20.

Spuren im Sand

»Bist du langsam mit deiner Analyse fertig?«

Mittlerweile hatte sich Benny wieder von ihnen verabschiedet. Seine letzten Worte waren, dass sie ja wüssten, wo er sich aufhielte, und dass sie es sich gut überlegen sollten. Nachdem sie sicher sein konnten, dass sie niemand beobachtete, deaktivierte Lorif sein Deflektorfeld und bot an, das Artefakt mit seinen internen Instrumenten zu untersuchen.

»Ich sagte doch, die Untersuchung dauert fünf Minuten«, gab der Posbi leicht säuerlich zurück.

»Aber die sind doch längst um!« Wallace war sich sicher, dass er wirklich in nicht so ferner Zukunft die Geduld mit diesem Roboter – oder besser, dem Bioplasma in seinem Inneren – verlieren würde.

»Nein, erst 298 Sekunden!«

Bevor Wallace darauf reagieren konnte, ergriff Lorif wieder das Wort.

»So. Analyse abgeschlossen. Das Artefakt ist mindestens zehntausend Jahre alt, wahrscheinlich aber noch älter. Leider haben meine C14-Apparaturen etwas unter dem Crash gelitten, daher gebe ich das Alter lieber etwas niedriger an.«

»Zehn Jahrtausende?« Mathew überlegte. »Ist die ägyptische Kultur denn schon so alt?«

»Nein«, gab Lorif sofort die Antwort. »Die frühsten Zeugnisse hieroglyphischer Schreibkunst reichen zwar noch in die prädynastische Phase der ägyptischen Geschichte zurück, doch erst während der 3. Dynastie – also zwischen 2650 und 2575 v.Chr. – wurden die Hieroglyphen durch das sich ausbreitende Koptische fixiert…«

»Jaja, ist ja gut«, stoppte Wallace den Redeschwall. »Also etwa 2500 vor Christus?« Er rechnete nach. »Was war ja vor rund siebentausend Jahren… Das heißt«, er schaute das Täfelchen ungläubig an, »dass diese Schriftzeichen mindestens drei Jahrtausende älter als die von der Erde sind!«

»Exakt«, mischte sich nun Timo Zoltan ein. »Aber wie ist das möglich? Das würde ja heißen, dass die ägyptische Kultur, oder zumindest die Schrift, nicht auf der Erde, sondern hier auf Seshur entstanden ist. Aber wir wissen doch von Atlans Säulen der Ewigkeit, dass er die Hieroglyphen mit begründet hat…«

»Vielleicht sehen sich die Zeichen nur zufällig ähnlich«, wandte Dove ein.

»Das glaube ich nicht«, meinte Lorif. »Diese Zeichen sind Hieroglyphen, sowohl von der Strichführung, als auch von der logischen Aneinanderreihung her! Außerdem scheint es eine Verbindung zu den unbekannten Hieroglyphen von Mashratan zu geben, wenn die Dorgonen auch hier Nachforschungen anstellen.«

»Könnt ihr euch das erklären?« fragte Wallace.

»Nein«, antworteten der Posbi und der Wissenschaftler wie aus einem Mund.

»Dann bleibt uns nur eine Möglichkeit«, stellte Mathew fest. »Wir müssen uns diese Stadt des Todes einmal ansehen…«

»Wir alleine?« Zoltan wirkte entsetzt.

»Was dagegen?«

»Wie sollen wir das schon anstellen, wenn die gesamte Gruppe dieses Einheimischen umkam? Außerdem brauche ich Spezialisten, Geräte!« Er streckte die Arme aus und blickte beschwörend zum Himmel. »Oder zumindest das da!«

Die anderen schauten ebenfalls in dieselbe Richtung und erblickten eine Space-Jet, die sich ihrem Standort näherte und in ihrer unmittelbaren Nähe landete. Der 1. Offizier der IVANHOE, James Fraces stieg aus.

»Sir«, empfing Wallace den Bärtigen. »Bist du verrückt, so nahe an der Stadt zu landen? Wenn die Bewohner dich sehen…«

»Etwas mehr Respekt, Kommandant eines Wracks. Freut ihr euch gar nicht, abgeholt zu werden?«, schmunzelte dieser.

»Doch, aber…«

»Darauf habe ich schon geachtet. Außerdem müsst ihr mit eurer JAYJAY ein viel größeres Spektakel aufgeführt haben, die sah ja wirklich schlimm aus. Aber wenigstens habt ihr das gut überstanden. Nun kommt an Bord – ins schöne Kühle!«

Das ließ sich keiner der vier Gestrandeten zweimal sagen.

*

Kaum wieder an Bord der IVANHOE, machte sich Mathew Wallace mit seiner Truppe unmittelbar auf den Weg zum Kommandanten Jeamour und berichtete ihm von der Entdeckung, die sie auf dem Planeten gemacht hatten.

»Wir müssen diese Stadt unbedingt erforschen«, bat Zoltan, nachdem Wallace geendet hatte. »Es geht um eine Entdeckung, die vielleicht die gesamte terranische Geschichtsschreibung auf den Kopf stellt.«

»Gut«, meinte Jeamour. »Mathew, am besten rüstest du eine weitere Space-Jet aus, damit Timo sofort wieder…«

»Nein«, Zoltan verdrehte die Augen. »Ich brauche Spezialisten, Apparaturen, genauere Informationen! Wir müssen diese anfordern!«

Jeamour blickte Mathew Wallace fragend an, doch dieser nickte nur.

»Verstanden.« Er seufzte. »Teile mir mit, was und wen du benötigst…«

*

Die IVANHOE trat nun den Flug nach Plophos an. Doch Jeamour wollte die Zeit nicht ungenutzt lassen. Er berief eine kleine Besprechung in seinem Quartier ein. Neben den vier Besatzungsmitgliedern die auf Seshur waren, befanden sich noch James Fraces und Jenny Taylor in der Kabine.

»Meine Herren und meine Dame«, begann Jeamour gewohnt manierlich, »das Team um Wallace hat einen erstaunlichen Fund auf Seshur gemacht.«

Timo Zoltan zeigte den Anwesenden das Amulett aus Gold, welches mit Edelsteinen und einigen Hieroglyphen verziert war.

Er begann auch sogleich mit der Erklärung: »Hierbei handelt es sich zweifelsohne um ein über 10.000 Jahre altes Relikt, welches frappierend an ein Symbol aus der pharaonischen Zeit Terras erinnert.«

Zoltan machte eine Kunstpause und blickte die Beteiligten an. Dann fuhr er fort: »Es handelt sich um das Zeichen des Lebens, welches in der altägyptischen Sprache als Ankh bezeichnet wurde. Die genaue Herkunft dieses Symbols ist nicht bekannt und den Forschern immer noch ein Rätsel. Es mag sein, dass es ein magischer Knoten sein sollte, ein Schuhriemen oder ein Penisüberzug. Jedenfalls deutete alles darauf hin, dass es ein Zeichen für Potenz darstellte.«

Jenny Taylor musste kurz kichern. Jeamour warf ihr einen strengen Blick zu und die Doktorin entschuldigte sich für ihr Benehmen.

»Jedenfalls stellte es später in zahlreichen Grabstätten ein Symbol der Unsterblichkeit und eine Gabe der Götter dar. So zierte es die Wände und Sarkophage der meisten Pharaonen und auch die Statuen. Symbolhaft als Gabe des ewigen Lebens durch die Götter«, erklärte er weiter.

»Hielt der Pharao es in seiner Hand direkt unter seinen Nasenlöchern, so bedeutete es in Verbindung mit den Elementen Wasser und Luft, dass ihm der Atem des Lebens eingehaucht wurde, was wieder in Verbindung mit Unsterblichkeit bzw. Leben nach dem Tode stand.«

Die Frage, die in allen Köpfen herumgeisterte, war, warum wurde dieses typische terranische Symbol auf einer verlassenen Welt wie Seshur gefunden? Konnte man in dieser ominösen Stadt der Toten eine Antwort darauf finden?

Deshalb flog die IVANHOE nach Plophos. Dort wollte Timo Zoltan mit der bekannten Ägyptologin Denise Joorn Kontakt aufnehmen, die bereits an den Untersuchungen der Datei von Mashratan beteiligt gewesen war.

Der junge Wissenschaftler legte sein Gesicht in die Hände.

Oft neigte Zoltan zu sehr waghalsigen Theorien und Versuchen. So spielten sich auch diesmal in seinem Gehirn viele Möglichkeiten ab, wie dieses Ankh nach Seshur kam. Hatte es ein Tourist einfach dort verloren? Oder war es Bestandteil eines von Terra geraubten Schatzes der Pharaonen? Oder steckte viel mehr dahinter? Es musste so sein, da die Dorgonen offenbar Interesse an Seshur hatten.

Vielleicht konnte Denise Joorn ihm weiterhelfen. Der junge Wissenschaftler spürte, dass sie einem großen Geheimnis auf der Spur waren.