10.
Gegen die Zeit

Kaum hatten sie Joak Cascal aus dem Gefängnis geholt, brauste ihnen ein Gleiter entgegen. Sanna Breen stieg aus und eilte auf Aurec, Sandal Tolk, Wirsal Cell und Cascal zu.

Mit kurzen und knappen Worten berichtete sie im kalten Regen von New Stockholm über eine Nanokultur der Korrektheitsbehörde als Waffe gegen die menschliche Spezies und von dem Ultimatum des Silbernen Ritters Cauthon Despair.

Aurec kümmerte der Regen überhaupt nicht, auch wenn er völlig nass wurde. Auch die umherschwirrenden Korrektheitsroboter und die hektische Betriebsamkeit des Verkehrs vor der Vollzugsanstalt scherten ihn wenig.

Durch seinen Kopf geisterte dieser Nano-Virus, der alle Menschen zu Sklaven der sverigischen Korrektheitsbehörde machen sollte. Und er malte sich das Szenario aus, wenn die MORDRED losschlagen würde. Dann brach auf Sverigor wirklich der Terror aus.

»Demnach befinden sich Raumschiffe der MORDRED im System«, vermutete Cascal. »Ich werde die TAKVORIAN in Alarmbereitschaft versetzen und die IVANHOE als auch die LFT informieren.«

Aurec hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie mussten jetzt schnell und konsequent handeln. Nicht nur die vermutlich durch einen Ortungsschutz versteckten Raumer der MORDRED waren eine Gefahr. Die Nanokultur musste vernichtet werden. Sie mussten sicherstellen, dass dieser Virus keine Menschen befiel. Doch was sollten sie tun? Sverigor den Krieg erklären? Aurec konnte das als außenstehender Kanzler eines fernen Sternenreiches sicher nicht tun. Camelot müsste sich vermutlich die Finger schmutzig machen – auch wenn es richtig war, denn auf welches Recht konnte eine Regierung, ein Planet oder eine Administration pochen, wenn es solch einen diabolischen Plan verfolgte?

Auf dem Weg zum Gleiter machte Aurec einen Vorschlag.

»Ich kann euch nicht befehlen, was ihr zu tun habt. Das ist eine Entscheidung von euch Dreien.« Aurec blickte zu Cascal, Sandal Tolk und Wirsal Cell.

»Ich schlage allerdings zwei Versuche vor. Joak und Sandal bereiten ein Kommandounternehmen vor, welches die Forschungseinrichtungen, den besagten Frachter und vielleicht den Hauptcomputer der Korrektheitsbehörde vernichten oder deaktivieren soll. Derweil versuchen Wirsal, Sanna und ich auf diplomatischem Weg etwas zu erreichen.«

Er fasste Sanna Breen an die Schultern. Die nassen Haare klebten an ihrer Stirn.

»Die LFT müsste über eine Blockade nachdenken. Wenn kein Raumer Sverigor verlassen kann, haben wir Zeit gewonnen«, sprach Aurec eindringlich.

Die Terranerin schüttelte den Kopf.

»Die MORDRED wird in knapp 23 Stunden mit ihrem Einsatz beginnen. Despair ist fest entschlossen. Die LFT wird sich niemals so schnell zu einer Entscheidung durchringen, noch ausreichend militärische Präsenz in dieser Zeit in dem System aufbringen können.«

»Rede trotzdem mit ihnen«, forderte Aurec.

Sanna Breen nickte und eilte zum Gleiter. Die Anderen folgten ihr. Johny Unarov saß drinnen.

»Das ist Entführung«, protestierte er. »Ich verlange sofort, zu meiner Behörde gebracht zu werden!«

»Sie haben nichts zu verlangen. Wir werden uns jetzt hübsch zusammensetzen und über den Standort der Nanokulturen unterhalten«, sagte Cascal mit einem süffisanten Grinsen.

*

Johny Unarov erwies sich als äußerst gesprächsbereit. Seine Schmerzschwelle war gering. Es genügte bereits das Muskelspiel von Sandal Tolk. Aurec war froh über diese Tatsache. Sie hatten noch 22 Stunden Zeit. Der nächste Schritt musste ein Gespräch mit den Korrektoren sein.

Unarov war als Kommissar für außerplanetare Angelegenheiten über das Projekt bestens informiert. Die Nanokultur war ein mechanisch-biologischer Virus, der darauf programmiert war, ausschließlich menschliche DNS zu befallen und zu manipulieren. Zuerst sollte das Programm eine Hyperfunkverbindung zu anderen Nanos und dem Zentralrechner der Korrektheitsbehörde aufbauen. Im Anschluss wurden zuerst Daten der Betreffenden gesammelt. Die Manipulation und Kontrolle sollte offenbar schrittweise erfolgen. Die »schlimmsten« Fälle wurden psychisch und physisch beeinträchtigt. Würde jemand negativ über eine andere Spezies denken, so würde er Schmerzen empfinden. Würde jemand stolz auf seine menschliche Rasse sein, würde dasselbe geschehen. Doch die Nanokulturen verfügten über ein größeres Repertoire. Sie würden die Psyche des Trägers so sehr beeinflussen, dass er anfing seine eigene Spezies zu hassen und für die Ideologie der Sverigen empfänglich wurde. War der Geist des Trägers zu stark, so gab es noch einen Todesimpuls, der zur Disfunktion der Organe führte. Die Nanokultur war ebenso für die Zukunft gedacht. Sie sollte Manipulationen in der DNS durchführen. Hierbei gab es zwei Möglichkeiten: Sie manipulierte den Trägerkörper soweit, dass er unfruchtbar wurde – oder sofern er reproduktionsfähig blieb, würde die DNS der Nachfahren verändert werden, so dass aus ihnen unisexuelle, androgyne Wesen entstanden. Hierbei würde sich die Korrektheitsbehörde vorbehalten, welche Variante angewendet wurde. Entweder die komplette Ausrottung der Menschheit in den nächsten Generationen oder die Umformung in eine neue Spezies.

Die Nanokultur verbreitete sich selbstständig und vermehrte sich auch ohne fremde Hilfe. Die Übertragung konnte durch Körperkontakt, Luft, Nahrung oder Berührung von Gegenständen erfolgen. Auf einer Welt wie Terra mit Milliarden von Terranern wäre die Verbreitungsrate enorm. Zumal – so der ursprüngliche Plan – niemand etwas von der Nanokultur erfahren würde.

Völlige physische und psychische Kontrolle des Trägers durch Gedanken- und Genmanipulation. Die Aussicht die menschliche Rasse durch DNS-Umstrukturierung zum Aussterben zu verurteilen oder eine Spezies zu erschaffen, die mental und körperlich den neuen Menschen auf Sverigor entsprach. Das war der perfide, grausame Plan der Korrektheitsbehörde. Aurec konnte nur schwer glauben, dass diese Idee eigentlich von Menschen stammen musste.

Wie groß und tief war der Hass der Sverigen auf ihre eigene Rasse, um so etwas zu billigen? Wie sehr mussten sie von dem fanatischen Eifer beseelt sein, dass die Menschheit die Wurzel allen Übels sei?

Unarov war asteroidenfest davon überzeugt, die Menschen seien krank. Nur die sverigische Lebensweise sei eben korrekt. Die Sverigen hatten nichts von Toleranz verstanden. Eine Gesellschaft konnte nur funktionieren, wenn die Wesen, die in ihr lebten sich respektierten, achteten und sich an eine gemeinsame Leitlinie hielten, welche das Leben miteinander ermöglichte und sicherte, ohne zu sehr die individuellen Freiheiten eines Lebewesens zu beschneiden.

Solch eine Leitlinie, so ein Gesetz musste gehegt und gepflegt werden. Das konnte nur im gegenseitigen Respekt funktionieren. Natürlich musste auf Minderheiten Rücksicht genommen werden, selbstverständlich sollte kein Wesen aufgrund seiner Abstammung benachteiligt werden. Aber mittels einer Diktatur, aufgebaut auf einschnürende Gesetze, Angst, Manipulation und Kontrolle durfte so etwas nicht durchgesetzt werden.

Aurec war ein Fremder in der Milchstraße und nun lag auf einmal das Schicksal der Terraner in seiner Hand. Seine Entscheidungen waren jetzt wichtiger denn je.

Er blickte zu Joak Cascal und Sandal Tolk. Sie schauten ihn neugierig an, wollten offenbar, dass er ihnen sagte, was sie als nächstes planen würden. Aurec atmete tief durch. Was immer er tat, es konnte völlig falsch sein. Doch er musste eine Entscheidung treffen. Was wohl Perry Rhodan jetzt getan hätte?

Sanna Breen kehrte blass von ihrem Hyperfunkgespräch mit dem LFT-Kommissar Cistolo Khan zurück.

»Und?«, wollte Cascal wissen.

Sie stöhnte traurig auf.

»Khan glaubt nicht, dass die Sverigen diesen Plan wirklich umsetzen. Daschmagan will Beweise und mahnt zur Ruhe. Sie möchte das Aussitzen. Immerhin werden sie sverigische Frachter kontrollieren und nicht nach Terra lassen. Die Diplomaten und TLD-Agenten nehmen sich der Sache an.«

Cascal schüttelte unwillig den Kopf.

»Die können Herkunftsdaten von Raumschiffen fälschen. Oder die Sverigen schicken die Nanokultur eben zu einem anderen Planeten.«

»Wir brauchen eine Probe der Nanokultur, damit Wissenschaftler ein Gegenmittel entwickeln können«, schlug Aurec vor.

Er hatte nun eine Entscheidung getroffen. Es war kurios. Vermutlich würde die MORDRED in knapp 22 Stunden ihre Probleme lösen. Doch um welchen Preis? Wenn die MORDRED über genügend Truppen und Raumschiffe verfügte, würden sie vermutlich New Stockholm kurz und klein bomben. Millionen würden sterben. Millionen unschuldige Wesen, denn natürlich wussten die meisten überhaupt nichts von den Plänen der Korrektheitsbehörde.

Sie mussten nicht nur verhindern, dass die Nanokultur Sverigor verlassen würde, sondern auch ein Massaker in der Bevölkerung abwehren. Sie mussten ihren offenkundigen Feind vor einem anderen Feind beschützen, der ihnen in diesem Fall sogar helfen wollte.

Die Zustände in der Milchstraße waren für Aurec verwirrend.

»Unarov, ich appelliere an deine Vernunft und die Fähigkeit, zu erkennen, dass euer Plan Milliarden ins Unglück stürzt. Führe uns in ein Labor. Wir brauchen eine Probe der Nanokultur.«

Johny Unarov zierte sich. Er blickte schmollend zu Boden. Sandal Tolk knurrte kurz auf und packte Unarov bei den Haaren.

»Ich bin nicht so milde, wie der Saggittone. Rede oder dein Schicksal ist besiegelt.«

Aurec wusste nicht, ob es ein Bluff war oder Tolk es wirklich so meinte. Jedenfalls wirkte es bei Unarov, der ohnehin durch das Verhör von Cauthon Despair und Sandal Tolk mitgenommen war.

»Das sind Hochsicherheitstrakte. Da könnt ihr nicht einfach rein. Der Forschungslaborkomplex liegt tief unter der Oberfläche. Sie sind genauso geschützt, wie der Zentralrechner der Korrektheitsbehörde. Doch in meinem Büro gibt es eine umfangreiche Datei dazu. Dort sind alle Informationen gespeichert.«

Tolk ließ Unarov los und nickte zufrieden.

»Also gut, Cascal und Tolk kehren zur TAKVORIAN zurück. Höchste Alarmstufe. Die MORDRED wird sich irgendwo mit einem Tarnfeld im Orbit befinden. Kontrolliert, dass keine Raumschiffe das System verlassen oder registriert sie wenigstens. Hofft auf baldige Unterstützung. Sobald wir die Datei haben, kehren wir zu euch zurück«, lautete Aurecs Plan.

»Keine Verhandlungen mit den Eierköpfen?«, fragte Cascal sarkastisch.

»Später! Wenn wir jetzt mit ihnen reden, sind sie gewarnt. Zuerst die Datei der Nanokultur.«

*

Aurec blickte nervös auf das Chronometer. Nur noch 21 Stunden, bis das Ultimatum der MORDRED ablief. Eine weitere wichtige Überlegung kam nun noch hinzu. Wenn Aurec mit der Korrektheitsbehörde sprach, bestand die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie sofort Raumschiffe mit den Nano-Frachtern losschickte. Immerhin war es offenbar nicht möglich via Hyperfunk den Virus zu versenden. Unarov berichtete jedoch, dass die Wissenschaftler der Korrektheitsbehörde bereits an einer neuen Form der Nanokultur arbeiteten. Sie sollte tatsächlich über das Galaktonet als eine Art Virus durch die angeschlossenen Kommunikationskanäle an Endgeräte wie Interkoms, Picopads oder Syntroniken verteilt werden, um jeden Haushalt zu erreichen. Danach konnten sie leicht vom Kommunikationsgerät eines Trägers auf eben diesen wechseln.

Aurec hoffte, dass den Wissenschaftlern damit kein Durchbruch in den nächsten Stunden gelingen würde. Endlich erreichten sie das Büro von Johny Unarov. Sie kamen problemlos an den Wachen vorbei. Sanna Breen kramte ein Picopad aus ihrer Tasche.

»Ein kleines TLD-Gadget. Auch die LFT verfügt über einige technische Raffinessen.«

Unarov deaktivierte die verbale Kommunikation mit seinem Rechner und suchte manuell die Datei heraus. Nach einigem Zögern öffnete er die Datei und begann mit einer Übertragung an die Syntronik der TAKVORIAN.

»Liebes Johny«, erschallte eine mechanische Stimme im Raum. »Du überträgst geheime Daten. Unterbinde dies sofort.«

Unarov sah Hilfe suchend zu Aurec und Sanna Breen.

»Weiter machen!«, forderte Aurec.

»Ich wiederhole, unterbinde sofort die Datenübertragung. Dein Handeln ist unkorrekt!«

Obgleich die mechanische Stimme des Zentralrechners der Korrektheitsbehörde monoton war, so glaubte Aurec einen bedrohlichen Tonfall heraus zu hören.

»Sie zwingen mich dazu«, kreischte Unarov.

»Verbindung unterbrochen. Unkorrekte Existenz wird terminiert.«

Der Zentralrechner deaktivierte die Verbindung zur TAKVORIAN. Die Datenübertragung war gestoppt. Aus der Decke fuhr ein Energiestrahler. Er zielte auf Unarov. Der Kommissar sprang von seinem Sitz auf, stolperte dabei aber. Er fiel hin. Hastig richtete er sich auf. Da traf ihn der Energiestrahl bereits zwischen die Augen. Unarov war sofort tot.

Aurec deaktivierte ein Signal. Er und Sanna versuchten aus der Schusslinie der statischen Waffe zu kommen, die sich zwar um 360 Grad drehen, aber nur um 45 Grad senken konnte. Doch wenig später öffnete sich die Tür und Roboter der Korrektheitsbehörde stürmen hinein.

»Wir müssen weg«, rief Aurec.

»Noch nicht«, meinte Sanna und starrte auf ihr Picopad.

Die Roboter der Korrektheitsbehörde forderten die beiden zur unverzüglichen Kapitulation auf. Da brach ein Gleiter durch die Fenster. Aurec warf sich zu Boden und zog Sanna Breen mit. Die Korrektheitsroboter eröffneten sofort das Feuer. Der Gleiter fuhr sie einfach um.

Aurec erhob sich und war froh in der Kanzel des Fluggerätes das strahlende Gesicht von Wirsal Cell zu entdecken.

»Können wir jetzt?«, wollte Aurec wissen.

Breen nickte.

»Ich habe die Datei. Das TLD-Picopad hat sie direkt von Unarovs Rechner gezogen. Wir können weg!«

Aurec half Sanna in den Gleiter. Schon schwirrten die nächsten Korrektheitsroboter an. Kaum war Aurec im Gleiter, da brauste Cell auch schon los. Die Roboter schwebten hinterher, erreichten jedoch nicht die Geschwindigkeit des Gleiters.

Allerdings dauerte die Freude nicht lang. Polizeigleiter und größere Roboter hefteten sich an ihre Fersen. Energiestrahlen schossen an ihnen vorbei.

Wirsal Cell steuerte den Gleiter tief durch die Skyline von New Stockholm. Allerdings nahmen die Roboter und Polizisten keine Rücksicht auf Passanten und andere Vehikel.

»Ein paar Kilometer noch«, meinte Cell.

Aurec blickte hinter sich.

»Das denken die sich auch.«

Wirsal Cell funkte die TAKVORIAN an. Es wäre jetzt an der Zeit, zu Hilfe zu kommen. Die orbitale Verteidigung von Sverigor war gering und nicht flächendeckend. Die TAKVORIAN konnte hindurch. Cell steuerte den Gleiter in die Höhe und flog im Zickzack-Kurs in eine Wolkendecke.

Die Robotgleiter und Polizeifluggeräte kamen näher. Ein Energiestrahl traf ihren Gleiter. Er wurde langsamer. Doch weitere Energieentladungen explodierten an einer unsichtbaren Wand.

»Wir haben euch«, krächzte es aus dem Interkom. Es war die Stimme von Joak Cascal. Die TAKVORIAN musste einen Schutzschirm um den Gleiter gespannt haben. Die 25 NIMROD-Jäger und 10 Minor-Globes der KASKAYA-Klasse flogen ihnen unter ständigem Feuer von sverigischen Abwehrforts und Raumern entgegen. Die Polizeieinheiten drehten ab. Der Gleiter erreichte eine Minor Globe und dockte an. Dann zog sich das Geschwader der TAKVORIAN zurück und erreichte unbeschädigt das 1.000 Meter durchmessende Kugelraumschiff.

Die TAKVORIAN nahm an Fahrt auf und verließ den Orbit Sverigors. Die Sverigen brachen nach drei Millionen Kilometer die Verfolgung ab.

Aurec, Wirsal Cell und Sanna Breen hatten inzwischen die Kommandozentrale erreicht und wurden von Joak Cascal und Sandal Tolk begrüßt.

»Gutes Timing«, meinte Breen lächelnd und überreichte Cascal den Picopad mit den Daten der Nanokultur.

»Wir senden die Daten unverzüglich an die IVANHOE. Sie ist nur noch 900 Lichtjahre von Sverigor entfernt«, erklärte Cascal.

»Bitte auch an die LFT. Khan und Daschmagan benötigen diesen Beweis.«

Cascal nickte und gab die Order an seine 1. Offizierin Coreene Quon weiter. Sie waren einen großen Schritt weiter, doch von einer Entspannung konnte nicht die Rede sein. Aurec wusste, was er als nächstes unternehmen musste.

*

Aurec saß in einem Kontursessel in einem Konferenzraum. Vor ihm baute sich das Hologramm der Korrektoren auf.

»Deine Aktionen auf Sverigor werden ein Nachspiel haben. Ein beispielloser Akt des Terrorismus«, begann der Cheborparner.

Aurec winkte ab.

»Spart euch eure künstliche Entrüstung. Wir wissen von euren Plänen mit der Nanokultur. Das Galaktikum dürfte das sicherlich interessieren.«

»Ihr wisst gar nichts!«, stellte ein Blue verachtend fest. »Es ist die Heilung. Nichts kann sie aufhalten.«

»Ihr verkennt den Ernst der Lage. Die MORDRED kennt ebenfalls euren Plan. Der Silberne Ritter Cauthon Despair hat uns über ein Ultimatum gestellt. Ihr habt noch 21 Stunden Zeit, um eure Laboranlagen zu vernichten und alle Nanokulturen zu zerstören. Sonst wird die MORDRED euch angreifen. Wir kennen nicht die Raumschiffstärke der MORDRED, fürchten aber, dass die Bevölkerung von Sverigor in ernster Gefahr ist. Wir müssen handeln! Ich bitte euch inständig, gebt euren verrückten Plan auf.«

»Wir lassen uns nicht von Terroristen und ihren Helfern erpressen. Saggittor, die LFT und Camelot zeigen uns deutlich, wessen Verbündete sie sind. Sverigor nimmt diesen Terrorismus nicht hin. Wir bitten das Galaktikum um sofortige Hilfe und fordern euch auf, umgehend das Sonnensystem zu verlassen, da wir sonst unsere Raumflotte gegen euch einsetzen.«

Das Hologramm der Korrektoren erlosch. Aurec saß eine Weile in dem spärlich beleuchteten Raum und dachte nach. Es war einfach keine Zeit, um diese Situation dem Galaktikum zu übergeben. Er wusste nicht, ob sie tatsächlich ein Gegenmittel für die Nanokultur entwickeln würden. Bis dahin konnte dieser Virus viel Schaden anrichten. Auf der anderen Seite musste unbedingt vermieden werden, dass die MORDRED Sverigor mit Terror überzog. Dass dieser Cauthon Despair keine Flugblätter über die Metropole New Stockholm abwerfen würde, dürfte selbst dem größten Träumer klar sein.

Aurec blickte auf die Projektion des Weltalls um die TAKVORIAN herum. Dort befand sich irgendwo Despair mit seinem Raumschiff. In knapp 21 Stunden würde er sich vermutlich zu erkennen geben.

Joak Cascal meldete sich über Interkom.

»Schlechte Nachrichten. Sverigor schickt uns 25 Raumschiffe entgegen. Weitere 200 Raumer starten ebenfalls. Darunter auch Frachter.«

Der Saggittone atmete tief durch. Er dachte nicht an Flucht. Im Gegenteil, denn die MORDRED war nun gezwungen zu handeln. Jeder Frachte konnte die Nanokultur mit sich tragen.

Aurec eilte in die Kommandostation. Kaum war er dort angekommen, tauchte ein 3.500 Meter großer Kugelraumer über dem Orbit von Sverigor auf. Er schleuste 40 500 Meter durchmessende Raumschiffe aus. Es folgten über einhundert weitere Beiboote zwischen 50 und 250 Meter Durchmesser. Dazu Hunderte Jäger und Space-Jets.

»Das Raumschiff trägt den Namen VERDUN«, stellte Cascal fest.

»Benannt nach einem Ort im Bundesstaat Frankreich. Dort fand vor mehr als dreitausend Jahren eine blutige Schlacht im sogenannten Ersten Weltkrieg statt. Sie ist bis heute ein Mahnmal«, ergänzte Sanna Breen.

So interessant Aurec diesen Exkurs in terranische Geschichte auch fand, er hatte andere Sorgen. Die VERDUN war eine fliegende Festung. Sechs weitere 500 Meter Raumer gesellten sich zu dem Verband. 45 Schlachtschiffe dazu Hunderte Kreuzer, Beiboote und Raumjäger. Die VERDUN war selbst eine kleine Flotte.

Es dauerte nicht lange, ehe das Feuer auf 325 sverigischen Raumschiffe eröffnet wurde. Es war ein Sperrfeuer. Die kleineren Raumer kehrten sofort um, während die 125 Kampfraumschiffe Sverigors in sicherem Abstand im Orbit verharrten.

Der VERDUN-Verband stellte das Feuer ein. Doch zwei kleinere Raumer verließen dennoch den Orbit. Sie kamen nicht weit. Sofort machten sich mehrere Dutzend Kreuzer auf den Weg und vernichteten die zwei Schiffe, ehe sie in den Hyperraum eintreten konnten.

»Wir empfangen eine Botschaft von der VERDUN. Es ist Cauthon Despair«, meldete Quon.

Auf fast jedem Bildschirm in der Kommandozentrale wurde das Konterfei des Silbernen Ritters gezeigt.

»Bewohner Sverigors! Eure Regierung und die Korrektheitsbehörde haben sich schweren Verbrechen schuldig gemacht. Sie wollen mit einem Virus die Menschheit vernichten. Die MORDRED wird das verhindern. Es gilt ab sofort ein Flugverbot. Kein Raumschiff darf den Planeten verlassen. Wir geben der sverigischen Regierung und ihrer Korrektheitsbehörde 20 Stunden Zeit, sämtliche Nanokulturen und Forschungseinrichtungen zu vernichten und uns dies nachzuweisen. Nach Verstreichen des Ultimatums werden wir handeln und mit der Bombardierung militärischer und wissenschaftlicher Einrichtungen sowie allen Anlagen der Korrektheitsbehörden beginnen.

Sollten Raumschiffe den Orbit passieren, werden sie ohne weitere Vorwarnung vernichtet.«

*

»Nur noch 15 Stunden«, murmelte Cascal müde.

In den letzten fünf Stunden hatte der MORDRED-Verband mit der Störung des Hyperfunks begonnen. Satelliten und Relaisstationen waren vernichtet worden. Raumforts und Abwehranlagen waren ebenso zerstört worden. Sverigor war der einzig bewohnte Planet des Malmö-Systems. So hatten die MORDRED-Schiffe ein relativ einfaches Einsatzszenario, sie mussten nur Sverigor blockieren.

Aurec und die anderen waren zu Statisten degradiert. Sie konnten nichts unternehmen. Die TAKVORIAN hatte keinerlei Chance gegen die VERDUN und ihre Beiboote. Die sverigische Flotte war ebenfalls zu schwach. Ihre größten Raumschiffe hatten gerade Mal den Durchmesser der 45 Großbeiboote der VERDUN.

Selbst mit der Feuerkraft der nahenden IVANHOE konnten sie immer noch nichts ausrichten. Vermutlich hätten sie zusammen mit der sverigischen Heimatflotte die Beiboote in Schach halten können. Doch die VERDUN war zu gigantisch. Sie hätten eine weitaus höhere Anzahl von Großkampfraumschiffen gebraucht – über die weder die LFT noch Camelot verfügte. Und das arkonidische Kristallimperium würde vermutlich wohl kaum zur Hilfe eilen. Es hieß zwar inzwischen, die LFT würde eine Untersuchungsflotte entsenden, doch es würde noch einige Stunden oder gar Tage dauern.

Als letztes Mittel hatte Aurec vor einer Stunde der VERDUN eine Nachricht mit allen Informationen zur Nanokultur übermittelt. Er hatte dies mit der Bitte verbunden, von militärischen Aktionen abzusehen und sich mit einer Blockade zu begnügen, während die Wissenschaftler an einem Gegenmittel arbeiteten.

Doch bisher hatte die TAKVORIAN noch keine Antwort von dem Superkampfraumschiff der MORDRED erhalten.

Die IVANHOE erreichte inzwischen das Malmö-Sonnensystem. Der Kommandant Xavier Jeamour, die Bordärztin Jennifer Taylor und der Wissenschaftsoffizier Lorif wurden per Transmitter auf die TAKVORIAN abgestrahlt.

Cascal, Tolk, Aurec und Breen empfingen die drei aus dem Schwesterschiff. Ohne einen großen Austausch von Förmlichkeiten begann die Ärztin mit dem blonden, kurzen Strubbelhaar und den leuchtenden blauen Augen mit ihrer Analyse.

»Es ist ein gut durchdachtes biomechanisches Programm. Wir werden sicherlich ein Mittel dagegen finden, doch das kann Wochen oder gar Monate dauern. Auch wenn die MORDRED den Hyperfunk von Sverigor aus blockiert, wie man mir gesagt hat, so besteht die Gefahr, dass bei einer Verbreitung der Nanokultur diese selbst die Initiative ergreift und Millionen Menschen schweren physischen und psychischen Schaden zufügt.«

»Neben einer medizinischen Behandlung und einem Serum wären Präventivmaßnahmen eine potenzielle Maßnahme. Individualabtaster könnten die Nanokultur bei einem Scan entdecken«, fügte der Posbi Lorif hinzu.

Die Erkenntnisse brachten sie nicht weiter. Es würde nicht ausreichen, um die MORDRED zu besänftigen. Aurec verfluchte sich. Hätte er doch nicht die SAGRITON nach Hause geschickt, um Verstärkung zu holen.

»Sendet pausenlos Funksprüche an die sverigische Regierung und die MORDRED. Für müssen einen Kompromiss aushandeln. Das ist die einzige Chance, eine Katastrophe zu verhindern«, schloss Aurec die Konferenz.

Mehr konnten sie nicht tun. Es lag nicht in ihren Händen, sondern in denen der MORDRED und Sverigors.