17.

Seshur

»Lorif?«, flüsterte Mathew in die Dunkelheit. »Irwan? Timo?«

Mühsam wälzte er sich zur Seite. Sofort durchzuckte ein brutaler Schmerz sein Bein. Es war offensichtlich eingeklemmt – wenn nicht noch schlimmer. Etwas Metallenes geriet in seine tastenden Hände und er schob es ächzend zur Seite. Staub mischte sich in seine Atemluft und löste eine Hustenattacke aus.

»Positiv«, kam es von direkt neben ihm.

Hustend versuchte Mathew, ein »Was?« hervorzubringen, was ihm allerdings erst beim dritten Versuch gelang.

»Wieso schiebst du mich einfach in den Riss hinein?«, fragte die Stimme aus der Dunkelheit.

»Lorif?« Langsam ließ der Husten nach.

»Natürlich. Siehst du mich denn nicht?«, kam es prompt zurück. »Ach so, keine Infrarot-Sicht… Ich verstehe immer noch nicht, warum ihr Biologischen es einfach nicht zulasst, mittels einiger praktischer Implantate…«

»Lorif!«, zischte Wallace. »Das ist jetzt absolut nicht der Zeitpunkt für derartige Reden. Hol mich lieber hier raus! Wo sind die anderen?«

»Ich orte ihre Lebensimpulse in unmittelbarer Nähe, kann sie aber nicht erkennen…«

»Wie wäre es mit etwas Licht?«

Langsam wurde Mathew wütend.

»Oh, natürlich…«

»Ahhh… doch nicht in meine Augen!«

»Verzeihung, aber du sagtest doch…«

»Befreie mich endlich!«, schrie Mathew und schwor sich, Lorif bei der nächsten Gelegenheit endlich einmal umzuprogrammieren.

Als das Nachbild endlich nachließ und er wieder sehen konnte, öffnete er die Augen, um sein Bein zu untersuchen. Das erste, was er bemerkte, war ein grünes Schimmern, das sich unaufhaltsam seiner Haut näherte.

»LORIF! Mein Bein!«

Der Strahl verschwand.

»Ich entferne nur das Hindernis mittels meines Desintegrators…«

»Aber doch nicht so knapp«, japste Mathew. »Erst brennst du mir die Augen aus dem Kopf, und jetzt amputierst du auch noch mein Bein!«

»Nein«, widersprach der Posbi. »Die Augen wurden lediglich temporär reizüberflutet, und zwischen meinem Desintegrator und deinem Bein waren immer noch exakt 0,6 Millimeter…«

Den Rest hörte Mathew nicht mehr, er spürte nur noch, wie sein Herz wild zu schlagen anfing und ihm das Blut in den Kopf stieg. Sofort durchflutete auch wieder ein unmenschlicher Schmerz sein Bein. Er zuckte zusammen und durchstieß dabei den Rest der Umklammerung, was ihm eine zusätzliche Schnittwunde einbrachte. Er schrie auf.

»Das war nicht sonderlich sinnvoll«, kommentierte Lorif.

Mathew sparte sich diesmal eine Antwort und beschränkte sich darauf, den Posbi wütend anzufunkeln.

»Sieh zu, dass du nach den anderen suchst. Zumindest Dove dürfte doch als Oxtorner nichts passiert sein. Und besorge irgendetwas Erste-Hilfe-Artiges…«

»Sofort«, bestätigte der Posbi und schaltete die Lampe ab.

Mathew Wallace war wieder mit seinen Schmerzen allein. Doch plötzlich…

*

…durchzuckte Mathew ein erneuter Schmerz.

»Jod«, erklang die Stimme des Posbis, den er langsam aber sicher zu hassen begann. »Leider ist der medizinische Roboter durch den Absturz zerstört worden und der Rest der medizinischen Hilfsmittel, die ich finden konnte, war nicht mehr sonderlich steril. Also habe ich meine Datenbank bezüglich alternativer Behandlungsmethoden befragt und ermittelt, dass Jod, ein Element aus der Gruppe der Halogene mit der Ordnungszahl 53, wegen seiner Oxidationseigenschaften außerordentlich sterilisierend…«

»Lorif«, keuchte Mathew. »Das ätzt ja mein Bein weg!«

Wallace wünschte sich lieber die Behandlung der zärtlichen Bordärztin Jennifer Taylor. Diese war zwar zuweilen etwas steif und unnahbar, aber eine brillante Ärztin. Auch wenn gewisse Untersuchungen sie lieber von Medorobotern durchführen ließ. Irgendwie landete Wallace nicht bei ihr, aber vielleicht war das auch richtig so. Jedenfalls ging sie deutlich vorsichtiger mit ihren Patienten um, als Hilfsdoktor Lorif.

»Negativ. Keinerlei Substanzverlust erkennbar.«

Mathew schloss die Augen und atmete mehrmals tief und langsam ein. Leider kam es durch den Staub, der von irgendwo her in die Kanzel der Space-Jet gerieselt war, zu einer erneuten Hustenattacke. Sie war so schlimm, dass sich Wallaces Körper regelrecht schüttelte. Nachdem der Husten endlich abgeklungen war, tat wieder sein Bein weh. Mathew stieß einen tiefen Seufzer aus und versuchte den Schmerz einfach zu ignorieren, indem er sich wiederum an Lorif wendete:

»Hast du wenigstens die Anderen gefunden oder herausbekommen, warum plötzlich alle Geräte ausfielen und wir abgestürzt sind? Schon etwas von der IVANHOE gehört? Wo sind wir gelandet?«

»Ja, nein, nein, weiß nicht.«

»Was?«

»Die Antworten, Mathew.«

Wallace seufzte.

»Demnach hast du die anderen gefunden?«

»Ja, Timo ist gestürzt und hat sich den linken Arm gebrochen, konnte jedoch von mir notdürftig verarztet werden. Er ist allerdings noch bewusstlos.«

Mathew stieß langsam die Luft aus. Ja, er konnte sich sehr gut vorstellen, warum der Wissenschaftler noch nicht zu Bewusstsein gekommen war.

»Irwan Dove wurde aus der Jet hinausgeschleudert«, fuhr Lorif fort. »Ich habe nicht nach ihm gesehen, da ich seine gesundheitliche Verfassung für stabil genug erachte.«

»Wie sieht es mit Funkkontakt zur IVANHOE aus?«

»Schlecht. Der Bordfunk ist zerstört, und mit meiner eigenen Antenne komme ich nicht durch… Da muss irgendeine Art von Störstrahlung sein…«

»Na toll, was für Aussichten!«

»Also ich denke nicht, dass wir lange warten müssen. Selbst, wenn man unseren Absturz nicht bemerkt hat, sollte man nach spätestens 24 Stunden misstrauisch werden und ein Suchkommando schicken.«

»Und was sollen wir so lange tun?«

»Regenerieren«, schlug Lorif vor, als sich Mathew stöhnend aufrichtete.

»Ach was«, widersprach Wallace. »Wir sollten uns den Planeten einmal ansehen. Wer weiß, was Dove da draußen macht.«

Mühevoll zwängte er sich aus den Einrichtungsresten der Zentrale heraus und stellte sich auf die Innenwölbung der Panzerplastkuppel, die nun, da die Space-Jet auf dem Kopf lag, den tiefsten Punkt markierte. Im Schein von Lorifs Lampe musterte er skeptisch den Antigravschacht über sich.

»Sag mal, Lorif«, wandte er sich schließlich an den Posbi. »Wie bist du eigentlich da hoch gekommen?«

»Antigrav! Warte, ich nehme dich mit.«

»Seit wann hast du einen Antigrav?«

Mittlerweile hatten sie die Space-Jet durch ein großes Loch in der Außenwand verlassen. Mathews Blick fiel auf eine schier endlose Wüstenlandschaft. Es schien so, als würde es auf diesem Planeten nur Dünen und Sand geben. Weder Tiere, noch Pflanzen – ja, noch nicht einmal Wasser – konnte der Schotte entdecken.

»Soso, nur 24 Stunden… Na das kann ja heiter werden!«