18.

Wüstenwelt

Timo Zoltan, der als neuer wissenschaftlicher Offizier an Bord der IVANHOE gekommen war, hatte mittlerweile das Bewusstsein wieder erlangt.

»Wo bin ich?«, waren seine ersten Worte.

»Auf Seshur«, antworte ihm Mathew Wallace.

»Welches Datum schreiben wir?«

Mathew ahnte schlimmes.

»Wir haben heute den 08. August 1291 NGZ. Wir suchten im Orbit nach Hinweisen auf das Adlerraumschiff. Dann fielen plötzlich alle Geräte aus und wir stürzten ab.«

»Gut«, machte Zoltan. »Dann kann ich mich ja an alles erinnern.«

Mathew Wallace starrte ihn einfach nur ungläubig an. Es musste an der Luft auf diesem Planeten liegen, dass plötzlich alle durchdrehten.

Irwan Dove trat hinter dem Wrack der JAYJAY hervor. Wie Wallace schon erwartet hatte, hatte der Oxtorner von dem Absturz nicht einmal einen Kratzer davon getragen, also zumindest keine körperlichen Schäden.

»Wir sind direkt in einer Wüste gelandet. Ich habe mir die Gegend schon mal ansatzweise angeschaut, aber bisher nichts Interessantes finden können. Auch keine Spuren von den Dorgonen.«

»Du vermutest, dass sie für unseren Absturz verantwortlich sind?«

Der Oxtorner bejahte.

»Die Bewohner dieses Planeten sind technologisch rückständig. Vielleicht haben wir eine heiße Spur gefunden.«

»Laut Lorif sollte innerhalb von 24 Stunden ein Rettungsteam hier auftauchen. Leider kann er aus irgendeinem Grund nicht Funkkontakt mit der IVANHOE aufnehmen. Die Frage ist, was machen wir jetzt? Warten wir hier oder schauen wir uns diesen Wüstenplaneten an?«

»Also«, meinte Zoltan, »ich wäre dafür, diesen Planeten und seine Bewohner genauer zu studieren.«

Wallace deutete auf die von Lorif improvisierte Armschiene.

»Damit?«, fragte er skeptisch.

»Es geht schon.«

Wie zum Beweis wackelte er etwas mit dem Arm in der Schlinge, um dann vor Schmerz die Augen zu schließen. Schweiß stand auf seiner Stirn, trotzdem fuhr er fort: »Es tut schon gar nicht mehr weh!«

Wallace überlegte, ob es nicht vielmehr an der Erwartung einer weiteren medizinischen Behandlung von Lorif war, die Timo Zoltan zu einem solchen Tatendrang trieb.

»Ich möchte mich auch umsehen«, sagte Lorif da, als hätte er Mathews Gedanken erraten. »Notfalls kann ich mich ja mittels Deflektor unsichtbar machen, um die Seshuren nicht zu erschrecken.«

»Oder falls uns Dorgonen über den Weg laufen«, machte Wallace. »Und Dove sollte eigentlich gar nicht ungewöhnlich auffallen. Gut, verbringen wir einen schönen Landurlaub an diesem paradiesischen Strand.«

»Mathew?«

»Ja, Lorif?«

»Laut Definition muss ein Strand ein Meer haben. Ich kann hier allerdings kein…«

»Das war ironisch gemeint! Ist dein Plasmazusatz abgestorben, oder was?«

Lorif antwortete nicht.

»Also, lasst uns jetzt endlich aufbrechen. Wäre auch ganz praktisch, wenn wir irgendwo Wasser auftreiben könnten, denn ich denke nicht, dass wir allzu viel brauchbares an Bord der Jet haben.«

Sie entschieden sich mehr oder weniger willkürlich für eine Richtung, sammelten alles, was sie an Nahrungs- und Wasservorräten an Bord des Wracks finden konnten und machten sich auf den Weg.

Alle, bis auf Lorif.

Wallace bemerkte das rein zufällig, als er auf der ersten Düne noch einmal einen Blick zurück warf. Der Posbi stand doch tatsächlich noch genau an demselben Fleck, an dem sie vorhin das Gespräch geführt hatten. Dass er sich nicht am Einsammeln der Wasservorräte beteiligt hatte, hatte Mathew noch für eine seiner Marotten gegenüber den »Organischen« gehalten. Aber jetzt…

»Halt, wartet!«

Mathew lief zu dem Posbi zurück.

»Lorif, was ist los? Lorif?«, rief er ihm zu.

Immer noch kam keine Reaktion, und Wallace machte sich langsam ernsthafte Gedanken. Er versuchte, eine Wartungsklappe an dem Roboterkörper zu finden, um den Status abrufen zu können. Gerade als er meinte, sie gefunden zu haben, wurde er plötzlich unsanft weggestoßen.

»Bitte nicht an mir herumfummeln«, beschwerte sich Lorif ärgerlich.

»Lorif«, freute sich Wallace. »Dir geht es ja gut!«

»Natürlich geht es mir gut. Ich habe gerade eine vollständige Überprüfung aller Funktionen durchgeführt. Das Bioplasma und alle positronischen Verbindungen sind intakt.«

»Heißt das… nur weil ich vorhin… ?«

»Wieso gehen wir eigentlich nicht endlich los?«

Eines Tages, schwor sich Wallace, als sie dann endlich vollzählig auf dem Weg waren. Eines Tages werde ich ihm alles heimzahlen… alles!

*

In den ersten Stunden brannte die Sonne erbarmungslos auf sie herab und zumindest Wallace und Zoltan bereuten schnell, nicht noch auf die Nacht gewartet zu haben, doch dann wurde es endlich dunkel. Bevor sich jedoch die beiden über das Wegbleiben der Hitze freuen konnten, fuhr ihnen bereits eine Eiseskälte in die Glieder.

»Was für eine Welt«, fing schließlich Mathew zu schimpfen an. »Erst ist es viel zu heiß, und dann viel zu kalt!«

»Das ist doch ganz normales Wüstenklima«, meldete sich Lorif. »Dadurch, dass der Sand nicht so gut Wärme speichern kann… Wieso bewirfst du mich mit Sand? Wenn der in meine Gelenke gerät…«

Wallace hatte bereits eine weitere Handvoll Sand in seine Hand genommen und wollte sie auf den Posbi schleudern, als er erstarrte und ihn wieder fallen ließ. Überrascht starrte er zum Horizont.

»Dort«, klärte er die Gefährten über seine Entdeckung auf. »Lichter! Eine Stadt.«

Als sie näher kamen, konnten sie erkennen, dass die Stadt um eine Oase mitsamt kleinem See errichtet war. Die Häuser waren einfache Lehmhütten, die sich trutzig den Wanderdünen der Wüste stellten. Wenig später konnten sie auch einige Personen und Reittiere erkennen.

»Ob die Seshuren Interkosmo beherrschen?«, dachte Dove laut nach.

»In der Tat«, schaltete sich Lorif ein. »Die Seshuren sind degenerierte Nachkommen einer Springersippe, die vor 12.576 Jahren hier abstürzte. Sie haben sich dem Leben in der Wüste angepasst und mit dem ursprünglichen Mehandor nicht mehr viel gemeinsam. Als Sprache verwenden sie allerdings immer noch das Interkosmo, auch wenn der Dialekt mittlerweile schwer verständlich ist.«

»Woher weißt du denn das schon wieder?«

»Galaktischer Sternenkatalog, Ausgabe August 1291 NGZ. Meine Datenbanken sind auf den aktuellsten Stand.«

»Aha. Na gut«, murmelte Wallace. »Dann wollen wir mal sehen, wie sie auf Fremde reagieren.«

»Ich hoffe, hier gibt es was Gescheites zu essen«, bemerkte Dove.

»Hungrig wie eine Horde Haluter«, lachte Mathew. »Na gut, schauen wir uns nach einem Restaurant um.«

»Wäre es nicht besser, etwas über die Kultur der Seshuren zu erfahren?« meldete Zoltan sich zu Wort. »Es wäre doch interessant, zu ermitteln, inwieweit sich noch Reste der Springerkultur finden lassen…«

Ein lautes Knurren aus Mathews Magen ließ alle zunächst verstummen, um danach aufzulachen.

»Also, ich schätze«, kommentierte der Geplagte das Ereignis, »ich werde mich Irwan anschließen. Am besten, jeder geht seiner Wege und wir treffen uns in fünf Stunden dort drüben an dem See.«

Mit dieser Lösung erklärten sich alle einverstanden, und ihre Wege trennten sich.