Band 55

Osiris-Zyklus

 

Bestienalarm

Die Pelewon und Moogh wollen Unabhängigkeit

 

Jens Hirseland & Michael Berg

 

Was bisher geschah

Wir schreiben November 1298 NGZ. In der Milchstraße ist Osiris, der Kemete erwacht und ein uraltes Geheimnis der terranischen Geschichte wurde gelüftet.

In Dorgon musste Kaiser Uleman mit seinen Getreuen sich einem Angriff des Separatisten Carilla erwehren.

Das Raumschiff NIMH ist bei ihrer Expedition in die cartwheelsche Nachbargalaxie Seshonaar auf Abwegen gekommen.

Cartwheel: Es ist gerade einmal zwei Wochen her, seit sich die Lingus-Krise gelegt hat. Der Gos’Shekur musste klein bei geben und die arkonidischen Truppen von Lingus abziehen.

Doch damit kehrt noch keine Ruhe in Cartwheel ein. Die Völker der Pelewon und Moogh begehr­en auf und es kommt zum BESTIENALARM …

Hauptpersonen

Torsor – Der Anführer der Bestien strebt nach Unabhängigkeit.

Nataly Jargon – Die Nichte des Chronisten sitzt wieder im Brennpunkt.

Don Philippe de la Siniestro – Der Marquês ist ein Sohn des Chaos.

Afu-At-Tarkan – Ein Hauri predigt die Lehre des Hexameron.

Carjul – Der Konstrukteur des Zentrums ist uneinsichtig.

Akaho da Purok – Der USO Agent ermittelt Undercover.

 

 

 

Prolog

Die gespannte Situation in Cartwheel hatte sich wieder etwas beruhigt, nachdem der Marquês Don Philippe de la Siniestro den Lingus-Konflikt mit den Arkoniden friedlich beilegen konnte.

Die Öffentlichkeit schrieb ihm auch diesen Erfolg auf die Fahnen, was seine Popularität noch einmal gesteigert hatte. Nun gab es nicht wenige, die sogar forderten, er solle den Posten des Generalsekretärs Sruel Allok Mok als Kanzler von Cartwheel einnehmen. Doch solcherlei Ansinnen wies der Marquês als unseriös klar zurück und betonte, dass Sam der Richtige für dieses Amt wäre.

So kehrte bei der Bevölkerung die Hoffnung auf eine friedliche Zeit ein. Keiner ahnte, dass schon bald neue Unruhen vor der Insel lagen …

Aus den Chroniken Cartwheels – Jaaron Jargon

 

Besuch auf Pelewon

Nataly Jargon und Jonathan Andrews hatten einige glückliche Tage auf Mankind miteinander verbracht und waren einander noch näher gekommen. Doch auch die schönste Zeit ging einmal zu Ende und die beiden packten ihre Koffer, da neue Aufgaben auf sie warteten, die sie in verschiedene Richtungen führten.

Jonathan musste wieder zu seiner Einheit zurück, da neue Übungen anstanden.

Nataly sollte für die Insel-Chronik Meinungsumfragen auf verschiedenen Planeten durchführen. Ihre erste Station war der Planet Pelewon, die Hauptwelt der Mooghs und Pelewons, die von den Okefenokees und ihren assimilierten Völkern als »Bestien« bezeichnet wurden.

Jonathan war davon nicht sonderlich erbaut, was Nataly nicht verborgen blieb. »Was ist los mit dir?«

Andrews zuckte mit den Schultern. »Ach, nichts. Ich bin nur besorgt über deine Reise nach Pelewon. Nach dem ›Abenteuerurlaub‹ auf Lingus solltest du lieber irgendwo hin fahren, wo es ruhiger ist.«

Nataly lachte. »Vielleicht in ein Pflegeheim? Aber nur, wenn du mitkommst.«

»Ich meinte es nur gut«, sagte Jonathan leicht beleidigt.

Nataly umarmte ihn und gab ihm einen Kuss. »Das weiß ich. Aber es ist nun mal meine Arbeit und ich tue sie gern. Ich glaube nicht, dass ich auf Pelewon in irgendeiner Weise gefährdet bin. Torsor, der Anführer der Pelewons, war sehr erfreut über mein Kommen und will mich persönlich empfangen. Ich denke, deine Einsätze sind bestimmt aufregender.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, gab sich Jonathan wieder versöhnlich.

»Ich hoffe nur, es dauert nicht zu lange, bis wir uns wiedersehen, Nataly.«

»Das hoffe ich auch.«

*

Früh am nächsten Morgen flog Nataly nach Pelewon. Nataly wusste, dass es starke Spannungen zwischen den Bewohnern des Planeten und den Okefenokees gegeben hatte, da diese den Pelewon und Moogh die geforderte Unabhängigkeit verweigerten.

Vor Jahrzehntausenden waren die Bestien als Krieger in M87 hergestellt worden, um damalige Feinde zu besiegen, doch die künstlich erzeugten Wesen hatten sich gegen ihre Schöpfer gewendet und M87 mit Krieg und Terror überzogen, bis sie von den Konstrukteuren des Zentrums vernichtend geschlagen worden waren. Ein Teil war geflohen, und aus dessen Nachfahren wurden später die Uleb und die Haluter gezüchtet. Der Rest hatte sich versteckt, und als es Perry Rhodan und die Terraner nach M87 verschlagen hatte, war es erneut zu einem Krieg gekommen. Dieser hatte in einer weiteren Niederlage der Pelewon und Moogh gemündet und sogar zur Ausrottung der gefürchteten Uleb und Zweitkonditionierten geführt.

Trotz aller Bemühungen war es den KdZ nicht gelungen, die Bestien auszurotten. Schließlich waren neue Generationen auf beiden Seiten heran gewachsen. Eine friedliche Einigung hatte zu diesem Zeitpunkt stattgefunden. Die Pelewon hatten damals zur Völkergemeinschaft in Druithora gehören wollen.

Doch das tiefe Misstrauen und die Furcht der Okefenokees und ihrer Hilfsvölker vor den Bestien war geblieben.

Die Bestien hatten sich bedingungslos den Konstrukteuren des Zentrums unterwerfen müssen. So waren sie – stark kontrolliert – verschont worden.

Den Pelewon war nichts anderes übrig geblieben, als einzulenken.

Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich das Misstrauen etwas abgebaut. Diese friedliche Politik hatte sich jedoch geändert, als bekannt geworden war, dass einige Mooghs und Pelewon sich in einem unbekannten System versteckt gehalten hatten. Diese noch eingeschlechtlichen Wesen waren echte Bestien und waren nicht in der Lage gewesen, sich zu integrieren. Die Mooghs hatten immer wieder Aufstände angezettelt.

Im Jahre 1212 NGZ war es dann zu einem Angriff von Pelewon und Mooghs auf einen Planeten der Dumfries gekommen, wobei auch zwei Okefenokees gestorben waren. Aus Rache hatte der hohe Admiral Carjul eine Strafexpedition zusammenstellen lassen, die Yanok, die Hauptwelt der Pelewon, in Schutt und Asche gelegt hatte. Über 80 Millionen Pelewon hatten bei diesem Massaker den Tod gefunden.

Die Okefenokees waren zuerst selbst über diese Untat entsetzt gewesen, jedoch die Angst vor der Wiederauferstehung der Bestien war zu groß gewesen. Carjul hatte sich zu einem der obersten KdZ aufgeschwungen und alles daran gesetzt, die Rechte der Bestien zu beschneiden. Die Pelewon waren in ihr Reich eingepfercht worden, ihre Raumschiffe weggenommen und jegliche moderne Technik war ihnen unter Androhung der Todesstrafe verboten worden.

Die Unzufriedenheit unter den Bestien war beständig gewachsen, insbesondere, da die zweigeschlechtlichen Pelewons nichts für den Überfall ihrer Artgenossen konnten. Daher blieb der Hass auf die Dumfries und Okefenokees besonders groß, denn die 80 Millionen Pelewons waren für etwas hingerichtet worden, für das sie nichts konnten.

Trotzdem waren Kriege zwischen den Bestien und den Pelewon entbrannt. Die alten Bestien hatten versucht, sich zu klonen, was ihnen jedoch nicht gelang.

Nur ein Prototyp war erfolgreich gewesen. Der 5,50 Meter große Torsor. Torsor war hochintelligent und einigte das Volk. Er schürte den Hass gegen die KdZ und ihre Hilfsvölker.

Langsam hatten sie den Widerstand aufgebaut und erfolgreiche Klonversuche abgeschlossen, da die KdZ ihnen strenge Auflagen, was die Fortpflanzung anging, auferlegt hatten. Die »normalen« Pelewons hatten sich in tiefer Melancholie und Trauer befunden, da sie nun Ausgestoßene waren, doch Torsor schenkte ihnen immer wieder Mut.

So herrschte seitdem strikte Geburtenkontrolle. Die Pelewon und Moogh durften nur 2000 ihrer Art pro Jahr neu gebären. Als nun der Ruf von DORGON gekommen war, waren viele Pelewon und Moogh voller Hoffnung nach Cartwheel gekommen, hier nun endlich als gleichberechtigte Partner der neuen Völkerfamilie unabhängig leben zu können. Doch während allen anderen Völkern Unabhängigkeit von ihren Heimatgalaxien zuteilwurde, verweigerte Carjul, inzwischen oberster Okefenokee und Statthalter der KdZ in Cartwheel, den Giganten die Autarkie. Auf den Planeten Pelewon und Mooghan wurden Garnisonen der Dumfries stationiert, die die Bestien überwachten.

Aller diplomatischen Intervention von Politikern wie Perry Rhodan oder Sruel Allok Mok zum Trotz gab sich Carjul stur und lehnte jede Verhandlung über einen unabhängigen Staat der Bestien ab, womit diese sich natürlich nicht zufrieden gaben. Immerhin wurde ihnen innenpolitische Autarkie unter der Führung Torsors eingeräumt. Außenpolitisch durften die Bestien, denen auch keine schweren Waffen gestattet waren, nichts ohne Zustimmung der Okefenokees entscheiden.

Nataly seufzte. Das war eine verfahrene Situation. Sie war auf das Treffen mit Torsor gespannt und sehr interessiert daran, was dieser zur Lage seines Volkes zu sagen hatte.

*

Als ihr Schiff gelandet war, wurde sie von einer Eskorte freundlich begrüßt und zum Haus Torsors gebracht, das gleichzeitig den Regierungssitz darstellte. Etwas unheimlich war Nataly schon inmitten der vier bis fünf Meter großen Giganten zumute, doch sie ließ sich nichts anmerken.

Schließlich wurde sie zu Torsor geführt. Nataly hatte recherchiert, dass Torsor sowohl pelewonische als auch mooghsche Gene in sich trug. Seine Struktur ähnelte der eines Uleb; er war relativ unsterblich, konnte aber keine Wesen »übernehmen«, wie es die Uleb vermocht hatten. Er war der einzige dieser Art, da die Retortenfabrik, aus der er stammte, zerstört worden war. Torsor hatte es geschafft, die Völker der Bestien zu einigen und war ihr unumstrittener Führer. Nataly hatte Torsor schon oft im Trivid gesehen, doch in Natura wirkte er noch gewaltiger. Er war über fünf Meter groß und seine Augen sahen sie kalt an.

Nataly versuchte sich locker zu geben.

»Guten Tag«, grüßte sie freundlich, obwohl ihr beim Anblick des Giganten schon etwas unbehaglich zumute war.

»Ich grüße Sie, Nataly Jargon. Willkommen auf Pelewon. Es ist gut, dass Sie gekommen sind. Leider haben wir nicht oft humanoide Gäste«, begrüßte Torsor die Terranerin mit linguidischen Wurzeln freundlich, was Nataly erleichtert zur Kenntnis nahm.

»Auch ich freue mich, hier zu sein«, sagte sie zu Torsor. »Bei meinen Studien darf Ihr Volk natürlich nicht fehlen und ich hoffe einiges über die Gefühle ihres Volkes zu erfahren.«

»Das werden Sie. Ich bin sicher, Sie sind nach der langen Reise hungrig. Ich habe ein Mahl für Sie richten lassen. Bitte folgen Sie mir!«

»Ich danke Ihnen für ihre Gastfreundschaft.«

Nataly war angenehm überrascht von der kultivierten Art Torsors. Insgeheim hatte sie befürchtet, die Pelewon würden sich wie die Dscherro benehmen. Doch bislang ging alles tadellos und gesittet vonstatten.

Torsor führte sie in einen Saal, in dem ein für menschliche Bedürfnisse hergerichteter Tisch stand. Darauf befand sich ein Buffet mit linguidischen und terranischen Speisen. Torsor nahm im riesigen Sessel gegenüber von Nataly, die sich ihr Essen auftat, Platz.

»Ich hoffe, man hat ihren Geschmack getroffen«, erkundigte sich Torsor freundlich.

»Oh ja, ganz und gar. Ich bin angenehm überrascht«, versicherte Nataly.

»Sie haben vermutlich keine Kultur von uns Bestien erwartet.«

Nun war Nataly verlegen. Sie war sich tatsächlich nicht sicher gewesen, was sie hier erwartete.

»Das macht nichts, Miss Jargon«, fuhr Torsor fort. »Wir sind froh, dass Sie hier sind, um über uns zu berichten. Die Völker der Insel sollen sehen, dass nicht wir die Barbaren sind, sondern die Konstrukteure des Zentrums, die uns unser Recht auf Selbstbestimmung verweigern.«

»Ihr Volk hat die Sympathie des Rates. Alle sind dafür, dass die Pelewon und Moogh unabhängig werden«, erklärte Nataly.

»Das haben wir mit Freude zur Kenntnis genommen. Aber Carjul interessiert das alles nicht. Er hasst uns und will, dass wir Sklaven der KdZ bleiben. Alle unsere Bitten und Angebote hat er ausgeschlagen, ebenso wie die diplomatischen Interventionen des Paxus-Rates. Für alles, was nun geschehen sollte, trägt er die alleinige Verantwortung. Carjul ist ein unverantwortlicher Unterdrücker.«

Nataly bemerkte Torsors Erbitterung. Aber er hatte nicht Unrecht. Carjul, der Statthalter der KdZ, hatte alle Versuche für eine befriedigende Lösung für beide Seiten verworfen. Sie hoffte, dass die Situation nicht eskalierte. Vielleicht unterschätzte man im Rat das Freiheitsbedürfnis der Pelewon. Gleich nach ihrer Rückkehr wollte sie mit Sam darüber sprechen.

»Ich hoffe für Sie und ihr Volk, dass sich ihre Hoffnungen doch noch erfüllen«, sagte sie zu dem Pelewon.

»Das werden sie. Sie werden sehen, Nataly Jargon. Es ist gut, dass Sie gekommen sind, denn Sie werden Zeugin eines historischen Ereignisses werden.«

*

Die nächsten zwei Tage verliefen für Nataly ruhig. Sie konnte sich frei bewegen und sprach mit mehreren Pelewon. Dabei erfuhr sie, dass sich die Pelewon als Sklaven der KdZ fühlten und entschlossen waren, dies unter allen Umständen zu ändern.

Hinzu kam die Besatzung der Dumfries auf den Planeten der Bestien, die die Bestien als Provokation empfanden. Nataly bekam ein ungutes Gefühl. Es wurde immer offensichtlicher, dass sich hier ein neuer Konfliktherd auf der Insel anbahnte. Es handelte sich hierbei um den klassischen Konflikt zweier Völker, in dem das eine das andere unterdrückte und nicht bereit war, seine Vorrechte aufzugeben, was unweigerlich zu Gewalt führte.

Müde ging Nataly zurück in ihr Zimmer, das mit allem Komfort für sie hergerichtet worden war. Auch eine Trividanlage mit allen terranischen Programmen befand sich dort.

Die Halblinguidin schalte zunächst SAT.2 ein. Dort lief gerade »Schwera am Nachmittag«, eine Talkshow, die von einer Überschweren moderiert wurde. Heute war das Thema »Ich hatte Sex mit einer Superintelligenz«. Dabei keiften sich gerade zwei, nicht gerade mit Schönheit gesegnete, Frauen lautstark an und überhäuften sich unter tosendem Applaus des Publikums mit Kraftausdrücken.

Nataly seufzte und schaltete lieber den Nachrichtenkanal INSELNET ein, um das neueste aus der Heimat zu erfahren. Sie stutzte, als sie den Inhalt der laufenden Sendung »Inselnet Spezial« sah.

»… haben mehrere bewaffnete Mooghs heute Morgen die Kontrollstation der Dumfries auf Mooghan gestürmt«, behauptete der Intendant und Chef des Senders, Roppert Mohlburry, ein alter Freund ihres Onkels. »Es gab mehrere Tote und Verletzte. Teile der Station stehen in Flammen. Mehrere Patrouillen der Dumfries wurden angegriffen und sollen getötet worden sein. Bis zur Stunde lagen noch keine offiziellen Verlautbarungen zu den Unruhen vor.«

Nataly erschrak. Dass die Situation so schnell eskalierte, hatte sie nicht gedacht. Plötzlich wurde das Zimmer durch eine Detonation erschüttert. Nataly rannte auf den Balkon und sah eine Rauchwolke am Stadtrand aufsteigen. Dort lag die Station der Dumfries auf Pelewon. Energiesalven waren zu hören. Nun wurde also auch auf Pelewon gekämpft und sie saß wieder mitten im Schlamassel. Nataly fluchte. Hätte sie doch bloß auf Jonathan gehört!

Ein Pelewon betrat das Zimmer und kam auf sie zu. »Nataly Jargon, ich soll sie zu Torsor bringen!«

»Ich komme sofort«, willigte sie ein. Widerstand wäre gegen einen vier Meter großen Pelewon ohnehin sinnlos gewesen.

Der Bote führte Nataly in Torsors Regierungsgebäude, wo sie vom Anführer der Pelewon bereits ungeduldig erwartet wurde.

»Gut, dass Sie kommen, Nataly Jargon.«

»Was ist passiert?«, fragte sie, obwohl sie es bereits ahnte.

»Die Revolution hat begonnen«, verkündete Torsor voller Stolz. »Der Freiheitskampf der Pelewon und Moogh gegen die terroristische Unterdrückung der Konstrukteure des Zentrums und ihrer Handlanger.«

»Krieg ist keine gute Lösung.«

»Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, hat einmal ein weiser Terraner gesagt. Wir haben es mehrmals auf diplomatischen Weg versucht, aber Carjul und seine Schergen haben uns nur ausgelacht. Jetzt zahlen sie den Preis für ihren Hochmut. Ich kann die Knechtschaft meines Volkes nicht mehr länger dulden. Wir werden siegen oder untergehen. Auf keinen Fall bleiben wir die Sklaven der KdZ.«

Torsor hatte sich immer mehr in Rage geredet. Als er bemerkte, dass Nataly ängstlich vor ihm zurückwich, beruhigte er sich wieder.

»Sie haben nichts zu befürchten, Nataly Jargon. Ich habe Sie hierher gebeten, damit Sie der Galaxie von unserem Freiheitskampf berichten. Ich bitte Sie, mit mir ein Interview zu führen, das per Live-Schaltung von INSELNET in ganz Cartwheel übertragen wird. Alle technischen Voraussetzungen sind bereits geschaffen. Ich will den Völkern Cartwheels unser Anliegen vortragen, damit sie unseren Kampf verstehen.«

Nataly war nicht sonderlich begeistert davon, zum Spielball der Politik gemacht zu werden. Aber sie wollte hier wieder heil herauskommen, daher willigte sie ein. »Ich bin einverstanden. Wann fangen wir an?«

»Am besten gleich!«, ordnete Torsor an. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Die beiden begaben sich in ein vorbereitetes Studio und setzten sich.

»Wann gehen wir auf Sendung?«, fragte Nataly den Aufnahmeleiter.

»Sobald der Werbeblock vorbei ist, in etwa drei Minuten.« Nach dem in Natalys Augen überflüssigen Werbeblock, gab der Aufnahmeleiter das Zeichen. Sie waren auf Sendung. Nataly war ziemlich nervös und verhaspelte sich zweimal. Dann begann sie nach einer kurzen Vorstellung das Interview mit Torsor.

»Warum hat sich ihr Volk heute gegen die Dumfries erhoben?«

»Weil sie unsere Unterdrücker sind. Wir haben versucht, friedlich mit ihnen zu leben, doch sie haben nur Hass und Verachtung für uns übrig. Sie verweigern uns unsere grundlegendsten Rechte. Alle diplomatischen Versuche sind gescheitert. Wir danken den Paxus-Rat für seine Bemühungen. Schuld an der Situation ist allein Carjul. Er und seine Handlanger unterdrücken unser Volk durch Terror. Die Moogh und die Pelewon sind keine Bestien mehr, aber sie sind starke Völker, die kämpfen können. Wir sind aber auch keine Terroristen, die rücksichtslos alles zerstören, wir sind Freiheitskämpfer.«

»Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Vorgehen?«

»Wir werden solange kämpfen, bis die Okefenokees und Dumfries unsere Welten verlassen haben.«

»Würden Sie eine erneute diplomatische Offensive des Paxus-Rates begrüßen?«

»Das würde ich. Allerdings nur, wenn wir damit unserem Ziel, der Freiheit, näher kommen. Da wird es keine Kompromisse geben.«

*

Das Interview wurde überall in Cartwheel empfangen und sorgte für große Unruhe. Vielen wurde klar, dass hier ein neuer Konflikt entstanden war, der die Insel in Atem halten würde.

Manche hofften, dass auch dieser Konflikt letztendlich friedlich beigelegt werden konnte. Doch es dauerte nicht lange, da erhielt diese Hoffnung einen gewaltigen Dämpfer. Carjul, der Statthalter der Konstrukteure des Zentrums, meldete sich zu Wort. Seine Rede wurde ebenfalls von INSELNET ausgestrahlt.

»An alle Völker von Cartwheel. Heute Morgen wurden unsere Kontrollposten auf Mooghan und Pelewon Ziel von feigen terroristischen Angriffen der Bestien. Die Bestien wollen nur eines:

Die Zerstörung jeder Kultur, die ihnen fremd ist. Sie kennen nur Gewalt und Zerstörung. So waren sie immer und so werden sie immer sein, bis sie endlich ausgerottet sein werden.

Ich, Kraft meiner Autorität als Statthalter der Konstrukteure des Zentrums von M 87 werde diesen Terroristen mit aller Macht und Härte entgegentreten und erkläre hiermit Torsor zum Staatsfeind Nummer Eins und werde seine Terrororganisation mit allen militärischen Mitteln zerschlagen. Dies geschieht zum Wohl aller Völker Cartwheels.

Denn sollten die Bestien siegen, so werden sie über ganz Cartwheel herfallen, um es zu versklaven. Ich fordere daher alle zivilisierten Völker auf, eine Anti-Bestien-Allianz mit uns zu bilden. Doch auch so sind die KdZ in der Lage, Cartwheel vor den Bestien zu schützen. Alle verfügbaren Streitkräfte der Okefenokees und Dumfries sind gefechtsbereit. Außerdem haben wir, in weiser Voraussicht, dass dieser Fall eines Tages eintreten könnte, Verstärkung aus M87 angefordert und erhalten. Darunter Anti-Terror-Einheiten der Skoars. Diese Flotte wird umgehend nach Pelewon und Mooghan in Marsch gesetzt, um die Ordnung wiederherzustellen.«

Damit beendete Carjul seine Rede. Im Paxus-Rat war man überrascht, da man nicht von der Ankunft neuer Truppen und Sondereinheiten aus M87 unterrichtet worden war.

Während sich nun die gewaltige Flotte der KdZ in Bewegung setzte, wurde auf Pelewon und Mooghan weiter heftig gekämpft. Dabei gewannen die Bestien immer mehr an Boden. Die Kontrollstation auf Mooghan war gefallen und auch auf Pelewon wurden die Dumfries zurückgedrängt. Allerdings waren die Dumfries mit je hunderttausend Mann Garnisonsstärke zahlenmäßig weit überlegen, doch die Bestien waren die besseren Kämpfer und erbeuteten immer mehr Waffen. Dann jedoch traf die Flotte der KdZ über Pelewon und Mooghan ein und Cartwheel hielt wieder einmal den Atem an.

*

Auf Quinto hielten Vertreter der Neuen USO und des TLD eine Konferenz über die neue Lage ab.

Joak Cascal, Rosan Orbanashol-Nordment und Jan Scorbit hatten sich zusammengefunden.

Rosan beteiligte sich immer mehr an den Planungen der USO, da sie eine Beschäftigung brauchte, um nicht jede Sekunde an ihren verstorbenen Ehemann Wyll zu denken. Der Gedanke an seinen Tod machte sie noch immer wahnsinnig. Sie hatten so viele Abenteuer erlebt und überlebt. Nun war er einfach tot und sie wusste nicht einmal, wer sein Mörder war und warum er sterben musste.

»Soeben wurde gemeldet, dass der Kontakt nach Pelewon und Mooghan abgebrochen ist«, berichtete Scorbit, der Leiter der USO.

»Die KdZ stören den Hyperkomverkehr«, schloss Will Dean.

»Also werden sie in Kürze angreifen«, meinte Cascal.

Jan Scorbit schluckte. »Jetzt muss ich erst mal einen zur Brust nehmen«, sagte er und goss sich einen Vurguzz ein.

Rosan musterte ihn mit einen strengen Blick.

»Auch einen?«, fragte er Cascal und Dean, die aber ablehnten.

»Auch gut. Bleibt mehr für mich«, meinte Scorbit und kippte den Vurguzz in einem Zug hinunter.

Cascal verdrehte die Augen. Er zündete sich lieber eine Zigarette an. So hatte jeder seine Laster, dachte er. Doch schnell konzentrierte er sich wieder auf die gefährliche Situation.

»Wir müssen irgendetwas unternehmen!«, forderte Will Dean.

Cascal stimmte zu. »Ja, wir schicken das Insel-Mutantenkorps zusammen mit einer Einheit der USO nach Pelewon. Sie sollen terranische und andere Staatsbürger evakuieren. Notfalls sollen sie Torsor vor den KdZ retten. Wenn er stirbt, droht das totale Chaos. Außerdem sollen sie das Vorgehen der Okefenokees beobachten. Wenn sie Terror-Methoden anwenden, sollten wir dagegen vorgehen.«

 

Krieg in Cartwheel

Unterdessen hatte der Paxus-Rat eine Sondersitzung einberufen, zu der auch Carjul erschienen war, um zu den Vorkommnissen Stellung zu nehmen. Der Marquês de la Siniestro richtete das Wort an den Statthalter der KdZ.

»Verehrter Statthalter Carjul, im Namen des Paxus-Rates verurteilen wir die Gewalt auf beiden Seiten und fordern einen sofortigen Waffenstillstand, damit beide Parteien die Gelegenheit haben, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Um diese Verhandlungen zum Erfolg zu führen, fordert der Paxus-Rat Okefenok auf, den Pelewon und Moogh endlich die ersehnte Unabhängigkeit zu gewähren, damit wieder Frieden auf der Insel einkehrt.«

Kaum hatte der Marquês zu Ende gesprochen, erhob sich der Gesandte der Okefenokees abrupt. »Marquês, das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Diese scheußlichen Bestien haben schon immer Unheil angerichtet. Man darf ihnen nicht trauen! Sie haben den Rat und die Medien mit ihrer vorgetäuschten Friedenstaktik eingelullt. Doch das ist nur Täuschung! Bei den Terranern gibt es die Redewendung vom Wolf im Schafspelz. Genau das trifft in diesem Fall zu! Doch mit ihrem hinterhältigen Terrorakt gegen unsere Ordnungsmacht haben sie ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie wollen die Macht über ganz Cartwheel erlangen, um uns alle zu vernichten oder zu versklaven, wie sie es schon immer getan haben!

Doch wir werden nicht weichen und nicht wanken, um das Universums vor dieser Gefahr zu schützen. Dabei werden wir mit aller Härte vorgehen. Und wenn die Völker Cartwheels uns nicht helfen wollen, so ist das ihre Sache. Aber ich warne Sie! Kommen Sie uns nicht in die Quere! Wenn es sein muss, werden wir gegen ganz Cartwheel kämpfen!

Bevor sie uns vernichten, rotten wir sie alle aus!«, schloss der Statthalter, der sich immer mehr und mehr in Rage geredet hatte.

Nor'Citel, der Corun der Pariczaner, erhob sich von seinem Sitz. »Das ist empörend! So etwas geht gegen jedes zivilisierte Recht!«

»Ich stimme Nor'Citel zu«, stellte sich Uwahn Jenmuhs, der die Lingus-Krise ausgelöst hatte, auf die Seite des Überschweren. »Ich und der Marquês haben bewiesen, dass man mit gutem Willen einen Konflikt lösen kann, wenn man an das Wohl der Völker denkt.«

Der Marquês schmunzelte innerlich. Sehr viel hatte Jenmuhs nicht zur Lösung des Konfliktes beigetragen. Dennoch war es ihm, dem Arkoniden und Nor'Citel alias Leticron gelungen, eine mächtige Allianz zu schmieden. Natürlich war nicht vielen bekannt, dass Nor'Citel in Wirklichkeit Leticron war. Nur den eingeweihten Söhnen des Chaos, zu denen der Marquês inzwischen auch zählte, nachdem MODROR ihm einen Zellaktivator als Geschenk übergeben hatte.

»Ich kann auch nichts bestialisches daran finden, wenn ein Volk für seine Freiheit kämpft«, fuhr Leticron fort.

Nun erhob sich auch Sam. »Meine Herren! Ich bitte Sie um Mäßigung. Ich denke, wir stimmen alle überein, dass dieser entsetzliche Konflikt so schnell wie möglich beendet werden muss. Ich schlage daher vor, dass wir – wie im Fall Lingus – eine Delegation des Rates nach Pelewon entsenden, um mit Autonomieführer Torsor über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Wenn beide Seiten sich aufeinander zu bewegen, sollte eine friedliche Lösung möglich sein.«

Carjul stapfte wütend mit dem rechten Bein auf. »Nein, nein und abermals nein! Das ist inakzeptabel! Die KdZ verhandeln nicht mit Terroristen! Torsor ist der Drahtzieher des bestialischen Terrorismus. Wir werden ihn isolieren und notfalls beseitigen! Sie scheinen zu vergessen, dass er diesen Krieg begonnen hat und nicht wir! Im Übrigen betrachten wir das Geschehen als rein innenpolitische Angelegenheit von Okefenok. Die Planeten Pelewon und Mooghan werden zu militärischem Sperrgebiet erklärt. Allen Ausländern ist der Zutritt ab sofort untersagt. Die Okefenokees dulden keine Einmischung in interne Angelegenheiten.«

Carjul verließ seinen Platz und begab sich zum Ausgang. Dort angekommen, wandte er sich noch einmal den ratlosen Ratsmitgliedern zu.

»Eines Tages werden Sie uns für unsere Härte noch dankbar sein!«

Der Okefenokee verließ den Saal.

»Das ist einfach skandalös!«, regte sich der Marquês auf.

»Wir müssen jetzt kühlen Kopf bewahren«, ermahnte ihn Sam. Der Somer sah sich in der Runde um. »Hat jemand Vorschläge?«

»Angesichts der dramatischen Umstände schlage ich vor, die Flotten in Alarmbereitschaft zu versetzen und einige Einheiten zu Beobachtung ins Monol-System zu schicken«, regte der silberne Ritter Cauthon Despair an. »Im Übrigen sollten Maßnahmen zur Evakuierung Nataly Jargons und anderer ausländischer Staatsbürger, die sich noch dort befinden, getroffen werden.«

»TLD und USO sind bereits in dieser Hinsicht tätig«, erklärte Joak Cascal.

Sam nickte zustimmend. »Gut, ich bin damit einverstanden. Wir müssen aber äußerst vorsichtig vorgehen. Die Hysterie der Okefenokees hinsichtlich der Bestien kann sehr gefährlich werden.«

Mit finsterem Blick fügte der Somer hinzu: »Ich hoffe nur, dass sie nicht die beiden Planeten vernichten.«

*

Während die Politiker debattierten, spitzte sich die Situation auf den beiden Planeten Pelewon und Mooghan weiter zu. Die Bestien, die insgeheim Waffenlager angelegt hatten, gewannen allmählich die Oberhand und begannen, die Dumfries immer weiter zurück zu drängen.

Schließlich ordnete Carjul den Rückzug an. Die Einheiten der Dumfries zogen sich von den Planeten zurück. Die Mooghs und Pelewons schienen zu triumphieren.

Doch die Flotte der KdZ sammelte sich nur zu einem neuen Angriff. Inzwischen hatte Carjul sämtliche verfügbaren Schiffe um die beiden Planeten zusammengezogen und eine Blockade gebildet. Einzelne Schiffe der Mooghs und Pelewons, die den Versuch unternahmen, die Planeten zu verlassen oder anzufliegen, wurden ohne Vorwarnung abgeschossen. Dann ließ Carjul Jäger und Bomber ausschwärmen, die die Planeten unter Beschuss nahmen.

 

Kommandounternehmen

Voller Sorge beobachtete Jonathan Andrews die Lage. Es war nicht zu fassen! Schon wieder ein militärischer Konflikt und wieder saß Nataly mitten drin. Am liebsten wäre er sofort aufgebrochen, um Nataly herauszuholen. Deshalb ging er zu Oberst Goss, um ihn um Urlaub zu bitten.

»Ah, Andrews! Schön, dass Sie kommen. Ich wollte Sie ohnehin rufen lassen«, begrüßte er den jungen Offizier.

Andrews salutierte. »Sir, ich bitte um Sonderurlaub.«

Goss schüttelte unwillig den Kopf. »Das ist leider unmöglich. Durch die neue politische Lage im Monol-System steht ein neuer Einsatz bevor. Die IVANHOE, die einen Sondereinsatz von TLD und USO unterstützt, hat Sie und Oberleutnant Scorbit mit Ihrem AIRBLADE angefordert. Sie haben sich unverzüglich zur IVANHOE zu begeben!«

»Nimmt die IVANHOE aktiv an dem Einsatz teil?«

»Nicht direkt. Die IVANHOE wartet in sicherer Entfernung am Rande des Monol-Systems. Eine Space-Jet der USO, die BALTON WYT, wird das Sondereinsatzkommando nach Pelewon bringen.«

Andrews fasste einen Entschluss. »Dann bitte ich darum, dabei sein zu dürfen, Sir. Nataly Jargon, die mir sehr viel bedeutet, befindet sich auf Pelewon. Ich würde gerne bei ihr sein.«

Goss seufzte. »Ich würde jetzt auch gerne gemütlich zu Hause sitzen und bei meiner Frau sein. Aber meine Befehle lauten anders. Genauso wie Ihre Befehle anders lauten, Oberleutnant Andrews. Sie sind jetzt ein Offizier. Das bedeutet, dass Sie auch mehr Verantwortung haben. Sie müssen ein Vorbild für Ihre Untergebenen sein und ein zuverlässiger Untergebener für Ihre Vorgesetzten.«

»Aber, Sir, ich …«, setzte Jonathan an.

Goss unterbrach ihn barsch. »Genug jetzt, Andrews! Wir alle müssen im Dienst unser Privatleben zurückstellen. Sie haben Ihre Befehle! Sie und Oberleutnant Scorbit begeben sich unverzüglich zum Raumhafen. Die Unterredung ist damit beendet!«

Jonathan wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte, mit dem Oberst zu debattieren. Er salutierte und verließ wortlos den Raum. Anschließend begab er sich zu seinem Freund Remus und berichtete ihm von der Situation.

»Dumme Lage, Jonathan«, meinte Remus. »Aber immerhin sind wir indirekt am Einsatz beteiligt. Vielleicht werden wir auch noch für den Notfall benötigt. Außerdem bin ich sicher, dass Gucky und das Einsatzkommando alles tun werden, um Nataly herauszuholen.«

Jonathan blieb skeptisch. »Das ist nicht dasselbe. Ich habe einfach das miese Gefühl, dass ihr etwas passieren könnte.«

Remus klopfte Andrews auf die Schulter. »Da ist verständlich. Aber es wird schon alles gut gehen. Wir sollten jetzt zum Raumhafen aufbrechen.«

Jonathan nickte, aber er war nicht überzeugt.

*

Kurze Zeit später begaben sich die beiden zum Raumhafen. Die IVANHOE – gerade erst aus M100 zurückgekehrt – befand sich bereits im Orbit und wartete nur noch auf die Ankunft des AIRBLADE, der auf dem Landefeld stand. Daneben wurde die BALTON WYT, mit der das Einsatzkommando aufbrechen sollte, startklar gemacht. Andrews steuerte seinen Gleiter zwischen die beiden Schiffe und sah sich um. Er entdeckte Gucky, der auf die Space-Jet zu watschelte. Als er den Gleiter geparkt hatte, stieg er aus.

»Wo willst du hin, Jonathan? Zum AIRBLADE geht es in die andere Richtung«, erinnerte ihn Remus.

»Ich fliege mit der BALTON WYT. Mach's gut, Remus«, erklärte Andrews seinem entgeisterten Freund.

»Wie bitte? Bist du total übergeschnappt?«

Jonathan Andrews ließ Remus stehen und rannte hinüber zur BALTON WYT und rief nach Gucky, der gerade in die Space-Jet steigen wollte.

Der Mausbiber wurde auch gleich auf den jungen Offizier aufmerksam und sah ihn überrascht an.

»Hallo, Jonathan! Willst du mir alles Gute wünschen? Das ist nett von dir. Auch ein Retter des Universums kann gelegentlich Zuspruch gebrauchen.«

Andrews grinste verlegen und kratzte sich am Kopf. »Äh, nicht direkt. Ich wollte euch vielmehr tatkräftig unterstützen.«

Gucky sah ihn verwundert an. »Hat Cascal die Befehle geändert? Ich dachte, du und Remus sollen den AIRBLADE zur IVANHOE bringen und dort die weitere Lage abwarten.«

»Ich handle auf eigene Verantwortung. Nataly ist auf Pelewon und sitzt mitten drin im Schlamassel. Ich muss sie herausholen. Bitte nimm mich mit, Gucky!«, flehte Jonathan.

Gucky schüttelte den Kopf. »Dass ihr Menschen immer Amok laufen müsst, wenn ihr verliebt seid. Das ist eine eurer Schwächen. Die andere ist, dass ihr es mit den Vorschriften sehr genau nehmt. Da du vorhast, gegen deine Befehle zu verstoßen, könnte dich das deine Karriere kosten. Die Terraner sind in solchen Dingen recht humorlos.«

»Das ist mir egal. Ich habe darüber nachgedacht. Nataly ist mir wichtiger als meine militärische Laufbahn. Wenn ihr etwas zustößt, ohne dass ich wenigstens den Versuch gemacht habe, sie zu retten, könnte ich mir das mein Leben lang nicht verzeihen.«

Gucky sah Andrews fest an. »Du bist wohl fest entschlossen, wie?«

Jonathan nickte. »Ja. Ich will mit euch kommen.«

Der Ilt seufzte. »Na ja, ich bin ja auch mal jung und ungestüm gewesen und habe ebenfalls gegen sämtliche Vorschriften verstoßen. Also gut, ich nehme dich mit und lege später ein gutes Wort für dich ein. Ob es was nützt, weiß ich allerdings nicht.«

Andrews strahlte über das ganze Gesicht. »Ich danke dir, Gucky! Das werde ich dir nie vergessen. Ich hole nur rasch meine Ausrüstung und sage Remus Bescheid.«

»Hoffentlich ist die Tussi das wert«, unkte Gucky.

Doch Andrews hörte ihn nicht mehr. Er war wieder zum AIRBLADE gerannt und packte dort rasch einige Sachen zusammen.

»Was machst du denn?«, fragte ihn Remus ungehalten.

»Ich fliege mit der BALTON WYT. Gucky nimmt mich mit«, erklärte Andrews hastig.

»Du spinnst! Das ist doch total irre. Die schmeißen dich aus der Flotte, und das mit vollem Recht!«

»Ich werde selbst auf Pelewon nach Nataly suchen. Ich habe in den letzten Stunden festgestellt, dass sie mir wichtiger ist als alles andere«, verteidigte sich Jonathan.

Remus schüttelte seufzend den Kopf. »Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dir viel Glück zu wünschen.«

Die beiden gaben sich die Hand und verabschiedeten sich voneinander. Wenig später startete Remus mit dem AIRBLADE und Jonathan begab sich zur BALTON WYT. Gucky hatte die Mitglieder des Einsatzkommandos informiert, dass sie Verstärkung bekamen. Zur Besatzung zählte das Insel-Mutantenkorps das aus Gucky, Orlando de la Siniestro, Jeanne Blanc, Wulf Lane, Brad Callos sowie Jan Scorbit, der die Space-Jet steuerte, bestand.

»Willkommen an Bord der BALTON WYT, Jonathan«, begrüßte ihn der Leiter der Neuen USO. »Und keine Bange! Wenn sie dich feuern, kannst du bei der USO anfangen – vorausgesetzt natürlich, wir kommen überhaupt lebend zurück.«

»Sehr tröstlich«, erwiderte Jonathan.

Einige Minuten später startete die BALTON WYT und verließ den Orbit von Mankind.

»Wie sieht eigentlich euer Plan aus?«, fragte Andrews Gucky.

»Och, ganz einfach. Wir fliegen durch die Blockade, gehen runter zum Rats-Konsulat in Pelewon-City, holen dort die Mitarbeiter ab. Anschließend geht es zum Palast. Wir fegen die Divisionen der Dumfries weg und holen Nataly und Torsor raus.«

»Klingt gut«, meinte Andrews trocken.

»Wir haben einen tragbaren Transmitter dabei, den Gucky im Konsulat absetzt«, klärte Jan Scorbit auf. »Durch diesen evakuieren wir die Konsulatsmitarbeiter zur BALTON WYT.«

»Und natürlich auch Nataly Jargon«, fügte Gucky hinzu.

»Das klingt schon besser«, fand Jonathan.

*

»Wir erreichen das Monol-System. Die IVANHOE folgt uns in sicherem Abstand«, meldete Orlando de la Siniestro, der die Ortung übernommen hatte. »Ich habe außerdem eine Unmenge Schiffe im Orbit von Pelewon auf dem Schirm.«

»Es geht los. Macht euch bereit. Ich fliege so dicht wie möglich an Pelewon heran. Wir haben dann nicht viel Zeit«, sagte Jan Scorbit angespannt.

»Keine Sorge, ist ja nicht mein erster Einsatz«, gab sich Gucky zuversichtlich.

»Brad, du teleportierst mit Jeanne hinunter. Orly und Hank folgen, sobald wir den Transmitter in Betrieb genommen haben.«

Brad Callos nickte. »Okay, und was machst du?«

Der Mausbiber wandte sich Andrews zu. »Ich nehme dich mit, Johnny, dann kannst du den Transmitter tragen und montieren. Irgendwie musst du dich ja schließlich nützlich machen.«

»Geht klar«, entgegnete Andrews, der sich zwei Thermostrahler einsteckte.

»Fast wie John Wayne, der seine Braut vor den Indianern retten will«, meinte Gucky belustigt.

Andrews machte ein dummes Gesicht. »Wie wer?«

Gucky winkte ab. »Vergiss es.«

Die BALTON WYT tauchte aus dem Hyperraum. In einem waghalsigen Manöver steuerte Jan Scorbit das Schiff auf den Planeten zu.

»Macht euch bereit!«, rief Scorbit. »Ich kann nur kurze Zeit im Orbit bleiben, dann muss ich wieder verschwinden!«

Ringsherum tauchten mehrere Kampfschiffe der Dumfries auf.

»Wer sind Sie? Identifizieren Sie sich!«, wurde Scorbit über Funk aufgefordert.

»Nicht schießen!«, antwortete Scorbit. »Wir sind ein terranisches Schiff und holen unser Konsulatspersonal ab. Wir haben keinerlei feindliche Absichten.«

»Sie haben keine Erlaubnis, den Planeten anzufliegen!«, kam es unfreundlich zurück. »Drehen Sie bei oder wir eröffnen das Feuer!«

»Jetzt, Gucky!«, rief Scorbit dem Mausbiber zu.

Gucky nahm Andrews, der den tragbaren Transmitter trug, bei der Hand und teleportierte mit ihm hinunter auf den Planeten. Danach folgte Brad Callos mit Jeanne Blanc.

Scorbit wendete die Space-Jet und setzte sich von den Dumfrie-Schiffen ab, blieb aber weit genug im Monol-System, um die Reichweite des Transmitters zu gewährleisten.

*

Der Kampf auf Pelewon hatte sich wieder zugunsten der Dumfries gewendet. Die starke Luftflotte bombardierte den ganzen Planeten. Die Pelewon besaßen kaum schwere Waffen, um den Angriffen etwas entgegenzusetzen. Die meisten Bestien suchten in den Schutzbunkern Zuflucht. Doch eine Unmenge fiel auch den Bombenangriffen zum Opfer.

Gucky und Jonathan Andrews rematerialisierten mitten in Pelewon-City. Kaum standen sie auf festem Boden, hörten sie eine gewaltige Explosion. Beide wurden von der Druckwelle niedergeworfen, blieben aber unverletzt und rappelten sich wieder auf.

»Da sind wir ja genau im richtigen Augenblick gekommen«, meckerte Gucky.

»Hoffentlich ist Nataly nichts passiert«, sagte Jonathan Andrews besorgt.

»Keine Bewegung!«, herrschte sie eine unfreundliche Stimme an.

Gucky und Andrews hoben die Hände und drehten sich um. Vor ihnen standen zwei schwer bewaffnete Skoars, die mit ihren Strahlern auf sie zielten. Der Ilt hatte schon ewig lange keine Skoars mehr gesehen, aber er wusste noch, wie unangenehm diese werden konnten.

Die Skoars waren etwa zwei Meter groß und besaßen wie die Haluter und Pelewon vier Arme. Ihre dunkelbraune Haut war faltig und lederartig. Einst waren sie die Soldatenkaste von M87 gewesen, doch als sie degenerierten, wurden sie von dem Dumfries abgelöst. Nun aber schienen sie wieder im Geschäft zu sein.

»Ihr seid keine Bestien«, stellte der zweite Skoar geistreich fest. »Wer seid ihr?«

»Wir sind harmlose Touristen auf der Durchreise, die plötzlich in einen Krieg geraten sind«, erzählte Gucky.

»Ach so«, machte der zweite Skoar.

Doch sein Partner war etwas intelligenter. »Fall doch nicht auf so etwas rein! Wenn das Touristen sind, wieso tragen sie dann Waffen?«

Der andere Skoar machte einen ratlosen Eindruck. »Weiß ich nicht.«

»Weil sie Waffenschmuggler sind, du Narr! Sie unterstützen die Bestien.«

»Wir wussten gar nicht, dass die tapferen Skoars hier in Cartwheel sind«, versuchte Gucky mit den beiden ins Gespräch zu kommen. Er hoffte auf friedliche Weise mit den beiden klar zu kommen, denn er wollte Ärger mit den KdZ möglichst vermeiden. Darum verzichtete er zunächst auf den Einsatz seiner telekinetischen Kräfte.

»Wir sind ein Sondereinsatzkommando und verhaften euch hiermit. Zieht euch nackt aus und kniet nieder!«, befahl der tatkräftige Soldat.

Davon war Gucky nicht sonderlich begeistert. »Ich bin ja grundsätzlich zu jedem Scherz bereit, aber man kann es auch übertreiben. Ihr seid doch wohl nicht etwas pervers oder so?«

»Schweig! Ihr habt keine Rechte! Ihr seid Bestienfreunde!«

»Das stimmt doch gar nicht!«, rief Jonathan dazwischen

Der erste Skoar versetzte ihm und Gucky einen Hieb, sodass die beiden benommen zu Boden gingen.

»Elende Terroristen! Ich werde euch auf der Flucht erschießen!«, brüllte der Soldat und legte auf die beiden an.

Doch bevor er abdrücken konnte, wurde er plötzlich in die Höhe gehoben und gegen eine Häuserwand geschleudert, wo er benommen liegen blieb. Der zweite Skoar begann ziellos um sich zu schießen. Dann traf ihn ein Paralysestrahl aus nächster Nähe und betäubte ihn. Brad Callos trat hervor, steckte seinen Paralysator wieder ein und kümmerte sich um Gucky, während Jeanne Blanc sich um Jonathan Andrews bemühte. Schnell waren die beiden wieder auf den Beinen.

»Da sind wir ja gerade noch rechtzeitig gekommen«, meinte die rothaarige Telekinetin Jeanne.

Gucky winkte großspurig ab.

»Dann ist es ja gut«, erwiderte Jeanne lächelnd.

»Ist der Transmitter okay?«, erkundigte sich Brad Callos bei Andrews.

»Ja, alles bestens.«

»Gut. Wir haben das Konsulat gefunden. Es ist liegt eine Straße weiter von hier. Wir sollten uns sofort auf den Weg machen.«

Gucky zögerte. »Merkt ihr was? Es hat aufgehört Bomben zu regnen.«

»Dann werden sie wahrscheinlich in Kürze mit Bodentruppen angreifen«, mahnte Jonathan. »Los, beeilen wir uns!«

Unverzüglich machte sich das Team auf den Weg zum Konsulat. Die Straßen, die sie durchquerten, waren sichtlich von den Angriffen gezeichnet. Gucky verstand es nicht. Immer wieder begannen intelligente Wesen aus irgendeinem Grund verheerende Kriege, die immer wieder Tod und Zerstörung mit sich brachten. Und jedes Mal, wenn wieder Frieden herrschte, schwuren die Politiker, dass es nie wieder Krieg geben sollte. Doch wenn es darauf ankam, waren diese Friedensappelle schnell wieder vergessen.

Gucky bedauerte, dass nicht Mausbiber über das Universum herrschten. Die Ilts hatten noch nie einen Krieg begonnen. Doch leider schien Gucky der Letzte seiner Art zu sein. Gucky seufzte. Das Sinnieren brachte nichts. Er musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren, die auch so schwierig genug war.

*

Ohne größere Probleme erreichten sie die diplomatische Vertretung des Paxus-Rates. Dort wurden sie vom Leiter der diplomatischen Mission erleichtert begrüßt.

»Herzlich willkommen. Mein Name ist Thom Vessels, ich bin hier der Leiter. Wir hatten schon die Befürchtung hier nicht mehr raus zu kommen.«

»Keine Sorge, mein Lieber. Wir holen Sie und die anderen hier heraus. Wir haben einen speziellen Transmitter dabei, der Sie auf ein wartendes Schiff bringt.«

Vessels führte das Team ins Innere des Konsulats. »Glücklicherweise blieb unser Gebäude von den Angriffen weitgehend verschont. Die Okefenokees scheinen unsere Neutralität zu respektieren.«

»Meine nicht«, murmelte Gucky und griff sich an Kopf. Bei dem Angriff des Skoars hatte sich der Ilt eine Beule zugezogen.

Vessels führte die vier in einen großen Saal, in dem sich die meisten Mitarbeiter des Konsulats versammelt hatten.

»Wie viele Leute sind hier beschäftigt?«

»Insgesamt fünfzig Leute verschiedener Nationen«, erklärte Vessels. »Da einige Urlaub hatten, sind wir glücklicherweise nicht so viele.«

»Ist Nataly Jargon hier?«, erkundigte sich Jonathan Andrews unruhig.

Vessels verneinte. »Wir haben seit ihrem Interview mit Torsor keinen Kontakt mehr zu ihr. Ich fürchte, sie ist immer noch in seinem Palast.«

»Dann müssen wir sofort zu ihr!«, drängte Andrews.

»Langsam, Jungchen!«, ermahnte ihn Gucky. »Erst mal stellst du den Transmitter auf, damit wir mit der Evakuierung beginnen können.«

Andrews schluckte. »Ja, natürlich. Ich fange sofort an.«

»Gut, wenn alles geklappt hat, gehen wir zum Palast und holen Nataly und Torsor«, bestimmte der Mausbiber.

Andrews und Brad Callos begannen sofort mit dem Aufbau des Transmitters. Nach etwa einer Viertelstunde war er einsatzbereit. Gucky sendete eine Funknachricht an Jan Scorbit und teilte ihm mit, dass alles fertig war. Kurz darauf materialisierten Orly de la Siniestro und Wulf Lane im Konsulat.

»Das hat ja gut geklappt. Alles in Ordnung bei euch?«, erkundigte sich Orly.

»Ja, bis auf meinen Kopf«, gab Gucky zurück.

»Dann sollten wir sofort beginnen«, meinte Wulf Lane. »Scorbit kann sich die Dumfries nur noch kurze Zeit vom Leib halten. Außerdem haben wir beobachtet, dass die Dumfries mit der Landung von großen Truppeneinheiten begonnen haben.«

»Okay. Wulf, du kümmerst dich um die Evakuierung. Orly, du begleitest uns in Torsors Palast«, entschied Gucky.

»Endlich. Los kommt, beeilt euch!«, drängelte Andrews.

Gucky verdrehte die Augen. »Liebeskranke!«

*

Gucky und Brad Callos teleportierten mit Orly, Jonathan Andrews und Jeanne Blanc zum Regierungsgebäude. Aus der Ferne hörten sie Schüsse und Explosionen. Die Kämpfe waren wieder aufgeflammt.

»Das sind Bodenkämpfe!«, stellte Jonathan beunruhigt fest. »Im Palast scheint gekämpft zu werden.«

Gucky sah zum Palast, der arg in Mitleidenschaft gezogen worden war. »Der Schutzschirm ist erloschen. Wir können hinein teleportieren.«

Der Mausbiber fasste Orly und Andrews an den Händen und teleportierte mit ihnen in den Palast. Brad Callos folgte mit Jeanne Blanc.

Im Palast herrschte Chaos. Einheiten der Skoars waren eingedrungen und schossen wild um sich. Viele tote Skoars und Pelewons lagen in den Gängen. Die Bestien fügten den Skoars hohe Verluste zu, aber diese waren zahlenmäßig überlegen und setzten Spezialwaffen gegen die Pelewons ein.

»Wo kann nur Nataly sein?«, fragte Andrews.

Gucky konzentrierte sich und versuchte Nataly Jargon zu espern. »Ich habe sie. Sie ist bei Torsor. Kommt, ich bringe euch hin.«

Die vier teleportierten in Torsors Kommandozentrale.

»Jonathan! Gucky, ihr seid gekommen!«, freute sich Nataly und umarmte Andrews.

»Für Liebesszenen ist jetzt keine Zeit!«, rief Gucky. »Ich lese gerade die Gedanken von einigen Skoars, die sich mit Torsor in die Luft sprengen wollen!«

Kaum hatte der Ilt ausgesprochen, stürmten vier Skoars brüllend in die Zentrale und stürmten auf Torsor zu.

»Lassen Sie sie nicht an sich herankommen, Torsor!«, schrie Gucky. »Das sind Selbstmordattentäter!«

Torsor erschoss einen der Skoars. Gucky und Jeanne Blanc schleuderten die drei anderen telekinetisch aus dem Raum. Dort wurden sie von Torsors restlichen Leibwächtern angegriffen. Dabei entluden sich die Sprengsätze und töteten die Skoars mitsamt den Pelewons. Die Decke des Korridors stürzte ein und versperrte den Zugang zur Zentrale.

»Sie sitzen fest, Torsor«, sagte Gucky. »Ich schlage vor, Sie kommen mit uns damit wir Sie zum Paxus-Rat bringen. Dort können Sie vor den Ratsmitgliedern sprechen.«

»Nein, ich bleibe hier!«, lehnte Torsor ab. »Bei meinem Volk!«

»Was wollen Sie denn hier noch ausrichten?«, fragte Nataly. »Sie sitzen alleine in der Zentrale fest. Nur wenn Sie vor die Öffentlichkeit treten, können Sie etwas für ihr Volk erreichen!«

Torsor überlegte kurz, dann stimmte er zu. »Also gut. Ich begleite Sie nach Paxus. Ich hoffe, es gelingt dem Rat die Okefenokees zur Einsicht zu bringen. Sonst gibt es eine Katastrophe.«

»Sehr vernünftig«, meinte Gucky.

Kaum hatte Gucky ausgesprochen, wurde der Raum von einer heftigen Erschütterung durchzogen.

»Sie beschießen den Palast mit Artillerie«, vermutete Andrews.

Gucky nahm Funkkontakt zu Wulf Lane auf. »Wulf, wie weit seid ihr?«

»Die Evakuierung ist abgeschlossen«, antwortete dieser. »Nur noch ich bin hier. Aber sie haben soeben begonnen, das Gebäude zu beschießen. Ich fürchte jeden Moment kommt die Decke runter.«

»Mach, dass du wegkommst, Wulf. Lasst den Transmitter aktiviert. Wir versuchen uns durchzuschlagen.«

»Okay, Ende.«

Gucky wandte sich wieder seinem Team zu. »Also los. Wir machen erst mal, dass wir hier rauskommen. Zuerst bringen wir das Team raus, dann komme ich noch mal und hole Torsor, weil er so ein extra großer Brocken ist. Dann schlagen wir uns wieder zum Konsulat durch.«

Über Pelewon wartete Carjuls Flaggschiff. Zufrieden beobachtete der Führer der Okefenokees die Vernichtung der pelewonischen Infrastruktur. Er war fest entschlossen, den Aufstand der Bestien im Keim und mit rücksichtsloser Härte zu ersticken. Leider war es noch nicht gelungen, Torsor zu verhaften oder zu töten.

Ein Offizier der Dumfries kam zu Carjul und salutierte vor ihm.

»Ja, Kommandant?«

»Wir haben zwei kleine terranische Schiffe geortet.«

»Lasst sie in Ruhe. Ich will keine diplomatischen Verwicklungen mit dem Paxus-Rat.«

»Außerdem haben wir die Strahlung eines aktiven Transmitters angemessen.«

»Wo?«

»Im Konsulat des Paxus-Rats.«

»Sicher evakuieren sie ihr Personal. Das war zu erwarten.«

Carjul hielt inne, da ihm kam ein beunruhigender Gedanke kam. »Es könnte allerdings auch sein, dass sie Torsor von hier weg zu bringen versuchen. Das muss verhindert werden, Kommandant! Zerstören Sie den Transmitter!«

»Mit allen Mitteln?«, vergewisserte sich der Kommandant.

Carjul überlegte einen Augenblick, dann sagte er: »Wenn es sein muss, ja.«

*

Auch an Bord der erst vor wenigen Tagen zurückgekehrten IVANHOE verfolgte man das Geschehen.

Irwan Dove überbrachte dem Kommandanten Jeamour eine Meldung.

»Sir, Jan Scorbit hat gemeldet, dass die Konsulatsmitarbeiter evakuiert wurden. Aber bis auf Wulf Lane fehlt das ganze Rettungsteam. Außerdem meldet Scorbit, dass ihm die Dumfries immer näher rücken. Er bittet um Instruktionen.«

Jeamour überlegte nicht lange. »Wenn er sich nicht mehr länger halten kann, soll er zur IVANHOE kommen.«

»Und was passiert mit Gucky und dem Team?«, fragte der Oxtorner.

»Wir schicken den AIRBLADE. Sie sollen versuchen, sie raus zu holen. Da uns Mister Andrews abhandengekommen ist, nimmt Mathew Wallace seinen Platz ein.«

*

Gucky materialisierte mit Torsor bei den anderen, die er kurz zuvor in einer Seitenstraße abgesetzt hatte. Die Stadt glich mittlerweile einem Trümmerhaufen. Die Dumfries hatten mit ihrer Militäraktion ganze Arbeit geleistet.

Aus Sicherheitsgründen wollten Gucky und Brad Callos in kurzen Abständen an das Konsulat heran teleportieren. Bei den anhaltenden Gefechten schien es ihnen zu riskant, sofort hinein zu springen. Die Gefahr, mitten in eine Explosion zu springen, war zu groß, zumal Wulf Lane von einem Beschuss des Gebäudes gesprochen hatte. Die Gruppe ging also zu Fuß in die Nähe des Konsulats.

»Wir sollten uns beeilen«, drängte Andrews, der Nataly Jargon bei der Hand genommen hatte.

»Da vorne ist es schon«, sagte Jeanne Blanc.

Der Anblick des Konsulatsgebäudes löste allerdings keine große Freude aus. Das ganze Gelände war von Dumfries und ihren Panzerfahrzeugen sowie Geschützen umstellt.

»Überall Dummfriesen! Hier muss irgendwo ein Nest sein«, stöhnte Gucky.

»Und was nun?«, fragte Nataly.

»Ich springe mit Torsor hinein, um zu sehen, ob der Transmitter noch aktiv ist. Ihr wartet hier.«

Der Ilt nahm den Pelewon an der Hand und teleportierte mit ihm ins Konsulatsgebäude.

Kaum waren sie materialisiert, sahen sie wie der Transmitter von Dumfries umstellt wurde.

Einer der Soldaten bemerkte die beiden.

»Da sind sie! Knallt sie ab!«, rief er seinen Kameraden zu, die umgehend das Feuer eröffneten.

Geistesgegenwärtig teleportierte Gucky mit Torsor wieder zurück zu den anderen.

»Was war denn?«, fragte Orly de la Siniestro.

Gucky fasste sich ans Herz und lehnte sich an eine Wand. »Frag Torsor. Ich habe einen Schock fürs Leben bekommen.«

»Du wirst allmählich zu alt für diesen Scheiß«, zog ihn Jonathan auf.

Der Mausbiber tat empört und stemmte die Ärmchen in die Hüften. »Ich und zu alt? Lächerlich!«

Torsor unterbrach das Streitgespräch. »Die Dumfries haben den Transmitter gefunden und wahrscheinlich zerstört. Es gibt kein Entkommen. Jetzt bleibt uns nur noch der ehrenvolle Tod!«

»Wir können uns verstecken«, schlug Andrews vor.

Kaum hatte er ausgesprochen, schlug eine Energiesalve dicht neben der Gruppe ein.

»Scharfschützen!«, rief Brad Callos.

Die Gruppe suchte hinter einigen Trümmern Deckung.

Gucky versuchte, Kontakt mit der BALTON WYT aufzunehmen, was aber misslang. »Ich kriege keine Verbindung zum Schiff. Sie stören den Funk.«

Wieder schlug eine Energiesalve dicht bei ihnen ein.

»Es ist nur einer«, stellte Torsor fest.

Orly konnte den Standort des Scharfschützen ausmachen. Es war ein Skoar, der auf einem gegenüberliegenden Dach lag. Er konzentrierte sich auf den Soldaten und sandte dann seinen Schatten aus. Langsam war er in der Lage seine mutantischen Fähigkeiten zu kontrollieren. Der Schatten schlug den Skoar nieder, der vom Dach stürzte und reglos liegen blieb.

»Danke, Orly. Jetzt sollten wir verschwinden«, meinte Gucky.

Die Gruppe wollte sich auf den Weg machen, doch es tauchten erneut Dumfries und Skoars auf, die die Gruppe umstellten.

»Werft die Waffen weg oder ihr seid tot!«, brüllte der Anführer, ein Skoar.

»Es hat keinen Zweck«, meinte Torsor. »Sie müssen sich ergeben. Sie sind nur an mir interessiert.«

Gucky seufzte. Er wusste, wann er sich geschlagen geben musste. Es hatte keinen Sinn, das Leben aller zu riskieren.

»Also gut, wir ergeben uns!«, rief er den Soldaten zu.

Plötzlich tauchte im Tiefflug ein Raumschiff auf. Es flog über die völlig überraschten Dumfries und Skoars hinweg und feuerte mit seinen Bordkanonen, was die Soldaten in heillose Verwirrung stürzte. Gucky und Jeanne Blanc reagierten sofort und entwaffneten telekinetisch mehrere der Soldaten. Als dann auch noch Torsor brüllend auf sie zu rannte, ergriffen sie die Flucht.

»Das ist unser AIRBLADE!«, jubelte Jonathan Andrews und umarmte Nataly.

Der AIRBLADE verharrte im Tiefflug über den Trümmern. Gucky und Brad Callos teleportierten nacheinander mit dem Team in das Schiff. Keine Sekunde zu früh, denn schon rückten die Dumfries mit Panzerfahrzeugen wieder heran und eröffneten das Feuer. Doch zu spät, der AIRBLADE raste hinaus in den Orbit von Pelewon. Bevor die Blockadeflotte reagierte, hatte das schnelle, wendige Schiff sie durchbrochen. Der Vorteil der AIRBLADE hatte ihr Leben gerettet. Das überaus schnelle Raumschiff war durch die Blockade gebrochen und bevor die Abfangjäger sie erreicht hatten, wieder aus dem Orbit heraus und auf dem sicheren Weg zur IVANHOE. Remus war froh, dass er ein so schnelles Schiff besaß.

*

Freudig wurden die Retter Remus Scorbit und Matthew Wallace von Andrews und seinen Gefährten begrüßt.

»Das war genau im richtigen Augenblick, alter Freund«, freute sich Jonathan.

»Wie immer«, entgegnete Remus. »Den ganzen Zirkus hättest du dir also sparen können. Wir wären sowieso hierher geflogen … Wie ich sehe, ist Nataly wohlauf.«

Nataly machte ein fragendes Gesicht. »Was meinst du damit, Remus?«

Scorbit erzählte ihr von Jonathans Entschluss, wegen ihr zu desertieren.

Die junge Frau war sichtlich gerührt von Andrews Engagement und umarmte ihn herzlich. »Das werde ich dir nie vergessen, Jonathan.«

»Ich hoffe nur, Kommandant Jeamour hat auch so viel Verständnis«, unkte Andrews.

*

Ohne weitere Probleme steuerte der AIRBLADE die IVANHOE an und landete in einem der Hangars. Auch die BALTON WYT war unterdessen wohlbehalten zurückgekehrt. Die IVANHOE verließ sofort das Monol-System und nahm Kurs auf Paxus. Die Mission war erfolgreich abgeschlossen worden. Xavier Jeamour begrüßte die Neuankömmlinge.

Zunächst wandte er sich an Torsor. »Willkommen an Bord der IVANHOE. Wir haben den Auftrag, Sie so schnell wie möglich nach Paxus zu geleiten. Ich hoffe, das ist in Ihrem Sinne.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Rettung«, erwiderte Torsor. »Doch das Los meines Volkes erfüllt mich mit Trauer. Daher ist es auch in meinem Sinne, so schnell wie möglich vor dem Paxus-Rat zu sprechen.«

Jeamour wandte sich nun Jonathan Andrews zu. »Mister Andrews, was mache ich nun mit Ihnen? Ihre Eigenmächtigkeiten haben mich nicht gerade begeistert.«

Andrews wirkte verlegen. »Es tut mir Leid, Sir. Ich bin bereit die Konsequenzen zu tragen.«

»Vergib ihm, denn er wusste nicht was er tat«, mischte sich Gucky ein. »Außerdem war er eine große Hilfe für uns.«

Jeamour lächelte. Als er jung war, hätte er ebenso gehandelt. Aber das wollte er Andrews nicht unbedingt auf die Nase binden.

»Nun, da ich Sie ohnehin nach Pelewon geschickt hätte, und Sie gewissermaßen nur voraus geflogen sind, werde ich noch einmal beide Augen zudrücken und keine Meldung machen. Lassen Sie sich so etwas nicht noch mal einfallen«, sagte der Kommandant streng.

»Nein, Sir«, versicherte Andrews erleichtert.

 

Die Stunde der Bestien

Die IVANHOE flog mit Höchstgeschwindigkeit nach Paxus, während die Okefenokees ihre Militäraktion auf Pelewon und Mooghan mit unverminderter Härte fortsetzten. Carjul hatte sich wieder nach Paxus begeben, da eine außerordentliche Sitzung des Rates einberufen worden war.

Auf Paxus angekommen, wurde Torsor zum Parlamentsgebäude gebracht, wo er eine Rede halten wollte. Unter großen Sicherheitsvorkehrungen wurde der Autonomieführer zum Parlamentssaal gebracht. Als er den Saal betrat, kam in der Lobby der KdZ-Vertreter zu einem Tumult. Die Okefenokees und Dumfries empörten sich heftig über die Anwesenheit der Bestie.

Generalsekretär Sruel Allok Mok sorgte für Ruhe. »Ich fordere alle Delegierten auf, sich auf ihre Plätze zu begeben und Ruhe zu halten! Als erstes erteile ich Autonomieführer Torsor das Wort.«

»Terrorführer! Terrorführer muss es heißen!«, rief ein Dumfrie dazwischen.

Torsor bedachte ihn mit einem finsteren Blick, was den Dumfrie verstummen ließ.

»Verehrte Delegierte des Rates und des Parlaments«, begann der Pelewon. »Aufgrund der langjährigen Unterdrückung und des Staatsterrorismus, den die KdZ und ihre Hilfsvölker gegen unsere Völker betreiben, sahen wir keinen anderen Weg mehr, als um unsere Freiheit zu kämpfen.

Wir sind verzweifelt. Wir haben mit allen Mitteln versucht, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Wie jedes andere Volk im Universum wollten auch wir nur unsere Freiheit. Wir wollten als gleichberechtigte Nation neben den anderen Völkern in Frieden leben und die Mission DORGONs erfüllen. Als wir hierher kamen, hatten wir die Hoffnung auf ein besseres Leben als in M87. Wir wollten nicht mehr für die Fehler unserer Vorfahren bestraft werden und hatten die Hoffnung, dass die KdZ uns hier, weitab von M87, unsere Unabhängigkeit gewähren würden. Doch stattdessen wurden wir wie bessere Sklaven behandelt.

Die sogenannte Autonomie, die wir auf unseren Planeten erhielten, ist der Rede nicht wert. Da alle diplomatischen Bemühungen des Rates an der Sturheit der Okefenokees gescheitert sind, wählten wir den Kampf. Doch während wir uns auf militärische Ziele beschränkten, zerstörten die Hilfsvölker der KdZ unsere Städte und zivilen Einrichtungen und betreiben Staatsterror von grauenhaften Ausmaß gegen unser Volk, mit dem Ziel, die verhassten Bestien endgültig auszurotten.

Dies war von Anfang an das Ziel Carjuls! Er und sein Hass sind die treibende Kraft in diesem Konflikt! Doch auch jetzt noch appelliere ich an Carjul den Krieg gegen uns zu beenden und mit uns eine friedliche Lösung zu finden!

Wir fordern eine internationale Schutztruppe bestehend aus Arkoniden, Terranern und Pariczanern anstelle der Besatzungsmacht der Dumfries! Dann muss eine Lösung für unsere Unabhängigkeit gefunden werden. Es liegt nun allein an Carjul. Er hat die Wahl: Frieden oder Krieg!«

Unter dem Applaus der Mehrheit des Parlaments beendete Torsor seine Rede. Als nächstes trat nun Carjul ans Rednerpult, um zu antworten.

»Verehrte Delegierte! Ich hoffe inständig, dass Sie nicht auf das Friedensgesäusel dieser Bestie hereinfallen. Torsor ist ein Lügner!«

Buh-Rufe gegen Carjul wurden laut. Doch dieser blieb unbeeindruckt.

»Lange Jahrtausende waren es die Konstrukteure des Zentrums, die das Universum vor der Bedrohung durch die schrecklichen Bestien geschützt hatten. Das darf nicht vergessen werden! Torsor redet von Terror, doch ich sage: Torsor ist ein Terrorist der schlimmsten Sorte! Wir haben das Recht, uns gegen Terrorismus zu wehren! Auch mit militärischen Mitteln.«

Carjul redete sich immer mehr in Rage. Beifall erhielt er allerdings nur von seinen eigenen Leuten.

»Torsor redet von Frieden und Unabhängigkeit. Dass ich nicht lache! Seit wann verstehen die Bestien etwas von diesen Dingen? Sie kennen nur Unterdrückung und Krieg! Sie warten nur darauf, wieder über die zivilisierten Nationen herfallen zu können und alles in ihre Gewalt zu bringen oder zu zerstören. Darum sage ich, dass die Bestien niemals unabhängig sein dürfen. Sie stellen eine zu große Gefahr für uns alle dar. Die Bestien sind kein wahres, gleichberechtigtes Leben. Sie sind Monster, niedriger als Tiere! Ich werde niemals zulassen, dass sie frei sein werden! Eher rotten wir sie alle aus! Nur tote Bestien sind gute Bestien!«

Die letzten Worte seiner Rede hatte Carjul geradezu heraus geschrien. Lähmendes Entsetzen machte sich unter den Parlamentariern breit. Dass der Konflikt so tief saß, hätte niemand für möglich gehalten.

Sam war von Carjuls Worten schockiert. Er wusste nicht, wie man jetzt noch eine friedliche Lösung finden sollte. Auch der Marquês schwieg.

Goz Gongan, der Vertreter der Haluter, war sichtlich angewidert. Er stand auf und sprach: »Auch wir Haluter haben uns verändert. Wollen Sie uns auch vernichten, Konstrukteur des Zentrums? Wir sind bereit, unseren Brüdern zu helfen, wo es nur geht.«

Ein Raunen ging durch das Parlament. Alles entwickelte sich in Richtung Krieg.

Ruhig erhob sich Torsor von seinem Sitz. Gespannt warteten die Delegierten darauf, was der Pelewon nun sagen würde.

»Verehrte Delegierte, Sie haben Carjuls Worte gehört: Er will keinen Frieden; er will die totale Vernichtung unseres Volkes«, verkündete der Gigant in sachlichem Tonfall. »Von nun an trägt allein Carjul die Verantwortung für das, was noch geschehen wird. Das Volk der Pelewons und Mooghs befindet sich im Krieg und hat keine andere Wahl, als militärisch zu antworten.«

Carjul lächelte höhnisch. »Jetzt zeigst du endlich einmal dein wahres Gesicht, Bestienführer. Doch wir fürchten euch nicht. Die Militäraktionen unserer Streitkräfte werden fortgesetzt. Ich erkläre den totalen Krieg, solange bis die Bestien bedingungslos kapitulieren oder vernichtet worden sind. Wir werden siegen«, gab sich der Okefenokee selbstsicher.

Torsor aktivierte ein Funkgerät, das an seinem Arm angebracht war und sprach ein paar Sätze in der Sprache der Pelewon hinein. Goz Gongan verstand offenbar genau, was der Pelewon mitteilte und blickte ihn überrascht an. Torsor wechselte einen kurzen Blick mit dem Vertreter seines Brudervolkes. Dann wandte er sich wieder den Delegierten zu.

»Verehrte Delegierte, Vertreter der KdZ! Hiermit erkläre ich offiziell die Unabhängigkeit der Welten Pelewon und Mooghan. Gleichzeitig erkläre ich Okefenok den Krieg, den wir nicht gewollt haben. Soeben habe ich meiner Flotte den Gegenangriff auf Okefenok befohlen.«

Carjul lachte höhnisch. »Gegenangriff? Womit denn?«

Torsor sah den Okefenokee kalt an. »Mit 150.000 Einhundert-Meter-Raumern, die in Hyperraumblasen versteckt auf den Tag ihres Einsatzes warteten. Haben Sie wirklich geglaubt, wir würden uns wehrlos abschlachten lassen, Carjul?«

Carjul erschauerte. Er schien dem Pelewon sofort zu glauben, da er ja diesen Tag immer offenkundig gefürchtet hatte. Hastig eilte Carjul aus dem Sitzungssaal, um seinen Planeten zu warnen.

Sam war fassungslos. Wie hatten sie es nur so weit kommen lassen können? Oder war diese Entwicklung von vornherein nicht zu verhindern gewesen. Sam begann allmählich an der Weisheit DORGONs zu zweifeln, da diese Entität so viele verschiedene Völker mitsamt ihren unzähligen Konflikten nach Cartwheel gerufen hatte.

Unverzüglich sandte Carjul einen Hyperkomspruch nach Okefenok. Doch es war bereits zu spät. Die 150.000 Einheiten der Pelewon und Mooghs hatten den Planeten bereits erreicht. Da sich fast die gesamte Flotte der Dumfries über Mooghan und Pelewon befand, war Okefenok dem Angriff nahezu schutzlos ausgeliefert. Mit einer solch massierten Offensive hatte selbst Carjul nicht gerechnet und so wurde der Planet mit voller Wucht von dem Angriff getroffen. Die Bestien machten ihrem Name alle Ehre und griffen wahllos alle Gebäude und zivilen Einrichtungen an und zerstörten sie in kürzester Zeit. Sie setzten die gefürchteten Intervallstrahler ein, die unzählige Gebäude vernichteten. Allein in den ersten Minuten starben hunderttausende Okefenokees und Dumfries.

Als INSELNET die ersten Berichte lieferte, erschauerte Sam. Er fragte sich, ob Carjul mit seiner Warnung vor den Bestien, nicht doch Recht gehabt hatte. Was war, wenn die Bestien ihre Angriffe auf ganz Cartwheel ausweiteten?

Torsor schien seine Gedanken zu erraten: »Der Rat braucht keine Sorge zu haben. Unsere Aktionen gelten nur unseren Feinden. Unsere Freunde hingegen haben vor uns nichts zu befürchten«, sagte er doppeldeutig.

Carjul betrat den Ratssaal wieder und hob drohend seine Faust gegen den Koloss, was bei dem kleinen Okefenokee eher unfreiwillig komisch wirkte. »Ihr elenden Bestien! Unsere Raumflotte ist euch immer noch überlegen. Ich habe befohlen, sie sofort nach Okefenok zu entsenden!«

Torsor blickte kalt zu ihm herab. »Glauben Sie, das habe ich nicht bedacht? In den Hyperraumblasen wartet noch einmal die doppelte Anzahl an Schiffen. Fast jeder der 50 Millionen Pelewon und Moogh verfügt über Kampferfahrung und ist bereit loszuschlagen. Und um Ihre Flotte kümmern wir uns bereits.«

Carjul erstarrte. Er war zu keiner Aussage mehr fähig.

*

Wie Carjul gesagt hatte, setzte sich seine Flotte von Pelewon und Mooghan ab, um nach Okefenok zu fliegen, mit dem Ziel, zu retten was noch zu retten war. Doch die Flotte der Dumfries und Skoars wurde von tausend kubusförmigen 3000 Meter Schlachtschiffen abgefangen, die plötzlich aus dem Hyperraum stürzten. Die Kubusschiffe wurden von 20.000 Einhundert-Meter-Kugelraumern unterstützt.

Damit hatten die Streitkräfte der KdZ nicht gerechnet. Ihre Einheiten reagierten völlig überrascht und wurden von allen Seiten angegriffen. Innerhalb kürzester Zeit erlitten sie verheerende Verluste. Die Bestien kannten kein Pardon und dezimierten die gegnerischen Streitkräfte mehr und mehr. Die Dumfries begannen sich zu sammeln und versuchten durchzubrechen. Doch trotz heftiger Gegenwehr zeichnete sich eine vernichtende Niederlage ab.

Carjul saß wie versteinert auf seinem Platz im Parlamentsaal. Einer seiner Adjutanten hatte ihm gerade die neuesten Meldungen überbracht. Es drohte die totale Vernichtung des Planeten Okefenok und seiner Streitkräfte.

Schwach erhob sich Carjul von seinem Platz. »Ich bitte, nein ich flehe die Abgeordneten des Rates an, uns militärisch beizustehen«, sagte er mit brüchiger Stimme.

Doch die Delegierten lehnten sein Ersuchen mit klarer Mehrheit ab. Keiner wollte sich auf einen Krieg gegen die Bestien einlassen.

Carjul senkte den Kopf. Nichts war mehr von seinem großen Selbstbewusstsein zu bemerken. »In diesem Fall müssen wir untergehen«, murmelte er.

Torsor trat auf ihn zu. »Nein, das müssen Sie nicht. Gewähren Sie uns die Unabhängigkeit und ziehen sich nach Okefenok zurück. Dann werden die Angriffe sofort eingestellt.«

Der Marquês sah seine Stunde gekommen und erhob sich. »Carjul, Sie sollten das großzügige Angebot Torsors annehmen. Hätten Sie von Anfang an eine diplomatische Lösung angestrebt, hätte sich das sinnlose Blutvergießen vermeiden lassen. Doch noch ist es nicht zu spät. Willigen Sie ein!«

»Nicht zu spät? Es ist alles aus. Das werden Sie auch noch irgendwann merken. Wir können sie nicht mehr schützen«, sagte Carjul resignierend.

Einige Minuten verharrte Carjul reglos, dann sagte er:

»Also gut. Ich erkläre hiermit formal die Unabhängigkeit der Bestien. Sie sind von nun an autark und selbständig. Uns bleibt nur die Kapitulation. Was von nun an geschieht, liegt nicht mehr in meiner Verantwortung.«

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ Carjul den Saal. Torsor, Leticron und Cauthon Despair triumphierten. Dieses Ziel war erreicht worden.

 

Am Ziel

Torsor hielt sein Wort. Sofort nach der Erklärung zog er seine Streitkräfte von Okefenok zurück und ließ die Reste von Carjuls Flotte unbehelligt dorthin zurückkehren. Allerdings mussten die Okefenokees sich vertraglich verpflichten, Schadenersatz für die von ihnen gemachten Zerstörungen auf Mooghan und Pelewon zu leisten. Außerdem mussten sie sich einem Nichtangriffspakt bereit erklären. Die Flotte der Okefenokees war ohnehin so stark angeschlagen worden, dass sie vorläufig zu keinem Angriff mehr fähig war. Umso stärker präsentierte sich die Flotte der Pelewon, die einen neuen, unübersehbaren Machtfaktor in Cartwheel bildeten. Okefenok hingegen war fast völlig zerstört worden. Carjuls Sturheit war nun zum Bumerang für die Okefenokees geworden, die lange brauchen würden, um den Planeten wieder aufzubauen.

Dies alles nahm Sam mit großer Sorge zur Kenntnis. Viele Völker reagierten mit Besorgnis auf den Machtanstieg der Bestien und fürchteten, dass diese noch mehr Appetit auf Kriege bekommen konnten. Das befürchtete auch Sam, der zutiefst betroffen von den Vorgängen und der Tatsache war, dass er, als Generalsekretär, das Massaker nicht verhindern konnte. Er sprach mit dem Marquês darüber.

»Machen Sie sich keine Vorwürfe, Sam«, meinte der alte Spanier. »Sie hätten es nicht verhindern können. Es war Carjuls Schuld. Seine Engstirnigkeit hat die Situation eskalieren lassen.«

Sam sah ihn skeptisch an. »Und wenn Carjul recht hatte? Wenn das erst der Anfang ist und die Bestien wirklich so schlimm sind, wie er sagt? Wenn Sie uns auch angreifen?«

Der Marquês winkte ab. »Ach, das glaube ich nicht. Torsor hat uns als Freunde bezeichnet. Wir haben uns bemüht, für sein Volk eine gerechte Lösung zu finden. Das weiß er zu schätzen. Wir haben nichts von den Pelewon zu befürchten. Ich treffe mich schon bald mit Torsor, um die guten Beziehungen auszubauen.«

Sam blickte aus dem Fenster seines Büros. Seit den furchtbaren Ereignissen sah er die Zukunft Cartwheels mit Skepsis.

»Ich hoffe, Sie behalten recht.«

*

Während der Generalsekretär des Paxus-Rates pessimistisch in die Zukunft blickte, frohlockten andere. Torsor, der – auf schreckliche Art und Weise – sein Ziel, die Unabhängigkeit seines Volkes, erreicht hatte, traf sich mit den Söhnen des Chaos Leticron, Despair, Cau Thon und Don Philippe in Leticrons Burg auf New Paricza.

Die vier saßen an einem runden Tisch. Cau Thon begrüßte den Anführer der Bestien.

»Willkommen, mein Freund. Wir gratulieren Ihnen zu Ihrer hervorragenden Aktion.«

»Danke, Cau Thon. Es gab eine kleine Verzögerung des Gegenangriffs, weil die Mutanten mir dazwischen kamen. Doch letztendlich kam mir das gar nicht ungelegen, denn so konnte ich noch einmal meinen ›Friedenswillen‹ vor dem Rat bekunden. Und dank Carjuls Borniertheit wurde die Aktion zu einem vollen Erfolg. Denn wenn er auf meinen ›Friedensvorschlag‹ eingegangen wäre, hätte ich den Angriff auf Okefenok nicht starten können und die KdZ hätten ihre Flotte noch immer.«

»Sie hatten seine Sturheit vorausgesehen. Mit seinem Auftreten hat er sich sämtliche Sympathien verspielt«, meinte der Marquês.

»Die Okefenokees konnten gar nicht anders handeln. Ihr Hass und ihre Furcht gegen uns sind zu tief verwurzelt. Aber jetzt sind sie hier in Cartwheel keine Gefahr mehr für uns.«

»Gut. In der nächsten Zeit sollten sich die Pelewons ruhig verhalten, um die Furcht vieler Leute, die sich nach der Zerstörung Okefenoks breitgemacht hat, zu zerstreuen«, riet Cau Thon.

»Unser Bund der Vier ist nun perfekt. Wie soll es nun weitergehen?«, wollte Leticron wissen.

Cau Thon lehnte sich zurück. »Nun, da die Pelewons ihre Unabhängigkeit haben, können sie mit Terra, Arkon und New Paricza ein offizielles Bündnis eingehen. Das kann der Marquês gleich nach unserer Sitzung verkünden. Das wird die ängstlichen Gemüter beruhigen.«

»Und dann?«, fragte Leticron weiter.

Cau Thon wandte sich an den Marquês. »Der nächste Schritt wird sein, dass Sie, Marquês, Kanzler des Paxus-Rates werden. Leticron, Uwahn Jenmuhs, Torsor und Despair werden Ihnen, als neu zu bildender Rat, dabei zur Seite stehen.«

Don Philippe tat überrascht. »Kanzler – ich? Und dazu ein neuer Rat. Dazu müsste der alte Rat gehen. Wie soll dies geschehen?«

Cau Thon lächelte finster. »Mit Terror.«

 

Die Boten des Hexameron

Afu-At-Tarkan, 7. Dezember 1298 NGZ

»Die Zerstörung des Universums und damit das Ende allen Seins ist das höchste Ziel, das es zu erreichen gilt. Es gibt keinen Grund, warum dieses Universum weiter bestehen sollte!«

Afu-At-Tarkan hatte diese Worte laut ausgesprochen, denn sie waren seine ganze Überzeugung und in At-Tarkan, wie er seine Organisation nannte, teilten alle Mitglieder diese Ansicht. Sie waren alle nach strengen Kriterien ausgewählt worden und leisteten gute Arbeit. Immerhin hatte es die Organisation innerhalb von sechs Monaten geschafft, zur mächtigsten Terrororganisation von Cartwheel zu werden. Das hatte Afu-At-Tarkan Raufu-Er-Heron zu verdanken. Afu hatte die Ideen, Raufu tüftelte ausgeklügelte Pläne aus, für deren Ausführung wiederum Afu die passenden Leute auswählte. Die Zusammenarbeit klappte perfekt.

Sie machten derzeit große Fortschritte, denn die Organisation wuchs, die meisten Anschläge gelangen und – was das Wichtigste war – die Neue USO war ihnen noch nicht auf den Fersen. Sie hatten einfach keine Spur hinterlassen, die die USO-Spezialisten auf At-Tarkan gelenkt hätte. Sicher, man hatte versucht, Agenten der USO in die Gruppierung einzuschleusen, aber es war nie gelungen. Das war sicherlich Keon, einem von Afu-At-Tarkans treuesten Mitarbeitern, zu verdanken, der die Ausbildung der neuen Rekruten übernommen hatte.

Aber irgendwie kamen sie ihrem Ziel dennoch nicht näher. Noch hatten sie keinen Schlag gelandet, der Cartwheel in seinen Grundfesten erschüttert hätte. Und die Galaktiker taten alles, um zu verhindern, dass At-Tarkan ihr jämmerliches Leben beendete.

Afu versuchte, sich in ihre Denkweise hinein zu versetzen.

Da waren etwa die Dorgonen: Sie hatten eine sehr gute Regierungsform gehabt – ein starker Herrscher hatte über die ganze Galaxie geherrscht und andere Völker waren unterdrückt worden. Doch eines Tages waren die Terraner nach Dorgon gekommen und dann hatte das System versagt: Es konnte wenigen Galaktikern gelingen, den Kaiser Thesasian zu stürzen. Carigul und Nersonos waren schwach gewesen und Uleman führte die Galaxie in eine komplett falsche Richtung: Unter ihm waren alle Völker gleich gestellt! Die Geschichte bewies doch, dass so etwas nicht funktionierte. Eine starke Macht musste es führen, jemand wie Heptamer, dem Hauri wie Afu-At-Tarkan sein Leben verschrieben.

Dann gab es die Blues: Jede Menge Bluesvölker und Bluesstämme, die jede Menge Kinder produzierten und sich gegenseitig abschlachteten – und das schon seit vielen Jahrtausenden. Das konnte auch nicht im Sinne Heptamers sein, denn er mochte eine einheitliche Führung für alle Völker.

Die Überschweren: Eine Horde Wilder, die für Geld alles taten. Sie wurden von einem starken Oberhaupt geführt, das sich aber oft nicht gegen diese Individualisten durchsetzte. Überschweren mangelte es an Treue und Glauben, nichts war ihnen heilig. Sie waren nicht für die Herrschaft Heptamers geeignet.

Die Arkoniden: Schon seit Jahrtausenden funktionierte die Monarchie bei ihnen, aber sie neigten dazu, dekadent und faul zu werden. Viele von ihnen waren korrupt und taten für Geld alles. Nur selten hatten sie einen guten Herrscher auf die Beine gestellt. Bostich hatte Chancen, doch auch er konnte sich gegen diese Terraner nicht durchsetzen. Und dann Uwahn Jenmuhs – ein fetter, korrupter Intrigant, triebgesteuert, dessen Versuche, andere Völker zu kontrollieren, sehr plump waren. Über die Lingus-Invasion lachte Afu-At-Tarkan nur. Ihm mangelte es an Glauben, er hatte nicht das Zeug zu einem Diener Heptamers.

Ja, und dann gab es die Terraner: Eigenwillig, störrisch – wenn man mit ihnen zu tun hatte, machten sie einem alle guten Pläne zunichte, auch wenn sie oft nur viel Glück hatten. Ihre Regierungen hatten oft gewechselt, aber sie kämpften immer für eine geeinte Milchstraße, für Frieden und Gerechtigkeit, für eine Gleichberechtigung jedes Individuums, die ganze Leier. Immer voran die Unsterblichen unter der Führung Perry Rhodans – diesem hoffnungslosen Idealisten, der in all der Zeit nichts dazugelernt hatte. Nichts konnte ihn totkriegen, mit viel Glück hatte er sich bis heute durchgeschlagen. Nein, die Terraner galt es zu meiden, sie kamen nicht einmal für eine Allianz im Sinne Heptamers in Frage.

Doch wer könnte ein Partner für die Hauri sein? Wer hätte die Macht, Afu-At-Tarkans kleine Organisation zu unterstützen, damit sie ihren Plan zur Zerstörung des Universums durchführen können? Die meisten Chaotarchen schieden aus: Sie hatten sich als verrückt oder unfähig erwiesen, nur die Entität MODROR hatte Verstand gezeigt. Doch an MODROR heranzukommen, erwies sich als schwierig. Die meisten Söhne des Chaos waren nicht bekannt, Despair schien zum Feind übergelaufen zu sein und Cau Thon war seit dem BAMBUS-Spektakel nicht mehr gesehen worden.

Daraus ergab sich eine Konsequenz: »Ich muss die anderen Söhne des Chaos finden. Ich muss mich mit MODROR verbünden!«

»Das sehe ich ganz genauso, Afu-At-Tarkan!«

Afu-At-Tarkan fuhr herum. Das Zimmer hatte er abgedunkelt und ohne seine Kenntnis konnte niemand es betreten oder verlassen.

»Wer ist da?«

Stille.

»Wer – wer ist da?«, fragte Afu-At-Tarkan noch einmal, doch dann hatte er sich wieder in der Gewalt und zog seinen Strahler.

Eine Sekunde später hatte er seinen Individualschutzschirm eingeschaltet und sich hinter seinem Sessel versteckt.

Nun hörte er Schritte; jemand kam langsam auf ihn zu. Allmählich schälte sich aus der Dunkelheit eine Gestalt heraus: Sie trug eine dunkle Kutte und hielt einen Gehstock in der rechten Hand – nein, es war kein gewöhnlicher Gehstock, er funkelte golden und hatte als Kopfstück einen Totenkopf. Als die Gestalt noch näher kam, wurde auch das Gesicht sichtbar: Es war rot, auf der Stirn war eine Tätowierung erkennbar. Die Gestalt lächelte überlegen.

*

Cau Thon hatte sich schon eine Weile im Zimmer des Anführers von At-Tarkan aufgehalten. Er wollte den Terroristen nicht in seinen Überlegungen stören, aber jetzt war es an der Zeit, in Erscheinung zu treten. Er setzte sich in Bewegung und kam langsam auf Afu-At-Tarkan zu.

»Cau Thon!«, stieß er hervor und warf sich auf den Boden. »Cau Thon, verzeihe, dass ich dich nicht gleich erkannt habe!«

Zögerlich erhob er sich wieder, wagte aber nicht, Cau Thon ins Gesicht zu blicken.

»Wie kann ich dir dienen?«

Ein Lächeln umspielte Cau Thons Mundwinkel. Er mochte es, wenn seine Gesprächspartner ihm von Anfang an den nötigen Respekt erwiesen. Das zeugte von bedingungslosem Gehorsam, der bei potentiellen Verbündeten immer wichtig war. Er machte eine Pause, um seine Präsenz besser wirken zu lassen, dann begann er: »Ich komme in MODRORs Auftrag. Er ist ein Freund Heptamers und hält große Stücke auf dich. MODROR hat große Pläne und er möchte, dass du Teil von ihnen wirst.«

Spontan fiel der Hauri erneut zu Boden: »Ich bin sein treuer Diener, ich tue alles, was MODROR verlangt.«

»Das weiß ich. Dennoch möchte ich, dass du wieder aufstehst und dich auf deinen Thron setzt. Wir haben viel zu besprechen …«

*

Etwa eine Stunde später wurde Raufu-Er-Heron in Afus Zimmer gerufen. Als er ankam, begrüßte ihn Afu stürmisch: »Wir haben es geschafft! MODROR ist auf uns aufmerksam geworden, er möchte, dass wir zum Gelingen seines großen Planes beitragen!«

Raufu war von Natur aus ein eher stiller, emotionsloser Hauri. Er hatte schon viele Terroreinsätze absolviert, bisher hatte er jeden überlebt und das war seinem kühlen Verstand zu verdanken. Er schätzte jedes Risiko exakt ab, er schickte keinen seiner Männer unnötig in den Tod und er wusste, wann ein Einsatz verloren war. Außerdem war er ein brillanter Taktiker und Planer: Die Pläne, die sich Afu und Raufu gemeinsam erdacht hatten, führten meistens zum Erfolg.

»Was ist passiert?«, war daher seine knappe Antwort auf diese sensationelle Neuigkeit.

»Cau Thon ist hier aufgetaucht und hat mir einen Plan unterbreitet, wie wir Cartwheel endlich effektiv erschüttern können.« Afu kannte seinen Partner inzwischen sehr gut, er wusste, dass ihn so gut wie gar nichts erschüttern konnte.

»Gut, das wurde auch Zeit. Wir haben hart gearbeitet. Also – was sollen wir tun?«

Afu erklärte seinem Partner, was er mit Cau Thon besprochen hatte. Zunächst waren zwei Aktionen geplant. »… auf diese Weise verängstigen wir die Bewohner Cartwheels und machen sie verwundbar für die anderen Aktivitäten MODRORs«, endete er.

Raufu dachte kurz nach, dann sagte er: »Klingt gut. Dann sollten wir sofort einen Plan ausarbeiten und andere Aktionen zurückstellen. Da fällt mir ein: Wie sollen wir unsere Spur diesmal verwischen?«

»Auch dazu hatte Cau Thon eine brillante Idee …«

 

Unheil liegt in der Luft

12. Dezember 1298 NGZ

Der Somer Sam befand sich in seinem Büro auf Paxus. Unruhig lief er auf und ab, denn dieser Tage plagten ihn viele Sorgen.

Dabei hatte es vor wenigen Tagen noch ganz anders ausgesehen: Der Lingus-Konflikt konnte beigelegt werden, wenn auch noch nicht ganz klar geworden war, warum Jenmuhs plötzlich nachgegeben hatte. Sam hatte das Gefühl, dass bei dieser Entscheidung nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war: Zunächst verhielten sich die Arkoniden absolut stur, sie konnten es auf der einen Seite nicht legitimieren, Lingus zu besetzen, auf der anderen Seite wollten sie den Planeten auch nicht aufgeben. Schlimmer noch: Sie behaupteten, die Linguiden wollten in das Reich der Arkoniden eingegliedert werden und die Zerstörungen auf Lingus seien auf linguidische Terrororganisationen zurückzuführen. Solche Behauptungen waren lächerlich – vor allem, wenn man die friedliebenden Linguiden kannte. Und dann diese organisierten »Pro-Arkon«-Demonstrationen. Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte Sam darüber gelacht.

Jenmuhs war nicht erreichbar gewesen und Sams Anweisungen waren ignoriert worden – und das, obwohl er als Generalsekretär Cartwheels über Jenmuhs stand! Und dann: Völlig überraschend, dieser überhastete Rückzug von Lingus. So oft Sam auch darüber nachdachte, er verstand noch immer nicht, was passiert war.

Die Lage hatte sich beruhigt, ein Krieg war abgewendet worden. Doch dann gab es vor einigen Tagen die blutige Revolution der Pelewon. Sicher, sie waren von den Konstrukteuren des Zentrums unterdrückt worden, man gestand ihnen nicht die Unabhängigkeit zu, aber warum musste der Kampf um die Unabhängigkeit so brutal und grausam ausgetragen werden? Hätte es nicht noch andere Möglichkeiten gegeben?

Doch man musste auch eine andere Seite betrachten: Das Aufgebot an Raumschiffen der Bestien war gigantisch gewesen – sie hatten ihre Unterdrücker regelrecht weggefegt, es war das reinste Schlachtfest gewesen. Nun zeigte sich, dass die Bestien ein neuer, nicht zu unterschätzender Machtfaktor in Cartwheel waren. Sam hoffte, dass sie auf ihrer Seite waren. Er wollte auf jeden Fall die weitere Entwicklung der Pelewon genau beobachten.

Wenn das nur die einzigen Sorgen gewesen wären: Es gab mindestens vier so genannte »Söhne des Chaos«. Nur die Identität von dreien war bekannt: Cau Thon, Goshkan und Cauthon Despair. Der Letztere hatte sich auf die Seite der Cartwheeler geschlagen, so schien es zumindest. Seine Handlungen ließen auch nicht auf Gegenteiliges schließen.

Sam wusste nicht, was diese Söhne des Chaos taten und planten, er wusste nur, dass es nichts Gutes sein konnte. Er musste auch hier ständig auf der Hut sein und jedem Hinweis auf sie nachgehen.

Ja, und schließlich gab es noch die Terroranschläge in Cartwheel …

Sams Interkom piepste. »Ja?«

Seine Sekretärin erschien auf dem Bildschirm und schenkte ihm ein Lächeln. »Der erwartete Besuch ist eingetroffen.«

»Gut, schicken Sie die Herren hinein. Wir möchten nicht gestört werden.« Sam schaltete ab und setzte sich an seinen Schreibtisch.

*

Sam hatte den Anführer der Neuen USO, Jan Scorbit und Will Dean, einen hochrangigen Agenten des Terranischen Ligadienstes in Cartwheel zu dem Treffen eingeladen. Nach einer knappen Stunde hatten sie die Ereignisse der letzten Tage durchgesprochen und beschlossen, wo welche Ressourcen eingesetzt werden sollten.

»Die Terrororganisationen machen mir Sorgen«, meinte Jan unvermittelt.

Sam war zunächst überrascht, sie hatten gerade über Uwahn Jenmuhs Überwachung gesprochen. Doch dann entgegnete er: »Inwiefern? Sie verhalten sich doch in letzter Zeit eher ruhig, es gab nicht mehr viele Attentate. Wir haben ohnehin schon genügend Sorgen.«

»Das ist es ja gerade, was mich wundert. Wir hatten in den letzten Monaten immer eine gewisse Menge terroristischer Anschläge, bisher haben wir es aber nie geschafft, einer Gruppe auf die Spur zu kommen. In den letzten Tagen hat es aber beinahe keine Anschläge gegeben.«

Jetzt schaltete sich auch Will ein: »Meinst du, es ist die Ruhe vor einem großen Anschlag? Dass die Organisationen Vorbereitungen treffen?«

»Nun, ich kann nichts Konkretes sagen, ich wollte mit dieser Äußerung auch keine Pferde scheu machen. Die USO hat bislang auch nichts hierzu herausgefunden…«

Will dachte eine Weile nach. »Vielleicht kann ich hier helfen. Wir stießen vor einigen Tagen auf eine Terroristenzelle, die hin und wieder kleinere Bombenanschläge durchführt. Wenn es uns gelingen würde, dort jemanden einzuschleusen, dann könnten wir an wichtige Informationen kommen. Nur leider …« Will zog ein unglückliches Gesicht »… finden wir niemanden, der für eine solche Aufgabe geeignet ist.«

»Ja, diese Terrororganisationen sind so erfolgreich, weil sie sich ihre Leute sehr genau aussuchen. Nicht viele Leute würden die Ausbildung überstehen und sich nicht zugleich verraten«, überlegte Sam. »Mal abgesehen von den Zellaktivatorträgern, die natürlich zu bekannt sind und sich nicht in Cartwheel aufhalten.«

»Ja, und die Zeit, in der jeder Agent mit einem fröhlichen ›Ja!‹ einen solchen Selbstmordauftrag angenommen hätte, sind vorbei. Heute achten die Leute mehr auf ihr Leben, von wenigen Ausnahmen abgesehen.«

»Wenige Ausnahmen …« Jan war nachdenklich geworden.

»An was denkst du? Kennst du jemanden?«

Jan blickte auf. »Ja, ich glaube schon. Es wird nicht leicht werden, ihn für dieses Unternehmen zu begeistern, aber ich glaube, ich schaffe das. Wir müssen außerdem seinen Einsatz genau planen und vorbereiten. Es muss alles genau passen. Will, ich glaube, wir sollten in dieser Sache zusammenarbeiten.«

*

So geschah es dann auch: In den nächsten zwei Tagen fanden Sam, Will Dean und Jan Scorbit wenig Schlaf. Sie und viele Mitarbeiter des TLD und der Neuen USO waren ständig im Außen- und Innendienst beschäftigt. Dabei musste das Kunststück vollbracht werden, die Einschleusung des USO-Agenten nicht zu perfekt wirken zu lassen, um Verdacht zu vermeiden. Jan kümmerte sich persönlich um diesen Agenten …

 

Akaho da Purok

14. Dezember 1298 NGZ

So ein Mist! So ein verdammter Mist! Warum musste mir das schon wieder passieren? Wieso mir? Gab es denn keine anderen Agenten, die die Voraussetzungen für den Einsatz erfüllten?

Sicher: »Du bist der Einzige, der dieser Aufgabe gewachsen ist«, hatten sie gesagt. »Dein Einsatz könnte schlimme Katastrophen verhindern. Nach dem Einsatz bekommst du einige Zeit Urlaub.« Als ob es für mich ein ›Nachher‹ gab. Die Überlebenschancen waren minimal.

Andererseits war ich USO-Agent und es war meine Aufgabe, auf Einsätze zu gehen und unter Einsatz meines Lebens Cartwheel sicherer zu machen. Wie gefährlich musste ein Einsatz sein, damit ich ihn nicht mehr annehmen musste? Konnte das jemand entscheiden? Und vielleicht hat Jan Scorbit ja sogar recht, wenn er sagte, ich wäre der Einzige, der diesen Einsatz absolvieren konnte.

»Verdammt noch mal, wieso ich?«

»Hast du etwas gesagt?« Das war der Barkeeper. Ich bemerkte erst jetzt, dass ich vor mich hingemurmelt hatte.

»Ja, ich hätte gerne noch einen kleinen Vurguzz«, sagte ich und setzte ein freundliches Lächeln auf.

Ich merkte es wieder einmal: Es war gar nicht so einfach, seinen Gedanken nachzuhängen und gleichzeitig aufmerksam zu sein. Aber genau das wurde von uns Agenten verlangt. Auch in Situationen, in denen nichts passierte.

Ja, die Jungs bei der USO hatten meinen Einsatz minutiös geplant, nur der Beginn stand bislang nicht fest. Ich wartete nun schon über drei Stunden auf das Signal und durfte noch nicht einmal viel trinken, denn für den Einsatz später musste ich mich völlig unter Kontrolle haben.

Ein Gespräch mit dem Barkeeper gab ich auf, nachdem er mit Parolen wie »Bei Lingus habt ihr euch dumm angestellt, wir Terraner hätten es besser gemacht« oder »Seid ihr alle so dekadent wie euer Chef?« um sich geworfen hatte. Ich hatte jetzt keine Lust auf dieses Stammtischgerede und diese furchtbaren Verallgemeinerungen.

Endlich: Der Interkom in der Kneipe piepte. Der Barkeeper nahm das Gespräch an und schob mir das Gerät mit den Worten »Hier, dein Rendezvous. Scheint eine heiße Braut zu sein.« zu.

Dazu verdrehte ich nur die Augen und wechselte einige Worte mit der Agentin. Es war Rosan Orbanashol-Nordment höchstpersönlich. Sie war seit einigen Wochen die Stellvertreterin von Jan Scorbit und erledigte ihre Aufgabe hervorragend. Sie brachte etwas Wärme in diesen kalten Beruf der Agenten und Spione.

Der Dialog war abgesprochen, ich sagte also, wie in einem Theaterstück, nur meinen Text auf. Für neugierige Leute in der Bar lieferte ich noch die dazugehörige Mimik dazu.

Nach dem Beenden des Gesprächs seufzte ich. Manchmal wünschte ich mir etwas weniger Perfektionismus in der USO, ein wenig mehr Spontanität. Es kam schon so weit, dass ganz normale Dialoge gespielt werden mussten, um sie echt wirken zu lassen. Es sollte ja niemand herausfinden, was Orbanashol-Nordment mir mitgeteilt hatte.

Es ging jetzt also definitiv los: Ab jetzt gab es einen exakten Zeitplan. Im ersten Teil hatte ich wenig zu tun: Ich musste mich nur langsam in eine Seitenstraße beim Freiheitsplatz begeben und mir dort ein Versteck suchen. Dann hatte ich noch eine halbe Stunde – die USO schätzte 34 Minuten – zu warten, bis die Angehörigen der Terrorgruppe vorbeikamen. Sie sollten von USO-Agenten angegriffen und niedergeschlagen werden.

Mein Auftrag war es, die Terroristen unter Einsatz meines Lebens vor den Agenten zu retten und diese in die Flucht zu schlagen. Dabei war der Kampf gegen die Agenten genau geplant: Wir hatten Stunden damit verbracht, ihn zu inszenieren und ihn echt aussehen zu lassen. Immerhin: Ich hatte eine Mordswut im Bauch und würde den guten Leuten sicherlich auch einige blaue Flecken verpassen. Ein paar echte Wunden würden den Kampf sicherlich realistischer erscheinen lassen. Ich lächelte bei diesem Gedanken, er munterte mich etwas auf.

Ich zahlte meine Getränke und verließ die Bar. Auch jetzt schenkte mir niemand übermäßige Aufmerksamkeit. Zumindest nicht mehr, als man einem Angehörigen der Arkoniden, die Lingus brutal überfallen hatten, geschenkt hätte.

*

Nun wartete ich schon etwas länger als 20 Minuten in meinem Versteck. Ich hatte die Zeit genutzt, um meine gesamte Agentenausrüstung loszuwerden – meine Mikrokameras, den Antigrav, einen schwachen Deflektorschild und den speziellen Interkom von der USO. Schließlich sollten mich die Terroristen nicht schon bei dem ersten Zusammentreffen enttarnen.

Bevor es ernst wurde, wollte ich mich aber noch einmal schönen Gedanken hingeben, denn so ruhige Augenblicke würde ich in der nächsten Zeit nicht mehr erleben.

So dachte ich an Falbela, die sich auf Bostich sicher fragte, wo ich steckte. Wir hatten uns vor gut zwei Jahren, während Sarons Aufstand, kennengelernt. Dieser wahnsinnige Pteru wollte die Lehre des Permanenten Konfliktes in Cartwheel verbreiten. Ich hatte eine Mission auf Bostich zu erledigen und ich hatte mich allmählich mit ihr angefreundet. Das hatte die Mission auch vorgesehen, ich hatte nur nicht ahnen können, dass daraus echte Gefühle entstehen konnten: Wir hatten uns verliebt.

Ich musste Bostich verlassen und nahm an verschiedenen Agenteneinsätzen teil. Zusammen mit Will Dean und Jan Scorbit nahm ich Kontakt mit den Helfern Ijarkors auf, leider traf ich den alten Ijarkor nicht selbst.

Mit Hilfe dieser mysteriösen Organisation konnte die Invasion der Pterus gestoppt werden, Saron wurde besiegt und ich bekam wieder Aufträge auf Bostich, wo ich die Beziehung zu Falbela vertiefte. Nun waren wir schon zwei Jahre ein Paar. Ich hatte meistens nur kleinere Spionageaufträge auf Bostich, wir sahen uns praktisch jeden Tag. Die Abkommandierung zu diesem Auftrag hatte ich ihr als längere Geschäftsreise verkauft.

Ja, der Gedanke an sie würde mir Kraft geben, ich musste diesen Auftrag überleben, um sie wiederzusehen. Und danach würde ich den Agentenberuf an den Nagel hängen und mit ihr ein friedliches Leben führen …

Abermals seufzte ich: Das würde nicht möglich sein: Zumindest nicht so lange, wie das Volk der Arkoniden von dekadenten Herrschern wie Uwahn Jenmuhs regiert wurde und die arkonidische Gesellschaft von dekadenten Adeligen geprägt wurde. Und auch nicht so lange, wie eine Entität wie MODROR eine friedliche Galaxie bedrohte. Nein, noch brauchte man Leute mit meinen Fähigkeiten.

Ich schüttelte diese Gedanken ab. Der Beginn des Einsatzes stand unmittelbar bevor. Ich versuchte, aus meinem Versteck heraus die Verstecke der USO-Agenten auszumachen. So sehr ich mich auch bemühte, ich schaffte es nicht. Diese Agenten waren genauso Profis wie ich.

Jetzt hörte ich Schritte: Vier Gestalten kamen die Straße hinab, geradewegs auf mein Versteck zu. Ich konnte nur ruhig bleiben und beobachten, was passieren würde.

Als sie bis auf acht Meter heran waren, passierte es: Aus dunklen Hauseingängen sprangen vier vermummte Gestalten. Eine hatte einen Paralysator und rief: »Ergebt euch, Terroristen. Wir nehmen euch gefangen!«

Die Männer standen sehr dicht hinter den Terroristen, die sich blitzschnell umdrehten. Der eine Agent kam gerade noch dazu, einen Schuss aus dem Paralysator abzuschießen, bevor ihm einer der Männer die Waffe aus der Hand trat. Aber die USO-Agenten hatten es nur noch mit drei Gegnern zu tun.

Jetzt folgte eine wilde Prügelei. Zunächst war es die Aufgabe der Agenten, scheinbar zu verlieren, um den Kampf aufregender und realistischer zu gestalten. Nach kurzer Zeit aber hörte ich ein hässliches Knacken, nach dem der zweite Terrorist zu Boden ging. Nun sahen sich die Verteidiger vier Angreifern gegenüber, die Meister verschiedener Kampfkünste waren. Sie hatten keine Chance mehr.

Ich durfte allerdings noch immer nicht eingreifen, vorher musste es noch einen Arm- und einen Beinbruch geben. Vielleicht etwas grausam, aber es musste ja einen Grund geben, warum die Terroristen auf meine Hilfe angewiesen sein sollten.

Tatsächlich: Es knackte noch zweimal und alle Gegner lagen am Boden. Hoffentlich hatten die USO-Agenten den Terroristen nicht das Bewusstsein geraubt, denn sie sollten immerhin meinen heldenhaften Kampf miterleben.

Ich verließ grinsend mein Versteck. Im Schutze der Dunkelheit schlich ich mich an einen Agenten an und setzte ihn mit einem gezielten Dagorgriff an den Hals außer Gefecht. Die anderen hatten das mitbekommen, zwei stürzten sich auf mich. Sie stellten sich nicht sehr geschickt an: Einem konnte ich den Fuß in den Bauch rammen, der andere Gegner war zäher: Es kam zu einem spannenden Kampf, in dem die guten alten Kampftechniken wie Karate, Judo oder Dagor zum Einsatz kamen. Ich wirbelte meinen Gegner durch die Gegend, setzte Hände, Füße, Arme und Beine ein, gelegentlich auch den Kopf. Es musste ein atemberaubender Anblick für die nicht bewusstlosen Terroristen sein.

Nach einigen Minuten mischte sich auch der letzte USO-Agent ein. Das war das verabredete Zeichen, den Kampf bald zu beenden. Und wirklich: Wie durch ein Wunder traf einer meiner Dagorschläge den ersten Angreifer am Hals und ließ ihn zu Boden gehen. Der andere Kämpfer war ein Kinderspiel: Er stellte sich nicht besonders geschickt an. Ihn schickte ein Fußtritt ins Gesicht ins Land der Träume.

Ich verschnaufte kurz, denn auch ein Schaukampf kann anstrengend sein. Erst dann wandte ich mich den am Boden liegenden Terroristen zu und erstarrte: Schon diese khakifarbenen Kombinationen waren ein schlechtes Zeichen. Die Farbe hatte ich vorher in der Dunkelheit nicht erkannt. Mein Verdacht bestätigte sich: Ausgemergelte, braunhäutige Gestalten, mit tief in den Höhlen liegenden, kleinen grünschimmernden Augen: Es waren Hauri.

Prima! Das hatte mir natürlich keiner gesagt! Ich hatte gedacht, ich hätte es mit Terroristen zu tun, aber nun stellte sich heraus, dass es religiöse Fanatiker waren! Innerlich verfluchte ich Jan Scorbit, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

Einer der Hauri – es war der mit dem gebrochenen rechten Arm – versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Ich half ihm dabei. Er starrte mich daraufhin an, lange und sehr eindringlich. Dann fragte er langsam: »Warum hast du das getan?«

Jetzt wurde es gefährlich: Mit Hauris war nicht zu spaßen, sie waren mir schon immer unheimlich gewesen. Ich musste nun schnell und überzeugend antworten: »Mein Name ist Torom Parek. Ich war hier in der Nähe, als ich Kampflärm hörte. Schon seit Wochen suche ich Kontakt zu eurer Organisation, es ist mir nur bisher nicht gelungen.«

»Welche Organisation?«

»Nun, ich bin schon lange Söldner für die Arkoniden gewesen. Ich musste ihrem Herrscher Uwahn Jenmuhs dienen. Inzwischen bin ich davon abgekommen. Die Welt der Arkoniden stinkt und darf so nicht weiterexistieren. Bei meinen Aufträgen bin ich häufig auf Agenten gestoßen und das«, ich zeigte auf die vermummten Gestalten, »sind garantiert Agenten. Nun sage mir, warum Agenten mitten in der Nacht rechtschaffende Hauri jagen sollten?«

Der Hauri dachte lange nach, sein Blick schien mich durchbohren zu wollen. Dann sagte er langsam: »In Ordnung. Du kannst mitkommen. Aber zuerst versorgen wir die Verwundeten.«

Am Straßenrand entdeckten wir ein paar Holzbretter, mit denen der gebrochene Arm und das Bein geschient werden konnten. Verbunden wurde das Ganze mit Streifen aus dem Hemd des toten Hauri. Die USO-Agenten wurden – falls nötig – noch mit Paralysatorschüssen bearbeitet und so hingelegt, dass eindeutig war, dass sie den unschuldigen Hauri ermordet hatten. Anschließend rief der Hauri mit dem gebrochenen Arm einen Polizeigleiter per Interkom. Ich warf den paralysierten Hauri über die Schulter, er wog zum Glück nicht viel. Der Hauri mit dem gebrochenen Bein stützte sich an dem anderen, dann machten wir uns zum kleinen Stützpunkt der Terroristen auf.

Mich beschlich ein ungutes Gefühl bei der Sache: Irgendwie ging das alles zu einfach …

 

Die Ausbildung

Akaho da Purok, 15. Dezember 1298 NGZ

Ich hatte mich bereit erklärt, der Organisation At-Tarkan, wie die Hauri ihre Terrororganisation nannten, beizutreten. Zu diesem Zweck brachte man mich gleich am nächsten Tag zum Raumhafen, wo ich über eine abenteuerliche Flugroute durch ganz Cartwheel zu einem Hauptstützpunkt der Organisation gebracht wurde. Es handelte sich um das sogenannte »Ausbildungs- und Trainingszentrum für Neuzugänge«. Mittlerweile war es Nachmittag geworden. Der Flug war sehr anstrengend gewesen: Zum einen war der Komfort für Neulinge nicht gerade luxuriös zu nennen, zum anderen wusste ich nie, wie lange der Flug noch dauern sollte und was das Flugziel war. Man sagte mir ja nichts.

Wir landeten auf einem düsteren Planeten, es schien hier gerade Nacht zu sein. Ich war nie gut im Sternbilder deuten und konnte mir so überhaupt nicht vorstellen, wohin mich der Flug verschlagen hatte.

Nach etwa einer halben Stunde bedeutete man mir, mitzukommen. Zwei Hauri brachten mich in ein spärlich eingerichtetes Zimmer: Lediglich ein kleiner Schrank, eine Kaltwassernasszelle und ein hartes Bettlaken fand ich hier. Als Arkonide war ich bessere Unterkünfte gewohnt, so fragte ich vorsichtig nach einer Decke.

»Du wirst dieses Bett nie lange benutzen müssen. Und wenn doch, dann wirst du sicherlich auch hier gut schlafen«, war die Antwort.

Hatte ich gerade so etwas wie Humor gehört? Bisher war mir fremd, dass Hauri zu derlei Gefühlsregungen fähig waren, aber man lernte ja nie aus.

»Keon wird sich bald melden und dich ausbilden. Bereite dich solange darauf vor.« Die Hauri verließen den Raum und ich legte mich auf die Matratze. Es würde ein Wunder sein, wenn ich mich am nächsten Tag noch bewegen können würde.

*

Die Ruhe hielt tatsächlich nicht lange an: Schon nach zehn Minuten erschien ein anderer Hauri und forderte mich auf, ihm zu Keon zu folgen.

Es ging durch einige Gänge und wenige Hallen: Die Wände waren kahl, alles sah gleich aus. Das war schon eher typisch für Hauri: Phantasie besaßen sie nur, wenn es um ihre Religion, die Lehre des Hexameron, ging. Möglicherweise wirkte die Atmosphäre gerade deshalb so bedrückend auf mich.

Nach wenigen Minuten klopfte der Hauri an eine Tür. Wir wurden hereingebeten und ich erblickte Keon: Ein kleiner, leicht gebeugter älterer Hauri, mit einem leichten, aber permanenten hintergründigen Lächeln auf den Lippen. »Willkommen, Torom Parek. Man hat mir schon von dir berichtet. Boto, du kannst gehen. Lass uns alleine, damit ich mich mit unserem neuen Freund in Ruhe unterhalten kann.« Er kicherte leise. Keons Sprechweise war sonderbar: Er sprach betont deutlich und sehr langsam. Das kombiniert mit diesem Lächeln machte ihn mir unheimlich.

»Gut, mein Freund. So setze dich doch. Solange du noch Gelegenheit dazu hast.« Er kicherte wieder. »Wir wollen erst einmal deine Personalien aufnehmen, für die Kartei. Dein Name?«

»Torom Parek.«

»Alter?«

»22 Standardjahre.«

»Ja, ja, die terranische Zeitrechnung. Und trotzdem hat jedes Volk auch seine eigene.« Er kicherte. »Größe?«

»1,97 Meter.«

»Gut, gut, ein großer Junge also. Haarfarbe?«

»Weiß, fingerlang.«

»Natürlich, weiß. Wie jeder Arkonide. Wie dumm von mir. Überhaupt eine interessante Frisur: So wirr durcheinander.« Er fragte weiter: »Augenfarbe? Nein, ich glaube, das sehe ich schon. Rot, wie bei Arkoniden üblich. Ich setze ein strahlend davor.« Schon wieder dieses Kichern, als hätte er einen guten Witz gemacht. Wenn er das noch oft machen würde, dann konnte ich für nichts mehr garantieren.

»Gut, Torom. Dein Gewicht?«

»89 Kilo. Ich habe in den letzten Jahren etwas zugenommen.«

»Das ist kein Problem, mein Freund. Du wirst hier ausgebildet, danach wirst du gut in Form sein.« Wieder das Kichern. »Sicherlich.«

Nach einigen Fragen über mein Leben und meinen Werdegang, für die ich bereits Antworten einstudiert hatte, stand er auf und sagte: »Gut, das genügt zunächst, mein Freund. Wir werden später sicherlich noch Zeit finden, um uns weiter zu unterhalten. Fangen wir doch mit der Ausbildung an.« Er kicherte erneut, doch diesmal endete der Anfall mit einem Husten. Wenn da nicht dieses ungute Gefühl gewesen wäre, hätte ich vielleicht gelacht.

*

Heute waren wir mit einem kleinen Gleiter unterwegs. Ich musste mich wohl auf einem unbekannten Planeten befinden, denn die Anlagen der Terroristen waren gigantisch – riesige Verwaltungsgebäude wechselten sich mit Unterkünften und Übungsgelände ab. Anscheinend hatte die Neue USO die Bedrohung durch die Terroristen bislang unterschätzt.

Schließlich landete Keon vor einer riesigen Halle. Wir stiegen aus und traten ein. Der Anblick war fantastisch: Vor mir breitete sich ein gigantisches Biotop aus, ein Urwald. Er wurde von einigen künstlichen Sonnen beschienen, in einigen Sektoren der Halle regnete es, in anderen war der Wald abgedunkelt.

»Ein schöner Anblick, nicht wahr?« Keon war zu mir herangetreten. »Am besten gefallen mir immer die Tiere, die hier leben. Aber auch die fleischfressenden Pflanzen sind hübsch.« Er grinste mich an.

Ich beobachtete den Wald erneut: Bei genauerem Hinsehen sah man es überall wuseln, kriechen oder schwirren. In der Ferne beobachtete ich, wie ein größeres Tier ein kleineres erlegte, das sich vergebens wehrte. Mich überkam ein ungutes Gefühl.

Keon bestätigte es: »Deine erste Aufgabe, mein Freund, ist es, auf die andere Seite dieses Waldes zu gelangen. Für einen unserer zukünftigen Agenten sollte das kein Problem sein.« Er ließ seine Worte kurz auf mich wirken, dann fügte er hinzu: »Deine Ausrüstung besitzt du bereits: Das, was du bei dir trägst.«

Er lächelte mich freundlich an, zumindest sollte es freundlich aussehen. Langsam staute sich eine Wut in mir auf gegen diesen Kerl. Doch bevor ich mich aufregen konnte, sagte er schon: »Na los, worauf wartest du, mein Freund? Marschiere schon los! Ich werde dich auf der anderen Seite des Waldes erwarten.«

Er machte einige Schritte zurück und ehe ich mich versah, war ich vom Ausgang durch ein Energiefeld abgeschnitten, während sich das Energiefeld, das mich von dem Wald trennte, aufgelöst hatte. Es gab kein Zurück mehr.

*

Ich hatte eine Riesenwut auf Keon, doch jetzt war die Gefahr zu groß: Derartige Gefühle mussten zurückstehen. Jetzt zählte erst einmal nur das Überleben. Es sah nicht gut aus: Die Tiere, die ich beobachtet hatte, wirkten sehr gefährlich und meine Ausrüstung war spärlich: Ich hatte praktisch nichts bei mir außer den Kleidern, die ich am Leib trug. Immerhin hatte ich feste Schuhe an, mit denen man zur Not auch durch einen Dschungel wandern konnte.

Nach meinen Beobachtungen lagen etwa zwei Kilometer Urwald zwischen mir und dem Ziel, sie galt es zu überwinden. Ich tastete mich vorsichtig voran, um keine Tiere aufzuschrecken.

Doch das ging nicht lange gut: Nach knapp 100 Metern hörte ich unter mir einen Schrei: Ich war auf ein Blatt getreten. Nein, jetzt stellte sich heraus, dass unter dem Blatt ein Tier gewesen war, eine Schlange kam zum Vorschein. Sie zeigte spitze Beißzähne.

Ich machte, dass ich davon kam. Dabei war mir egal, ob die Schlange giftig war oder nicht, Bisse von solchen Tieren konnte man nie gebrauchen. Außerdem wusste ich nicht, ob sie auch andere Tiere angelockt hatte.

Diesmal lief es besser: Ich kam sicher 500 Meter weiter. Doch hier versperrte mir eine dichte natürliche Wand den Weg: Ich sah vor mir nur Blätter und Stämme und verspürte keine Lust, mich dort durchzuschlagen. Ich konnte ja nicht wissen, was sich darin verbarg. Eine giftige Spinne konnte genug sein.

Ich wich also nach links aus – doch die Blätterwand nahm kein Ende. Hinter mir vernahm ich ein Zischeln, die Schlange war mir noch immer auf den Fersen. Doch kurz darauf hörte ich ein Grollen und das Zischen verstummte. Ich wandte mich um und erblickte eine riesige schwarz-braune Katze. Nur, dass diese Katze zwei Stoßzähne vor dem Maul und einen auf dem Kopf sitzen hatte. Sie würde die Schlange bald verspeist haben. Dann war ich dran.

Von der anderen Seite kamen jetzt einige Vögel auf mich zugehüpft. Ihre spitzen Schnäbel und die Krallen an den Füßen wirkten nicht vertrauenserweckend.

Zurück konnte ich nicht mehr, es blieb also nur noch die Flucht nach vorne. Ich setzte einige Schritte zurück, nahm Anlauf und sprang in die Blätterwand hinein. Kurz vor dem Aufprall schloss ich die Augen, ich wollte gar nicht wissen, was auf mich zukam.

Wie durch ein Wunder gab die Blätterwand nach – ich fiel. Im Sturz öffnete ich vorsichtig die Augen, um zu sehen, was auf mich zukam. Zunächst der Schreck: Es ging noch sicher zehn Meter abwärts, aber erleichtert stellte ich fest, dass ich in einen kleinen See fallen würde. Meine Schulter brannte, anscheinend hatte ich mir durch einen Dorn eine Schnittwunde geholt.

Ich stürzte ins Wasser. Sekunden später stieß ich hart auf dem Boden auf, das Wasser war nicht tief genug gewesen. Ich beeilte mich, aufzutauchen und schwamm an Land. Zumindest wollte ich das tun, aber eine Strömung erfasste mich, ich wurde zu einem Fluss gezogen. Meine Geschwindigkeit erhöhte sich stetig, die Strömung wurde immer reißender.

Weit vor mir erblickte ich einige Steine im Wasser. Wenn ich mit dieser Geschwindigkeit auf sie prallte, war es sicher aus. Ich musste ans Ufer kommen.

Mit aller Kraft versuchte ich ans Ufer zu steuern, es kam aber nur quälend langsam näher. Außerdem meldete sich meine Schulter wieder, die Schmerzen wurden beinahe unerträglich. Vermutlich hatte mich kein normaler Dorn getroffen. Oder im Wasser war irgendein Giftstoff.

Die Steine kamen immer näher. Ich würde es nicht schaffen, meine Kraft reichte einfach nicht aus. Verzweifelt blickte ich mich um und sah einen sehr dicken Ast, der in das Wasser ragte. Eine letzte Kraftanstrengung und ich erreichte ihn. Krampfhaft hielt ich mich an dem Ast fest und versuchte mich ans Ufer zu hangeln. Immerhin schöpfte ich ein wenig neue Kraft, denn das Festhalten war nicht so anstrengend, wie das Schwimmen.

Zunächst ging alles gut, doch als ich schon Hoffnung schöpfte, brach der Ast. Wieder wurde ich in die Mitte des Flusses gerissen, nur diesmal hatte ich den Ast mit beiden Händen umklammert.

Den ersten Steinen konnte ich noch ausweichen, doch ein besonders großer Felsen lag genau auf meiner Bahn. Ich hielt den Ast fest und wartete auf den tödlichen Aufprall.

Der Aufprall kam auch, der Ast zerbrach dabei. Meine Hände schmerzten und durch meine wunde Schulter zuckte eine Welle an neuen Schmerzen. Ich schrammte mehrmals an den Felsen an, aber der Ast hatte die größte Wucht des Aufpralls genommen und meine Kleidung hielt die ärgsten Verletzungen auf.

Es gab noch einige Beinahe-Kollisionen und ich stürzte einen Wasserfall hinab, der aber zum Glück nicht besonders tief war. Diesmal landete ich in ruhigem Gewässer. Ich schwamm zum Ufer und ließ mich auf den Boden fallen.

Ich wurde von einem Fauchen aufgescheucht. So sprang ich auf und rannte los. Ich rannte und rannte, sah mich nicht um, ich wollte gar nicht wissen, was mich verfolgte. Ich wollte nur noch raus aus diesem Dschungel. Nur noch weg von hier.

Irgendwann gelangte ich zu einem Energiefeld. Man schaltete mir eine Strukturlücke und ich stürzte dahinter zu Boden. Dann verlor ich das Bewusstsein.

*

Viel Ruhe wurde mir nicht gegönnt: Schon eine Stunde später wurde ich wieder geweckt. Wie die Hauri-Mediziner das fertig gebracht hatten, war mir ein Rätsel. Doch darüber machte ich mir in dem Moment keine Gedanken. Viel mehr beschäftigte mich der Anblick der Person, die ich zu dem Zeitpunkt am wenigsten sehen wollte: Keon!

Er grinste mich an und sagte: »So, mein Freund. Du bist also wieder auf den Beinen. Es freut mich, dich gesund und munter zu sehen. Deine Leistung war außergewöhnlich gut, man plant, dich mit in unseren nächsten Einsatz zu schicken. Natürlich nur, wenn du dazu bereit bist. Nun, und das – ja das werde ich entscheiden.« Er kicherte leise in sich hinein.

»Wer – was bist du? Du kannst kein Hauri sein«, hauchte ich. Hauris waren keine Individualisten, sie dachten stets im Kollektiv. Sie hatten keinen Humor, dachten immerzu zielstrebig an ihr großes Ziel: Die Zerstörung des Universums, um ein neues zu schaffen.

Keons Grinsen wurde breiter: »Kein Hauri?« Er schüttelte den Kopf und fuhr lächelnd fort: »Aber nicht doch. Auch in unserem Volk kommt es hin und wieder vor, dass Kinder geboren werden, die – anders – sind. Afu und Raufu sind solche Leute und auch ich dürfte dazu zählen. So etwas ist nur natürlich, jemand muss das Volk ja koordinieren. Es führen. Leute wie wir haben einfach den größeren Überblick. Durch unsere Arbeit dienen wir ebenfalls dem Kollektiv.«

»Raufu? Afu? Wer sind sie?«

»Alles zu seiner Zeit, mein Freund. Erst wirst du fertig ausgebildet, dann wirst du mehr erfahren.« Keon erhob sich. »Und jetzt, mein Freund, stehe auf. Wir müssen das Training fortsetzen.«

Ich fasste es nicht: Mein ganzer Körper schmerzte, ich war vollkommen erschöpft, dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen und schon sollte ich diese grausame Ausbildung fortsetzen? Das konnte doch nicht Keons Ernst sein.

Keon bemerkte mein Zögern und sagte: »Aber, aber. Diesmal wirst du deine Kräfte nicht brauchen, wir wollen nur miteinander reden. Im Übrigen ist es viel besser, wenn du nicht fit bist, dann können wir nämlich davon ausgehen, dass du die Wahrheit sprichst, mein Freund.«

Anscheinend nutzte keine Widerrede – Keon war gefährlich, ich musste mich ihm beugen. Mühsam richtete ich mich auf und folgte ihm in ein Labor.

»Ich möchte, dass du dich auf diesen Sessel legst. Es ist eine Spezialkonstruktion.«

Das sah ich auch: Schon die Stahlfesseln an den Lehnen und beim Beinstück ließen mich nichts Gutes vermuten. Um den Sessel herum standen allerlei Apparaturen, einige davon kamen mir bekannt vor. Ich meinte, sie schon mal bei der USO gesehen zu haben – in den Räumen, in denen Gefangene verhört wurden.

»So setz dich doch und mache es dir bequem. Ich will doch nur mit dir reden. Wenn du alles richtig machst, dann wird es auch nicht wehtun, mein Freund.«

Diesmal betonte er die letzten Worte besonders deutlich. Doch, diese versteckte Drohung war bei mir angekommen. Ich setzte mich behutsam, Keon machte meine Arme frei und befestigte Arme und Beine mit den Stahlfesseln. Danach legte er einige Kontakte auf meine Arme.

Jetzt wurde es ernst: Es würde sich zeigen, wie gut ich in der USO ausgebildet worden war und wie gut ich lügen konnte. Im wachen Zustand war ich Meister darin gewesen, aber jetzt war ich völlig ausgebrannt. Ich konnte wahrscheinlich sogar froh sein, wenn ich nicht mitten im Verhör einschlief und im Schlaf die Wahrheit vor mich hinmurmelte.

Aber selbst wenn mir das gelang, konnte mich Keon immer noch in Widersprüche verwickeln, langsam und immer tiefer. Es wirkte, als ob Keon ein Meister darin sei.

Der Folterknecht war inzwischen fertig mit den Anschlüssen. Er setzte sich mir gegenüber und lächelte mich freundlich an. Wie mir dieses falsche Lächeln zuwider war. Aber ich musste mich jetzt auf das Verhör konzentrieren und durfte mich nicht von Gefühlen leiten lassen. Sonst hatte Keon sein Ziel erreicht.

»Nun, dann wollen wir mal anfangen. Dein Name?«, begann er.

*

Todmüde fiel ich auf die Matratze. Das Verhör hatte mich so angestrengt, dass ich sofort schlafen wollte. Nur konnte ich nicht: Hatte ich alles richtig gemacht? War meine Geschichte glaubwürdig? Keon war das ganze Verhör über freundlich geblieben, nie hatte er seine Miene verändert. Hin und wieder hatte er dieses grässliche Kichern von sich gegeben, oft nur, um über seine eigenen Witze zu lachen.

Streckenweise hätte ich fast die Konzentration verloren. Teilweise hatte mich nur der Gedanke an Falbela wach bleiben lassen. Wie mochte es ihr wohl gehen? Vermisste sie mich? Hatte man meine wahre Identität herausgefunden und ihr nachgestellt? Ich musste sie unbedingt wiedersehen, das war im Augenblick mein einziges Ziel. Mit den Gedanken bei ihr schlief ich endlich ein.

 

In der Höhle des Löwen

Akaho da Purok, 19. Dezember 1298 NGZ

Drei weitere Tage hatte mich Keon noch ausgebildet. Es war eine sehr harte Zeit gewesen: Ich hatte viele andere Trainingsgebiete kennen gelernt. In einer Eislandschaft hatte ich mir schwere Erfrierungen geholt, die aber dank der heutigen Medizin wieder vollständig auskuriert werden konnten. Auch die Wüstenlandschaft hatte es in sich, ich weiß noch immer nicht, wie ich dem Treibsand entronnen bin. Einmal musste ich auch wieder in den Dschungel zurück, diesmal war es aber meine Aufgabe, mich auf einer fünf Meter breiten Straße, nur durch Energiefelder vom Rest des Dschungels getrennt, durchzuschlagen. Jede Minute musste ich einen Kontakt auslösen, sonst wären die Energiebarrieren gefallen und ich wäre wieder den Tieren ausgesetzt gewesen.

Aber ich hatte auch Dinge für den terroristischen Alltag gelernt: So musste ich zusammen mit anderen Agenten eine Bombe auf einem gut bewachten Raumhafen platzieren, oder wichtige Unterlagen aus einem Büro des Ausbildungshauses beschaffen. Ich war auch noch zweimal verhört worden, aber Keon schien mit mir zufrieden zu sein, soweit ich das feststellen konnte.

Am 19. Dezember – vier Tage war ich ausgebildet worden – gönnte man mir einen Vormittag Erholung. Gegen 12 Uhr kam Keon und sagte mir, ich sei ins Hauptquartier beordert worden. Man hätte einen wichtigen Auftrag für mich. Die Abreise fand eine Stunde später statt, wieder erfuhr ich nicht, wohin es gehen sollte. Nur war der Flug diesmal erheblich kürzer, nach lediglich zwei Stunden erreichte ich das Hauptquartier der Terrororganisation. Ich sollte hier dem Anführer Afu-At-Tarkan vorgestellt werden.

Keon war zum Glück nicht mitgekommen. Ich hätte bei seinem Anblick wahrscheinlich, trotz USO-Ausbildung, bald für nichts mehr garantieren können.

Der Weg zum Büro des Anführers war nicht weit, wahrscheinlich lag es genau in der Mitte des Gebäudes. Kurze Zeit später stand ich Afu-At-Tarkan, dem gepriesenen Kopf der mächtigsten Terrororganisation, gegenüber. Um nicht respektlos zu erscheinen, kniete ich vor ihm nieder und schwieg.

Er sagte daraufhin: »Gepriesen sei Heptamer, unser aller Herr. Wir dienen nur ihm und seiner Lehre!«

Ich entgegnete: »Wir dienen nur dem Großen Ziel.« Diese Formulierung schien mir unverfänglich.

Nach einer Weile sagte Afu: »Erhebe dich, Arkonide. Keon hat mir von dir erzählt, er hält große Stücke auf dich. Du kommst gerade zur rechten Zeit, denn wir haben eine Aufgabe, für die du dich prächtig eignest.«

Ich stand langsam auf und betrachtete den Anführer der Organisation: Afu war schätzungsweise 1,80 Meter groß und er wirkte bereits etwas älter. Ich schätzte ihn auf 100 Jahre. Er war, wie die meisten Hauri, ausgemergelt und dürr, wog bestimmt keine 60 Kilo. Seine Augen waren grau, aber ich bemerkte ein leichtes grünes Schimmern in ihnen.

Afu begann: »Es ist selten, dass wir Arkoniden in unserer Organisation begrüßen dürfen. Ihre Ideologie ist falsch, die meisten sind dekadent und sie sind ungläubig. Umso mehr freut es uns, einen Andersdenkenden zu sehen. Und jetzt ist die Zeit gekommen, um dich zu prüfen: Du erhältst deinen ersten Auftrag!«

»Ich bin bereit«, sagte ich laut.

»Gut, gut. Deine Aufgabe ist einfach, aber von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wir verlangen von dir, dass du in das Regierungsgebäude von Bostich gehst und dort an einer bestimmten Stelle eine Bombe legst.« Afu drückte einen Knopf. »Gleich kommt Raufu, er wird dir die weiteren Details verraten. Gelobt sei Heptamer!«

Nur wenige Augenblicke später betrat Raufu den Raum: Er war deutlich größer als Afu und etwas kräftiger gebaut. Außerdem war er höchstens halb so alt wie der Meister.

»Raufu ist ein wichtiger Mitarbeiter unserer Organisation: Er ist ein ausgezeichneter Planer, aber auch im Einsatz ist er unverzichtbar. Er wird mit dir zusammen in den Einsatz gehen und ein Auge auf dich werfen. Wir glauben, du wirst es weit bringen.«

»Wenn ich einen derart wichtigen Auftrag ausführen soll, sollte ich dann nicht etwas mehr über diese Organisation wissen?«

Afu reagierte sonderbar: »Ich, ein Schüler des großen Ab-e-Metul und Nachkomme des mächtigen Afu-Metem, des Herren des Feuers, bin dir keine Rechenschaft schuldig!«, schrie er.

Schnell beruhigte er sich wieder und fuhr regelrecht freundlich fort: »Raufu wird dir später vielleicht etwas über uns erzählen, aber es liegt in seinem Ermessen, was du wissen sollst.« Er setzte eine Kunstpause und fuhr fort: »Gelobet sei Heptamer. Ihr seid entlassen.«

»Gelobet sei Heptamer!«, wiederholten Raufu und ich und verließen den Raum.

*

»Die Mission startet in einer Stunde. Da alle Vorbereitungen getroffen sind, werde ich dich hier etwas herumführen.«

»Eine gute Idee«, stimmte ich zu.

Wir marschierten durch das Gebäude. Wieder gab es nur kahle, trostlose Gänge. Auch Hallen, Treppenhäuser, Labors und Unterkünfte, alles war spartanisch und nüchtern ausgestattet. Antigravschächte suchte ich vergebens, anscheinend versuchte man, Energie zu sparen, um nicht so leicht geortet werden zu können.

Raufu verhielt sich zunächst ruhig, erst nach einer Viertelstunde begann er zu berichten: »At-Tarkan wurde vor einigen Monaten gegründet, die Anlagen errichteten wir Hauri selbst, denn für das große Ziel arbeiten wir gerne. Wir haben große Stützpunkte auf drei dir unbekannten Planeten, deren Standorte nur ganz wenigen bekannt sind. Aber auf so ziemlich jedem wichtigen Planeten Cartwheels arbeiten Terrorzellen, die über Verbindungsleute Kontakt zur Zentrale halten und ihre Aufträge übermittelt bekommen. Diese Zellen sind ansonsten völlig unabhängig und wissen nichts über die Hauptorganisation. Werden sie geschnappt, können sie nichts über uns berichten. Mal abgesehen davon, dass Hauri das nicht tun, denn sie dienen alle dem Großen Ziel.«

Viel mehr Interessantes erfuhr ich nicht mehr, auch der weitere Rundgang war nicht besonders aufschlussreich. Ich war fast froh, als Raufu und ich uns zum Raumschiff begaben, das uns nach Bostich bringen sollte.

*

Als wir auf Bostich ankamen, war es bereits Abend geworden. Das Regierungsgebäude war allerdings noch eine Stunde für jedermann begehbar. Wir passierten die Waffenkontrolle problemlos und ließen uns in das achte Stockwerk tragen. Dort standen wir unvermittelt vor verschlossenen Türen: Der Gang war für die Öffentlichkeit gesperrt. Alle Versuche, die Tür zu öffnen, schlugen fehl. Auch wenn mir die Versuche teilweise etwas plump vorkamen.

Nach einer Weile sagte Raufu: »Gut, wir ändern den Plan: Wir legen die Bombe vor dieser Tür. Die Explosion müsste stark genug sein, um einige Büros mitzureißen. Da hier wichtige Daten gespeichert werden, dürfte auch das ein erfolgreicher Anschlag werden.«

Raufu zauberte mehrere seltsame Gegenstände aus verschiedenen Taschen seines Anzugs und begann, sie geschickt zusammenzusetzen.

»Dies ist Raufon, eine Eigenentwicklung unserer Organisation«, erklärte er mir. »Ein Sprengstoff, der aus verschiedenen, einzeln ungefährlichen Materialien besteht. Zwischen diese drei Materialien kommt ein neutraler Stoff, der sich langsam auflöst. Kommen alle drei Stoffe zusammen, gibt es eine Explosion.«

Eine raffinierte Idee, schon seit Jahrtausenden gab es immer wieder neue Sprengstoffe, die man bei Kontrollen nicht bemerken konnte. Viele waren inzwischen lokalisierbar, aber es wurden ständig neue erfunden. Die USO kam mit ihren Forschungen gar nicht nach.

»Wir haben etwa 20 Minuten, dann geht die Bombe hoch. Verschwinden wir.«

Wir erreichten ohne Probleme das kleine Raumschiff und hatten Bostich bereits verlassen, als die Bombe explodierte. Wir hörten die Nachrichten der arkonidischen Sender, nach den aktuellen Meldungen schien die Explosion einer Katastrophe gleichzukommen. Alle Sicherheitskräfte waren zum Regierungsgebäude beordert worden …

»Wir scheinen einen erfolgreichen Schlag gelandet zu haben!«, meinte ich nur.

 

Der Tag danach

Im Regierungszentrum auf Paxus war einiges los: Kaum jemand hatte in der letzten Nacht ein Auge zugetan. Die beiden Anführer der USO, Jan Scorbit und Rosan Orbanashol-Nordment, hatten bereits am frühen Morgen einen Termin mit Sam. Die drei trafen sich in Sams Büro.

»Ich kann immer noch nicht fassen, was passiert ist. Eine solche Brutalität. Anschläge auf Theater, Kinos und Freizeitzentren sind so widerlich«, meinte Rosan sichtlich berührt.

Der Anschlag auf das Theater auf Bostich war nicht der Einzige geblieben: Nur kurze Zeit später fanden auf Saggittor, Dorgon, Mankind und Paxus ähnliche Anschläge statt. Alle nach demselben Muster: Zuerst ein Ablenkungsmanöver, danach der Anschlag. Dabei hatten immer zehn Kampfroboter öffentliche Veranstaltungen mit viel Prominenz gestürmt und alles erschossen, was sich nicht wehren konnte. Insgesamt waren bei diesen Anschlägen 2391 Wesen ums Leben gekommen, um das Leben weiterer wurde noch in Krankenhäusern gekämpft. Aber nicht alle würden es schaffen.

Sam schüttelte den Kopf. »Die Aussagen der Überlebenden sind wirklich eindeutig? Keine Zweifel?«

»Nein, leider keine Zweifel möglich. Zwei Überlebende auf Mankind und einer auf Saggittor behaupteten, sie hätten Pterus am Ort des Geschehens gesehen, mit demselben Zeichen auf den Kombinationen wie die Kampfroboter. Sie haben das auch der Presse erzählt, die Sache ist also nicht mehr geheim.«

»Das ist eine Katastrophe, jetzt haben alle Menschen Cartwheels ihren Sündenbock. Sie misstrauen den Helfern Ijarkors sowieso. Wir müssen öffentlich Nachforschungen anstellen. Ich hätte das lieber im Verborgenen getan.«

Jan war nachdenklich geworden. »Sonderbar: Ich habe Ijarkor vor zwei Jahren getroffen, seine Organisation hatte uns damals geholfen, mit Saron fertig zu werden. Warum sollte sie sich jetzt gegen uns stellen?«

Rosan mischte sich ein: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Helfer Ijarkors so plump vorgehen würden. Wer rennt denn schon mit Emblem vor die Kameras? Auf der anderen Seite gibt es keinen Bekennungsruf der Helfer. Das ist sehr ominös.«

»Mir will das auch nicht recht in den Sinn. Aber das Volk will einen Schuldigen und wir müssen ihm einen präsentieren«, glaubte der Generalsekretär.

»Gut, ich werde ermitteln lassen, was dahinter steckt«, erklärte Scorbit. »Wobei wir zum nächsten Punkt kämen: Akaho hat sich noch nicht gemeldet. Er ist schon lange überfällig.«

»Wahrscheinlich hat er es nicht geschafft. Wir hätten ihn besser vorbereiten müssen.«

Jan schüttelte den Kopf. »Nein, Sam. Dafür war keine Zeit. Diese Terroristen konnten jederzeit zuschlagen.« Er überlegte kurz, dann sagte er: »Auf der anderen Seite könnten auch die Terroristen etwas mit dem Anschlag zu tun haben. Sie haben doch einen großen Schlag geplant.«

»Es dürfte aber schwer sein, das zu beweisen. Überhaupt: Beweise dafür zu beschaffen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Wir müssen auf Akaho hoffen, nur er kann sie liefern.«

 

Akaho da Purok

Auf dem Rückflug hatte ich in den Nachrichten mitbekommen, was auf Bostich passiert war. Raufu hatte mir danach das ganze Ausmaß der Ereignisse erklärt. Ich hätte ihn in diesem Augenblick erwürgen können, doch genau das durfte ich nicht tun. Mir wurde klar, dass es kein Zufall war, dass ich auf Bostich eingesetzt worden war. Man hatte testen wollen, ob ich loyal zur Organisation stand und es verkraften würde, bei einem Terroranschlag gegen mein eigenes Volk mitgewirkt zu haben.

Für die Zeit des Fluges schaffte ich es, meine Fassung zu bewahren. Aber nach meiner Ankunft eilte ich auf mein Zimmer und warf mich auf die Matratze. Ich dachte an die vielen Opfer. Den nächsten Anschlag musste ich sabotieren, ich konnte bei diesem Übel nicht mehr länger tatenlos mitmachen. Ich verfluchte dieses Universum und seine Bewohner, die es nicht schafften, einfach friedlich miteinander zu leben.

Wenigstens musste ich nicht fürchten, beobachtet zu werden, denn es gab keine Überwachungskameras in den Wohnbereichen. Immerhin die Intimsphäre respektierten diese Scheusale.

*

Don Phillipe de la Siniestro, der Marquês und Paxus-Rat für die Terraner, hatte einen langen Tag hinter sich: Er hatte sich bereits kurz nach den Anschlägen an das Volk wenden müssen, schließlich erwartete dieses unverzügliches Handeln der Regierungen. Der Marquês war daraufhin durch ganz Cartwheel gereist, um sich mit den Regierungschefs zu besprechen und Ansprachen an die Völker zu richten. Außerdem hatte er eine Konferenz mit Will Dean und Jan Scorbit gehabt. Doch der wichtigste Tagesordnungspunkt stand noch aus: Die offizielle Rede an ganz Cartwheel.

Für einen normalen Menschen wäre ein solcher Tagesablauf unmöglich gewesen, auch Don Phillipe fühlte sich trotz seines Zellaktivators etwas ausgelaugt. Immerhin gab es diesmal keinen Grund zur Sorge, er hatte gute Neuigkeiten zu verkünden.

Der Marquês war ein sehr begabter Redner, alleine sein Auftritt und seine Mimik zogen die Zuhörer in den Bann. Außerdem hatte der Marquês die Cartwheeler auf seiner Seite, spätestens nach seiner friedlichen Lösung des Krisenfall Lingus war er zum beliebtesten Mann Cartwheels geworden.

Jetzt trat er vor die Trivideokameras. Neben ihm stand Cauthon Despair. Der silberne Ritter war ein ständiger Begleiter des Marquês geworden. Er schien dem Posbi Diabolo, zumindest offiziell, den Rang abgelaufen zu haben. Bevor der Terra-Administrator zu sprechen begann, schwieg er noch eine Weile, um seine Präsenz auf die Zuschauer wirken zu lassen.

»Verehrte Bewohner Cartwheels, ich spreche heute aus einem sehr traurigen Anlass zu Ihnen. Es hat auf den Planeten Paxus, Saggittor, Dorgon, Bostich und Mankind schreckliche Terroranschläge gegeben: Kampfroboter haben öffentliche Veranstaltungen gestürmt und wahllos alle Lebewesen getötet, die sie aufspüren konnten. Es hat dabei insgesamt 2412 Opfer gegeben. Zweitausendvierhundertundzwölf!«

Der Marquês ließ die Worte eine Weile wirken, die Zuschauer sollten sich vorstellen, welche Ausmaße der Anschlag angenommen hatte und sie sollten den Toten gedenken.

»An allen Tatorten haben wir Spuren gefunden, die darauf hindeuten, dass die Organisation der Helfer Ijarkors ihre Finger im Spiel haben könnte. Überlebende haben den Verdacht bestätigt und wir werden hart arbeiten, um die Schuldigen zu finden. Derzeit versuchen einige Agenten, an die Organisation heranzukommen.

Mir ist bekannt, dass große öffentliche Veranstaltungen sich hervorragend für Attentate und Anschläge anbieten, die Prominenz sitzt quasi auf dem Präsentierteller. Meine baldige Hochzeit mit Dorys Gheddy ist so eine Veranstaltung. Um die Gäste zu schützen, müsste ich die Hochzeit absagen. Doch damit würden wir den Terroristen nachgeben, uns von ihnen einschüchtern lassen. Aber genau das werden wir nicht tun! Die Hochzeit wird stattfinden und es wird keine Zwischenfälle geben! Die Täter werden gestellt und verurteilt.«

Wieder setzte der Marquês eine Pause. Jetzt kam der wichtigste Teil der Rede, er wollte diesen hervorheben.

»Um die Sicherheit in Cartwheel schnellstmöglich wiederherzustellen, habe ich heute einige sehr vielversprechende Abkommen getroffen. So hatte ich ein wichtiges Gespräch mit Uwahn Jenmuhs. Wir sind uns einig geworden und haben folgendes besprochen: Die drei größten Geheimdienste – der TLD, die USO und der Tu-Ra-Cel – werden zusammenarbeiten, um die Terroristenorganisationen ein für alle Mal zu zerschlagen. Wir werden nicht ruhen, bis dieses Ziel erreicht ist. Es wird wieder Frieden in Cartwheel herrschen und jeder, der meint, er müsse sich gegen dieses Ziel stellen, wird es bitter bereuen!

Ich hoffe, dass ich euch alle – Dorgonen, Saggittonen, Blues, Arkoniden, Terraner und Angehörige aller anderen Völker in Cartwheel – mit diesen Worten beruhigen kann. Es werden keine Worte bleiben, es werden Taten folgen! In diesem Sinne wünsche ich allen Bewohnern Cartwheels eine ruhige und angenehme Nachtruhe.«

*

Die Rede des Marquês hatte in Cartwheel wie eine Bombe eingeschlagen. Viele Leute standen der neuen Allianz skeptisch gegenüber, andere befürchteten die Einführung eines Polizeistaates, aber die meisten waren zuversichtlich. Und wenn sie es nur waren, weil sie dem Marquês vertrauten. Die Popularität des ältesten Terraners war nie größer gewesen.

Niemand ahnte, dass die langsame Annäherung der beiden Machtblöcke der Terraner und der Arkoniden Teil eines umfangreichen, langfristigen Planes war, den Cau Thon mit den anderen Söhnen des Chaos geschmiedet hatte.

Der Marquês ließ sich nach der Rede echauffiert in seinen Sessel fallen. Diabolo wartete in diesem Büro auf ihn.

»Nun, Marquês, eine beeindruckende Rede. Die Söhne des Chaos sind ihrem Ziel wieder näher gekommen. Es mussten nur wieder viele tausend Menschen dafür ihr Leben lassen«, sprach der Posbi zynisch.

Despair schritt an ihm vorbei und sagte: »Dein Sarkasmus könnte eines Tages dein Ende bedeuten, geschwätziger Roboter.«

Diabolo schwieg.

Der Marquês verdrehte die Augen. Er war dem Schlaf nahe, doch etwas anderes ließ ihn vor Sorgen nicht zur Ruhe kommen: Die Hochzeit mit Dorys Gheddy. Er wollte sie absagen, doch diese Verbrecher, die Gheddys, erpressten ihn immer noch!

»Sind die Vorbereitungen für die Hochzeit schon getroffen?«, fragte er den Posbi. »Falls nicht, können wir sie gerne verschieben …«

Diabolo verneinte den Wunsch des Marquês. »Alles ist vorbereitet. Trotz der Terrorakte werden Sie Ihre Hochzeit gebührend feiern.«

»Dezent bitte, Diabolo! In diesen schweren Zeiten muss ich auf mein Image achten. Es ist schon schlimm genug, dass die Hochzeit und Weihnachten sich nahe liegen.«

»Das sieht Ihre zukünftige First Lady aber anders. Sie wollten eine Prunkhochzeit mit Fernsehübertragung. Allein ihr Hochzeitskleid wird wohl drei Millionen Galax kosten.«

Der Marquês fing an zu husten. Er stellte klar, dass die Hochzeit nicht übertrieben wirken sollte. Das Volk hätte kein Verständnis, wenn er ein rauschendes Fest gab, während andere Menschen durch den Terror ihr Leben verloren.

»Wie dem auch sei, Marquês«, meinte nun der Silberne Ritter. »Alles verläuft nach Plan. Schon bald werden die nächsten Terrorwellen die Insel heimsuchen und die Amtszeit des blauen Somers wird sich dem Ende neigen.«

 

Der zweite Streich

Akaho da Purok; 21. Dezember 1298 NGZ

Erst nach einigen Stunden betrat ein Hauri mein Zimmer. Ich hatte nach meinen Gefühlsausbrüchen einen Rundgang durch die Organisation gemacht, um der USO eine Nachricht zukommen zu lassen.

Aber es war hoffnungslos, jede Syntronik und jedes Funkgerät war gesichert, alle Nachrichten wurden kontrolliert. Außerdem wurde der ganze Komplex überwacht: Es wäre aufgefallen, wenn ein neuer »Agent« plötzlich Kontakt mit irgendjemandem aufgenommen hätte, denn die Regeln von At-Tarkan besagten ausdrücklich, dass derartige Kontakte nicht bestehen durften!

Frustriert war ich in meine Kabine zurückgekehrt, hatte es sogar geschafft, einige Stunden zu schlafen. Danach hatte ich mich frisch gemacht und jetzt lief ich mit dem Hauri zu Afu-At-Tarkan, der mich sprechen wollte.

Man sagte mir nicht, was At-Tarkan von mir wollte. Er konnte mich also entweder für den gelungenen Einsatz loben oder meine Hinrichtung befehlen. Raufu war ein guter Beobachter, ich konnte nicht wissen, was er Afu erzählt hatte.

Schließlich erreichten wir Afus Audienzsaal, anders konnte man sein Zimmer nicht beschreiben. Der Meister der Organisation stand vor seinem Thron und breitete seine Arme aus. Sofort fiel ich auf die Knie und sagte demütig: »Großer Meister, ich bin nicht würdig, von dir angesehen zu werden.« Diese Haltung schien mir sinnvoll und ich hatte recht, Afu war geschmeichelt.

»Steh auf, Torom Parek. Raufu hat mir von dem Einsatz berichtet. Du hattest nur eine passive Rolle, aber deine Reaktionen auf die Situationen haben uns bewiesen, dass du ein fähiger Mann bist. Raufu möchte dich in seinem nächsten Anschlag einsetzen: Als Hauptperson. Raufu, erkläre ihm die Details!«

Afu setzte sich, ich blieb aber vorsichtshalber auf dem Boden kniend. Doch Raufu forderte mich auf, aufzustehen. Dann sagte er: »Heute Abend sollen zwei nagelneue Luxusraumer vom Raumhafen Bostichs starten. Es werden je 2000 Passagiere an Bord erwartet. Die Schiffe werden heute ein letztes Mal technisch überprüft. Wir haben dich in das Technikerteam eingeschleust. Du sollst die Syntroniken der Schiffe prüfen und nebenbei die Computer so manipulieren, dass ich die Schiffe steuern kann.«

»Ja, es soll ein kleines Feuerwerk über dem Raumhafen geben!«, ereiferte sich Afu. »So viele dekadente Arkoniden werden sterben!«

»Dein Schiff startet in einer Stunde vom Hangar. Sei pünktlich. Gelobet sei Heptamer!«

»Gelobet sei Heptamer«, wiederholte ich.

»Du darfst wegtreten.«

Ich verließ den Saal und überlegte bereits fieberhaft, wie ich die Katastrophe verhindern konnte.

*

Afu und Raufu blieben zurück. Nach einer Weile sagte Afu: »Unser erster großer Schlag lief ausgezeichnet, Cau Thon kann stolz auf uns sein.«

»Ja, das kann er. Und unser nächster Schlag wird nicht weniger spektakulär. Wenn Torom seine Arbeit gut macht.«

»Zweifelst du daran?«

»Eigentlich nicht. Auch Keon meint, er sei zuverlässig. Aber er ist immer noch Arkonide.«

Afu war nachdenklich geworden: »Ja, es ist ein Glücksfall, dass wir ihn rekrutiert haben. So können wir diese Aktion durchführen. Einen Hauri hätte man wohl nicht auf die Schiffe gelassen.«

»Wie dem auch sei, ich werde ihn auf jeden Fall im Auge behalten. Falls er auf dumme Gedanken kommen sollte.«

*

Die Einschleusung in die Reederei Arigam lief ohne Probleme. Die Organisation hatte dafür gesorgt, dass ein Techniker kurz vor der letzten Inspektion krank wurde und hatte mich als ersten Ersatzmann in den Computer der Reederei eingespeist. Eines musste ich der Organisation lassen: Sie arbeitete effektiv und zielstrebig – beängstigend zielstrebig.

Ich befand mich jetzt auf dem ersten der beiden Schiffe, der JENMUHS EHRE. Während zwei andere Techniker die restlichen Geräte in der Zentrale überprüften, nahm ich mir die Hauptsyntronik vor. Über ein winziges Mikrophon am Ohr gab mir Raufu Anweisungen, über das am Kehlkopf stellte ich Fragen. Raufu hatte die Pläne der Syntronik vor sich liegen und wusste immer genau, was zu tun war.

Dennoch hatte ich meine eigenen Pläne: Beim letzten Anschlag hatte ich nichts gegen das Unglück unternehmen können, hier lagen die Dinge anders. Sollten die beiden Luxusraumschiffe über dem Raumhafen zusammenstoßen, so war das allein meine Schuld. Das konnte ich als USO-Agent nicht auf mich nehmen. Ich musste mich also nach der Ausführung dieses Auftrages sofort absetzen.

Viel verstand ich nicht von Syntroniken, aber in der Ausbildung als Agent hatte ich einige Hypnoschulungen erhalten, durch die ich ein gewisses Grundwissen erhalten hatte. Es war schwer, aber ich konnte die Konsole auf meine Art umprogrammieren. Raufu sollte sein blaues Wunder erleben.

*

Etwa eine Stunde später waren beide Konsolen umprogrammiert. Jetzt wollte Raufu prüfen, ob ich ganze Arbeit geleistet hatte. Das war der kritische Moment. Nach einer Weile hörte ich: »In Ordnung, ich erhalte Zugriff auf die Syntroniken. Ziehe dich jetzt zum verabredeten Treffpunkt zurück, wir holen dich ab.«

Das hatte ich natürlich nicht vor: Mein Schwindel würde bald auffliegen, dann musste ich mich vor der Organisation in Sicherheit gebracht haben.

Ich verabschiedete mich von den anderen Technikern, gab einen Bericht an meine Vorgesetzten ab und verließ den Raumhafen. Danach ging ich langsam auf den Treffpunkt zu, der einige Straßen stadteinwärts lag. In einer Nebenstraße entfernte ich behutsam die Mikrophone, dann setzte ich den Weg in die andere Richtung fort. Ich hatte mir den Plan von Bostichs Hauptstadt genau angesehen, ganz in der Nähe musste ein Lokal zu finden sein, in dem die Neue USO einen Verbindungsmann hatte.

Als das Lokal bereits in Sichtweite war und ich mich bereits in Sicherheit wähnte, traf mich etwas am linken Bein. Ich spürte, wie es langsam taub wurde. Dieses Gefühl breitete sich allmählich aus, ich verlor die Kontrolle über meine Beine und stürzte zu Boden. Im Fall drehte ich mich um und sah drei Hauris auf mich zukommen.

»Da ist wohl jemand vom rechten Weg abgekommen«, hörte ich noch, danach wurde ich bewusstlos. Den Aufschlag hatte ich schon gar nicht mehr gespürt.

*

Als Raufu die Neuigkeit hörte, wurde er ärgerlich: Mit Torom Parek hatte er noch viele Pläne gehabt. Es war so schwer, neue Rekruten anzuwerben, die keine Hauris waren. Meistens fielen sie bereits bei Keon durch, aber beinahe alle waren im Endeffekt Verräter, sei es aus Geldgründen oder weil sie die Terrororganisation auffliegen lassen wollten. Torom hatte seine Rolle gut gespielt, er hatte Keon getäuscht, hatte einen wichtigen Auftrag ausgeführt.

Doch zunächst gab es Wichtigeres zu tun, als sich um einen Verräter zu kümmern, der bereits dingfest gemacht worden war: Gerade bestiegen die Passagiere die beiden Raumschiffe JENMUHS EHRE und JENMUHS RUHM. Raufu sah sich die Passagiere an, schon beim Anblick überkam ihn die kalte Wut: Diese dekadenten, arroganten Figuren, denen nur Geld und Wohlstand wichtig war. Sie dachten nicht an ein geeintes Cartwheel oder wenigstens an ihr Volk, nein, ihnen war nur der persönliche Vorteil wichtig. Raufu schüttelte den Kopf: Wieder einmal bewies sich, dass die Lehre Heptamers die einzige wahre Antwort auf dieses Chaos im Universum sein konnte: Die Zerstörung des Universums.

*

Eine Stunde später waren alle Passagiere an Bord der beiden Schiffe. Es folgte eine Ansprache des Chefs der Reederei Arigam, die eher unspektakulär ausfiel, dafür, dass zwei nagelneue Luxusschiffe seiner Reederei in wenigen Augenblicken ihren Jungfernflug antreten würden.

Schließlich hoben die beiden Schiffe ab. Geplant war, dass die Schiffe 10.000 Meter senkrecht nebeneinander in die Höhe stiegen und dabei einen glitzernden Stoff verloren, der langsam zu Boden fiel und einen schönen optischen Effekt erzeugen sollte.

Als die Schiffe 1.000 Meter Höhe erreicht hatten, übernahm Raufu die Kontrolle. Er ließ ein Schiff nach links und eins nach rechts ausscheren, danach führte er sie wieder auf ihre ursprüngliche Bahn zurück. Diesen Vorgang wiederholte er einige Male. Die Schiffe flogen jetzt Schlangenlinien, was von unten betrachtet sehr eindrucksvoll aussah.

Nach einer Minute sagte Raufu: »So, jetzt hatten wir genug Spaß. Zeit für den Höhepunkt!« Er ließ die Schiffe besonders weit ausschwenken und ließ sie dann mit Höchstgeschwindigkeit aufeinander zurasen.

Zunächst schien alles nach Plan zu verlaufen, doch als die Schiffe sich auf etwa 200 Meter genähert hatten, schwenkten sie plötzlich zur Seite aus und bremsten gleichzeitig. Es wurde sehr knapp, die Schiffe stießen beinahe zusammen. Nur die Prallschirme konnten die Kollision der bremsenden Schiffe noch aufhalten.

Raufu schlug mit der Faust auf die Kontrollen: »Das ist das Werk dieses Arkoniden! Ich will ihn dafür büßen sehen!«

Derlei Gefühlsausbrüche waren für Raufu ungewöhnlich, war er doch meistens extrem beherrscht. Aber angesichts eines durch Sabotage gescheiterten Anschlags verlor auch er kurz die Fassung.

»Wir fliegen zurück zum Stützpunkt«, sagte er gefährlich leise.

*

Ich hatte nicht mehr mitbekommen, was passiert war. Man sprach auch nicht mit mir. Wortlos hatte man mich zum Stützpunkt zurückgeflogen, wortlos steckte man mich in eine Zelle für Gefangene, wortlos brachte man mir mein Essen. Auf meine Fragen reagierte niemand, man ließ mich allein.

So hatte ich viel Zeit zum Nachdenken, denn an Schlafen war hier nicht zu denken: Diese Zelle hatte überhaupt keine Ausstattung. Ich dachte an Falbela, an unsere wunderbare gemeinsame Zeit, an meine Arbeit auf Bostich, an das beinahe perfekte Leben, das ich dort geführt hatte.

Ich hatte in meinem Auftrag versagt: Zwar hatte ich mich erfolgreich in die Organisation einschleichen können, ich bin zum Agenten ausgebildet worden, ich konnte bezeugen, dass die Helfer Ijarkors nicht hinter der Tragödie am 19. Dezember steckten, aber ich hatte niemandem von meinen Entdeckungen berichten können, weil ich am Ende zu unvorsichtig gewesen war. Ich hatte mich bereits in Sicherheit gewähnt, hatte das rettende Ziel schon vor Augen gehabt und war zuletzt doch kläglich gescheitert. Hier war mein Weg wohl zu Ende, ich würde niemandem berichten können, was ich erfahren hatte.

Plötzlich hörte ich Schritte. Die Geräusche wurden lauter, es näherte sich jemand langsam meiner Zelle. Diese Gangart kam mir sofort so vertraut vor, es konnte doch nicht sein, dass …

»Herzlich willkommen daheim, mein Freund.«

Er war es! Keon war auf mich angesetzt worden!

»Zunächst habe ich noch eine gute Nachricht für dich, mein Freund.« Keon kicherte leise in sich hinein. »Dein kleiner Versuch, die Raumschiffe zu retten, ist gescheitert. Der – Fehler – konnte behoben werden und die Schiffe stießen planmäßig zusammen. Es ist also doch alles gut ausgegangen.« Diesmal setzte Keon sein breitestes Grinsen auf. »Und noch etwas: Aufgrund deines Verhaltens werden wir in der nächsten Zeit noch häufiger das Vergnügen haben, denn ich werde mit dir reden und du wirst mir alles sagen, was du weißt. Ganz sicher.« Er kicherte wieder und diesmal schien es gar nicht mehr aufhören zu wollen.

Mir war klar: Ich würde diesen Stützpunkt nicht mehr lebend verlassen.

*

Inzwischen hatte Raufu seinem Herren Bericht erstattet.

»So, so. Der gute Arkonide war also doch ein Verräter«, sagte Afu-At-Tarkan. »Er hat sogar Keon getäuscht, auch dich und mich. Es muss ein besonderer Mann sein.«

»Keon kümmert sich bereits um ihn. Der Arkonide wird ihn nicht zweimal täuschen, dafür wird er sorgen.«

»Ja, Keon ist unser bester Mann, was Verhöre und Folterungen angeht. Da ist unser Freund in guten Händen.« Übergangslos wechselte er das Thema. »Raufu, wir haben viel zu besprechen. Es geht um ein neues Projekt. Es wird sehr schwierig werden, aber ich vertraue auf dich. Du wirst sicherlich einen brillanten Plan ausarbeiten. Wie immer.«

Raufu verbeugte sich vor seinem Meister und sagte: »An was denkst du?«

Afu lächelte. »Nun, wir alle haben die rührende Ansprache des Marquês gehört. Er sprach so schön über seine Hochzeit. Ich glaube, das ist der richtige Punkt zum Ansetzen: Wir schlagen auf der Feier zu und zerstören das Schloss des Marquês. Es wird der größte und schrecklichste Terroranschlag, den Cartwheel je gesehen hat. Unsere Ijarkor-Aktion und die BAMBUS-Katastrophe werden dagegen harmlos wirken. Wir werden die ganze Prominenz Cartwheels auf einen Schlag auslöschen!«

»Daran hatte ich auch schon gedacht und bereits einige Ideen gesammelt. Möchtest du sie hören?«

Afu sprang auf. »Berichte mir!«

ENDE

 

 

Die Pelewon und Moogh haben ihre Unabhängigkeit und stärken damit den »Bund der Vier«. Doch der Terror des Hauri Afu-At-Tarkan destabilisiert Cartwheel. Im nächsten Roman wird mehr über die Ereignisse geschildert. Band 55 trägt den Titel »Terror in Cartwheel« und stammt von Jens Hirseland und Ralf König.

 

 

 

DORGON-Kommentar

Wir schreiben das Jahr 447 NGZ. Perry Rhodan befindet sich im sterbenden Universum Tarkan.

Psionische Lockrufe führen Rhodan nach Bentang, dem dritten Planeten einer gelben Sonne. Die Hauri, die hier einen geheimen Stützpunkt unterhalten und sich als Wächter ihres Universums bezeichnen, sind hochgewachsene, skeletthaft hagere und haarlose Humanoide mit dunkler, lederner Haut und einem Kopf, der mit seinen tiefen, trichterförmigen Augenhöhlen und seinem lippenlosen Mund an einen Totenschädel erinnert. Um als Diener des Hexameron, der höchsten ihnen zugänglichen Institution des Universums, spirituell rein zu sein, nehmen sie als Nahrung nur Urkhiitu (Grünes Gras) und Ponaa (Schleim) zu sich. Für die Hauri, denen der Begriff Tarkan (die Schrumpfende) tabu ist, gilt der Kollaps ihres Universums als der von den Göttern gewünschte Prozess der Vollendung allen Seins.

Im »Lied der sechs Tage« verherrlicht das »Buch Hexameron« metaphorisch die sechs Tage, in denen sich die Kontraktion zur Singularität vollzieht: Am sechsten Tag erhebt Girratu, die Göttin des Feuers, ihr Haupt und verbreitet eine Hitze, die Sterne und Völker vergehen lässt. Girratu gehört zu den Göttern im Land Shamuu, die das gewaltige Werk des Alls geschaffen haben und für dessen Erneuerung sorgen.

Am fünften Tag werden die Gläubigen den Samen legen für eine neue Wesenheit, die entstehen und die Macht besitzen wird, den Gluten des Feuers zu trotzen. Aber auch die Saat der Ungläubigen, die den Lauf der Vollendung abbremsen wollen, wird sprießen und zum Feind der neuen Wesenheit werden.

Am vierten Tag sind die nur noch aus Geist bestehenden Eteequ, deren Schicksal sich am ersten Tag vollenden wird, und die Annutu, die Sündigen, vollendet.

Am dritten Tag, an dem die Sterne verschmelzen und die Sternstätten aufeinander zu treiben, findet der Kampf zwischen den Geistwesen statt. Es ist das Werk Alapas, der Göttin des Streites. Doch die Eteequ müssen zur Vollendung des Weges keinen Sieg erringen, sondern nur darauf achten, dass Zeit verrinnt.

Am Zweiten Tag gibt es keine Sterne mehr, alles Gestalthafte hat sich zu einem Nebel ungeheurer Dichte vereinigt. Die Annutu vergehen in Girratus Feuer, und die Eteequ verschmelzen mit der Geistsubstanz des Herrn Heptamer, der allein noch die Kraft hat, in den Gluten des Zweiten Tages zu existieren.

Am Ersten Tag vereinigen sich alle Materie und Energie auf einem winzigen Raum. Nachdem der Tag mit dem Zittern der Urkraft geendet ist, folgt der Neue Anfang. Ein neues All wird entstehen, und über den leuchtenden Wolken der Protomaterie wird der Geist des Herrn Heptamer schweben, zu Ehren der Götter im Land Shamuu.

Den Herrn Heptamer, den Herrscher über die Eshraa Maghaasu (die Zwanzigstätten), eine Gruppe von zwanzig Galaxien, bezeichnet der Hauri Varro pak Duur als Bindeglied zwischen dem Hexameron und den Göttern.

Björn Habben

 

 

GLOSSAR

Pelewon

Die Pelewons sind das Hauptvolk der Bestien in M 87.

Erscheinungsbild

Sie erreichen eine Körpergröße von circa 4,50 Meter und verfügen über eine grün geriffelte Panzerhaut. Ansonsten gleichen sie den Halutern.

Lebensraum

Sie lebten, versteckt vor den Konstrukteuren des Zentrums, im Dusty-Queen-System. Die Vernichtung des Systems im Jahre 2436 überlebten nur wenige Pelewons. Im Jahre 1143 NGZ ist die Bevölkerung wieder auf circa 100 Millionen angestiegen. Sie haben sich zu einem Drittel auf Yanyok angesiedelt, der Rest lebt auf Kolonialwelten.

Seit 1295 NGZ besiedeln die Pelewons und Mooghs auch Systeme in Cartwheel. Sie folgten dem Ruf DORGONs. Allerdings standen sie bis 1298 NGZ unter Kontrolle der Okefenokees.

Mehr in der Perrypedia: http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Pelewons

Moogh

Die Mooghs sind ein in der Galaxie M 87 beheimatetes Teilvolk der Bestien. Sie leben versteckt im Inneren des Planeten SEL-24.

Erscheinungsbild

Sie ähneln Halutern, erreichen aber mit vier Metern eine größere Körperhöhe. Sie besitzen eine schwarzbraune bis rotgelbe Haut, die aus sechseckigen borkigen Hautplatten besteht. Ihr Verhalten ist aggressiv-kriegerisch.

Mehr in der Perrypedia: http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Mooghs

Hauri

Die Hauri sind ein humanoides Volk aus der Galaxie Hangay, das aus dem Universum Tarkan stammt. Von Ratber Tostan erhielten sie aufgrund ihres Aussehens den Namen Sticks.

Erscheinungsbild

Das Erscheinungsbild der Hauri ist humanoid, allerdings sind sie bei einer Körpergröße von zwei Metern extrem dünn und wirken wie ausgemergelt, sie sehen fast aus wie Mumien oder Moorleichen. Sie haben dunkelbraune Haut von lederartiger Konsistenz. Der Kopf wirkt, als sei der Knochen lediglich von einer dünnen Haut überzogen. Besonders auffällig sind die tief in den Höhlen liegenden, grünlich leuchtenden Augen. Hauri haben je fünf Finger und Zehen, sie sind zweigeschlechtlich. Sie tragen im Einsatz vorwiegend khakifarbene Uniformen. Wasserträger (siehe Abschnitt »Kultur«) tragen rote Kleidung.

Die von den Hauri abstammenden Tronahae des Planeten Bugaklis werden durchschnittlich nur 1,80 Meter groß und haben eine gelbliche Hautfarbe.

Die auf Chattu beheimateten Khorra gleichen in ihrer Erscheinung den durchschnittlichen Hauri. Allerdings haben sie eine natürliche Resistenz gegen Wasser entwickelt.

Mehr in der Perrypedia: http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Hauri

Torsor

Geboren: 1259 NGZ

Geburtsort: Yanok, M87

Größe: 5,50 Meter

Gewicht: 2000 kg

Augenfarbe: rot

Haarfarbe: –

Bemerkungen: Übergroß, Schulterbreite von 3,50, Grüne, schuppige Haut, blauer Kampfanzug, hochintelligent, ruhig und besonnen, aber auch sehr gefährlich.

Torsor ist nach der Bestrafungsaktion der Okefenokee entstanden, in einer Zeit, wo sich die alten Bestien und die neuen Pelewon bekriegt haben und sich gegenseitig die Schuld für die Misere gegeben haben. Torsor stammt aus der Retorte und hat pelewonische sowie mooghsche Gene in sich. Seine Struktur ist ähnlich, wie bei einem Uleb, d.h. er ist relativ unsterblich, kann jedoch nicht seine Gestalt verändern. Er ist der einzige seiner Art, da einige zweigeschlechtige Pelewon das Vorhaben der Bestien erkannt haben und die Retortenfabrik zerstörten.

Der hochintelligente Torsor schafft es jedoch in den nächsten Jahren die streitenden Völker zu einigen und den Hass gegen die Okefenokee zu schüren, was auch nicht besonders schwer fällt, da den Pelewons sämtliche Rechte aberkannt werden und nur noch 2000 Pelewon pro Jahr geboren werden dürfen.

Im Einverständnis mit den neuen Pelewon, beginnt Torsor die Produktion von Bestien, die den alten Pelewon und Mooghs gleichen. Er selbst will der einzige seiner neuen Art sein, um unbestrittener Herrscher der Bestien zu sein.

Ende des Jahres 1294 NGZ erscheint der Okefenokee Carjul und schlägt den Bestien vor, mit zur Insel zu kommen. Torsor willigt ein, denn er sieht nun eine Möglichkeit der Unabhängigkeit.

Er verbündet sich mit dem Marquês, Uwahn Jenmuhs und Leticron. Unter der Regie der Söhne des Chaos formen diese vier den Bund der Vier und übernehmen Stück für Stück die Herrschaft in Cartwheel.


Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e.V. — Copyright © 1999-2016

Internet: www.proc.org & www.dorgon.netE-Mail: proc@proc.org

Postanschrift: PROC e.V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 55, veröffentlicht am 15.01.2016 —

Titelillustration: John BuurmanInnenillustration: Gerd Schenk

Lektorat: Jürgen Freier und Jürgen SeelDigitale Formate: Jürgen Seel