8.
Die Behandlung

»Prost!«

Das Klacken von anstoßenden Bierkrügen ließ Joak Cascal hochschrecken. Wo war er? Das war definitiv nicht der Verhörraum der Untersuchungskommission. Er befand sich in einer verräucherten, dunklen Kneipe.

»Komm, Joak! Stoß an!«, brüllte ein schwergewichtiger, glatzköpfiger Terraner.

Cascal blickte sich um. Er war umringt von solch grobschlächtigen Terranern.

Du bist Joak Cascal, Gleitermechaniker auf Terra. Das sind deine Freunde. Es ist euer wöchentlicher Stammtisch der Faschistenfreunde Terras.

Cascal schüttelte den Kopf über die Aussage seines Unterbewusstseins. Das stimmte doch gar nicht. Er war Manuel Joaquin Cascal, ehemaliger Oberst der Solaren Abwehr und nun im Dienste Camelots.

»Ich habe so die Fresse voll!«, blubberte der Hüne neben ihm. »Die Außerirdischen stehlen uns unsere Jobs oder leben von Vater Staat. Die meisten arbeiten doch gar nicht, außer in ihren ominösen Muurt-Wurm-Imbissen.«

»Genau!«, rief ein Anderer. »Lasst uns dagegen was unternehmen. Los!«

Die Meute stand auf. Cascal ebenso. Er tat es, wie in Trance. Die Gruppe stürmte heraus und fand in einer Nebenstraße eine jülziische Familie. Ohne Vorwarnung traten sie auf die Blues ein und jubelten dabei.

»Für das Solare Imperium«, rief Cascal und machte mit. Was tat er nur? Das war doch absurd. Das war er nicht. Ein schlechtes Gewissen überkam ihn.

Noch kannst du aussteigen. Sage dich los von Rassismus und Diskriminierung.

Wieder diese Stimme im Unterbewusstsein. Das musste ein Teil dieser Behandlung sein. Sie versuchten ihn zu konditionieren. Er musste sich dagegen wehren. Das Solare Imperium war keine faschistische Bande. Das Imperium hatte große Werte durch die Galaxis getragen.

Ein Schleier legte sich vor seinen Augen. Als er sich lichtete, befand sich Cascal in einem modernen Büro. Eine Menge Gesichter starrten ihn an.

»Was machen wir jetzt, Chef?«, fragte ein Terraner.

Cascal blickte automatisch auf zwei unithische Männer.

»Soso, zwei Alienschwuchteln. Das hat uns noch in unserem Unternehmen gefehlt. Ihr beiden Elefantenhomos könnt eure Perversionen woanders ausleben.«

Cascal grinste.

»Ihr seid gefeuert!«

Die Terraner lachten und freuten sich. Sie applaudierten Cascal zu. Doch das Bild verblasste und Cascal befand sich allein im Raum. Nun fühlte er sich schlecht. Schuldgefühle plagten ihn.

Plötzlich lag er auf einem Bett. Eine Blondine ritt auf ihm und schrie ihre Lust heraus. Bisher das angenehmste Szenario, fand Cascal. Nach dem Akt jedoch, schubste er sie zur Seite.

»Nun hau ab. Bin fertig.«

Sie blickte ihn ungläubig an.

»Hat es dir denn gefallen? Wollen wir nicht kuscheln.«

Was dachte sich diese dusselige Kuh eigentlich? Frauen waren doch nur zum Sex, Kochen oder sauber machen nütze.

»Kannst ja die Küche schrubben«, antwortete Cascal genervt und zündete sich eine Zigarette an. Frauen kamen sich immer so intelligent vor, dabei waren sie völlige Nieten auf der Arbeit und begriffsstutzig. Sie starrte Cascal immer noch verwirrt an. Joak fiel erst jetzt auf, dass ihre linke Brust kleiner war, als die rechte. Er warf ihr ein Nachthemd zu.

»Zieh dich an, bevor mir übel wird.«

Sie fing an zu weinen und rannte aus dem Zimmer. Joak entspannte sich, doch wieder überkamen ihn Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen. Wie konnte er nur so gemein zu dem Mädchen sein?

Sein Unterbewusstsein ermahnte ihn, sich zu bessern. Plötzlich befand sich Cascal wieder vor der Untersuchungskommission. Die Haube fuhr zur Decke und die Formenergiefesseln lösten sich. Cascal schüttelte den Kopf.

Erwartungsvoll blickten ihn die drei Gestalten an.

»Was für ein Schwachsinn. Das war alles? Das ist eure Gehirnwäsche? Keines der Szenarien hätte ich auch nur im Traum gemacht. Vielleicht solltet ihr kapieren, dass nicht jeder Terraner ein finsterer Faschist ist. Das Universum ist nicht nur schwarz und weiß.«

Verständnislos blickten die drei ihn an. Frytzens hämmerte wieder ein paar Notizen in den Rechner.

Cascal stand auf und lief wütend durch den Raum.

»Es ist unbegreiflich. Ihr lebt so, als würden wir uns in einer Zeit vor Perry Rhodan befinden. Wieso hasst ihr die Terraner so sehr? Perry Rhodan und seine Mitstreiter haben über viele Generationen großes geleistet. Längst bevor ich das Licht der Welt erblickte, hatten Rhodan und seine Gefährten aus einem zerstrittenen, egoistischen Völkchen ein vereintes Volk gemacht: Die Terraner! Wie oft hatten die Terraner den anderen Völkern die Hand gereicht? Wie oft die Galaxis gerettet? Euer Selbsthass tut mir für euch leid. Euer Wahn zu einer Gleichheit von allen – bis auf die Menschen offenbar – hat euch blind gemacht.«

Cascal machte eine Pause und atmete tief durch. Er hatte sich in Rage geredet. Doch er glaubte an jedes seiner Worte.

»Terraner, Arkoniden, Blues, Topsider. Mann, Frau, sächliches Wesen: Ganz egal, wir sind alle unterschiedlich. Deshalb ist der eine nicht besser als der andere. Nur halt unterschiedlich. Das wird immer so sein. Und das ist gut so. Wie sind individuelle Wesen, fühlen und denken eigenständig und differenziert. Haben divergierende Vorlieben. Und trotzdem können wir friedlich zusammenleben, wenn wir uns an allgemeine Regeln halten und nicht ständig beleidigt sind und egoistisch nur auf unsere eigenen Rechte pochen.«

Die drei Inspekteure starrten Joak Cascal an, als sei er völlig wahnsinnig. Aber das dachten sie vermutlich auch von ihm.

»Ich bin erst wenige Monate in dieser Epoche, doch sie gefällt mir nicht. Offenbar war die Milchstraße vor diesem Monos schon weiter. Der Weg von Sverigor ist wohl die logische Konsequenz aus der langen Isolation vieler Welten in der Monos-Ära. Aber er ist nicht richtig, sorry Jungs und Mädels. Geschlechter abzuschaffen, Geschichte zu verfälschen, Leuten Gehirnwäschen zu unterziehen und jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken – das ist eine Diktatur. Ihr macht es vielleicht subtiler als der Carsualische Bund oder das Imperium Dabrifa es zu meiner Zeit getan hatten, doch im Endeffekt kommt es auf das gleiche hinaus: die Unterdrückung von Lebewesen. Und ihr maßt euch wirklich an, das Solare Imperium zu kritisieren?«

Cascal spuckte mit Verachtung auf den Boden.

»Halt endlich die Klappe, du perverser Menschenmann!«, brüllte Ranata Colfest. »Was wir hier tun, wird uns in Generationen gedankt werden. Die Terraner sind ein Krebsgeschwür, welches sich tief in die Galaxis verankert hat. Wir bekämpfen es. Wir tragen die schlimmste Last von allen – denn wir sind Menschen. Wir quälen uns durch das Leben und hoffen, mit unseren Taten, zukünftigen Generationen ein Leben in Freiheit, in Frieden, Demokratie und Vielfalt bescheren zu können. Eine Galaxis ohne Imperium Terra und ohne das Kristallimperium. Dein krudes Patriotismus-Gedönse ist abartig, Joak Cascal!«

Nun mischte sich auch Trüttyülin ein.

»Du begreifst eben nicht, Joak Cascal, dass du ein Ewiggestriger bist. Rhodan geht es doch nur um Macht, Kraftmeierei und Machtgier. Dein Gefasel über die Terraner ist doch nur die Verherrlichung der Reinheit der terranischen Rasse!«

»Das ist doch völliger Quatsch!«, begehrte Cascal auf.

»Ist es das ja? Wie oft saßen Rhodan und Bull bei Leberwurststullen und Bier in ihren dunklen Kellern und heckten sadistische Pläne für ihr Imperium aus? Unzählige Male! Rhodan machte immer auf den starken Mann und ihr himmelt euren Gott ähnlichen Führer und Kriegsherr des kosmischen Menschenimperiums immer wieder an. Dabei ging es ihm nur um den Kampf um Lebensraum, die Vernichtung minderwertigen Lebens. Das Solare Imperium und Rhodans kleinkarierte Liebe zur Diktatur, sein Naturgesetz des Kampfes ist nichts weiter als ein Appell an niedere Instinkte. Die Verehrung der Menschheit, Rhodans und des Solaren Imperiums ist ein Zeichen mentaler Rückständigkeit!«

Trüttyülin wirkte echauffiert nach seiner Ansprache. Cascal wusste nicht mehr, was er darauf noch entgegnen sollte. Es war sinnlos. Diese Wesen hatten nichts verstanden. Es war traurig. Vor 1.500 Jahren war Sverigor so eine schöne Welt gewesen. Ja, damals da war sie ein Musterbeispiel für Harmonie und Vielvölkerei gewesen. In einer Zeit, in der es doch immer wieder zu Anspannungen zwischen den Völkern gekommen war, hatte Sverigor eine Vorbildfunktion gehabt. Friedlich hatten Blues, Topsider, Terraner und Arkoniden miteinander gelebt und versucht mit gutem Beispiel voran zu gehen. Doch damals war alles freier gewesen. Die Bewohner Sverigors hatten dieselben Ideale vertreten und einfach versucht, eine bessere Welt zu erschaffen. Die Sverigen waren stolz gewesen, ein Kolonialvolk von Terra zu sein. Sie hatten sich als friedlicher Nebenzweig des Solaren Imperiums verstanden, die eben auf ihre Art und Weise die Zustände in der Milchstraße verbessern wollten. Die Sverigen hatten sich als Botschafter der Terraner gesehen, um all den vielen galaktischen Völkern entgegen zu kommen und die Missgunst zwischen vieler Spezies zu überbrücken.

Ein relativ autarker Planet mit einer wunderschönen Natur war ideal dazu geeignet gewesen.

Was war nur aus dieser schönen Idee geworden? Sie war zu einer totalitären Doktrin verkommen.

Nicht mehr ein friedliches Miteinander zwischen Terraner und den anderen galaktischen Völkern war die Ideologie, sondern ein kontrolliertes Miteinander ohne Menschen.

»Ihr beschämt nicht nur das Solare Imperium, sondern auch die Gründerväter der sverigischen Zivilisation!«

Stille!

Nach einigen Momenten schrillte das Interkom auf. Trüttyülin aktivierte ihn. Nach dem Gespräch tuschelten er und Ranata Colfest etwas. Sie nickte schließlich und wandte sich an Cascal.

»Wider der Empfehlung unseres Arztes entlassen wir dich aus der Untersuchung. Du musst allerdings innerhalb von 24 Stunden Sverigor verlassen. Deine Freunde warten am Ausgang auf dich. Die Sitzung ist geschlossen.«

Ranata Colfest war nun kalt wie ein Eisblock. Trüttyülin erhob sich und verließ mit gesenktem Kopf den Raum, während Frytzens regungslos sitzen blieb und in die Leere starrte. Ein Roboter geleitete Joak Cascal zum Ausgang.

So plötzlich, wie er in Gefangenschaft geraten war, ebenso überraschend war er nun wieder frei. Und tatsächlich erwarteten ihn Sandal Tolk, Aurec und Wirsal Cell.

»Das waren ein paar heftige Stunden«, meinte Cascal.

Tolk schlug im freundschaftlich auf die Schulter.

»Sverigor ist ein Irrenhaus. Wir werden die Welt verlassen müssen.«

Cascal verstand.

»Das Camelotbüro wird gerade geräumt. Die 32 Mitarbeiter werden bis Morgen alles verladen haben«, berichtete Wirsal Cell.

»Wo ist Sanna Breen?«, wollte Cascal wissen.

»Nun, sie unterhält sich mit einem der sverigischen Beamten. Vielleicht kann sie noch etwas erreichen, sonst brechen wir zusammen mit den anderen Camelotern morgen auf«, sagte Aurec.

Cascal gefiel es nicht, dass sie unverrichteter Dinge Sverigor verlassen mussten. Es war bedauerlich, doch offenbar unabänderlich. Diese Generation der Sverigen wollte keine Hilfe und musste erst einmal ihre Identitätskrise bewältigen. Cascal hoffte, dass Sverigor eines Tages wieder zu jenem Paradies wurde, das es früher einmal gewesen war.