3.
Die paradiesische Welt

Cauthon Despair hatte den Tod von Zantra Solynger beinahe teilnahmslos zur Kenntnis genommen. Eine extraterrestrische Räuberbande hatte Säuglinge aus dem Krankenhaus gestohlen, in dem sich Zantra befunden hatte, um ihr eigenes Erstgeborenes zur Welt zu bringen. Es war das Produkt von ihr und diesem smarten camelotischen Schönlings Ygor gewesen, den sie ihm vorgezogen hatte.

Irgendwie war der Silberne Ritter sogar erleichtert, dass Zantra tot war. Damit wurde ihm eine schwere Entscheidung abgenommen. Ein wenig bedauerte er ihren Tod natürlich. Er hatte Zantra geliebt oder zumindest hatte er das geglaubt. Ein Hauch von Melancholie und Wehmut überkamen ihn. Was wäre gewesen, wenn sie sich für ihn entschieden hätte? Wäre das Kind dann das seine gewesen?

Müßig, sich darüber noch Gedanken zu machen. Es gab nun nichts mehr auf Sverigor, was in irgendeiner Weise positive Gefühle in ihm weckte. Sicherlich, die Natur war schön. Saftige grüne Wiesen, dichte Wälder mit gesunden Bäumen, herrlich geschwungene Täler und Berge, Seen mit türkisfarbenen, sauberen Wasser. Ja, es war eine paradiesische Welt – würde niemand auf ihr leben.

Cauthon Despair verließ die durch dorgonische Technologie getarnten Minor-Globe der KASKAYA-II Klasse. Sha-Hir-R’yar folgte ihm schweigend. Despair hatte sich an diese Hybride noch nicht gewöhnt. Es war ein genetisches Experiment, eine Kreuzung zwischen einer Kartanin und einem Terraner. Jedoch war es nicht das Ergebnis einer hastigen Liebesnacht zwischen Ronald Tekener und Dao-Lin-H’ay, sondern entstammte aus den Genlaboren von Shorne Industries. Willem Shorne hatte seit Jahrzehnten geheime und verbotene Genforschungen betrieben, für die sich vermutlich ein Doktor Moreau hätte begeistern könnten. Nach dem Tod des alten Shornes, hatte dessen Sohn Michael Shorne die Forschungen bereitwillig fortgeführt. Das Projekt um die Mischwesen war jedoch längst beendet. Despair glaubte, dass Sha-Hir-R’yar die letzte Überlebende dieser Kreuzungsgattung war. Nummer Vier hatte sie wohl gerettet und seitdem als Assassinin und wer weiß für was noch eingesetzt.

Sha-Hir-R’yar und Despair waren sich vielleicht gar nicht so unähnlich. Sie waren beide genetische Freaks und allein. Trotzdem vermied er es, mit ihr zu reden. Sie war eine Killerin. Nicht mehr. Gut möglich, dass Nummer Vier sie eines Tages auf ihn hetzen würde. Die Führungsriege der MORDRED war eine Schlangengrube. Rhifa Hun hatte keine Skrupel gezeigt, Nummer Sieben zu eliminieren. Und Oberst Kerkum hatte vor wenigen Tagen Nummer Fünf als Bauernopfer ermordet. Ob die Allianz zwischen Rhifa Hun, Mashratan und der ebenso geheimnisvollen Nummer Vier noch lange halten würde, bezweifelte er so langsam.

Er wünschte, Cau Thon wäre hier, um ihm Rat zu geben. An wen sollte er sich sonst wenden? Vielleicht an die Dorgonen? Doch der Kontakt mit ihnen war sehr rar. Zumeist hatten Rhifa Hun und Oberst Kerkum mit ihnen zusammengearbeitet.

Despair kannte nur zwei Dorgonen persönlich. Den Legaten des Kaisers Seamus und den militärischen Oberbefehlshaber ihrer Expeditionen, Admiral Petronus.

Nur Despair und Sha-Hir-R’yar betraten Sverigor. Die Mannschaft der Minor Globe blieb an Bord und bewachte das Raumschiff. Despair wollte kein großes Aufsehen erregen. Sverigor war eine gut überwachte Welt. Die Korrektheitsbehörde hatte überall ihre Roboter, die peinlich genau auf die Einhaltung der Sverikette achteten. Nun, zumindest bei Menschen. Extraterrestrier hingegen hatten beinahe Narrenfreiheit, es sei denn, die Verbrechen waren zu brutal und zu offensichtlich.

Ihr Auftrag war in zwei Phasen aufgeteilt. Zuerst sollten sie die Ankunft von diesem Aurec sowie Joak Cascal und Sandal Tolk abwarten. Homer G. Adams und Cistolo Khan würden nach neuesten Informationen nicht nach Sverigor kommen. Zellaktivatorträger galten ohnehin als Persona Non Grata und Verbrecher. Und Khan hatte offenbar besseres zu tun. Nachdem die Feinde observiert worden waren, würde Phase zwei beginnen, die Vernichtung des Camelotbüros und Eliminierung der Zielpersonen.

Dafür war hauptsächlich Sha-Hir-R’yar zuständig. Despair bedauerte es, Joak Cascal und Sandal Tolk umzubringen. Sie waren Idole für ihn, denn sie standen für eine bessere Zeit: Dem Solaren Imperium. Doch diese glorreichste Epoche der terranischen Geschichte wurde auf Sverigor zutiefst verachtet.

So empfand er mit dieser Welt wenig Sympathie. Jede Diktatur konnte von der Vorgehensweise Sverigors bestens lernen. Die Korrektheitsbehörde war ein riesiger syntronisch-positronischer Rechnerverbund, der die eigentliche Macht ausübte. Kein Lebewesen vermochte sich mehr einzumischen und es war sicher gestellt, dass die Ideologie über kommende Generationen fortbestehen würde. Despair verachtete zutiefst diesen Selbsthass auf die eigene terranische Rasse. Wahrlich, sie war keineswegs perfekt, doch zu großen Leistungen und Taten in der Lage. Seit sie auf die Arkoniden getroffen waren, hatten sie mehr vollbracht für das Gemeinwohl der Galaxis, als alle Blues, Topsider oder Unither zusammen.

Die Haltung Sverigors dagegen war eine Beleidigung jedes stolzen menschlichen Wesens. Doch das war vermutlich beabsichtigt.

Sha-Hir-R’yar stolzierte in ihrer knappen Lederkleidung neben ihm entlang. Doch die Felidin wirkte nicht erotisch auf ihn. Er erachtete die Beziehung zwischen Tekener und seinem Schmusekätzchen keineswegs als Kosmos offen, sondern schlichtweg als gestört. Dass die Zellaktivatorträger auch nicht mehr das waren, was sie früher darstellten – nun, wäre dem nicht so gewesen, würde Despair nicht aufseiten der MORDRED kämpfen.

»Das Camelotbüro wird gut bewacht. Sie sind gerüstet für einen Angriff«, erklärte Sha-Hir-R’yar.

»Vorschläge?«

»Ich habe Kontakte zu hiesigen Verbrecherklans aufgenommen. Sie könnten uns nützlich sein.«

»In diesem Fall wird der Abschaum der Galaxis uns in der Tat hilfreich sein. Setze dich mit ihnen in Verbindung und arbeite einen Plan aus. Ich werde mich auf Sverigor umsehen.«

Sha-Hir-R’yar gab ein zustimmendes Schnurren von sich, während Despair in einen Gleiter aus der Minor-Globe stieg und in Richtung New Stockholm flog.

Nachdenklich blickte die Schimäre dem Gleiter nach, sie hatte zwar den Kontakt mit den einheimischen Verbrecherklans hergestellt, aber bei der Hauptaufgabe, die ihr Meister ihr gestellt hatte, hatte sie kläglich versagt.

Sie wusste jetzt schon, wie die Strafe für ihr Versagen aussehen würde, unvorstellbare Schmerzen und grenzenlose Erniedrigung. Ihr Meister liebte es, sie für den geringsten Misserfolg auf abscheulichste Weise zu bestrafen. Das unvollkommene Werkzeug musste gehärtet werden, so nannte er es.

Oh ja, er hatte sie gehärtet, aber in einer Art und Weise, die er wohl nie für möglich halten würde. Jede Schmerzorgie, jede Vergewaltigung, die sie über sich ergehen lassen musste, machte sie härter, wie guter Stahl, der unzählige Male gefaltet und neu geschmiedet wurde, flexibel und unzerbrechlich.

Doch ihre Gedanken schweiften wieder zu dem Silbernen Ritter zurück. Seine Reaktion auf ihre offenen körperlichen Avancen verunsicherte sie zutiefst. Noch nie hatte ein Mann, beim Anblick ihrer offen zur Schau getragenen sexuellen Reize, so gleichgültig reagiert. Ihre empathischen Fähigkeiten hatten ihr einen tiefen Blick in die Gefühlswelt Despairs gestattet. Despair fühlte sich einsam und verlassen, sehnte sich nach Liebe, genau wie sie. Sie hatte erwartet grenzenlose sexuelle Gier vorzufinden, das war die Reaktion, die sie normalerweise hervorrief. Sie erfasste zwar, dass er sie als unnatürliches Wesen ablehnte, doch tief in seinem Innern war sie auf Mitleid gestoßen, Mitleid mit ihr als rechtloses Werkzeug der MORDRED und Mitleid mit ihm selbst, als verratenes und gebrochenes Wesen. Doch auch er war zu gefaltetem Stahl geworden, flexibel und unzerbrechlich.

Sie beschloss, den Silbernen Ritter weiter zu beobachten, aber nicht um ihrem vermeintlichen Herrn und Meister die Mittel in die Hand zu geben, um ihn zu vernichten, sondern um zu ergründen, ob er es verdiente, von ihrem Rachefeldzug verschont zu bleiben. Und vielleicht …, aber nein, das wäre Wunschdenken, und Wünsche, so schön sie auch waren, durften in ihrem Denken keinen Platz haben.

Mit diesen Gedanken wandte sie sich ab, um ihren Auftrag zu erfüllen.