»Guten Tag, Existenzen«, begrüßte der Jülziisch Aurec, Joak Cascal, Sandal Tolk, Wirsal Cell und Sanna Breen am Spaceport »Toleranz« von New Stockholm.
Es war sauber hier. Alles strahlte in einem fröhlichen weißgelb. Die Wände und der Boden waren blitzblank geschrubbt. Viele Pflanzen zierten den Weg mit den Rollbändern vom Gateway zum Check-in. Zuerst wurde ein kurzer Blick auf ihre Ausweise getätigt.
»Ihr seid angekündigt und als Wochengäste vermerkt. Am Ausgang B3 wartet die Korrektheitsbehörde auf euch. Bevor ihr jedoch diesen Weg beschreitet, möchte ich darauf hinweisen, dass ihr zuvor ein Einführungsvideo unserer Welt mit den wichtigsten Regeln anseht. Es dauert nicht lange, doch es ist Pflicht.«
Joak Cascal seufzte.
»Auf das Video bin ich schon gespannt.«
Er kramte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hose, doch bevor er den Glimmstängel anzünden konnte, fiepte der Jülziisch auf und hob erschrocken die sechsgliedrigen Hände.
»Rauchen ist auf Sverigor verboten!«
»Echt jetzt?«, fragte Cascal irritiert.
»Selbstverständlich.«
Cascal räusperte sich und steckte die Zigaretten wieder in die Tasche, doch damit war der Blue nicht zufrieden. Er streckte die Hand aus. Cascal verstand und übergab dem Jülziisch die Schachtel.
»Ihr werdet natürlich vor Verlassen des Raumhafens eingehend kontrolliert. Neben Zigaretten sind ebenfalls alle Formen von Alkohol verboten. Bewusstseinserweiternde Drogen sind erlaubt. Ferner ist es untersagt religiöse Bücher, Symbole oder Datenträger mitzubringen. Ebenso sind faschistoide Kleider und Symbole verboten, ebenso alles, was die Kulturen der Sverigen verletzen könnte.«
Aurec wechselte mit den anderen einen vielsagenden Blick. Es gab hier eine Menge Vorschriften. Der Kanzler der Saggittonen begab sich mit den vier Terranern in einen Vorführraum. Zu heiterer, verzerrter Marschmusik stolzierte ein Strichmännchen über das Trivid.
»Das ist Perry Rhodan«, sagte eine dumpfe Stimme. »Imperialist, Faschist und Diktator der Erde. Und außerdem hat er nur einen ganz kleinen Perrylein und ist sonst auch nicht der Hellste im Kosmos.«
Dann kam ein rundes Männchen, welches der Erzähler als Reginald Bull vorgestellte. Sie sahen die Begegnung mit den Arkoniden und in einer Kurzform die »Eroberung der Erde unter dem Regime Rhodan.«
»Die Rhodanisten unterjochten die Völker der Erde und zwangen sie im Gleichschritt zu marschieren. Sadistische Mutanten quälten die Gegner und sorgten für Angst und Unterdrückung. Das Motto der Rhodanisten war. Erst schießen, dann fragen.«
Joak Cascal bekam nun einen Hustenanfall, während Wirsal Cell sarkastisch kicherte.
»Es gab keine politische Opposition und das Rhodan-Reich wurde mittels moderner Technologie, skrupelloser Führung und grenzenloser Intoleranz innerhalb weniger Jahre errichtet. Es wurde keine Rücksicht auf kulturelle Besonderheiten, religiöse Anschauungen und die finstere Vergangenheit der Erde zu dieser Zeit genommen. Rhodan setzte den Plan des Weltreiches um und vollendete das, was der Diktator Adolf Hitler nur wenige Jahrzehnte vorher angestrebt hatte. Fortan überzogen die Terraner in Windeseile die Milchstraße mit Krieg. Sie sorgten mit ihrer Einmischung für eine Eskalation in einer eher harmlosen Grenzstreitigkeit zwischen Topsidern und Ferronen. Schändlich mischten sie sich in das Leben der Jülziisch ein, raubten ihnen Ressourcen und führten einen Expansionskrieg unter Rhodans Führung. Der Führer des Universums griff die Akonen mitten in ihrem Sonnensystem an und startete einige Jahrhunderte später seinen größten Clou: Der Krieg gegen die Nachbargalaxis Andromeda. Ohne Rücksicht auf Verluste brachte er damit auch die Existenz der friedlichen und zurück gezogen lebenden Uleb in größte Gefahr, die schließlich zum Krieg genötigt wurden. Doch wie so oft endete es im Völkermord. Unter Rhodans Regie wurden ganze Zivilisationen ausgelöscht.
Über 1.500 Jahre währte die Schreckensherrschaft des faschistischen Solaren Imperiums. Und besonders extraterrestrische Völker litten darunter. Rhodan stahl von ihnen die Technologie, erweiterte sie und setzte sie schließlich gegen sie ein. Erst durch die – zugegeben ebenso diktatorische Einmischung – der Laren wendete sich das Blatt. Die Pariczaner, ein Kolonialvolk der Mehandor, –von Terranern verächtlich Überschwere genannt – versuchten für Ruhe und Ordnung so sorgen. Doch Rhodans Schergen wie Atlan kämpften dagegen an.«
Aurec wusste nicht, ob er lachen sollte oder sich vor Grausen abwenden sollte. Die geradezu infantilen Zeichnungen huschten über das Bild. Überall floss Blut, explodierten billig erstellte Kugelraumer. Der Erzähler prangerte den Größenwahn Rhodans an und sprach von einer Episode des Friedens zu Beginn der Neuen Galaktischen Zeitrechnung. Natürlich sei die keineswegs Rhodans Verdienst gewesen. Doch dessen Habgier und Wunsch, das Universum zu erobern ließ die Milchstraße in die Dunkle Monos Ära fallen.
Monos war in der jüngeren Geschichte der Dreh- und Angelpunkt in der Milchstraße gewesen. Fast 700 Jahre lang war die Milchstraße von ihm beherrscht worden. Das Video verschwieg natürlich, dass Perry Rhodan maßgeblich an der Befreiung der Galaxis beteiligt war. Nach weiteren Schmähungen gegen die Unsterblichen und das Solare Imperium kam das Video offenbar nun zum Kern des Themas.
»Sverigor ist eine emanzipierte Welt. Wir haben uns von den faschistischen, archaischen terranischen Traditionen losgesagt. Vielmehr noch, wir haben uns komplett von den Menschen befreit. Wir haben Rassenhass und Diskriminierung besiegt. Toleranz, Frieden, Freude, strebsames Arbeiten, eine gesunde Umwelt und eine bunte, vielfältige Gesellschaft prägen den Vielvölkerplaneten Sverigor. Darauf sind wir stolz.«
Nun hüpften allerlei Strichwesen auf die Leinwand. Blues, Cheborparner, Topsider, Swoon und einige Völker, die Aurec noch nicht kannte. Sie tanzten glücklich durch die Gegend und es regnete bunte Blümchen.
»Wir sagen: Faschos raus! Rhodanisten raus! Lindgrüne raus! Hier ist kein Platz für Rassismus, Diskriminierung und Imperialismus!«
Nun kamen Perry Rhodan, Reginald Bull und der arkonidische Imperator Bostich ins Bild. Die anderen Sverigen stellten sich ihnen gegenüber. Statt Blümchen regnete es nun etwas Braunes auf Rhodan, Bull und Bostich. Diese fielen um, während die anderen lachten. Mit gesenkten Köpfen und voll der braunen Flüssigkeit triefend schlurften die drei »Schurken« aus dem Bild.
»Herzlich willkommen auf Sverigor. Bring Frieden, Liebe und Toleranz in unsere Gemeinschaft, dann bist du willkommen. Eine ausführliche Anleitung mit den Gesetzen und Regeln wird dir am Ausgang ausgehändigt. Wir wünschen einen wundervollen Aufenthalt.«
Damit endete dieses spezielle Video.
»Die haben doch nicht mehr alle Latten am Zaun«, murmelte Cascal und stieß einen Pfiff aus.
»Andere Welten, andere Sitten«, stellte Wirsal Cell fest und erhob sich ächzend.
Aurec war noch ganz verwundert über dieses Video. Er musste lernen, dass die Terraner offenbar sehr unterschiedlich waren und nicht dieses Gemeinschaftsgefühl hatten, welches die Saggittonen miteinander verband. Nie hätten Trötter, Holpigons, Multivons oder Varnider sich nicht als Saggittonen, als Mitglieder der Gesellschaft Saggittors gefühlt. Und nie hätte eine breite Masse an Saggittonen nichtmenschliche Wesen als minderwertig betrachtet. Natürlich gab es auch Ausnahmen. In jeder Gesellschaft gab es Andersdenkende. Hier jedoch schien die gesamte Bevölkerung einen Hass gegen Menschen entwickelt zu haben. Auf dem Weg zum Ausgang blitzten Hologramme an der Wand auf. Das Logo der LFT wurde in einem roten Kreis mit einem Strich durch die Mitte gezeigt. Cascal erklärte dem Kanzler Saggittors, dass dies ein Symbol gegen die Existenz der LFT war. Auch das Emblem der Arkonide fand sich in so einem durchgestrichenen Kreis wieder.
Aurec verstand die Ablehnung gegen totalitäre Systeme. Die LFT und das Kristallimperium gleichzusetzen, schien ihm jedoch übertrieben. Die Denkweise zu vereinfachen, Dinge in Schubladen einzuordnen, das war auch die Methode eben solcher Diktaturen. Endlich erreichten sie den Ausgang. Dort wurden sie bereits von einem kugelförmigen, etwa fünfzig Zentimeter durchmessenen Roboter sowie einem Jülziisch und einem Cheborparner empfangen. Das gehörnte Wesen mit den drei Nasenlöchern zeigte ihnen einen Ausweis.
»Wir geleiten euch direkt zum Kommissariat für außenplanetare Angelegenheiten«, sagte das Wesen mit dem drahtigen, grauschwarzen Fell.
Sie wurden zu einem gelbgrünblau gespritzten Gleiter geführt. Der Flug durch den angrenzenden Stadtteil dauerte zwanzig Minuten. Aurec sah aus dem Fenster und betrachtete die Straßen, Flugbahnen und Gebäude. Optisch unterschied sich die Hauptstadt Sverigors wenig von anderen modernen Metropolen. Die Architektur war abwechslungsreich. Charakteristische arkonidische Trichterbauten, terranische rechteckige Hochhäuser und Pilzgebäude wechselten sich mit jülziischen Kuppelbauten ab. Hier im Zentrum der Stadt war alles dicht besiedelt. Außerhalb der großen Metropolen waren die Gebäude flacher und weiträumiger angelegt und im größeren Einklang mit der Natur.
Sie hielten an einer Ampel. Rechts von ihnen lief auf einer schwebenden Leinwand der Trailer zu einer Trivid-Soap namens »Ürübryn – Das Retter von Terrania City«. Ein maskierter Blue mit allerlei technischen Ausrüstungsgegenständen und sein swoonischer Begleiter bekämpften das Unrecht in Terrania City. In dieser Episode schien es gegen gewissenlos, hirnlose Neofaschisten des Solaren Imperiums zu gehen, die kleine jülziische Kinder zwingen wollten, bei ihren Eltern zu bleiben, anstatt in eine Kinderbetreuungsstelle zu gehen.
Auf dem Video sah Aurec eine Reihe glücklicher Kinder in solch einer Einrichtung, während die Kinder zuhause traurig, allein gelassen und unbeholfen wirkten.
»Rassismus, Sexismus, Genderismus – den Terranern ist nichts heilig, denn eine skrupellose Behörde zwingt jülziische Familien archaische Traditionen auf. Doch Ürübryn wird sie retten!«
Der Gleiter fuhr weiter. Aurec dachte eine Weile über diese Serie nach. In Saggittor wäre es eher umgekehrt ein Verbrechen gewesen. Die Saggittonen schätzten und liebten das Familienleben. Sie empfanden es als Segen und Ehre, sich um die heranwachsenden Kinder zu kümmern. Die Frauen freuten sich darauf. Und sie konnten ganz schön grantig werden, wenn man sich in die Erziehung einmischte. Aurec fand, dass ein junges Kind zu seiner Mutter und zu seinem Vater gehörte. Aber die Sverigen vertraten eine andere Auffassung.
Sie erreichten nun das schmucklose Regierungsgebäude. Es wirkte im Vergleich zu anderen Gebäudekomplexen und vergleichbaren Palästen anderer Regenten eher spartanisch. Ein großes, weißes Gebäude mit einer Kuppel auf dem Dach. Der Cheborparner, der Jülziisch und der Roboter der Korrektheitsbehörde eskortierten sie in das Gebäude. Joak Cascal blieb vor einer Informationsprojektion stehen.
Aurec sah es sich genauer an.
Emanzipiere dich von der Last der Geschlechter. Gendering jetzt! Melde dich an und werde zu einer wahren unisexuellen Existenz Sverigors und leiste deinen Beitrag im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung.
Aurec schmunzelte, während Cascal irgendwie fassungslos wirkte.
»Wenn sie sich so wohl fühlen, ist es ihre Entscheidung«, meinte der Saggittone und zupfte an Cascals Ärmel.
»Vor 1.500 Jahren waren die Frauen hier noch stolz Frauen zu sein. Und was hatten die für hübsche Mädels hier…«
»Achtung. Individuum Joak Cascal wird mit einer Strafe von 50 Galax belegt«, schnarrte der Korrektheitsroboter.
»Was? Wieso?«
»Du hast das Wort Frauen benutzt. Dies steht auf dem Verbotsindex der Sverikette. Das Wort Frau ist abwertend und diskriminierend, da es ein Geschlecht spezifiziert. In deinem Fall war es sogar noch mit chauvinistischen Äußerungen verbunden, der ein weibliches Wesen als sexuelles Objekt degradiert.«
Der Veteran aus dem Solaren Imperium lief rot an. Er setzte zu einer Antwort an, doch seine Lippen blieben versiegelt. Aurec war froh darüber, sonst würde Cascal vermutlich noch ein Vermögen verlieren. So reichte er dem Roboter 50 Galax.
»Bargeld existiert auf Sverigor nicht und ist verboten. Jedes Individuum verfügt über eine bargeldlose Karte, die im Handgelenkt implantiert wird. Diese ist in der Regel mit der Korrektheitsbehörde verbunden, so dass die Abbuchung automatisch vorgenommen wird. Besucher können sich im Tourismuszentrum eine solche Karte bestellen und aufladen«, erklärte der Roboter.
»Und was soll ich jetzt machen?«, wollte Cascal wissen.
»Ich nehme dich in Arrest, bis die Summe zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr bezahlt wird. Folge mir bitte, Existenz Joak Cascal.«
»Der spinnt wohl? Ich gehe nirgendwo hin.«
Der Cheborparner mischte sich nun ein und versuchte den Korrektheitsroboter zu überreden, Milde walten zu lassen. Der Jülziisch hingegen blickte auf sein Chronometer und seufzte schrill.
»Wir haben Termine einzuhalten«, wandte er sichtlich genervt ein.
»Wie wäre es, wenn Sie bitte auch mit dem Blechding reden, Herr Blue?«, gab Cascal verärgert von sich.
»Achtung!«, schnarrte der Roboter erneut. »Du hast das Wort Blue benutzt. Es ist eine Beleidigung gegenüber Sverigen mit jülziischen Migrationshintergrund. Deine Strafe wird auf 5.000 Galax erhöht.«
Der Jülziisch gab einen Klagelaut von sich und wirkte ziemlich bestürzt.
»Wie kann man mich nur so krude beleidigen? Es war ja nichts anderes zu erwarten von einem Relikt aus dem Faschismus. Mir wird ganz übel bei allen lindgrünen Kreaturen des Rassismus.«
»Jetzt kann ich auch nichts mehr für die Existenz tun«, murmelte der Cheborparner.
Nach einigen Momenten erreichten sechs weitere Roboter mit gezückten Strahlern die Gruppe. Aurec blickte die anderen an. Sandal Tolk wirkte so, als würde er am liebsten auf die Roboter einprügeln. Die Situation drohte zu eskalieren.
»Wir sind in diplomatischer Mission unterwegs. Aufgrund der Vielzahl möglicher Beleidigungen auf dieser Welt und die mangelnde Vorbereitungszeit aufgrund der ernsten Situation sind uns diese Fehler unterlaufen. Ich entschuldige mich in aller Form im Namen meiner Gruppe«, sagte Aurec eindringlich.
Doch die Korrektheitsroboter beharrten auf die Festnahme.
»Schon gut, ich gehe mit. Holt mir nur schnell da wieder raus«, meinte Cascal.
Umgegeben von den Robotern wurde er in einen anderen Gleiter gebracht. Bedrückt blickten Aurec, Tolk, Sanna Breen und Wirsal Cell ihrem Gefährten hinterher.
»Da das nun geklärt ist, das Kommissariat für außerplanetarische Angelegenheiten erwartet euch nun. Wir sind schon spät«, gab der Jülziisch unfreundlich von sich. Aurec biss sich auf die Lippen. Jede Antwort hätte ihn vermutlich gleich in Cascals Nachbarzelle gebracht.
*
Das Büro des Kommissars für außerplanetarische Angelegenheiten war farbenfroh eingerichtet. Die Möbel waren weniger praktisch, als für die Optik erschaffen worden. Sandal Tolk hatte Probleme auf den seltsam gewundenen Stühlen Halt zu finden.
Aurec blieb stehen. Nach fünf Minuten betrat der oder das Sverige den Raum. Der Kommissar trug ein Kleid mit rotgelb irisierenden Blümchen. Aurec schätzte ihn als Mann ein, als er der fein geschnittene Bart und das maskuline Gesicht betrachtete. Allerdings wies der Kommissar auch eine beträchtliche Oberweite auf. Aurec vermutete, dass es sich um einen unisexuellen Sverigen handelte. Der Kommissar stolzierte auf den klackernden Stöckelschuhen zu einem Sitzplatz und ließ sich echauffiert hinein fallen. Dabei entblößte er im Schritt mehr, als Aurec jemals sehen wollte. Zweifellos war der Sverige ein zweigeschlechtliches Wesen. Diese universelle Geschlechtsform sollte vor Diskriminierung und Ungleichheit der Geschlechter sorgen. Statt Mann und Frau gesellschaftlich gleichzusetzen, schaffte man sie einfach langsam auf Sverigor ab. Aurec hatte nichts dagegen, jedes Wesen sollte so leben, wie es am besten für es war. Allerdings waren die Saggittonen sehr naturverbunden. Er empfand es geradezu als Sünde gegen die Natur, diese Ordnung durch genetische Manipulation abzuschaffen. Denn die Natur hatte sich vermutlich etwas dabei gedacht, bei vielen Völkern Männlein und Weiblein einzuführen – und bei anderen Rassen eben andere Voraussetzungen zu schaffen. Doch je höher der technologische Sachverstand, desto geringer die Demut vor der Natur und je größer wurde die Versuchung, selbst Gott zu spielen.
Der Kommissar schwieg. Aurec stellte sich und seine Gefährten vor. Der Sverige betrachtete unbeeindruckt seine rot lackierten Fingernägel.
»Einer unserer Män …«, Aurec brach ab und setzte von vorne an. »Die Existenz Joak Cascal wurde inhaftiert. Ich fordere umgehend die Freilassung.«
Der Sverige hüstelte.
»Mein Name ist Johny Unarov. Ich bin das leitende Kommissariat für außerplanetarische Angelegenheiten und stellvertretendes Leiteres für den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung durch nichtsverigische Lebensformen auf unserer Welt.«
Unarov schlug die Beine umständlich übereinander und wippte auf dem Modestuhl hin und her.
»Die Erlaubnis, euch einen Besuch auf unserer Welt zu erlauben, war unserer Friedfertigkeit und Toleranz geschuldet. Doch innerhalb weniger Minuten auf Sverigor habt ihr uns beleidigt und aufgeführt, wie wilde Terraner. Ich bin einerseits erfreut, die Bekanntschaft mit das Regierungsoberhauptes von Saggittor zu machen, doch zutiefst bestürzt und erschrocken über die kruden Worte dieses Joak Cascals. Das arme Jülziisch stand kurz vor einer Herzattacke. Könnt ihr euch das vorstellen?«
Unarov seufzte laut.
»Ein Jülziisch würde euch ja auch nicht einfach als Tsi-yhü`iitschyn bezeichnen. Die Korrektheitsbehörde möge mir vergeben. Wir sagen klar nein zum Rassismus. Das hätte dieses Cascal auch vorher wissen müssen.«
Sanna Breen stellte sich neben Aurec und flüsterte ihm die Bedeutung des Wortes Tsi-yhü`iitschyn ins Ohr. Es hieß auf Jülziisch so viel wie Bleichhäutige ohne Pelz und war vorwiegend eine Bezeichnung für Terraner und andere Lemurerabkömmlinge.
»Bei allem Respekt. Es geht hier um wichtigeres als die Gefühle eines Jülziisch! Die Terrororganisation MORDRED agiert vermutlich auf dieser Welt und wird versuchen, die Niederlassung Camelots zu vernichten. Es sind Mörder, die keine Skrupel zeigen, Unschuldige zu töten. Deshalb sind wir hier«, sagte Aurec scharf.
Doch Johny Unarov schien weiter wenig beeindruckt zu sein.
»Uns ist davon nichts bekannt. Vielleicht hat die MORDRED ja auch einen Grund gegen die verbrecherische Unsterblichenorganisation vorzugehen.«
Unarov kicherte kurz, dann wirkte er oder sie wieder so ernst und teilnahmslos, wie zuvor. Aurec hatte langsam genug von diesen Albernheiten.
»Ich verlange den Staatschef sofort zu sprechen. Ich bin Kanzler einer Galaxie. Ich gebe mich nicht mit irgendwelchen inkompetenten Untergebenen ab!«
Aurec hasste es, so aufzutreten, doch es blieb ihm nichts anderes übrig. Mit Johny Unarov kamen sie nicht weiter. Der Kommissar sprang nun auf und fuhr sich durch das schwarze, glatte Haar.
»Wer mit der Regierung spricht, entscheide ich. Ihr Menschen glaubt immer, dass alle nach eurer Pfeife tanzen müssen. Doch das ist nicht so. Sverigor ist eine autonome, autarke Welt. Hier entscheidet keine LFT, kein Kristallimperium und auch kein Chauvinist aus einer fremden Galaxis. Wir sind offen für alle friedliebenden Kulturen, doch die Saggittonen scheinen nicht dazuzugehören.«
Johny Unarov drehte sich demonstrativ weg von der Gruppe. Sandal Tolk stieß ein verächtliches Grollen aus. Sanna Breen und Wirsal Cell wirkten ratlos.
»Nun denn, die sverigische Gastfreundschaft scheint ja offenbar nur ein Gerücht zu sein. Wir bezahlen dann die 5.000 Galax und werden das Camelotbüro auflösen.«
Aurec blickte fragend zu Wirsal Cell, der mit einem leichten Nicken sein Einverständnis signalisierte. Für Aurec gab es hier keine Möglichkeit mehr, etwas zu erreichen. Dieser sture Sverige wollte ganz offensichtlich nicht einmal ansatzweise über die Gefahr durch die MORDRED sprechen. Doch ausgerechnet Sanna Breen wagte einen letzten Versuch. Sie schob sich sanft an Aurec vorbei und räusperte sich.
»Ist das Kleid aus Linar-Seide? Sieht wirklich hübsch aus. Ist schön, dass das wieder in Mode gekommen ist.«
Unarov drehte sich um und blickte Sanna schmollend an.
»Ja, ist Linar-Seide. Ein Traum auf dem Körper.«
Breen lächelte.
»Siehst du, wir sind gar nicht so unterschiedlich. Ich mag Linar-Seide auch. Wir brauchen wirklich die Hilfe von Sverigor und ihr die unsrige. Die MORDRED darf nicht unterschätzt werden. Das sind Faschisten und Imperialisten der aller schlimmsten Sorte. Die MORDRED hat ganz bestimmt etwas gegen unisexuelle Menschen.«
Johny Unarov wirkte nachdenklich. Immer wieder spielte er mit dem seidenen Kleid.
»Die LFT hat sicher ihre Fehler. Aber wir akzeptieren die sverigische Lebensweise. Darum sind wir doch hier. Wir wollen nicht, dass der Terror der MORDRED sich auf euren Planeten ausweitet«, erklärte Sanna Breen.
Aurec war über die diplomatischen Künste der LFT-Profilerin überrascht. Die Waffen einer Frau waren nicht zu unterschätzen, auch wenn er das auf Sverigor niemals laut sagen durfte. Doch seine Gedanken waren frei.
»Ich werde mal sehen, was wir tun können. Am besten ihr regelt das erst einmal mit eurer Existenz Joak Cascal. Tauscht euer Bargeld in einer Bank ein. Ihr erhaltet dann den Chip. Anschließend sucht mich wieder auf.«
»Vielen Dank«, sagte Sanna Breen und schenkte dem Sverigen ein breites Lächeln.
Aurec konnte sich nicht mehr als zu einem knappen Nicken hinreißen lassen.
*
Die Nacht war schwül. Cauthon Despair bekam davon in seinem temperierten Kampfanzug nichts mit. Allerdings informierte ihn die Wetteranzeige darüber. Despair und Shahira befanden sich in einem Vorort von New Stockholm. Hier lebten kaum Menschen. Dieser Stadtteil wurde von Banden der Blues und Topsider beherrscht. Hier lag wohl auch die Höhle von Shahiras Kontaktpersonen. Despair fiel auf, dass sich die Straßen und Gebäude in einem schlechteren Zustand befanden. Auch patrouillierten hier keine Roboter der Korrektheitsbehörde.
Ein schwebender, vollmechanischer Zeitungsverkäufer bot die Ausgabe der neuesten Medien zum Download oder auf einem Reader an.
Despair las die neuesten Schlagzeilen:
Süüpi-Mega-Schlau! Jülziisch mit Köpfchen hängen Menschen ab – nach der neuesten unabhängigen Bildungsstudie, sind Jülziisch klüger als Menschen und die besseren Schüler, Studenten, Unternehmer und Arbeitnehmer.
Jflr, Sülybylli und Chrok-Sor mischen Terramuffel auf – Alienpower rockt in Menschenbezirk in New Malmö – mit vielfältigem Charme, Witz und Intelligenz wird ein Stadtteil in die Gegenwart geholt.
Enthüllt: Iratio Hondro hasste Extraterrestrier und sympathisierte mit Perry Rhodan – Exklusive Enthüllungen moderner Wissenschaftler und Historiker entlarven die perfiden Ideen von Hondro und zeigen auf, dass Rhodan vor dreitausend Jahren mit Faschistenbräuten Sex hatte.
Neue Studie: Fleischessen macht dick und doof! Das Konsumieren von echtem Fleisch macht Lebewesen fett, hässlich und lässt das Gehirn schrumpfen.
Pauly Nemak: Menschen waschen sich nicht!
Despair überkam der Drang, den Zeitungsroboter zu zerstören. Doch nicht dieses mechanische Konstrukt war schuld, sondern die Journalisten, die jene Hetzartikel verfassten. Auf eine naive und groteske Art und Weise wurde die Menschheit schlecht gemacht. Doch es schien auf Sverigor zu funktionieren. Despair aktivierte seinen Picopad und sendete ein Signal zum Kreuzer. Shahira informierte den Silbernen Ritter, dass sie sich nun im Bezirk des Roten Kreaturen Klans befanden. Und schon gesellten sich jede Menge Blues um sie, spielten mit ihren Waffen und gaben abwertende Geräusche von sich.
Eine Gruppe hielt zielstrebig auf sie zu. Der Anführer Arürk war ein hochgewachsener Blue. Er wurde flankiert von einem Gurrad und einem Unither.
Despair hatte nichts gegen die unterschiedlichen Rassen in der Galaxis. Sie mussten eben nur ihre untergeordnete Rolle akzeptieren. Die Menschheit war zum Führen auserkoren. Das hatten die Blues, Topsider und anderen einfach zu akzeptieren.
»Was will der Mensch hier?«, fragte der Gurrad provozierend.
»Er gehört zu meinen Auftraggebern«, erklärte Sha-Hir-R’yar.
»Mir gefällt die Rüstung nicht. Ausziehen. Los«, schrillte Arürk und zeigte mit dem Finger auf Despair. Der Silberne Ritter blieb unbeeindruckt. Die anderen tuschelten.
»Los, runter mit den Klamotten«, forderte ein zweiter Blue. Die Gruppe fing an zu lachen. Sie machten sich über Despair lustig.
»Wohl so hässlich, dass er sich nicht traut?«, glaubte der Gurrad und fletschte die Zähne. »Keine Sorge, wir sind den erbärmlichen Anblick von Menschen gewöhnt.«
Cauthon atmete tief durch und blieb regungslos. Er schwieg und wartete den nächsten Schritt der Bandenmitglieder ab. Sha-Hir-R’yar schien die Situation interessiert zu beobachten. Sie konnte vermutlich nicht umhin, sich zu wünschen, dass Despair von den Roten Kreaturen gedemütigt wurde. Der Gurrad stürmte auf Despair zu und wollte ihm offensichtlich die Rüstung vom Leib reißen. Doch seine Hand verfing sich in einem Energiefeld der Rüstung, welches Despair soeben aktiviert hatte. Strom jagte durch den Körper des Gurrads. Er zitterte, versuchte sich vergeblich loszureißen, doch er hatte keine Chance. Rauch stieg auf, das Fell fing Feuer. Der Gurrad verkohlte langsam, während die anderen Bandenmitglieder wie aufgescheuchte Hühner um Despair herum tänzelten, aber zur Tatenlosigkeit verdammt waren. Arürk blieb als einziger abwartend. Despair deaktivierte den Stromzufluss. Er schubste den verkohlten Gurrad zu Boden.
»Ihr niederen Kreaturen seid dem Einfallsreichtum von Menschen nicht gewachsen. Sagt mir, wieso die MORDRED mit gewöhnlichen Straßenkötern kooperieren sollte?«, sprach Despair schließlich.
»Sha-Hir-R’yar hat uns angeworben. Wir haben vor einigen Tagen erfolgreich ein Krankenhaus in New Malmö überfallen«, erklärte Arürk und schien nicht sonderlich traurig über den Tod seines Kameraden zu sein.
Wie er vermutet hatte. Sha-Hir-R’yar und die Roten Kreaturen steckten hinter dem Mord an Zantra Solynger.
»Soso, ihr habt demnach junge, menschliche Mütter abgeschlachtet und die wehrlosen Kinder an den Sklavenmarkt verkauft.«
Arürk machte ein gleichgültige Handbewegung.
»Na und? Unsere Käufer sind Menschen. Auf Sverigor vermisst man die Kleinen nicht. Niemand hat uns gejagt. Ist das unsere Schuld, wenn die sverigischen Menschen ihren Nachwuchs nicht mögen?«
Despair wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Der Blue hatte recht. Niemand schien solche Überfälle und den Menschenhandel mit kleinen Kindern auf Sverigor unterbinden zu wollen. War es ihnen völlig gleichgültig? Sie ermutigten ja geradezu die Verbrecher, fröhlich ihren »Geschäften« nachzugehen.
»Dieser Planet ist wahrlich gottlos«, stellte Despair fest.
Der Blue lachte schrill.
»Natürlich ist er das. Gott ist hier außerdem für Menschen verboten. Beschimpft uns nicht deswegen. Sverigor ist ein Paradies für uns. Alle meine Bandenmitglieder stammen von zerrütteten Welten. Wir sind mit Gewalt aufgewachsen und beherrschen eben jene Gewalt perfekt. Wieso sollen wir das hier nicht ausleben? Wir sind auf Sverigor keine Bittsteller, die auf die Gunst der Menschen angewiesen sind. Hier sind wir die Herren und nicht ihr Tsi-yhü`iitschyn.«
Despair fällte eine Entscheidung. Die Idee mit diesen Wesen zusammen zu arbeiten, war ihm zuwider. Egal ob Cameloter, Menschen, extraterrestrische Bandenmitglieder – jeder auf Sverigor war ein Feind und verdammt. Er wandte sich Shahira zu.
»Suche die Cameloter und warte meine weiteren Instruktionen ab.«
Die Killerin tat, wie ihr befohlen wurde. Arürk erlaubte ihr, seinen Stadtteil zu verlassen.
»Und was wird jetzt? Willst du uns auf den Arm nehmen, Mensch?«
»Wir melden uns«, antwortete Despair knapp.
Ein Gleiter der MORDRED schwebte auf den Platz hinab. Arürk und die anderen ließen Despair gewähren. Damit hatten sie sich selbst etwas mehr Lebenszeit gekauft.