9.

New Taylor, Plophos

Landry schlenderte durch die laue Nacht in diesem Teil des Planeten Plophos. Die Silhouette der Hauptstadt New Taylor erhellte den nächtlichen Himmel und schwang sich kühn über den Horizont. Natürlich hatte ein Industrieller wie Dorn ein Häuschen im Grünen, wie man so schön sagte, aber eigentlich war dieses Häuschen eher ein kleiner Palast. Prächtig schwang sich das in einem alten terranischen Stil erbaute Gebäude hinter dem Agenten in die Höhe. Aus der Richtung des Gebäudes näherte sich ihm eine schlanke Gestalt, was der Agent, der für einen Augenblick die Einsamkeit gesucht hatte, gar nicht bemerkte.

»Schöne Aussicht, was?«

Landry drehte sich langsam um. Die schlanke, junge Frau, die vor ihm stand, musterte ihn kühl. Dann lächelte sie. »Denise Joorn. Angenehm, deine Bekanntschaft zu machen.«

Landry nickte ihr freundlich zu. Die junge Frau war entweder Terranerin oder Kolonistin. Sie war wunderschön und wirkte gleichzeitig sehr weiblich aber auch selbstbewusst und resolut. Sie hatte smaragdgrüne Augen, langes blauschwarzes Haar und einen sportlichen Körperbau, der Landry für einen Moment ins Schwitzen kommen ließ.

Die Schönheit trug ein figurbetontes schwarzes Abendkleid.

Er lächelte rätselhaft, dann deutete er mit dem Daumen über die Schulter. Gleichzeitig nippte er an dem Champagner. »Das habe ich lange vermisst. Auf einer bescheidenen Welt wie Hayok zu leben, ist einfach nicht das richtige für einen Mann wie mich. Ich brauche Action und eine bedeutende Welt wie Plophos liegt mir viel mehr. Vielleicht sollte ich versuchen, hier noch ein Werk aufzubauen. Könnte schließlich sein, dass ich hier auch noch Erfolg habe?«

»Mit diesen P-Chips vielleicht. Die Konkurrenz ist aber groß. Unser Gastgeber wird dein Vorhaben sicher nicht dulden.«

Landry drehte sich nach rechts und warf einen Blick auf den Industriellen Marius Dorn, der inmitten einiger Gäste stand und gerade über einen offenbar gelungenen Witz eines Gastes lachte. Dorn war ein untersetzter Mann mit grauem Haar und grauem, penibel geschnittenen Vollbart. Er trug einen schwarz leuchtenden Maßanzug. Alles an ihm wirkte reich, elegant aber auch elitär und arrogant. Landry konzentrierte seinen Blick auf den kleinen, untersetzten Marius Dorn. Aber irgendwie wirkte er auf Landry nicht, als sei er ein umgänglicher Mensch. Höflich, mit Sicherheit ja, aber sicher nicht freundlich. Er war sicher niemand, den man gerne zum Gegner haben wollte.

Dorns Leibwächter stand stumm und drohend hinter ihm und sorgte schon allein durch seine Anwesenheit dafür, dass niemand auf falsche Gedanken kam. Der kahlköpfige Bodyguard war zwar nicht übermäßig kräftig gebaut, aber er war Oxtorner und das wussten natürlich alle Anwesenden. Daher konnte er auf ein bedrohliches Äußeres verzichten.

Der Agent registrierte am Rande, dass Denise wieder das Wort an ihn gerichtet hatte.

»…ist schon ein sehr erfolgreicher Mensch. Und ich habe gehört, dass er auch einen feinen Sinn für Kultur hat, vor allem für sehr alte Kulturen.«

»Und inwiefern macht das einen Unterschied?«

»Ich bin Archäologin«, meinte die junge Dame mit einem koketten Augenaufschlag. »Ich suche eigentlich nach Sponsoren für meine Ausgrabungen und ich bin fast sicher, dass ich bei Dorn an der richtigen Adresse bin. Wie steht es mit dir? Interesse daran, eine Ausgrabung auf einer entlegenen Welt in der Westside der Galaxis zu finanzieren?«

»Meine Interessen gehen eher in biologische Richtung. Daher habe ich im Augenblick keinen Bedarf, danke. Hast du schon Kontakt in dieser Hinsicht mit ihm aufgenommen?«

»Natürlich. Deshalb bin ich überhaupt erst hier eingeladen worden. Außer mir scheinen nur Leute hier zu sein, die sich für P-Chips interessieren.«

»Wohl eher für den Profit, den sie damit erzielen könnten.«

»Oder das.« Sie ließ ihre Blicke über die Gäste schweifen und lauschte für einen Moment dem Gemurmel, das überall herrschte. »Eigentlich liebe ich solche Partys. Aber irgendetwas fehlt heute Abend. Es ist nicht so, wie es sein soll.«

Landry musterte die attraktive Erscheinung. Was er vor sich sah, gefiel ihm. Sie war schlank, gut proportioniert und nicht zu groß. Er schätzte sie auf 1,70. Sie könnte Anfang oder Ende dreißig sein und war damit genau im richtigen Alter. Er beschloss, an der Stelle anzusetzen.

»Was dir fehlt, ist nur die richtige Begleitung. Bist du alleine hier?«

»Wie man es nimmt. Alleine schon, aber auf Einladung von Marius. Also bin ich streng genommen mit ihm hier.«

»Vielleicht willst du trotzdem einen Tanz mit mir genießen?«

Er wartete ihre Antwort gar nicht ab. Er griff nach ihrer Hand und geleitete sie zur Tanzfläche, auf der einige der anderen Industriellen mit ihren Frauen oder Freundinnen mehr oder weniger elegante Verrenkungen machten. Er legte den Arm um die junge Dame und führte sie in ihren ersten Tanz.

*

Eine halbe Stunde später verließen sie unter Applaus der anderen Gäste die Tanzfläche und Landry besorgte sich zwei Gläser mit Champagner. Er stieß mit der neu gewonnenen Bekanntschaft an. Was er gehofft hatte, trat auch ein. Ihr Auftritt interessierte offensichtlich den Gastgeber des Abends ganz besonders und er hörte die angenehme Stimme des Industriellen hinter sich.

»Sie sind mir gänzlich unbekannt. Habe ich Sie eingeladen? Arnold, kannst du dich an ihn erinnern?«

Dorn verwendete das wieder in Mode gekommene »Sie«, anstelle des seit 1294 Jahren traditionelle »du« als Anrede. In der Wirtschaft, dem Militär und der Politik sprach man sich in dieser unpersönlichen Anrede an, die jedoch respektvoller war, als das einfache »du«. Vielleicht war die Renaissance dieser Anredeform auch nur eine Modeerscheinung. Jedenfalls gab es einige Anhänger, die dies als Sprachcode für Wirtschaft und Militär forderten. Landry empfand die Tatsache als interessant, denn es war bekannt, dass die Mordred eben jene distanzierte Anrede benutzte. Der Agent erinnerte sich an sein Abenteuer mit Gucky vor neun Jahren, als sie auf ein Raumschiff der Mordred gestoßen waren, während ihrer Suche nach der LONDON. Natürlich war nicht jeder Befürworter des »Sie« automatisch im Netzwerk der Mordred.

»Wenn er hier drin ist, dann muss er eine Einladung haben«, meinte der olivgrünhäutige Oxtorner knapp.

Dorn nickte. Landry streckte ihm die Hand entgegen. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Landry, ich arbeite im Hayok-Archipel und bin dort an der Gründung einer neuen Firma beteiligt.«

Das Konsortium, dessen Namen er nannte, gab es tatsächlich. Würde der Industrielle Dorn dort Erkundigungen einholen, dann würde er auch einen Angestellten erreichen, der ihm erklärte, dass Landry zum Vorstand der Gesellschaft gehörte. Diese Identität war ihm vom TLD beschafft worden, deshalb machte sich der Agent keine Sorgen.

»Angenehm«, meinte der Industrielle, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. Offensichtlich war er ein kultivierter Mensch von hohem Sachverstand, aber auch großer Eifersucht. Und ebenso offensichtlich hatte er mehr als nur ein Auge auf Denise geworfen, die sich dieser Tatsache auch mehr als bewusst war. Und genauso offensichtlich nutzte sie diese Tatsache nun aus, um den Gastgeber noch etwas aus der Reserve zu locken. Sie hakte sich bei Landry unter und lehnte sich gegen ihn. »Er ist ein so hervorragender Tänzer«, schnurrte sie mit einem sanften Lächeln, das irgendwie nicht zu ihr passte.

Mit ihrem Augenaufschlag konnte sie besser aussehende Männer, als Dorn, zum dahinfließen bringen. Sie lächelte und wechselte dann die Seite. »Aber natürlich nicht mit dir zu vergleichen.«

Die Blicke von Landry und Dorn trafen sich. Der Agent erkannte eine Kälte hinter der Fassade aus kultivierter Freundlichkeit, die ihn für einen Augenblick erschauern ließ. Dann verzog er seine Lippen zu einem Lächeln. Nicht ganz so gefährlich, wie das des Smilers. Aber auch dieses Lächeln strahle eine eisige Kälte aus und Dorn erkannte auch die Gefahr, die dahintersteckte. Wer auch immer dieser Landry war, er war nicht das, was er zu sein schien. Dorn schöpfte Verdacht. Aber er verbarg den Verdacht geschickt und nickte dem Terraner freundlich zu. »Ich hoffe, Sie amüsieren sich noch gut auf meinem Fest. Wenn Sie noch einmal mit Denise tanzen wollen, wissen Sie, wo Sie die junge Dame finden können.« Landry nickte und blickte dem ungleichen Paar hinterher. Denise hatte sich bei Dorn untergehakt und redete mit ihm. Er antwortete jedoch nicht. Er beschränkte sich auf ein gelegentliches Nicken.

Äußerlich war dem Agenten nichts anzumerken. Aber innerlich atmete er auf, als er den Plophoser verschwinden sah.