur wenige Sekunden gedauert und ihm gezeigt, dass auch der Gegner den Ehrenkodex kannte und ihm den nötigen Respekt erwies. Das würde interessant werden, der härteste Kampf in seinem Leben. Er musste gewinnen. Ein Goner konnte es schaffen. Er war wirklich gefährlich.

Ein Beobachter hätte sich über die beiden Gestalten sicher gewundert, die mit geschlossenen Augen voreinander standen. Noch mehr hätte er sich über den nun folgenden Kampf gewundert. Beide sprangen fast gleichzeitig hoch, beide schlugen fast gleichzeitig zu und blockten den Schlag des anderen in derselben Bewegung. Dann standen sie wieder still. Kaum ein Dorgone und auch kein Mensch hätte der Bewegung mit den Augen folgen können.

»Du bist gut ausgebildet. Für einen Dorgonen.«

»Und du redest zu viel.«

Wieder die unfassbar schnelle Bewegung, wieder prallten beide von der Deckung des anderen ab.

Mehrere Augenblicke des Kampfes lösten sich so mit Phasen der Ruhe ab. Der Kampf wogte hin und her, kaum einer konnte einen Vorteil erringen. Da traf Torrinos die Schulter des Gegners. Es sah nicht so aus, als wäre der Treffer besonders schlimm. Der Gegner sah das allerdings anders. Er taumelte, prallte gegen die Wand und wieder davon zurück. Keuchend zwang er sich wieder auf die siebte Karuche. Er hatte die Augen nur für einen Moment aufgerissen, war auf die sechste zurückgefallen und hatte um ein Haar die Konzentration verloren. Aber nun war er noch gefährlicher. Ein inverser Treffer war gefährlich, er konnte Eingeweide zerreißen nur durch die Kraft, die dem Schlag entströmte. Ein Treffer konnte harmlos aussehen und trotzdem einen menschlichen Körper zerreißen. Dorgonen waren nicht viel stabiler, Goner dagegen schon.

Torrinos musste verhindern, selbst einen einzustecken. Die meisten konnte er kurz vor seinem Körper stoppen. Lange konnte er das aber auch nicht mehr machen, die Kraftwellen beeinträchtigen ihn schon.

Nach genau siebenundvierzig Minuten des Kampfes kam die Entscheidung aus einer Richtung, mit der sie beide nicht gerechnet hatten. Ein wahres Kraftpaket erwischte Jarus an der anderen Schulter, nicht mit einem inversen Treffer, aber stark genug um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Noch ein Goner, erkannte der Dorgone, wunderte sich erst einmal nicht und brachte lieber den Kampf zu Ende. Zu zweit hatten sie keine Probleme mit dem Gegner. Seufzend wich die Luft aus seinem Körper, ein grüner Schleier legte sich über die Bodenplatten, als er seinen letzten Atemzug tat. Wenige Algen waren es, das musste daran liegen, dass er schon lange nicht mehr auf seiner Heimatwelt die Algen eingeatmet hatte. Jarus starb schnell.

Torrinos wandte sich an den Fremden. »Ich danke dir. Aber ich verstehe nicht …«

»Ich grüße dich, Torrinos.« Meine Stimme war dem Dorgonen durchaus vertraut. »Shenia«, flüsterte er. Lange war es her gewesen, Erinnerungen drängten nach oben, aber er verscheuchte sie.

Es war auch besser so. Fast unmittelbar nach seiner festen Umarmung legte ich mich auf den Boden. Einfach so. Ich verlor regelrecht das Bewusstsein und verfiel in einen bleiernen Schlaf.

Gemeinsam betteten sie meinen Körper in die Kammer Torrinos. Dort ließen sie mich schlafen.

*

Die Würgemale veränderten langsam ihr Aussehen. Fingerabdrücke, die zu dem Täter führen würden, verschwanden, als wären sie niemals da gewesen. Dafür veränderten sich die Linien des Abdrucks, gruppierten sich um und stellten nun ein vollkommen anderes Bild dar. Dies war bereits geschehen, als der unheimliche Schatten des roten Todes noch auf den Körper des Kaisers gefallen war. Mittlerweile war er verschwunden. Es dauerte aber nicht lange, da kehrte er wieder, hatte einen bewusstlosen Körper auf den Armen und legte ihn neben den toten Kaiser. Die Hände des unfreiwilligen Neuankömmlings lagen lose um seinen Hals. Nun lagen drei Bewusstlose im Raum. Zufrieden wartete Cau Thon auf Torrinos, der sicher bald auftauchen würde. Es dauerte dann allerdings trotzdem noch fast einen volle Stunde, bis der Anführer der Prettosgarde in den Raum gestürmt kam. Neben ihm war eine muskulöse Gestalt zu erkennen, die Cau Thon nicht kannte. Es interessierte ihn auch nicht.

»Ich wusste es«, flüsterte Torrinos. Er wirkte blass, näherte sich den reglosen Körpern und sah die Würgemale. »Jarus hat es geschafft, er muss hier gewesen sein, bevor es passiert ist.«

»Das muss nicht sein«, flüsterte der große Fremde. Man würde ihm nicht zutrauen, dass er so leise reden konnte. Ich hätte mich sicher gewundert, wenn ich ihn so erlebt hätte.

Er deutete auf die beiden anderen Körper. »Es kann auch einer von denen sein. Oder dieser rote Kerl, von dem Shenia die ganze Zeit geredet hat.«

Cau Thon horchte auf, aber das Gespräch blieb nicht bei diesem Thema. Torrinos ging nicht darauf ein.

»Das werden wir herausfinden. Wenn es aber einer war, dann wohl am ehesten Commanus. Schließlich wird er den Thron erben, wenn der Kaiser tot ist.«

Torrinos fuhr hoch, riss sein Armbandgerät an sich und aktivierte es. Er gab Alarm für die gesamte Pretosgarde und schickte noch einige Soldaten nach Ägol. Die Frauen waren in Gefahr. Sie mussten als erstes beschützt werden.

 

Der Kaiser ist tot

»Die Fingerabdrücke verraten den Täter.« Torrinos senkte den Kopf, nur für einen Augenblick. Dann winkte er den Wachen. »Nehmt ihn fest!«

Sein Finger wies auf Decrusian, der es nicht fassen konnte. Er wagte keinen Widerspruch, aber als die Griffe der Soldaten seine Arme festhielten auf den Rücken zwangen und ihn in Ketten legten, widersprach er doch. Niemand hörte auf ihn.

Commanus, der einen Verband um den Kopf trug, wirkte unglücklich. Kein Wunder, schließlich hatte er gerade einen Teil seiner Familie verloren. Nur seine Frau stand neben ihm und versuchte, sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen.

»Majestät.« Torrinos nahm Haltung an und überreichte dem Thronfolger die Insignien der Macht. Zögerlich nahm Commanus sie aus den Händen des Gardisten entgegen. Wie benebelt war er, verstand immer noch nicht, was eigentlich geschehen war. Unmittelbar nachdem sich Uleman wütend verabschiedet hatte, fehlte im etwas, ein Teil seiner Erinnerung, und er fühlte, dass es ein wichtiger Teil war. Ein Teil, der ihm nicht gleichgültig sein durfte.

Andererseits war es auch nicht so wichtig. Wenn es doch wichtig sein sollte, dann würde er es erfahren. Auf jeden Fall war er am Ziel seiner Wünsche.

»Warum, Decrusian?« Seine leise Stimme hielt den Widersacher auf. Die Soldaten blieben stehen, als sie die Stimme ihres neuen Herrschers vernahmen. Sie drehten sich um und zogen den Delinquenten vor den neuen Kaiser.

Sie stießen ihn auf die Knie. Decrusian sagte nichts. Sein Gesichtsausdruck war der vollkommenen Unglaubens, er hatte Tränen verklebte Augen, sein Schädel schmerzte und er erinnerte sich nur noch daran, ins Bett gegangen zu sein. Das musste ein Albtraum sein, das konnte keine Realität sein. Irgendetwas war geschehen, aber was? Seine Erinnerungen ließen ihn im Stich und es wäre ihm sicher kein Trost gewesen, wenn er gewusst hätte, dass auch Commanus nicht mehr alles wusste.

»Werft ihn in das tiefste Verließ, das ihr finden könnt.« Der Kaiser wandte sich ab. Commanus' Blick verlor sich im Nirgendwo, während die Soldaten seinem Befehl folgten.

Da war doch noch etwas. Er wandte sich um, fixierte Torrinos. »Ich möchte dich nicht mehr im Palast sehen. Du bist schuld am Tod meines Schwiegervaters, es war deine Aufgabe, ihn zu bewachen. Was auch immer du getan hast, es war in jedem Fall das Falsche. Hinaus! Und sei froh, dass ich dich dafür nicht bestrafe.«

Torrinos sagte nichts. Er senkte den Kopf und verließ den Raum, zusammen mit seinen beiden Begleitern verschwand er in den Gassen der Stadt Dom. Ich würde mich wundern, wenn ich in drei Tagen wieder zu mir kommen würde. Ich würde nicht wissen, wo ich war. Aber es würde auch nicht wichtig sein.

Die Einsamkeit in der unterirdischen Kaverne war kaum noch zu ertragen. Erste braune Haarstoppel sprossen wieder auf dem Kopf des Schlächters, der vor den Schirmen saß und mit glühenden Augen die Nachrichten verfolgte. Etwas war geschehen, anscheinend hatte sein letzter Trumpf doch noch Erfolg gehabt. Der Kaiser war tot, aber sie hatten schon einen Nachfolger. Nun würde der Kampf weitergehen.

»Nicht unbedingt.«

»Oh doch, ich werde nicht darauf verzichten.« Nun führte er auch schon Selbstgespräche. Aus vor Müdigkeit brennenden Augen blickte er sich um, erkannte eine Gestalt, die neben der Tür stand. Doch keine Selbstgespräche. »Wer … wer bist du?«

Unsicher war seine Stimme geworden, von Müdigkeit und mangelnder Übung in den letzten Tagen etwas heiser. Er trank einen Schluck und erkannte erst jetzt die rote Haut, die da unter der Kapuze hervor lugte.

»Du bist keiner von uns«, meinte er Unheilschwanger. Aber er machte keine Bewegung, denn er erkannte sehr schnell, dass der andere gefährlich war. Er war vielleicht verrückt, aber er war nicht dumm.

»Ich bin Cau Thon. Und ich ernenne dich zum neuen Oberbefehlshaber der Prettosgarde. Mach dich auf den Weg in den Palast, der Kaiser erwartet dich bereits.«

»Das genügt mir nicht.«

»Oh doch, das wird genügen. Den Titel wirst du ohnehin niemals erringen. Aber du bist wertvoll für denjenigen, der der Herrscher eures Volkes ist. Stehe ihm zur Seite. Und bleib so, wie du bist. Du bist ganz nach meinem Geschmack.«

Die Gestalt trat einen Schritt zurück, verschmolz scheinbar mit den Schatten der Unterwelt.

Carilla war allein. Er blieb allerdings nicht lange, sondern machte sich auf den Weg. Niemand hielt ihn auf. Vor dem Kaiser warf er sich auf die Erde.

*

Vesus ereilte die Nachricht vom Tod des Kaisers, als er gerade von einer Erkundungsmission zurückkehrte. Er senkte den Kopf, traurig, erschüttert.

Der Kaiser war tot. Sein Nachfolger war ein Mann, der der Monarchie verschworen war. Vermutlich waren die rosigen Zeiten vorbei.

Vesus hoffte, dass der junge Commanus des neuen Amtes würdig war. Der Oberbefehlshaber des Militärs begab sich schweren Schrittes in den Palast. Die Falten und Augenringe in Vesus verbrauchtem Gesicht hatten sich in den Jahren gemehrt. Innerlich fühlte er sich jedoch stark und vital.

Commanus war der sechste Kaiser, unter dem Vesus nun dienen würde. Unter dem großen Thesasian begann er seine Militärlaufbahn und er diente schon vor dessen Tod als Oberbefehlshaber der kaiserlichen Flotte. Sein Amt hatte sich weder unter Carigul, Klausius, Nersonos noch Uleman verändert gehabt. Viele sahen in Vesus eine der wenigen Konstanten der Galaxis.

Viele standen nicht im Thronsaal. Arimad saß weinend auf einem Sessel, Commanus hingegen hockte auf Ulemans einstigen Thron und gab einigen Ministern Anweisungen.

Vesus verbeugte sich vor dem neuen Kaiser.

»Meine Trauer ist grenzenlos. Ich beklage jede Sekunde den Tod Eures Vaters«, sprach er an Arimad gewandt, die ihm nur schwach zunickte.

Dann stellte er sich vor Commanus und salutierte. »Ich diene nun dir und Dorgon, oh Kaiser!«

Commanus hob gelangweilt die Hand. Als er aufstand, wedelte mit seinem Umhang umher.

»Nun, Dux Superior, ich bin ein Kaiser der Reformen und der Innovation. Selbstverständlich zähle ich auf deine Dienste, doch solltest du verstehen, dass ich auch andere Wege bereit bin zu gehen.«

Vesus verstand allerdings kein Wort von dem, was sein neuer Kaiser erzählte.

Commanus bemerkte die Irritation des Admirals der dorgonischen Streitkräfte. Er gab einem seiner Diener einen Wink.

»Nun, ich werde auch mit Bürgern Dorgons kooperieren, die Feinde meines geliebten Schwiegervaters waren. Doch ihre Fähigkeiten sind anerkannt und deshalb gewähre ich Amnestie.«

Vesus blickte sich fragend um. Sein Blick ruhte auf dem muskulösen Mann in einer hoch dekorierten Soldatenuniform.

»Carilla«, flüsterte er.

Dann fixierte er den Kaiser.

»Was soll das, Kaiser? Dieser Mann trachtete Uleman nach dem Leben. Wie könnt ihr ihn von seinen Untaten freisprechen? Der Senat wird das nicht billigen!«

»Überlasst das mir, Vesus. Ich bin der Kaiser. Ich gedenke, Carilla zum Praefekt Tutum zu ernennen – zum Anführer der Prettosgarde. Eine meiner ersten Reformen wird die Abschaffung dieser lächerlichen Demokratie sein. Der Staat muss in festen Händen sein. Ein Vater muss seine Kinder führen. Und dieser Vater werde ich sein und nicht irgend ein gewählter, korrupter Politiker.«

Vesus spürte, dass Commanus sich verändert hatte. Er war nicht mehr der ehrenhafte, junge Mensch, in den Arimad sich verliebt hatte.

Vesus überlegte dieses Mal nicht lange. Er wollte nicht wieder unter einem Tyrannen dienen. »Ich stelle mein Amt zur Verfügung.«

Er wartete bis der Kaiser mit einem Nicken seine Entlassung hingenommen hatte, dann verließ er den Raum. Er verschwand in den Gassen der Stadt.

*

Wenige Tage später in einem Bereich von Dom, der vollkommen verborgen vor der Macht des Kaisers war. Ein Viertel, das vier Kilometer tief unter der Erde lag, war der Schauplatz einer geheimen Zusammenkunft. Ich war gerade wieder wach geworden, wir trafen uns in einem Raum des Hauses, das wir zu unserem vorläufigen Stützpunkt gemacht hatten.

»Was sollen wir tun?« Vesus wirkte müde, weniger wütend, als vielmehr resignierend. Die Stimmung, die sich ausgebreitet hatte, war kaum zu ertragen und sie machte keine Hoffnung.

Saraah legte die Hände vor das Gesicht und schluchzte leise, als sie die neuesten Nachrichten hörte. Erste Verhaftungen von »konspirativen Elementen« wurden durchgeführt, kündeten von dem neuen Stil, der sich im kaiserlichen Palast ausbreitete. Es war fast wie damals, kurz bevor die Galaktiker gekommen waren. Die Terraner hatten einen Sinnspruch aus der Vergangenheit ihres Volkes. Homo homini lupus est, der Mensch ist des Menschen Wolf. Eine Aussage, die für kaum einen Welt so sehr zutraf, wie für Dorgon.

Torrinos sah traurig aus. Ich dachte an die lange vergessene Zeit, an die Momente der Ruhe, des Kampfes, der Ausbildung, des Lebens und des Todes. Phasen eines Lebens, das wir zusammen erlebt hatten. Damals hatte er gelernt und beschützt, beides gleichermaßen. Heute beschützte er überwiegend aber er musste immer noch viel lernen. »Gib niemals auf«, flüsterte ich, so dass nur seine besonders empfindlichen Sinne es hören konnten. Und die von Waldron, der dankenswerterweise einmal die Klappe hielt.

Torrinos' Kopf ruckte hoch, er fixierte mich und lächelte. Dann erhob er sich, zog die Blicke der Anwesenden auf sich.

»Freunde der Freiheit, wir werden kämpfen.« Alle blickten ihn verblüfft an. Er sprach weiter: »Heute ist der erste Tag des Widerstands, der Auftakt des Kampfes für die Freiheit. Wir gründen eine Organisation. Wir werden die Unterdrückung nicht mehr hinnehmen.«

Beifälliges Nicken, aber auch Skepsis am Tisch, an dem augenblicklich nur fünf Wesen saßen.

»Dies ist die Geburtsstunde der Freiheitskämpfer. Dies ist der Moment, an dem der Kampf beginnt. Dies ist der erste Augenblick des neuen Denkens. Freiheit für Dorgon!«

Er setzte sich und schwieg.

»Aber wir haben nicht einmal einen Gegenkaiser, oder willst du das werden?« Torrinos schüttelte den Kopf und schaute in die Augen des Sprechers. Vesus hatte recht. Sie brauchten eine Symbolfigur.

»Wir müssen Decrusian aus dem Gefängnis befreien. Er ist die richtige Person dafür.«

»Das Volk wird kaum glauben, dass er der Richtige ist. Schließlich haben die Untersuchungen ergeben, dass seinen Hände den Kaiser getötet haben.«

»Beweise kann man fälschen. Und Gerüchte sind stärker als Tatsachen. Er kann es nicht gewesen sein, das fühle ich. Und ich habe gelernt, auf meine Gefühle zu hören.«

Vesus nickte. »So könnte es klappen.«

»Damit ist es offiziell«, meinte Torrinos. »Wir werden kämpfen.«

»Was ist mit Arimad?« Saraah dachte an ihre Freundin im Palast, die derzeit nicht sehr glücklich war. Der Tod ihres Vaters war eine Sache, aber wiederum an der Seite eines Gewaltherrschers zu leben, war eine andere.

»Noch ist sie sicher an seiner Seite. Wenn sich das jemals ändert, dann holen wir sie da heraus.«

Ich nickte beifällig. »Das ist Torrinos. Bravo, mein Junge.«

Schweigen breitete sich aus, dann erhoben sich fast gleichzeitig wieder die Stimmen.

»Freiheit für Dorgon!«, schallte es aus fünf Kehlen. Ab heute würden sie alles daransetzen, den Einfluss ihrer Organisation auszuweiten.

Noch hatte das Chaos nicht gewonnen.

Aber es war auf einem ungesunden Weg.

*

Cau Thon lächelte zufrieden, als er die Entwicklung auf sich wirken ließ. Er verschwand von Dorgon mit einem tiefen Gefühl der Befriedigung. Chaos war sein Name, Chaos hatte er gebracht.

Das Ende war nahe.

 

Der Kaiser ist tot … es lebe der Kaiser

Torrinos stand vor der Liege, auf der der tote Körper seines einstigen Widersachers gebettet lag. Jarus, einstiger Stellvertreter und sehr guter Freund von Carilla, hatte ihren Zweikampf im Palast nicht überlebt. Seinen toten Körper hatten die Goner zunächst in einem Raum versteckt, in dem niemand ihn finden konnte.

Nach Torrinos' Entlassung waren sie mit dem Körper des Toten aus dem Palast verschwunden. Shenia Drenia hatte darauf bestanden und niemand hatte ihr widersprochen. Schließlich war es in ihrem Volk Sitte, sich um die Toten zu kümmern, vor allem dann, wenn sie außerhalb der Heimat gestorben waren.

Shenia kniete neben dem Lager und verkündete die traditionellen Formeln ihres Volkes. Teilweise konnte Torrinos diese verstehen, er hatte lange genug auf der Welt der Goner gelebt. Eine Welt, die eigentlich niemand kannte, die versteckt in einem Bereich der Galaxie gelegen war, den die Dorgonen noch nicht erobert hatten. Nur ungern erinnerte er sich an den Anlass seines Aufenthaltes auf dieser Welt, an den Tod aller Mitglieder seiner Familie. Sehr gerne aber erinnerte er sich an die Zeit, die er auf dieser Welt verbracht hatte. Er hatte viel gelernt. Heute konnte er dieses Wissen sehr gut gebrauchen, als Mitglied der Palastgarde genauso, wie als Mitglied des Widerstandes.

Shenia richtete ihren Blick auf den Toten, dann auf Torrinos. »Hilf mir, ihn zu entkleiden.«

Gehorsam half Torrinos, Jarus aus seiner Kombination zu befreien. Nach der Tradition ihres Volkes würde der Leichnam verbrannt werden. Dies würde in aller Stille geschehen, sodass besondere Verhüllungen nicht nötig waren. Als sie ihm die Kombination abgenommen hatten, schloss Drenia die Zeremonie ab. Im Untergrund der Hauptstadt dieses Landes war es kein Problem, einen Toten zu verbrennen. Niemand kümmerte sich darum, was die Nachbarn machten. Und die Abschirmung des Hauses war gut genug. Seine Überreste würden in der Kanalisation dieser Welt verstreut.

*

Shenia drehte nachdenklich den Dolch in ihren Händen, den sie aus der Kombination gezogen hatte. Sie betrachtete das Symbol, das den Dolch zierte. Zwei Schlangen, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen und damit für immer gefangen hielten. In diesem Schutzmantel hielten sie eine Krone vor der Außenwelt verborgen, die Krone einer Welt, die nicht Dorgon war. Diese Krone kannte Shenia Drenia sehr genau. Versonnen musterte sie den Dolch eine Weile und gab ihn dann an Waldron Tragonar weiter. Der Goner musterte ebenfalls den Dolch und sagte lange Zeit nichts. Torrinos beobachtete beide schweigend und registrierte erschüttert die Rührung, die den großen, kräftigen Goner erfasste. Er verließ schnell den Raum, sichtlich bemüht, niemandem Einblick in seine Gefühlswelt zu geben. Schweigen kehrte ein, das sich Torrinos nicht zu brechen traute.

»Er hat es erkannt.« Die Stimme der Gonerin war tonlos, sie senkte den Kopf. Dann blickte sie in die Runde, richtete schließlich ihre Konzentration voll auf Torrinos. »Auch du kennst es, es ist das Symbol des Kaiserhauses. Jarus war einer von uns, er war der Thronfolger. Er war eigentlich unsere Mission, wir sollten ihn prüfen und wenn möglich wieder nach Hause bringen. Er hat einen großen Fehler gemacht und er sollte in der Ferne sühnen. Aber das hat er nicht getan. Letztendlich haben wir es nicht geschafft, unsere Suche erfolgreich zu beenden.«

Schweigen herrschte für einige Zeit, in der sich Torrinos klar machte, was es für ein Volk wie die Goner bedeuten musste, ihren zukünftigen Herrscher auf diese Weise verloren zu haben. Er konnte es nicht, denn Thronfolger waren auf Dorgon leicht zu finden. Meist sogar ohne den Willen des regierenden Kaisers. Obwohl er Jahre auf der Welt der Goner verbracht hatte, konnte er sich kaum vorstellen, was in den beiden nun vorging. Er konnte lediglich die Gefühle Shenias für einen Augenblick erfassen. Mehr brauchte er auch nicht.

»Wir haben versagt.«

»Ihr könnt es nicht ändern und vor allem ist es nicht eure Schuld.«

Das würde die Goner kaum trösten. Ohne einen Thronfolger würde ihr Volk in Chaos und Bürgerkrieg versinken. Jarus war der letzte erbberechtigte Thronfolger von Gon gewesen und sein Weggang hatte damals die Welt erschüttert. Vor wenigen Monaten war der Kaiser gestorben und es war Zeit, den Thronfolger zu prüfen. Das Ergebnis war nicht so, wie die Goner es sich vorgestellt hatten. Die Folgen waren für ihr Volk kaum abzusehen. Eigentlich mussten sie sofort abreisen, um es ihnen zu sagen. Aber der Kampf gegen den neuen Herrscher von Dorgon war eine willkommene Abwechslung. Er tobte bereits an allen möglichen Fronten und lenkte sie damit von ihren düsteren Gedanken ab. Sie richteten ihre Kraft auf die Rettung einer Welt, die nicht die ihre war. Sie kämpften gegen den Herrscher von Dorgon und machten sich damit gleich mit einer Situation vertraut, die auf ihrer Heimatwelt erst noch kommen sollte. Wenn die Goner bemerken würden, dass der Thronfolger tot war, dann würde der Kampf um seine Nachfolge beginnen und alle Familien Gons würden sich bei einem großen Kampf auf ihrer Zentralwelt so lange zerfleischen, bis eine der Familien sich durchgesetzt hatte. Erst dann würde wieder für lange Zeit Frieden herrschen.

Eigentlich war es am besten, wenn die Goner so spät wie möglich davon erfuhren. Shenia Drenia und Waldron Tragonar würden Torrinos und den Freiheitskampf auf Dorgon unterstützen. So lange es auch dauern mochte.

*

»Ich möchte, dass du sie bekommst.«

Shenia überreichte Torrinos die Kombination, die Jarus bei seinem letzten Kampf getragen hatte. Skeptisch musterte der Dorgone das Kleidungsstück, das für den klein gewachsenen Goner gefertigt worden war. Er bezweifelte, dass es ihm passen würde, aber um die Goner nicht zu beleidigen, willigte er ein. Er streifte die Kombination über und musste zu seiner Überraschung feststellen, dass sie sich automatisch auf seinen Körper einstellte. Sie saß wie angegossen.

Das Material machte einen seltsam lebendigen Eindruck, so lange es sich verformte. Es schien um seinen Körper zu fließen und sich an ihn zu schmiegen, in einer Form, wie er es noch nie bei einem Kleidungsstück erlebt hatte. Es war vollkommen anders, als alles, was er jemals erlebt hatte, auch solange er noch auf der Welt der Goner gewesen war.

»Was ist das?«

Er blickte über die Ärmel, die sich regelrecht an ihm fest saugten. Allerdings nicht auf eine unangenehme Weise, sondern so, dass er seine volle Bewegungsfähigkeit behielt. Er hatte sogar den Eindruck, dass das Kleidungsstück seine Bewegungen unterstützte, ihm unauffällig ermöglichte, sich noch flüssiger zu bewegen, als es ohnehin schon seine Art war. In einem Kampf musste dieses Kleidungsstück eine Waffe sein, auch ohne, dass man eine der Waffen einsetzte, die Teil davon waren. Er verstand nun sehr gut, wie Jarus es geschafft hatte, ihn in diesem Zweikampf so in Bedrängnis zu bringen. Er war nicht nur ein ausgezeichneter Kämpfer, er hatte auch das beste Material.

»Ich kann das unmöglich annehmen. Dieser Anzug ist nicht für einen Dorgonen bestimmt. Er gehört zu deinem Volk!«

»Er wurde, so die Legende, durch einen unserer Vorfahren gefertigt, um den ersten und besten Kämpfer unseres Volkes zu beschützen. Jarus war der Thronfolger und somit auf dem besten Weg, dieser erste Kämpfer zu werden. Er hat den Anzug gestohlen und ist damit geflohen, nachdem man ihn von seiner Heimatwelt verbannt hatte. Dieses Kleidungsstück ist für unser Volk nicht so wichtig, wie der Kaiser selbst. Aber es stimmt, es ist trotz allem sehr bedeutsam. Im Augenblick braucht aber Dorgon die Hilfe dieses Anzuges wesentlich dringender und er wird so lange dein Begleiter sein, wie es nötig ist. Wie lange das sein wird, ist deine eigene Entscheidung. Wenn du ihn nicht mehr brauchst, dann gib ihn an unser Volk zurück. Wann das sein wird, wirst du selbst erkennen.«

Torrinos zog einige der Waffen aus ihren Taschen und stellte verblüfft fest, dass der Anzug sehr gut ausgestattet war. Es waren Waffen darin zu finden, die er aufgrund ihrer Größe nicht dort vermutet hätte. All die traditionellen Waffen der Goner und dazu noch eine ganze Reihe moderner Schusswaffen. In den Händen eines geübten Kämpfers war dieser Anzug von großem Wert. Die Waffen trugen dabei kaum auf, der Anzug selbst verbarg sie durch den Einsatz von Spiegelfeldern auf eine Weise, dass die Taschen fast nicht auffielen. Auf diese Weise konnte man mit einem Arsenal von Waffen sogar in den Palast marschieren, ohne dass es jemand bemerkte. Natürlich nur, sofern niemand einen Scan durchführte.

Torrinos suchte den Blick Shenias. »Ich danke dir für diese Gabe. Das Wohl des dorgonischen Volkes hängt von dem ab, was wir in den nächsten Wochen unternehmen. Dieser Anzug wird uns dabei helfen, alle Aufgaben zu erfüllen.«

 

Der neue Kaiser

Torrinos schüttelte den Kopf. »Geschickt, wie er das einfädelt. Er zieht das Volk auf seine Seite, indem er Steuersenkungen ankündigt. Ob die jemals kommen werden, ist natürlich ungewiss. Aber bis es soweit ist, werden die Falschen schon fest im Sattel sitzen und die, die für das Recht stehen, werden keine Macht mehr haben. Dann wird es sehr lange dauern, bis wieder etwas passieren wird.«

Während er sprach, war sein Blick wie gebannt auf den Bildschirm gerichtet, auf dem die Krönungsfeierlichkeiten des neuen Kaisers zum wiederholten Male abgespielt wurden. All der Prunk schmerzte ihn, denn er erinnerte ihn an seine eigene Zeit im Dunstkreis der Adligen. Er hatte sie genossen, hatte sich ganz seiner Aufgabe gewidmet und sich hochgearbeitet. Und gerade, als er das für ihn höchste Ziel erreicht hatte, der Beschützer eines Kaisers zu werden, der gerecht und weise regierte, musste ein anderer kommen und ihm dies alles wegnehmen. Sein Gesicht verzerrte sich, aber nur für einen Augenblick. Dann beherrschte er sich wieder, entspannte sich bewusst, öffnete die Hände, die er zu Fäusten geballt hatte, und ließ sich in seinem Sessel zurücksinken.

Im Reich war nichts mehr, wie es einmal war. Ein neuer Kaiser bedeutete immer Veränderungen. Wenn sich der alte Kaiser mit seinen revolutionären Ideen durchgesetzt hätte, dann wäre sehr vieles geschehen, was das Leben des einfachen Dorgonen umgekrempelt hätte. Zum ersten Mal hätten sie den Eindruck haben können, auch etwas mitzubestimmen, eine Richtung vorzugeben, in der sich alles entwickeln konnte, ohne von den Launen eines Herrschers abhängig zu sein. Und auch die Herrschenden hätten sich umstellen müssen, hätten sich an Regeln halten müssen, die vor allem Commanus so gar nicht gefallen hätten. Aber trotzdem hatten sich die Dinge nicht von alleine so entwickelt, das taten sie nie. Die Gestalter waren die beteiligten Menschen. Und in diesem Spiel waren weit mehr beteiligt gewesen, als gut für das Volk der Dorgonen war.

Mit Schauern erinnerte sich Shenia an den Unbekannten, dessen Gesicht sie in einigen Visionen gesehen hatte. Er war ihr seitdem nicht mehr begegnet. Es machte fast den Eindruck, als hätte sich der Fremde wieder von Dorgon entfernt. Das rothäutige Wesen mit dem Mal auf dem kahlen Kopf hatte Dorgon wohl wieder verlassen. Sicher konnten sie sich da allerdings nicht sein.

Aber er hatte Chaos hinterlassen, nicht offensichtlich, denn für jeden Außenstehenden würde alles wie ein normaler Machtwechsel wirken. Für die Beteiligten allerdings sicher nicht.

Vor allem nicht für Decrusian, der unter der Entwicklung am meisten zu leiden hatte. Ihn hatte man als den Schuldigen am Tod des Herrschers entlarvt, obwohl er nicht das Geringste damit zu tun hatte. Seine Unschuld konnte allerdings noch nicht bewiesen werden, nur Gerüchte machten die Runde, die die Gruppe um Torrinos und die Goner gestreut hatten. Sehr starke Gerüchte, die in der Bevölkerung für Unsicherheit sorgten. War nun der Herrscher ein Mörder, der sich seinen Thron durch Intrigen ergaunert hatte, oder saß der Mörder im Verlies? Nur die am Umsturz unmittelbar Beteiligten wussten es. Und diejenigen mit der größten Macht hatten kein Interesse daran, dass das Volk zu viel erfuhr. Für die anderen war es sehr schwierig.

Andererseits schreckte das Volk nicht so sehr der Gedanke, einen Mörder auf dem Thron zu sehen. Das waren sie aus ihrer Vergangenheit gewohnt. Schlimmer war es, wenn der Herrscher allzu schlimm unter dem Volk wütete. So lange er es schaffte, allen ein Gefühl der Sicherheit zu geben und immer nur wenige unter seiner Staatsgewalt zu leiden hatten, war für das gemeine Volk alles in Ordnung.

Uleman hatte versucht, dies zu ändern. Er wollte mehr Mitgefühl unter das Volk bringen. Durch die Schaffung eines Rechtsstaates sollte Demokratie, Gerechtigkeit und Menschlichkeit Einzug halten. Sieben Jahre hatten nicht ausgereicht. Nicht überall. Auch wenn viele Bürger Doms durch die schrecklichen Erlebnisse der Jahre 1292 und 1293 NGZ geprägt worden waren, so wurde nicht in allen Köpfen das demokratische Denken umgesetzt. Es war noch immer eine Zeit des Umbruchs, die Richtung konnte noch geändert werden. Das war genau das, was Commanus nun vorhatte.

Das Monarchie-Denken der Dorgonen war nicht von heute auf morgen verschwunden.

Eine Einstellung, die es den Rebellen nicht leichter machte.

*

Vesus hielt sich währenddessen nicht mehr auf dem Hauptkontinent auf. Er hatte sich in sein Feriendomizil zurückgezogen. Unter seinem Fenster breitete sich die Landschaft von Ägol aus, einem der beiden Ferienkontinente. Er hatte sich aus der Hauptstadt zurückgezogen, die Einsamkeit dieses Domizils gesucht. Hier hoffte er, zu entspannen. Wobei das Wort Entspannung nicht richtig war. Er wollte seine Ruhe haben, ungestört sein. Nur seine verstorbene Frau wünschte er an seiner Seite. Doch dieser Wunsch war unerfüllbar.

Stattdessen saß der Kriegsveteran auf einem bequemen Stuhl aus jerratischen Strohgeflecht auf der Veranda und starrte in die Gegend.

Vesus wollte einfach keinem Herrscher mehr folgen, dessen Ansichten er nicht teilen konnte. Alles war besser, also hatte er sich für den Ruhestand entschieden. Auf Ägol hoffte er, all das zu vergessen, was mit seiner Amtsenthebung zusammenhing. Einen Mann wie Carilla in seiner Position zu sehen, tat ihm doch sehr weh, denn dieser Mann verkörperte so ziemlich alles, was er verabscheute. Aber er konnte es nicht ändern. Er wollte nichts mehr davon wissen. Carilla war der mächtigste Militärführer. Er war Praefekt Tutum und Dux Superior in einer Person. Zuviel Macht eigentlich für eine Person.

Er erhob sich und ging zum Geländer der Veranda hinüber. Sonne über der Savanne, Raubtiere, die direkt unter seinem Fenster dahin strichen und nach Beute jagten. Diese Tiere waren gefährlich, aber sie hatten wenigstens die Ausrede, nur ihren Instinkten zu folgen. Er beobachtete, wie drei der Raubtiere zusammen ein sehr schnelles Steppentier in die Falle lockten, in eine ausweglose Situation drängten und ihm dann das Leben nahmen. Niemals würde eines dieser Tiere nur aus Freude töten, sie taten es nur der Nahrung wegen, um in der erbarmungslosen Steppe überleben zu können.

Nicht so die Menschen. Sie besaßen zwar Vernunft und Intelligenz, zumeist meistens, die sie jedoch dazu benutzten, sie gegen ihres gleichen einzusetzen und Schrecken und Entsetzen über die Mitmenschen zu bringen. Im Reich Dorgon erschien es als auswegloses Unterfangen, sich gegen die Machthaber zu stellen. Auf verlorenem Posten schien jeder zu sein, der aus diesem Kreislauf der Macht auszubrechen versuchte. Uleman hatte es am eigenen Leib zu spüren bekommen. Wie sollte er sich selbst jemals wieder ins Gesicht sehen können, wenn er sich wieder darauf einließ?

Er drehte sich zur Seite und griff nach einer Flasche. Mit ruhigen Bewegungen öffnete er den Verschluss und schenkte sich ein Glas halb voll. Er stellte die Flasche zurück und griff nach dem Verschluss. Dann ließ er ihn aber liegen. Stattdessen ergriff er das Glas zusammen mit der Flasche und ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit durch seine Kehle rinnen. Sie brannte in seinem Hals, explodierte heiß in seinem Magen. Er räusperte sich, dann stellte er das leere Glas zurück. Die Flasche würde genügen.

Er trank zu viel. Aber das war besser, als sich mit den Schatten zu beschäftigen, die in seinen Geist eindrangen und ihm zuriefen, dass er doch nur ein erbärmlicher Feigling sei, der um sein bisschen Leben viel zu sehr schlotterte, um sich gegen den Kaiser zu stellen.

Immerhin hatte er seine Titel behalten. Dux Superior und Princips Protector von Dorgon. Der Konsul von Dorgon blickte an sich herab und stellte fest, dass er ein schlechtes Bild abgab. Ein Glück, dass die Presse ihn nicht so sah. Auch wenn sie nun wieder stärker kontrolliert wurde, würde der Kaiser sicher nichts dagegen haben, einen vollkommen heruntergekommenen Konsul Vesus in den Medien bewundern zu können. Vor allem für Carilla und einige der Senatoren, die die Entwicklung begrüßten, wäre so etwas ein gefundenes Fressen.

Aber hier war es bedeutungslos. Hier würden sie ihn nicht so schnell finden, seinen Zustand kaum entschleiern können. Er fühlte sich sicher, wo er war. Und er nahm noch einen Schluck. Der scharfe Alkohol ließ ihn einen Augenblick lang den Halt verlieren. Als er sich wieder gefangen hatte, lag er neben seinem Sofa, die Flasche fest umklammert. Er trank weiter, machte keine Anstalten, seinen Absturz aufzuhalten. Nur dieses eine Mal, redete er sich ein, werde ich nach Vergessen suchen. Nur dieses eine Mal …

*

Dunkelheit, seit Wochen schon, beherrschte sein Leben in den eng bemessenen Grenzen seines Kerkers. Decrusian blickte aus müden Augen in Richtung der Fenster, die weit außerhalb seines Verlieses für eine kleine Insel des Lichts sorgten. Sein einziger Anhaltspunkt, ob es nun Tag oder Nacht war, dies, und das Essen, das er regelmäßig bekam.

Darüber hinaus bekam er immer wieder Wachen zu Gesicht, die ihn aus seinem Gefängnis ins Freie zerrten, ihn an einen Pfahl fesselten und ihn auspeitschten. Sein Rücken fühlte sich nicht gut an, tiefe Narben waren darauf zu erkennen. Jedes Mal versorgten ihn die Ärzte des Palastes, brachten ihn wieder ins Leben zurück, wenn einer der Henkersknechte ihn wieder einmal fast zu Tode geprügelt hatte, jedes Mal näherte sich der Dorgone mehr dem Punkt, an dem ihn die Kraft verlassen würde. Immer mehr wünschte er sich, dass es enden würde, dass sie endlich Schluss machen würden. Worauf warteten sie eigentlich? Wollten sie ihn langsam, aber sicher, zu Tode quälen? Das musste es sein, denn Fragen wurden ihm keine gestellt. Man war von seiner Schuld überzeugt, machte ihm klar, dass es nicht darum ging, ein Eingeständnis seiner Schuld zu erhalten, die Beweise seien vollkommen ausreichend.

Der einstige Thronfolger legte das Gesicht in die Hände und weinte, kämpfte dagegen an, einfach aufzugeben, um seinen Tod zu winseln. Er war sich bewusst, dass sie ihn sahen, rund um die Uhr beobachteten. Er wollte ihnen nicht zeigen, wohin sie ihn getrieben hatten. Deshalb verdeckte er sein Gesicht und unterdrückte das Zucken der Schultern, beherrschte sich in schier übermenschlicher Weise, damit kein Schluchzen zu hören war. Es kostete fast seine gesamte Kraft.

Dahin wollten sie ihn bringen. Mit den eindeutigen Beweisen, die sie gefunden hatten, war es ein Leichtes, ihn gegenüber dem Volk zu einem Mörder zu erklären, das war Decrusian genauso klar, wie seinen Peinigern. Darüber hinaus wollten sie ihn wohl demütigen, ihm zeigen, wo seine Grenzen lagen und wohin sie ihn treiben konnten, wenn sie das nur wollten. Der Dorgone spürte es immer mehr, wie sehr ihn diese Behandlung auszehrte, wie sie ihn langsam aber sicher an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit trieben. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, dann würde der Zusammenbruch kommen.

Er nahm die Hände vom Gesicht und blickte genau in die Augen eines Wächters, der ihn stumm beobachtet hatte.

Als dieser sah, dass Decrusian ihn anblickte, grinste er. »Nur noch wenige Tage, dann wirst du hingerichtet. Das Volk wird ein Spektakel zu sehen bekommen, wie es schon seit langer Zeit nicht mehr zu sehen war. In der Arena wirst du sterben.«

»Die Arena ist ein Museum«, erwiderte Decrusian müde. Er versuchte, trotzig in die Augen des Wächters zu blicken, aber er hatte das Gefühl, dass es nicht sehr eindrucksvoll wirkte.

»Das war sie. Ein Denkmal einer vergangenen Zeit. Aber diese Zeit ist zurückgekehrt und mit ihr auch der Bedarf an Schauspielen der besonderen Art. Du wirst in der Arena sterben, vor einer großen Zahl von Dorgonen, ausgewählten Vertretern unseres Volkes, die sicher auf der Seite des Kaisers stehen. Sie werden den Rahmen schaffen für ein besonderes Ereignis. Dein Tod wird das Ende dieser lächerlichen Revolution sein, mit der sie versuchen, den Kaiser in einen schlechten Ruf und dich auf den Thron zu bringen.«

Decrusian kniff die Augen zusammen. Er erkannte den Wächter nicht, der da vor der Tür stand. Aber es war sicher keine untergeordnete Wache, sondern einer aus dem Umfeld des Kaisers. Die Gestalt drehte ihren Kopf, sodass er für einen Moment das Profil erspähte.

»Carilla«, flüsterte er.

Der Mann vor der Tür lachte hart. »Du hast es erfasst. Wir freuen uns schon darauf, dem Mythos des unbesiegbaren Decrusian ein Ende zu machen. In der Arena werden die närrischen Ideen deines Stiefvaters ein endgültiges Ende finden. Dann endlich wird Commanus der wahre und einzige Herrscher sein. Und niemand wird es verhindern können.«

»Ach, wirklich?«

Es war ihm gleichgültig. Sein Tod würde für ihn persönlich nichts ändern, es würde zu einer Erlösung werden. Aber das wollte er Carilla nicht sagen.

»Sie werden es zu verhindern wissen«, flüsterte er deshalb. »Sie werden auch da sein und sie werden dafür sorgen, dass es nicht passiert.«

Carilla lachte. »Glaub, was du willst, Decrusian. Du wirst den Mord an deinem Stiefvater büßen.« Damit drehte er sich um und ließ den Gefangenen alleine in seinem Gefängnis zurück.

»Vielleicht«, flüsterte Decrusian in die Dunkelheit. Ein Feuer war in seine Augen zurückgekehrt, das er schon fast erloschen glaubte. »Aber es gibt einen Widerstand. Und so lange es ihn gibt, werde ich hoffen. Scher dich zum Teufel, Schlächter. Du wirst verlieren.«

Er legte sich auf die Pritsche und verfiel nach einiger Zeit in einen unruhigen Schlaf. Jeden Augenblick konnten sie zurückkommen und ihn wieder nach draußen zerren.

Vielleicht schon, um ihn zu töten.

Er hatte Angst.

*

Ihre Nächte wurden immer einsamer. Genauso wie ihre Tage. Irgendwie entfremdeten sie sich, wurde der einstige Geliebte, den sie gerne geheiratet hatte, zu einem Menschen, der ihr immer mehr Rätsel aufgab.

Wenn sie so die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren ließ, dann fragte sie sich, was eigentlich passiert war. Sie hatte zwar Gerüchte gehört, aber ganz sicher war sie nicht, was nun eigentlich stimmte. Und es gab Menschen, die alles dafür taten, sie von allen Informationen auszusperren.

Als vor einigen Tagen ein merkwürdiger Mann in den Palast gekommen war, hatte sie sich gerade in der Nähe des Thronsaales aufgehalten. Deshalb hatte sie diese unrühmliche Episode in der Regentschaft ihres Mannes wenigstens mitbekommen. Zwangsläufig, denn obwohl sie es noch nicht ahnte, würde dieser Mensch noch zu einer Bedrohung für sie werden.

Nach dem Tod ihres Vaters war sie ziemlich verstört gewesen, hatte zunächst nur die Tatsachen gesehen. Und diese hatten gegen den Stiefbruder gesprochen. Ein toter und zwei Bewusstlose in einem Raum und Torrinos selbst hatte bestätigt, wer den Mord begangen hatte.

In der letzten Zeit allerdings gab es Unruhe unter der Bevölkerung. Immer mehr Einwohner Dorgons waren der Meinung, dass Commanus seinen Thron nicht ganz zu Recht bestiegen hatte. Nicht, dass ihm das jemand übel nehmen würde. Es war so sehr normal in dieser dorgonischen Welt, dass Kaiser gewalttätig aus ihrem Amt getrieben wurden, dass man es fast schon normal nennen konnte. Aber trotzdem wurde erzählt, dass Commanus der wahre Mörder war und der im Kerker schmorende in Wahrheit unschuldig.

Arimad wusste nicht mehr, was sie glauben sollte. Folgte sie ihrem Herzen, wollte sie eher dem Volk glauben, denn dass Commanus zu einem Menschen geworden war, der ihr unheimlich war. Das lag nicht nur an den neuen Freunden, mit denen er sich umgab. Auch politisch war er durchaus ein Gegner der Ansichten ihres Vaters gewesen.

Carilla, der sein neuer Berater zu sein schien und auch seine Leibwache anführte, war nicht der einzige Mensch in seiner Nähe, der ihr Angst machte. Auch Elgalar gehörte dazu.

Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte sie ihn für eine Karikatur gehalten, ein Trugbild, eine Erscheinung, die niemals aus der Realität kommen konnte. Aus der Ferne hatte er wie eine Frau gewirkt, aber seine scharf geschnittene Nase, die ihm die Ähnlichkeit eines Adlers verlieh, die dunklen Schatten eines Bartwuchses, die er mit Schminke zu überdecken versuchte, der Lippenstift und die Ohrringe, das alles hatte so grotesk auf sie gewirkt, dass sie ihn zuerst nicht hatte einordnen können. Seine Stimme hatte dann klar gemacht, dass er wirklich ein Mann war. Oder zumindest etwas Ähnliches.

Warum auch immer er sich so merkwürdig gebärdete, er war in jedem Fall ein Bruder von Commanus.

Arimad lief nachdenklich durch den Garten, als ihr plötzlich Elgalar auffiel. Er saß in einem wunderschönen Sommerkleid auf einer Decke und bürstete sein wallendes Haar. Arimad wollte ihren Schwager … oder ihre Schwägerin näher kennen lernen.

Mit einem freundlichen Lächeln schritt sie auf Elgalar zu. Ihr Gegenüber blinzelte mit seinen langen Wimpern und tätschelte mit der Handfläche auf den freien Platz.

Arimad verstand und setzte sich. Sie begutachtete Commanus' Bruder. Alles an ihm war feminin. Teilweise von Natur aus gegeben, teilweise auch erzwungen. Die Finger- und Fußnägel waren lackiert und an Händen und Füßen hingen Kettchen und Ringe.

»Hach, die hochhackigen Schuhe bringen mich noch einmal um, liebe Schwägerin«, begann Elgalar nun die Diskussion. Er streckte dabei demonstrativ seine Füße in Richtung Arimad.

»Aha«, machte sie nur verdutzt.

»Warum hat Commanus nie von dir erzählt?«, wollte sie nun wissen.

Elgalar machte eine echauffierte Geste und fuhr sich mit den Fingern durch die dunklen Haare. »Nun, er wollte lieber einen Bruder haben. Alle wollten den Mann Elgalar haben. Doch nun ist die hübsche und resolute Frau Elgalar draus geworden. Nicht alle akzeptieren das. Besonders die vielen Affären mit starken Soldaten missfallen meiner Familie.«

Arimad musterte Elgalar. Ihm war es verboten, sein Geschlecht umzuwandeln. Es war eine religiöse Sitte, niemals seine Geburtserscheinung zu verändern. Angeborene Krankheiten oder Behinderung, ebenso wie Geschlechtsumwandlungen oder Körperverbesserungen waren nicht erlaubt. Man musste so leben, wie man von DORGON geboren wurde.

Dieser Brauch war den Dorgonen noch heute sehr wichtig. Deshalb lebte Elgalar in einer Zwickmühle. Ein Mann, der lieber eine Frau sein wollte, doch es nicht sein durfte. Travestie war in Dorgon eher ungewöhnlich und verpönt.

Arimad versuchte Elgalar zu verstehen. Irgendwie bedauerte sie ihn. Aber vielleicht könnten sie ja Freunde werden, überlegte sich die hübsche Kaiserin.

»Du musst nur an dich glauben, Elgalar«, schlug sie vor. »Ich könnte hier einen Freund gebrauchen.«

»Dann such dir einen«, zischte Elgalar giftig. »Mich wirst du als Freundin jedoch nicht gewinnen können!«

Arimad verstand nicht. Was hatte sie falsch gemacht?

Elgalar sprang auf und zog sich die hochhackigen Schuhe an. »Ich bin eine Frau! Von dir als Frau hätte ich mehr Verständnis erwartet. Doch auch du siehst mich als Mann! Ich bin aber eine Frau! Und von nun an werde ich meinen Bruder politisch und gesellschaftlich unterstützen.«

Wütend stampfte Elgalar weg und ließ eine staunende Arimad zurück.

Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Anscheinend war er oder sie sauer, dass Arimad ihn als Mann bezeichnet hatte und nicht als Frau.

Sie war sich jedoch von nun an sicher, dass etwas mit Elgalar nicht stimmte.

 

Die Arena der Politiker

Im Forum Preconsus wurde hitzig debattiert. Besonderes Interesse brachte der Princips Protector dafür aber nicht auf.

Vertraute, Freunde, Mitglieder des Senats, die immer noch zu ihm hielten, hatten Vesus in seiner Ferienresidenz aufgesucht und entgegen seinem Wunsch waren sie zu ihm vorgedrungen. Er hatte sie nicht einmal erkannt. Der Alkohol hatte ein menschliches Wrack aus ihm gemacht. Er lallte nur, als sie ihn auf die Beine zogen. Auch als sie ihn gemeinsam unter die Dusche steckten, beeindruckte ihn das kalte Wasser kaum. Er war an einem Punkt angekommen, an dem ihm alles gleichgültig war. Er wollte nur noch sterben.

Es hatte keinen Sinn gehabt, deshalb hatten sie einen Arzt geholt, der einstmals bei der Raumflotte unter Vesus gedient hatte. Vor allem in der Armee gab es mindestens genauso viele, deren Gehorsam dem neuen Kaiser gegenüber nur zwangsläufig war, die aber nicht bedingungslos auf seiner Seite standen. Und gerade unter den Offizieren gab es einige, die den liberalen Kurs des Kaisers insgesamt unterstützt hatten und ihre neue persönliche Freiheit innerhalb dieser Armee wesentlich mehr genossen, als sie es unter den bisherigen absoluten Herrschern konnten.

Der Arzt untersuchte den Konsul und spritzte ihm Mittel gegen die Nachwirkungen des Alkohols, die Vesus schnell wieder auf die Beine brachten. Sie neutralisierten die Wirkung weitgehend und brachten ihm seine Situation wieder zu Bewusstsein.

Er hatte seine Freunde nur vorwurfsvoll angeschaut und versucht, sich eine neue Flasche zu beschaffen. Sie hatten ihn aber daran gehindert und ihm klar gemacht, dass es immer noch sehr viele Menschen gab, die ihn unterstützen und seine Hilfe mindestens genauso benötigten, wie er die Ihrige. In den Jahren unter Uleman hatte es bereits viele Reformen gegeben, die dem einstmals absolut herrschenden Kaiser Schranken auferlegten, ihn nicht mehr willkürlich herrschen ließen. Dazu kam, dass die machtgierigen Familien, die die Senatoren normalerweise stellten, es schon immer verstanden hatten, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, auch gegen den Willen des Kaisers und teilweise gegen das herrschende Recht. Damit fiel es dem neuen Kaiser nicht so leicht, das Ruder in die Hand zu bekommen, vor allem nicht gegen den Senat, der in dieser reformierten Landschaft nicht so einfach seine Machtbefugnisse aufgeben würde. Teilweise waren die Senatoren von eigener Machtgier besessen, teilweise folgten sie aber auch ihrem Gewissen.

Und so wollten die Senatoren und Freunde des Vesus auch auf politischem Wege nichts unversucht lassen, Vesus in seinem Amt als Konsul zu halten und mit seiner Hilfe ein Gegengewicht zu schaffen, das dem Kaiser in einigen Bereichen, die den Senatoren wichtig waren, Beschränkungen auferlegte.

Und deshalb hatten sie ihn wieder zu einem Menschen gemacht.

Vesus verstand durchaus, was sie damit bezweckten. Aber er war nicht unbedingt der geborene Politiker, das merkte er immer mehr, je länger er den gedrechselten Reden der Abgeordneten des Senats zuhörte. Da wurde gelogen, intrigiert, gegeneinander gearbeitet und auf eine Weise betrogen, dass dem Soldaten ganz schwindlig geworden war. Ihm wurde mehr und mehr klar, dass er sich da auf eine ganz besonders heikle Angelegenheit eingelassen hatte und er war mehr als froh, dass seine Freunde hinter ihm standen und ihm halfen, durch diesen Dschungel zu kommen.

Vor allem der Preconsus von Mesoph tat sich dabei als besonders geschickter Intrigant hervor. Falcus, der ein besonderes Verhältnis zu Carilla zu haben schien, schaffte es in der Debatte mehrfach, den Kaiser zu huldvollem Nicken zu bewegen. Anscheinend sagte er insbesondere Dinge, die dem Kaiser zusagten, und das war auch durchaus verständlich.

Falcus war von der Erscheinung durchschnittlich. Schlank, braunhaarig, dunkle Augen, ein markantes Kinn zeichneten diesen Mann. Er trug eine weißblaue Robe. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt. Weise, intelligent, listenreich und die Gabe alle zufrieden zu stellen, sollen seine Fähigkeiten sein. Andere warfen ihm vor intrigant, verlogen und machthungrig zu sein.

Falcus hatte eine steile Karriere hingelegt. Preconsus Festatus baute große Stücke auf seinen Schüler. Falcus stieg vom Bankangestellten zum zweitwichtigsten Mann im Protektorat Harrisch auf. Er war ein schwer durchschaubarer Mann. Intelligent zweifellos. Doch welche Ambitionen er verfolgte, war nicht sicher.

Falcus wanderte durch den Raum und schwang eine beeindruckende Rede: »Es gibt viele politisch und gesellschaftlich notwendige Änderungen im Gesetz. Besserstellung der mittelständischen Unternehmen, eine primäre Unterstützung der Familien. Steuererleichterungen für die Arbeiter. Sinn und Zweck einer dauerhaften Regentschaft und eines beständigen Vertrauens der Bevölkerung ist es, die verschiedenen Schichten gleichermaßen zu befrieden.«

Vesus blickte Falcus an, aber sein Blick ging durch ihn hindurch. Dieses politische Gerede langweilte ihn.

Doch Falcus' Ideen waren gar nicht so übel. Natürlich würde es dem Kaiser gefallen, wenn einige der Gesetze, über die so geredet wurde, wieder abgeschafft werden würden. Ebenso klar wurden sie aber immer wieder von einer Mehrheit niedergestimmt.

Der Kaiser genoss die Sitzung wohl ebenso wenig, wie das Vesus tat. Und der hielt es auch nur aus, weil er sich einfach entschloss, nicht mehr hinzuhören. Einige seiner Freunde machten sich die Mühe, ihm die Winkelzüge zu erklären und er war entsetzt, wenn er wieder einmal erkennen musste, mit welch ungeheuren Hintergedanken die einzelnen Senatoren nach Vergünstigungen für ihr Volk fragten. Die eigentlich Begünstigten wären nämlich im Endeffekt sie selbst gewesen.

Trotzdem fragte er sich langsam, weshalb sie ihn in diese Debatte geschleppt hatten. Wollten sie ihn nur zeigen, dass das politische System der Dorgonen schneller in seine intrigante Verkommenheit zurückfallen konnte, als es Uleman geschafft hatte, für Erleichterungen zu sorgen? Wollten sie ihm klar machen, dass alle Reformen des Uleman letztendlich vollkommen sinnlos waren? Er verstand es nicht.

Zumindest solange nicht, bis Falcus explizit die Entlassung eines gewissen Konsuls verlangte. Und sich aller Augen ihm zuwandten.

»In der momentanen Verfassung, in der sich offensichtlich unser geschätzter Princips Protector Vesus befindet, muss ich ihn auffordern, sein Amt niederzulegen oder eine ausgedehnte Kur zu beginnen. Mir wurde berichtet, dass Konsul Vesus in den letzten Tagen mehr einem Säufer aus der Gosse der Raumhäfen als einem Kriegsveteran glich. Unser Respekt und unsere Achtung kann nicht größer sein, doch er schadet nur sich selbst und dem Senat.«

Vesus richtete sich langsam auf, setzte sich gerade hin und schüttelte seine Trägheit ab. Seine ihm als Soldaten anerzogene Disziplin half ihm dabei, die plötzliche Aufmerksamkeit wegzustecken.

Er warf einen Blick in die Loge, in der der Kaiser von Dorgon mit seinem Gefolge Platz genommen hatte. Commanus selbst verzog keine Miene, es schien ihm eher gleichgültig zu sein. Elgalar, sein merkwürdiger Bruder, betrachtete Vesus mit einer Mischung aus Verlangen und Sinnlichkeit. Und Carilla schien überaus zufrieden zu sein.

Vesus dachte daran, dass Carilla ein Lager auf der Welt Mesoph unterhalten hatte. Falcus war Vertreter dieser Welt und hatte nun einen Vorschlag gemacht, der das Ende der Laufbahn für Vesus bedeuten konnte. Und wenn er erst einmal nicht mehr Konsul war, hatte er jede politische Immunität verloren. Insofern ein geschickter Schachzug, wenn es darum ging, einen gefährlichen Widersacher der neuen kaiserlichen Politik aus dem Rampenlicht zu schaffen und ihm jegliche Macht zu nehmen.

Dass Vesus nicht eben kaiserfreundlich eingestellt war, hatte er mit seinem Rücktritt ja schon bewiesen.

Langsam verstand er, worum es hier ging. Und er verstand, weshalb ihn seine Freunde hierher gebracht hatten. Wenn er nicht da gewesen wäre, dann hätte er damit jeglichen Beweis für seine mangelnde Eignung angetreten. Und wenn er sich nicht persönlich hätte verteidigen können, dann wäre seine Laufbahn in diesem Augenblick schon zu Ende gewesen.

Nicht, dass es ihm wirklich etwas ausgemacht hätte. Aber er verstand, dass diejenigen Senatoren, die gegen den neuen Kaiser waren, eine Figur wie ihn brauchten. Und deshalb war er hier.

Langsam erhob er sich, blickte sich um, sah die Augen der Senatoren auf sich gerichtet. Viele Augen, die alle mehr oder weniger neutral wirkten. Viele waren deutlich sichtbar gegen ihn – wie viele für ihn waren, ließ sich so nicht sagen. Sicher hatten sie allen Grund, dem neuen Kaiser nicht zu deutlich zu zeigen, dass seine Anwesenheit nicht in ihrem Sinne war.

Er war dankbar, als sich auch der Senator erhob, der ihn aus seiner Ferienwohnung geholt hatte. Er trat neben ihn, ein deutliches Zeichen setzend. Gemurmel erhob sich.

Und dann ging die Debatte erst richtig los.

*

Vesus war müde. Lange hatte es gedauert und es war ein zähes Ringen gewesen. Langsam, mit aller Raffinesse, hatte Trenus es geschafft, eine Mehrheit der Abgeordneten auf seine Seite zu bringen. Er war ein Stellvertreter von Saraah und einer der wichtigsten Vertreter der Jerrer auf Dorgon. Und er hatte es geschafft, die Verdienste des Vesus in einer Weise herauszustellen, wie es Vesus selbst wohl nicht geschafft hätte. Insgesamt hatten die Vertreter der dorgonischen Welten den unermüdlichen Einsatz ihres Konsuls nicht vergessen und ihnen war durchaus klar, dass sie ohne Vesus und seine mutigen Aktionen in all den Kriegen, die Dorgon in letzter Zeit so erlebt hatte, wohl lange nicht so glücklich und unbeschwert hätten leben können. So etwas vergaßen nicht einmal die Senatoren und vor allem dann nicht, wenn sie von einem eloquenten Redner unermüdlich daran erinnert wurden.

So kam es, dass bei der Abstimmung eine deutliche Mehrheit der Senatoren sich für Vesus aussprach. Er wurde in seinem Amt als Konsul des Reiches bestätigt.

Vesus fixierte die kaiserliche Loge und konnte vor allem an den Gesichtern von Elgalar und Carilla erkennen, wie wenig begeistert beide von diesem Ergebnis waren. Ein befriedigtes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Vielleicht war es doch eine gute Idee gewesen, sich von den Freunden überzeugen zu lassen.

Der Kaiser selbst blieb jedoch ruhig. Anscheinend war ihm nicht wirklich wichtig, ob Vesus nun Konsul war oder nicht. Nun, vielleicht würde sich das bald ändern. Vesus war entschlossen, dem Kaiser zu zeigen, dass er seine Linie nicht unterstützte. Er würde sich in diesem politischen Dschungel bald besser zurechtfinden. Diese Lektion, die er heute gelernt hatte, würde insofern für seine künftige politische Laufbahn sehr wichtig werden.

Und er erkannte, dass er in dieser Position den Rebellen durchaus eine große Hilfe sein würde.

*

Falcus betrat echauffiert das luxuriöse Diplomatenzimmer im kaiserlichen Hotel nahe dem Parlament. Müde ließ er sich auf seine Liege fallen und klatschte mit den Händen seinen Diener herbei.

Der fette Mann im mittleren Alter hatte mattschwarze, fettige Haare und trug eine blaue Toga. »Ihr wünscht, mein Herr?«

»Ach, Trojus. Massiere deinen armen, geschwächten Herren. Es war ein harter Tag im Parlament.«

Die starken Knubbelfinger des Masseurs glitten über die unfeine Haut des Senators. »Berichtet doch, edler Herr.«

Falcus gähnte. »Ich bin müde. Doch so viel: Commanus scheint Vertrauen in mich gefasst zu haben. Es sieht so aus, als würde er mich zu seinem Berater ernennen.«

Trojus lachte schrill auf. »Ein Leben im Palast? Wie toll Herr! Toll!«

Falcus winkte ab. »Eines nach dem anderen, mein Freund. Doch wie es aussieht, werden wir bereits im nächsten Monat im erlauchten Kreise verweilen.«

Trojus fettete seine Finger mit Öl an und rieb damit Falcus' Rücken ein. Mit Gefühl massierte er die Haut des Senators. »Ach ja, eure Tochter ist hier!«

Falcus zuckte entsetzt hoch. »Elenia? Was will sie hier? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

Er stand auf und drückte Trojus massigen Körper von sich. Wütend zog er seine Robe an und lief nach dem Raum. Er schien seine Tochter zu suchen. »Wo?«

Trojus blickte zum Gästezimmer und Falcus stürmte hinein.

Seine Tochter richtete gerade ihr Zimmer ein. Sie ordnete ihre Garderobe auf dem großen Bett. Als sie ihren Vater bemerkte, sprang sie ihm verzückt an den Hals und drückte ihn fest. »Schön dich zu sehen, Vater!«, sagte sie lächelnd.

Falcus zwang sich ebenfalls zu schmunzeln. Nach der überschwänglichen Begrüßung wurde er wieder ernst.

»Was machst du hier, Elenia? Warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du mich besuchen willst?«

Elenia blickte traurig ihren Vater an. Dieser Blick aus den wunderschönen braunen Augen hätte in Kombination mit dem einmaligen Schmollmund jeden Mann zum dahin schmelzen bewegen müssen.

Doch Falcus blieb streng. Er erwartete eine Antwort von seiner Tochter.

»Ich möchte dich nicht besuchen, sondern hier in Dom bleiben. Ich habe das langweilige Leben auf Mesoph satt. Es dürstet mich nach Abenteuern im Zentrum unseres Reiches.«

Das war Falcus gar nicht recht. Sie passte nicht in seine Pläne, es sei denn, sie würde die Ehefrau eines einflussreichen Verbündeten werden.

Doch Falcus kannte das Temperament und die Sturheit seiner Tochter. Sie würde niemals jemanden heiraten, den sie nicht liebte.

Elenia war so schrecklich naiv. Sie glaubte an Ehre, Heldentum, Liebe, Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Sie hatte nicht das Zeug zum Überleben in dieser rauen Gesellschaft, weil ihr die Verschlagenheit ihres Vaters fehlte.

Elenia räumte ihre Kleider inzwischen in den Schrank ein. Falcus musterte seine wunderschöne Tochter. Sie war eine Augenweide. Ihre langen braunen Haare hingen glatt über die Schulter bis zum Rücken herunter. Ihr Gesicht war eben, ihre Haut leicht gebräunt. Sie war intelligent und doch gleichzeitig naiv.

»Du kannst hier nicht bleiben«, erklärte Falcus. »Ich habe keine Verwendung für dich im Palast, meine Tochter.«

Elenia schien dies nicht zu berühren. »Ich kann dir helfen, Vater. Du weißt, dass Trojus nicht der Klügste ist. Wir könnten dir als Senator weiterhelfen und unterstützen. Schick mich bitte nicht zurück!«

Falcus wollte nicht nachgeben.

Elenia ging zu ihm, nahm seine Hand und drückte sie fest. »Bitte!«

Der Blick in ihre tiefen dunklen Augen ließ selbst das sonst so beherrschte Herz des Falcus erweichen. Er nickte schwach.

Elenia lachte und gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. Dann machte sie sich wieder daran, ihre Sachen zu verstauen.

Falcus verließ nachdenklich das Zimmer seiner 29-jährigen Tochter und wandte sich wieder der Politik zu.

 

Das Leben im Untergrund

Torrinos hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die Kombination der Goner direkt unter seiner eigenen Kleidung zu tragen. Nur wenn er in einen Einsatz gehen würde, hatte er sich entschlossen, würde er sie offen tragen, um auch das volle Potential des Anzuges nutzen zu können. Im normalen Leben hingegen war es vor allem wichtig, unauffällig zu bleiben. Da es aber dennoch sehr gefährlich für ihn war, sich in der Öffentlichkeit – vor allem in der Nähe des Palastes – zu zeigen, trug er zu seinem eigenen Schutz lieber den Anzug.

Er sah sich um und vergewisserte sich, dass niemand ihm Beachtung schenkte. Dann mischte er sich unter das Volk, das zum Eingang des kaiserlichen Palastes strömte.

Dieses Bauwerk war genauso pompös wie sein Name nahelegte. Und insofern war es auch schwer zu überwachen, was bereits Uleman hatte erleben müssen, als er einem Anschlag in seinem eigenen Palastgarten nur knapp entronnen war. Nichtsdestotrotz wurde den Bürgern gerne gewährt, den Palast auch einmal von innen zu sehen. Es gab Bereiche, die wie ein Museum eingerichtet waren und in denen Führer von der reichen Vergangenheit berichteten und natürlich immer wieder betonten, wie wichtig dieser oder jener Kaiser für das Volk und die geschichtliche Entwicklung der Dorgonen gewesen war.

Torrinos ließ sich von der Menge in das Gebäude schieben. Sie würden ihn auf den Kameras vermutlich kaum erkennen können. Er war immerhin einer unter vielen. Und ebenso sicher würden sie sich auch kaum darauf verlassen, dass sie das Gesicht eines Einzelnen irgendwo einfach sehen konnten. Biometrische Erkennung war durchaus normal und Computer waren sicher damit beschäftigt, die abgetasteten Gesichter mit Bildern aus der Datenbank zu vergleichen.

Das machte jedoch nichts, denn auch biometrische Systeme ließen sich überlisten. Die Maske, mit der Torrinos ausgestattet war, wirkte fast echt und war es in Teilen auch. Für die Einsätze hatte man sein Gesicht leicht verändert, hier etwas aufgespritzt, da etwas weggenommen, sodass insgesamt sein Gesicht runder wirkte. Darüber hinaus hatte man sogar die Knochen verändert, sodass auch ein genauerer Scan kein Problem sein würde. Nicht alle Bürger von Dorgon waren in den Systemen gespeichert. Das war auch nicht nötig. Es reichte vollkommen aus, wenn diejenigen gespeichert waren, die man suchte.

Dass Torrinos Kontakte zur Flotte hatte und dass viele aus der Flotte immer noch hinter Uleman und vor allem Vesus standen, erwies sich hier aber als große Hilfe. Immer mal wieder konnten sie so auf Ressourcen zugreifen, die dem normalen Kleinkriminellen wohl kaum zur Verfügung standen.

Dieses Wissen ließ Torrinos sich einigermaßen entspannt vorwärts bewegen.

Es war warm an diesem Tag, in diesen Breiten eigentlich ein Dauerzustand. Der Palast war in den gemäßigten Zonen angelegt und seine Bewohner konnten somit einen langen Sommer genießen. Es war zwar nicht so extrem wie in einigen der Feriengebiete, aber es war in jedem Fall so warm, dass Torrinos ins Schwitzen kam, gefördert natürlich auch von der Nervosität, die der Dorgone kaum in den Griff bekam.

Jedenfalls jetzt noch, denn wenn er einmal vor Ort war, dann würde er sich sehr beherrschen müssen. Nervosität war dann eher hinderlich.

Der Eingang des Palastes rückte näher und nahm schließlich die Gruppe der Besucher auf, brachte sie in klimatisierte Räumlichkeiten und ließ Torrinos erst einmal aufatmen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und folgte den Besuchern in Bereiche, in denen die Gemächer von ehemaligen Kaisern nachgebaut und somit für die Nachwelt konserviert waren. Dazu kamen holografische Figuren, die in diesen Kulissen agierten und bedeutende Erlebnisse aus der Zeit der alten Kaiser nachspielten. Torrinos fiel auf, dass einige der Begebenheiten wohl nachträglich verändert worden waren.

Eines der Hologramme erzählte von der Senatorin Saraah und dem Terraner Matthew Wallace, die in der Arena beinahe von Raubtieren zerfleischt, aber von der Bevölkerung gerettet worden waren. So jedenfalls war es ursprünglich einmal gewesen. Die Geschichte war kaum korrigiert worden, so weit konnten sie in diesem Fall nicht gehen. Denn noch war Saraah Senatorin und noch konnten sie sie nicht öffentlich in Misskredit bringen.

Torrinos beobachtete die Wände und die Decke und verschwand plötzlich inmitten der Gruppe von Menschen, löste sich so unvermittelt in Luft auf, dass es keinem auffiel. Plötzlich war er hinter eine Säule verschwunden und nicht mehr gesehen. Er verschwand durch eine der Türen in einem Bereich, der eigentlich nicht mehr für die Besucher gedacht war. Seine Ortskenntnisse ließen ihn jedes Mal rechtzeitig in einen Seitenkorridor ausweichen oder einige Treppen nach unten steigen, schließlich war er lange genug der Leiter der Prettosgarde gewesen. Er kannte auch einige verborgene Gänge, die in den dicken Wänden dieses Palastes für Fluchtwege sorgten, die nicht allen bekannt waren. In der Hoffnung, dass sich Carilla noch nicht allzu sehr mit den Plänen des Palastes angefreundet hatte, bewegte er sich einigermaßen frei in diesem Bereich, auch ohne die Tarnfelder aktiviert zu haben. So konnte er auch ohne energetische Ortung den Palast durchqueren und er hatte dazu noch Glück. Niemand begegnete ihm.

Sein Ziel war die Kaiserin Arimad.

Torrinos suchte lange, aber dann hatte er sie durch ein Fenster gesehen. Sie war draußen im Garten, verborgen zwischen den Pflanzen. Er machte sich auf den Weg, den unterirdischen Gängen folgend zu einem der Springbrunnen kommend, die im Garten verteilt waren. Diese waren durch ein dichtes System von Gängen miteinander verbunden, das zum einen den Sinn hatte, die Installation der Wasserleitungen aufzunehmen, zum anderen aber auch den Gärtner erlaubte, von den Herrschern ungesehen an ihren Arbeitsplatz zu kommen.

Als er den Springbrunnen erreichte und die Katakomben verließ, war nur noch ein Busch zwischen ihm und der Dorgonin.

Instinktiv wich er zurück, als Commanus mit Falcus an ihm vorbei ging. Ihnen folgte Elgalar. Torrinos verstand jedes Wort des Gesprächs.

»Vesus ist ein Trinker. Jedoch beliebt beim Volk. Wir sollten versuchen, ihn auf unsere Seite zu ziehen«, schlug Falcus dem Imperator vor.

Dieser spielte gelangweilt mit einem Dolch. Die Rede im Senat hatte ihn angestrengt. Nun wollte er sich ausruhen. Doch als Kaiser kam man nicht dazu.

Sein Blick fiel auf Arimad. »Ist sie nicht wunderschön?«, sagte er fast verliebt.

Elgalar musterte ihn seltsam. »Sie ist eine intrigante Kuh!«

Carilla kam nun auch hinzu. Er blickte Elgalar verächtlich an. In seinen Augen war diese Gestalt minderes Leben. Carilla hatte kein Verständnis für solche Menschen. Er sah in Elgalar nur einen Schwächling, der nicht in der Lage war, ein echter Mann zu sein.

»Ich will Kaiserin werden«, träumte Elgalar. »Ich werde die schönste Imperatrice aller Zeiten auf dem dorgonischen Thron sein.«

Falcus und Carilla warfen sich einen viel sagenden Blick zu. Commanus spendete ein müdes Lächeln, schüttelte den Kopf und lief zu seiner Gemahlin, die er körperlich mit jeder Faser seines Körpers begehrte. Sie war sein Eigentum.

Elgalar blickte zu dem Pärchen. Commanus meinte es nicht ehrlich mit Arimad. Er war schließlich der Mörder ihres Vaters. Gestern Abend hatte es Elgalar verstanden, seinen Bruder betrunken zu manchen. Im Suff redete Commanus. Er sprach von Cau Thon und dem Pakt mit MODROR.

Und Arimad liebte den Mörder ihres Vaters? Elgalar schätzte die Kaiserin anders ein. Sie war jung und naiv. Voller Ideale. Wenn sie nun die Wahrheit erfahren würde …?

Elgalar schmunzelte diabolisch und spielte mit den Ringen an seinen Fingern.

*

Arimad küsste Commanus leidenschaftlich. »Du hast dich so verändert, seitdem du Kaiser bist. Was ist los mit dir? Was quält dich, geliebter Mann?«

Commanus drückte sie von sich. Für einen Moment war er schwach. In Versuchung, ihr die Wahrheit zu sagen, öffnete er den Mund. Doch er konnte es ihr nicht beichten. Er konnte ihr nicht sagen, dass er ihren Vater getötet hatte.

Sie würde es nicht verstehen und er würde ihre Liebe verlieren. Eine Liebe, auf die der Imperator stolz war. Arimad war sein Eigentum. Und er wollte sie nicht besetzen wie eine Kolonie, sondern sich verdienen.

»Es ist alles so plötzlich gekommen. Ich muss mich erst an die neue Verantwortung gewöhnen. Auch mein Bruder geht mir auf die Nerven. Es ist alles sehr schwer. Ich bitte um Nachsicht, geliebte Arimad.«

Er senkte den Kopf und streichelt ihren Oberarm.

Arimad drückte ihn an sich. »Du hast sie.«

Commanus nahm wieder die gewohnte Haltung eines Kaisers an und widmete sich Carilla und Falcus. Sie diskutierten über ihre nächsten politischen Schritte. Arimad blieb alleine zurück.

Fast allein!

Elgalar stand vor ihr. Arimad blickte unsicher zu ihrem Schwager herüber. Dieser kam mit einem Lächeln auf sie zu.

»Wir sollten uns nicht bekriegen, Elgalar. Wenn du möchtest, können wir Freundinnen sein«, begann Arimad ehrlich. Sie legte auf die weibliche Endung diesmal eine Betonung.

Doch Elgalar schüttelte den Kopf. Er stemmte die Ärmchen in die Hüften und grinste herablassend. »Ich werde bald Kaiserin sein. Du wirst gehen. Und ich weiß auch schon wie. Commanus ist der Mörder von Uleman. Er paktiert mit den Söhnen des Chaos und hat deinen fetten, feisten Vater eigenhändig erwürgt.«

Arimad schluckte und brauchte eine Weile, um diese Worte zu verarbeiten. Sie blickte Elgalar an.

»Du lügst«, sagte sie mit belegter Stimme.

Triumphierend verneinte Elgalar. Er tätschelte Arimad und erklärte, dass sein Bruder es ihm im Suff gesagt hatte. Vieles ergab einen Sinn. Commanus monarchistische Ansichten, die Uleman nicht duldete. Die Ernennung von Carilla zum obersten Militärführer.

Arimad lief weinend weg. Elgalar fühlte sich langsam am Ziel. Wenn er Glück hatte, würde Arimad sich selbst das Leben nehmen. Dann würde er an ihre Stelle treten.

*

Torrinos, der alles mitgehört hatte, glitt lautlos zum Springbrunnen, ließ sich ins Wasser gleiten. Er tauchte auf den Grund des Beckens und öffnete eine Klappe, durch die er verschwand. Für jemanden, der im Palast lange Zeit zu Hause war, war es gar nicht schwer, sich in all den geheimen Gängen, Zugängen, Ausgängen und Verstecken einigermaßen auszukennen. Und so wusste Torrinos, dass es auch vom Palastgarten aus Zugänge in die Katakomben gab. Dazu musste er nur das System der Gärtner und Mechaniker benutzen, die immer, allgegenwärtig, in den ausgedehnten Gartenanlagen zu finden waren. Und doch waren sie zumeist nicht zu sehen.

Unbemerkt entfernte er sich vom Gelände des kaiserlichen Palastes.

*

Feine vielfarbende Muster spiegelten sich in der Scheibe ihres Zimmers. Elenia blickte aus dem Fenster. Es war herrliches Wetter über Dom. Die Sonne lachte ihr ins Gesicht.

Elenia packte der Drang, etwas zu unternehmen. Sie stürmte aus ihrem Zimmer und hätte beinahe den quickenden Trojus umgerannt. Doch dazu war sie nicht stark genug. Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich.

»Was hast du vor, Herrin?«, fragte sie ihr Diener.

»Ich will mir Dom anschauen. Da mein Vater gesagt hat, du sollst mich im Auge behalten, wirst du wohl mitkommen müssen«, erklärte und beschloss die Dorgonin zugleich.

Bevor Trojus ihr etwas entgegnen konnte, war sie auch schon aus der Wohnung und lief zu ihrem Sportgleiter.

»Wartet, wartet!«, rief Trojus und wackelte hinterher.

Als er endlich den Gleiter erreicht hatte, war er nass geschwitzt und keuchte laut.

Elenia amüsierte sich darüber. Jedoch nicht so, dass es ihn verletzte. Elenia gab darauf Acht, ihre Mitmenschen nicht zu verletzen. Eine Tugend, die nicht weit verbreitet war.

Sie stellte Trojus ihren neuen Gleiter vor. Das Metallicschwarz reflektierte die Sonnenstrahlen.

»1450 PS! Der Gleiter schafft eine Spitzengeschwindigkeit von 800 Kilometern in der Stunde. Es ist ein Import aus der Milchstraße.«

Trojus nickte schwach und musterte ängstlich das Pferdesymbol an der Motorhaube.

Elenia zeigte ihm alle technischen Raffinessen an dem Gefährt. Dann forderte sie ihn auf einzusteigen. Trojus gab zu bedenken, dass ihrem Vater dieser Ausflug sicherlich nicht gefallen würde, doch Elenia hatte ihren eigenen Kopf.

Sie schmunzelte leicht über Trojus naive Loyalität und startete dann das Vehikel. Mit lautem Dröhnen hob der Gleiter ab. Elenia erklärte, dass die Terraner Wert auf Lärm bei ihren Gleitern legten und deshalb neben den Antigravfeldern primitive Abgasvorrichtungen installiert hatten. Dies diente zur Extrabeschleunigung des Treibstoffantriebs.

Elenia drückte auf »Gas« und der Gleiter schoss von dannen. Trojus musste sich beinahe übergeben.

Die Geschwindigkeit und der Nervenkitzel bereiteten ihr Abwechslung, doch Trojus konnte nicht verstehen, wie ein Dorgone das Abenteuer suchen konnte.

Als sie wieder zurückkehrten, wartete Falcus bereits ungeduldig auf ihre Rückkehr. Seine Miene war streng. Für einen Moment erschreckte dieser Gesichtsausdruck Elenia. »Während du sieben Paragraphen des Verkehrsgesetzes gebrochen hast, hat Commanus mich zu seinem persönlichen Berater ernannt und uns ein Anwesen auf dem Palastgelände angeboten. Pack deine Sachen!«

*

Wenige Stunden später fuhr eine prächtig geschmückte Eskorte vor. Der Centrus der Prettosgarde stellte sich Falcus und dessen Tochter als Ranimus vor. Er hatte die Aufgabe, den neuen Minister und Hofberater des Kaisers zum Palast zu bringen.

Der junge Dorgone mit den blauen Augen und dem ehrlichen Gesicht war sichtlich angetan von Elenia. Falcus hatte jedoch Besseres für seine Tochter vorgesehen und machte dies dem Centrus mit allen Geschicken der Diplomatie klar.

Trojus schleppte die Koffer. Echauffiert stöhnte und gluckste er.

Elenia ging zu ihm, um ihm etwas abzunehmen. »Warum benutzt du nicht den Antigrav?«

»Der Herr Falcus meint, ich soll abnehmen«, seufzte der Fettleibige.

Elenia schüttelte mitleidig den Kopf und wies Ranimus an, ihr und ihrem Diener beim Tragen zu helfen. Für den Centrus war dies eine Ehre.

Falcus gefiel Ranimus nicht. Hilfsbereite Idealisten hatten in der Prettosgarde nichts zu suchen. Er musste wohl mit Carilla über diesen Ranimus sprechen.

Der Empfang im Palast fiel freundlich aus. Commanus gab ein rauschendes Fest für den Senator von Mesoph und zeigte sich entzückt von dessen schöner Tochter.

Dies gefiel dem Senator schon wesentlich besser.

 

Schuld und Sühne

Kaleidoskopartig flimmerten Bilder durch sein Gehirn, während er auf die Schritte lauschte. Prozessionen marschierten vor seinem Fenster auf – Marschtritt, Kommandos, der Lärm, den Menschen auch ohne militärischen Hintergrund machten, war wie ein Hintergrundrauschen darüber gelegt. Dazu blendeten ihn noch die Strahlen der Sonne. Er hielt die Augen nach tagelanger Dunkelheit fest geschlossen, sie tränten, auch ohne dass er sie öffnete.

Langsam, blinzelnd, gewöhnte er sich daran. Niemand drängte ihn, was ihn erschreckte. Unglaubliche Bilder der Qual lähmten ihn fast, während er sich innerlich darauf vorbereitete, was ihn erwartete.

Seine Hände waren auf den Rücken gefesselt, er selbst konnte sich ohnehin kaum bewegen. Die Soldaten, die ihn umstanden, hinderten ihn daran. Langsam hoben sich seine Lider, während immer noch die Bilder vergangener Schrecken die Dunkelheit nur ungenügend vertrieben.

Die Stätte der Folterungen war wieder einmal bereitet worden. Inmitten des Innenhofes im Palast der dorgonischen Kaiser erhob sich ein Gestell, an das man seine Hände fesseln würde. Sehr bald schon. Noch während er darüber nachdachte, fühlte er den sanften Druck der Wachen, die ihn zwar nicht sonderlich heftig, aber nachdrücklich, aufforderten, sich in Bewegung zu setzen.

Er stolperte über die engen Fesseln, die ihm gerade genug Bewegungsfreiheit ließen, um kurze Schritte zu machen. Langsam bewegten sie sich auf die Folterstätte zu und Decrusian machte sich klar, dass dieser Moment zum letzten seines Lebens werden konnte. Jedes Mal konnten sie mit den Folterungen und den öffentlichen Demütigungen zu weit gehen. Jedes Mal konnte es das letzte Mal sein, wenn die harten Knoten der Peitschen in seinen Rücken bissen, blutige Striemen hinterlassend, die doch so tröstlich waren, ihm mit jedem Schmerz, den er fühlte, klar machten, dass er noch immer am Leben war.

Nachdenklich hob er den Kopf und blinzelte in die Sonne. Die Heroen der Vergangenheit wachten über ihn, redete er sich zumindest ein. Gesehen hatte er noch keinen von ihnen. Weder welche aus der fernen Vergangenheit, noch reale Helden der Gegenwart senkten sich aus dem Himmel hernieder, um ihn in die Freiheit zu bringen, die er doch so nötig brauchte.

Decrusian hatte genügend Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Er war wild entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, aber er merkte, dass es jedes Mal schwieriger wurde. Jedes Mal näherte er sich mehr und mehr dem Punkt, an dem es fast unmöglich war, sich nichts anmerken zu lassen. Und auch für dieses ›nichts anmerken lassen‹ gab es Grenzen, die regelmäßig bei den öffentlichen Folterungen erreicht wurden.

Aufrecht blickte er in die Kameras, die in Form winziger fliegender Roboter über ihm kreisten und das einzige Merkmal einer funktionierenden, hochwertigen Technik in seiner Nähe waren. Alles andere war so gehalten, wie es aus der Vergangenheit seines Volkes bekannt war, als der Weltraum nur aus einem nächtlichen Sternenhimmel bestand und Raumschiffe noch nicht den Boden dieser Welt verlassen hatten. Trotzdem war es ein technisch hochstehendes, zivilisiertes Volk, das ihm diese Demütigungen zufügte.

In einer Loge konnte er den prächtigen Federbusch erkennen, der den Helm des Kaisers zierte. Daneben waren zwei Frauen zu erkennen und außerdem weitere Berater, die neben dem Kaiser Platz genommen hatten. Carilla stand direkt hinter ihm und grinste voller Genugtuung, während er beobachtete, wie der mutmaßliche Mörder des Kaisers an die Stätte der Folterung geführt wurde. Mit seinem Grinsen machte er klar, dass es ihm eine Freude sein würde, Decrusian zu töten. Vielleicht war es diesmal zu Ende, endlich vorbei.

Die Fesseln, die ihn an jeglicher Bewegung hinderten, lösten sich. Soldaten packten zu, verdrehten seine Hände und ketteten seine Arme an die beiden Pfähle, zwischen denen er stand. Dann zerrissen sie sein Hemd, legten den Rücken frei, der die Narben von Behandlungen zeigte, die ihm Peitschen in der Vergangenheit bereits angedeihen ließen.

Einer der Soldaten hielt ihm einen Holzblock hin, auf den er beißen könnte. Für einen Moment war Decrusian versucht, dieses Angebot anzunehmen, aber dann schüttelte er den Kopf. Darauf würde er erst vertrauen, wenn es wirklich unerträglich wurde.

Der Soldat verzog keine Miene, nahm aber den Holzblock weg. Kommandos erschallten, Applaus brandete auf. Das Publikum war handverlesen, kein Störer würde es wagen, hier Sympathie mit dem Mörder des Kaisers zu zeigen.

Decrusian wappnete sich innerlich, versuchte das Gefühl der Schmerzen in sich entstehen zu lassen, wie es bereits in den vorhergehenden Folterungen gewesen war, in der Hoffnung, dass es nicht schlimmer werden konnte. Aber es war schlimmer. Als der erste Hieb seinen nackten Rücken traf, eine blutige Spur hinterlassend, schwoll der Jubel womöglich noch an. Sein ohnehin geschundener Rücken schien zu zerreißen, so jedenfalls fühlte es sich für einen Augenblick an. Abwechselnd trafen sie ihn mit der Peitsche – zwei Soldaten, die die schweren Folterinstrumente handhabten, als wären es federleichte Spielzeuge. Aber das waren sie nicht, das wusste Decrusian bereits.

Die ersten Schläge hielt er noch aus, mehr als ein kurzes Zusammenzucken wurde nicht sichtbar. Dann aber wurde der Schmerz immer stärker, schließlich unerträglich. Er spürte sein Herz schlagen – immer schneller, immer lauter. Er konzentrierte sich auf das Pochen, ging langsam in die Knie, soweit die Fesseln das zuließen. Er wollte seine Leiden nicht unnötig in die Länge ziehen, aber er wusste, dass sie nicht so bald aufhören würden. Mindestens hundert Mal würde er die Peitsche zu spüren bekommen, bevor sie ihn wieder in die Obhut der Ärzte übergeben würden. Bis dahin würde er das Bewusstsein verloren haben. Und hoffen, dass er noch einmal erwachen würde.

*

In hilflosem Zorn ballte Torrinos die Fäuste, während er die Bildschirme nicht aus den Augen ließ. Die Peitschen knallten in einem fort, zerschlugen den Rücken des wahren Thronfolgers, ihrer einzigen Hoffnung, und brachten ihn wieder einmal an den Rand eines Lebens, das fürchterlicher kaum noch sein konnte.

Kein Ton drang über seine Lippen, während der ganzen Folter blieb er ruhig. Er setzte ein Zeichen, bewies wieder einmal, dass er leidensfähig war, dass ihn nichts so schnell erschüttern konnte. Die Menschen, die die Wahrheit kannten, sahen ein Symbol in ihm. Mit den ständigen öffentlichen Auspeitschungen, die man der Hinrichtung vorausgehen ließ, setzten die Regierenden ein Zeichen, gaben aber den Rebellen zugleich Hoffnung. Sicher, in jeder dieser Auspeitschungen konnte Decrusian sterben, aber so lange er es nicht tat, gab es die Hoffnung ihn zu retten. Und diese Hoffnung war nicht einmal so unrealistisch, wie sich Torrinos immer wieder klar machte. Bevor es zur Hinrichtung kam, mussten sie ihn befreien. So bald wie möglich.

Und diesmal bereits würden sie ein Zeichen setzen.

Er erinnerte sich an die letzten Stunden, in denen er seine Kontakte und die des Konsuls Vesus genutzt hatte. Auch Saraah sprach mit allen möglichen Dorgonen – ehemaligen Mitgliedern der Regierung, Anhängern des alten Kaisers und ehemalige und noch aktive Soldaten, die in allen möglichen Positionen zu finden waren und hoffentlich unauffällig bleiben würden.

Mit Hilfe der alten Kontakte gelang es, ein Netz von Helfern zu aktivieren, die nach und nach in den richtigen Positionen auf die richtigen Knöpfe drückten. Und so kam es, dass die Galaxie M 100, jedenfalls auf allen Welten, auf denen Dorgonen lebten, Ungeheuerliches erleben durfte an diesem denkwürdigen 1. Februar 1299 NGZ.

Langsam verdunkelte sich der Himmel an diesem Tag, während Decrusian seine neuerliche Demütigung hinnehmen musste. Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, geschah es plötzlich. Gesteuert von der zentralen Wetterkontrolle begann es zu blitzen und zu donnern, grollend entluden sich die Gewalten der Natur über dem Palast des Kaisers, der sofort entsetzt aufsprang. Die Wetterkontrolle sorgte im Allgemeinen dafür, dass es immer schönes Wetter über dem Palast gab. Wenn doch einmal Regen nötig wurde, dann auf eine Art, die kaum spürbar war und vor allem während der Nacht. Ein Gewitter war unmöglich!

Oder sollte es zumindest sein. Der ehemalige Anführer der Prettosgarde schmunzelte leicht, während er den Himmel über sich musterte. Regen – dicke, schwere Tropfen – ergossen sich plötzlich auf den Platz im Innenhof des Palastes. Er zog sich unter ein Dach zurück, musterte den Bildschirm, der ihm gegenüber an der Außenfassade des Palastes angebracht war und beobachtete weiter.

Inmitten des Platzes begann die Luft zu flimmern, als die Sonne für einen Moment wieder durch die Wolken brach und einen Regenbogen erzeugte. Ein Hologramm bildete sich direkt neben dem gefolterten Decrusian, erzeugt von Projektoren, die zum Palast gehörten, aber gerade in diesem Augenblick nicht den Befehlen der kaisertreuen Soldaten gehorchten.

Laut waren die Stimmen zu hören – die Stimme einer Frau, die allerdings im Dunkeln blieb, und eines Mannes, den alsbald jeder als Elgalar identifiziert hatte. Die beiden Einzigen, die diese Szenen wirklich erlebt hatten, erstarrten. Arimad hielt den Atem an und beherrschte sich mustergültig. Nicht einmal ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Elgalar hingegen sog scharf die Luft ein, presste die Lippen aufeinander und versteinerte.

Commanus, der ohnehin bereits stand und wütend auf die Wachen einschrie, bemerkte erst jetzt, was eigentlich geschah und verstummte. Wie gebannt folgte er den Szenen, die seinen Bruder zeigten und von den Kameras praktischerweise in die gesamte Galaxie übertragen wurden.

»Oh nein!« Carilla brüllte wütende Befehle, aber niemand schien sich dafür zu interessieren.

Die Projektoren sendeten weiter, ließen Elgalar davon erzählen, was in jener Nacht, als der Kaiser starb, wirklich geschehen war und teilten so jedem Einzelnen in der Galaxie mit, wer wirklich auf dem Thron saß – nämlich ein Mörder.

Eine vermummte Gestalt erschien anstelle der beiden Redner, als Elgalar mit seinen Ausführungen fertig war. Sie erzählte mit ruhiger Stimme noch einmal, was das Gesehene bedeutete.

»Verrat. Am Volk der Dorgonen, am Kaiser, an der Demokratie, die sich hier entwickeln wollte. Verrat, verübt von einem Kaiser.«

Anklagende Worte, die über den Platz halten, Commanus bloßstellten und ihn vor dem gesamten Volk diskreditierten.

»Du Mörder!«, donnerte es über den Platz, eine Hand streckte sich anklagend in Richtung der kaiserlichen Loge, so als wisse der Redner ganz genau, in welche Richtung er zu sprechen habe.

Die Helfer arbeiteten zuverlässig, stellte Torrinos befriedigt fest.

»Der wahre Thronfolger kniet hier im Staub, gefoltert und zu Unrecht bestraft. Dorgonen, erhebt euch gegen die Willkür des neuen Herrschers. Gelobt dem einzig wahren Kaiser die Treue! Es lebe Decrusian, der Kaiser der Dorgonen!«

Stille senkte sich über den Platz. Das Hologramm fiel in sich zusammen, die Sonne ging wieder auf, beschien den Innenhof und sorgte zusammen mit der Feuchtigkeit, die noch in der Luft hing, für einen Mantel der Helligkeit, der sich wie eine schwer greifbare Aura für einen kurzen Augenblick um Decrusian legte. Niemand sagte ein Wort, sogar der Kaiser war noch immer wie erstarrt. Dann drehte er sich abrupt um und verschwand im Palast, gefolgt von allen anderen, die noch in der kaiserlichen Loge anzutreffen waren.

Die Soldaten banden den Gefangenen los und ließen ihn schnell wieder in seinem Verlies verschwinden.

Torrinos schmunzelte. Dieser Tag war ein großer Erfolg für die Rebellen. Auch wenn er kaum für eine Wende sorgen würde, so würde er doch einiges bewirken.

Die Aufzeichnung würde vom Kaiser mit Sicherheit sehr bald als Fälschung bezeichnet werden.

Und Mörder auf dem Thron waren nicht wirklich selten im Lande der Dorgonen. Aber die Dorgonen hatten sich in den letzten Jahren unter Uleman leicht verändert. Vielleicht würde es genug sein, um das Volk zu überzeugen. Vielleicht nicht. In jedem Fall mussten sie Decrusian, der somit als der Gegenkaiser proklamiert war, befreien, bevor man ihn hinrichten würde.

Und dies mussten sie bald tun, denn nach diesem Ereignis würde Commanus sicher nicht mehr lange warten, um sich seines Gegners zu entledigen.

Vesus betrachtete aus der Ferne mit Genugtuung dieses Schauspiel. Torrinos und Saraah hatten Stil bewiesen. Commanus war angeklagt und Decrusians Hinrichtung vorerst verschoben. Jedoch war dies nur ein Sieg auf Zeit.

*

Kaum einer der Anwesenden wagte, auch nur ein Wort zu sagen. Commanus hatte einige seiner treuesten Anhänger um sich geschart und bewarf sie mit Vorwürfen. Wie so etwas passieren konnte, war ihnen allen klar. Ein neuer Herrscher, der noch nicht richtig etabliert war, hatte immer Gegner. Und in diesem Fall gab es auch eine Symbolfigur, die der Widerstand für seine Zwecke zu nutzen verstand. Wer der Widerstand war, war soweit auch klar. Aber dass er schon so organisiert sein würde, überraschte die Anwesenden sehr. Bisher hatten sie sich sicher gefühlt, augenscheinlich zu sicher, wie sich nun herausstellte.

Commanus fixierte seinen Bruder. »Du weißt, dass ich nicht sehr begeistert war, dich an meiner Seite zu finden. Aber immerhin bist du mein Bruder. Fehler sind jedoch auch dir nicht gestattet.«

Elgalar wirkte nicht sehr geschockt. Er grinste, kicherte unmotiviert und nickte dem Kaiser zu. »Eine Fälschung. Darauf fällt ein wahrer Kaiser doch nicht herein, oder?«

»Fälschung, Blödsinn. Die Aufzeichnung zeigte all das, was ich dir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut habe. Und du hast nichts Besseres zu tun, als es weiter zu erzählen. Und dich auch noch dabei filmen zu lassen, damit man es dann auch besonders einfach an die Öffentlichkeit bringen kann!«

Elgalar schrumpfte leicht zusammen, aber er wirkte immer noch nicht sehr erschrocken. Er grinste immer noch dämlich in die Runde, fixierte kurz die Kaiserin mit einem Blick, der sie erschauern ließ. Aber er sagte nichts.

»Ich würde gerne wissen, wer die andere Person war, der du das alles erzählt hast.«

Der Blick des Kaisers bekam etwas Lauerndes und Arimad wurde fast schwindlig, als sie sich ausmalte, was er mit ihr machen würde, wenn er heraus bekam, dass sie alles wusste.

Aber Elgalar schwieg. Ihm schien vollkommen gleichgültig, was sein Bruder dachte. Er reagierte nicht einmal mehr, als er direkt angesprochen wurde, sondern lief mit klackernden Schuhen von dannen.

Arimad wusste, was das bedeutete. Sie würde sich in nächster Zeit im Palast kaum noch sicher fühlen können. Sie musste fliehen. Möglichst bald, aber das würde sich nicht so schnell machen lassen. Vorläufig sollte sie lieber den Kontakt zu den Rebellen suchen und ihnen alles mitteilen, was sie erfahren würde.

Die Debatte zwischen den Getreuen des Commanus zog sich noch eine Weile hin, aber Arimad hörte nur noch mit halber Aufmerksamkeit zu. So, dass sie die wichtigen Dinge nicht verpasste, aber auch nichts von den Dingen mitbekam, die sie gar nicht wissen wollte.

*

»Sie sind geschockt. Das werden wir ausnützen. Heute Nacht werden wir ihn befreien, heute Nacht wird der Gegenkaiser in den Untergrund gehen.«

Noch während er das sagte, bereitete sich Torrinos vor. Auf einen Einsatz voller Unwägbarkeiten, auf eine neuerliche Nacht der offenen Tür im Palast, auf ein Eindringen in die Welt des Kaisers, das weitaus gefährlicher werden würde, als die letzten Male. Diesmal war der Herrscher nicht ein gütiger Mensch, der eine Demokratie etablieren wollte, sondern ein Gewaltherrscher, der sich mit Verrückten umgab, die sicher neurotisch genug sein würden, den Palast entsprechend gut bewachen zu lassen. Wenn es jemanden gab, der Decrusian befreien konnte, dann vermutlich nur Torrinos, der sich im Palast auskannte, zusammen mit den beiden Gonern, deren Fähigkeiten ausreichend waren, um sie vollkommen unbemerkt in den Palast zu bringen.

Lange Zeit sagten sie nichts, bereiteten sich vor auf den Kampf, auf das Abenteuer, auf die nächtliche Exkursion in den Palast. Und hofften, dass sie den Gegenkaiser in einem guten Zustand antreffen würden. Die Ärzte hatten sich sicher schon um ihn gekümmert, sie mussten ihn schließlich für eine eventuelle Hinrichtung bereitmachen. Und wenn es gelingen würde, dann wäre der rechtmäßige Kaiser der Dorgonen endlich in Freiheit. Der Kampf um die Freiheit des ganzen Reiches würde dann erneut beginnen.

Torrinos und die beiden Goner bestiegen gemeinsam einen Gleiter und reihten sich in den dichten Verkehrsstrom der Hauptstadt ein, tauchten so regelrecht unter, denn diese riesige Stadt war kaum zu überwachen. Über die unterirdischen Stadtteile und die Katakomben schafften sie es schließlich, an den kaiserlichen Palast zu kommen. Aber hier begannen die Schwierigkeiten erst.

»Einige der alten Zugänge sind geschlossen worden. Damit wird es sehr schwer werden, die richtigen Zugänge zu entdecken.«

Torrinos nickte. »Aus diesem Grund habe ich mir etwas Besonderes einfallen lassen. Wir müssen nur hier warten, dann wird es hoffentlich bald eine Möglichkeit geben.«

Sie versanken in Schweigen, verharrten, wo sie waren, bis schließlich die Dunkelheit durch einen kleinen Lichtstrahl erhellt wurde. Eine Bedienstete der Kaiserin schlich sich in ihre Nähe, informierte Torrinos flüsternd und wies ihm den Weg. Gemeinsam bewegten sie sich dorthin, zu einem Zugang, den selbst der alten Kaiser, den selbst Torrinos nicht gekannt hatte.

Dort wurden sie bereits erwartet. Fünf Gestalten schlichen sich durch die Gänge der Bediensteten und trafen sich in einem Flügel des Palastes, der von den Herrschenden weit entfernt war. In einer der Unterkünfte für die Bediensteten setzten sie sich zur Beratung zusammen.

 

Finale

Es war ruhig in dem Raum, totenstill, aber diesen Gedanken erlaubte er sich nicht. Der einsame Gefangene lag auf seiner Pritsche und schaute in der Dunkelheit an die Decke. Irgendwo war ein kleiner Lichtschimmer zu erkennen, der die Dunkelheit aber nicht wirklich erhellte. Er war weit außerhalb seines Gesichtsfeldes, irgendwo, wo er nicht erkennen konnte, wie spät es war.

Stunden waren seit der letzten Folterung vergangen. Ärzte hatten sich um seinen zerschundenen Körper gekümmert, hatten dafür gesorgt, dass die Schmerzen weniger wurden. Verschwunden waren sie nicht, aber das wollten die Folterer auch gar nicht. Trotzdem lag er auf dem Rücken, konzentrierte sich auf den Schmerz und klammerte sich daran, denn sie zeigten ihm, dass er noch am Leben war. Daraus konnte er Hoffnung schöpfen und so lange noch Hoffnung in ihm war, würde er nicht aufgeben.

Niemals, das schwor er sich, würde er den Machthabern zeigen, dass die Folterungen ihn beeindruckten. Gleichzeitig war ihm aber durchaus klar, dass er dieses Versprechen vermutlich kaum einhalten konnte. Er wischte einige Tränen aus seinem Augenwinkel und kämpfte dagegen an, seine Betroffenheit sichtbar werden zu lassen. Nicht einmal in der Dunkelheit wollte er den Gegnern einen Ansatzpunkt geben. Er würde sich nicht beeindruckt zeigen.

Angsterfüllt lauschte er in die Dunkelheit, aber er konnte nur seinen eigenen Herzschlag vernehmen …

*

Torrinos und die anderen Mitglieder seines Einsatzkommandos hatten sich mit den Bediensteten unterhalten. Ausgerechnet Arimad war es gewesen, die sich vollkommen in die Hände der Feinde geben wollte, sie hatte ihnen unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht von der Seite ihres Mannes weichen wollte. Sie waren sich alle darüber im Klaren, dass sie kaum einen besseren Spion haben konnten, als die Kaiserin. Aber auf der anderen Seite gab es im Moment wohl kaum einen gefährlicheren Platz für einen Rebellen, als im Herzen des Dorgonischen Reiches, mitten im Palast.

Arimad hatte ihnen von den Reaktionen erzählt, die Commanus gezeigt hatte, nachdem er die Hologramme zu sehen bekommen hatte. Elgalar war zwar nicht sehr beeindruckt gewesen, aber einen kurzen Streit immerhin hatte es in den Palast gebracht. Keiner war sich so ganz sicher, was da wirklich geschehen war und welche Auswirkungen es für den Kaiser haben würde. Aber es würde sicher kein Spaziergang werden. Die Bevölkerung, die sich gerade erst an den neuen Herrscher gewöhnen musste, war ins Wanken geraten, die Rebellen hatten einen extremen Zulauf erhalten. Wenn es ihnen gelingen würde, den rechtmäßigen Thronfolger zu befreien, dann wäre das ein Schub in ihrer Bewegung, der ihnen fast schon den Sieg zutragen würde. Viele aus der Bevölkerung würden sich sofort auf die Seite Decrusians schlagen. Im Augenblick half dem Kaiser nur die Tatsache, dass er den verhassten Schwager sicher im Gefängnis verwahrt wusste. Sicherer wäre natürlich, ihn sofort zu töten. Aber das konnte er sich im Augenblick auch nicht erlauben, denn es würde ihn noch mehr Sympathien kosten. All jene, die bisher noch zweifelten, würden einen unmotivierten Mord wohl kaum tolerieren.

Sie waren also nun am Zug, in der Pflicht, einen Befreiungsversuch zu unternehmen und so viele aus dem Volk, wie nur möglich, wieder auf ihre Seite zu bringen.

Und genau deshalb waren sie hier. Und genau deshalb hatte sich auch Arimad dazu entschieden, entgegen allen Gefahren im Palast zu bleiben. Sie wusste zwar, dass Elgalar nun noch misstrauischer ihr gegenüber sein würde, aber solange der Kaiser selbst keinen Grund sah, sich seiner Frau zu entledigen, würde es keine Probleme geben.

Torrinos wusste, dass Arimad sich dazu zwingen musste, noch Zeit mit dem Kaiser zu verbringen. Commanus hatte gerade andere Sorgen, deshalb hatte sie in letzter Zeit wenigstens keine Besuche von ihm zu befürchten. Ob sie ihn im Augenblick in ihrem Bett ertragen würde, da war sie sich nicht sicher. Immerhin war sie nun im Bilde, wusste, dass er der Mörder ihres Vaters war. Aber sie ahnte es ohnehin schon seit einiger Zeit, und deshalb war auch schon seit längerem ihre Ehe auf das Bild in der Öffentlichkeit beschränkt. Wie lange dieser Zustand noch anhalten würde, war auch Arimad nicht klar.

»Wir brechen auf.«

Torrinos erhob sich und winkte Waldron an seine Seite. Zusammen mit Shenia drangen sie tiefer in den Palast ein, folgten einer Bediensteten und schlichen sich in die Tiefen des dorgonischen Palastes. Unter der Erdoberfläche betraten sie die Gänge, die zu den Gefangenenbereichen führen würden.

Die Dienerin flüsterte ihnen noch einige Anweisungen zu, dann verließ sie die Gruppe der Eindringlinge und ging wieder zurück in die Bereiche ihrer Herrin.

Torrinos memorierte noch einmal die Zugangscodes, die sie in die gesperrten Bereiche bringen würden. Dann nickte er seinen Begleitern zu.

*

Sie wandten wieder die Fähigkeiten der Goner an. Lautlos wie Schatten glitten sie durch die Dunkelheit unter dem Palast, verschmolzen geradezu mit den Schatten und gelangten auf diese Weise vollkommen unbemerkt in den Trakt der Gefangenen. Niemand begegnete ihnen und selbst wenn, wären sie nicht bemerkt worden. Sie waren wie Geister, die in den Sagen der Dorgonen eine wichtige Rolle spielten. Nach dem Glauben der Dorgonen gab es keinen Tod, alle Menschen kehrten wieder. Und wenn sie den Halt in dieser Welt verloren hatten, dann kamen sie als Geister zurück, bekamen eine zusätzliche Zeitspanne, die sie auf dieser Welt verbringen mussten und in der sie beweisen mussten, dass sie ihre Chance verdienten, dann kamen auch sie als Menschen wieder auf die Welt. Viele solche Geister hatte Torrinos noch nicht gesehen, aber er war sich auch nicht sicher. Es konnte durchaus sein.

Im Augenblick jedenfalls würden sie als Geister durchaus Beachtung finden. Wenn sie denn jemand gesehen hätte.

Eine Tür direkt vor ihnen versperrte ihnen den Weg und nun wandte er sein Wissen an, das er sich eingeprägt hatte. Die Zugangscodes waren in seinem Gedächtnis sicher untergebracht und nun gab er den Code ein, der die Tür öffnete.

Als sie ganz geöffnet war, spähte er in das Dunkel. Er konnte niemanden sehen.

»Decrusian ist nicht da«, flüsterte er.

Waldron drängte ihn rücksichtslos zur Seite. Er entschuldigte sich nicht einmal, was Shenia mit einem Seufzen und einem leichten Kopfschütteln quittierte. Aber auch Waldron konnte es nicht ändern – die Zelle, die ihnen als die Richtige angewiesen worden war, war leer.

*

Geräusche in der Dunkelheit, die nicht von den allgegenwärtigen Nagetieren kamen. Geräusche, die ihm zeigten, dass er immer noch am Leben war, dass er immer noch wach lag und dass es immer noch Nacht war. Die Geräusche, die an sein Ohr drangen, kamen aber in diesem Fall nicht von Tieren sondern von den menschlichen Nagetieren, von den menschlichen nächtlichen Räubern, die heute Nacht im Palast unterwegs waren.

Sie kamen, und sie kamen zu ihm.

Decrusian schloss mit seinem Leben ab, bevor auch nur ein Dorgone in seiner Zelle angekommen war. Er schluckte, würgte den Kloß hinunter, der in seiner Kehle saß und unterdrückte die Tränen, verzichtete darauf, sein Leben zu beweinen. Insgesamt würde er trotzdem eine positive Bilanz ziehen.

Die Dunkelheit zeigte nicht, wer sich da näherte. Harte Hände packten ihn, verdrehten seine Handgelenke und zwangen sie auf den Rücken. Fesseln, energetische Schlingen, hielten sie in dieser Position, die Hände zerrten ihn auf die Tür zu. So würde es also ablaufen, sie würden ihn bei Nacht und Nebel irgendwo hinbringen und seinen toten Körper vermutlich in den unterirdischen Katakomben verschwinden lassen. Niemand würde jemals wieder von ihm reden, das Volk, das sich gerade anschickte, ihn als den rechtmäßigen Kaiser zu akzeptieren und sich gegen Commanus aussprechen wollte, würde mit einem Schlag sein Vorbild verlieren. Das wäre das Ende der Freiheit für Dorgon. Etwas Schlimmeres konnte ihnen eigentlich nicht passieren.

Von seinen Gedanken drang nichts nach außen. Sein Gesicht war verschlossen, zeigte nicht, was ihm durch den Kopf ging. Trotzdem war er sicher, dass es sein Ende sein würde. Und er hatte mit dem Leben abgeschlossen.

Als er frische Luft auf seiner Wange verspürte, schaute er auf. Also nicht in die Katakomben würden sie ihn bringen, im Freien sollte er sterben. Vielleicht wollten sie doch ein deutlich sichtbares Spektakel initiieren. Aber wenn sie das wollten, warum taten sie das dann nicht am Tag? Die Wirkung wäre wesentlich größer, würde allen Menschen nahe bringen, dass ihre Hoffnung verloren, ihr Leben wieder von der Tyrannei bestimmt war. Ein deutlicheres Zeichen konnte es kaum geben.

Vermutlich fürchtete Commanus den Senat, welcher immer noch mehr Rechte besaß, als er in der Vergangenheit jemals gehabt hatte. Dort konnte man, wenn man die Schliche der Politiker beherrschte, ihm ernsthafte Schwierigkeiten machen. Und Intrigen beherrschte jeder und jede wahre Politiker dieses Planeten.

Also mussten sie ihn loswerden, ohne ihn zu töten. Im Palast konnten sie ihn aber auch nicht aufbewahren, denn die Vergangenheit hatte deutlich gezeigt, dass es da nicht wirklich sicher zuging. Langsam wurde Decrusian klar, was hier gespielt wurde. Vermutlich hatte der Kaiser etwas gefunden, einen Ort, an dem er einen Mann wie Decrusian verschwinden lassen konnte. Wo genau das sein würde, war ihm nicht klar. Aber das würde er erleben.

Jedenfalls wunderte er sich nicht wirklich, als sie ihn in einen Gleiter schoben und zum Raumhafen seiner Welt flogen. Sie drängten ihn in ein Schiff, sperrten ihn in eine leere, aber durchaus luxuriöse Kabine und nahmen ihm die Fesseln ab. Im Licht erkannte er einen der Männer. Carilla machte einen müden, aber immer noch fanatischen Eindruck. Dieser Mann war im Sinne des Wortes verrückt, würde einer Behandlung dringend bedürfen. Aber wer sollte dafür sorgen?

»Töten darf ich dich noch nicht. Aber ich werde dafür sorgen, dass du dir den Tod bald wünschen wirst.«

Er schaute ihn noch einige Zeit mit diesem flackernden, verwirrend aggressiven und trotzdem hintergründig nachdenklichen Blick an, der Decrusian einen Schauer über den Rücken jagte. Dann drehte er sich um und verließ die Kabine. Schweigen, neuerliche Dunkelheit kehrte ein und Decrusian legte sich mit seinem schmerzenden Rücken erneut auf eine harte Pritsche. Dort schlief er endlich ein.

*

»Verdammt!«

Torrinos fluchte nur kurz, dann drehte er sich um und winkte den beiden Gonern zu. Er schien etwas gehört zu haben, drehte sich einmal um die eigene Achse, dann versenkte er sich in eine Trance, die ihm ermöglichte, in der Dunkelheit Geräusche auszufiltern, die eindeutig menschlichen Ursprungs waren.

Schritte, die unterhalb des Geräuschniveaus lagen, das die immer aktiven Nachttiere von sich gaben, wiesen ihm den Weg und er huschte davon, verschwand um eine Ecke, gefolgt von den beiden Gonern, die ihm genauso lautlos folgten. Sie liefen schnell, aber nicht hastig. Vermutlich würden sie die Gegner nicht mehr einholen können.

Aber sie würden eine Information erhalten, was da eigentlich passierte.

Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Decrusian in einem Gleiter untergebracht wurde. Der Gleiter verschwand, bevor sie ihn erreichen konnten.

Schweigend verschwanden sie wieder in den Räumen unter dem Palast, schlichen sich an den Ausgangspunkt zurück und suchten Arimad auf.

Auch die Frau des Kaisers wusste nicht, was das bedeutete. Aber sie versprach, sich an die Rebellen zu wenden. Sie würde Mittel und Wege finden, sie zu informieren, wenn sie die Informationen haben würde. Und sie wusste durchaus, von wem sie sie bekommen würde.

*

Elgalar lachte, als er die verzweifelt wirkende Arimad vor sich knien sah. Ihm war durchaus klar, dass sie ihn vermutlich verhöhnte, aber es sah zumindest nicht so aus. Er hatte die Oberhand und er war glücklich darüber.

Er spitzte die bemalten Lippen und blickte abfällig auf Arimad herunter. »Ja, das war ein Schock, nicht wahr? Plötzlich ist er verschwunden, dein Stiefbruder, der Einzige, der eventuell noch auf deiner Seite war. Ansonsten hast du im Palast niemanden mehr. Wir haben ihn an einen sicheren Ort gebracht, den ich dir nicht verraten werde.«

Arimad senkte den Kopf und schwieg. Sie wollte Elgalar reizen. Dann hob sie trotzig den Kopf, kam auf die Beine und warf den Umhang über ihre Schulter. »Es tut mir leid, aber so kannst du mit der Kaiserin nicht umspringen.«

Damit lockte sie ihn aus der Reserve. Für wenige Augenblicke wurde er so wütend, dass er zu schreien begann, dann wurde er etwas ruhiger.

»Du wirst ihn ohnehin nicht mehr wiedersehen. Er ist auf einer geheimen Welt, auf der früher die Sträflinge untergebracht wurden, zu einer Zeit, bevor dein schwächlicher Vater an die Regierung kam. Die Welt heißt Sarinaph. Sie ist schlimmer als die Hölle. Zumindest war sie das früher. Aber so wird es wieder werden, Decrusian ist nur der erste Gefangene einer ganzen Reihe, die bald folgen werden. Die Dorgonen werden wieder lernen, ihre Herrschenden zu respektieren.«

Arimad erhob sich und verließ den wütenden Bruder ihres Mannes, der sich auf die Lippen bis, als er erkannte, dass er sich hatte hinreißen lassen. Aber es war gleichgültig, wem sollte sie es schon mitteilen? Sie hatte weder die Möglichkeit noch die Verbindungen dazu und schon gar keinen Grund. Schließlich stand sie immer noch auf der Seite seines Bruders.

Damit beruhigte er sich, drehte sich um und ging zu Commanus. Sicher würde er eine Möglichkeit finden, ihn schlecht zu beraten. In Vorfreude rieb er sich die Hände.

Bald, so frohlockte Elgalar, würde sie die Kaiserin Dorgons sein. Sie würde ihren Bruder heiraten und Arimads Platz einnehmen.

 

Sarinaph

Kälte und Dunkelheit waren keine gute Verbindung. Hier war es noch schlimmer als in den Verliesen unter dem Palast. Decrusian zog fröstelnd eine Decke über seine Schultern und war froh, dass sie ihm wenigstens die gelassen hatten. Der Raum war überraschend modern eingerichtet, aber der Dorgone war sich sicher, dass die Kälte eine Steigerung der Folterungen darstellte. Lange würde er das nicht durchhalten, er würde einen Schritt näher an den Abgrund machen, der ihn letztendlich in einen Wahnsinn stürzen würde, dem er nun kaum noch entrinnen konnte.

Sie hatten ihn an irgendeinem Ort in der Galaxie von allen anderen isoliert. Ein unerwarteter, aber durchaus nicht sinnloser Schachzug. Das flimmernde Energiefeld vor der Öffnung, die ihn wie in einem Schaufenster gefangen hielt, die Wachen, die davor saßen, Fesselfeldprojektoren, die jederzeit dafür sorgen konnten, dass er sich nicht rühren konnte und allerlei Möglichkeiten, ihn zu foltern, das wies darauf hin, dass diese Welt nur für den Zweck gebaut worden war, Gefangenen einen Unterschlupf zu bieten. Als sie auf dieser Welt angekommen waren, hatten viele Anlagen erst in Betrieb genommen werden müssen, anscheinend war diese Anlage lange nicht mehr benutzt worden.

Decrusian vermutete, dass sich das bald ändern würde. Das war ein herber Schlag für den Widerstand. Wie sollten sie ihn weiterhin als Gegenkaiser verkaufen, wenn er nicht greifbar war? Wer sollte ihn von hier befreien? Niemand kam hier herein oder heraus, das schien sicher. Mutlos ließ er den Kopf ein wenig sinken, bemüht, nicht zu enttäuscht zu wirken. Carilla belauerte ihn und wartete nur auf ein Zeichen der Schwäche. Das würde er aber nicht bekommen.

Trotzdem konnte er nicht verleugnen, dass die Hoffnung nun kaum noch in ihm vorhanden war.

Es sah sehr düster aus.

ENDE

 

Kaiser Uleman ist tot. Commanus ist nun neuer Imperator von Dorgon. Dass er eine Marionette der Söhne des Chaos ist, weiß die Öffentlichkeit nicht. Im nächsten Roman schildert Ralf König die weiteren Ereignisse in M100. »Entscheidung in Dorgon« ist der Titel von Band 60.

 

 

 

 

 

DORGON-Kommentar

Commanus ist der neue Kaiser von Dorgon. Und wieder ist eine Galaxis in die Hände der Söhne des Chaos gefallen. Die Frage ist natürlich nun: Was wollen die Söhne und was will MODROR mit all diesem Potential?

Es lassen sich durchaus Parallelen mit der aktuellen Perry Rhodan-Handlung ziehen. Das Reich Tradom unter der Leitung der Inquisition der Vernunft verleibt sich eine Thoregon-Galaxie nach der anderen ein. Warum?

Der einzige Vorteil, den die Söhne des Chaos gegenüber dem Reich Tradom haben, ist der, dass die SdC und ihre Hilfsvölker nicht zu Knopfdrückern degradiert worden sind. Und gerade dieser Umstand, ist der einzige, über den sich die Terraner und ihre Verbündeten noch freuen können: MODROR beliefert seine Hilfsvölker nicht mit ›übermenschlicher Technik‹, sondern die bösen, bösen Schergen kämpfen mit denselben Waffen (den SONNENHAMMER mal ausgenommen).

So lange besteht also noch Hoffnung. Auch für Dorgon. Denn im Untergrund gärt es bereits. Decrusian wird befreit, prangert öffentlich die Verräter an und beansprucht selber den Thron.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Björn P. Habben

 

 

 

GLOSSAR

Waldron Tragonar

Geboren: 1238 NGZ

Geburtsort: Gon

Größe: 2,03 Meter

Gewicht: 124 kg

Augenfarbe: grün

Haarfarbe: grün

Bemerkungen: groß, kräftig, gefährlich, weil auch er über die besonderen Fähigkeiten seines Volkes verfügt.

Nach langer Zeit der Wanderschaft hat sich sein Gesicht schon fast dem dorgonischen Standard angepasst, auch er ist nur noch leicht grünlich im Gesicht.

Waldron ist ein großer, kräftiger Goner, der als Symbiosepartner von Shenia durch Dorgon reist und ihr überall hin folgt. Das Verhältnis zwischen beiden ist überwiegend gut, aber von einer gewissen ironischen Rücksichtslosigkeit geprägt. Waldron ist ein polternder, unfreundlich wirkender Geselle, der aber bei genauerem Hinschauen für einen großen, kräftigen Kerl einen überraschend sanften Charakter hat. Trotzdem gerät er mit Shenia regelmäßig aneinander. Shenia und Waldron bilden erst seit einigen Jahren ein Paar, kennen sich also noch nicht sehr lange.

Shenia Drenia

Geboren: 1235 NGZ

Geburtsort: Gon, Dorgon M100

Größe: 1,75 Meter

Gewicht: 72 kg

Augenfarbe: grün

Haarfarbe: schwarz

Bemerkungen: großer Schlafbedarf, merkwürdig-symbiotisches Verhältnis zu Waldron Tragonar

Shenia ist eine Gonerin auf Wanderschaft. Zusammen mit ihrem Symbiosepartner Waldron bereist sie die Welten Dorgons, aus Neugierde, aber auch, weil sie auf der Suche ist. Sie sucht nach jemanden, den sie schon sehr lange kennt.

Auf ihrer Suche trifft sie immer wieder in ihren Träumen auf ein Wesen, das ihr Angst macht. In ihren Träumen erscheint ein von Flammen umloderter, rot-gesichtiger Kopf, der ihr immer wieder das Wort Chaos zuruft. Er erscheint normalerweise nur in ihren Träumen, aber während ihrer Zeit auf Dorgon, in der Hauptstadt Dom, trifft sie auch während ihrer Wachphasen auf ihn und verliert dabei fast die Kontrolle über ihren Körper.

Ihr Gesicht ist nur noch leicht grünlich und ist somit kaum noch als Gonerin zu erkennen. Im richtigen Licht fällt ihre Herkunft nicht mehr auf.

Goner

Die Goner sind hochzivilisiert, aber von den Dorgonen noch nicht entdeckt worden. Da die Dorgonen überwiegend in den Regionen außerhalb des galaktischen Zentrums anzutreffen sind, sind die Goner noch nicht ins Reicht integriert worden. Sie selbst sind allerdings in der Galaxis Dorgon durchaus bekannt.

Die Goner haben die Raumfahrt selbst entwickelt und sind technisch den Dorgonen weit unterlegen. Sie sind darauf angewiesen, ihre Welt versteckt und verborgen zu halten. Deshalb würde auch niemals ein Goner die Koordinaten seiner Heimatwelt verraten. Um einen Goner zu befragen, müßte man ihn auch erst einmal gefangen nehmen. Das ist nicht so einfach, weil die Goner sehr schnelle und wendige Wesen sind, die traditionell in Dorgon nur auf Gon erlernbare Kampfsportarten beherrschen. Dazu verfügen sie über Fähigkeiten, die man schon fast als übersinnlich bezeichnen kann. Ihre Schnelligkeit und ihre Fähigkeiten, mit der Dunkelheit zu verschmelzen, verleihen ihnen eine Überlegenheit über die meisten Völker Dorgons. Außerdem würde ein Goner eher sterben, als sich gefangen nehmen zu lassen.

Man trifft sie selten, aber ab und zu bewegen sie sich auch auf Dorgon. Sie werden in Ruhe gelassen, weil es bisher immer wichtigeres für die Herrscher Dorgons zu erledigen gab.

Die Atmosphäre Gons ist leicht grünlich, weil viele Algen in der feuchten Luft der sehr regnerischen Welt schweben. Die Algen werden von den Gonern aus der Luft gefiltert und ergänzen ihre Nahrung. Deshalb hat die Haut der Goner einen leicht grünlichen Schimmer, der sich allerdings mit der Zeit verliert, wenn sie ihre Welt lange verlassen.

Es gibt bei den Gonern zwei Geschlechter, die in einer merkwürdigen Symbiose vereinigt sind. Die Männer vermögen, in einem normalen Rhythmus zu leben, brauchen vergleichsweise sehr wenig Schlaf und sind deshalb als Schutz und Unterstützung für die Frauen sehr wichtig.

Die Frauen hingegen können drei Tage in Folge Wach bleiben, müssen dann aber auch drei Tage in Folge schlafen. In dieser Zeit sind sie vollkommen hilflos und brauchen den Schutz ihres Symbiosepartners.

Die Goner sind sehr langlebig. Beide Geschlechter können bis zu 380 terranische Standardjahre alt werden.

Gon

Nur 5000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis Dorgon entfernt findet sich der Planet Gon. Er kreist um eine gelbe Sonne, die dem Typ der Sonne Sol entspricht.

Gon ist der vierte Planet dieser Sonne. Die Temperaturen dieser Welt liegen bei durchschnittlich 17 Grad. Es ist eine Welt, die überwiegend warme, gemäßigte Regionen enthält, auf denen es viel regnet.

Der Hauptkontinent von Gon heißt Gor. Er erstreckt sich von Norden nach Süden fast durchgehend über den Planeten, ist allerdings nur 400 Kilometer breit. Weitere Kontinente verteilen sich um den Planeten, von ihnen ist aber keiner größer, als das terranische Australien.


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e.V.  —  Copyright © 1999-2016

Internet: www.proc.org & www.dorgon.netE-Mail: proc@proc.org

Postanschrift: PROC e.V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 59, veröffentlicht am 12.02.2016 —

Titelillustration: Klaus G. SchimanskiInnenillustration: Mark Hoffmann

Lektorat: Jürgen Freier und Jürgen SeelDigitale Formate: Jürgen Seel