6.

Baretus, Ertrus, 05. August 1291 NGZ

Stewart Landry reckte sich kurz, dann warf er einen Blick über die Schulter auf das Raumschiff, das ihn nach Baretus gebracht hatte. Die Pilotin winkte ihm kurz zu, dann flog sie die schnelle Jet auf eine Parkposition am Rand des Flugfeldes. Der Agent des TLD winkte zurück und schritt dann in Richtung des Ausgangs.

Der hochgewachsene Terraner mit den blaugrauen Augen und dunkelblonden Haaren trug einen Anzug, in dem er wie ein Gentleman wirkte. Stewart Landry war ein Nachkomme des legendären Ron Landry, der als Agent der Abt. III unter dem legendären Nike Quinto diente. Er wurde in England geboren und hatte eine wohlbehütete Kindheit, die jedoch ein abruptes Ende gefunden hatte. Es war quälend für ihn, darüber nachzudenken, doch die Erinnerungen waren ein ständiger Wegbegleiter und erinnerten ihn daran, wieso er Agent geworden war.

Mit 16 hatte Landry ein Erlebnis, das seinen weiteren Lebensweg prägen sollte. An der Birmingham Secondary School of Science waren mehrere Mitschülerinnen verschwunden, darunter seine Jugendfreundin Anne. Stewart hatte mit tatkräftiger Unterstützung seiner Familie verzweifelt nach ihr gesucht und hatte schließlich den Hinweis erhalten, dass diese von einem skrupellosen Menschenhändlerring entführt und durch Drogen zur Prostitution gezwungen worden war. Er hatte seine Informationen an die City-Police von Birmingham weiter gegeben, der es daraufhin gelungen war, den Menschenhändlerring zu zerschlagen und einige der Mädchen zu befreien. Für Anne war jedoch jede Hilfe zu spät gekommen, die Polizei hatte nur noch ihre Leiche gefunden.

Ein halbes Jahr nach diesen Ereignissen war seine Kindheit endgültig in einer Orgie der Gewalt versunken. Einige Mitglieder des Menschenhändlerrings hatten sich der Festnahme entziehen können und hatten furchtbare Rache an seiner Familie genommen. Stewart war zufällig nicht zu Hause gewesen und hatte so das Massaker überlebt, während seine Eltern und seine kleine Schwester ermordet worden waren.

Nachdem die Geschichte durch die galaktische Boulevardpresse gegangen war, war der TLD auf ihn aufmerksam geworden. Gia de Moleon hatte ihm höchstpersönlich den Vorschlag überbracht, eine Ausbildung zum Agenten beim Liga Dienst zu beginnen, um dann später die Mörder seiner Familie zur Strecke zu bringen. Gleichzeitig hatte sie die Vormundschaft übernommen, bis er die Volljährigkeit erreicht hatte. Aus dieser Zeit stammte sein gespanntes Verhältnis zur TLD-Chefin, denn diese hatte ihren »Erziehungsauftrag« für den Jugendlichen sehr ernst genommen.

Mit 19 Jahren hatte er in Rekordzeit die Ausbildung abgeschlossen und war als Agent Junior Grade in den TLD übernommen worden. In den folgenden Monaten war es ihm gelungen, die Spur der Mörder seiner Familie aufzunehmen und diese schließlich aufzuspüren. Dabei war es zu einem Schusswechsel gekommen, bei dem Landry drei der Mörder erschossen hatte. Wieder war es de Moleon gewesen, die Stewart gedeckt und eine Untersuchung des Falls unterbunden hatte. Die weiteren Ermittlungen waren jedoch, trotz der Unterstützung der TLD-Chefin, im Sande verlaufen, da einflussreiche Kreise in der LFT-Administration die weitere Verfolgung der Spuren, die auch nach Mashratan führten, unterbunden hatten.

In den folgenden Jahren hatte Landry eine steile Karriere zurückgelegt und wurde im Alter von 21 Jahren zum Agenten Senior Grade befördert. Er wurde in dieser Zeit mit diversen heiklen Aufträgen betraut und konnte mehr als nur einmal Planeten und Zivilisationen vor dem Terror von Wahnsinnigen oder skrupellosen Verbrechern schützen.

Doch das Verhältnis zur »Alten« hatte sich 1286 NGZ schlagartig geändert. Damals war er für einen jungen Agentenazubi namens Will Dean verantwortlich gewesen. Der hatte dreister weise mit Landrys Zugangscode geheime Informationen für seine Abschlussarbeit verwendet. Die Arbeit an sich war hervorragend verfasst, nur hätte Dean eben nicht an diese Informationen gelangen dürfen. Das war Landry von de Moleon angelastet worden und sie hatte ihn degradiert. Des Weiteren war ihr seine Zusammenarbeit mit Camelot ein Dorn im Auge gewesen. Landry hatte schon 1282 nach dem Anschlag auf ein Camelotbüro in Terrania City Kontakt zu Camelot gesucht. 1285 NGZ hatte er zusammen mit dem Mausbiber Gucky bei der Suche nach der entführten LONDON mitgeholfen.

Seiner Karriere war das alles abträglich gewesen. Es war eine Ironie der Geschichte, dass de Moleon nun in der fernen Galaxie DaGlausch wohnte, während die rebellischen Agenten Landry und Dean mit wichtigen Einsätzen die Mordred schwächten und zu Favoriten des neuen TLD-Chefs Noviel Residor geworden waren. Der gefühlskalte Kauz war ihm auch lieber, als de Moleon. Landry verstand es besser, mit männlichen Vorgesetzten zusammen zu arbeiten.

Allerdings beinhaltete dies auch ständige Bereitschaft. Der Expressflug hatte ihn von Terra aus nach Ertrus gebracht, nachdem Rebekka DeMonn ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geholt und auf den Aldebaran Spaceport zitiert hatte. Eigentlich hatte er auf ein überraschendes Abenteuer mit der Agentin gehofft, doch seitdem sie zu Residors Stab gehörte, war sie steifer geworden. Landry fragte sich, ob das wohl zum Job gehörte?

Einige Stunden hatte der Flug nach Ertrus gedauert. Nun war er also auf der Welt der Umweltangepaßten und spürte die Schwerkraft des Planeten nicht einmal. Der Mikrogravitator regulierte die Schwerkraft auf für ihn normale 1,0 g, also den Standard der Erde.

Der TLD-Agent schritt durch die Zollkontrollen, ohne behelligt zu werden. Offensichtlich hatten Rebekka DeMonn und Noviel Residor dafür gesorgt, dass er keine Schwierigkeiten bekommen würde, die Hauptstadt zu betreten. Er verlor keine Zeit und bestellte ein Gleitertaxi, das ihn an die Unglücksstelle bringen sollte.

Das Taxisyntron weigerte sich, ihn dorthin zu bringen. Es berief sich auf Anweisungen, nach denen es Schaulustige nicht an die Unglücksstelle bringen durfte. Landry hatte grundsätzlich nichts gegen solche Anweisungen, aber sie sollten nicht für ihn gelten. Daher beendete er die Diskussion mit seinem TLD- Ausweis, der dem Rechner des Gleiters schnell klarmachte, mit wem er es zu tun hatte. Mit einem Ruck fuhr der Gleiter an. Zufrieden lehnte sich der Agent zurück, verwundert darüber, dass es offensichtlich einfacher war, mit den Zöllnern dieser Welt klar zu kommen, als mit dem Bordrechner eines Gleitertaxis.

Es dauerte nicht lang, bis er den zerstörten Stadtteil unter sich auftauchen sah. Er war weiträumig abgesperrt, daher konnte er nicht einfach auf dem Gelände niedergehen. Er landete außerhalb der zerstörten Bereiche und näherte sich dem Sicherheitspersonal, das ihn bereits misstrauisch musterte. Er nickte einem Uniformierten zu, der der Anführer zu sein schien. Dann zeigte er seinen Ausweis, bevor sich jemand beschweren konnte. Die Ertruser zuckten nicht einmal zusammen, sie beherrschten sich mustergültig.

»Wir haben dich bereits erwartet«, behauptete der Uniformierte.

Landry nickte, als glaube er ihm jedes Wort. In Wahrheit sahen es die örtlichen Behörden sicher nicht sehr gerne, dass die Terraner ihre Nase in diese Sache steckten. Ein gewisser Lokalpatriotismus war auch nicht zu verurteilen. Die Ertruser wussten aber sicher, wo ihre Grenzen lagen.

Stewart betrat das zerstörte Stadtviertel. Er ließ sich über den Stand der Ermittlungen unterrichten. Offensichtlich war man noch nicht sehr weit gekommen, aber das war so kurz nach dem Unglück auch nicht zu erwarten gewesen. Die Trümmer rauchten noch, man war gerade mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt.

Einige Meter entfernt stand ein einzelner Ertruser, der gerade versonnen über seinen Sichelkamm strich. Landry warf einen Blick in seine Richtung, dann auf die Trümmer, in denen immer noch Einsatzkommandos unterwegs waren. Er ließ die Trümmer links liegen und ging zu dem Umweltangepaßten.

»Guten Tag«, grüßte er.

Der Ertruser drehte nur kurz den Kopf und nickte ihm mit einem sanften Lächeln zu. Er ließ sich allerdings nicht lange ablenken und beobachtete weiterhin das Geschehen.

»Hast du auch einen Namen?«, fragte er den Ertruser.

Der nickte.

»Herus Magan«, stellte er sich vor. »Mir gehört die Fabrik«, fügte er hinzu. »Oder besser, mir gehörte sie. Viel ist davon ja nicht mehr übrig.«

Er wirkte für einen Augenblick betroffen, so als würde ihm erst jetzt klarwerden, was da eigentlich passiert war. Dann setzte er allerdings wieder das versteckte Lächeln auf, das um seine Mundwinkel spielte und Landry fragte sich, ob der Kerl verrückt war. Schließlich hatte man ihn gerade seiner Geschäftsgrundlage beraubt. Er wandte sich abrupt ab und wollte weggehen. Landry ließ ihn ungehindert vom Ort des Geschehens verschwinden, aber er beschloss, ihm zu folgen. So ließ er den Unglücksort schneller hinter sich, als er gedacht hatte. Der Umweltangepaßte machte nicht den Eindruck eines zutiefst getroffenen Menschen. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Kerl.

Landry blickte Magan hinterher, der die Halle zu verlassen schien.

Die Ertruser, die ihm noch vor kurzem fast den Zutritt verwehrt hätten, sahen ihm verwundert nach, als er schnellen Schrittes an ihnen vorbei eilte und nur kurz in ihre Richtung winkte. Er folgte dem Ertruser in die Straßen der Stadt. Schnell fand er heraus, wohin ihn seine Schritte führten. Der Umweltangepaßte ging auf den Raumhafen der Stadt zu, der nicht allzu weit vom Unglücksort entfernt war. Trotzdem war es doch eher ungewöhnlich, dass er zu Fuß unterwegs war.

Nach einer halben Stunde betrat er das Abfluggebäude des zivilen Raumhafens. Landry war dicht hinter ihm. Er beobachtete den Ertruser, wie er zu einem der interstellaren Terminals ging, dann verschwand er unauffällig durch eine Türe und suchte den Leiter des Raumhafens auf.

Der Ertruser Myrian Chadd sah unwillig auf, als er so einfach hereinplatzte. Die Worte blieben ihm aber im Hals stecken, als er den Ausweis mit dem Symbol des TLD unter die Nase gehalten bekam.

»Ich will nur wissen, wohin Herus Magan fliegt. Er hat den Spaceport gerade betreten und ist über eines der Terminals verschwunden.«

Der Flughafenleiter nickte, dann setzte er sich mit der Kontrollzentrale in Verbindung. »Irgendeine Meldung über Herus Magan? Er verläßt im Augenblick Ertrus. Habt ihr etwas gehört?«

Die Antworten waren negativ.

»Versuchen Sie es über Positron Enterprises«, regte Landry an.

Chadd nickte und setzte sich wieder mit der Kontrollzentrale in Verbindung.

»Es ist nur ein Schiff von einem Positronik-Konsortium hier, das im Augenblick starten will. Die Plophos-Syntronik ISAG hat einen Raumer hier, der um Starterlaubnis gebeten hat. Auf der Passagierliste taucht der auf.«

»Welches Ziel hat der Flug?«

»Plophos.«

»Danke.«

Landry verlor keine Zeit mehr. Er verabschiedete sich und verließ das Büro des Spaceport-Leiters. Der blickte ihm nur kopfschüttelnd hinterher. Vermutlich überlegte er sich, ob die Mitarbeiter des TLD jetzt vollkommen verrückt geworden waren. Letztendlich war es aber wohl sicherer, von nichts zu wissen. Er beschloss also den Vorfall zu vergessen und ließ sich wieder auf seinem Platz nieder.

*

Landry rannte durch die Eingangshalle und verließ den Spaceport, an den Zollkontrollen vorbei rennend, als würde es sie nicht geben. Als man ihn zurückhalten wollte, zeigte er nur kurz seinen Ausweis, den er auf Ertrus schon viel zu oft verwendet hatte. Aber er war hier nun mal im offiziellen Auftrag. Er betrat das Flugfeld des Raumhafens und ließ sich von einem Gleiter zu seiner Jet bringen. Unterwegs rief er über Funk nach seiner Pilotin, die das Raumschiff klarmachte und die Starterlaubnis einholte. Jana fragte nicht, sie fuhr einfach die Triebwerke auf Leerlauf hoch und wartete auf ihren Chef. Bei Stewart hatte sie sich das Fragen schon längst abgewöhnt. Wenn er nur nicht so unverschämt gut aussehen würde.

Als Landry das Schiff betrat, kam gerade die Starterlaubnis herein. Die Jet schoss in den Himmel, vorbei an vielen andere Schiffen, die starteten und landeten und machte sich auf den Weg zu einem fernen Stern. Plophos war weit entfernt, aber mit den Mitteln der modernen Jet würde der Flug nur wenige Stunden dauern.

*

Jana warf Landry einen sehnsüchtigen Seitenblick zu, der GALORS gerade über geheime Verbindungen befragte. Das Ergebnis schien ihn zu erquicken. Er lehnte sich entspannt zurück.

»Erfolg gehabt?«, fragte sie leichthin. Landry zuckte mit den Schultern.

»Wie man es nimmt. Ich weiß noch nicht, wer dahintersteckt. Aber ich habe da so meinen Verdacht, wollen doch mal sehen, was auf Plophos passieren wird. Soweit ich gerade erfahren habe, werde ich morgen Abend an einer Party teilnehmen. Der Gastgeber weiß noch nichts davon. Aber das ist auch besser so.«

Er schloss zufrieden die Augen und entschloss sich zu einem kleinen Nickerchen. Wer wusste schon, wann es wieder eine Phase der Ruhe geben würde?

Jana seufzte enttäuscht. Sie fand einfach keinen Zugang zu diesem Mann. Dabei hatte er eigentlich, wenn es um Frauen ging, einen eher schlechten Ruf.

Landry wusste genau, was in seiner Pilotin vorging. Sie gefiel ihm durchaus, hatte den Körperbau, den er an einer Frau zu schätzen wusste. Schlank, trotzdem an den entscheidenden Stellen üppig gebaut und einen sehr netten Charakter. Aber im Augenblick konnte er sich nicht erlauben, seine Gedanken auf etwas anderes zu richten.

Eine seiner wichtigsten Eigenschaften war ein gutes Gespür für Menschen. Er fühlte, ob er jemandem vertrauen konnte, oder nicht. Herus Magan ordnete er eher in die Kategorie der nicht sehr vertrauenswürdigen Menschen. Auf Plophos würde er sich mit dem Leiter der dortigen P-Chip-Fabrik wenden. Marius Dorn wollte dort am morgigen Abend einen Empfang geben, soviel hatten die TLD-Kollegen bereits herausgefunden. Magan sollte wohl dabei sein. Ob er eingeladen war oder andere Gründe hatte, dorthin zu gehen, war nicht ganz klar. Jedenfalls würde eine Begegnung zwischen diesen beiden Menschen eine Chance bedeuten. Bald würde er mehr wissen. Er döste ein.