Band 18

MORDRED-ZYKLUS

 

Die Spur der Mordred

Agenten haben viele Gesichter!

 

Jürgen Freier

 

Was bisher geschah

Wir schreiben das Jahr 1290 NGZ. Die Zell-aktivatorträger sind bis auf Homer G. Adams in den Weiten des Alls verstreut, um gegen Shabazza und seinen Meister zu kämpfen. Da schlägt urplötzlich die Terrororganisation Mordred zu und greift diverse Camelot–Niederlassungen an. Adams ist zutiefst verunsichert und kann wenig gegen die gezielten Attacken ausrichten.

Auf Mashratan, einer ehemaligen Kolonie des Solaren Imperiums, gelingt es den Camelotern, in Zusammenarbeit mit der LFT, der Mordred die erste Niederlage zuzufügen. Zwei Führungs-personen der Terrorgruppe sind tot. Doch die Terrororganisation gibt sich nicht geschlagen und eröffnet mit der Zerstörung der Welt Sverigor mit über zwei Milliarden Lebewesen, deren Administration ihrerseits plante, die Menschheit zu vernichten, eine neue Dimension des Terrors. Der Somer Sruel Allok Mok versucht daher im Auftrag von Homer G. Adams auf der BASIS Hinweise über Cauthon Despair und die hinter ihm stehende Terrororganisation zu finden und stößt dabei auf DIE SPUR DER MORDRED …

Hauptpersonen

Sruel Allok Mok »Sam« – Die Spur des Terrors führt den somerischen Diplomaten in Diensten Camelots zur BASIS.

Rebekka DeMonn – Die Einsatzleiterin des TLD erhält einen Hinweis auf einen Maulwurf innerhalb des TLD.

Will Dean – Der TLD-Agent soll den größten Geheimnisverrat in der Geschichte des TLD verhindern.

Celine Ahornd – Die TLD-Sondereinsatzagentin steht im Verdacht, wichtige Daten des TLD gestohlen zu haben.

Romano Nelder – Der ehemalige Vhratowächter macht verstörende Erfahrungen.

Sha-Hir-R’yar – Die Assassine spielt gerne Katz und Maus.

Sam Tyler und JaparDie Freien Söldner werden für einen gefährlichen Auftrag zwangsverpflichtet.

 

 

 

Prolog

Terroristischer Wahnsinn oder bittere Notwendigkeit?

Der Planet Sverigor wurde von der angeblichen Terroristenorganisation Mordred durch eine Arkonbombe zerstört. Fast zwei Milliarden Wesen fanden in dem atomaren Inferno den Tod.

Doch, liebe Mitterraner, das ist nur die eine Seite der Medaille! Die Kehrseite wird von der Mainstreampresse wieder einmal unter den Tisch gekehrt, was nicht sein darf, wird einfach verschwiegen und fällt der Selbstzensur der galaktophilen Kampfpresse zum Opfer. Die verblendeten Handlanger der nichtmenschlichen Alienrassen, die auf Sverigor die Macht an sich gerissen hatten, planten, eine für alle Menschen tödliche Nanokultur in der Milchstraße zu verteilen, die das Ende der Menschheit bedeutet hätte. Jawohl, liebe Mitmenschen, die verbrecherische Korrektheitsbehörde plante tatsächlich, jedes Lebewesen, das in den Weiten der Milchstraße und Andromedas das Erbe des glorreichen Lemurs in seinen Genen trägt, zu vernichten, auszurotten und einen Genozid unvorstellbaren Ausmaßes einzuleiten.

Hierbei stellt sich uns nun die Frage: Handelt es sich bei der Mordred wirklich um eine wahnsinnige Terrorgruppe oder sind nicht gerade die Gutmenschen und Alienversteher aus LFT und Camelot die wirklichen Terroristen, indem sie es zugelassen haben, dass solche todbringenden, menschenfeindlichen, gottlosen Killerviren gegen uns Menschen entwickelt wurden?

Wie dem auch sei, eines muss angesichts der Tragödie von Sverigor laut und deutlich gesagt werden:

Unser Dank, der Dank aller echten Kinder Lemurias, gebührt in diesem Augenblick dem unbekannten Retter an Bord einer arkonidischen LEKA-Disk, der in dieser Stunde der Bewährung nicht zögerte, sich seinen arkonidischen Brüdern und Schwestern, aber auch jedem Terraner, kurz gesagt, allen Menschen, die schon durch Feigheit und Anpassung verspielte Zukunft wiederzugeben. Und, auch das muss hier gesagt werden, auf Sverigor kann es keine unschuldigen Opfer gegeben haben, da die herrschende Clique der Menschenhasser an der Spitze der sverigorischen Gesellschaft, nur das Spiegelbild des unheiligen Gemenges eines verdammenswerten Multi-Kulti-Pfuhls darstellte.

Vahraáto und seine Heroen mögen uns beistehen und unser Volk vor dem Hass und der Gier der Alienrassen schützen!

Bekket Glyn, freier Journalist.

*

Homer G. Adams starrte fassungslos auf dieses Traktat, das gerade durch das galaktische Newsnetwork lief und das, wie die eingeblendeten Zugriffszahlen bewiesen, gerade Millionen und Abermillionen Herzen mit seinem unverblümten Rassismus vergiftete. Bekket Glyn, der Propagandist der abgewählten Regierung Eavan, war wieder aus der Versenkung aufgetaucht und führte seine verhängnisvolle Propaganda genau dort weiter, wo er nach der Niederlage Eavans aufgehört hatte. Und, das war das eigentlich Bedrückende, er schien, wenn man den Zugriffszahlen glauben konnte, Erfolg zu haben.

Die Vernichtung Sverigors stellte eine Katastrophe, eine Tragödie für die galaktische Gemeinschaft dar. Doch sie hatte in der Tat den bitteren Beigeschmack, dass die Eliten Sverigors die Menschheit so sehr verachteten, dass sie durch einen Nanovirus die Menschheit unfruchtbar machen und dann ausrotten wollten. Dieser Extremismus, dieser gegenseitige Hass der galaktischen Völker aufeinander, erschütterte den Unsterblichen bis ins Mark. Mehr denn je brauchten die Galaktiker das Vorbild und die ausgleichende Politik Camelots. Jemand musste diesem Wahnsinn Einhalt gebieten, sonst würden noch viel mehr Wesen den Ideologien der Fanatiker zum Opfer fallen. Es war falsch, das Eine zu verurteilen und das Andere gut zu heißen. Weder durfte die Mordred als Retter der menschlichen Rasse gefeiert, noch durften die Sverigen zu Märtyrern hochstilisiert werden. Er fühlte sich quälend an eine Zeit erinnert, von der er einmal geglaubt hatte, dass sie längst durch den Evolutionssprung, der mit der Aktivierung der Chronofossilien einhergegangen war, überwunden sei. Gut oder böse, Schwarz oder Weiß, dieses Denken war für die damalige Zeit typisch gewesen. Und nun schien es, dass eben dieses eindimensionale Denken sich überall in der Milchstraße ausbreitete und das Verhältnis der galaktischen Völker zueinander vergiftete.

Während seiner Grübeleien hatte sich Joak Cascal, der Kommandant der TAKVORIAN, gemeldet und seine Rückkehr nach Camelot angekündigt. Fast nebenbei bestätigte er die Meldung und beendete die Verbindung.

Der kleine Mann mit dem schütteren Haar starrte mit leerem Blick auf das erloschene Display des Kommunikationsterminals, das noch vor Sekunden das Konterfei Joak Cascals und davor die Hetzschrift Glyns gezeigt hatte. In der gegenwärtigen Situation war der alte Kämpe aus längst vergangen Tagen, der wie Phönix aus der Asche der Vergangenheit aufgetaucht war, der einzige Lichtblick in der augenblicklichen Lage. Und die war, um sie mit einem Wort zu charakterisieren, beschissen. Seine Hand griff automatisch nach dem Glas, das noch halbvoll auf dem kleinen Board neben dem Terminal stand. Gierig stürzte er die bernsteinfarbene Flüssigkeit hinunter. Der Alkohol brannte in der Speiseröhre und verbreitete wenig später eine angenehme Wärme in seinem Unterleib. Gleichzeitig registrierte er die Impulse seines Aktivatorchips, der bereits den genossenen Alkohol neutralisierte.

Langsam erhob sich Homer G. Adams und steuerte niedergeschlagen den Durchgang zu der Galerie an, die sich unterhalb der Spitze um die gleichschenkelige Pyramide des HQ-Camelot herumzog. Der Servo registrierte den Wunsch des Unsterblichen und öffnete das aus Formenergie gebildete Portal. Gedankenverloren schritt er hindurch und trat an die Balustrade, wo er sich mit beiden Händen auf der Brüstung abstützte und über das Panorama von Port Arthur blickte. Tief unter ihm pulsierte die aufblühende Metropole, die das Zentrum Camelots bildete. Die Klimasteuerung hatte für die nächsten Tage eine Schönwetterperiode geplant, so dass der Servo den Formenergieschutz der Aussichtsgalerie deaktiviert hatte. Der frische Wind, der die Spitze der Pyramide umspielte, griff nach seinen Haaren, während Ceres langsam unter dem Horizont verschwand und der Stadt einen farbenprächtigen Sonnenuntergang bescherte, doch die bedrückenden Gedanken blieben.

Zuerst Imart, dann Zalit, Gatas, Olymp und Plophos. Viele Leben waren in der Zerstörungsorgie der Mordred erloschen. Er hatte viele von ihnen persönlich gekannt und er fühlte sich für alle verantwortlich.

Er war, obwohl er sich dafür als absolut ungeeignet betrachtete, für den Schutz all der Wesen verantwortlich, die ihr Leben und ihre Zukunft in den Dienst Camelots gestellt hatten – eine Aufgabe, der er sich in keiner Weise gewachsen fühlte. Nicht nur, dass Raumschlachten und Agenteneinsätze nicht seine Welt waren, es fehlten ihm auch sämtliche Ressourcen, um den Schutz der über die Milchstraße verstreuten Camelot-Büros auch nur annähernd zu gewährleisten. In den schlaflosen Nächten der letzten Wochen hatte sich ein Gedanke immer mehr in seinem Denken festgesetzt:

Sie hatten bei der Konzeption Camelots einen tödlichen Fehler begangen!

Perry Rhodan hatte Camelot als Alternative zur nationalistischen und hegemonialen Politik der bestehenden Machtblöcke von LFT, Forum Raglund und des Arkonidischen Kristallimperiums konzipiert und dabei besonderen Wert auf eine weitgehende Entmilitarisierung gelegt. Niemand sollte sich durch eine neue galaktische Macht bedroht fühlen, so lautete seine Devise. Einzig Atlan hatte ihm damals widersprochen. Doch die Einwände des alten Arkoniden-Admirals blieben unberücksichtigt. Zu verführerisch schien die Vision einer Organisation, deren einziges Ziel die Überwindung der nationalen, rassistischen und sozialen Gegensätze in der Milchstraße sein sollte, die nach der langen Monos-Tyrannei aufgetreten waren. Camelot sollte für alle Völker die Verkörperung dieser Vision darstellen und sie zur Nachahmung ermutigen. Doch diese Vision war nur ein Traum geblieben, das zeigten die vergangenen Jahre nur zu deutlich. Nicht einmal die LFT war bereit gewesen, mit Camelot zusammenzuarbeiten.

Und nun der bisherige Höhepunkt des Terrors, Sverigor. Mit der Vernichtung dieser Welt hatte die Mordred eine Grenze überschritten, ihr Terror war nun nicht mehr nur gegen die Unsterblichenorganisation gerichtet, sondern ein ganzer Planet mit Milliarden intelligenter Lebewesen war im atomaren Inferno mehrerer Arkonbomben verglüht. Das Auftreten der selbsternannten »Erben« des Solaren Imperiums bei der Vernichtung Sverigors hatte gezeigt, dass sie über beträchtliche militärische Machtmittel verfügten, denen er nichts, aber auch gar nichts, entgegenzusetzen hatte. Die einzige Hoffnung, die ihm blieb, war, dass es endlich zu gemeinsamen Aktionen mit der LFT kommen würde. Nach einem letzten Blick über das Panorama der tief unter ihm liegenden Stadt, betrat er wieder das Verwaltungszentrum, das ihm in den vergangenen Wochen zugleich als Wohnraum und Arbeitsplatz diente. Es half nichts, in der gegenwärtigen Situation war es seine Aufgabe, die Mordred zu stoppen und ihre mörderischen Pläne zu durchkreuzen.

Doch er wusste nur nicht wie und mit was!

*

Das schrille Akustiksignal des Kommunikationsterminals riss den Mann mit dem schütteren Haarkranz um den mächtigen Schädel aus seinen Gedanken. Im gleichen Moment entstand die Projektion einer etwa fünfzigjährigen Frau, die hinter einem ähnlichen Terminal saß. Die etwas rauchige Stimme seiner Assistentin riss ihn aus seinen Grübeleien.

»Entschuldige Homer, aber wichtige Nachrichten sind eingetroffen.«

Er blinzelte etwas, bevor er antwortete:

»Was gibt es Phyllis, endlich Nachrichten von der LFT?«

Die schwarzhaarige Terranerin, musterte ihn voller Bedauern, bevor sie entgegnete:

»Ja, aber keine Guten. Paola Daschmagan höchstpersönlich hat deinen Vorschlag für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Mordred strikt abgelehnt, solange wir nicht bereit wären, die Position Camelots offenzulegen und uns in die LFT einzugliedern.«

Für einen Moment war er wie paralysiert. Seine ganze Hoffnung der vergangenen Tage beruhte darauf, dass die LFT-Führung endlich ihre kindische Ablehnung gegen Camelot überwinden und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit wäre. Und nun das. Doch Phyllis fuhr schon fort:

»Allerdings, und das gibt uns einen kleinen Hoffnungsschimmer, hat sich die liebe Paola ein Hintertürchen offen gelassen, sie erklärt sich bereit, einer begrenzten Zusammenarbeit auf Geheimdienstebene zuzustimmen. Und nun zu den guten Nachrichten ...«

Die letzte Bemerkung ließ ihn ungläubig aufblicken.

»Was kann da noch gut sein?«, fragte er verständnislos.

»Na, beispielsweise die unversehrte Rückkehr der TAKVORIAN und der IVANHOE«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.

»Cascal und Jeamour sind gerade gelandet und bitten so schnell wie möglich um eine Lagebesprechung. Sie haben auch Wirsal Cell mitgebracht, der ebenfalls an der Besprechung teilnehmen soll.«

»Gut, Phyllis, bereite bitte die Besprechung im kleinen Sitzungssaal vor.«

Gedankenverloren starrte er in das dunkle Firmament, wo die beiden Monde Charon und Styx ihre Bahn zogen. In seinem Kopf drehte sich alles um einen bestimmten Namen. Ohne sein bewusstes Zutun glitten seine Finger über das berührungssensitive Eingabefeld, das ihn mit dem zentralen bio-syntronischen Verbundrechnersystem verband. Wenig später forderte das System seine Identifizierung. Seine Finger huschten über die virtuelle Tastatur, die über der Arbeitsplatte entstanden war. Nach all den Jahrtausenden bevorzugte er immer noch die manuelle gegenüber der akustischen Eingabe. Wenig später hatte er seine Kennung eingeben und erhielt die Freigabe des Rechnerverbundes. Wieder glitten seine Finger über das Konsolenfeld. Auf dem Holodisplay entstand der Datensatz, der ihn interessierte, Wirsal Cells Personalakte. Aber besonders interessierten ihn die vom Überwachungsprogramm der Syntronik registrierten Zugriffe auf das Datenbanksystem. Und diese hatten es in sich!

Eine halbe Stunde später lehnte er sich kopfschüttelnd zurück. Rhodans Glaube an das Gute im Menschen in allen Ehren, aber ein uraltes Sprichwort seiner britischen Heimat lautete: Trust, but verify!

Und genau dagegen hatte Perry Rhodan verstoßen, indem er persönlich Wirsal Cell die höchste Sicherheitsstufe eingeräumt hatte. Diese war bei einem ehemaligen Ausbildungsleiter der Raumakademie und heutigem externen Berater mit dem gesunden Menschenverstand nicht zu erklären. Und Cell hatte diese Sicherheitslücke genutzt, das bewiesen die Zugriffsprotokolle eindeutig. Ein Menschenfreund, wie der ehemalige Großadministrator, würde das wohl mit der menschlichen Neugier entschuldigen, doch bei ihm hatten sämtliche Alarmglocken geklingelt.

Doch bis Perry Rhodan zurückkehren würde, konnten wohl noch Monate oder Jahre vergehen. Niemand wusste, wo er und Bully im Moment waren, bei den anderen Aktivatorträgern war es ähnlich. Was hätte er dafür gegeben, wenn plötzlich Atlan oder Tekener aufgetaucht wären, um die Verantwortung für das Wohl und Wehe Camelots zu übernehmen. Aber, das waren Wunschträume, es half nichts, er musste sich mit der Mordred herumschlagen und den Kampf gegen den geheimnisvollen Silbernen Ritter Cauthon Despair führen. Und nun noch dieser Wirsal Cell. War dieser ein Freund oder arbeitete er gegen Camelot? Immerhin hatte er bei der Enttarnung der Nummer Sieben der Mordred, Dennis Harder, maßgeblich mitgewirkt. Auch auf Sverigor war er offenbar sehr hilfreich gewesen, zumindest nach dem Bericht von Aurec und Joak Cascal zu urteilen. Vielleicht war das Ganze tatsächlich harmlos und Cell hatte sich einfach über die Einsatzmöglichkeiten der neuen Einheiten der neu entwickelten SUPERNOVA-Klasse informieren wollen. In diesem Falle wäre alles nur ein Kommunikationsproblem zwischen der Spitze der Unsterblichenorganisation gewesen. Aber irgendwie fühlte er sich dabei absolut unwohl, ein Gefühl, das von Crest während der Dritten Macht als voraussehendes Ahnen bezeichnet wurde. Der alte arkonidische Wissenschaftler und Mentor der Terraner hatte ihn damals sogar als Halbmutant klassifiziert und ihm geraten, sich immer auf solche Gefühle zu verlassen.

HQ-Camelot, kleiner Sitzungssaal, etwa zwei Stunden später.

Mit forschem Schritt betrat der Unsterbliche das kreisförmige Auditorium, das sich genau unter seinen persönlichen Räumen an der Spitze der Pyramide befand. Etwa zwanzig Arbeitsplätze zogen sich um das Syntronikterminal mit dem integrierten Holoprojektionstank. Einige Plätze waren bereits besetzt. Homer versuchte ein freundliches Gesicht zu machen, während er die Anwesenden begrüßte. Joak Cascal und Xavier Jeamour waren in ein Gespräch vertieft, während Sandal Tolk scheinbar gelangweilt seine berühmte Axt polierte. Etwas verloren wirkend saß der Saggittonische Kanzler Aurec abseits. In diesem Moment betrat auch Wirsal Cell das Auditorium. Etwas verlegen wirkend blieb er am Rande der Runde stehen und blickte sich suchend um. Homer ging auf ihn zu und begrüßte ihn zuvorkommend, was ihm trotz der vorhergegangenen Absprache einen finsteren Blick seiner Assistentin einbrachte. Nachdem der gegenseitigen Höflichkeit genüge getan war, ergriff der momentan für das Wohl und Wehe Camelots Verantwortliche das Wort.

Noch mal fasste er die gegenwärtige Lage zusammen und bat dann die beiden Kommandanten der zurückgekehrten Raumschiffe um einen genauen Bericht über die Ereignisse, die zur Vernichtung Sverigors geführt hatten. Cascal und Jeamour hatten sich anscheinend darauf geeinigt, dass der wie ein Geschenk aus dem Nichts so plötzlich aufgetauchte Veteran des alten Solaren Imperiums das Wort führen würde.

Innerhalb des Holoprojektionstanks entstand eine dreidimensionale Darstellung des Malmö-Systems, das aus acht Planeten gebildet wurde. Sverigor war der vierte Planet gewesen. Cascal hatte inzwischen seine allgemeinen Ausführungen beendet und begann die strategische Situation darzulegen. Während der gesamten Zeit hatte der Unsterbliche den Gesichtsausdruck Cells genau studiert und konnte nur eines bei dem Olympier erkennen, nämlich grenzenlose Langeweile. Erst als Cascal auf den Einsatz der VERDUN und der RANTON zu sprechen kam, schien das Gesicht des Olympiers so etwas wie Interesse widerzuspiegeln. Cascals Ausführungen gipfelten in der Bemerkung, dass selbst der Einsatz sämtlicher NOVA-Schlachtschiffe der LFT die beiden Schiffe der Mordred in keiner Weise hätten gefährden können.

Abschließend bemerkte er noch, dass er und Jeamour sich gewundert hätten, warum Despair nicht die Gelegenheit genutzt hatte, die IVANHOE und die TAKVORIAN zu vernichten, was ihm wohl ohne Zweifel jederzeit möglich gewesen wäre.

Bei diesen Worten konzentrierte sich Adams wiederum allein auf den Gesichtsausdruck Cells, der zuerst Zufriedenheit widerspiegelte, um dann für einen kurzen Moment Unzufriedenheit, ja sogar Wut, zu zeigen.

Nach einigen weiteren Diskussionspunkten beendete Homer die Sitzung. Phyllis lud dann die Anwesende zu einer Abschiedsparty in ihrem Appartement ein, da sie endlich ihren ausstehenden Urlaub nehmen wolle. Wirsal Cell lehnte freundlich ab und verabschiedete sich auch wenig später und bemerkte, dass er beabsichtige, auf Mashratan nähere Nachforschungen über seinen ehemaligen Schüler anzustellen, da der ungeklärte Angriff der LFT- und Camelot-Schiffe wohl der Schlüssel zum Hass Despairs gegenüber Camelot darstelle.

Port Arthur, Appartement Phyllis Delacier, 22:00 Uhr Terra-Zeit

Die Teilnehmer der Abschiedsparty waren bis auf Cell der Einladung von Phyllis gefolgt und saßen in lockerer Runde im geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer der frankophilen Terranerin. Um einen großen Couchtisch waren einige bequeme Sitzgelegenheiten verteilt in denen es sich Aurec, Cascal, Tolk und Jeamour bequem gemacht hatten.

Die Gastgeberin hatte sich in die kleine Küche verzogen, um für die Gäste Getränke und einen kleinen Imbiss vorzubereiten. Homer hatte sich mit der Begründung entschuldigt, dass er noch etwas besorgen müsse und ein wenig später kommen würde. Einige Minuten später kündigte das Signal der internen Hauskommunikationsanlage die Ankunft eines weiteren Besuchers. Nachdem sie sich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass es sich um ihren Chef handelte, öffnete sie den Eingang ihres Appartements und begrüßte Adams.

Wenig später betraten die Beiden das Wohnzimmer. Bevor jemand etwas sagen konnte, aktivierte Adams ein kleines Gerät, mit dem er den Raum scannte.

»Wenigstens etwas«, kommentierte er an Phyllis gewandt, »wenn dieses Meisterstück unserer Siganesen funktioniert, scheint deine Wohnung sauber zu sein!«

Die kleine Gruppe schaute ihn völlig überrascht an.

»Was soll das bedeuten?«, brachte schließlich Aurec die Fragen der Anwesenden auf den Punkt.

»Nun«, antwortete der Angesprochene, »so wie es aussieht, haben wir vermutlich ein gewaltiges Sicherheitsleck.«

Nachdem sich alle etwas beruhigt hatten, berichtete Adams von seinem Verdacht gegen Wirsal Cell. Seine Aussage, dass dieser durch Perry Rhodan persönlich in die höchste Sicherheitsklasse eingestuft wurde, hatte allgemeines Kopfschütteln zur Folge. Besonders Joak Cascal war fassungslos. Ihm, als ehemaligem Mitglied der Solaren Abwehr, der durch die harte Schule Galbraith Deightons geprägt wurde, war die hier ersichtliche Sicherheitspolitik Camelots unbegreiflich. Als Adams schließlich von den protokollierten Zugriffen auf die Gefechtsfeldprogrammierung der IVANHOE und der TAKVORIAN berichtete, rastete er förmlich aus. Xavier Jeamour bewirkte schließlich durch seine Frage, was man nun tun könne, dass sich die Gemüter wieder etwas beruhigten. Auch Aurec mischte sich nun in das Gespräch ein, indem er bemerkte, warum sie Cell der Spionage bezichtigen oder dies zumindest andeuten würden. Schließlich brachte er seine Einschätzung auf den Punkt.

»Betrachtet ihr Cell, den ich als einen integren und zuvorkommenden Menschen kennengelernt habe, nur deshalb als möglichen Verräter, weil er sich über seine gegenwärtige Funktion hinaus zusätzliche Informationen beschafft hat? Eine Vorgehensweise, die von Perry Rhodan durch seine Sicherheitseinstufung persönlich abgesegnet worden ist. Ich persönlich wäre übrigens froh, wenn meine Mitarbeiter gelegentlich Eigeninitiative zeigen und über ihren persönlichen Tellerrand hinaussehen würden.«

»Mir missfällt, dass er mit seiner Sicherheitseinstufung vollen Zugriff auf alle sicherheitsrelevanten Daten hat«, entgegnete Cascal.

Dann fuhr er fort: »Im Solaren Imperium wäre das absolut unmöglich gewesen. Einen uneingeschränkten Zugriff auf den Datenbestand, der als Top Alpha eingestuft wurde, hatte noch nicht einmal der damalige Großadministrator oder der Lordadmiral der USO. Für den Großadministrator galt beispielsweise die Regelung, dass der Zugriff durch einen zweiten Geheimnisträger der gleichen Stufe autorisiert werden musste, beispielsweise durch Solarmarschall Deighton oder Staatsmarschall Bull. Ich kann keinen Grund erkennen, warum das jetzt völlig anders gehandhabt wird.«

Homer hatte die Ausführungen Cascals gebannt verfolgt und mehrmals bestätigend genickt. Lächelnd bemerkte er gegenüber dem Kommandanten der TAKVORIAN:

»Trust, but verify!«

Dieser nickte bestätigend und ergänzte, »Genau, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!«

Doch ein Blick in die skeptischen Gesichter von Aurec und Jeamour zeigte, dass die Beiden noch nicht überzeugt waren. Der Kommandant der IVANHOE artikulierte seine Bedenken, indem er bemerkte, dass wenn Cell für die Mordred arbeiten würde, diese wohl ohne Skrupel ihren Vorteil ausgenutzt, und die beiden Schiffe bei Sverigor vernichtet hätte.

Doch wieder war es Cascal, der das Argument seines Kollegen zerpflügte.

»Ob die Mordred in Besitz der Gefechtsfeldsteuerungskodes war oder nicht, spielte bei der Situation um Sverigor keine Rolle. Despair war uns mit seinem Monsterschlachtschiff dermaßen überlegen, dass er uns, mit oder ohne Kode, mit einer einzigen Breitseite aus dem All blasen konnte. Nein, der Grund, warum er die Gelegenheit nicht beim Schopf ergriffen hat, muss ein anderer sein. Das hat mit unserem gegenwärtigen Problem nichts, aber auch gar nichts, zu tun. In dem Moment, wo sich der Kommandant, der VERDUN entschließt, uns anzugreifen, wären wir Geschichte gewesen.«

Adams war hin und hergerissen. Auf der einen Seite war die Argumentation Xavier Jeamours nicht von der Hand zu weisen, doch auch der Standpunkt des Veteranen aus dem Solaren Imperium war wohl begründet. Was ihn jedoch vor allem beunruhigte, war die Möglichkeit, dass Cell tatsächlich ein Verräter sein könnte. In diesem Fall waren die ganzen Verteidigungspläne gegen einen Angriff aus dem All wohl nichts anderes als nutzlose Makulatur. Doch warum hatte die Mordred, sollte diese Annahme zutreffen, noch nicht zugeschlagen?

Von Aurec kam dann noch der Vorschlag, Wirsal Cells Sicherheitseinstufung einfach herabzusetzen. Er ergänzte dann noch, dass dieser zwar in seinem Stolz verletzt sein dürfte, aber die Maßnahme bestimmt verstehen würde. Wieder wurde er durch Jeamour unterstützt.

Doch Cascal zerstörte wiederum die allgemeine Hoffnung auf einen einfachen Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma, indem er bemerkte, dass das wohl das Dümmste wäre, was sie im Moment tun könnten. Sollte Cell tatsächlich in irgendeiner Weise Verbindung mit der Mordred haben, dann würde ihm die Herabstufung zeigen, dass er enttarnt wäre. Die Folge würde wahrscheinlich sein, dass diese Maßnahme einen Angriff der Mordred geradezu provozieren würde.

Danach versank er minutenlang in ein finsteres Brüten, bevor sich sein Gesicht wieder erhellte.

»Wir müssen genauso weitermachen wie bisher. Also keinerlei Maßnahmen, um den Zugriff auf unsere Datenbanken zu beschränken. Lasst Cell seine gesamten Informationsmöglichkeiten. Ich werde in den nächsten Tagen mit der TAKVORIAN auf eine weitere Erprobungsmission aufbrechen. Als Vorwand wird die Integration weiterer MERZ-Module dienen, die gerade fertiggestellt wurden. Das sollte genügen, um bei Cell jedes Misstrauen zu zerstreuen.«

Nun schauten ihn alle völlig konsterniert an.

»Was …, warum?«, stotterte Adams, »Wie soll uns eine Erprobungsmission in irgendeiner Weise helfen?«

»Nun«, antwortete er plötzlich grinsend, »ich werde eine alte Freundin besuchen.«

Kapitel 1: Agenten haben viele Gesichter

 

David Bowie: Space Oddity

Though I'm past one hundred thousand miles

I'm feeling very still

And I think my spaceship knows which way to go

Tell my wife I love her very much she knows

Ground Control to Major Tom

Your circuit's dead, there's something wrong

Can you hear me, Major Tom?

Here am I floating round my tin can far above the Moon

Planet Earth is blue and there's nothing I can do

 

Will Dean

Der dumpfe Beat der Bassgitarre riss ihn aus dem Schlaf. Völlig desorientiert blinzelte er in das gedämpfte Licht der im Raum verteilten Punktstrahler. Sein Blick suchte die Zeitanzeige, die durch das aktivierte Minikom mitten in den Raum projiziert wurde.

Drei Uhr fünfunddreißig, registrierte er ungläubig, welcher Arsch ruft mitten in der Nacht an?

Das Intro zu Earth Mother war inzwischen in das kraftvolle Klanggemälde aus verzerrten Gitarrenriffs, surrealistischen Synthesizerklängen und dem knallharten Beat des Schlagzeugs, das für die Gruppe Interkosmo so typisch war, übergegangen und die rauchige Bluesstimme von Grace Silk erfüllte den Raum, nur um wenig später hart und scharf wie eine Rasierklinge zu werden. Unwillkürlich begann er, den Takt mitzuwippen. Vor ihm entstand das Bild der wilden Schönheit, die er während eines Einsatzes gegen das Drogenkartell der Galactic Guerdians mehr als näher kennengelernt hatte.

Doch das war seit 1289 NGZ Geschichte, genauso wie das Disziplinarverfahren, das ihm die damalige Direktorin des TLD, Gia de Moleon, wegen sexueller Bestechlichkeit anhängen wollte. Grace war mit dem TLD-Tower und dem gesamten Stadtteil Alashan, samt seiner damaligen Chefin, durch eine Fehlfunktion der Heliotischen Bollwerke irgendwohin ins Nirwana versetzt worden, wohl auf Nimmerwiedersehen. Für einen Moment war er noch von den Erinnerungen an die wilden, gemeinsamen Nächte gefangen und meinte nochmals ihre Lippen auf seinem Körper zu spüren, doch die Erinnerung verflog und wurde von der Tristes seines gegenwärtigen Liebeslebens, das aus mehr oder weniger regelmäßigen One-Night-Stands bestand, verdrängt.

Unwillig richtete er sich auf und fixierte das verdammte Minikom, das ihn wie eine Nabelschnur mit seiner neuen Chefin verband. Oh ja, zuerst hatte er gemeint, dass das Verschwinden Gia de Moleons eine positive Wendung in seiner Karriere beim TLD einleiten würde, doch er war vom Regen in die Traufe gekommen. Unmittelbar nach der Katastrophe mit den Heliotischen Bollwerken wurde Noviel Residor durch Paola Daschmagan zum Direktor des TLD ernannt. Dieser begann sofort mit dem Wiederaufbau der TLD-Zentrale auf Luna. Zu seinen ersten Maßnahmen gehörte eine Reorganisation des Ligadienstes. Im Zuge dieser hatte er auch ein Mitarbeitergespräch mit dem neuen Chef gehabt. Residor stellte ihm nach entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen eine baldige Beförderung zum Agenten in Aussicht.

Doch dann kam die Katastrophe, und die war, wie konnte es auch anders sein, weiblichen Geschlechts. Noviel Residor tauchte aus irgendwelchen Gründen ab und verkehrte mit dem gesamten TLD-Apparat, wenn überhaupt, nur noch per Minikom oder persönlichen Holobotschaften. Nichts mehr mit den versprochenen Fortbildungen oder gar der Beförderung. Für ihn folgte auf Gia de Moleon Rebekka DeMonn, nach der alten, frustrierten Schachtel also die Femme Fatal des TLD, Scheiße, einfach nur Scheiße.

Aber, wenn er ehrlich gegenüber sich selbst war und das war er immer, trug seine verdammte große Klappe wohl auch einen Teil Mitschuld, aber nur einen ganz, ganz kleinen. Wie konnte er auch so bescheuert sein, die neue Einsatzleiterin des TLD während der ersten Dienstbesprechung danach zu fragen, ob Tizian Grannet in der Horizontalen tatsächlich der große Bringer gewesen war. DeMonn war ausgeflippt und hatte ihn nach allen Regeln der Kunst zur Sau gemacht. Niemals hätte er gedacht, dass eine so kleine, zierliche Person mit knapp über 50 kg, eine solche Energie entwickeln konnte. Für ihn bedeutete seine flapsige Bemerkung das Ende seiner Hoffnungen, endlich eine weitere Sprosse seiner Karriereleiter erklimmen zu können. In den folgenden Monaten war er in den einfachen Polizeidienst abgeschoben worden und seine Hauptbeschäftigung hatte seitdem in der endlosen Beschattung von Kleindealern, Jugendgangs und ähnlichem Schwachsinn bestanden. Süffisant lächelnd hatte DeMonn ihm erklärt, dass er sich erst einmal bei solider Polizeiarbeit die Hörner abstoßen solle. Und, wenn er sich dafür zu schade wäre, so könne er sich natürlich jederzeit beschweren.

Inzwischen war das Minikom wieder in den Passivmodus gewechselt. Nur die blinkende Speicheranzeige wies ihn daraufhin, dass die Nachricht aufgezeichnet worden war. Der Absender war klar, irgendein Arsch beim TLD hatte es für notwendig gefunden, ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu reißen. Scheiße! Und bei seinem Glück war es wahrscheinlich nicht irgendein Arsch, sondern eine ganz bestimmte weibliche Ausgabe desselben. Aber auch die konnte warten. Er brauchte jetzt unbedingt eine Dusche und eine geballte Ladung Coffein.

Etwa eine halbe Stunde später fühlte sich Will endlich wieder als Mensch, zumindest einigermaßen. Widerwillig rief er nun die gespeicherte Nachricht ab. Leider hatte er mit seiner Befürchtung recht behalten, Rebekka DeMonns Holoabbild entstand mitten im Raum in Lebensgröße. Das war jetzt zu viel, frustriert bellte er in Richtung des Minikoms »Mobilmodus« und wenig später »Akkustikfeld«. Das lebensgroße Holoabbild seiner Chefin erlosch und wurde auf die Abmessungen des Minidisplays verkleinert. Einen Moment stellte er sich vor, wie es wäre, wenn er DeMonn auch in Wirklichkeit auf Miniaturgröße verkleinern könnte, und dann, dann würde er …

Doch die rasiermesserscharfe Stimme, die ihn bis in seine Alpträume verfolgte, brachte ihn augenblicklich in die Wirklichkeit zurück.

»Möchtegern-Agent Dean«, die Stimme machte, wie immer nach dieser Anrede, eine theatralische Pause, »dein Erholungsurlaub ist zu Ende, Code Fatale Faith!«

Einen Moment war er versucht, das Minikom an die Wand zu werfen, doch dann drang die Bedeutung des zweiten Teils des Einsatzbefehls in sein Bewusstsein. Schlagartig verbesserte sich seine Laune, wurde fast euphorisch. Fatale Faith bedeutete nichts anderes, als dass der Verdacht bestand, dass der TLD in irgendeiner Weise unterwandert worden war. Das konnte nur bedeuten, dass er endlich seinen langweiligen Routinejob bei der Sondereinheit Organisierte Kriminalität loswerden würde.

Rasch bestätigte er den Empfang der Order. Dann aktivierte er das Merlinprogramm. Im Hintergrund wurden nun die notwendigen Informationen zusammengestellt und auf den Nano-Chip des Minikoms geladen. Wenig später zeigte ein akustisches Signal das Ende des Downloads an. Jetzt begann der eigentliche Übertragungsvorgang. Nochmals rief er sich die Ausführungen seines Instrukteurs während der Ausbildung ins Gedächtnis. Er hatte ab jetzt genau 30 Sekunden, um den Indoktrinator zu aktivieren. Danach würde sich der Nano-Chip auf chemischem Wege zersetzen. Mit gemischten Gefühlen nahm der das Minikom in die Hand. Im Innern des kleinen Kommunikators erfasste ein siganesisches Spezialgerät sein individuelles Gehirn-Impulssiegel. Nur wenn dieses mit den gespeicherten Werten übereinstimmte, würde der Indoktrinator, der aus den alten arkonidischen Hypnoschulungsgeräten entwickelt wurde, mit der Übertragung der gespeicherten Informationen in sein Gedächtnis beginnen. Ein Außenstehender hätte, außer einer kurzen geistigen Abwesenheit und einem starren Blick, nichts bemerkt. Die Zeit, als Übertragungen nur im bewusstlosen Zustand möglich waren, war längst vorbei. Diese neue Technik wurde ursprünglich von der USO in der Endphase des Solaren Imperiums entwickelt und in den vergangenen Jahrhunderten durch siganesische Neurotechniker für den TLD weiter verbessert und miniaturisiert.

Fünf Minuten später war er bereit, sich auf den Weg zu einem unbekannten Ziel auf dem Mond zu machen. Durch das Merlin-Programm hatte er die Anweisung erhalten, als Tourist einen Tagestrip nach Luna-City mit Krater-Sightseeing-Tour zu buchen. Nach einem letzten prüfenden Blick durch sein Appartement verließ er dieses.

Auf zum Mond

Der winzige Mondhüpfer glitt über die unwirkliche Kraterlandschaft des Erdtrabanten. Gelangweilt blickte der hochgewachsene dunkelhäutige Terraner aus der transparenten Kabinenhülle, die ihn vor dem tödlichen Vakuum der Mondoberfläche schützte. Das Merlinprogramm hatte ihn zuerst zum Zivil-Raumhafen am Crest-Lake geführt, wo er den Tagestrip nach Luna gebucht hatte. Etwa siebzig Minuten später hatte er an Bord des Luna-Liners-2632 sein vorläufiges Ziel, den Luna-Space-Port erreicht. Dort wartete schon der gebuchte Mondhüpfer. Nachdem er an Bord des für einen Passagier ausgelegten spinnenförmigen Anachronismus gegangen war, begann endgültig die Reise ins Ungewisse. Das skurrile Gefährt wurde durch einen Autopiloten gesteuert, alle manuellen Kontrollen waren deaktiviert. Die Mondhüpfer waren aktuell die größte touristische Attraktion des Erdtrabanten und sollten dem Besucher Lunas das unmittelbare Erlebnis der lebensfeindlichen Umwelt ermöglichen, so versprachen es wenigstens die Werbekampagnen der lunaren Tourismusorganisationen.

Doch Will konnte dieser neuen Attraktion keinerlei Begeisterung entgegenbringen, ein normaler raumflugtauglicher Gleiter wäre ihm hundertmal lieber gewesen. Wieder spürte er den Andruck des kleinen Plasmatriebwerkes, der seinen Körper in die Konturliege presste. Das Vehikel verfügte über keinerlei künstliche Schwerkraft, um die Schwerelosigkeit oder eben den Andruck zu kompensieren. Und genau dieser Anachronismus war im Sol-System des Jahres 1290 NGZ der letzte Schrei. Die gelangweilten Sprösslinge des neuen Geldadels hatten nach den üblichen Drogenexzessen der letzten Jahre einen neuen Kick darin gefunden, zuerst Papas Bankkonto zu plündern und sich anschließend auf möglichst spektakuläre Weise ins Jenseits zu befördern. Die Szene war im Astroidengürtel entstanden, wo einige Ausgeflippte damit begonnen hatten, ihr Ego mit dem Bau immer verrückterer Raumschiffe aufzublasen. Für den endgültigen Durchbruch sorgte dann die Shorne-Presse, in der die überdrehten Bastler als die wahren Erben des Wagemuts und der Genialität der ersten Menschen, die sich aufgemacht hatten das All zu erobern, gefeiert wurden. Schließlich stieß eine kleine Gruppe in uralten Archiven auf einen nicht verwirklichten Plan einer längst vergessenen Organisation namens NASA, um Menschen zum Mond zu bringen: das Apolloprojekt. Die ersten Hüpfer entstanden als eine Weiterentwicklung der damals geplanten Mondfähre Eagle. Der Enthusiasmus und die Ideale einer ganzen Generation junger Menschen Terras verblutete für die kommerziellen Interessen skrupelloser Magnaten, für die nur eines zählte, nämlich Profit um jeden Preis zu machen. Und genau diese jungen Menschen fehlten innerhalb der LFT. Statt die Ideale von persönlicher Freiheit und sozialer Verantwortung im Dienste der Liga in die Weiten der Milchstraße zu tragen, waren die Besten dieser Generation auf den seelenlosen Felsbrocken des Astroidengürtels bei der sinnlosen Suche nach neuen Herausforderungen und idiotischen Mutproben ausgelöscht worden, sofern sie ihren Verstand nicht schon vorher bei den verbreiteten Rauschgiftpartys ins Nirwana geschossen hatten.

Oh ja, er kannte dieses Gefühl der Nutzlosigkeit, der grenzenlosen Leere selbst zur Genüge. Auch ihm waren alle Wege zu einem parasitären Lebenswandel offen gestanden. Seine Eltern meinten es nur zu gut mit ihm, jede kleine Geste des Unbehagens wurde durch Geschenke zugeschüttet, jedes Aufbegehren durch ein Übermaß elterlicher Liebe, ausgedrückt in Stellar und Galax, erstickt. Als schließlich der Druck übermächtig wurde, war er ausgebrochen und hatte seinen eigenen Weg gewählt. Schon seit seiner Kindheit hatten ihn die Holo-Serien um die Abteilung III der Solaren Abwehr fasziniert. Meech Hannigan, Lofty Patterson, Larry Randall und vor allem Ron Landry waren die Idole seiner Jugend gewesen. Deshalb hatte er schon als Kind den Entschluss gefasst sich, wie seine Vorbilder, in den Dienst der Menschheit zu stellen. Doch seine Eltern waren von dieser Idee wenig begeistert gewesen und hofften, dass sich diese Verrücktheit, wie sich sein Vater auszudrücken pflegte, mit der Zeit legen würde.

Nach außen hatte er sich angepasst und war nach dem Abschluss der Elementarschule, getreu dem Wunsch seiner Eltern, auf das sündhaft teure private »Collegium for Oeconomic and Science Studies« gewechselt. Dort hatte er mit 17 Jahren das Graduate-Diploma abgelegt und war endlich frei gewesen, seinen eigenen Weg zu gehen. Bereits am nächsten Tag schrieb er sich an der »Terrania Space Academy« ein, was von seinen Eltern mit der Streichung sämtlicher finanziellen Mittel quittiert wurde. Zuvor hatten sie noch versucht, ihn mit allen Mitteln elterlicher Überredungskunst, von seinem »verrückten« Vorhaben abzubringen. Das Ganze hatte dann mit dem endgültigen Bruch mit seiner Familie geendet.

Im Laufe seines Studiums an der TSA war dann der Ligadienst auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihn angeworben. Während der folgenden »Lehrjahre« wurde ein Nachkomme seines Kindheitsidols Ron Landry sein Mentor und väterlicher Freund. Zusammen zogen sie in ihrer Freizeit um die Häuser und erwarben einen legendären Ruf als notorische Herzensbrecher. Doch dann kam die Geschichte mit der Abschlussarbeit. Er hatte das Thema »Optimierungsverfahren zur Informationsauswertung« gewählt und recherchierte hierzu in den Datenbanken des TLD. Nach einer ausgedehnten Zechtour konnte er der Versuchung nicht widerstehen, unter Verwendung von Stewarts Zugangscode einen Trojaner innerhalb des LFT-Systems zu installieren. Mit diesem gelang es ihm, an für den normalen Dienstgebrauch gesperrte Daten zu kommen.

Doch dann wurden seine Recherchen durch irgendein Überwachungsprogramm registriert und seine so vielversprechend begonnene Karriere war zu Ende und die von Stewart gleich mit. Gia de Moleon tobte und degradierte Stewart zum einfachen Agenten. Die TLD-Chefin übernahm selbst die Mentorenfunktion und ließ ihn seine schwerwiegende Verfehlung bei jeder Gelegenheit spüren. Kurz gesagt, er hatte es seit diesem Zeitpunkt bei ihr völlig verschissen. Seit dem war seine Tätigkeit beim Ligadienst darauf beschränkt, irgendwelche Kleinkriminelle zu beschatten. Und doch kam ihm die Reaktion de Moleons völlig überzogen vor. Was war eigentlich passiert? Im Grunde nichts. Er war ja gar nicht dazu gekommen, irgendwelche geheimen Informationen abzurufen. Doch jede Nacht, wenn er allein die Decke seines Appartements anstarrte, fragte er sich, ob da nicht noch was war. Irgendwo in den Tiefen seines Gehirns, waren noch weitere Informationen vergraben, das fühlte er. Doch alles war verschleiert und nicht greifbar.

*

Wieder fühlte er die Antriebskräfte des kleinen Triebwerks, die ihn ohne Andruckabsorber tief in die Pneumopolster der Konturliege pressten. Unter ihm glitten die Kraterwälle und ausgedehnten Lavaebenen der Mondoberfläche vorbei, die Zeugnis von dem gnadenlosen Meteoritenbombardement während der Geburtsphase des Sonnensystems ablegten. Die erkaltete Lava hatte die Spuren der chaotischen Frühphase des Heimatsystems der terranischen Menschheit für alle Zeiten konserviert. Inzwischen führte der Kurs des Mondhüpfers über den Mondäquator auf die erdabgewandte Seite des Trabanten. Der Charakter der Mondlandschaft wechselte von den durch dunkle Lava bedeckten Tiefebenen der Vorderseite zu den von unzähligen Kratern aller Größe zerfurchten Hochebenen der Rückseite. Immer tiefer drang das kleine Raumgefährt in die südliche Hemisphäre vor. Längst hatte er es aufgegeben, über das Ziel seines Fluges zu spekulieren. Schließlich ragte vor ihm ein gewaltiger Kraterringwall auf. Der Hüpfer schien auf diesen Kurs zu nehmen. Die zerklüftete Felswand bestimmte immer mehr sein Blickfeld. Die Vibrationen und das dumpfe Dröhnen des Plasmatriebwerkes steigerten sich und brachten das ganze Konstrukt zum Schwingen. Dem einsamen Passagier des anachronistischen Vehikels wurde es immer unbehaglicher zumute. Ein Blick aus der aus der aus Glassit bestehenden Sichtkuppel des Cockpits zeigte ihm nur zu deutlich, dass der Hüpfer Fahrt aufgenommen hatte und zu steigen begann. Vor ihm wuchs ein Kraterwall zu einer mächtigen Mauer, die wenig später sein ganzes Blickfeld ausfüllte. Unwillkürlich verkrampften sich seine Hände um die Seitenholme der Konturliege, die die einzige Annehmlichkeit des anachronistischen Raumgefährts bildete. Der Hüpfer stieg fast senkrecht in nachtschwarzen Mondhimmel und ging, als der zerklüftete Kraterrand erreicht wurde, in den horizontalen Flug über, um wenig später wieder dem Kraterboden entgegen zu sinken. Dem einsamen Passagier wurde es immer mulmiger zumute, als die kleine Raumfähre für einen Moment über dem Kraterboden stillstand. Fast automatisch suchten seine Augen den nahen Innenrand des Kraterwalls ab. Irgendetwas störte ihn in der natürlichen Landschaft des in der Frühphase Lunas aufgeworfenen Kraterwalls. Seine geschulten Sinne erfassten künstliche Strukturen, die nichts anderes darstellen konnten, als getarnte Geschützstellungen. Diese Erkenntnis erfüllte ihn einen Moment mit Panik, was, wenn irgendeine Syntronik zu dem Schluss käme, dass das kleine Vehikel als feindlich einzustufen wäre? Doch einen Moment später siegte der gesunde Menschverstand. So wie es aussah, hatte er sein Ziel erreicht und es war wohl kaum verwunderlich, dass der TLD eine seiner Installationen entsprechend schützte. Der Hüpfer hatte inzwischen wieder Fahrt aufgenommen und steuerte, wenige Meter über dem Boden, auf den im Zentrum durch den Meteoriteneinschlag aufgeworfenen Zentralberg zu.

*

Vor ihm verschwand plötzlich ein Teil der Felswand des Zentralberges. Das Plasmatriebwerk verstummte, trotzdem riss ihn eine äußere Kraft in die gähnende schwarze Öffnung. Für einen Moment drohte er wieder in Panik zu verfallen, doch dann verstand er, was vorging. Die Kontrolle über sein kleines, antiquiertes Raumschiff war von einem Traktorfeld übernommen worden, das ihn in den schwarzen Schlund zog. Plötzlich durchbrachen grelle Lichtlinien die Dunkelheit. Gleichzeitig drückte ihn eine gewaltige Faust tief in die Polster der Konturliege. Wieder begann er, still vor sich hin zu fluchen. Durch das Traktorfeld wurde der Hüpfer stark verzögert und er bekam einen Effekt zu spüren, der normalerweise durch die Verwendung von Andruckabsorbern unterdrückt wurde.

Inzwischen waren die Lichtlinien zu Lichtpunkten geworden, die in immer größeren Abständen an den Wänden des Schachtes entlangglitten, bis die Punkte schließlich stillstanden und sich zu drehen schienen. Für einen Moment fühlte er das Bedürfnis sein Frühstück von sich zu geben, doch dann hatte er das beruhigende Gefühl, dass Oben endlich Oben und Unten endlich Unten war. Er fühlte sich seltsam leicht, endlich, der Adler war gelandet.

Interessiert musterte er die Umgebung durch das transparente Kabinendach, die inzwischen durch zahlreiche Deckenfluter taghell erleuchtet wurde. Die Umrisse vertrauter Formen, die durch das grelle Licht aus dem Dunkel gerissen wurden, erfüllten ihn mit steigendem Unbehagen. Es gehörte keine große Phantasie dazu, allerlei bekannte Waffensysteme zu erkennen, die in den Wänden der Kaverne installiert waren. Wenig später wurde dieses Unbehagen noch gesteigert, als drei zylindrische Körper aus einer sich plötzlich öffnenden Nische auf ihn zu schwebten und sich um den Mondhüpfer gruppierten. Ungläubig verfolgte er das martialische Schauspiel.

»Ich glaub’s nicht«, murmelte er vor sich hin, »MODULA-Roboter, wo bin ich hier bloß gelandet?«

In diesem Moment ertönte eine monoton klingende Frauenstimme, die ihn aufforderte, innerhalb von zwei Minuten den Hüpfer zu verlassen. Ein Blick auf die aktivierten Feldmündungen der Waffenarme genügte, um diesem Befehl schnellst möglichst Folge zu leisten. Hastig schnallte er sich los und verließ den Hüpfer.

Zwei der Roboter näherten sich und die bereits bekannte Frauenstimme forderte ihn über das Interkom auf, die Raumkombination abzulegen, da die Kaverne mit einer atembaren Atmosphäre geflutet sei. Innerlich kochte er, doch die jetzt auf ihn gerichteten Waffensysteme des einen Roboters erstickten jede Widerrede im Keim.

Jetzt endlich schien der Roboter zufrieden zu sein, denn seine Waffenarme wurden in Ruhestellung gefahren.

Wenn er geglaubt hatte, dass damit die »Begrüßung« vorbei wäre, so musste er sich eines Besseren belehren lassen. Der zweite Roboter wurde aktiv und schwebte auf ihn zu. Unwillkürlich wich er zurück, doch die monotone Frauenstimme erklärte ihm, dass er sich durch sein Impulssiegel identifizieren musste.

Der etwas kleinere Roboter hatte ihn inzwischen erreicht und an einem seiner Tentakelarme einen helmförmigen Aufsatz aus Formenergie gebildet. Dieser wurde über seinen Kopf gestülpt und wenig später wieder entfernt.

»Positiv, Agentenanwärter Dean identifiziert!«

Er fühlte sich, als ob eine Zentnerlast von ihm gefallen wäre. Endlich schien dieses seltsame Verschleierungsspiel, das seiner Meinung nach nur dem kranken Gehirn seiner Nemesis entsprungen sein konnte, zum Ende gekommen sein.

Im nächsten Augenblick drohte ihn wieder die Panik anzuspringen. Aus den Waffenarmen des dritten MODULA-Robots, der bei seinem antiquarischen Raumgefährt zurückgeblieben war, löste sich ein grünlich schimmerndes Feld, das den Hüpfer in eine atomare Feinstaubwolke verwandelte, die langsam zu Boden sank. Gleichzeitig baute sich ein Projektionsfeld auf, in das die molekulare Staubwolke gesaugt wurde. Man schien an alles gedacht zu haben. In diesem Moment meldete sich wieder die weibliche Automatenstimme und erklärte, dass die Desintegration aus Sicherheitsgründen erfolgt sei. Sehr beruhigend!

Der etwas kleinere Roboter hatte sich inzwischen in Bewegung versetzt und schwebte auf die Wand der Kaverne zu, wo sich ein Schott öffnete, hinter dem das aktivierte Torbogenfeld eines Kompakttransmitters wartete. Und wieder erklang die monotone Frauenstimme, die ihn aufforderte, dem Roboter zu folgen, was er dann auch tat, was blieb ihm auch anderes übrig?

Zusammen mit dem Roboter materialisierte er an einem unbekannten Ort und verließ das Torbogenfeld des Empfangstransmitters. Er schien sein endgültiges Ziel erreicht zu haben.

Neugierig schaute er sich um, doch nichts verriet ihm, wo er sich im Moment befand. Es stand in einer kleinen Kammer, die sich überall und nirgends befinden konnte. Die Schwerkraft entsprach Terranorm, was aber nichts bedeutete, da durch künstliche Gravitation Terranorm auch auf einem Asteroiden erzeugt werden konnte. Doch er vermutete, dass er sich aufgrund der beschränkten Reichweite des kleinen Kompakttransmitters noch immer auf Luna befand. Wenig später öffnete sich ein Schott und drei Männer traten ein. Alle trugen die grauen Uniformen des internen Wachkommandos und waren schwer bewaffnet.

»Willkommen in Karthago-Beta, die Chefin erwartet dich!«

*

Wenig später stand er seiner Nemesis gegenüber, Rebekka DeMonn, dem umstrittensten TLD-Mitglied seit Menschengedenken. Nach dem Verschwinden Gia de Moleons samt dem gesamten TLD-Tower hatte ihr Nachfolger Noviel Residor sie gegen alle internen Widerstände reaktiviert und zu seiner Stellvertreterin gemacht, bevor er im Juli verschwunden war, um den aus dem Para-Bunker auf Mimas geflohenen Todesmutanten Vincent Garron zu jagen.

Die drei Sicherheitsagenten verließen nach einem kurzen Befehl DeMonns die mit Konsolen und Holoschirmen gespickte Kommandozentrale. DeMonn thronte lässig hinter ihrem Schreibtisch und beobachtete ihn, so kam es ihm wenigstens vor, wie eine schnurrende Katze, die sich gerade überlegte, ob sie weiter mit der gefangenen Maus spielen oder sie fressen sollte. Mit äußerster Anstrengung riss er sich zusammen und machte Meldung.

»Agentenanwärter Dean meldet sich, wie befohlen, zum Dienst!«

Bei diesen Worten glitt ein amüsiertes Lächeln über das von langen schwarzen Haaren eingerahmte Engelsgesicht der Feme Fatale des TLD. Geschmeidig erhob sie sich und mit einem belustigten Grinsen musterte sie ihn und bemerkte:

»Warum so förmlich Will, das ist doch sonst nicht deine Art!«

*

Die ganze Situation verunsicherte mich, was sollte das, seit wann gab sich die stellvertretende TLD-Chefin mir gegenüber so jovial? Doch schon kam der nächste Hammer.

»Du hast bestimmt einige Fragen, die die gegenwärtige Lage betreffen, oder?«

Ich war wie vor den Kopf geschlagen, Fragen und vor allem die Beantwortung derselben, gehörte mir gegenüber bisher nicht gerade zum Führungsstil DeMonns. Doch schon platzte ich mit der Frage aller Fragen heraus, die mich seit meinem Einsatzbefehl beschäftigte.

»Warum dieser ganze Mummenschanz mit der Anreise und woher haben wir diese Camelot-Superroboter?«

Wieder glitt ein Lächeln über DeMonns Antlitz, das mich immer mehr in seinen Bann zog.

»Gemach Will, setz dich erst einmal, das wird eine längere Geschichte.«

Sie aktivierte irgendeine Servokontrolle und, gelobt sei die moderne Technik, ein zweiter Sessel aus Formenergie baute sich aus dem Nichts auf. Gehorsam ließ ich mich darauf nieder und harrte der Enthüllungen, die zweifelsohne gleich kommen würden. Doch statt der erhofften Antwort folgte eine Frage:

»Was weißt du über die gegenwärtige politische Lage in der Milchstraße?«

Ich sah sie einen Moment völlig perplex an, doch dann legte ich los.

»So wie ich es sehe, scheint irgendjemand Camelot an den Kragen zu wollen. Natürlich nicht offen, sondern aus dem Dunkel. Offiziell vertritt unsere Regierung die Position, dass uns das nichts angeht, da sich Rhodan und die anderen Unsterblichen von der LFT losgesagt haben und ihr eigenes Süppchen kochen. Einige Aussagen führender Politiker lassen sogar den Schluss zu, dass man nicht unglücklich darüber wäre, wenn diese Terroristen Erfolg haben würden. Ich halte diese Einstellung für dumm und politisch kurzsichtig, genauso wie ich diese nationalistische und terrabezogene Politik der letzten Jahrzehnte ablehne. Dazu kommt noch, dass sich das Verhältnis zum Kristallimperium immer mehr zuspitzt. Allerdings scheint sich im Verhältnis zu Camelot etwas geändert zu haben, wenn ich diese MODULA-Roboter richtig interpretiere.«

Ihr Blick ruhte einen Moment sinnend auf mir, bevor sie antwortete.

»Will, die Lage ist völlig beschissen! Bevor ich dir auf deine Fragen antworten kann, muss ich mir erst über deine Einstellung klarwerden.«

Diese Antwort riss mich förmlich aus dem Formenergiesessel. Da war sie wieder, die alte Zicke DeMonn, die wohl keine Gelegenheit ausließ, mich zu schikanieren und bloßzustellen, was zu viel war, war zu viel. Bevor ich loslegen konnte, kam sie mir zuvor.

»Ruhig Will! Höre mir zuerst zu, und vor allem, setz dich wieder hin!«

Der Blick ihrer großen, schwarzen Augen bohrte sich in mein Gehirn. Wie in Trance lies ich mich wieder in den Sessel fallen.

»Das hier ist kein Psychospielchen, es geht auch nicht um irgendwelche persönlichen Eitelkeiten oder Verletzungen, hier geht es um nichts anderes als um den Bestand der Werte, für die die LFT und zuvor das Solare Imperium seit Jahrtausenden standen und hoffentlich weiter stehen wird. Deshalb frage ich dich, bist du bereit dein Leben für diese Werte einzusetzen?«

Ich musste in diesem Moment völlig verblödet ausgesehen haben und stotterte nur: »Mein …, mein Leben?«

»Ja, dein Leben. Es ist so, dass MERCANT für die geplante Mission eine Erfolgsquote von etwa acht Prozent ermittelt hat, anders ausgedrückt gehen deine Chancen den Einsatz zu überleben gegen Null. Es ist nun so, dass der TLD unter solchen Umständen normalerweise keinen Agenten in den Einsatz schickt, noch viel weniger einen völlig unerfahrenen Agentenanwärter. Du kannst also ablehnen, ohne irgendwelche Nachteile befürchten zu müssen. Im Gegenteil, du würdest als Junior-Grade wieder in den aktiven Dienst übernommen.«

»Ein Himmelfahrtskommando also? Und ich muss mich wohl jetzt und hier entscheiden. Gut, ich bin dabei. Aber wer zum Teufel ist MERCANT?«

Bei meinen letzten Worten huschte so etwas wie ein Lächeln über ihr angespanntes Gesicht, das aber sogleich wieder zur undurchdringbaren Maske wurde. Wieder schienen ihre großen Augen mich minutenlang geistig zu sezieren, bevor sie antwortete:

»Will, nochmals, das ist wirklich kein Psychospielchen, sondern bitterer Ernst. Überlege dir deine Antwort bitte noch mal ganz genau. Bei MERCANT handelt es sich übrigens um eine spezialisierte Bio-Syntronik, die für die taktische Planung des TLD zuständig ist.«

Ich tat ihr den Gefallen und überlegte tatsächlich, allerdings nur kurz. Meine Entscheidung war gefallen, ich würde den Job übernehmen.

Drei Tage später

Missmutig starrte ich den Fremden an, der mir aus dem großen Ganzkörperspiegelfeld genauso missmutig entgegenblickte. Das war nicht ich, das musste ein Alptraum sein. Aber der Alptraum war zur Wirklichkeit geworden. Kein Mensch, der mich je gekannt hatte, würde auf die Idee kommen, dass sich hinter diesem Clown artigen Freak der gute alte Will verbergen würde. Aber ich war ja nicht mehr Will Dean, sondern hatte mich unter tatkräftiger Mithilfe des modernen Doktor Frankensteins, dieses Kurpfuschers aus Aralon, in diesen Späthippie Wes Golem verwandelt. Die ganze Gestalt, das ganze Outfit dieser Gestalt zeugte nur von einem: grenzenlosem schlechten Geschmack.

Meine schönen kurzen Haare hatten sich in ein wirres Chaos aus schwarzen und goldfarbenen Haarzöpfchen verwandelt, das DeMonn als Rastalocken bezeichnet hatte. Etwas gebändigt wurde dieses Chaos durch einen massiven Haarreif, der aus purem Gold bestand. Doch auch mein übriges Erscheinungsbild war der Ausdruck eines völlig dekadenten Möchtegernplayboys. Das Gesicht wurde nun durch einen Knebelbart verschönert, in den als Gipfel der Geschmacklosigkeit, kleine Khalumvatt-Kristalle eingearbeitet waren. Doch damit nicht genug. Die schwarzen Hosen aus Chuary-Leder wurden von einem pompösen Mushranta-Ledergürtel umschlungen und steckten in Wadenhöhe in klobigen Schaftstiefeln aus der Haut des elefantenähnlichen Berkomnair. Die Hosen waren so geschnitten, dass sie jedes Detail meiner primären Geschlechtsmerkmale nachmodellierten. Oberhalb der Taille trug ich nur ein weites, weißes Hemd aus weibischer Linar-Seide und eine ärmellose Weste aus Chuary-Leder. In dem bis zum Bauchnabel offenen Hemd kräuselte sich ein dichter Pelz von Brusthaaren, an die ich mich nie gewöhnen werde. Gekrönt wurde die ganze Erscheinung durch ein pompöses Medaillon aus einem Howalgoniumkristall, das ich an einer Kette aus gründlich fluoreszierendem Zalos-Metall um den Hals trug. Dazu kamen noch zwei Piercingringe aus dem gleichen Metall, die sich durch meine Brustwarzen bohrten.

Insgesamt sah ich aus wie ein behaarter Affe, der sich wahllos mit allerlei Tand behängt hatte, nur dass der Tand Abermillionen wert war. Der begnadete Doktor Frankenstein, der für mein Äußeres verantwortlich war, hatte mir bei der Ehre seines Suhyags hoch und heilig versprochen, dass er alle körperlichen Verunstaltungen jederzeit wieder rückgängig machen konnte. Das hoffte ich auch für ihn, denn ansonsten beabsichtigte ich dafür zu sorgen, dass er mit seinen sprichwörtlichen Eierkopf nur noch nach hinten blicken konnte.

Denn eines hatte ich mir vorgenommen, wenn ich irgendwann ins Gras beißen musste, dann bestimmt nicht, solange ich mit dem Aussehen eines männlichen Zerrbildes gesegnet war. Nach einem letzten, prüfenden Blick in das Spiegelfeld war ich bereit, die letzten Instruktionen für meine Himmelfahrtmission entgegenzunehmen.

Aufbruch zur Basis

Es war soweit, mein Einsatz hatte begonnen. Die letzten Instruktionen DeMonns lagen hinter mir. Nach diesen war für mich förmlich die Welt zusammengebrochen. Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht dass mich meine Nemesis beim Abschied umarmen würde. Für einen kurzen Moment hatte ich jeden Muskel ihres Körpers gespürt, der sich an mich geschmiegt hatte. Dann hatte sie meinen Kopf auf Augenhöhe zu sich heruntergezogen und geflüstert: »Komm zurück Will, ich will nicht diejenige sein, die dich in den Tod geschickt hat!«

In wenigen Minuten würde ich an Bord des Luxusliners SPACE ODDITY gehen, der im Direktflug von Atlan-Spaceport, wie der Handels- und Zivilraumhafen Terranias seit den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts NGZ heißt, zur BASIS fliegen wird. An Bord würde es mein Primärziel sein, mit Celine Ahornd in Kontakt zu kommen. Vor mir entstand nochmals die Holoprojektion der abtrünnigen Sondereinsatzagentin des TLD. Diese Bezeichnung stand, wie die geheimnisumwitterte Abteilung Null, für das düstere Erbe der Administrationen Grigor und Eavan. Genauso wie die Mitglieder der Abteilung Null in Wirklichkeit Saboteure und Attentäter im Dienste der Regierung gewesen waren, so waren die Sondereinsatzagentinnen eigentlich nichts anderes als in Diensten des TLD stehende Prostituierte gewesen. Beide Abteilungen wurden schon während der Regierung Eavan kaltgestellt und zu Beginn der Amtszeit Paola Daschmagans aufgelöst. Die Mitglieder wurden entweder entlassen oder in den normalen TLD-Dienst übernommen. Zu der letzten Gruppe gehörte beispielsweise der Oxtorner Monkey, aber auch Celine Ahornd. Diese wurde in den letzten Jahren in der internen Administration des Dienstes beschäftigt und war als Geheimnisträgerin eingestuft. Und genau diese ehemalige TLD-Liebesdienerin sollte nach den Erkenntnissen DeMonns für den größten Geheimnisverrat in der Geschichte des TLD verantwortlich sein.

Deshalb auch meine Maskerade als Wes Golem, einem steinreichen Ekel, der sein riesiges Erbe nur zur Befriedigung von drei Begierden nutzt: sich als Idol der idiotischen Hüpferszene feiern zu lassen, Drogen jeder Art zu konsumieren und Frauen von der teuersten Sorte wie Trophäen zu sammeln. Wie es der Zufall will, war er vor kurzer Zeit seinen ersten beiden Hobbys zum Opfer gefallen, kurz gesagt, er hatte im Drogenrausch auf einem Asteroiden eine Bruchlandung gemacht, die seinen Hüpfer zu Schrott verarbeitet hatte. Als ihn schließlich die Rettungsmannschaften fanden, war er klinisch tot gewesen, da er, wohl im Drogenrausch, das Überlebenssystem seines primitiven Raumanzuges ausgeschaltet hatte. Die Kälte des interplanetaren Raumes hatte ihn dann im wahrsten Sinne des Wortes schockgefroren. Doch Michael Shorne und Guy Pallance wollten es wohl nicht wahrhaben, dass ihr wichtigster Propagandist in der Hüpferszene das Zeitliche gesegnet hatte, also wurde er in einen Kryogen-Tank gelegt, um zu versuchen, das »Idol« der Jugend Terras, in der Kuntami-Klinik auf Mimas, wieder ins Leben zurückzurufen, allerdings nach allem, was ich wusste, vergeblich. All das lief, natürlich rein zufällig, parallel zu den ersten Einsatzplanungen gegen die abtrünnige TLD-Agentin.

Irgendein Einsatzplaner, ich vermute mal, es war DeMonn selbst, hatte dann wohl die verrückte Idee gehabt, einen Agenten in den verrückten Wes zu verwandeln, und auf die Ahornd anzusetzen.

Der alte Will wurde also zu Wes Golem, genauso extrovertiert und genauso verrückt – die beste Tarnung, die man sich denken konnte.

*

Der Gleiter hatte inzwischen das Landefeld der SPACE ODDITY erreicht und landete auf einem abgesperrten Bereich vor dem Schiff. Für mich als Wes Golem galten die Beschränkungen für Normalsterbliche natürlich nicht. Um die Absperrung drängten sich Hunderte vor allem weiblicher Fans, die mich mit einer ohrenbetäubenden Geräuschkulisse begrüßten. Ihr Idol, der Traum ihrer schlaflosen Nächte, war zurück.

»Ziggy Stardust kommt zurück, Ziggy Stardust ist am Leben!«, kreischten die pubertierenden Groupies, wobei Wes Golems »Künstlername« oft noch mit allzu eindeutigen Angeboten verknüpft wurde.

Für mich war das Ganze eine Art Déjà-vu, zuerst das Pseudonym meiner Tarnidentität und dann noch der Name des Luxusraumschiffes, das mich zur BASIS bringen sollte. Alles das erinnerte mich wieder an meine große Liebe, die nach wie vor zwischen den Sternen verschollen war. Für einen Moment verlor ich mich in meinen Erinnerungen.

Grace Silk hatte mich mit der Musik eines gewissen David Bowie aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts alter Zeitrechnung bekanntgemacht, der in der Frühphase der sich gerade konsultierenden Dritten Macht zum Idol einer Jugendbewegung geworden war, die sich Rainbow-Gathering-Movement nannte und freie Liebe, spirituelle Erleuchtung durch Drogenkonsum, sowie Pazifismus und Umweltschutz propagierte. Doch nach der Rückkehr Perry Rhodans von Wanderer versank die Bewegung in der Bedeutungslosigkeit, vor allem als bekanntwurde, dass ein Teil des Movements Clifford Monterny unterstützt hatte. Was blieb war vor allem die Musik David Bowies mit seinen Megaerfolgen Space Oddity und Ziggy Stardust. Und ausgerechnet den Titel der letzten Hymne Bowies hatte sich mein Schattenego als seinen Künstlernamen gewählt, unter dem er zum Helden der Hüpfer-Idioten geworden war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass da jemand ganz anderes die Finger im Spiel haben musste. Es waren einfach zu viele Zufälle, denn alles passte bis ins letzte Detail zusammen.

Doch die Landung eines Gleiters mitten im durch Prallfelder abgesperrten Bezirk für die VIP-Passagiere erinnerte mich wieder an meine Mission. Verdammt, ich war Wes Golem und nicht mehr Will Dean.

Für einen Moment konzentrierte ich mich, es gab einige geistige Übungen, dann war ich wieder das überhebliche Scheusal Wes Golem.

Jetzt bemerkte ich, dass eine blonde Schönheit auf mich zu stolzierte, hinter der eine portable Trivid-Übertragungseinheit schwebte.

Und im gleichen Moment begann der mediale Schwachsinn.

»Hier ist Linda Lagas. Ich freue mich, dass so viele Terranerinnen und Terraner meine zweite Nachrichtenshow »Linda’s Point of View« über das Terranian-Pride-Network eingeschaltet haben. Mein besonderer Dank gilt heute Michael Shorne, dem CEO von Shorne-Industries, der es großzügig ermöglichte, dass die Wiederauferstehung unseres Helden Ziggi Stardust in alle Nachrichtenkanäle der Liga übernommen wird.«

Sie machte eine theatralische Pause und brachte ihren beachtlichen Vorbau in Position. Das Ganze wurde wieder durch das ohrenbetäubende Gekreische der versammelten Groupies bekleidet. Dann wandte sie sich an mich:

»Wes, ich darf dich doch Wes nennen, wie fühlt man sich, wenn man dem Sensenmann ein Schnippchen geschlagen hat?«

Dabei rückte sie mir so nah auf die Pelle, dass mir ihre Parfümwolke geradezu den Geist vernebelte. Wieder stand ich kurz davor den ganzen Zirkus mit Ziggy Stardust zu vergessen und sie in ihr, zugegebenermaßen beachtliches, Hinterteil zu treten. Aber das hätte wohl das Ende meiner Rolle bedeutet. Deshalb ging ich auf ihr Spielchen ein.

»Gut, wirklich phantastisch, es ist herrlich, wieder zurück in den Niederungen zu sein. Jawohl meine Freunde, mein Bewusstsein wurde ins Jenseits hinter den Materiequellen gerufen. Dort stellte mir der Geist des Großen Hamiller die Aufgabe, die BASIS auf das Zeitalter der Erleuchtung vorzubereiten. Jawohl meine Freunde, wir werden Wunderbares erleben und eine neue Epoche der kosmischen Evolution einleiten. Deshalb muss ich euch jetzt verlassen und dem Ruf des Großen Hamillers zur BASIS folgen!«

Ich machte eine kleine Pause, um die Wirkung meiner idiotischen Aussagen zu beobachten. Die Kosmopsychologen des TLD hatten diesen Irrsinn verbrochen, um mir einen plausiblen Vorwand zu geben, auf der BASIS ungestört herumschnüffeln zu können, und der Plan schien Erfolg zu haben, das ganze Gekreische verstummte und machte fassungslosem Staunen Platz. Und dann kam wieder das Gekreische: Ziggy Stardust, Ziggy, bringe uns die Erleuchtung!

Den Gipfel setzte dann diese Medienschnepfe, nachdem es ihr anscheinend minutenlang die Sprache verschlagen hatte.

»Wes, kannst du den Millionen Zuschauern überall auf den Welten der LFT erklären, wer oder was der Große Hamiller ist?«

Romano Nelder

Lobgesang

Gelobt seiest du, oh Vhrato, Herr des Himmels;

dein ist der Glanz der Herrlichkeit und die Würde der göttlichen Dreieinigkeit und jeglicher Segen unter dem Firmament der ewigen Sterne.

Dir allein, Höchster unter Höchsten, gebühren die Gebete der Gläubigen.

*

Vor ihm erhob sich die weiß getünchte Silhouette der kleinen Kapelle der Kirche des Dreieinigen Gottes. Vhratowächter Romano Nelder hatte seine »Arbeit« erfolgreich beendet und seinen Bericht bereits an die Zentrale der Wächter im Palast des »Großen Bruders Oberst« übermittelt. Als Folge seiner Ermittlungen würden überall auf Mashratan gemischte Kommandos der Vhratowächter und Rabmullas die geplante Verschwörung der Rationalisten zerschlagen und die verfluchten Anhänger der Schwarzen Mirona ihrer gerechten Strafe zuführen.

Doch er hatte für seinen Erfolg einen großen Preis bezahlt, indem er der Versuchung durch die Schwarze Mirona erlegen war. Mit Schaudern dachte er an die durch ihn verübte Todsünde zurück, als er sich in dem blutigen Gefäß der Inkarnation der Schwarzen Teufelin versenkt hatte. Jetzt war die Reinheit seiner Seele in Gefahr, denn das Heilige Buch Vhrashium lehrte, dass die körperliche Wohllust die Pforte darstellt, durch die die Schwarze Dämonin die Reinheit der Seele der Söhne Vhratos vergiftete. Er dankte dem Propheten noch einmal durch ein stummes Gebet dafür, dass er seine grenzenlose Weisheit durch das Heilige Buch Vhrashium mit seinen Söhnen geteilt hatte. Dank der Wachsamkeit der Kinder des Dreieinigen Gottes verrieten sich die gottlosen Rationalisten immer wieder dadurch, dass sie die verdammenswerten Praktiken der Dämonin untereinander trieben. So war es auch bei der Gruppe gewesen, deren Befragung ihn auf die Spur der Verschwörung gegen den Großen Bruder Oberst geführt hatte. Wachsame Bürger hatten den örtlichen Rabmulla informiert, dass sich mehrmals Frauen ohne den Schutz der Yeshi-Halef auf der Farm eines wohlhabenden Kuhun-Züchters gezeigt hatten, obwohl nicht zur Familie gehörende Männer zu Besuch waren. Der Rabmulla hatte sofort die Vhratowächter informiert, die dann diesen Sündenpfuhl ausgehoben hatten. Dabei wurden vier Männer und fünf Frauen festgenommen und sofort in den zentralen Wahrheitstempel nach Vhrataalis überführt.

Die Befragung hatte sehr schnell das ganze Ausmaß der verdammenswerten Verschwörung gegen die Heilige Kirche des Dreieinigen Gottes und die gesegnete Herrschaft des Großen Bruders aufgedeckt. Vier der Verhafteten hatten schon nach kurzer Zeit ihre Sünden zugegeben und sich der Gnade der Kirche unterworfen. Doch das hatte sie natürlich nicht vor der weiteren Wahrheitsfindung bewahrt. Das Buch Vhrashium, gelobt sei seine Weisheit, empfahl bei Geständnissen von Todsünden diese durch das »Ritual des Schmerzes« zu überprüfen, vor allem, wenn dadurch andere Kinder Vhratos ebenfalls der Todsünde bezichtigt wurden. Es gehörte zur üblichen Vorgehensweise, bei Verdacht auf Verstöße gegen die Gesetze Gottes, das Ritual zur Überprüfung der Geständnisse in jedem Fall anzuwenden.

Die weitgehend übereinstimmenden Geständnisse waren schockierend gewesen. Das gottlose Gesindel hatte nicht nur gegen die heiligen Gebote des Buches Vhrashium in jeder nur denkbaren Weise verstoßen, es plante sogar den Großen Bruder Oberst mit seinen Söhnen durch eine Bombe zu töten. Dieser Anschlag sollte das schändliche Fanal zum sogenannten Volksaufstand sein, wobei eine durch die Mörder gebildete Revolutionsregierung das gottlose Terrorregime der sogenannten LFT zu Hilfe rufen wollte. Mit deren Unterstützung sollte die Heilige Kirche des Dreieinigen Gottes verboten und eine gottlose Gesellschaft aufgebaut werden. Nun, diese Pläne haben wir wohl gründlich durchkreuzt. Die Rädelsführer werden öffentlich am Strang mit ihrem Leben für ihre schändliche Blasphemie büßen, während auf die Mitläufer und ihre Familienangehörigen die Erz- und Hyperkristallgruben im Sainahgebirge warten. Persönlich am meisten hat mich jedoch schockiert, dass dieser Abschaum wie die Refrys kreuz und quer untereinander kopuliert hat. Um zu verhindern, dass dabei das ungewollte Geschenk der Gottheit empfangen wurde, benutzte diese dämonische Brut irgendeine verwerfliche Droge, die sie aus der Liga der Gottlosen bezog. Nach diesem Geständnis waren wir alle völlig fassungslos, wieweit die dämonische Gesinnung der Schwarzen Mirona bereits Einzug in das Denken der Mashraten gefunden hatte.

Die Reinigung einer befleckten Seele

Doch die fünfte Ketzerin blieb verstockt. Sie weigerte sich die Barmherzigkeit der Kirche durch ein umfassendes Geständnis zu erflehen, im Gegenteil, sie ergab sich weiterhin in gotteslästernden Blasphemien und beleidigte meine Ehre als Mann. Irgendwann verlor ich meine Beherrschung und die Versuchung durch die Schwarze Mirona verleitete mich zur Ausübung der Sünde.

*

Inzwischen hatte ich die enge Pforte der Kapelle erreicht. Voller Gram betrat ich das Heiligtum Gottes. Die ehrfurchtgebietende Stille des heiligen Ortes umgab mich, während ich auf die Knie fiel, um die Barmherzigkeit des Dreieinigen Gottes zu erflehen. Eine gebieterische Stimme hallte durch den im Halbdunkel liegenden Raum.

»Mein Sohn, bist du gekommen, um vor dem Dreieinigen Gott Zeugnis deiner Schuld abzulegen?«

Ich hob den Kopf und sah den Rabmulla, der aus dem Dunkel vor den Altar getreten war. Goldenes Licht umspielte seine ehrfurchtgebietende Gestalt, die sich vor den Altar gekniet hatte. Beschämt antwortete ich ihm:

»Ehrwürdiger Rabmulla, ich habe meine Seele mit der Todsünde der Wohllust befleckt und bitte um Vergebung meiner Sünde!«

Der Rabmulla erhob sich.

»Mein Sohn, dein Glauben und dein Handeln ehren dich. Aber zuvor musst du das gesamte Ausmaß deiner Sünde vor dem Dreieinigen Gott und seinem Propheten Vhrato bekennen.«

Demütig erhob ich mich und folgte dem heiligen Mann in den Beichtstuhl, der sich neben dem Altar der Dreieinigen Gottheit befand. Zuerst stockend, doch dann immer gesprächiger werdend, schilderte ich meine verdammenswerte Sünde in allen Einzelheiten. Der heilige Mann schien bei der Schilderung meiner Schande mit seiner Beherrschung zu ringen, denn ein heftiges Keuchen, das von seinem Entsetzen zeugte, war während meiner Beichte zu hören. Schließlich war ich am Ende und wartete demütig auf die Strafe, durch die meine Seele gereinigt werden würde.

Nach qualvollen Minuten der Ungewissheit hörte ich endlich die erlösende Stimme:

»Du hast schwere Schuld auf deine Seele geladen, mein Sohn. Deine Seele muss gereinigt und vom Schatten der Schwarzen Dämonin durch das Ritual der Dämonengeisel befreit werden.«

Meine Seele jauchzte, der heilige Mann hatte mir im Namen der Dreieinigen Gottheit den Weg aus der Verdammnis gewiesen. Wieder folgte ich ihm durch einen dunklen Gang in einen Bereich der Kapelle, die ein gläubiger Mashrate, der sich an die Gebote des Buches hielt, nie betreten musste. Doch ich hatte schwer gefehlt und musste die auferlegte Buße leisten. Schließlich betraten wir durch ein niederes Tor den Teil der Kapelle, der der Schwarzen geweiht war. Viele Gläubige vergaßen, dass auch sie Teil der Dreieinigen Gottheit war und die verwerflichen Gelüste der Menschen verkörperte. Es wurde kalt und das goldene Licht, das die Erlösung durch den Sonnenpropheten Vhrato verkörperte, war in ein düsteres Rot übergegangen, das den Dämonenpfuhl der Schwarzen Prophetin charakterisierte.

»Mein Sohn, trete, wie die Dreieinige Gottheit dich geschaffen hat, vor die Verdammte!«

Einen Moment war ich verwirrt, doch dann folgte ich der Anordnung des Heiligen Mannes. Ich streifte meine von der Befragung völlig verschmutzten Kleider von mir und ging auf die schemenhafte Silhouette zu, die sich im Hintergrund aus dem roten Halbdunkel schälte. Der raue, aus grob behauenen Steinplatten gebildete Boden drückte sich schmerzhaft in meine ungeschützten Fußsohlen, während die zunehmende Kälte meinen nackten Körper zum Frösteln brachte. Immer näher kam ich dem Abbild der Verdammten. Mit jedem Schritt konnte ich mehr Einzelheiten erkennen, die starrenden Augen, die sich in meine Seele zu bohren schienen, die verderbten Brüste, die sich unkeusch meinem Blick darboten und die schamlos präsentierte Weiblichkeit, die all das offenbarte, was einen gläubigen Mann ins Verderben reißen würde. Alles in mir drängte danach, meinen Blick von dieser Ungeheuerlichkeit abzuwenden, doch ich musste der Versuchung widerstehen. Voller Abscheu zwang ich mich, jedes Detail der überlebensgroßen Statue genauestens zu betrachten, und die Versuchung begann. Mein Blick fixierte die sündhafte Höllenpforte, während mein Arm die Knute, wie während des heiligen Tuffa-Jab-Jab Festes gelehrt, zuerst über die linke und dann über die rechte Schulter schwang. Die langen, dünnen Lederriemen mit den kleinen Widerhaken bissen schmerzhaft in mein Fleisch. Laut rief ich die zeremonielle Bitte an den Propheten, mich von den sündigen Gelüsten zu befreien und mir Schutz vor der Versuchung durch die Schwarze Mirona gewähren. Dieses Reinigungsritual wiederholte ich, wie vorgeschrieben, noch fünf Mal.

Danach trat der heilige Rabmulla aus dem Hintergrund und erklärte, dass meine Sünde mir vergeben und ich wieder in die Gemeinschaft der rechtschaffenen Kinder des Dreieinigen Gottes aufgenommen wäre. Glücklich wollte ich wieder meine befleckte Kleidung nehmen, doch der heilige Mann übergab mir eine neue, saubere Kutte. Zusammen ließen wir das Reich der Verderberin hinter uns und traten in das goldene Licht der Erlösung. Dann kniete ich mich vor den Altar und dankte Vhrato für die Vergebung meiner Sünde.

Gerade als ich beglückt die Kapelle verlassen wollte, trat eine weitere Gestalt in das Licht, in der ich den obersten Prälaten der Vhratowächter erkannte. Seine Anwesenheit verunsicherte mich zutiefst, war er gekommen, um mich für meine Sünde zu bestrafen?

Doch seine ersten Worte zerstreuten meine Befürchtungen.

»Bruder Romano, ich bin stolz auf dich. Du hast durch dein vorbildliches und beispielhaftes Handeln den Vhratowächtern große Ehre bereitet. Im Moment zerschlagen unsere Brüder überall die von dir aufgedeckte Verschwörung und werden die gottlosen Verräter unseres Volkes ihrer gerechten Strafe zuführen. Bruder Romano, ich darf dich beglückwünschen, selbst der Bruder Oberst ist von deinen Leistungen sehr angetan.«

Mit diesen Worten schüttelte mir der Bruder Prälat die Hand und klopfte mir jovial auf die Schulter. Dabei konnte ich nicht verhindern, dass mir ein lautes Stöhnen entfuhr. Er beachtete meine Unbeherrschtheit jedoch nicht und fuhr fort:

»Hiermit bekommst du einen Tag Urlaub, um dich von deiner belastenden Aufgabe zu erholen. Eine Medi-Schwester wird sich um deine Verletzungen kümmern. Morgen ist dann dein großer Tag. Du hast die Ehre in die persönliche Garde des Bruder Oberst versetzt zu werden. Also sei pünktlich und mache den Vhratowächtern keine Schande.«

Die Belohnung der wahren Gläubigen

Am Morgen des nächsten Tages erwachte ich wie neu geboren. Die Wunden, die durch die Knute gerissen worden waren, waren wie durch Zauberei fast verheilt. Durch die Kunst der Medi-Schwester würden die Male, die von meiner Schande kündeten, bald vollständig verblassen. Gutgelaunt wusch ich mich und legte die neue Uniform der Garde an. Diese war völlig anders geschnitten, als die einfachen Einsatztalare der Vhratowächter. Obwohl das Heilige Buch Vhrashium, die Grundlage für das Gesetz Vhrasriator, die Eitelkeit unter den minderen Sünden einordnete, konnte ich nicht der Versuchung widerstehen, mich noch einmal im Spiegel zu bewundern. Hose und Uniformjacke bestanden aus einem feinen grauen Gewebe mit goldfarbener Biese, das viel angenehmer zu tragen war, als der grobe schmutzig braun gefärbte Refry-Wollstoff, der immer die Haut wund rieb. Genauso bequem waren die schwarzen Schaftstiefel, die ich bereits mehrmals auf Hochglanz poliert hatte. Kein Fleck sollte meine Uniform verschandeln, wenn ich dem Bruder Oberst gegenübertreten würde. Nachdem ich das schwarze Barett noch einmal gerade gerückt hatte, nahm ich die Tasche mit meinen wenigen Habseligkeiten und verließ die kleine Wohnzelle in der Wächterkaserne.

Gutgelaunt betrat ich den Gemeinschaftsraum und wurde von meinen bisherigen Brüdern mit lautem, anhaltendem Applaus begrüßt. Es war bisher äußerst selten gewesen, dass ein Mitglied der Vhratowächter in die Garde des Bruders Oberst berufen wurde. Im Normalfall wurden die Kandidaten für diesen ehrenhaften Dienst am Wohltäter des Volkes bereits vor dem Vollzug der Tuffa-Jab-Jab Zeremonie ausgewählt und in speziellen Gardekollegs auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet. Verleumderische Zungen behaupteten allerdings, dass dabei viele der berufenen Jungen für immer verschwanden, was ich für ein bösartiges Gerücht hielt, um den von Gott berufenen Führer des mashratischen Volkes zu verleumden. Ich war mir auf jeden Fall der Ehre bewusst, die diese Berufung für mich bedeutete, und ließ mich voller Stolz an dem für mich gedeckten Platz nieder, wo bereits das Frühstück auf mich wartete. Gutgelaunt beendete ich schließlich die Mahlzeit und verabschiedete mich von den Brüdern. Vor dem Portal der Kaserne wartete bereits eine Flugmaschine, die mich in den Palastbezirk zu meiner neuen Aufgabe bringen würde.

*

Die offene Flugmaschine, die von dem Lenker als Gleiter bezeichnet wurde, schwebte auf ein beeindruckendes Bauwerk zu, dessen Außenmauern makellos weiß in der brennenden Sonne leuchtete. Auf ganz Mashratan gab es kein zweites Gebäude, das an Größe und Glanz dem Palast des Großen Bruders Oberst gleichkam. Das strahlende Weiß war auf der Welt einmalig, denn das herrliche Licht der beiden göttlichen Lebensspender, die Vhrato seinen Gläubigen geschenkt hatte, färbte alles Gelb- und orangefarbenen. Das reine Weiß des fünfeckigen Palastes zeugte von einem göttlichen Wunder, das nur durch die Allmacht des Dreieinigen Gottes bewirkt worden sein konnte. Wuchtig, wie die ewige Herrschaft des Dreieinigen Gottes über sein auserwähltes Volk, beherrschte die fünfeckige Anlage das Zentrum von Vhrataalis. Um den Palastbereich waren die Kasernen der Wachregimenter und großzügige Wohnblöcke für die Bediensteten über einen weitläufigen Park verteilt.

Langsam senkte sich die Maschine auf ein rot umrandetes Feld vor dem Eingangsportal, wo sie majestätisch landete. Voller Ehrfurcht sah ich mich um. Alles zeugte von der erhabenen Größe des Großen Bruders Oberst, hier zeigte sich die Herrlichkeit des von Vhrato und den Propheten gesegneten. Die Spuren des teuflischen Terrorangriffes vom Januar 4870, der nur das Werk der Schwarzen Mirona gewesen sein konnte, waren längst verschwunden, nichts erinnerte mehr an die Gräuel, die durch die Armada der Gottlosen angerichtet worden waren. Doch das Volk von Mashratan, mit dem Großen Bruder Oberst an der Spitze, war wieder auferstanden, stärker und gottesfürchtiger als zuvor und es hatte nicht vergessen.

Zögernd stieg ich aus dem Gleiter und sah unsicher zu den Wachposten hinüber, die unbeweglich links und rechts vor dem prächtigen Portal standen und ihre Strahlengewehre präsentierten. Ich ging einige Schritte auf sie zu und wartete in der Vormittagshitze. Unwillkürlich versuchte ich die gerade Haltung der Posten nachzuahmen, doch all das schien sie nicht zu interessieren. So vergingen einige Minuten und der Schweiß lief mir in den Uniformkragen. Dann verschwand plötzlich ein Teil des Portals und ein Uniformierter schlenderte lässig nach draußen. Während er auf mich zuging, musterte ich ihn genauer und glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen. Wo die Wachposten, obwohl sie genau wie ich in der sengenden Sonne unbeweglich standen, vorschriftsmäßig geschlossene Uniformen trugen, bot der Unbekannte ein völlig unmilitärisches Bild. Das halblange Haar hing ihm wirr über den Kragen des weit aufgeknöpften Uniformhemdes, während er mit einem breiten Grinsen auf mich zuging.

»Na da haben wir ja unseren Wunderknaben«, begrüßte er mich und klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter.

Ich blickte ihn völlig entgeistert an. Was dachte sich der Große Bruder Oberst dabei, mich durch ein solches fragwürdiges Subjekt empfangen zu lassen. Doch er ließ sich durch meine Entrüstung nicht stören und fuhr fort: »Also ich bin der Majordomus, oder auch Bruder Major, wie Ihr zu sagen pflegt, und ich habe hier, sofern der Oberst nicht da oder gerade anderweitig beschäftigt ist, das Sagen. Und jetzt komm mit, er hat nach dir verlangt.«

Mir verschlug es die Sprache. Völlig fassungslos über die respektlose Anrede für unseren Großen Bruder stolperte ich hinter ihm durch das golden glänzende Portal, das sich hinter mir selbständig schloss. Ein weiteres Wunder, das von der Herrlichkeit Vhratos zeugte. Der lange Gang, der in das Innere des gewaltigen Komplexes führte, lag weitgehend im Dunkel. In den Wänden waren Nischen eingelassen, die durch Punktstrahler eine lange Perlenkette von Lichtinseln bildeten. Ehrfurchtsvoll betrachtete ich die lebensechten Statuen der Vorfahren unseres heutigen Großen Bruders. Hier schlug das Herz des mashratischen Volkes. Jeder dieser Männer hatte sein Leben dem Wohle des Volkes geweiht, sei es als uneigennütziger Großer Bruder, oder aber als Wohltäter, der den Reichtum Mashratans uneigennützig vermehrt hatte. Als Grundlage des Handelns all dieser großen Männer diente die Maxime, die der Erste Große Bruder Oberst, Hesekiel el Kerkum, seiner Familie gegeben hatte: »Nichts für den Einzelnen, aber alles für die Menschheit!«

*

Getreu diesem Grundsatz opferte Mashratan unter der Führung der Familie el Kerkum die Blüte seiner Jugend unzählige Male für das Wohl der Menschheit, sei es im heldenhaften Kampf gegen die nichtmenschlichen Tellerköpfe, oder auch wenig später gegen die Meister der Insel. Als die CREST III durch die Zeitfalle der Meister der Insel in die Vergangenheit versetzt wurde, wurde dem großen Rabmulla Hashi Omar el Tabari eine Vision des Dreieinigen Gottes geschenkt, durch die ihm der Auftrag des mashratischen Volkes offenbart wurde, als Stachel im Fleisch aller menschlichen Völker, die dem heiligen Stamm des menschlichen Urvolkes entsprungen waren, das Ziel der Vereinigung aller Kinder Lemurias zu verfolgen. Zusammen mit dem damaligen Oberhaupt der Familie el Kerkum, dem Großen Bruder Oberst Reginald el Kerkum, einigte er das mashratische Volk und gab ihm mit dem »Heiligen Buch Vhrashium« die geistige und religiöse Grundlage für die weitere Entwicklung der Gesellschaft. In den folgenden Jahrhunderten war es die Bruderschaft der Kinder Mashratans, die immer wieder mit ihrem Blut das Solare Imperium gegen alle Angriffe von Innen und Außen verteidigte.

Doch die Führung des Imperiums der Menschheit vergaß ihre kosmische Bestimmung. Die Sonnenboten des Lichts, Perry Rhodan und Atlan da Gonozal, handelten nicht mehr im Sinne der großen Vision der Menschheit, sondern opferten milliardenfach das menschliche Leben für die Interessen irgendwelcher obskurer kosmischen Mächte. Gegen Ende des Solaren Imperiums wurde nur noch auf Mashratan an die alte Prophezeiung geglaubt, dass die terranische Menschheit, als die Kinder des alten Lemurias, einst das Erbe des Universums antreten würde. Die Quittung der kosmischen Mächte erfolgte umgehend, das Hetos der Sieben, unter Führung der teuflischen Laren, zerschlug das Solare Imperium, Perry Rhodan floh vor seiner Verantwortung, während sich Atlan da Gonozal feige in der Dunkelwolke Provcon-Faust verkroch. Allein Mashratan verteidigte die Interessen der Menschheit und musste für seinen heldenhaften Mut teuer bezahlen. Die von den Laren gekauften Überschweren, auch sie Kinder Lemurias, eroberten die Heimat und errichteten ein Schreckensregime ohne Beispiel. Jeder Mashrate, egal ob männlich oder weiblich, wurde zum Spielball einer pervertierten Besatzungsmacht. Nachdem dann die Herrschaft des Konzils gebrochen war, kam der zweite Schock. Die Überlebenden warteten vergeblich, dass Terra sich seiner treuesten Söhne erinnerte. Doch Perry Rhodan und seiner Verräterclique waren irgendwelche Aufträge der Superintelligenz ES wichtiger, als sich um das Schicksal einer angeblich hinterwäldlerischen Kolonie zu kümmern. So war zwar die Herrschaft des Konzils zusammengebrochen, aber auf Mashratan herrschten nach wie vor die Überschweren. Als schließlich klar wurde, dass niemand uns zu Hilfe kommen würde, erhob sich jeder Mashrate gegen die Besatzer. Der Freiheitskampf war eröffnet und wir gewannen ihn. Doch der Blutzoll, den wir zahlen mussten, war fürchterlich: Über neun Zehntel der Einwohner waren tot, ganze Familienclans einfach ausgelöscht. Und dann kam Julian Tifflor. Der ehemalige Prätendent des Neuen Einsteinschen Imperiums wollte im Rahmen des von ES initiierten Unternehmens Pilgervater die Überlebenden zur Umsiedlung auf die menschenleere Erde überreden, da diese im Rahmen des Planes der Vollendung wieder aus dem Mahlstrom der Sterne an ihren angestammten Platz im Sol-System zurückgekehrt war.

Doch der Unsterbliche biss auf Granit. Kein Mashrate war bereit, seine Heimat, wo jedes Sandkorn mit dem Blut der gefallenen Helden getränkt war, auf Geheiß einer zweifelhaften Superintelligenz zu verlassen, im Gegenteil. In den folgenden Monaten und Jahren kamen alle Mashraten, die vor der Schreckensherrschaft der Laren und Überschweren als Angehörige der Solaren Flotte in der Provcon-Faust Zuflucht gesucht hatten, in ihre Heimat zurück und begannen mit dem Wiederaufbau des geschundenen Planeten. Doch die Rückkehrer brachten aus ihrem Exil die verdorbenen Ideen von Gewaltenteilung, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter nach Mashratan und legten so die Saat, durch die es der Inkarnation der Schwarzen Mirona ermöglicht werden würde, die Fundamente der mashratischen Gesellschaft einzureisen.

*

Vor uns schälte sich eine Lichtsäule aus dem Dunkel des langen Ganges. Ich wusste aus den Unterweisungen der heiligen Rabmullas, durch die jeder Mashrate mit der großen und opferreichen Geschichte seines Volkes bekanntgemacht wurde, dass wir das Ende des Pfades der Helden erreicht hatten. Im Mittelpunkt des Lichtdomes wartete die überlebensgroße Statue des Staatsgründers und Ersten Großen Bruders Oberst Hesekiel el Kerkum auf den Besucher, um ihn an seine Verpflichtung gegenüber der mashratische Gesellschaft zu erinnern: »Nichts für den Einzelnen, aber alles für die Menschheit!«

Während dieser fragwürdige Majordomus gedankenlos an dem Mahnmal vorbeilief, vollzog ich die Huldigung für den geehrten Vater unseres Volkes. Langsam umrundete ich die golden glänzende Statue und vollzog an den Seelensteinen die vorgeschriebene Ehrerbietung, indem ich mich tief verbeugte. Dann wiederholte ich diesen Ritus noch dreimal. Während ich den Ersten Großen Bruder um Beistand bei meinem zukünftigen Dienst für die Wiederkehr des herrlichen Lemurias bat, gedachte ich der Heimsuchung durch die leibhaftige Inkarnation der Schwarzen Mirona, der Sonnenbotin der Finsternis und der falschen Sonnenheiligen.

*

Auf die Epoche der Knechtschaft folgte die Epoche der Verblendung. Die Seelen der Rückkehrer waren von den falschen Idealen der Menschen außerhalb Mashratans verdorben und bildeten den idealen Nährboden für die dämonische Macht der Weiblichkeit, vor dem schon das Heilige Buch Vhrashium den Gläubigen eindringlich warnt. Äußerlich schien für Mashratan jedoch das Goldene Zeitalter begonnen zu haben. Materialismus und das Streben nach persönlichem Wohlergehen führte zu einem dekadenten Reichtum, während die Religion und das große Ziel der Wiederherstellung des glorreichen Lemurias in Vergessenheit gerieten. Die gottlosen Dienerinnen der Finsternis strebten danach, das Volk des Dreieinigen Gottes für immer zu verderben, indem sie es in das neugeschaffene Reich der Zügellosigkeit und Schande eingliedern wollten, das bis heute die Menschheit zum Spielball kosmischer Mächte und teuflischer Fremdwesen macht. Und dann kam der falsche Prophet. Perry Rhodan höchstpersönlich besuchte Mashratan und Millionen und Abermillionen verblendeter Kinder Gottes jubelten ihm zu. Unter seiner tatkräftigen Mithilfe schlossen sich all diejenigen zusammen, die die Kirche des Dreieinigen Gottes zerschlagen und ein gottloses Schandregime nach dem Muster Terras errichten wollten. Die heiligen Männer des Apostelrates wurden verfolgt und entmachtet und der von den Dämoninnen der Schwarzen angeführte gottlose Mob wütete in sogenannten Demonstrationen auf den Straßen von Vhrataalis.

Auf Druck des Verräters Julian Tifflor, der sich mit dem Titel Erster Terraner schmückte, kam es zu sogenannten freien Wahlen, bei denen auch die weiblichen Verführerinnen das Wahlrecht hatten. Das Ergebnis sollte als der Schwarze Tag der Gottlosigkeit in die Geschichte meines leidgeprüften Volkes eingehen. Die Inkarnation der Schwarzen Mirona, die nur die Verfluchte Namenlose genannt werden darf, übernahm die Macht und wollte die Heimat an diese gottlose Liga verkaufen, das sich selbst als Nachfolger des wahren Sternenreichs der Menschheit bezeichnete.

Doch die Söhne des wahren Gottes erinnerten sich an die alte Zeit, als sein Wort die Grundlage der Gesellschaft bildete. Vhrato erschien seinem Diener Gregor Reginald el Kerkum und erteilte ihm den Auftrag, die Verschwörung der Gottlosen zu beenden und das Reich des Dreieinigen Gottes wieder zu errichten. Er warf den Mantel der Unsichtbarkeit über seinen treuen Vollstrecker und ermöglichte diesem, die Verfluchte wieder in das dämonische Reich der Schwarzen Mirona zurückzustoßen. Die heldenhaften Getreuen des wahren Glaubens griffen zu den Waffen und erfüllten die Herzen der Sündigen mit Furcht und Feigheit. Das Gericht, das sie über die Verderber des Glaubens brachten, war streng, aber gerecht. Wer sich von der Irrlehre der sogenannten Demokratie und der Gleichberechtigung der Töchter der Schwarzen Mirona lossagte, wurde begnadigt und durfte seine Schuld im Dienste Gottes büßen. Die Uneinsichtigen, die den Gläubigen mit der Waffe entgegengetreten waren, traf die Macht Gottes jedoch mit voller Härte.

Als Konsequenz dieser abscheulichen Jahre wurden die Vhratowächter gegründet und von dem neugeschaffenen Rat der Sonnenheiligen mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Alle Frauen, als Verkörperung der dämonischen Versuchung, mussten ab diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit den »Yeshi-Hihab«, eine Art optisches Verzerrungsfeld, tragen, um die Söhne des Dreieinigen Gottes vor den Verführungskünsten der Dämoninnen der Schwarzen Mirona zu schützen.

In den folgenden Jahrhunderten schien es, als ob Vhrato seine schützende Hand über sein Volk halten würde, indem er es vor den Versuchungen der falschen Götter, die inzwischen in der Liga der Gottlosen angebetet wurden, schützte. Doch schließlich griffen die falschen Götter auch nach der Heimat, nachdem die Liga der Gottlosen sie erzürnt hatte. Ihr in Sünde geborener Sohn, der sich zum Herrscher über die Erste Insel erhoben hatte, isolierte die Welten der Menschen untereinander und setzte seine schrecklichen Zwittergeschöpfe aus Fleisch und Metall zur Bestrafung der Ungläubigen, wie auch der Gläubigen ein.

Die Sonnenheiligen wurden durch den falschen Gottessohn getäuscht und erklärten die Benutzung technischer Hilfsmittel für einen Irrweg. Sie erklärten, dass Vhrato den falschen Gottessohn geschickt hätte, um sein Volk auf den wahren Weg zum Glauben zu führen. Auch nachdem der falsche Gottessohn sein verdientes Ende gefunden hatte, hielten sie an ihrer Irrlehre fest und konnten immer mehr Gläubige vom richtigen Weg zum Glauben abbringen.

Nur durch Meditation und Versenkung in das Heilige Buch Vhrashium, so lehrten sie, könne der Gläubige eine höhere Daseinsebene erreichen, die ihm, ohne den Irrweg der teuflischen Technik, den Weg zum wahren Erbe der lemurischen Menschheit öffnen würde. Horden selbsternannter und fanatischer Bußprediger zogen über das Land und terrorisierten die Bevölkerung. Jeder Bürger, der irgendwelche technischen Gegenstände besaß, wurde als Ketzer in der Wüste ausgesetzt. Es war eine lange Zeit des Schreckens und der Willkür, der dann endlich durch den jetzigen Großen Bruder Oberst ein Ende bereitet wurde.

*

»Gelobt seien Vhrato und die Sonnenpropheten«, schloss ich meine Andacht leise ab und wiederholte nochmals das Gebot des Ersten Großen Bruders, »nichts für den Einzelnen, aber alles für die Menschheit!«

Der komische Majordomus hatte gewartet und empfing mich wieder mit diesem komischen Grinsen, wofür ich jedem Sohn der Kirche des Dreieinigen Gottes zu Recht die geballte Faust ins Gesicht geschlagen hätte.

»Beeilung, Mensch Beeilung, der Oberst wartet nicht gerne!«, bellte er.

Ein theologisch schwerwiegender Irrtum

Ehrfurchtsvoll betrat ich hinter meinem Begleiter den Audienzsaal des Großen Bruders Oberst. Für mich war das die Erfüllung eines Traumes. Schon als Kind hatte ich mir ausgemalt, wie es wäre, dem Wohltäter unseres Volkes persönlich gegenüberzustehen. Doch gleichzeitig erfüllte mich tiefe Scham, ich hatte gesündigt und war der wollüstigen Versuchung der Schwarzen Mirona erlegen.

Der Majordomus salutierte nachlässig und meldete: »Hier ist unser Held, Oberst!«

Der Große Bruder hatte sich erhoben und musterte dieses verwerfliche Subjekt, das jede Ehrfurcht gegenüber seinem Herrn vermissen ließ, scharf, bevor er entgegnete: »Major, auch von dir erwarte ich eine ordentliche Meldung!«

Der Angesprochene schlug nun zackig die Hacken der fleckigen Uniformstiefel zusammen, salutierte nochmals und schnarrte im scharfen Ton: »Großer Bruder Oberst, melde gehorsamst, dass der Bruder Nelder wie befohlen zur Stelle ist!«

Nun lächelte der Große Bruder zufrieden und meinte: »Warum nicht gleich so, Bruder Major?«

Während dieser Maßregelung stand ich unbewegt stramm und versuchte krampfhaft zu verhindern, dass mir ein zufriedenes Grinsen um die Lippen spielte. Der Große Bruder hatte inzwischen seinen scharfäugigen Blick auf mich geworfen und begann langsam um mich herumzugehen. Ich versuchte nochmals meine Haltung zu straffen, um vor den gestrengen Augen des Führers unseres Volkes bestehen zu können.

Gleichzeitig nutzte ich die Gelegenheit, mich umzusehen. Der Audienzsaal zeugte von der Würde des heiligen Amtes des Großen Bruders und strahlte im warmen Gelb des heiligen Lichts. Die Wände waren mit beweglichen Bildern des Wohltäters geschmückt, die ihn bei seiner verantwortungsvollen Arbeit zeigten. Im oberen Teil des kuppelförmigen Saales waren Darstellungen des Sainahgebirges und der beiden Monde Hugin und Munin sichtbar, die sonderbar gegenständlich wirkten und so von der Allmacht Vhratos zeugten. Mein Blick fiel dann auf die bequeme Ruhebank, auf der sich der Bruder Oberst wohl von seiner verantwortungsvollen Arbeit für das Wohl der Bürger erholte. Neben der Liege saß ein etwas gelangweilt wirkender Mann mit einem Vollbart und glattrasiertem Schädel, einer der Söhne und der engste Vertraute des Großen Bruders Oberst. Dahinter standen zwei Frauen, die sittsam, wie es das Heilige Buch vorschrieb, von der »Yeshi-Hihab« verhüllt wurden, das mussten seine zwei tugendhaften Töchter sein. Der Stolz auf unseren Führer erfüllte beim Anblick der untadeligen Familie mein Herz, der Große Bruder Oberst lebte die Gebote des heiligen Buches.

Ein Schlag auf meine Schulter riss mich aus meinen Gedankengängen. Ich blickte auf und sah in die durchdringenden Augen des Bruders Oberst, der bis in meine sündhafte Seele zu blicken schien.

»Bruder Romano«, so begann er, »ich und das ganze mashratische Volk sind stolz auf dich und deinen heldenhaften Einsatz im Dienste des Dreieinigen Gottes, durch den es uns ermöglicht wurde, eine Verschwörung der gottlosen Liga aufzudecken und die gottlosen Aufrührer ihrer gerechten Strafe zuzuführen!«

Er machte eine Pause, umarmte mich und klopfte mir nochmals auf die Schulter, um dann fortzufahren.

»Bruder Romano, Vhrato hat dich für höhere und verantwortungsvollere Aufgaben ausgewählt, deshalb bist du ab jetzt Teil der Sonnengarde und wirst mit deiner ganzen Kraft und deinem Glauben das Werk des Dreieinigen Gottes schützen und helfen, sein Reich über die Welten der Erste Insel auszubreiten.«

Meine Eitelkeit jubelte, während gleichzeitig meine Seele von abgrundtiefer Scham erfüllt wurde. Und dann sprudelte es aus mir heraus:

»Großer Bruder Oberst, ich bin dieser Ehre nicht würdig, ich habe gegen die Gesetze Gottes verstoßen, indem ich mich der Todsünde der Wohllust hingegeben habe.«

So, jetzt hatte ich meinen Frevel gestanden und wartete demütig darauf, dass der Große Bruder mich mit Schimpf und Schande davonjagen würde. Was dann geschah, würde mich für immer und ewig mit Dankbarkeit über die Weisheit und den Gerechtigkeitssinn der Großen Bruders Oberst erfüllen. Dieser brach angesichts meines Geständnisses in brüllendes Lachen aus.

»Bruder Ignatius, komm mal her, wir müssen das Seelenheil eines wahren Gläubigen wiederherstellen.«

Ich horchte auf. Keine Verdammung meiner Todsünde, keine Verbannung aus dem Bund der wahren Gläubigen? Ein ehrfurchtsgebietender, mit einem roten Talar bekleideter älterer Mann, den ich bisher nicht bemerkt hatte, schritt auf uns zu. Als er näher kam, erkannte ich ihn.

Ihre Heiligkeit, Ignatius Mose O’Donnel, der Hüter des Heiligen Buches, ging gemessenen Schrittes auf uns zu. Ich war über den despektierlichen Ton des Großen Bruders fassungslos, mit dem er den Heiligen Vater unserer Dreieinigen Kirche geradezu herbeizitiert hatte. Der Sonnenheilige hatte damals während des Initiierungsrituals die Vereidigung der Wächterzöglinge durchgeführt, zu denen auch ich gehört hatte. Ich war von der heiligen Zeremonie tief beeindruckt gewesen und hatte mir geschworen, mein Leben und Handeln von den Geboten der heiligen Kirche des Dreieinigen Gottes leiten zu lassen. Doch ich hatte gesündigt. Was würde der Heilige Vater sagen, wenn er von meiner Todsünde erfahren würde?

»Bruder Oberst, um welche theologische Frage handelt es sich hier?«, fragte der Sonnenheilige.

»Nun Bruder Ignatius, es geht um das Seelenheil unseres Bruders Romano hier, der in seinem Dienst als Vhratowächter von den Dämonentöchtern schwer geprüft wurde. Er meint, dass er der Wohllust erlegen und der Schwarzen verfallen wäre.«

Ihre Heiligkeit wandte sich zu mir und fragte streng, ob das stimme. Voller Scham antwortete ich mit »Ja« und rechnete damit, dass er mich verdammen würde. Denn Ihre Heiligkeit war dafür bekannt, dass er mit Sündern kurzen Prozess machte. Doch seine nächste Frage setzte mich in Erstaunen.

»Bruder Romano, wie lautet die Todsünde der Wohllust?«

Ohne einen Moment überlegen zu müssen, antwortete ich:

»Die schlimmste Sünde vor dem Angesicht des Dreieinigen Gottes aber ist, wenn Mann und Frau sich in gieriger Wohllust und gegenseitiger Geilheit aufeinander wälzen und die Reinheit ihrer Seelen der Fäulnis der Schwarzen überantworten!«

Der Heilige im roten Talar nickte bestätigend und ein kurzes, amüsiertes Lächeln glitt über seine Gesichtszüge.

»Nun deine Antwort beweist, dass du die Gebote Gottes und seines Propheten Vhrato gut gelernt, aber«, und da machte er eine kurze Pause, in der er mir tadelnd in die Augen blickte, »nicht verstanden hast!«

Einen Moment blickte ich ihn völlig ungläubig an, doch schon fuhr er fort.

»Die Todsünde der Wohllust ist also gemäß dem Heiligen Buch dann gegeben, wenn Mann und Frau sich in gegenseitiger Wohllust wälzen. Bruder Romano, hat sich die Metze der Schwarzen Mirona in Wohllust unter dir oder auf dir gewälzt?«

Diese Frage war so ungeheuerlich, dass ich einen Moment überlegen musste, bevor ich antwortete.

»Nein Heiliger Vater, ich glaube nicht, dass sie dabei Wohllust empfand, im Gegenteil.«

Da zeigte er ein barmherziges Lächeln und tätschelte gütig meine Wange.

»Siehst du Bruder Romano, genau hier liegt die Lösung deines Problems. In den im Heiligen Buch niedergelegten Geboten des Dreieinigen Gottes steht eindeutig, dass die Todsünde der Wohllust nur dann vorliegt, wenn der Mann einem Geschöpf der Schwarzen Wohllust bereitet, und dies lag nach deiner gottgefälligen Beichte bei dir nicht vor. Wenn eine Tochter Vhratos den dämonischen Verlockungen der Schwarzen erlegen ist, so hat jeder Sohn der Dreieinigen Kirche die Pflicht, mit allen Mitteln ein Geständnis ihrer dämonischen Verschwörung zu erlangen. Dabei ist alles erlaubt, womit die schändliche Wahrheit ans Licht gebracht wird. Jeder Sohn der heiligen Kirche handelt dabei als Diener Gottes und kann somit keinerlei Sünden begehen. Also ist deine Seele genauso rein und unschuldig, wie am Tage deiner Geburt! «

Es war, als ob die Last des gigantischen Berges Ahaggar mitten im Vorhof der Hölle von mir abfallen würde. Ich hatte nicht gegen die Gebote Gottes gesündigt. Innerlich jubilierte ich, jetzt konnte ich meinen Dienst im goldenen Lichte des Propheten ohne Gewissensqualen antreten und unsere Heimat mit der ganzen Kraft meiner gottgefälligen Seele gegenüber den gottlosen Reichen der Ersten Insel verteidigen. Doch warum hatte mir der Rabmulla das Ritual der Dämonengeisel auferlegt?

Und genau danach fragte ich den Heiligen Vater. Dieser musterte mich, zumindest kam es mir so vor, eine halbe Ewigkeit, bevor er antwortete.

»Mein Sohn, auch die Hirten der Heiligen Kirche sind nicht gegen Irrtümer gefeit. Der Bruder, der dir die Buße der Dämonengeisel auferlegt hat, hat wie du den Fehler gemacht, die Gebote Gottes ohne Sinn und Verstand nachzuplappern. Wir, als die Hüter der Heiligen Buches, müssen dir dankbar sein, dass du uns auf diesen Missstand in unserer Kirche aufmerksam gemacht hast. Es wird unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass sich all die Brüder, die für das Seelenheil der Gläubigen die Verantwortung tragen, sorgfältiger mit der göttlichen Wahrheit, die hinter den Geboten Gottes steht, auseinandersetzen. Ein gedankenloses Zitieren des Heiligen Buches ist nicht im Sinne unseres Schöpfers.«

Dann machte er eine Pause, in der er seinen Blick über alle Anwesenden schweifen ließ, und hob die Arme in einer segnenden Geste.

»Ihr Kinder des Dreieinigen Gottes, hört meine Stimme!«, donnerte sein Bass über die Versammelten. »Ich, Ignatius Mose O’Donnel, erkläre mit der mir durch den Dreieinigen Gott verliehenen Macht der Kirche und im Namen des Rates der Sonnenheiligen, folgende göttliche Wahrheiten, die ab dieser Stunde für jeden Gläubigen gelten:

Die dämonischen Töchter der Schwarzen Mirona erheben wieder ihre Medusenfratzen, um die unschuldigen Söhne Vhratos zu verderben. Aus diesem Grunde tritt das Gesetz zum Schutz der unbefleckten Reinheit erneut in Kraft. Es ist deshalb die Pflicht jedes wahren Gläubigen, dieses Schlangengezücht mit dem Yekjab zu züchtigen, wo immer es sein Gift der Häresie versprüht. Jede Tochter Vhratos wird aus der Gemeinschaft der Kinder des wahren Gottes verstoßen und für rechtlos erklärt, wenn sie von einem Sohn Vhratos ohne den Schutz der heiligen Yeshi-Halef erblickt wird. Das Tragen der Yeshi-Hihab ist ab sofort nur Mitgliedern der Familien gestattet, die zwangsweise in Kontakt mit Ungläubigen aus der großen Erste Insel treten müssen. Hierbei bedarf es in jedem Fall der Erlaubnis durch den Rat der Sonnenheiligen und des Familienoberhauptes. Weiter bestimme ich, dass der verwerfliche Auswuchs des Lasters, die heilige Yeshi-Halef aus edlem Stoff in hellen Farben anzufertigen, als schwere Sünde anzusehen ist. Das Gleiche gilt für allen Tand, mit dem das Schlangengewürm der Schwarzen ihre verwerfliche Eitelkeit befriedigt. Allein die Tugend hat in Zukunft der Schmuck einer Tochter Vhratos zu sein und nur mit ihr soll sie ihren zukünftigen Gemahl beglücken. Das Heilige Buch bestimmt, dass die Yeshi-Halef nur aus grober, grauer Refrywolle gewebt werden soll und so sei es. Alles, wodurch dem Auge des Gläubigen ermöglicht wird, die dämonischen Reize der Töchter Vhratos auch nur zu erahnen, ist das Werk der Großen Verderberin und deshalb als schwerste Sünde zu verfolgen.«

Mit diesen Worten beendete der Heilige Vater seine Ansprache. Nach einem kurzen Moment andächtiger Stille brandete brausender Beifall auf. Die Menschen jubelten ihm zu und immer wieder waren Rufe zu hören, die seine Weisheit lobten und die heilige Kirche priesen. Nur eine der durch die Yeshi-Hihab geschützten Frauen, bei denen es sich, wie ich vermutete, um die ehrenwerten Töchter des Großen Bruders Oberst handelte, schien etwas sagen zu wollen. Doch sein Sohn Ali Urban Judäa el Kerkum unterband diese Ungeheuerlichkeit, indem er ihr handgreiflich klar machte, dass eine sündenbeladene Frau, auch wenn sie die Tochter des Großen Bruders Oberst war, in der Gemeinschaft der Söhne Vhratos zu schweigen hatte. Der Bruder Oberst hatte das beobachtet und befahl diesem komischen Majordomus sie in ihre Gemächer zu bringen und darauf zu achten, dass sie diese nicht mehr verlassen würde.

Danach dankte er dem Heiligen Vater für seine Güte und Weisheit, durch die es den Vhratowächtern ermöglicht würde, jedes Aufbegehren der dämonischen Töchter der Schwarzen Mirona zu unterbinden.

Nach einer kurzen Pause, in der gefallene Töchter Vhratos den ehrenwerten Gästen des Großen Bruders Oberst Erfrischungen reichten, kam der Höhepunkt meines Traumes: Er befahl seinem Sohn, das Leutnantspatent der Garde für mich zu bringen.

»Ich, Oberst Ibrahim David Gregor el Kerkum, von Gott eingesetzter Repräsentant des Volkes von Mashratan, nehme dich, Romano Nelder, als Werkzeug für Vhratos Wille, in die heilige Gemeinschaft der Sonnengarde auf. Trage nun die Insignien deiner Berufung mit Stolz und Ehre!«

Mit diesen Worten heftete er mir links und rechts zwei Schulterklappen an meine Uniform, durch die ich nun offiziell Mitglied der Sonnengarde wurde. Danach leistete ich den traditionellen Eid, mit dem sich seit undenklichen Zeiten die Mitglieder der Garde verpflichteten, die Befehle des jeweiligen Stellvertreters des Sonnenboten auszuführen.

»Ich gelobe, die Kirche des Dreieinigen Gottes zu schützen, an ihre Lehren zu glauben und ihre Gebote zu halten. Ich bin ab nun ein Teil des Schildes, der das kommende Reich der Kinder Lemurias gegen alle Feinde schützt. Ich weihe mein Leben und meine Ehre der heiligen Gemeinschaft der Sonnengarde und werde alle Befehle Vhratos, der durch seinen Repräsentanten spricht, ohne den geringsten Moment des Zögerns oder des Zweifels ausführen.«

Die große Vision

Um ihn herum war Dunkelheit, kein Lichtstrahl Vhratos erhellte die Hölle, über die die Schwarze Mirona mit dämonischer Grausamkeit herrschte. Hektisch versuchte er sich zu bewegen, doch dämonisches Teufelswerk umfing ihn und hemmte jede seiner Bewegungen. Unwillkürlich hielt er den Atem an, um zu verhindern, dass die Essenz der Schwarzen Teufelin seinen Körper vergiftete. Mit äußerster Willensanstrengung hielt er diesen Zustand einige Minuten aufrecht, doch ein heftiger Hustenanfall ließ klare, reine Luft durch seine Lungen fließen. Er bäumte sich auf und plötzlich brannte das Licht der Wahrheit in seinen Augenlidern. Sein verschleierter Blick fiel auf hektisch blinkende Lichter und farbige Linien, die im Raum zu schweben schienen. Gleichzeitig peinigten schrille Töne seine Ohren.

Dämonenwerk, die Schwarze versuchte, seinen Geist mit Trugbildern zu blenden.

Während er um die Herrschaft über Körper und Geist kämpfte, tauchte plötzlich aus den Tiefen seines Bewusstseins der Begriff »holographische Überwachungskonsole« auf. Er schaffte es schließlich, seinen Oberkörper halb aufzurichten und eine Hand freizubekommen. Irgendetwas umschloss den unteren Teil seines Gesichtes. Panikerfüllt tastete er danach. Glattes, lederartiges Material bildete Mund und Nase nach, während irgendwelche Schläuche im Nirgendwo verschwanden. Seine Finger griffen unter den ertasteten Rand, ein Ruck, und er hielt die Dämonenhaut in der Hand. Sein Blick fixierte das Teufelswerk und warf dann angeekelt die Fratze von sich. »Atemmaske«, auch dieses sinnlose Wort geisterte plötzlich in seinem Denken. Wurde er wahnsinnig, schickte die Schwarze Dämonenherrscherin sinnloses Geschwafel, um seinen Geist zu verwirren?

Langsam breitete sich Panik in ihm aus, er musste die Reinheit seiner Seele retten, er musste hier raus. Er nahm alle Kraft zusammen und versuchte aus dem Trog zu steigen. Doch das dämonische Wasser versuchte, ihn wieder in seinen gierigen Schlund zu ziehen. Aber der Wille des wahren Gläubigen siegte über die dämonischen Mächte. Mit einem Ruck kam er endlich frei und fiel aus der Wanne. Er griff an den Rand und zog sich hoch. Und wieder geisterte ein weiterer unverständlicher Ausdruck durch seinen Kopf, »Regenerationstank«, was immer das heißen sollte.

Seine Panik erlosch und er konnte sich in dem unbekannten Raum orientieren. Mit den Händen streifte er die Reste der dämonischen Essenz von Kopf und Körper und blickte sich um. Er stand schwankend neben dem Trog, aus dem er sich gerade befreit hatte. Um ihn herum war das strahlende Weiß der Wände von irgendwelchen technischen Gerätschaften durchbrochen, deren Zweck ihm unbekannt war. Plötzlich wurde die Wand an einer Stelle durchsichtig und zwei Gestalten betraten den Raum. Völlig entgeistert starrte er sie an, bevor er realisierte, was sich vor seinen Augen abspielte. Wieder griff die Panik nach ihm. Die Diener der Schwarzen Mirona waren durch die Wand gegangen, um ihn in ihr finsteres Reich zu holen. Wieder versuchte irgendeine Teufelin ihn durch »Formenergieportal« zu verwirren, aber er achtete nicht mehr auf ihre Einflüsterungen. Er hatte weitaus schlimmeren Versuchungen widerstanden, als diesem unverständlichen Kauderwelsch. Doch die beiden Gestalten, die interessiert die blinkenden und zuckenden Trugbilder mitten in der Luft verfolgten, waren real und es konnte sich nur um Dämonen handeln, das bewies schon ihre lange, klapperdürre Gestalt mit den kahlen, eiförmigen Köpfen, aus denen ihn rote Augen stechend musterten. Jetzt war es soweit, die Dämonen griffen mit ihren Klauen nach ihm. »Aras, auch Galaktische Mediziner«, flüsterte es wieder in seinem Gehirn. Er musste sich wehren, musste die Dämonenbrut zurück in die Hölle ihrer Gebieterin schicken, musste …

»Vhrato, heiliger Sonnenbote des Lichts«, begann er zu beten, während er mit geballten Fäusten auf die Beiden zu torkelte.

»Doktor Runtoo, stellen Sie das Versuchsobjekt ruhig!«, befahl die eine Stimme, während die Zweite »Jawohl Manta-Zada!« antwortete.

Eine der Gestalten hob einen Stab und ging auf ihn zu. Jetzt erst bemerkte er, dass sie weiblich war, eine Dämonin der Schwarzen. Bevor er sich wehren konnte, drückte sie ihm den Stab in den Nacken und ein kurzes, summendes Geräusch ertönte. Er versuchte nach ihr zu schlagen, aber nichts geschah, voller Schrecken stellte er fest, dass er sich nicht mehr bewegen konnte.

»Injizieren Sie drei Einheiten Sedativa!«

Einige Tage später …

Ein Mann saß an einem pompösen Swimmingpool, der sich auf der Oberfläche des gewaltigen fünfeckigen Palastes befand. Der muschelförmige Pool bildete den Mittelpunkt einer nachgestalteten Wüstenlandschaft, die sich scheinbar bis an den sichtbaren Horizont erstreckte. Noch vor wenigen Tagen wäre diese Landschaft Romano Nelder als ein unbegreifliches Wunder des Sonnenboten erschienen, doch mit dem neuen Wissen, das ihm durch die erfolgte Hypnoschulung vermittelt wurde, wusste er, dass hinter diesem vermeintlichen Wunder die moderne Technik des 49. Jahrhunderts stand. Der Horizont, der sich in der Unendlichkeit zu verlieren schien, war das Ergebnis komplexer Hologramme, wobei der der Rand des Palastes durch entsprechende Formenergiebarrieren nachgezeichnet wurde, um zu verhindern, dass irgendjemand bei einer vermeintlichen Wüstenwanderung vom Dach stürzte.

Mit Schaudern erinnerte er sich daran, dass er vor einigen Tagen zu früh aus dem heilenden Tiefschlaf aufgewacht war und in der ihn umgebenden Medizintechnik ein Werk der Schwarzen Mirona gesehen hatte. Doch all das lag hinter ihm. Der behandelnde Galaktische Mediziner hatte ihn, als er das zweite Mal aus dem heilenden Tiefschlaf erwacht war, zu seiner stabilen Psyche gratuliert, durch die er die Intensiv-Hypnoschulung heil überstanden hatte. Nach seiner Aussage war es notwendig gewesen, das Risiko psychischer Schäden in Kauf zu nehmen, da für eine normale Schulung keine Zeit bestanden hätte.

In diesem Moment gesellte sich ein weiterer Mann dazu, der anscheinend einen hohen Rang innehatte, wie seine lindgrüne Uniform vermuten ließ, die mit allerlei Orden und goldenen Epauletten geschmückt war. Dies wurde auch dadurch bestätigt, dass Romano Nelder aufsprang, Haltung annahm und salutierte.

Der Mann mit dem mittellangen krausen Haar und dem kurz geschorenen Kinnbart, bei dem es sich um das gegenwärtige Staatsoberhaupt Mashratans handelte, nahm die Ehrenbezeugung mit einem kurzen Kopfnicken zur Kenntnis.

»Kommen Sie, Leutnant Nelder, wir haben einiges zu besprechen.«

Wenig später in einem luxuriös eingerichteten Besprechungsraum.

Romano Nelder saß steif wie eine Korsettstange an einem pompösen Konferenztisch und lauschte dem brillanten Monolog des Großen Bruders. Oberst el Kerkum, der ehrenvolle Herrscher des Planeten Mashratan, zeigte auf, dass die gesamte offizielle Geschichte der Menschheit Teil einer universellen Verschwörung gigantischen Ausmaßes sei, deren Ziel darin bestände, der Menschheit, als Erbe des glorreichen Großen Tamaniums des heiligen Lemurias, ihre kosmische Bestimmung zu verweigern. Romano Nelder war von den ungeheuerlichen Ausführungen überwältigt, endlich ergaben all die vielen Widersprüche, die ihn nach der erfolgreichen Hypnoschulung gequält hatten, ein stimmiges Bild.

Alles lief auf die Auseinandersetzungen zweier Entitäten hinaus, die überall auf den Welten der dem Stamm Lemurias entsprungenen Menschheit, als ES und ANTI-ES bekannt waren. Doch damit waren die Gemeinsamkeiten mit der offiziellen Geschichtsschreibung, sei es in der Liga der Gottlosen oder im arkonidischen Gos'Tussan, bereits erschöpft. Der Große Bruder Oberst deckte eine ganz andere Wahrheit auf, die tief in der Vergangenheit der Ersten Menschheit gründete.

»Vor fast 200.000 Jahren erhob sich auf dem dritten Planeten eines Sonnensystems, das weit außerhalb des Zentrums in einem Seitenarm der Ersten Insel seine Bahn zog, eine vermeintlich neue Spezies aus der Bedeutungslosigkeit der primitiven Artenvielfalt des Planeten. Doch die Entstehung dieser Art war nicht das Ergebnis einer natürlichen Evolution, sondern wurde durch mannigfaltige Manipulationen verschiedener kosmischen Mächte entscheidend beeinflusst. Dieses System, so unscheinbar es dem unwissenden Beobachter erschien, war in Wirklichkeit das Zentrum gewaltiger kosmischer Kräfte, selbst die beiden Bruder-Entitäten waren vor Äonen im Licht des Zentralgestirns geboren worden. Jahrmillion um Jahrmillion verging und auf vier Welten des Systems keimte das Leben und erlosch mehrmals wieder. Schließlich entstand auf dem dritten Planeten die menschliche Spezies und schickte sich an, die ihre Rolle in einem feindlichen Universum zu bestimmen. Im Verlauf langer Jahrtausende setzte sich die Erste Menschheit in einem gnadenlosen Überlebenskampf mit Unterstützung des Sonnenpropheten Vhrato gegenüber vielfältigen Ungeheuern durch und ließ schließlich vor über 50.000 Jahren ihren Planeten, unsere Urheimat Lemur, hinter sich. In den folgenden Jahrtausenden breiteten sich unsere Altväter über die gesamte Erste Insel aus und schufen das Große Tamanium, dem in seiner Blütezeit über 100.000 Sonnensysteme angehörten. Gleichzeitig überwanden sie die Leere zwischen der Heimat und der Zweiten Insel, die heute unter dem Namen Andromeda bekannt ist. Die Wissenschaft stand in voller Blüte und mit Unterstützung der auf dem fünften Planeten beheimateten Paradox-Intelligenz ZEUT stand die Erste Menschheit vor dem Aufstieg in höhere Sphären der kosmischen Mächte. Doch unsere Altväter waren längst zum Spielball der beiden verfeindeten Bruder-Entitäten geworden, ANTI-ES manipulierte teuflische Fremdwesen aus einer fernen Galaxis, um den Aufstieg unserer Ahnen zu beenden. Die Bestien, über dreieinhalb Meter große, vierarmige Ungeheuer, zerschlugen das Große Tamanium mit beispielloser Brutalität. Im Auftrag von ANTI-ES wurde dabei der fünften Planet des Heimatsystems zerstört und somit auch die Paradox-Intelligenz ZEUT, durch die der rasche Aufstieg der Ersten Menschheit erst möglich geworden war.

Doch viele der Altväter konnten sich über den großen Abgrund zur Zweiten Insel retten und fanden dort eine neue Heimat. Doch auch hier versuchte ANTI-ES den erneuten Aufstieg der Menschheit zu sabotieren und hetzte wasserstoffatmendes Fremdleben auf unsere Altväter. Doch die finstere Entität hatte sich verrechnet, mit beispiellosem Mut kämpften unsere geflohenen Vorfahren gegen die aggressiven Wasserstoffatmer und konnten ihre neue Zuflucht verteidigen. Schließlich wurde das Fremdleben vollständig von der Zweiten Insel vertrieben. Unter der Schirmherrschaft von ES wurde eine Schutzorganisation der auf der Zweiten Insel heimisch gewordenen Menschen gegründet, die wir heute unter dem Namen Meister der Insel kennen. Ihr Ziel war die Bewahrung der menschlichen Rasse vor allen Gefahren, die von dem vorhandenen Fremdleben ausgehen. An der Spitze dieser Organisation stand die geheiligte Erste Sonnenbotin Mirona Thetin.

Für die Erste Insel hatte der von ANTI-ES initiierte Terrorangriff schlimmste Folgen. Das Tamanium zerfiel in einzelne isolierte Sternenreiche, wobei die glorreiche Vergangenheit in Vergessenheit geriet. Auf Lemur selbst löste die Vergewaltigung des Planeten durch die Bestien globale Naturkatastrophen aus, durch die fast alle Spuren unserer Altväter von der Oberfläche getilgt wurden. Doch die menschliche Rasse überlebte, obwohl sie wieder in die Steinzeit zurückgebombt worden war. In ihrem Rassegedächtnis verschmolz der Terror der Bestien mit dem Trauma der alten Furcht vor den Konos zu der immerwährenden Angst vor Hölle und Teufel und der drohenden Apokalypse. Doch schließlich erhob sich der Mensch wieder aus der primitiven Umwelt und begann das Erbe der Altväter anzutreten.«

Hier machte der Große Bruder Oberst eine Pause und musterte seinen Gegenüber fragend. Dieser war von der Weisheit der Enthüllungen tief ergriffen. Dann fuhr der glorreiche Führer Mashratans, nachdem er etwas von einem bereitstehenden Getränk zu sich genommen hatte, fort.

»In der Ersten Insel bildete sich in den Jahrtausenden nach der großen Katastrophe auf dem Gebiet des ehemaligen 87. Tamaniums mit dem Zentrum Drorah ein neues Reich der Menschheit. Doch ANTI-ES gelang es, innerhalb des neuen Sternenreiches Zwietracht zu säen, so dass die Kinder Lemurs gegeneinander kämpften. Es kam schließlich zur Abspaltung vieler Siedlungswelten und zur Besiedelung des Kugel-Sternhaufens Urdnir, der dann unter dem Namen Thantur-Lok das Zentrum des Tai Ark'Tussan, des Großen Imperiums, bilden würde.

Die Nachfahren der Altväter breiteten sich in den nächsten Jahrhunderten zuerst über die Kugelsternhaufen Thantur-Lok und Cercol aus, während gleichzeitig viele bereits besiedelte Welten, die einst Bestandteil der im Nordwest-Quadranten gelegenen Tamanien der Altväter gewesen waren, in das entstehende Tai Ark'Tussan eingegliedert wurden. Jahrhundert um Jahrhundert breitete sich das Große Imperium weiter aus und war schließlich auf dem besten Wege die Nachfolge des Großen Tamaniums der Altväter anzutreten. Doch diese Entwicklung lag nicht im Interesse von ANTI-ES. Die negative Entität manipulierte den Hyperraum und erzeugte im Nordwest-Quadranten extreme Hyperstürme, die als die Archaischen Perioden bezeichnet wurden und fast tausend Jahre dauerten. Die Welten des Großen Imperiums wurden voneinander isoliert und viele versanken im Laufe der Jahrhunderte in Barbarei. Nachdem wieder normale Verhältnisse eingekehrt waren, erwiesen sich die Arkoniden als wahre Söhne Lemurs und machten unverdrossen da weiter, wo sie aufgehört hatten.

In den folgenden Jahrhunderten unterstützte ES diese Entwicklung, indem er mehreren Imperatoren die lebensverlängernde Zelldusche im Nebeldom auf Zhygor gewährte, um die Entwicklung des Tai Ark'Tussan zu stabilisieren. Das Große Imperium wuchs und beherrschte immer weitere Teile des Nordwest-Quadranten. Doch ANTI-ES hatte seine Absicht, die Söhne Lemurs zu vernichten, nicht aufgegeben. Ein zweifacher Anschlag sollte endlich das gewünschte Ergebnis bringen. Das wasserstoffatmende Fremdleben, das von der Zweiten Insel vertrieben worden war, hatte sich mit Hilfe der negativen Bruderentität in der Heimatgalaxis der Menschheit angesiedelt und war inzwischen dabei, ein eigenes, unnatürliches Sternenimperium des Fremdlebens aufzubauen. Dabei waren ihm natürlich unsere arkonidischen Brüder im Wege. Und wieder wurde die menschliche Kultur in einen finalen Überlebenskampf gegen die gnadenlosen und grausamen Feinde des wirklichen Lebens verwickelt. Doch damit nicht genug. Die Macht der Finsternis riss die Grenzen zwischen den Universen nieder und ermöglichte es, dass das finstere Unleben der Druuf aus diesen teuflischen Gefilden, die als Rotes Universum bezeichnet wurden, ebenfalls die Existenz unserer Brüder bedrohte. Das Große Imperium stand vor seiner größten Herausforderung. Doch unsere arkonidischen Brüder stellten sich mit dem Mute der Verzweiflung der Gefahr. Heldenhaft verteidigten sie das Erbe der wahren Menschen gegen die zweifachen Aggressoren. Als das Unleben aus dem roten Höllenuniversum auch nach Lemur, der Urheimat der Menschen griff, konnte ES, der Schirmherr der Kinder Lemurs, endlich eingreifen. In der Person des Gos'athor Atlan da Gonozal fand er einen würdigen Stellvertreter, der künftig als Hüter der wieder aufstrebenden Menschheit wirken sollte und zum Zweiten Sonnenboten wurde.

Wieder vergingen Jahrtausende. Während der gesamten Zeit überwachte der Sonnenbote Atlan gewissenhaft über das Schicksal der Urheimat. Immer wieder musste er aus seinem Tempel unter dem Meeresspiegel auf die Oberfläche, um die ihm anvertraute Menschheit vor den Kreaturen des Widersachers zu schützen. Und dann kam das Jahr 1971. Major Perry Rhodan startete mit der STARDUST zum Mond und traf dort auf den gestrandeten Forschungskreuzer der Arkoniden. Der Kreis hatte sich geschlossen.

Was dann folgte, war der unvergleichliche Aufstieg der terranischen Menschheit, die vergessenen Kinder der Lemurias erwiesen sich als die wahren Erben des Großen Tamaniums ihrer Vorväter. Nachdem Perry Rhodan auf den Welten der Wega das Galaktische Rätsel gelöst hatte, erhielten er und seine wichtigsten Mitstreiter, wie einst die Imperatoren des Tai Ark'Tussan, die lebensverlängernde Zelldusche. Das entstehende Solare Imperium wurde in den folgenden Jahren zum Motor der Ausbreitung der Zweiten Menschheit über die Erste Insel. Nach der Vereinigung des Solaren Imperiums mit dem Tai Ark'Tussan zum Vereinigten Imperium war der zweite Teil des großen Planes unseres Förderers verwirklicht, Großadministrator Perry Rhodan wurde zum Dritten Sonnenboten.

Doch ANTI-ES hatte sich nicht geschlagen gegeben, im Gegenteil. Schon während der ersten Schritte der terranischen Menschheit auf der kosmischen Bühne öffnete die negative Entität die Grenzen zwischen den Universen und versuchte durch das Unleben aus dem Roten Höllenuniversum den erneuten Aufstieg der Menschheit zu verhindern. Doch auch dieser Versuch misslang. Deshalb änderte der Verderber des wahren Lebens seine Taktik. Sein Ziel war nun nicht mehr die Menschheit zu vernichten, sondern in seinem Sinne zu beeinflussen. Die Auseinandersetzungen zwischen ihm und seiner Bruderentität traten in die entscheidende Phase, ohne dass die Terraner oder Arkoniden begriffen, dass sie nur die Bauern in einem Kosmischen Schachspiel waren, das die beiden Bruderentitäten auf Kosten der Menschheit miteinander spielten.«

Der Große Bruder Oberst machte erneut eine Pause und wischte sich mit einem Taschentuch über das gerötete Gesicht. Nachdem er einen großen Schluck Wein genossen hatte, musterte er sein Gegenüber.

»Hat er die ganze Infamie dieser kosmischen Verschwörung durchschaut?«

Der Angesprochene wurde durch die Frage aus seinen Gedanken gerissen. Stockend versuchte er, die Frage des Wohltäters zu beantworten.

»Die … die Sonnenboten sind Verräter und ha …«

»Nein, nein«, wurde er brüllend unterbrochen, »wusste ich es doch, natürlich, gar nichts, rein gar nichts hat er verstanden, Dummköpfe, ich bin nur von Dummköpfen umgeben!«

Wieder wischte sich der Oberst über das Gesicht und setzte die Weinkaraffe an. Nachdem er sie zur Hälfte geleert hatte, schien er sich wieder etwas beruhigt zu haben.

»Romano, mein unwissender Junge, du musst die Lügen durchschauen, … hinter die kosmischen Kulissen blicken. Welches Ziel hatten wohl ursprünglich die Sonnenboten?«

Wieder ein Schluck aus der Flasche. Dann beantwortete er seine Frage selbst.

»Der große Plan sah vor, alle Kinder Lemurias der Ersten und Zweiten Insel, also Tefroder, Arkoniden, Akonen und die Terraner mit all ihren verschiedenen Kolonialvölkern in einem großen Reich der Menschheit zu vereinigen, so war es vorgesehen, verstanden?«

Nelder nickte und fragte jedoch: »Aber Perry Rhodan hat doch die Meister der Insel zerschlagen und der Sonnenbote Atlan hat dann die Schwarze Mirona getötet und uns so vor den Dämoninnen gerettet.«

»Ha, wusste ich es doch, er hat es immer noch nicht verstanden, Dummköpfe, nichts als Dummköpfe, wenn ihr mich nicht hättet …«

Dann begann Kerkum herumzulaufen und beugte sich schließlich über Nelder, indem er sich auf den Armlehnen seines Sessels abstützte.

»Das muss doch klar sein, die Sonnenboten waren nicht mehr die Sonnenboten …, Dummköpfe, leichtgläubige Kinder ihr alle, sie waren in Wirklichkeit die Geschöpfe von ANTI-ES, … hat er endlich verstanden …, ANTI-ES steckte hinter all dem.«

Der Angebrüllte fühlte sich sichtlich unwohl, seinem Idol aus wenigen Zentimetern in die aufgerissenen Augen blicken zu müssen, doch tapfer fragte er diesen:

»Wieso ANTI-ES, Bruder Oberst?«

Kerkum hatte sich schwer atmend wieder aufgerichtet und fixierte Nelder mit starrem Blick.

»Weil dieser das Kosmische Schachspiel gewonnen hat«, antwortete er, »hast du jetzt endlich verstanden, du Dummkopf? Seit dieser Zeit manipuliert der alte Feind der Menschheit das kosmische Geschehen, die Sonnenboten Perry Rhodan und Atlan hat er zuerst manipuliert und dann gegen seine Kreaturen ausgetauscht und die Sonnenbotin Mirona Thetin wurde, nachdem der manipulierte Sonnenbote Atlan sie verraten und vermeintlich getötet hatte, zu einer körperlosen Dämonin und sucht als die Schwarze Mirona die Männer heim.«

Kapitel 2: Interludien (Zwischenspiele)

Hinter den Kulissen der kosmischen Bühne

Inmitten der Ebene der Schatten, die sich in der Unendlichkeit zu verlieren schien, fokussierte ein einsamer Lichtpunkt den Blick eines nicht vorhandenen Beobachters auf den einzigen vertrauten Punkt im Unbegreifbaren. Wirklichkeiten entstanden und vergingen im gleichen Augenblick. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waren Eins und nur flüchtige Aspekte der gleichen kosmischen Gesetzmäßigkeit. Und doch beherbergte dieses Chaos ein mächtiges Bewusstsein, das darüber wachte, dass auf der elementarsten Ebene des Seins die Macht jener, die sich anmaßten, über die Entwicklung der Makroebene zu bestimmen, endete.

Um den einsamen Lichtpunkt manifestierten sich vertraute Strukturen, die Wellen eines Sees schlugen plötzlich an das Ufer eines langen Sandstrandes, während das Grau der unendlichen Schatten über dem See durch einen prachtvollen Sternenhimmel verdrängt wurde. Am Ufer loderte ein Feuer, an dem sich eine geheimnisvolle alte Frau wärmte.

Die einsame Frau, die in der farbenprächtigen Art einer Zigeunerin gekleidet war, starrte gedankenverloren in die flackernde Glut des Feuers. Ihr Gesicht, ihre ganze Erscheinung wirkte seltsam zeitlos, ein Blick in ihre Augen hätte jedoch genügt, um zu erkennen, dass die Beschränkungen der Niederungen für sie keine Rolle spielten.

Wieder fragte sie sich, ob ihre Entscheidung richtig gewesen war. Auf der Makroebene des Multiversums waren hunderte Millionen Zeiteinheiten vergangen, seit sie sich auf den Schutz des kosmischen Würfelspiels beschränkt hatte. Doch nun bestand die Notwendigkeit ihre selbst gewählte Beschränkung aufzugeben und die Manipulatoren jenseits der Materiequellen in ihre Schranken zu weisen.

Während sie weiter in das Feuer starrte, materialisierten sich weitere materielle Strukturen. Beiläufig registrierte sie die Informationen, die ihr auf diese Weise übermittelt wurden.

Es hatte endgültig begonnen …

Von Affen und Brathähnchen, oder ein Somer gewinnt neue Einsichten

Das vogelähnliche Lebewesen bemühte sich, die Bemerkungen und flapsigen Sprüche, die seine Anwesenheit im Wartebereich des Ragnarök Space Ports am Rande von Trade-City, provozierte, zu ignorieren. In sich spürte es Gefühle aufsteigen, die seine Spezies längst überwunden glaubte. Wider seinen Willen begannen die Instinkte, die eine gnadenlose Evolution in ferner Vergangenheit tief in das unbewusste Stammhirn eingegraben hatte, die Kontrolle über seinen Körper zu übernehmen. Die Sinne schärften sich und das beherrschende Raubtier des fernen Planeten Som drohte aus dem zivilisatorischen Schlaf der Jahrtausende zu erwachen. Voller Scham bemerkte es, dass die Relikte der blutigen Vergangenheit sich anschickten, aus der Verborgenheit hervorzutreten.

Nein, das durfte nicht geschehen. Nie mehr durften die primitiven Triebe die Beschränkungen der Zivilisation durchbrechen, nie mehr!

Mit aller Macht blendete das Wesen die Provokationen des Pöbels aus und versenkte sich in die Meditation des Charlashad, um das archaische Erbe wieder tief im hintersten Winkel seines Selbst zu verschließen.

*

Tief einatmen – den Atem halten – langsam ausatmen.

Vor seinem inneren Auge entstand das Bild des Geburtsplaneten Somatri, die weiten grasbedeckten Ebenen mit den kunstvoll geschnittenen Blütensträuchern, dazwischen die künstlichen Geburtsnester, die den längst ausgestorbenen Geburtsbäumen der Urheimat Som nachempfunden waren um die künstlichen Gewässer angelegt waren, an deren die jungen Somer in freier Natur sorglos in ihre künftige Welt hineinwuchsen, frei und ungebunden. Sie würden mit Vollendung des zwanzigsten Planetenumlaufs um das Auge der Schöpfung ihre Heimat verlassen, um irgendwo in den Weiten Siom-Soms oder der anderen Galaxien der Estartischen Föderation ihre Bestimmung zu finden und erst gegen Ende ihres Daseins wieder in die Urheimat zurückkehren, alt, weise und die Vereinigung mit dem Auge der Schöpfung erwartend.

Tief einatmen – den Atem halten – langsam ausatmen.

Der Geist beherrscht den Körper, der Geist ist ruhig und gelassen, Körper und Geist sind eins!

*

Die alten Meditationstechniken der achten Stufe des Upanishad wirkten und verbannten die instinktive Reaktion des Raubtieres tief in seinem Geist.

»Werden Sie belästigt, Excellenz?«

Die Frage ließ den Somer aufblicken. Vor ihm stand eine uniformierte Frau, die von zwei Robotern flankiert wurde. Doch bevor er antworten konnte, eskalierte die Situation. Die Meute fühlte sich herausgefordert und bildete einen Kreis. Ein Großmaul, das sich bereits zuvor als Anführer hervorgetan hatte, trat aus dem Kreis.

»Wen haben wir denn da Jungs?«, fragte er lautstark, um sich dann selbst die Antwort zu geben, »Eine Polizeischlampe!« Dabei schaute er Beifall heischend um sich. Anschließend baute er sich vor der Polizistin auf, wobei er sich provozierend zwischen den Beinen kratzte.

»Was für geile Möpse die hat, da muss man doch zugreifen!« Mit diesen Worten machte er noch einen Schritt nach vorne und grapschte nach den Brüsten der Frau.

»Komm Süße, du bist doch viel zu schade, um deine Köstlichkeiten in dieser blöden Uniform zu verstecken. Du kommst jetzt mit uns und dann machen wir richtig Party, nicht wahr Jungs? Und diesen komischen Gockel nehmen wir auch gleich mit, dann gibt es Riesenbrathähnchen am Spieß.«

Johlendes Gelächter und eindeutige Avancen waren die Folge, was den Schnösel dazu ermutigte, weiter handgreiflich zu werden. Mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht wollte er in den Schritt der vor ihm stehenden Polizisten greifen, hatte jedoch die Rechnung ohne die Polizistin gemacht. Mit einer kurzen Körperdrehung hatte sich diese aus der unmittelbaren Reichweite gebracht und gleichzeitig die Hand ihres Gegners ergriffen und einen Handbeugehebel angesetzt. Ein leichter Druck auf das Handgelenk genügte und der Schreihals ging brüllend zu Boden.

»Jetzt reicht es. Ihr seid alle wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Gefährdung der öffentlichen Ordnung verhaftet, Abführen!«

Die Fesselfeldprojektoren der Roboter traten in Aktion und ließen die gesamte Versammlung erstarren. Gleichzeitig nahmen die eingebauten Antigravprojektoren ihre Arbeit auf und transportierten die Schreihälse in den im Außenbereich des Terminals wartenden Polizeigleiter.

Dann wandte sich die Polizistin an den Somer.

»Exzellenz, ich möchte mich für meine Mitbürger entschuldigen«, dabei verzog sie ihren Gesichtsausdruck zu einer angeekelten Grimasse. »Leider verfolgen die Menschen nicht mehr das Ziel, neue Welten zu erschließen, die Geheimnisse des Universums zu entdecken und ehrfürchtig die Vielfalt des Lebens zu bestaunen. Nicht mehr die Gemeinschaft, das Wohl aller, zählt heutzutage, sondern nur noch das persönliche Wohlergeben, der Egoismus des Einzelnen.

Die Gesellschaft innerhalb der LFT ist heute in drei Gruppen zerfallen, an der Spitze diejenigen, die die Nutznießer der vergangenen Jahrzehnte sind. Man kann sie kurz mit drei Worten charakterisieren, steinreich, egozentrisch und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Dann kommt die Mittelschicht, die das ganze System am Laufen hält, sie träumt davon, nach ganz oben aufzusteigen und handelt nach dem Grundsatz: Nach oben kuschen und katzbuckeln und nach unten treten. Die dritte Gruppe, welche die Masse der Bevölkerung ausmacht, hat weder Reichtum noch Arbeit. Sie ist eine leicht zu manipulierende Masse, die, solange ihr Essen und ihre hirnlose Unterhaltung garantiert ist, die erfolgreichen Wirtschaftsmagnaten wie die Götter verehrt, denn die sorgen ja dafür, dass von ihrem Tisch genügend Brotkrumen abfallen, um ihre Bäuche zu stopfen und ihr Hirn mit sinnlosen Unterhaltungsshows zuzumüllen.

Und dann gibt es unsere Jugend, der eigentlich die Zukunft gehören sollte. Doch ihre Wirklichkeit heißt Langeweile, tagtäglich nichts als Langeweile, ohne Perspektive auf eine sinnvolle Tätigkeit. Und da kommen unsere ebenfalls gelangweilten Sprösslinge aus den besseren Kreisen ins Spiel. Sie sammeln unsere Langweiler ohne Perspektive um sich und bilden Banden, um sich den Nervenkitzel dadurch zu holen, dass sie alles terrorisieren, was ihnen aus irgendeinem Grund nicht gefällt. Zuvor dröhnen sie sich den Verstand mit allerlei Drogen zu, die sie mit Papas Geld finanzieren. Ja Herr Botschafter, das ist die aktuelle Lage!«

Die Polizistin hatte sich in Rage geredet und schien sich jetzt wieder an das aktuelle Problem zu erinnern.

»Entschuldigung Exzellenz, aber was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht so ganz ohne Leibwache auf Entdeckungstour zu gehen?«

Diese Frage schien den Somer zu verblüffen, denn er schaute die Polizistin voller Unverständnis an, bevor er ihr entgegnete: »Madam, wieso sollte ich eine Leibwache benötigen? Ich bin davon ausgegangen, dass die Völker der Milchstraße eine zivilisatorisch hochstehende Gemeinschaft bilden, wo Besucher aus anderen Galaxien herzlich willkommen geheißen werden.«

»Exzellenz, haben Sie mir nicht zugehört, das mag für die Kreise, in denen Sie bisher verkehrten, zutreffen, aber das hier ist die bittere Wirklichkeit und nicht irgendeine höhere Sphäre, wo sich entrückte Unsterbliche um die Rettung des Universums verdient machen und sich in ein mystisches Wolkenkuckucksheim namens Camelot zurückziehen, anstatt sich hier um die Scheiße zu kümmern, durch die wir tagtäglich waten müssen. Ja, sehr geehrter Herr Botschafter, die Gemeinschaft der Galaktiker steht davor, auseinanderzubrechen und wir, also meine Kolleginnen und Kollegen, müssen tagtäglich verhindern, dass uns dieses explosive Durcheinander um die Ohren fliegt. Und da bekommen wir die Mitteilung, dass Sie es sich in den Kopf gesetzt haben, auf eigene Faust eine private Entdeckungstour zu starten.«

Kopfschüttelnd ging die Polizistin nun ebenfalls auf den wartenden Polizeigleiter zu, wobei der Rädelsführer des Mobs von ihr durch einen Transportgriff mitgeführt wurde. Der Somer blickte ihr völlig konsterniert nach.

»Nun kommen Sie Exzellenz, Sie müssen auf dem Polizeipräsidium noch Ihre Aussage machen.«

Polizeipräsidium City-Police, Trade-City, kurze Zeit später

»Na wen haben wir da? Unsere Rambonette hat mal wieder zugeschlagen und ich kann mich mit diversen Rechtsverdrehern herumärgern. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, diese Bagage hier anzuschleppen, Frau Inspektorin Kirsch, die sind doch spätestens in einer halben Stunde wieder frei und ich kann mich wieder mit diversen Anzeigen wegen Polizeibrutalität herumärgern. Frau Inspektorin, Frau Inspektorin, das wird sich ganz schlecht in ihrer Personalakte machen, das garantiere ich Ihnen!«

Diese Aussage des Polizeibeamten gab dem Wortführer des Pöbels sichtlich Auftrieb, denn mit einem breiten Grinsen baute er sich vor dem diensthabenden Inspektor auf.

»Ich verlange, dass man sofort meinen Vater informiert, ich wurde durch diese brutale Polizistin schwer misshandelt und meiner Freiheitsrechte beraubt. Außerdem verlange ich, dass sofort der Arzt meiner Familie Professor Dr. Ronscore benachrichtigt wird, um meine Verletzungen zu untersuchen und zu dokumentieren. Meine Freunde und ich haben nur etwas gefeiert und wurden völlig grundlos verhaftet und ich wurde, als ich meine Bürgerrechte geltend machen wollte, durch diese Polizeisch … Polizistin schwer misshandelt.«

Der Beamte verzog schmerzhaft das Gesicht und meinte: »Könnten wir das nicht unbürokratisch lösen, Sie und Ihre Freunde sind sofort frei und die Anzeige gegen Sie wird wegen Geringfügigkeit niedergeschlagen.«

Doch nun hatte die Polizistin anscheinend genug und mischte sich ein.

»So geht das nicht, Chef. Diese besoffene Bande hat einen Gast des Galaktikums grundlos beleidigt und bedroht sowie die öffentliche Ordnung gefährdet. Außerdem kommen noch Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt hinzu.«

Der Somer hatte das Gespräch mit wachsender Empörung verfolgt und meldete sich nun zu Wort.

»Ich bin Sruel Allok Mok, Botschafter …«

Weiter kam er jedoch nicht, denn der diensthabende Beamte fiel ihm ins Wort und schrie aufgebracht: »Was willst du komischer Vogel eigentlich? Sei froh, dass man dich nicht in einen Zoo steckt.«

Der Somer war einen Moment sprachlos. Das hatte er nicht erwartet. Doch die Polizistin erklärte mit einem süffisanten Lächeln: »Ganz, ganz schlecht, Chef. Ich würde Ihnen mal empfehlen, die aktuellen Dienstanweisungen der Polizeiführung zu lesen, bevor Sie sich weiter in die Scheiße reiten.«

Konsterniert schaute dieser auf und begann mit hektischen Fingerbewegungen das Holodisplay vor ihm zu traktieren. Schließlich räusperte er sich und verzog sein Gesicht, als ob er von Zahnschmerzen gepeinigt werden würde.

»Exzellenz, Herr Botschafter, ein furchtbares Missverständnis, verstehen Sie, die Arbeit …, tagtäglich immer wieder das Gleiche, ich entschuldige mich vielmals bei Ihnen, bitte …«

»Ich nehme Ihre Entschuldigung an, also nochmals, ich bin Sruel Allok Mok, Botschafter der Estartischen Föderation beim Galaktikum und habe mich entschlossen, die Völkergemeinschaft der Galaktiker näher kennenzulernen, um ihre Kultur besser zu verstehen. Aus diesem Grund reise ich ohne eine offizielle Delegation. Ich muss Ihrer Beamtin, Frau Polizeiinspektorin Kirsch, eine außergewöhnliche Kompetenz bescheinigen, Frau Kirsch hat sich geradezu mustergültig verhalten und durch Ihr besonnenes aber auch entschiedenes Vorgehen verhindert, dass meine geistige Gesundheit und mein Seelenheil gefährdet wurden. Frau Kirsch ist eine äußerst fähige Beamtin und ich kann Ihnen nur empfehlen, ihre Person entsprechend Ihrer Kompetenz zu fördern.«

Der angesprochene Beamte verzog nochmals schmerzhaft das Gesicht und entgegnete unterwürfig: »Jawohl Herr Botschafter, Exzellenz, ich habe verstanden.« Dann wandte er sich an die Inspektorin und herrschte sie an: »Inspektorin Kirsch, warum haben Sie seine Exzellenz nicht sofort in den VIP-Bereich gebracht, das hätte uns das peinliche Missverständnis erspart. Nun gehen Sie schon und nehmen die Aussage des Herrn Botschafters auf.«

»Kommen Sie Herr Botschafter, bringen wir diese unerfreuliche Begegnung hinter uns, nicht dass es etwas nutzen würde, Papas Geld wird schon dafür sorgen, dass diese Bande recht schnell wieder auf die Öffentlichkeit losgelassen wird.«

*

Wenig später hatten sie ein luxuriös ausgestattetes Büro erreicht und Sam gab den Ablauf der Geschehnisse zu Protokoll. Dabei kam er mit der Beamtin ins Gespräch. Diese fragte ihn, was er damit gemeint hätte, dass ihr Eingreifen seine geistige Gesundheit und sein Seelenheil gerettet hätte. In Gefahr wäre ja wohl nicht seine geistige, sondern seine körperliche Gesundheit gewesen.

Sam blickte sie lange an, dann fragte er, ob sie hier ungestört wären. Die Olympierin bejahte und ließ einige Erfrischungen kommen.

Die dreifingerigen Hände des Somers, die an den beiden mit langen, seidigen Federn besetzten Armen saßen, zuckten automatisch an den raubvogelartigen Schnabel, um sich die Atmungsöffnungen für einen Moment zuzuhalten, – für einen Somer eine Geste, durch die er intuitiv seine Scham ausdrückte.

»Madam, ich gehöre einer Spezies an, die auf eine sehr lange Vergangenheit zurückblicken kann. Wir Somer waren nicht immer die friedliebenden und gewaltlosen Wesen, als die wir heute gesehen werden. Im Gegenteil, die überwiegende Geschichte unserer Rasse war durch Gewalt und Unterdrückung anderer Völker geprägt. Ethnologisch gesehen waren meine Vorfahren das beherrschende Raubtier meiner Heimatwelt Som und wir standen als Fleischfresser an der Spitze der Nahrungskette. Und die Relikte aus der Frühzeit unserer Entwicklung sind noch immer vorhanden.«

Dabei öffnete er die Hände und zeigte die Finger, an deren Spitze schwarz glänzende leicht gekrümmte Krallen saßen, die er anschließend wieder in einer Hautfalte unter den Fingern verschwinden ließ.

»Wie Sie sehen Madam, hätte ich mich zur Wehr setzen können. Nur, und das meinte ich mit meiner Bemerkung, dass Sie mein Seelenheil gerettet haben, wäre das Ergebnis ein schreckliches Durcheinander gewesen. Können Sie sich vorstellen, wie die nationalistische Hetzpresse wohl darauf reagiert hätte? Alien-Terrorvogel massakriert wehrlose Jugendliche, wäre wohl noch eine der harmloseren Schlagzeilen gewesen.«

Sam griff sich nochmals an den Schnabel, bevor er weiterfuhr:

»Dazu kommt noch, dass während langer Jahrtausende der Manipulation und des Missbrauchs mein Volk die Kriegerkaste der Ewigen Krieger war. In ihrem Auftrag unterwarfen wir die Völker Siom Soms und erstickten jeden Widerstand. Nachdem die Herrschaft der Singuva und Pterus zusammengebrochen war, versuchten wir den Untergang der Völker ESTARTUs zu verhindern und gründeten die Estartische Föderation. Doch für mich und viele meines Volkes lastet die Schuld der Vergangenheit so schwer auf unserer Seele, dass wir der Anwendung der Gewalt entsagt haben.

Durch diese Provokationen eines verblendeten Pöbels bestand für mich die Gefahr, dass mein Überlebensinstinkt die Kontrolle über mein Handeln übernimmt, und die Folgen wären, wie ich es bereits ausgeführt habe, furchtbar gewesen. Und deshalb danke ich Ihnen nochmals dafür, dass Sie mich davor bewahrt haben, töten zu müssen.«

Die Polizistin hatte den Worten des somerischen Diplomaten gespannt gelauscht und entgegnete:

»Dafür sind wir ja da! Aber noch mal, es ist für Sie äußerst gefährlich, ohne Leibwache auf Entdeckungstour durch die Galaxis zu gehen. Zum Glück wurde Trade-Headquarter bei Ihrer Einreise über Ihre Pläne informiert, so dass ich rechtzeitig zur Stelle sein konnte.«

Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort:

»Erlauben es Ihre finanziellen Mittel die Summe von 8.000 Galax zu entbehren?«, dabei blickte sie den Somer fragend an.

Dieser antwortete verblüfft: »Diese Summe stellt für mich kein Problem dar, aber wofür, bei ESTARTU, soll ich 8.000 Galax bezahlen?«

»Wenn das so ist, dann habe ich die Lösung für Ihr Problem. Kommen Sie, ich möchte Sie mit zwei besonderen Exemplaren der, hm …, sagen wir mal menschlichen Spezies, bekanntmachen.«

Die Beamtin erhob sich und druckte an einem Terminal einige Schriftstücke aus und entnahm einen Speicherkristall. Zusammen mit den Schriftstücken legte sie diese in eine Tasche, die sie sich um die Schulter hängte und forderte den somerischen Diplomaten auf, ihr zu folgen. Dieser erhob zwar einige Einwände, wurde jedoch von der Polizistin auf später vertröstet.

*

Sam folgte der Polizistin durch lange Rollkorridore und Antigravschächte in den unterirdischen Teil des Präsidiums.

»So, wir sind angekommen und befinden uns im Arresttrakt. Einen Moment bitte, ich muss noch die genaue Arrestzelle abrufen.«

Mit diesen Worten aktivierte sie ein Holo-Terminal, wo sie sich mit ihrer Dienstmarke und einem Irisscan identifizierte. Nachdem sie die gewünschte Auskunft erhalten hatte, aktivierte sie ein Akustikfeld.

»Positronik, Verschlussfall der Gefangenen Sam Tyler und Chris Japar aufheben!«

An der Wand, vor der sie stand, erschien plötzlich eine Türe, die sie ohne Zögern öffnete.

»Kommen Sie, Exzellenz, die Beiden stehen zu unserer Verfügung.«

Der Somer blickte sie nach wie vor etwas ratlos an. Die Polizistin erbarmte sich seiner und erklärte:

»Lassen Sie sich nicht verblüffen, das ist keine Zauberei, sondern fortgeschrittene Anwendung von Formenergie. In Trade-City verfügen wir über eines der modernsten Inhaftierungssysteme der Galaxis. Die Zellen bestehen aus Formenergie und stellen im Verschlussfall eine völlig autarke isolierte Zelle dar. Nur durch die positronische Zellkontrolle kann ein Zugang geschaffen werden, was natürlich eine entsprechende Autorisierung erfordert. Im Gefahrenfall stellt ein Notfallsystem sicher, dass die Zellen verlassen werden können. Wir sind stolz darauf, dass, seit wir das System eingeführt haben, es noch keinem Gefangenen geglückt ist, zu fliehen.«

Sam blickte die Polizistin weiterhin skeptisch an.

»Aber ist dieses System nicht völlig inhuman? So wie ich es verstehe, kommt es einer vollständigen Isolation der Gefangenen gleich, man könnte also auch von Isolationsfolter sprechen.«

Doch die Polizistin schüttelte den Kopf.

»Nein, ganz bestimmt nicht, Exzellenz. Im Gegenteil, durch dieses System haben wir bewiesen, dass es möglich ist, die Forderung nach einem humanitären Strafvollzug mit äußerster Wirtschaftlichkeit und totaler Sicherheit zu verknüpfen.«

Sie machte eine kurze Pause und nippte an ihrem Getränk. Dann fuhr sie fort:

»Sehen Sie, das Geheimnis des gesamten Systems liegt in der Verwendung der Formenergie. Diese eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten. Jede Zelle stellt, wie gesagt, eine völlig autarke Einheit dar. In das System ist ein Nahrungsmittelaufbereiter integriert, der aus den biochemischen Nahrungsgrundstoffen jede gewünschte Mahlzeit herstellen kann. Weiterhin verfügen die Zellen über alle denkbaren Zerstreuungsmöglichkeiten, unter denen der Häftling nach seinen Vorlieben und körperlichen Bedürfnissen frei auswählen kann. Nur bestimmte, aus sozio-hygienischen Gesichtspunkten nicht sanktionierte Bedürfnisse und Verhaltensweisen sind davon ausgenommen. Das System stellt dabei sicher, dass alle Häftlinge, unter Berücksichtigung ihres kulturellen Hintergrundes, gleichbehandelt werden. Ökonomisch gesehen ist das System äußerst wirtschaftlich, da wir keinerlei menschliches Wachpersonal benötigen. Dadurch ist es auch ausgeschlossen, dass die Häftlinge der Willkür durch das Wachpersonal ausgesetzt sind. Und, das ist für uns das Wichtigste, die Statistiken zeigen eindeutig, dass unsere Konzeption erfolgreich ist. Im galaktischen Vergleich haben wir die niedrigste Rückfallquote aller vergleichbaren Einrichtungen.

Jetzt aber genug der Erläuterungen. Kommen Sie, Exzellenz, schauen wir uns die beiden Delinquenten einmal an und dann müssen Sie sich entscheiden, ob Sie sich das wirklich antun wollen. Die Namen lauten Sam Tyler, ein Terraner sowie Japar, der irgendwie wohl dem Volk der Mehandor zugerechnet werden muss. Beide sind höchst unangenehme Zeitgenossen, die wir, und das gebe ich unumwunden zu, eher früher als später wieder loswerden wollen. Beide sind als Freie Söldner tätig, das bedeutet, dass sich jeder, der entsprechend zahlt, ihre Dienste kaufen kann. Für den Zeitraum des Kontrakts sichert sich der Auftraggeber ihre unbedingte Loyalität und genau darauf gründet ihr verdammter Söldnerstolz. Ein Söldner wird notfalls sein Leben geben, um seinen Kontrakt einzuhalten.«

Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck folgte der Somer der Polizistin in einen großen Raum, der vor ihm durch eine undurchsichtige graue Wand abgeschlossen war. Nach Eingabe einer kurzen Befehlssequenz in ein Holodisplay wurde die Wand durchsichtig und zeigte zwei Personen, die sich umarmten, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen. Die Wand schien für Schallwellen durchlässig zu sein, denn jedes Wort war klar verständlich, das die Beiden wechselten.

Man hatte sie noch nicht bemerkt, doch das sollte sich schnell ändern, als die Polizistin sich räusperte.

Betont gelassen drehten sie sich um und musterten ihr Gegenüber.

»Na, wen haben wir da, ne scharfe Polizeimieze und einen etwas groß geratenen Gockel, der die Federn plustert. Was verschafft uns die Ehre?«

Der Somer machte einen Schritt nach vorne und richtete sich auf, wobei er die Schulter- und Armfedern sträubte.

»Ich bin Sruel Allok Mok, Botschafter der Estartischen Föderation beim Galaktikum. Haben die beiden Herren eventuell das Bedürfnis, ihre gegenwärtige Situation zu verbessern?«

Nun mischte sich der korpulente Rothaarige ein, der wie ein gutmütiger Bär wirkte.

»Haben die beiden Herren eventuell das Bedürfnis …«, äffte er den Somer nach, »Mensch, ähh … Gockel, was für ein Stutzer bist denn du, kannst du dich nicht normal ausdrücken, da verhaken sich ja meine Gehörwindungen …«

Weiter kam er nicht, denn Sam schrillte empört:

»Ich bin kein Mensch und noch viel weniger ein Gockel oder Stutzer und verlange, dass ich entsprechend meinem Rang als Exzellenz oder Herr Botschafter angesprochen werde. Außerdem möchte ich gesiezt werden, denn ich kann mich nicht daran erinnern, mit den beiden Herren Freundschaft geschlossen zu haben! Ich verlange von Ihnen eine Entschuldigung!«

»Du komischer Gockel, du hast wohl zu lange keine Henne bestie …«

In diesem Moment unterbrach ihn der zweite Gefangene, der aufgrund seiner Statur wohl der Terraner sein musste:

»Langsam Japar, gemach mit den wilden Pferden!«, dann wandte er sich dem empörten Somer zu, »Exzellenz, Herr Botschafter beim Galaktikum, ich bin Sam Tyler und möchte mich, auch im Namen meines etwas impulsiven Freundes Japar, in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Natürlich sind Sie, Eure Exzellenz, kein Mensch und auch kein Gockel, sondern der Botschafter beim Galaktikum. Wie können wir Eurer Exzellenz zu Dienst …«

Jetzt mischte sich die Polizistin ein, deren zuckende Mundwinkel zeigten, dass sie mit ihrer Beherrschung kämpfte.

»Es reicht jetzt, Tyler. Die gegenwärtige Situation des Herrn Botschafters gibt uns die Gelegenheit, diese unerquickliche Angelegenheit mit euch im gegenseitigen Einvernehmen und zu unser aller Zufriedenheit zu lösen. Der Herr Botschafter hat es sich leider in den Kopf gesetzt, die verschiedenen Kulturen des Galaktikums höchstpersönlich und inkognito«, dabei überzog ein kurzes Lächeln ihr Gesicht, »zu studieren. Dabei machte er hier bei uns bereits die Bekanntschaft mit den, sagen wir es mal so, weniger einladenden Teilen unserer Gesellschaft. Anschließend möchte er, so kann ich es wenigstens der von ihm gebuchte Passage auf der EMPRESS OF OUTER STARS entnehmen, die wohl schlimmste Räuberhöhle der gesamten Galaxis besuchen.«

Durch diese Ankündigung schreckten Beide aus der eher gelangweilten Haltung auf.

»Was, der Gock …, Entschuldigung der Herr Botschafter, möchte zur BASIS? Haben Sie, Eure Exzellenz, bereits Ihr Testament gemacht?«

»Genau darum geht es, Tyler. Das genau ist die win-win-Situation von der ich sprach. Kurz gesagt, der Herr Botschafter zahlt eure Unterbringungskosten in unserer sehr komfortablen Einzelzimmerunterkunft einschließlich des fälligen Bußgeldes für, hm …, nennen wir es mal groben Unfug und Gefährdung der öffentlichen Ordnung, was die Summe von 8.000 Galax ausmacht, dafür verzichten die olympischen Behörden auf die bestehenden Schadensersatzansprüche in Höhe von etwa 60.000 Galax. Als Gegenleistung schließen die beiden Herren mit dem Herrn Botschafter einen Vertrag als Personenschützer. Dieser umfasst die sogenannte Garantenstellung für die Sicherheit des Herrn Botschafters in persönlicher und sachlicher Hinsicht. Die Gültigkeit des Vertrags umfasst die Passage des Herrn Botschafters auf der EMPRESS OF OUTER STARS zu dem als BASIS bekannten außerterritorialen Spiel- und Freizeitsumpf. Sobald der Herr Botschafter wohlbehalten auf dieser Räuberhöhle angekommen ist, erlöschen die Garantenpflichten der beiden Herren. Allerdings kann der Vertrag im gegenseitigen Einvernehmen jederzeit formlos weitergeführt werden. Über die zu erbringenden Gegenleistungen des Herrn Botschafters müssten sich die Vertragsparteien in diesem Fall jedoch einvernehmlich, und ohne Mitwirkung der Behörden von Trade City einigen.

Weiterhin, und das ist eine unverzichtbare Voraussetzung unseres Abkommens, verpflichten sich die Herren Tyler und Japar in Zukunft den Planeten Olymp und das gesamte System von Boscyks Stern von ihrer Anwesenheit zu verschonen.«

Die Polizistin zog ein umfangreiches Schriftstück aus ihrer Umhängetasche hervor, das sie einfach durch die Formenergiewand schob.

»Damit alles seine Richtigkeit hat, werden Kopien dieses Schriftstückes bei der Zentralregierung des Systems von Boscyks Stern und bei der Regierung der LFT deponiert. Ich bitte nun die beiden Herren an den gekennzeichneten Stellen zu unterschreiben und …«, sie zog einen kleinen Gehirnwellenscanner hervor, den sie ebenfalls durch die Wand schob, »diesen Vertrag elektronisch durch ihr Gehirnwellenmuster und ihren Irisscan zu beglaubigen. Die Behörden von Trade City bedanken sich bei den Herren Tyler und Japar für die Bereitschaft, ihre Pflicht als verantwortungsvolle Bürger des Galaktikums in vorbildlicher Weise wahrzunehmen und hoffen von weiteren persönlichen Kontakten verschont zu bleiben. Das übliche Durchlesen des Vertragstextes können wir uns sparen, juristisch gesehen ist alles ganz bestimmt niet- und nagelfest, denn, wie die Herren wissen, gilt gerade für uns auf Olymp, Zeit ist Geld, und nun, unterschreiben sie bitte, meine Herren!«

Die beiden Personenschützer wider Willen waren einen Moment sprachlos und schauten sich völlig konsterniert an. Dann fand Tyler zuerst die Sprache wieder.

»Hör mir mal zu, du kannst nicht alle Tassen im Schrank haben, wenn du glaubst, dass wir diese Scheiße unterschr …«

Weiter kam er nicht. Die Polizistin schob sich vor den somerischen Botschafter und verzog ihr Gesicht zu einem geradezu sadistischen Grinsen.

»Wie der Herr meint. Ich muss aber den Herrn, oder besser gesagt beide Herren, darauf hinweisen, dass das bestehende Gerichtsurteil für den Fall, dass die Herren nicht in der Lage sind, das festgelegte Bußgeld und die diversen Schadensersatzansprüche zu begleichen, vorsieht, die Untersuchungshaft in sinnvolle gesellschaftliche Arbeit zu überführen. In ihrem Fall hat man eine entsprechende Tätigkeit auf dem ersten Planeten des Systems ins Auge gefasst, Hephaistos besitzt große Vorkommen an Hyperkristallen, deren Strahlungsfelder jedoch den Einsatz von automatischen Förderanlagen unmöglich machen. Die Bergbaumaschinen müssen also durch Menschen bedient werden. Außerdem ist der Planet ein Einseitendreher und verfügt über keinerlei Atmosphäre. Ich wünsche dann den beiden Herren viel Vergnügen auf Fireplace, wo sie, lassen sie mich kurz rechnen, ungefähr die nächsten 20 Jahre verbringen werden.«

Mit diesen Worten wollte sie den Vertrag wieder zurückziehen, doch Tyler war schneller. Wortlos unterschrieb er an den gekennzeichneten Stellen und reichte das Schriftstück an seinen Kumpel Japar weiter, während er sich den Hirnwellenscanner auf den Kopf setzte. Nachdem auch der Springer die gleiche Prozedur vollzogen hatte, gab er den Vertrag durch die Formenergiewand zurück.

»Zufrieden, du Ausgeburt der Hölle?«

»Aber, aber Mister Tyler, wo bleibt deine Beherrschung? Das will ich übrigens überhört haben, denn sonst kommt noch Beamtenbeleidigung hinzu und ich weiß nicht, ob der Herr Botschafter bereit ist, mehr für eure zweifelhaften Dienste zu leisten.«

Dann reichte sie das Schriftstück samt Speicherkristall und Gehirnwellenscanner an den Somer.

»Exzellenz, nur um die Formalitäten vollständig zu erfüllen, würden Sie bitte ebenfalls unterschreiben und Ihre Unterschrift beglaubigen! Glauben Sie mir, mit den beiden Herren haben sie das große Los gezogen, auf ihrem Gebiet gehören sie zur Spitzenklasse. Selbst beim TLD müssten sie lange suchen, bis Sie jemand finden würden, der diesen Schlitzohren das Wasser reichen könnte.«

Nachdem auch Sam unterschrieben und seine Unterschrift beglaubigt hatte, deaktivierte sie die Formenergiewand.

»Voilà Exzellenz, wir haben es geschafft, Sie haben eine fähige Leibwache und wir ein Problem weniger. Ich darf Sie noch darauf hinweisen, dass die EMPRESS OF OUTER STARS in genau sechseinhalb Stunden startet und ich denke, dass die beiden Herren«, dabei deutete sie auf Tyler und Japar, »noch einige Besorgungen machen müssen. Ich habe Sie bereits bei der Galactic Arms Cooperation autorisiert, Sie können jede Waffe erwerben, sofern es keine Schiffs- oder Transformgeschütze sind. Richten Sie sich nur nach den Wünschen Ihrer beiden Angestellten, ich versichere Ihnen nochmals, die Beiden verstehen ihr Handwerk.

Und nun darf ich mich verabschieden, es hat mich sehr gefreut Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, wenn ich es auch vorgezogen hätte, dass dies unter günstigeren Umständen geschehen wäre. Draußen wartet ein Polizeiroboter, der Sie zu GAC bringen wird.«

Mit diesen Worten ergriff sie Sams Hand, während sie Tyler und Japar nur kurz zuwinkte.

Von allen Göttern verlassen, oder die persönliche Hölle des Romano Nelder

Der Phantomkreuzer HONOR KEEPER, eine Eigenentwicklung der Mordred mit technologischer Unterstützung durch die Dorgonen, verließ auf einem Kurs schräg zur Ekliptik das Dejabay-System, bevor das kleine Schiff in den Metagrav-Vortex überging. Ab diesem Moment, das wusste der missmutige Passagier inzwischen, wurde der Kreuzer im Schutz des dorgonischen Ortungsschutzes unsichtbar für alle Ortungs- und Tastungstechnologien der Galaktiker.

Er lag auf der Konturliege und starrte voller Hass und Selbstzweifel die Decke der kleinen Kabine an. Doch sein Gehirn kam nicht zur Ruhe. Zu tief waren die Demütigungen der vergangenen Tage gewesen. Voller Stolz hatte er sich auf die Aufgabe gefreut, die der Bruder Oberst ihm in Aussicht gestellt hatte. Doch seine Euphorie war im Dreck der Sandwüste von Dejaby I zurückgeblieben, im wahrsten Sinne des Wortes aus ihm herausgeprügelt worden. Die Schwarze Mirona hatte furchtbare Rache an ihm geübt und ihm das genommen, was für ihn das Wichtigste war, den Glauben an die Lehren des Dreieinigen Gottes und seine gottgegebene Überlegenheit als Mann.

Die Stunden vergingen träge und der Kreuzer musste bald sein Ziel, das Superschlachtschiff TOBRUK erreicht haben, wo er sich bei General Walther Eyke, dem Kommandanten des 1.500 Meter durchmessenden Riesen, zur Vorbereitung auf den Einsatz melden sollte. General Eyke war für die gesamte Operation verantwortlich, doch das operative Kommando auf der BASIS würde das gotteslästerische Katzenvieh haben, das jedoch noch auf Dejabay I zurückgeblieben war und erst später nachkommen würde. Während des gesamten Fluges blieb er in seiner Kabine und versuchte die Erlebnisse auf Dejabay I zu verarbeiten. Nur so besaß er die Chance, diese Mission heil zu überstehen.

Erinnerungen

Der Bruder Oberst hatte ihn zum Befehlsempfang in seine schlichte Unterkunft tief unter der Oberfläche des Wüstenplaneten gerufen. Voller Erwartung hatte er den Öffnungskontakt des massiven Panzerschotts betätigt und war, nach der Aufforderung des Großen Bruders, eingetreten. Dieser lehnte mit schweißnassem Kopf schwer atmend an seinem Schreibtisch und wirkte völlig desorientiert. Sein Blick fiel auf das Zerrbild einer weiblichen Gestalt, die auf dem Möbelstück saß und gerade dabei war, ihre Blößen notdürftig zu bedecken. Das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn für einen Moment erstarren. Vor ihm zeigte eine Ungeheuerlichkeit dreist und selbstbewusst ihre Gottlosigkeit. Dichtes Katzenfell bedeckte den fast nackten Körper, wobei die intimsten Stellen durch einen schamlosen Lederfetzen noch betont wurden. Das Gesicht glich einer Dämonin, die wohl aus der finstersten Hölle der Schwarzen Mirona entkommen war. Mensch und Katze waren eine sündhafte Verbindung eingegangen, goldene Katzenaugen über langen Reißzähnen, die aus einem menschenähnlichen Maul ragten, fixierten ihn. Völlig schamlos musterte sie ihn, um dann die wulstigen Lippen geringschätzig zu verziehen. Sein Blick suchte den Großen Bruder und wartete darauf, dass dieser das Vieh aus seiner Unterkunft wies. Doch nichts geschah. Der Große Bruder drehte seinen Kopf zur Seite und spielte mit seiner komischen Brille.

War das eine Prüfung, die der glorreiche Führer Mashratans mir auferlegte? Ja, genauso musste es sein. Der Große Bruder wollte meinen Glauben und meine Standfestigkeit prüfen. Also herrschte ich dieses Vieh an, es solle in den Sündenpfuhl zurückkriechen, aus dem es gekrochen sei, um gottesfürchtige Männer zu verführen, denn wie würde es in den heiligen Schriften niedergelegt sein: Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn!

Doch mit dem, was dann geschah, hatte ich nicht im Entferntesten gerechnet. Dieses widerliche Katzenvieh schaute mich einen Moment völlig perplex an und dann begann es in grotesker Perversion einer menschlichen Gefühlsäußerung zu lachen. Dabei verzog es sein Maul und entblößte das Raubtiergebiss. Schnurrende Laute erfüllten den Raum und entfachten in mir animalische Gelüste. Das war zu viel und Gottes heiliger Zorn erfüllte mich. Mit zwei langen Schritten war ich bei ihr und versenkte meine Faust in der bizarren Fratze. Mit beiden Händen griff ich in das Haarbüschel, das wie ein Schwanz von ihren Kopf herabhing. Ein schmerzerfülltes Fauchen war die Antwort. Dann wollte ich sie an dem Haarschwanz nach draußen ziehen. Doch plötzlich durchzuckte ein mörderischer Schmerz meine verkrampften Hände. Instinktiv ließ ich das Haarbüschel los. Bevor ich wusste, was mit mir geschah, wirbelte ich durch die Luft und schlug auf den Boden. Der Aufprall trieb mir den Atem aus der Lunge, doch schon war sie über mir. Der animalische Gestank der dämonischen Kreatur nahm mir den Atem, während sie sich über mich beugte. Die sündhaften Fetzen, die ihre Blöße notdürftig bedeckten, hatten sich verschoben und ihre blasphemische Weiblichkeit bannte meinen Blick. Und die Schwarze Mirona triumphierte. Ein animales Fauchen ertönte und das Raubtiergebiss näherte sich meiner Kehle.

Doch genau in diesem Moment ließ ein scharfer Befehl sie in ihrer Bewegung erstarren. Der Große Bruder hatte endlich eingegriffen. Die Fratze über mir verzerrte sich vor Wut, doch sie gehorchte. Mit einer geschmeidigen Bewegung richtete sie sich auf und trat ein, zwei Schritte zurück. Ich wartete darauf, die Entladung eines Strahlers zu hören, mit dem der Große Bruder Oberst endlich die gottgewollte Ordnung wiederherstellen würde. Doch nichts geschah. Stattdessen brach für mich die Welt zusammen. Der Große Bruder herrschte mich an, ob ich von Vhrato und allen Sonnenheiligen verlassen wäre, meine Vorgesetzte körperlich anzugreifen. Und dann kam der Befehl sofort aufzustehen und Haltung anzunehmen. Diese Worte ließen mich erstarren, ich war unfähig irgendeine Bewegung zu machen und konnte nur völlig ungläubig den Großen Bruder anstarren, der seine Augen wieder hinter dieser komischen Brille verbarg. Nach einem kurzen Moment schien das Vieh die Geduld zu verlieren und beugte sich wieder über mich. Langsam streckte es seine Pfoten aus, die grotesk an menschliche Hände erinnerten. Doch dieses Bild wurde sofort wieder zerstört, denn die rotlackierten Fingernägel verlängerten sich vor meinen Augen und wurden zu richtigen Raubtierkrallen. Langsam spreizte es die Finger, um dann blitzschnell zuzugreifen. Die Pfotenhände griffen nach meinen Schultern und scharfe Krallen bohrten sich durch meine Haut. Ein stechender Schmerz raste mir durch die Schultern und ließ mich laut aufstöhnen. Dann zog dieses Scheusal mich hoch und stellte mich auf die Füße. Zufrieden ließ es mich los und begann die Bluttropfen von den Krallen zu lecken. Ihr Blick bohrte sich in meine Augen, die ich nach wenigen Augenblicken beschämt abwandte, was ihr ein zufriedenes Lächeln entlockte. Doch meine Demütigung war noch nicht zu Ende. Der Große Bruder Oberst stauchte mich zusammen und eröffnete mir, dass ich, unter dem Kommando dieser dämonischen Todsünde wider die Natur, die Übernahme der BASIS durch die Mordred vorbereiten sollte. Der Oberst schien noch die Mission näher erläutern zu wollen, doch ich hatte genug. Wutentbrannt und voller gerechter Empörung schrie ich ihn an, dass ich mich, als gottesfürchtiger Sohn des Dreieinigen Gottes, niemals einem dämonischen Trugbild der Schwarzen Mirona unterordnen würde. Ein gottverfluchtes Weib, noch dazu eine verdammenswerte Kreuzung aus Mensch und Katze, könne niemals einem gesegneten Sohn des dreieinigen Gottes Befehle erteilen. Danach rief ich Vhrato zum Zeugen und sprach die rituelle Formel, durch die ich das heilige Gottesurteil, den Kampf auf Leben und Tod, forderte. Die geplante Blasphemie, die anscheinend auch durch den Oberst unterstützt wurde, ließ mir keine Wahl, wenn ich meine Ehre behalten und meine Seele vor der Verdammnis bewahren wollte. Alles, woran ich bisher geglaubt hatte, erwies sich als Trugbild, doch tief in mir fühlte ich, wie der Geist Vhratos mich erfüllte. Er verlieh mir Stärke und vertrieb alle Zweifel. Als rechtschaffener Sohn der Kirche des Dreieinigen Gottes würde ich diese dämonische Fratze, die eine aus dem tiefsten Sündenpfuhl entstiegene Inkarnation der Schwarzen sein musste, wieder zurück in die Hölle schicken und so die Söhne des Dreieinigen Gottes vor weiteren Versuchungen bewahren.

Doch das Klatschen einer Ohrfeige riss mich aus meiner religiösen Entrückung. Meine Wange brannte und ich blickte in das wutverzerrte Gesicht des Obersten. Mein geliebter Führer schien außer sich zu sein und bedachte mich mit unverständlichen Worten. Schließlich verstand ich, dass er mir das Gottesurteil ausreden wollte. Doch ich blieb standhaft.

Der nächste Tag

Ich hatte die Nacht im Gebet versunken verbracht und wusste nicht mehr, was Traum und was Wirklichkeit gewesen war. Vhrato selbst war mir erschienen und hatte mich in meinen Mut und meinen Glauben an die heiligen Gesetze Gottes gestärkt. Doch auch die schwarze Teufelin hatte mich heimgesucht und hohnlachend erklärt, dass sie mich zu sich in ihren Dämonenpfuhl holen würde, wo mich bis in alle Ewigkeit, unvorstellbare Höllenqualen erwarten würden.

Der Oberst hatte noch am vorhergegangenen Abend den erhabenen Rhifa Hun, die Nummer Eins der Mordred, informiert und dieser hatte das Gottesurteil genehmigt, und als Zeitpunkt, wie es die Tradition vorschrieb, die Tagesmitte festgelegt. Zuvor hatte ich ihm den anderen anwesenden Befehlshabern der lemurischen Freiheitsbewegung den Ablauf des heiligen Gottesurteils erklären müssen. Alle waren von meiner Schilderung beeindruckt gewesen und hatten ihr Erscheinen angekündigt. So war ich trotz der schlaflosen Nacht voller Zuversicht. Den Morgen verbrachte ich im Kreis der Brüder aus meiner Heimat, die, genau wie ich, ihr Leben in den Dienst eines einigen Reiches der Erben Lemurias gestellt hatten. Und trotzdem, wie konnte es sein, dass diese dämonische Kreatur, diese Verhöhnung aller heiligen Gesetze, die Vhrato seinem Volk gegeben hatte, sich frei unter den Kindern Lemurias bewegen konnte? Diese Ungeheuerlichkeit ging mir den ganzen Vormittag nicht mehr aus dem Sinn. Immer wieder hatte ich das Bild dieser widernatürlichen Kreatur vor Augen, ihre verdammenswerte Karikatur des göttlichen menschlichen Antlitzes, ihre dämonische Weiblichkeit. Wiederholt versank ich im Gebet und bat Vhrato um Erleuchtung. Und schließlich wurde diese mir zuteil. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Voller Zorn erkannte ich das Ausmaß der dämonischen Verschwörung. Die Schwarze Mirona hatte dieses gottlose Vieh erschaffen, um die Kinder Lemurias endgültig zu verderben. Sie verführte die Söhne des Propheten zum sündigen Beischlaf, um ihre göttliche Seele zu verderben. Doch Vhrato hatte mich, seinen treuesten Sohn, auserwählt, um die Metze der Dämonin in den Höllenpfuhl zurückzuschicken. Alle Zweifel, alle Ängste fielen von mir ab und der Geist des Propheten erfüllte mich.

Das Gottesurteil

Vhratos Lebensspender hatte den Gipfel des Weges über das Himmelsgewölbe erklommen und verteilte seine Gaben verschwenderisch über das ausgedorrte Land. Langsam trat ich aus der unscheinbaren Pforte, die aus der Tiefe des Stützpunktes der Mordred führte. Vor mir lag ein kurzer Fußmarsch, der mich zu dem Platz führen würde, der von Rhifa Hun persönlich ausgewählt worden war. Schon nach den ersten Schritten fühlte ich mich heimisch, der Sand knirschte unter meinen Füßen, während der heiße Atem des Lebensspenders meinen nackten Oberkörper umspielte. Bekleidet war ich, wie die heiligen Gesetze des Buches Vhrashium es verlangen, nur mit der rituellen Kāupōna. So trat ich vor den großen Führer der Mordred. Rhifa Hun verbarg wie immer sein Äußeres hinter einem Verzerrerfeld, so dass niemand wusste, wer die geheimnisumwitterte Nummer Eins in Wirklichkeit war. Genauso war es bei der Nummer Vier, die sich etwas abseits in einem pompösen Sessel niedergelassen hatte. Noch nicht einmal der Bruder Oberst, der als Nummer Drei ihm formal übergeordnet war, kannte seine Identität. Des Weiteren war noch die Nummer Acht, ein muskelbepackter Ertruser anwesend. Der Silberne Ritter, die Nummer Zwei, war im Stützpunkt geblieben, da ihn, wie er bereits am vergangenen Abend erklärt hatte, religiöser Irrsinn nicht interessierte. Außerdem waren noch einige hohe Offiziere anwesend. Die übrigen Nummern waren noch abwesend und wurden innerhalb der nächsten zwei Tage erwartet. Ich trat vor den Bruder Oberst, da er als Mashrate den Vollzug des Gottesurteils leiten würde, und salutierte. Der Bruder Oberst hatte sich erhoben und mich freundschaftlich umarmt. Dann reichte er mir die von mir gewählte Waffe, einen veränderten Yekjab, der jedoch, im Gegensatz zu der im Alltag gebräuchlichen Ausführung, in einen tödlichen Modus geschaltet werden konnte. In dieser Version entsprach er den in der Liga der Gottlosen verbotenen Neuropeitschen. Verzückt betrachtete ich das Werkzeug, das mir seit meiner Novizenzeit als Vhratowächter treu gedient hatte. Wie viele Brüder und Schwestern hatte ich mit einem ähnlichen Instrument der Gottesfurcht auf den rechten Weg zurückgeführt. Ich würde mit dem Stab der Gerechtigkeit Gottes, da war ich mir sicher, den Frevel wider die Göttlichkeit des Menschen vom Antlitz seiner Schöpfung tilgen und die Kinder Vhratos von dem Makel der Todsünde wider die Schöpfung befreien.

Nun betrat ich den von Rhifa Hun gewählten Platz und sah mich um. Die Nummer Eins hatte eine Senke gewählt, wo die kärglichen Wasservorräte aus der Vergangenheit des Wüstenplaneten zutage traten. Der Boden bestand nicht aus reinem Sand, wie ich gehofft hatte, sondern aus einem sonderbaren matschartigen Gemisch, das einen strengen Geruch verströmte. Einzelne Tierfährten, die sich im Morast abzeichneten, zeigten, dass die wenigen Tierarten, die sich dem mörderischen Klima von Dejaby I angepasst hatten, diesen Ort wohl als Suhle nutzten, ein unwürdiger Ort für ein Gottesurteil. Wie nur konnte der Bruder Oberst sein Einverständnis zu dieser Blasphemie geben? Ich war tief enttäuscht.

Ich wartete. Der Lebensspender brannte unbarmherzig auf mich herunter und Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Haut. Mein Blick suchte den Bruder Oberst, der sich in diesem Moment erhob und das Gottesurteil eröffnete. Rhifa Hun und die anderen Befehlshaber schlenderten langsam zu dem abgesteckten Platz. Und plötzlich war sie da. Sie verbeugte sich vor dem Bruder Oberst und erklärte, dass sie keine Waffe bräuchte, da sie durch die Natur bereits ausreichend gerüstet sei. Dabei zeigte sie ihre Pfoten, die in ausgefahrenen Krallen endeten. Anschließend zog sie langsam die Fetzen, die bisher ihre Blöße bedeckt hatten, aus und begann die Krallen durch das gefleckte Fell zu ziehen. Lautes Gejohle und Klatschen belohnte sie für ihren Auftritt. Nun schlenderte sie, als wäre es ein Spaziergang, in den abgesteckten Kreis und musterte mich herablassend. Alles in mir drängte danach, ihr den Yekjab sofort in den sündhaften Kadaver zu stoßen und sie den Zorn des Dreifachen Gottes spüren zu lassen.

Der Bruder Oberst zog eine kunstvoll verzierte Pistole und schoss in die Luft. Das Gottesurteil hatte begonnen …

*

Das Ende ist schnell erzählt. Vhrato und alle Sonnenboten hatten mich genarrt, die Schwarze Mirona triumphierte. Irgendwann hatte ich eine Holodokumentation gesehen, in der eine Katze mit einer Maus stundenlang spielt, bevor sie sie frisst. Und genauso erging es mir. Nur war ich die Maus und sie die Katze. Meine Angriffe mit dem Yekjab gingen ins Leere, es gelang mir nicht einmal, sie irgendwo zu treffen. Mit spielerischer Leichtigkeit beantwortete sie jeden meiner Angriffsversuche mit einem kurzen Hieb ihrer krallenbewehrten Pfoten und hinterließ leichte Schnittwunden auf meiner Haut. Der Schweiß lief in Strömen über den Körper und brannte furchtbar in den Schnittwunden. Nach gefühlten Stunden schien sie endlich genug zu haben und trieb mich mit kurzen Schlagkombinationen durch den Kreis. Schließlich brach ich am Rand der Schlammkuhle auf die Knie. Ich war fertig, Blut lief aus unzähligen Schnittwunden, mein Körper war ein einziger Schmerz. Lachend umkreiste sie mich, während sie mich verhöhnte. Dann traf mich plötzlich ein Tritt und beförderte mich mit dem Gesicht voran mitten in die Schlammkuhle. Die Katze hatte anscheinend genug gespielt. Mit einem geschmeidigen Satz war sie auf meinem Rücken und ich empfahl meine Seele Vhrato und allen Heiligen.

Jeden Moment erwartete ich, dass mir die langen Krallen das Leben aus dem Körper reißen würden, doch nichts geschah. Stattdessen drückte sie immer wieder meinen Kopf in den stinkenden Morast, bis ich kurz vor dem Ersticken stand. Dabei flüsterte sie mir ins Ohr, dass Säue wie ich sich im Schlamm wälzen und deshalb Dreck fressen müssten.

Schließlich beendete der Oberst meine Demütigung, indem er sie zur Siegerin erklärte. Er verlangte dann von mir, dass ich mich bei Sha-Hir-R’yar entschuldigen und militärisch korrekt Meldung zu machen habe.

SPACE ODDITY: Oder Ziggy Stardust goes into the blue …

Ziggy, I call him Ziggy

I'm so hot for him

He's not at all like all the rest

But he's held out and he's the best

Even if I know

He would never go with me!

Celine Dion: Ziggy Lyrics

Celine Ahornd

Endlich in Sicherheit. Die ganze Zeit hatte ich damit gerechnet, dass ein Einsatzkommando des Ligadienstes erscheinen würde und mein Traum von Freiheit und einem besseren Leben zu Ende wäre, bevor er begonnen hätte. Doch mein Entschluss erwies sich im Nachhinein genau richtig. Die alte Vettel war weg und dank der Dscherro ging beim TLD alles drunter und drüber. Ihr Nachfolger Noviel Residor hatte sein Amt angetreten und war gleich darauf wieder in der Versenkung verschwunden, um den sogenannten Todesmutanten Vincent Garron persönlich zu jagen, was der alten Gia nie eingefallen wäre. Gut für mich! Das von ihm hinterlassene Chaos sollte wohl Rebekka DeMonn unter Kontrolle bringen, die von ihm als Einsatzleiterin eingesetzt worden war, nur dass diese innerhalb des TLD-Apparates alles andere als unumstritten war und gegen massiven Widerstand kämpfen musste. So hatte ich mir gute Chancen ausgerechnet, unbemerkt verschwinden zu können.

Ich hatte mich krankgemeldet und unter einer früheren Tarnidentität die schwarzen Kassen des TLD geplündert, um unter dem Namen Melody Travers einen Luxustrip zur BASIS zu buchen.

Eine Durchsage über das Bordinterkom kündigte an, dass die Einschiffung der Passagiere abgeschlossen und das Schiff bereits auf dem Weg in den Erdorbit wäre. Erleichtert machte ich es mir in der Lobby der SPACE ODDITY bequem und ließ mich an der Bar nieder. Diese befand sich genau gegenüber der Rezeption des Luxuspassagierliners der Terranian Space Company, die eine Reihe von Passagier- und Kreuzfahrtschiffen der oberen Spitzenkategorie unterhielt, teuer, luxuriös und nochmals teuer. Im Moment hatte die TSC Rückenwind, ihr schärfster Konkurrent, die zum Shorne-Konzern gehörende Galactic Dream Line befand sich im freien Fall, kein Wunder nach dem Desaster, das Michael Shorne mit der LONDON II erlebt hatte. Wer war auch bereit horrende Preise zu zahlen, wenn er jederzeit damit rechnen musste, Leib und Leben zu verlieren. Nun, die Reichen und Schönen der Society der LFT oder des Kristallimperiums bestimmt nicht.

Mit einem gehässigen Lächeln sah ich das verlebte Gesicht des Wirtschaftsmagnaten vor sich. Oh, wie sie ihm den Reinfall gönnte. Shorne war ein brutales Arschloch erster Güte, der die Öffentlichkeit mit seinem tadellosen Äußeren, den guten Manieren und natürlich, nicht zu vergessen, mit jeder Menge Galax blendete. Wobei das Geld, das er angeblich entsprechend seiner sozialen Ader verschwenderisch verteilte, noch nicht mal dem Abfall entsprach, der nach seinen speziellen Partys entsorgt werden musste.

Und da war sie wieder, die Erinnerung an bessere Tage. Zwar gehörte Shorne nicht dazu, aber ansonsten war mein Leben meistens interessant und abwechslungsreich gewesen, mit der Betonung auf gewesen. Ich verfügte damals über unbegrenzte Mittel und verkehrte in den besten Kreisen der LFT. Oh ja, der TLD ließ sich damals die Abteilung Sonderermittlungen etwas kosten. Und dann, irgendwann Ende der Siebziger Jahre war plötzlich Schluss, Sense, nichts mehr mit rauschenden Partys, interessanten Aufträgen und der aktuellsten Designermode auf Staatskosten.

Paola Daschmagan, diese mondgesichtige Sumpfralle, hatte mich, nach ihrer Wahl zur Ersten Terranerin, einfach durch einen Federstrich zur Bürotippse degradiert. Gleichzeitig erwischte es wohl auch die geheimnisumwitterte Abteilung Null, über die man nur unter der Hand munkelte. Dass ich jahrelang meine Haut für das Staatswohl zu Markte getragen hatte, interessierte diese Friedenstaube nicht im Geringsten, aus und vorbei. Ich wollte dann wieder zurück auf die freie Wildbahn, aber das zweite Horrorweib machte mir einen Strich durch die Rechnung. Gia de Moleon, die alte Vettel, machte mich kurzerhand zur Geheimnisträgerin und steckte mich in die interne Administration, um ein Auge auf mich zu haben, wie sie sich ausdrückte. Zugegeben, ich wusste über einige der größten Skandale vor der Regierungszeit der Sumpfralle bestens Bescheid, ich hatte ja an der Aufdeckung mitgewirkt.

Aber all das war jetzt Vergangenheit, vor mir lag eine hoffentlich interessante Zukunft. Dass diese auf jeden Fall sehr lukrativ sein würde, dafür würde der Datenkristall, der in Form eines sündhaft teuren Schmuckstücks um meinen Hals hing, sorgen.

Der Gedanke an das Ende der Tristesse des Ligadienstes aktivierte meine Lebensgeister, ich war frei. Und endlich war da wieder das Kribbeln, das ich so lange vermisst hatte. Unwillkürlich straffte ich die Muskeln und warf mich in Position. Mein Blick glitt über die Gesellschaft, die sich in lockeren Gruppen über die Lobby verteilt hatte. Ich sah in feiste Gesichter, schwabbliges Fleisch und roch Galax, Millionen von Galax. Wie ungerecht war die Welt, aber das würde sich für mich nun ändern, bald, sehr bald. Das alte Jagdfieber war erwacht. Fast körperlich fühlte ich die Blicke, die meinen Körper taxierten, sollten sie, aber landen würde keiner. Mein schwer erarbeitetes Geld war für die Luxuspassage zur BASIS ausreichend und dann würde ich, wie dieses Parasitenpack, in Geld schwimmen.

Auf der BASIS würde ich mich mit Pfork treffen, der mir die Türe zu meinem neuen Leben öffnen würde. Im Gedanken sah ich wieder die vierschrötige Gestalt des Überschweren vor mir, den ich in meinem früheren Leben im Auftrag der alten Vettel beglücken sollte. Nun, ich war erfolgreich gewesen und bin in jeder Hinsicht auf meine Kosten gekommen. Nur wer es einmal mit einem umweltangepassten Stier von Mann getrieben hat, wird verstehen, was ich meine. Und dann kam mein Glückstag, oder je nach Perspektive, die ultimative Katastrophe.

Unser entrückter Unsterblicher hatte mal wieder mit irgendwelchen höheren Mächten paktiert und wollte in seiner Blauäugigkeit die gesamte Milchstraße an ein komisches Gebilde namens Thoregon verscherbeln. Es kam, wie es kommen musste. Das Ganze ging schief und die Katastrophe war da. Dieses Heliotische Bollwerk, was für ein idiotischer Name, das die Erde mit den Zentrumswelten dieser obskuren Koalition verbinden sollte, war explodiert und bescherte uns die Dscherro, ein widerliches Volk von schweineähnlichen Kreaturen, die die Erde plündernd und brandschatzend heimsuchten. Gleichzeitig versetzte es den gesamten Stadtteil Alashan samt dem TLD-Tower und der alten Vettel ins Nirgendwo und meine Chance war gekommen.

Für einen Moment war ich versucht gewesen, Hals über Kopf meine Zelte abzubrechen und irgendwo in der Galaxis zu verschwinden, doch was hätte mir das gebracht? Nichts! Also entwickelte ich meinen persönlichen Langzeitplan, natürlich nicht zum Wohle irgendwelcher hirnrissiger Überwesen, sondern ausschließlich für mich. Ha, und zum ersten Mal war ich der alten Vettel dankbar. Nachdem die Sumpfralle mich und alle meine Kolleginnen kaltgestellt hatte, war Oma Gia auf die glorreiche Idee gekommen, mich zu einer Intensivschulung als Sytronikanalytikerin zu verdonnern. Mit einem süffisanten Lächeln hatte sie damals erklärt, dass ich für mein fürstliches Gehalt in Zukunft etwas Sinnvolles für den TLD leisten solle, ich hätte ihr damals den verschrumpelten Hals umdrehen können. Fürstliches Gehalt, dass ich nicht Lache! Das waren nur Brosamen im Vergleich zu den mir während meiner aktiven Zeit als Sondereinsatzagentin zur Verfügung stehenden Mitteln. Zuerst hatte ich mich, schon aus Prinzip, mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, aber irgendwann war der Stellar bei mir gefallen, ich war ja nicht blöde, und ich erkannte die Chance, es dieser moralingetränkten Bürokratentussi an der Spitze der LFT irgendwann heimzuzahlen. Dazu kam, dass mein persönlicher Instruktor, ein richtiger weltfremder Eierkopf war, den ich mir um den Finger wickelte. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich ihn soweit, dass er mir buchstäblich aus der Hand fraß, so dass ich bei dem Spielchen, auch in körperlicher Hinsicht, voll auf meine Kosten kam. Kurz und gut, am Ende war aus der alten Bordsteinschwalbe in Diensten des TLD, unter tatkräftiger Mithilfe von Oma Gia, eine diplomierte Sytronikanalytikerin geworden, die, dank meines Eierkopfes, mit allen Wassern gewaschen war. Doch dann verschwand dieser mitsamt der alten Vettel aus meinem Leben. Nun ich weiß nicht, wie dieses weiter verlaufen wäre, denn ich hatte seine linkische Art tatsächlich gemocht, aber … Schwamm darüber, es hat nicht sollen sein.

Während des Chaos, das das Verwinden der Alten hinterlassen hatte, meldete ich mich, voller Verantwortung für das Wohl der LFT, bei ihrem Nachfolger, um ihm meine Mitarbeit beim Wiederaufbau des Ligadienstes anzubieten. Dieser stand anscheinend unter einem immensen Druck, denn ohne groß meine Personalakte zu prüfen, bestimmte er mich zur leitenden Syntronikerin eines Teams, das die zentralen Datenbanken des Dienstes aus den ausgelagerten Backups in die neue Zentralsyntronik auf Luna einpflegen sollte. Ich saß nun an der Quelle und begann meinen persönlichen Langzeitplan Schritt für Schritt zu verwirklichen.

Plötzlich wurde es laut. Verwundert blickte ich auf und wurde Zeugin ein außergewöhnlichen Spektakels. Eine wilde Meute hatte vor der Rezeption der SPACE ODDITY versammelt. Interessiert nahm ich die Horde näher in Augenschein und pfiff durch die Zähne. Etwa fünfzehn Teenager, wohl gerade der Muttermilch, die sie nie bekommen hatten, entwöhnt, kreischten aus voller Kehle. Nachdem ich mich auf das schrille Geräusch konzentriert hatte, verstand ich einzelne Wortfetzen, die sich dann zu einem einigermaßen sinnvollen Text summierten.

Ziggy Stardust, Ziggy Stardust, Erleuchteter, zeig uns den Großen Hamiller!

Ich war platt. Wer bei den arkonidischen Sternenteufeln war Ziggy Stardust? Und was hatte der mit dem längst verblichenen Payne Hamiller zu tun?

Inzwischen war in der illustren Gesellschaft, die sich locker über die Lobby verteilt hatte, emsiges Getuschel zugange. Und, ich traute meinen Augen nicht, einige aufgetakelte Schreckschrauben kamen nach vorne und schlossen sich den kreischenden Teenies an. Ich erhob mich schließlich, um ein besseres Blickfeld zu erhalten. Jetzt endlich sah ich das Objekt der Begierde der kreischenden Meute. Und wieder war ich platt.

Im Mittelpunkt der nun völlig ausflippenden Weiber wurde eine männliche Gestalt sichtbar, ein dunkelhäutiger Kerl, der effektiv als Kind zu heiß gebadet worden war. Er hatte wohl gerade die Eincheckformalitäten hinter sich gebracht und sich dem idiotischen Fanclub zugewandt.

»Gebt Ruhe Kinder, ihr bringt ja den ganzen Verein hier durcheinander!«, ertönte eine sonore Stimme, die gar nicht zu dieser Clown artigen Lachnummer eines Mannes passte. Unwillkürlich begann ich ihn abzuchecken. Groß und durchtrainiert, wie es den Anschein hatte, aber damit waren die positiven Eigenschaften bereits erschöpft. Der Rest war einfach lachhaft, eine geradezu geniale Kombination des schlechten Geschmacks. Lange schwarze Haare, die zu Zöpfchen geflochten waren, fielen bis zu den Schultern. Das Gesicht wurde durch einen Bart verschönert, der einem der uralten Mantel- und Degenfilme aus der vorindustriellen Periode Terras nachempfunden sein musste, die, neu gerendert, in den Kinderkanälen von Terra-One liefen. Über den Rest breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Gerade in diesem Moment drehte er sich in meine Richtung und gab die Sicht auf seine Vorderansicht frei. Und jetzt verschlug es mir, bildlich gesprochen, die Sprache. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit bildeten die schwarzen Hosen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf den Körper geschnitten waren, was für ein maßlos übersteigertes männliches Ego. Doch nun erklang wieder die sonore Stimme, die mir wider Willen durch Mark und Bein ging.

»So, meine Kinder, die Zeit des Abschieds ist leider gekommen, das Zubringershuttle hat angedockt, um euch wieder zur Erde zurückzubringen.«

Ein allgemeines Stöhnen war die Antwort. Eine typische Vertreterin dieses kreischenden Teenie Vereins drängte sich an ihr Idol und drückte ihm ihre wohl genetisch vergrößerte Oberweite entgegen. Zwangsweise kam ich in den Genuss, das total verrückte Outfit zu bewundern. Dann ertönte ihre schrille Stimme, die anscheinend nur auf der Kreischebene funktionierte.

»Ziggy, nimm uns mit, wir wollen bei dir sein und ebenfalls erleuchtet werden!«

Wieder war der Lärm ohrenbetäubend. Gespannt wartete ich darauf, wie der Sexprotz dieses Problem lösen würde, und ich wurde nicht enttäuscht.

»Kinder, Kinder, das geht leider nicht. Der Große Hamiller hat mich, wie ihr wisst, zu sich gerufen, um mir die kosmische Erleuchtung zu bringen.«

Dann machte er eine theatralische Pause, hob wie segnend die Hände und fuhr dann fort.

»Wie soll das gehen, wenn ihr mich dauernd ablenkt? Aber ich habe ein Geschenk an euch, meine treuen Kinder, sobald meine Wallfahrt zum Großen Hamiller abgeschlossen ist, nehme ich an der solaren Meisterschaft im Asteroidengürtel teil, und …«, wieder eine theatralische Pause, »ihr alle, meine treuen Kinder, seid zu meiner Siegesfeier eingeladen und habt freien Eintritt!«

Mit diesen Worten zog er einen Kartenstapel aus einer Seitentasche seines langen Mantels und warf diesen unter das kreischende Volk. Und nun begann das Hauen und Stechen. Die kreischenden Teenies versuchten mit vollem körperlichem Einsatz eine der Karten zu ergattern und selbst einige der abgetakelten Fregatten beteiligten sich an diesem Schauspiel.

Wenig später hatte der gesamte irre Fanclub sich eine der Karten unter den Nagel gerissen und begann, wie kleine Marionetten, den wartenden Stewards zu folgen. Und dann wieder die Stimme:

»Geht in kosmischer Harmonie, meine Kinder. Der Geist des Großen Hamillers sei mit euch!«

Ich wusste nicht, welcher Teufel mich ritt, aber ich begann zu klatschen und nach und nach fiel die ganze betuchte Bagage ein. Für einen Moment wirkte der Sexprotz total desorientiert doch dann suchte sein Blick den meinen, braune Augen strahlten mich an und ein spitzbübisches Lächeln blitzte auf.

Wes Golem

Endlich war ich diese verrückte Meute von Groupies los. Erleichtert blickte ich den aufgeblasenen Hühnern nach, die im zentralen Antigravschacht, der zur unteren Polschleuse führte, verschwanden. Nun konnte ich mich endlich auf mein eigentliches Ziel konzentrieren. Am liebsten wäre ich auch diesen ganzen Mummenschatz losgeworden, aber Rebekka DeMonn hatte recht behalten, meine Tarnidentität als Wes Golem war genial, niemand würde hinter diesem Spinner einen TLD-Agenten vermuten.

In diesem Moment ertönte ein lautes Klatschen. Befremdet blickte ich auf, während sich immer mehr der anwesenden Passagiere der Beifallskundgebung anschlossen. Die Urheberin war eine junge Frau, die genau gegenüber vor der Bar stand. Fast automatisch taxierte ich sie, wobei ich unwillkürlich mein altes Will-Dean-Grinsen aufsetzte. Wow! An der stimmte alles. Doch dann bemerkte ich ihr ironisches Grinsen. Natürlich, ich musste dieser Klassefrau ja als der letzte Volltrottel erscheinen. Trotzdem, ich musste es einfach versuchen. Also steuerte ich schnurstracks in ihre Richtung, wobei ich allerdings allerlei aufgedonnerten Schabracken ausweichen musste. Dabei nutzte ich die Gelegenheit, sie etwas näher zu begutachten. Und dann machte es Klick und nochmals Klick. Ich benötigte meine ganze Selbstbeherrschung, damit mir nicht die Gesichtszüge entgleisten. Irgendwie glaubte ich im falschen Holo gelandet zu sein. Dort stand die Ursache des ganzen Theaters, oder doch nicht? Das Äußere, die Figur, das Gesicht, – alles stimmte – und doch wieder nicht. Dieser abschätzige, harte und berechnende Gesichtsausdruck, der sich während der vergangenen Wochen tief in mein Gedächtnis gegraben hatte, fehlte völlig. Alles an ihr strahlte eine Selbstsicherheit und Gelassenheit aus, die überhaupt nicht in das Bild passte, das mir das TLD-Material während des Briefings auf Luna vermittelt hatte. Der alten Celine war ihr Gewerbe ins Gesicht geschrieben gewesen, doch diese Frau, die mir entgegenlächelte, war das genaue Gegenteil.

Nun hatte ich sie erreicht und ließ den großkotzigen Wes Golem von der Leine, obwohl mir der gute alte Will viel näher gelegen hätte.

»Hallo mein schö …«, nein, das ging gar nicht, »Also ich …, ich bin We … Wes Golem und würde mich freuen, wenn ich Sie zu … zu einem Dr … Drink einladen dür … dürfte«, stotterte ich. Was war los mit mir, ich war doch kein grüner Junge mehr, der seine Angebetete um das erste Rendezvous anbettelte, zumal mein Gegenüber alles andere als eine holde Jungfrau war.

Glockenhelles Lachen war die Antwort. Ihre Augen strahlten mich an, während ich ihrer Antwort, wie ein Teenager bei der ersten Verabredung, entgegenfieberte.

»Gerne, ich bin Melody Travers und ich freue mich einen so berühmten Helden«, dabei blitzte wieder ihr schalkhaftes Lächeln auf, »persönlich kennenzulernen«.

Das tiefe Timbre der Stimme ging mir durch Mark und Bein. Um mich wieder einigermaßen einzukriegen, wandte ich mich der Barfrau zu und fragte diese, ob ihr die Zubereitung eines Lemur’s Heaven geläufig wäre. Diese schaute mich einen Moment verblüfft an, doch dann nickte sie begeistert.

Doch ich war für den Moment völlig von der Rolle, wie kam ich auf diesen Schwachsinn? Lermur’s Heaven? Und sonst ging es mir gut, oder? Doch dann begann mein armes Gehirn wie hektisch zu arbeiten. Dieser Kurpfuscher von Ara hatte mich gewarnt, dass so etwas passieren konnte. Die aufgepfropften Erinnerungen von Wes Golem überfluteten mich und plötzlich wusste ich genau, was der Schwachsinn, den ich da von mir gegeben hatte, bedeutete. So schnell, wie es begonnen hatte, war es dann auch wieder zu Ende. Ich hatte mein Gehirn wieder für mich, nun ritt mich der Teufel.

Ich grinste ihr zu und bestellte zwei dieser sündhaft teuren Drinks. Routiniert begann sie mit den Vorbereitungen. Dann wandte ich mich wieder meinen dienstlichen Pflichten zu.

»Melody, haben Sie schon einmal in den Himmel gesehen?«

Ihr strahlendes Gesicht entgleiste, nahm einen abfälligen Ausdruck an und dann bemerkte sie herablassend: »Wenn das deine übliche Anmache sein soll, muss ich schon sagen, phantasielos, abgedroschen und plump, äußerst plump. Du entschuldigst mich?«

Damit wandte sie sich ab und wollte gehen. Schnell ergriff ich ihren Arm und entgegnete: »Melody, bitte! Das war nicht so gemeint, sondern auf den bestellten Drink bezogen.«

Sie zögerte einen Moment, doch dann gab sie ihre Abwehrversuche gegen meinen Griff auf. Ihre Augen wandten sich mir zu und suchten in meinem Gesicht zu lesen. Schnell fuhr ich fort: »Der Lemur’s Heaven ist ein Cocktail aus einzigartigen Zutaten, den wir während der Rennen im Asteroidengürtel erfunden haben. Der Champion eines Rennens erhält ihn als Siegerpreis. Er hat eine einzigartige Wirkung, wie Sie sich gleich selbst überzeugen können, wenn Sie mir die Ehre geben wollen, mir Gesellschaft zu leisten.«

Sie blickte mich für einen Moment skeptisch an, doch dann schien ihre Neugierde zu siegen.

»Gut, ich will dir mal glauben, Wes. Übrigens, kannst du mich duzen. Dieses Retro-Siezen missfällt mir sehr.«

Ich blickte zu der Barfrau und sah, dass diese mit ihren Vorbereitungen fertig war und mich fragend anblickte. Mit einem Kopfnicken gab ich ihr das Zeichen, dass die Zeremonie beginnen konnte. Dann wandte ich mich wieder Melody zu.

»Komm mit zur Bar, ich erkläre es dir, die Zubereitung ist kompliziert und interessant.«

Wir gingen wieder an die Bar, wobei ich meinen Arm wie selbstverständlich leicht um ihre Taille legte. Einen Moment schien sie zusammenzuzucken, doch sie ließ mich gewähren.

Die Barfrau hatte inzwischen den Formenergiewürfel mit der kleinen Dose, den beiden Patanyx-Pokalen und einer Karaffe mit Vurguzz aktiviert.

»Lemur’s Heaven besteht aus exquisiten Zutaten, die alle aus von Menschen besiedelten Welten stammen. Die Basis bildet jeweils eine in kleine Würfel geschnittene Scheibe Tal'gathor, was in einer sauerstofffreien Atmosphäre geschehen muss. Dann wird das fermentierte Fruchtfleisch mit Vurguzz begossen, so dass dieses durch den Likör bedeckt ist. Danach wird das Ganze geschüttelt.«

Ich deutete auf die Barfrau, die inzwischen in das Formenergiefeld gegriffen hatte, das sich wie ein Handschuh um ihre Hände schmiegte. Sie nahm die Tal'gathor Dose und entnahm zwei Scheiben der sündhaft teuren arkonidischen Fruchtspezialität, die in kleine Würfel zerschnitten wurden. Diese verteilte sie in die beiden Patanyx-Pokale. Melody kuschelte sich an mich und beobachtete gespannt, was weiter passierte. Nun kam der zweite Schritt, vorsichtig wurden die Würfel mit Vurguzz bedeckt und dann geschüttelt. Der Likör, der inzwischen in der ganzen Milchstraße verbreitet war, begann zu zischen und verwandelte sich in ein geleeartige Masse, die die Tal'gathor Würfel einschloss. Nun wurde das Formenergiefeld abgeschaltet. Ich fuhr mit meiner Erklärung fort.

»Nun kommt eine weitere arkonidische Spezialität dazu, die auch nicht gerade als billig bezeichnet werden kann. Jeder Pokal wird zu etwa zwei Dritteln mit heißem Argyrt-Tee aufgefüllt, darf aber auf keinen Fall umgerührt werden, das würde das ganze Gebräu hochgiftig machen. Danach kommt als Gipfel des Ganzen eine rein terranische Zutat, nämlich genau 0,2 cl Schlehenlikör aus dem ehemals spanischen Navarra, der unter dem Namen Patxaran bekannt ist.«

Die angeblich so hartgesottene Liebesdienerin verstärkte den Körperkontakt, was ich mit einer Verlagerung meines Armes in die oberen Körperregionen quittierte. Der heiße Tee wurde vorsichtig in die beiden Kelche gegossen und dann mit dem Schlehenlikör ergänzt. Dieser bildete eine rote Schicht auf der Mischung.

»So, und nun der krönende Abschluss oder die Verwandlung von reinem Gift in den Nektar der Sternengötter«, flachste ich.

Celine Ahornd

Instinktiv kuschelte ich mich bei seiner Ankündigung noch enger an ihn. War das ein Versprechen, oder nur die Vorspielung falscher Tatsachen? Egal, ich fasste den Entschluss, mir auf jeden Fall Gewissheit zu verschaffen. Doch nun zog mich wieder dieser Cocktail in Bann. Irgendwie musste ich geistig bereits abgetreten sein, aber diese völlig idiotische Anmache faszinierte mich. Aber was sollte diese Bemerkung mit dem Gift? Ich blickte ihn mit einem treuherzigen Augenaufschlag an und fragte:

»Wes? Was meinst du mit dieser Verwandlung von Gift in Nektar?«

Er drehte sich zu mir, wobei, wie zufällig, seine Hand meine Brustwarze streifte. Verdammt, die reagierte auch entsprechend. Noch nicht, so leicht sollte er es nicht haben. Er begann eine komplizierte Erklärung über Sauerstoffoxydation, Umwandlung, Farbwechsel und Blasenbildung, der ich aber nur halbherzig zuhörte. Viel wichtiger waren für mich die Gefühle, die der enge Körperkontakt mit ihm hervorrief.

In diesem Moment schien das große Finale bevorzustehen, denn die Barfrau stellte die beiden Pokale vor uns und beugte sich über den Tresen, wobei sie ihre Oberweite vorteilhaft präsentierte. Dabei spritzte sie irgendetwas in die komische Flüssigkeit, die sofort begann Blasen zu werfen. Mich interessierte jedoch mein verrückter Hüpferchampion viel mehr, aus den Augenwinkeln versuchte ich zu erkennen, ob diese Oberweitenakrobatik vor seinen Augen irgendeinen Eindruck auf ihn machte. Doch der Blick meines Galans blieb wie angegossen auf die beiden brodelnden Pokale gerichtet. Im Geiste applaudierte ich, Prüfung bestanden, das Spiel konnte weitergehen.

Das Gebräu hatte sich inzwischen beruhigt und strahlte in einem satten Violett Ton. Nur noch wenige Blasen waren auf der Oberfläche sichtbar. Ich wartete darauf, dass wir endlich dieses idiotische Ritual hinter uns bringen konnten. Doch er rührte sich nicht. Nun, selbst ist die Frau, ergriff ich die Initiative. Ich nahm die beiden Pokale und drückte ihm den Linken in die Hand.

»Prost, mein Held und Ex!«

Meine Augen fixierten sein Gesicht, während ich mir das Gebräu in die Kehle schüttete. Doch irgendetwas schien nicht zu stimmen. Seine Gesichtszüge entgleisten und ein panikartiger Ausdruck trat in seine Augen. Irgendetwas geschah mit mir, es war als ob mein Zeitablauf extrem beschleunigt und gleichzeitig die Wahrnehmung immer weiter gesteigert wurde. Ohne bewusstes Handeln griff meine Hand wieder nach dem Pokal und führte ihn an seinen Mund. Wie in Zeitlupe öffnete er diesen und das Gebräu floss auch seine Kehle hinab. Irgendwie erfüllte mich für einen winzigen Moment tiefe Zufriedenheit. Endlich lag dieses blödsinnige Getue hinter uns und wir konnten zu Potte kommen.

Mir war, als ob meine Gedanken mit Macht aus meinem Kopf herausdrängten, verrückt, nicht wahr? Gleichzeitig beschäftigte mich Wes. Was war mit ihm los, er hatte sich verdoppelt. Er trug zwar immer noch dieses aber sinnige Outfit doch gleichzeitig war er jemand, der ganz anders aussah. Beide Gestalten bewegten sich innerhalb desselben Raumes und erinnerten an ein Hologramm. Plötzlich erweiterte sich meine Wahrnehmung nochmals. Oben und unten, links und rechts verloren ihre Gültigkeit. Die Umgebung verzerrte sich und wurde zu einem surrealen Gebilde. Die solide Bar vor mir hatte sich in eine Form verwandelt, die sich gleichzeitig von innen nach außen und von außen nach innen ineinanderschob. Mit einer anderen Ecke meines Gehirns registrierte ich, dass viele der abgetakelten Schabracken mich voller Neid begafften und mir so schöne Krankheiten wie Feuerlebra oder Mosaikfieber an den Hals wünschten, sollten sie. Doch wieso wusste ich das? War ich zu einer Telepathin geworden?

Dann wieder der doppelte Wes. Der panische Gesichtsausdruck wechselte und machte bei beiden Exemplaren einem seligen Grinsen Platz. Und dann war es vorbei. All diese multiplen Wahrnehmungsebenen, die gleichzeitig in meinem Gehirn abliefen, vereinigten sich und ich hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen. Alles um mich herum verkleinerte sich und für einen Sekundenbruchteil sah ich die SPACE ODDITY, die augenblicklich zu einem Punkt in der Unendlichkeit schrumpfte, Sterne, die Milchstraße, ganze Galaxienhaufen blieben hinter mir zurück, und schließlich blickte ich auf eine Kugel, die mit unzähligen anderen Kugeln in einer undefinierbaren Substanz schwamm, in der sich Blasen bildeten, manche zerplatzten sofort wieder, andere blieben stabil und blähten sich auf.

Dann stand ich auf einer weiten Ebene, kahl und trostlos. Über mir explodierten einige der Kugeln, ganze Sonnensysteme erschienen und vergingen, ich setzte mich nieder und blickte in die Unendlichkeit. Dann gewann dieses undefinierbare Etwas Substanz, ein See bildete sich und plötzlich flackerte ein Lagerfeuer unter einem grandiosen Sternenhimmel. Und SIE saß da, eine alte Zigeunerin, die sich an den Flammen die Hände wärmte. Ich blickte in ein Gesicht, das seltsam zeitlos erschien. Ein Geist, mächtig und unbegreiflich berührte mich wie eine Liebkosung und dann war alles zu Ende. Ich war wieder auf der SPACE ODDITY, die Barfrau hatte gerade begonnen, eine Frage zu stellen und Wes, mein unbeschreiblicher Champion der völlig Ausgeflippten, strahlte wie ein Sahnekuchen.

Wes Golem

Ich sah, wie sie den Pokal ergriff und an die Lippen setzte. Viel zu schnell, der Sauerstoff konnte sich noch nicht vollständig mit dem Tal'gathor verbunden haben. Irgendetwas lief falsch, ganz falsch. Bevor ich reagieren konnte, hatte sie ausgetrunken, griff nach meinem Gefäß und setzte es an meine Lippen. Reflexartig öffnete ich den Mund und schluckte die Flüssigkeit. Augenblicklich entfaltete sich die Wirkung. Glücksgefühle überfluteten mich und Kaleidoskop artige Erinnerungen blitzten auf. Instinktiv konzentrierte ich mich und versuchte einen bestimmten Moment festzuhalten. Das sinnliche Gesicht von Grace Silk schien sich über mich zu beugen, ich fühlte geradezu ihren Körper, der sich an mich schmiegte. Doch plötzlich war es vorbei, verzweifelt versuchte ich den Moment festzuhalten, doch die Hurengöttin des Cosmic-Wave entschwand wieder in meinen Erinnerungen. Doch der Drogenrausch ging weiter. Eigentlich hätte ich gar nicht reagieren dürfen, denn die medizinische Abteilung hatte mich angeblich gegen sämtliche bekannten Drogen immunisiert.

Das Umfeld wechselte, er befand sich in einer luxuriös eingerichteten Kabinen-Suite und er war nicht allein. Im Arm hielt er eine Frau, die sich an ihn schmiegte. Das war der Hammer, es konnte sich nicht um eine Vision handeln, sie war wirklich da. Unter seinen Fingern fühlte er warme, glatte Haut, die plötzlich mit einer Gänsehaut überzogen war, als seine Fingerspitzen unter der heißen Korsage auf Entdeckungstour gingen. Für einen kurzen Moment sah er ihr Gesicht, bevor sich ihre Lippen auf die Seinen pressten und die Zunge sich Einlass verschaffte. Es war … unbeschreiblich …, ihre Zungenspitze entfachte entlang der Nervenbahnen ein wahres Gewitter von Sinnesreizen, die sich alle in seiner Lendengegend konzentrierten. Er drohte sich im Sinnesrausch zu verlieren, doch plötzlich stand ihr Gesicht vor seinen Augen:

Celine Ahornd!

Das war der reine Irrsinn, sein Zielobjekt stand neben ihm, lächelte ihn an, während gleichzeitig seine Hände ihren Körper an sich zogen, hochhoben und er mit ihr auf den Armen auf das pompöse Bett zusteuerte, das mitten in der Suite thronte. Seine Hände waren gerade dabei, die Korsage ihres Abendkleides aufzuknöpfen, während sie den Magnetsaum seiner Designerhose öffnete.

Designerhose? Ich trug keine Designerhose, sondern die angeberische Stecherhose aus Chuary-Leder.

Sie hatte sich mit einem verheißungsvollen Lächeln von mir gelöst und begann die Hose von den Beinen zu ziehen. Die langen, tiefrot lackierten Fingernägel fuhren dabei wie zufällig über die freigelegte Haut und schickten wieder prickelnde Sinnesreize durch meinen Körper.

Tiefrot lackierte Fingernägel? Ich starrte auf die Hände der Celine, die neben mir stand. Tiefrot lackiert? Die gepflegten Fingernägel waren zwar lackiert, aber farblos!

Dann war es plötzlich zu Ende. Die doppelte Wahrnehmung erlosch und neben mir stand wieder die gewohnte Celine, die gerade die Frage der Barfrau beantwortete, ob alles in Ordnung wäre.

*

Eine Stunde später

Wir verließen nach einem angeregten Gespräch die Lobby der ODDITY Arm in Arm. In meinem Gehirn rotierten noch immer die Bilder. Konnte es sein, dass ich durch dieses Gebräu Zugang zu einer Parallelwelt gefunden hatte? Eine bloße Vision schloss ich aus, dafür waren die Gefühle, die Sinnesreize einfach zu real gewesen. Die ganze Zeit hatte ich damit gekämpft, ob ich die Frau neben mir auf meine Erlebnisse ansprechen sollte. Ich hatte es nicht gewagt, zu phantastisch und intim erschienen mir meine Empfindungen während dieses komischen Drogenrausches. Auch sie hatte mir mit keiner Miene zu verstehen gegeben, ob sie ähnliche Erfahrungen gemacht hatte.

Inzwischen hatten wir den zentralen Antigrav-Verteiler erreicht und verabschiedeten uns. In diesem Moment steuerte eine Ordonnanz wichtigtuend auf mich zu. Mit aufgesetzter Freundlichkeit übergab er mir die Einladung zum Captain’s-Dinner, bei dem der Kapitän der ODDITY die Crème de la Crème der Passagiere persönlich begrüßen und zu einem speziellen kulinarischen Höhepunkt einladen würde. Dann bemerkte dieser Stutzer noch, dass an Bord der ODDITY besonderer Wert auf angemessene Etikette gelegt würde. Scheiße, meine gesamte Garderobe entsprach einem bestimmt nicht, nämlich einer angemessenen Etikette. Und dann hatte ich eine Idee.

Mit zwei Schritten hatte ich Celine eingeholt, die bereits auf dem Weg zu ihrer Kabine war. Sie schien den Kriterien nicht entsprochen zu haben, denn der Ordonnanzschnösel hatte ihr keine Einladung übergeben. Ich tippte leicht auf ihre Schulter und sah in das harte, berechnende Gesicht Celine Ahornds. Ich zeigte ihr die Einladung und bat sie, mit mir an diesem Dinner teilzunehmen. Während meiner kleinen Rede konnte ich wieder die Veränderung ihres Gesichtes erkennen, aus der hartgesottenen Liebesdienerin im Dienste des TLD wurde wieder die faszinierende Femme fatale Melody Travers. Sie schien einen Moment mit sich zu kämpfen, doch dann willigte sie ein. Und dann bemerkte sie, dass wir noch eine passende Garderobe für mich bräuchten.

In diesem Moment hatte ich mein Déjà-vu. Im Kopf vereinigten sich die Einladung zum Captain’s-Dinner mit angemessener Etikette und Designerklamotten zu einer verstörenden Erkenntnis: Dieser komische Cocktail Lemur’s Heaven musste mich aus der Raumzeit gelöst und mit meinem zukünftigen Ich verbunden haben; Der reine Wahnsinn!

Kapitel 3: Das Ende einer Reise

Nepper, Schlepper, Bauernfänger, oder ein Somer empört sich

Verehrter Erlebnisgast!

Im Auftrag der TSC-Reederei dürfen Sie an Bord des Luxusliners EMPRES OF OUTER STARS auf das Herzlichste begrüßen und wünschen Ihnen einen angenehmen und erfolgreichen Aufenthalt auf der BASIS. Wir, die Agentur Starfire-Brothers, bieten Ihnen eine allumfassende Betreuung während Ihrer verdienten Urlaubs- und Erlebniszeit.

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Frühstück mit Hindernissen

Sam stocherte gereizt in der Körnermischung, die er sich zum Frühstück an der Körnerbar zusammengestellt hatte. Schon in frühester Jugend hatte er für sich entschieden, auf den Genuss tierischer Nahrung zu verzichten. Die Somer waren eigentlich, wie die Menschen, Omnivoren, aber er sah es als Ausdruck seiner Ehrfurcht vor der Schöpfung an, sich rein vegetarisch zu ernähren. Leider stand er mit dieser Ansicht weitgehend allein.

Der überwiegende Teil seines Volkes blieb den primitiven Ernährungsgewohnheiten aus der Vorzeit verhaftet, als die Frühsomer, als beherrschendes Raubtier Soms, ganze Arten ausgerottet hatten. Neue paläontologische Forschungen auf Som hatten die furchtbare Wahrheit zutage gebracht, dass unter den von den frühen Somern ausgerotteten Arten sich auch eine humanoide Spezies befand, deren Skelette den auf Terra gefundenen Frühmenschenskeletten glich. Gerade diese Art schien für die primitiven Vorfahren der Somer die bevorzugte Beute gewesen zu sein, wie die archäologischen Knochenfunde eindeutig bewiesen. Schon aus diesem Grunde hatte er dem primitiven Raubvogel in sich den Kampf angesagt.

Doch vegetarische Ernährung hin oder her, diese Körner, die eine Delikatessmischung erlesenster Samen und Nüsse sein sollte, schmeckte fürchterlich.

In diesem Moment bemerkte er, das sich zwei Personen mit unflätigen Bemerkungen an seinem Tisch niederließen.

»Morgen Botschafter, schmeckt’s?«

Er blickte auf und sah in das grinsende Gesicht Sam Tylers. Dieser hatte eine riesige Portion aufgeschlagener Eier mit angebratenem Schinkenspeck vor sich, die er regelrecht in sich hineinschaufelte. Noch schlimmer gebärdete sich sein Freund, der auf die Eier verzichtet hatte und dafür vor einem ganzen Berg fetttriefendem Speck saß.

Angeekelt antwortete er: »Wie Sie wohl bemerkt haben, Mister Tyler, es mundet mir nicht!«

Der Angesprochene wandte sich ihm kauend zu und griff nach der Schale mit den Körnern. Er griff hinein und ließ einige Körner und Nüsse durch die Finger rieseln. Dann verzog er angeekelt sein Gesicht.

»Wo ist der Küchenchef?«, hallte seine tiefe Stimme durch den Speisesaal.

Wenig später tauchte ein etwas schmuddeliges Individuum auf, das eine Küchenschürze um die Hüften trug. Tyler musterte ihn einen Moment mit scharfem Blick, hielt ihm die Schale mit den Körnern entgegen und bellte dann: »Was soll das eigentlich darstellen?«

Das Individuum druckste etwas herum, bevor es verlegen antwortete: »Das ist unsere Delikatessmischung für Frühstücksmüsli.«

Tyler grinste gequält und bemerkte süffisant: »Sieht eher wie Schweinefraß aus. Der Herr Botschafter erwartet ein frisches Frühstück. Gebratene Zucchini- und Auberginenscheiben mit einer großen Portion Creme fraiche.«

Der Angesprochene nickte und verschwand blitzartig.

Sam schaute den Terraner fragend an und Tyler erklärte ihm, dass eine verblichene Freundin eine Vorliebe für vegetarische Gerichte gehabt hätte.

Wenig später tauchte der Chefkoch wieder auf und servierte persönlich eine umfangreiche Platte mit verschiedenen gegrillten Gemüsesorten.

Vorsichtig kostete Sam und war zufrieden.

»Mister Tyler, ich möchte mich bei Ihnen in aller Form bedanken, ohne Ihre Hilfe hätte ich das Frühstück ausfallen lassen müssen. Aber …«, dabei machte er eine kurze Pause und blickte in Richtung des bärtigen Mehandors, »könnten Sie Mister Japar nicht vermitteln, dass seine Essmanieren sehr zu wünschen übrig lassen.«

Tyler schaute den Somer einen Moment völlig verdutzt an, doch dann begann er schallend zu lachen.

»Sag ich ihm schon seit Jahren, dass der Rauschebart kein Ersatz für eine Serviette darstellt. Vielleicht wenn Eure Exzellenz …«, der Rest ging in einem erneuten Lachanfall unter.

Japar musterte Tyler mit einem bösen Blick und entgegnete dann kauend: »Tyler, du kennst meine Ansicht, die She'Huhan haben den Mehandor Hände und Finger gegeben, um ihre Gaben zu genießen. Das einzige Hilfsmittel, das ein Mehandor beim Essen benützt, ist dies!«

Dabei zog er ein langes, gefährlich aussehendes Messer hervor, das er mit einer blitzschnellen Handbewegung so auf den Tisch warf, dass sich die Spitze tief in den billigen Kunststoff bohrte.

Grinsend fuhr er dann an den Somer gewandt fort: »Exzellenz, Herr Botschafter, das ist das einzige Besteck, das ein richtiger Mann braucht!«

Enthüllungen

Sam saß in seiner Kabine und überlegte, ob er die Dienste dieser Agentur, deren Interkom-Inserat vor ihm auf dem Terminal der Bordkommunikation erschienen war, in Anspruch nehmen sollte. Die angebotenen Dienstleistungen erschienen ihm interessant und würden, so hoffte er es wenigstens, es ihm ermöglichen, auf der BASIS nicht aufzufallen. Besonders diese Erlebnistour schien ihm in dieser Hinsicht vielversprechend zu sein.

Genau in dem Moment, als er das Kontaktformular ausfüllen wollte, wurde er gestört. Lautes Klopfen an der Verbindungstüre, und schon wurde diese aufgerissen. Empört wollte er die Eindringlinge zurechtweisen, doch dieser hagere Terraner Tyler hatte schon seine Kabine betreten. Der rothaarige Mehandor lümmelte grinsend in der geöffneten Türe und kratzte das Haargeflecht, das von seinem Gesicht bis auf den hervorquellenden Bauch hing.

Tyler hatte sich inzwischen uneingeladen auf einen Sessel gesetzt und musterte den Somer mit verkniffenem Gesicht.

»Herr Botschafter, was wollen Sie wirklich auf der BASIS?«

Diese Frage überraschte Sam völlig. Etwas stockend wiederholte er die zurechtgelegte Tarngeschichte. Doch Tyler unterbrach ihn nach wenigen Worten.

»Lassen Sie uns mal Tacheles reden.«

Nach einer kurzen Pause schoss er die nächste Frage ab.

»Sind Sie mit Perry Rhodan persönlich bekannt?«

Wieder wurde Sam völlig überrumpelt.

»Nun, ich kenne ihn natürlich, Mister Tyler, wie, nun ja, jeder Bürger des Galaktikums.«

Der Terraner schüttelte missbilligend den Kopf.

»Japar und ich sind nicht hinter dem Mond daheim. Sie und Rhodan waren auf der LONDON nicht gerade Fremde.«

Sam wusste, wann er sich geschlagen geben musste.

»Nun, dann wissen Sie, dass Perry Rhodan und ich gemeinsam Abenteuer erlebt haben und in den Saggittonen neue Freunde gefunden haben. Aber ich verstehe nicht, was Mister Rhodan mit meinen anthropologischen und kulturellen Forschungen zu tun hat.«

Tyler lächelte zufrieden und wandte sich an den Mehandor.

»Japar, könntest du uns etwas zu trinken bringen? Und vergiss den Fruchtsaft für den Herrn Botschafter nicht.«

Der Angesprochene grinste kurz, ging in die Kabine und kam wenig später mit zwei großen Krügen Bier und einer Karaffe mit Traubensaft zurück.

»So, Herr Botschafter, jetzt können wir anfangen. Sie stehen in Diensten von Camelot, nicht wahr?«

»Mister Tyler, das ist völlig falsch. Ich handle in eigenem Interesse und werde von niemand bezahlt.«

Tyler lachte schallend.

»Ist das eine Spezialität Ihres Volkes, so zu lügen, dass man gleichzeitig die Wahrheit sagt?«

Tyler musterte den Somer und nahm einen großen Schluck Bier.

»Gut, ich verstehe, dass ich einen Vorschuss an Vertrauen geben muss. Ich bin sonst kein Mann großer Reden, doch hören Sie sich bitte mal eine kleine Geschichte an. Sie spielt in der großen galaktischen Politik keine Rolle, aber sie ist für mich und meinen Freund Japar äußerst wichtig.«

Tyler räusperte sich, als ob es ihm unangenehm wäre, weiter zu erzählen.

»Vor vielen Jahren, in einem anderen Leben, betrieben Japar und ich eine kleine Agentur für investigative Ermittlungen. Zu der Zeit waren wir zu viert, Japar und seine Partnerin Roandra, die für die Schreibtischarbeit zuständig war. Dazu ich und Eileen. Immer dann, wenn die planetaren Polizeiorganisationen am Ende ihres Lateins waren oder nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügten, um weiter zu ermitteln, engagierte man uns. Im Lauf der Jahre hatten wir uns einen geradezu legendären Ruf erarbeitet, der dazu führte, dass uns die Durchführung unserer Aufträge immer wieder in die Machenschaften der herrschenden Eliten verwickelte. Kurz gesagt, wir mussten diesen Herrschaften gelegentlich kräftig auf die Füße treten, wovon die natürlich nicht begeistert waren. Schließlich kam wohl irgendjemand zu der Ansicht, dass wir von der Bildfläche zu verschwinden hätten.«

Tyler stockte mit seiner Erzählung und schien tief in seinen Erinnerungen versunken zu sein. Japar klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und fragte: »Soll ich weitererzählen, Sam?« Doch Tyler schüttelte den Kopf.

»Lass nur, Japar, es geht schon wieder. Es sind nur die Erinnerungen … Also gut, der Sitz der Agentur war auf Plophos und dort hielt Roandra die Stellung, wenn wir nicht da waren.

Dann, es war an einem Dienstag im Mai, bekamen wir einen Auftrag. Nichts deutete daraufhin, dass mehr dahintersteckte, als ein normaler Ermittlungsauftrag und so gingen wir in die Falle. Ein plophosischer Industrieller sollte wohl gefügig gemacht werden, man hatte seine vierzehnjährige Tochter entführt und drohte damit, diese an einen Pädophilenring zu verkaufen. Was wir allerdings nicht wussten, war, dass diese ganze Geschichte nichts weiter darstellte, als ein Fake, um uns ans Messer zu liefern. Schon bald fanden wir die ersten Spuren und, in unserer Selbstüberschätzung, bemerkten wir nicht, dass alles viel zu einfach war. Roandra stieß in diesem Zusammenhang im Galaktonet auf die Spur einer Verbrecherorganisation, die anscheinend in den sechziger Jahren auf Terra entstanden war und sich wie eine Krake über die Galaxis auszubreiten begann.«

Tyler stoppte seine Erzählung kurz und fixierte die Augen des Somers.

»Interessiert Sie der Name dieser Organisation, Exzellenz?«

Sam war der Lebensgeschichte des Terraners gespannt gefolgt und nickte zustimmend.

»Nun, den Namen werden Sie sehr gut kennen, wenn meine Vermutung zutrifft, dass Sie für Camelot arbeiten. Es ist die Mordred, die schlimmste Verbrecherorganisation, die die Galaxis je gesehen hat.«

Der Somer begann, wie geistig abwesend, sein Kopfgefieder zu kraulen, während er Tyler mit weit aufgerissenen Augen anblickte.

»Nun Herr Botschafter, möchten Sie immer noch nur die Kultur auf der BASIS studieren?«

Sam schüttelte den Kopf und sagte resignierend: »Sie liegen richtig, Mister Tyler, ich stehe in Diensten von Camelot und gehe einigen Hinweisen nach, die besagen, dass die Mordred demnächst dort eine größere Aktion plant. Aber, das würde mich noch interessieren, wenn es Sie nicht zu sehr belastet, wie ist die Geschichte mit der Entführung weitergegangen?«

»Als Roandra auf die Spur der Mordred stieß, waren Japar und ich leider nicht auf Plophos, da wir in eine andere Richtung ermittelten. Aber Eileen war anwesend und begann leider der Spur auf eigene Faust nach Lepso zu folgen. Sie legte sich eine Tarnidentität als Prostituierte zu und wollte in die entsprechenden Kreise einsickern. Japar und ich folgten ihr so schnell wie möglich, aber wir kamen zu spät. Auf Lepso fanden wir nur ihre fürchterlich zugerichtete Leiche. Man versuchte, uns ebenfalls umzubringen, doch durch Verzweiflung und Wut schafften wir es, zu entkommen. Wir kehrten so schnell wie möglich nach Plophos zurück, doch wir kamen wieder zu spät. Irgendjemand hatte unser Büro total verwüstet und alle Informationen, die Roandra über die Mordred gesammelt hatte, vernichtet. Von ihr selbst fehlte jede Spur. Wir wissen bis heute nicht, ob sie noch am Leben ist. Seitdem versuchen wir, der Mordred in die Suppe zu spucken.«

Galax, Galax über alles

Die kleine Gruppe aus Sam, Tyler und Japar hatte sich ausgesprochen und Sam hatte sämtliche Informationen aufgedeckt, über die er verfügte. Tyler und Japar fungierten weiter offiziell als Leibwächter des Somers.

Inzwischen näherte sich die EMPRES OF OUTER STARS der BASIS. Über das bordinterne Interkomsystem wurde die Möglichkeit angepriesen für nur 5 Galax pro Person den Anflug im Speisesaal, der zu einem Holotheater umfunktioniert worden war, live zu verfolgen.

Sam war über dieses Angebot im höchsten Maße empört und konnte von Tyler nur schwer davon abgehalten werden, sich direkt beim Kapitän über die Ausbeutung der Passagiere zu beschweren. Schließlich beruhigte er sich etwas und war bereit, für die Drei den verlangten Preis zu zahlen.

Wenig später betraten sie den Speisesaal, nachdem sie 15 Galax als Eintritt bezahlt hatten. Der Saal bot einen völlig tristen Eindruck, man hatte einfach die Tische in der Mitte zusammengeschoben und die Stühle um diese gruppiert. Relativ wenige Passagiere verloren sich in dem öden Raum. Die Meisten hatten wohl die Ausgabe in Erwartung der Erlebnisse auf der BASIS gescheut. Im Moment lief eine Werbeshow, wo einzelne Etablissements des alten Fernraumschiffes der Menschheit reißerisch angepriesen wurden. Schließlich war diese zu Ende und eine Holodarstellung des Bedden-Systems entstand über ihren Köpfen. Eine seelenlose Automatenstimme nannte die wichtigsten astrophysikalischen Daten des Systems, Informationen die jeder Passagier sich auch kostenlos über das Galaktonet hätte besorgen können. Eine rote Linie symbolisierte den Kurs des Schiffes, das in einem Winkel von 45 Grad zur Ekliptik in das System eindrang. Immer, wenn dabei die Umlaufbahn eines Planeten passiert wurde, ersetzte die Darstellung dieses Planeten das allgemeine Holobild. So erfuhr man beispielsweise, dass der größte Planet des Systems, Stiftermann V ein Gasriese war, der in einer Distanz von durchschnittlich 171 Millionen km seinen Zentralstern in 587 Standardtagen umlief. Insgesamt war diese ganze Informationsshow stinklangweilig. Einzig gegen Schluss kam etwas Spannung auf, als die schematische Darstellung durch Bilder des Landeanflugs auf Stiftermann III ersetzt wurden. Doch das ging schnell vorbei, die Stimme forderte die »geehrten« Reisenden auf, sich zum Ausschleusen auf Tesscron, dem während der Hansezeit erbauten neuen Raumhafen, bereitzumachen.

Wenig später standen sie in einer langen Warteschlange im Abfertigungsterminal des Raumhafens. Dabei musste Sam durch Tyler und Japar erneut davon abgehalten werden, sich lautstark zu beschweren. Jeder der Passagiere musste eine Hafengebühr von 10 Galax bezahlen. Dazu kam, als Gipfel des Nepps, ein Zwangsaufenthalt von einem Tag mit Übernachtung in einem Touristenhotel, der mit satten 80 Galax zu Buche schlug. Hierbei wurden sie Zeuge, wie ein Passagier sich lauthals bei einem Vertreter der Starfire Brothers beschwerte, da ihm für Hafengebühr und Übernachtung insgesamt 120 Galax abgebucht wurden. Zwei Mitglieder des Ordnungsdienstes brachten seinen Protest jedoch schnell zum Erliegen, indem sie ihn gewaltsam arrestierten und ihn durch Einsatz sogenannter Neuro-Knüppel ruhigstellten.

Tyler erklärte dann Sam, dass für diesen die Reise schon zu Ende wäre, denn er würde die Zeit bis zu seinem gebuchten Rückflug in einer Arrestzelle verbringen, wobei er zusätzlich eine »Aufwandsentschädigung« von 1.000 Galax zu zahlen hatte. Das war genau der Betrag, den jeder Besucher der BASIS im Voraus, bei der Buchung der Reise, an das Konsortium überweisen musste.

Sam, Tyler und Japar checkten in einem Touristenhotel namens Beddens Sun ein, das eine billige Absteige der primitivsten Sorte war.

Epilog

Besuch bei einer alten Freundin

Die TAKVORIAN hatte den Rand eines unbekannten Sonnensystems erreicht, bevor Joak Cascal das SUPERNOVA-Schlachtschiff aus dem Metagrav-Vortex fallen ließ. An Bord herrschte Rätselraten, was der Kommandant des Schiffes hier eigentlich wollte. Cascal war sehr geheimnisvoll geblieben, worin der Sinn und Zweck des Fluges eigentlich bestand. Selbst die Kursdaten für den Metagravflug hatte er eigenhändig in die Bordsyntronik eingegeben und die Navigationsdaten für den allgemeinen Zugriff gesperrt. Selbst die Erste Offizierin Coreene Quon war von ihm im Ungewissen gelassen worden. Nur Sandal Tolk schien Bescheid zu wissen, denn immer wieder überzog ein erwartungsvolles Grinsen das Gesicht des ehemaligen Barbaren von Exota-Alpha.

Das unbekannte System machte einen völlig unzugänglichen Eindruck. Trotz modernster Ortungs- und Tastersysteme konnte die astrophysikalische Abteilung keine Anzeichen eines Planeten feststellen. Unzählige Planetentrümmer, die den Zentralstern kugelförmig umgaben, machten einen Flug in den Innenteil des Systems faktisch zu einem Selbstmordkommando. Cascal hatte Coreene Quon das Kommando übergeben und ihr den ausdrücklichen Befehl erteilt, im interstellaren Raum im Schlafmodus zu warten, bis er und Tolk zurückkämen. Dann waren sie an Bord einer Space-Jet gegangen und hatten einen Kurs gesetzt, der sie mitten durch das Trümmerchaos führen würde.

*

Das Warten an Bord der TAKVORIAN wurde unerträglich. Coreene Quon, die normalerweise die Ruhe in Person war, tigerte voller Ungeduld zwischen der astrophysikalischen Abteilung, der Bordsyntronik und dem Kommandostand hin und her. Schon seit über 20 Stunden waren Cascal und Tolk in dem Chaos aus Planetentrümmern, Planetoiden und Kometen verschwunden, die das System wie ein natürlicher Schutzschirm umgaben. Sie hatte versucht, die Position des Systems zu bestimmen, doch die Syntronik hatte, unter Berufung auf übergeordnete Befehle des Kommandanten, jede Positionsbestimmung anhand der bekannten Pulsare verweigert. Die astrophysikalische Abteilung konnte die Position nur grob einschränken, sie befanden sich irgendwo im Halo der Milchstraße. Über diesen Bereich verfügten die Speicher nur sehr vage Informationen, normalerweise gehörte diese Region zum Herrschaftsgebiet der Posbis.

So vergingen weitere Stunden. Dann war es endlich so weit. Ein kurzer Normalfunkimpuls kündigte die Rückkehr der Space-Jet an. Gespannt begab sich die Erste Offizierin mit einigen anderen Mitgliedern der Brückencrew in den Hanger der Space-Jet. Die Einschleusung war gerade abgeschlossen und der Hangar wieder mit Atmosphäre geflutet. Aus der Bodenschleuse trat zuerst ein über alle Backen grinsender Tolk, der ein kleines Mädchen auf dem Arm trug, ein und danach eine unbekannte Person weiblichen Geschlechts. Den Abschluss bildete der Kommandant, der das Empfangskomitee ebenfalls mit einem breiten Grinsen begrüßte.

Coreene musterte die Unbekannte. Nur ihre eiserne Beherrschung verhinderte, dass ihr beim Anblick der fremden Frau das Gesicht entgleiste.

Cascal grinste seine Erste Offizierin nun regelrecht provozierend an und stellte seine Gäste vor.

»Coreene, darf ich dir Captain a.D. Mary Ann Shekko und ihre Pflegetochter Hope vorstellen.«

Die Plophoserin musterte die Frau nun etwas genauer. Bei Mary Ann Shekko musste es sich um eine umweltangepasste Terranerin handeln, jedoch passte ihr Körperbau zu keiner bekannten Spielart der Umweltangepassten. Sie schätzte ihre Körpergröße auf über zwei Meter, jedoch war die Figur relativ schlank, was weder für Epsaler noch für Ertruser zutraf. Dennoch deutete der ockerfarbene Sichelkamm, der ihr über den breiten Rücken bis zum Gesäß fiel, auf eine Zugehörigkeit zur ertrusischen Völkergruppe. Doch was die Erste Offizierin vor allem empörte, war die aufdringliche Kleidung. Enge schwarze Hosen aus einem lederartigen Material modulierten jeden Muskel unterhalb der Gürtellinie. Darüber trug sie eine Art ärmellose Korsage aus dem gleichen Material, die ihre beachtliche Oberweite nur unvollständig verhüllte. Dazu kam noch eine geradezu martialische Ausrüstung, die an Bord eines Raumschiffes völlig fehl am Platze war. Um die Hüften hatte sie einen Waffengurt geschnallt, an dem die beiden gewaltigen Faustwaffen eine immanente Drohung ausstrahlten. Über der linken Schulter war dann noch der Griff eines Langschwertes sichtbar, das ein normaler Mensch wohl noch nicht einmal mit einer Hand hochheben konnte. Und dann das Gesicht. Die gesamte rechte Gesichtshälfte war durch fünf schwarze Narben verunstaltet, durch die verschiedene Piercings gestochen waren. Auf der linken Seite dagegen spaltete eine schräg verlaufende, schlecht verheilte Narbe die Wange.

Daneben wirkte ihre kleine Pflegetochter wie ein kleiner Engel. Coreene schätzte ihr Alter auf drei bis vier Jahre. Strahlend blaue Augen blickten sich neugierig um, während das niedliche Gesicht von einer wilden Mähne goldblonder Haare umrahmt wurde. Innerlich war Coreene empört, wie konnte es möglich sein, dass einer solchen fragwürdigen Person, wie dieser Shekko, das Sorgerecht für ein kleines Mädchen übertragen wurde? Sie nahm sich vor, mit Cascal ein ernstes Wort zu führen, ein kleines Mädchen gehörte einfach in eine richtige Familie, die es liebte und ihm Moral und Anstand beibrachte, was bei dieser Person bestimmt nicht der Fall sein konnte.

Etwa zwanzig Stunden später

Die Erste Offizierin hatte sich in ihre Kabine zurückgezogen, das ganze Theater war ihr gewaltig auf die Nerven gegangen. Cascal und Tolk waren wieder mit einer Space-Jet ins Innere dieses komischen Systems gestartet und brachten Shekko und ihre Pflegetochter in ihr geheimnisvolles Versteck zurück, nachdem die ehemalige Waffensystemanalytikerin der Solaren Flotte die Gefechtsfeldsteuerungscodes völlig neu aufgebaut hatte. Die anschließenden Simulationen hatten sogar bewiesen, dass die Effizienz der Feuerleitsysteme durch die Neuprogrammierung um ca. 7% gesteigert worden war. Damit waren zwar ihre fachlichen Vorbehalte zerstreut, doch noch immer misstraute sie der Integrität dieser zweifelhaften Person.

Logbucheintrag 2245, Coreene Quon

Auf mein permanentes Drängen wurde ich schließlich in groben Zügen über Imperium Zero aufgeklärt, nur würde ich mit niemanden über die Informationen sprechen können. In diesem Moment war mir klar geworden, dass Welten zwischen dem ehemaligen Solaren Imperium und der heutigen Liga Freier Terraner oder gar Camelot liegen mussten. Es war mir völlig unverständlich, dass vor über tausend Jahren moralisch integre Personen, wie die Unsterblichen, die an der Spitze Camelots standen, zu solchen moralisch fragwürdigen Maßnahmen gegriffen haben sollen, für die diese Shekko, wohlbemerkt mit Unterstützung Cascals, mein Einverständnis eingefordert hatte. Gut, ich hatte dem Druck nachgegeben und zugestimmt, einen Hypnoblock mit einem Psychostrahler zu erhalten, den diese fragwürdige Person, wie durch Magie, plötzlich hervorgezaubert hatte. Das hatte mir übrigens gezeigt, dass sich …

Hä …, welchen Mist schreibe ich da gerade? Imperium Zero? Was für ein Bockmist! Psychostrahler? Die sind doch längst verboten und selbst die Konstruktionsunterlagen vernichtet.

Anweisung Logbucheintrag 2245 löschen, kein Backup! Autorisierung Quon, Erste Offizierin!

 

ENDE

 

 

 

Die weiteren Ereignisse, in deren Mittelpunkt die obigen Personen stehen, werden in Band 19 geschildert. Dabei stoßen Sruel Allok Mok und Will Dean auf eine finstere Verschwörung, die vor Jahren innerhalb der LFT unter den Teppich gekehrt worden ist. Band 19 ist wiederum von Jürgen Freier verfasst und trägt den Titel:

DER WEG DES OXTORNERS

 

 

 

 

Kommentar

In eigener Sache

Zuerst möchte ich mich bei allen Freunden des Dorgon Fanprojekts dafür entschuldigen, dass seit der Veröffentlichung des letzten Bandes der Neuauflage über ein Jahr vergangen ist.

Durch gesundheitliche Probleme war es mir monatelang nicht möglich, konzentriert und fortlaufend an dem Text des vorliegenden Romans zu arbeiten. Ich hoffe jedoch, dass ich diese Probleme überwunden habe und die folgenden Romane, die inhaltlich bereits fertig konzipiert sind, innerhalb eines angemessenen Zeitraums veröffentlicht werden können.

Zur BASIS-Trilogie

Der vorliegende Band leitet eine völlig neu geschriebene Trilogie ein, in deren Mittelpunkt das alte Fernraumschiff der Menschheit, die BASIS, stehen wird. In diesem ersten Band werden die wichtigsten Akteure ausführlich vorgestellt, die auf dem zur Spielhölle umfunktionierten Expeditionsschiff aufeinandertreffen werden. Faktisch wird durch diesen Band das künftige Spielfeld bereitet. Im Mittelpunkt des folgenden Romans wird allerdings, wie es der Titel bereits ankündigt, die Person und der Werdegang einer der gegenwärtigen Aktivatorträger der EA stehen. Durch den dritten Band wird wieder auf die „alten“ Bände übergeleitet, die dann den Abschluss des Mordred-Zyklus bilden werden. Dabei werden wir allerdings einen weiteren gegenwärtigen Aktivatorträger näher kennenlernen.

JF

 

 

GLOSSAR

Will Dean

Der Terraner mit afroamerikanischen Wurzeln stammt aus einer Familie, die zum industriellen Establishment der LFT zählt. Er genoss eine behütete Kindheit, in der es ihm, zumindest in finanzieller Hinsicht, an nichts fehlte. Seine Eltern erwarteten von ihm, dass er nach Abschluss seines Studiums in die Fußstapfen seines Vaters treten würde.

Doch Will war schon in jungen Jahren voller Ideale, er wollte sich unbedingt in den Dienst der Menschheit stellen. So wechselte er nach dem Abschluss des Grundstudiums an die Terrania Space Academy. Dort wurde der TLD auf den jungen Studenten aufmerksam und bot ihm an, ihn nach Beendigung der Ausbildung in den Ligadienst zu übernehmen. Dean willigte ein, da in seiner Kindheit Holoserien über die Abteilung III der Solaren Abwehr zu seinen Lieblingsserien gezählt hatten.

Innerhalb des TLD beginnt er als Agentenanwärter seine Laufbahn und wird Stewart Landry, einem Nachkommen seines Kindheitsidols Ron Landry, zugeteilt. Während der Ausbildung wird sein Mentor zu seinem väterlichen Freund, den er, sehr zum Ärger der TLD-Chefin Gia deMoleon, in allen Belangen zum Vorbild wählt. Zusammen machen beide während der Freizeit die Szenelokale Terranias unsicher und Will verdient sich, wie sein Vorbild, den Ruf eines notorischen Herzensbrechers.

Einen ersten Knick bekommt seine Karriere, als er während eines Einsatzes gegen das Rauschgiftkartell der Galactic Guerdians Grace Silk, die Sängerin der Gruppe Interkosmo, kennenlernt und sich in sie verliebt. Zusammen verbringen sie wilde Nächte und er versinkt, zumindest nach Ansicht deMoleons, im Drogensumpf. Er erhält eine ernste Verwarnung wegen sexueller Bestechlichkeit und wird nur noch für Routineeinsätze eingesetzt.

Doch schließlich ist seine Ausbildung abgeschlossen und seine Abschlussprüfung steht bevor. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der selbständigen Bearbeitung eines gewählten Themas. Nach einer ausgedehnten Zechtour übernachtet er bei seinem Mentor und kann der Versuchung nicht widerstehen, unter Verwendung der Zugangscodes von Stewart Landry in die Datenbanken des TLD einzudringen. Doch Datenschutzprogramme registrieren seinen unautorisierten Zugriff. Damit ist seine Karriere endgültig beendet. DeMoleon übernimmt selbst die Mentoren Funktion und sein Vorbild wird degradiert.

In der Folgezeit wird er an die Sondereinheit Organisierte Kriminalität ausgeliehen und leistet Routinedienst.

·         Geboren: 23.04.1266 NGZ

·         Geburtsort: Philadelphia, USA, Terra

·         Größe: 1.86 Meter

·         Gewicht: 76 kg

·         Augenfarbe: braun

·         Haarfarbe: schwarz

·         Bemerkungen: groß, sportlich, Afroamerikaner, freundliche Ausstrahlung, oft zu Späßen geneigt und macht selbst in gefährlichen Situationen Witze, gerät jedoch durch seine aufsässige Art oft in Schwierigkeiten

 

Romano Nelder

Der Mashrate verbringt seine Kindheit in einem kleinen Dorf, das in finsterer Provinz, weitab der Hauptstadt Vhrataalis, liegt. Im Alter von 8 Jahren wird der Dorfrabmulla auf den aufgeweckten Jungen aufmerksam. Fortan bestimmt die Kirche des Dreieinigen Gottes seinen weiteren Lebensweg.

Nach der Feier des Tuffa-Jab-Jab im Alter von 12 Jahren wird er zur Ausbildung zum Vhratowächter bestimmt und verlässt sein Dorf, um in Vhrataalis weiter ausgebildet zu werden. Dabei wird er zum fanatischen Anhänger der Staatsreligion.

·         Geboren: 12.08.4856 (1269 NGZ)

·         Geburtsort: Namenloses Dorf, Mashratan

·         Größe: 1.72 Meter

·         Gewicht: 62 kg

·         Augenfarbe: grauschwarz

·         Haarfarbe: schwarz

·         Bemerkungen: hager, asketisch, fanatischer Anhänger der Religion, elementare Angst vor der Verführung durch die »Schwarze Mirona«, Hass auf alles Weibliche

 

Celine Ahornd

Aufgewachsen in den Slums von New Amsterdam wurde der TLD 1276 NGZ bei der Zerschlagung einer Mädchengang, wo sie reiche Männer als »Schulmädchen« verführte, die dann brutal ausgeraubt wurden, auf sie aufmerksam. Die Jugendbehörde von New Amsterdam stufte sie als sittlich verwahrlost und nicht resozialisierbar ein. Trotzdem wurde sie in ein Resozialisierungslager eingeliefert, wo man versuchte, ihren Willen mit Gewalt und Psychopharmaka zu brechen. Dabei überwachte und steuerte der TLD die ergriffenen Maßnahmen, um ihre Belastbarkeit zu testen. Man war zufrieden und bot ihr den Ausweg, in den Ligadienst als Sondereinsatzagentin einzutreten.

Unter der unverfänglichen Bezeichnung Sondereinsatzdienst betrieb der TLD, ähnlich wie die Abteilung Null, während der Administrationen Grigor und Eavan staatliche Bordelle und setzte besonders befähigte »Agenten« weiblichen oder männlichen Geschlechts auf besonders interessante »Ziele« an.

Diese Praxis endete erst nach der Wahl Paola Daschmagans zur Ersten Terranerin, die den Sondereinsatzdienst, genau wie die Abteilung Null, als eine ihrer ersten innenpolitischen Maßnahmen auflöste.

·         Geboren: 12.08.1261 NGZ

·         Geburtsort: New Amsterdam, Provinz Europa, Terra

·         Größe: 1.78 Meter

·         Gewicht: 64 kg

·         Augenfarbe: grün

·         Haarfarbe: braun (Natur)

·         Bemerkungen: kalt, sinnlich, berechnend, auf den eigenen Vorteil bedacht, zeigt niemals echte Gefühle, versteht es aber meisterhaft jeden gewünschten Frauentyp zu spielen

 

Die DORGON-Serie ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.  —  Copyright © 1999-2013

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Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf

— Special-Edition Band 18, veröffentlicht am 04.11.2013 —

Titelillustration: Roland Wolf und Raimund Peters • Innenillustrationen: Roland Wolf

Lektorat: Nils Hirseland und Jürgen Seel • Digitale Formate: Jürgen Seel