Aurec wartete mit Spannung auf die Übertragung der IVANHOE. Das Raumschiff der Cameloter übermittelte ein Datenpaket an die TAKVORIAN, welches Informationen von Ali Judäa el Kerkum über die Dorgonen enthielt. Außerdem war eine Analyse des Wissenschaftsoffiziers Lorif beigefügt.
Neben dem Saggittonen befanden sich Joak Cascal, der Kommandant der IVANHOE, dessen martialisch anmutender Freund Sandal Tolk, der Cameloter Wirsal Cell und die LFT-Profilerin Sanna Breen in dem eher dunkel wirkenden Besprechungsraum.
Ein zweigeteiltes Hologramm baute sich vor ihnen auf. Rechts sah der Saggittone einige Inschriften und Symbole, mit denen er nichts anzufangen wusste. Links erschien das Bild des Posbi Lorif.
»Auf dem Datenträger von Oberst Kerkum haben wir Abbildungen der Artefakte gefunden, die offenbar auf Mashratan entdeckt wurden«, berichtete Lorif. »Es sind allerdings eher dürftig abgefilmte Bilder und Videos eines Raumes.«
Vor Aurec baute sich nun der besagte Raum auf. Er war alt, staubig und dunkel. Eine große Statue eines Wesens war darauf zu erkennen. Es ähnelte einem Vogel. Ein wenig sah es sogar aus wie Sam. Obgleich diese Statue den Körper eines Menschen besaß, während der Kopf einem Vogel oder Falken glich.
»Wahnsinn«, meinte Sanna Breen.
»Wie belieben, meine Dame?«, fragte Aurec.
»Das ist Horus.«
»Du kennst den da?«
Aurec war nun ziemlich überrascht. Joak Cascal räusperte sich. Er lehnte sich vor und stopfte seine Zigarette in den Aschenbecher.
»Horus ist ein mythologisches Wesen aus der terranischen Antike. Vor 7.000 Jahren gab es die Zivilisation der alten Ägypter. Sie hatten viele Götter. Horus war ein hohes Tier«, erklärte Cascal.
»Genau genommen ist er der Sohn von Osiris und galt als Gott auf Erden«, fügte Sanna Breen hinzu.
Cascal warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Er war offensichtlich überrascht über die Geschichtskenntnisse der LFT-Profilerin.
»Archäologie hat mich schon immer interessiert. Außerdem ist eine Freundin von mir mit der Materie sehr vertraut.«
Breen musste lächeln.
»Denise hat immer geglaubt, dass mehr hinter den ägyptischen Göttern steckt, als der Einfluss von Atlan.«
Aurec kombinierte, dass also auf Mashratan Artefakte gefunden wurden, die eigentlich von der Erde stammten. Die naheliegende Schlussfolgerung wäre, dass die Mashraten diese Artefakte von Terra nach Mashratan gebracht hatten. Allerdings hatte diese These einen Schönheitsfehler. Wieso interessierten sich die Dorgonen dann dafür? Sie mussten offenbar die Bedeutung der Symbole kennen.
»Lorif, konnten die Hieroglyphen entziffert werden?«, wollte Breen wissen.
»Negativ, Miss Breen! Sie ähneln zwar den altägyptischen Hieroglyphen von der Erde, weisen jedoch einige gravierende Unterschiede auf. Diese Schrift ist komplizierter und umfangreicher. Leider haben wir keine Vergleiche. Die dorgonische Übersetzung existiert zwar, doch auch diese Sprache haben wir bisher nicht entziffert.«
Auf dem Hologramm wurde ein Text in der hieroglyphischen Schrift und daneben in einer ebenso für Aurec unleserlichen dorgonischen Schriftart gezeigt. Sie tappten also im Dunkeln.
»Also gut, wir kümmern uns darum. Die IVANHOE soll mit der NORTH CAROLINA weiterhin nach diesem dorgonischen Raumschiff suchen«, befahl Cascal.
Er wandte sich an Sanna Breen und grinste sie an.
»Hat ihre Freundin etwas auf dem Kasten?«
»Denise Joorn ist eine bekannte Archäologin. Sie hat mehrere Universitätsabschlüsse in Geschichte und Archäologie. Sie bevorzugt die Feldforschung, weiß mit dem Energiestrahler umzugehen, schreit nicht beim Anblick einer Riesenspinne und ist überaus attraktiv. Das wollten Sie doch wissen, Oberst Cascal?«, antwortete Sanna Breen schnippisch.
»Naja, eigentlich wollte ich wissen, ob sie sich die Texte anschauen kann.«
Sanna Breen schwieg. Cascal schien sich ein Lachen zu unterdrücken. Doch seine grauen Augen blitzen vielsagend. Schließlich willigte Breen ein, mit dieser Denise Joorn so bald wie möglich in Kontakt zu treten. Wenn es tatsächlich Parallelen zwischen diesen Ausgrabungen und einer antiken terranischen Kultur gab, dann war eine Spezialistin hilfreich.
Aurec bedankte sich bei Lorif für die Hilfe. Xavier Jeamour, der Kommandant der IVANHOE als auch Henry Portland, der Kommandierende der NORTH CAROLINA holten sich weitere Instruktionen von Joak Cascal ab. Sanna Breen segnete im Namen der LFT die Befehle Cascals für die NORTH CAROLINA ab.
Dann beendeten die beiden Raumschiffkapitäne die Verbindung und machten sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Adlerraumschiff der Dorgonen.
*
Aurec betrat zwei Stunden später die runde Kommandostation im Herzen der TAKVORIAN. Emsiges Treiben herrschte auf den beiden Etagen der Zentrale vor. In der Mitte des Raumes befand sich der Kommandosessel, auf dem Joak Cascal thronte. Um ihn herum saßen die wichtigsten Crewmitglieder an ihren Konsolen.
Navigation, Ortung, Funkverkehr, Waffensysteme und Wissenschaft galten auf einem camelotischen Raumschiff als primäre Funktionen. Jede Abteilung besaß zwar noch einen separaten Raum, doch ein Kommandant wollte seine Leute nahe bei einander haben. Einzige Ausnahmen bildeten die technischen Funktionen. Die Kontrollen von Antrieb, Energieversorgung, Syntronik, Waffen und Schutzschirme waren in einer anderen Ebene untergebracht.
Drei Meter abseits des Zentrums der Brücke befanden sich zusätzliche Kontursessel für die Besucher. Aurec nahm neben Sanna Breen und Wirsal Cell Platz.
»Wir haben Sverigor erreicht«, meldete Cascal und stieß einen begeisterten Pfiff aus. »Mit dieser Welt verbinde ich schöne Erinnerungen.«
»Sverigor ist berühmt für seine atemberaubende Natur«, meinte Wirsal Cell.
»Und für seine schönen Frauen«, fügte Cascal hinzu.
»Freuen Sie sich nicht zu früh, Oberst Cascal. Die Gesellschaft und das Staatswesen von Sverigor haben seit dem Ende der Monos-Diktatur starke Veränderungen vollzogen«, erklärte Sanna Breen kühl.
Cascal nickte.
»Ich habe natürlich recherchiert.«
Aurec hatte sich ebenso vorbereitet, wobei die meisten Welten für ihn fremd waren. Sverigor war eine terranische Kolonie. Im 25. Jahrhundert alter Zeitrechnung hatten sich Kolonisten einer Volksgruppe namens Schweden auf der Welt mit der atemberaubenden Natur angesiedelt und im Laufe der Jahrhunderte ein friedliches Paradies geschaffen. Sverigor war immer ein galaxisoffener Planet gewesen und bemüht gewesen, Differenzen zwischen Terranern und anderen Völkern abzubauen. Die Sverigen hatten – wie alle Kolonien – unter der Besatzungszeit durch die Laren zu leiden. In den Anfängen der NGZ hatten sie als glühende Befürworter der neuen Zeitrechnung und einer vereinigten Milchstraße gegolten. Doch durch die Isolation während der Monos-Diktatur hatte sich die Gesellschaft verändert. Es war ein Hass auf die eigene Rasse entstanden und der Wunsch zu einer totalen Gleichschaltung des Lebens.
Sverigor hatte sich dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung verschrieben und sah überall Anzeichen davon. Was an sich eine edle und absolut richtige Idee war, schien jedoch auf ein diktatorisches System abzuzielen. Zuerst entwickelte sich diese Ideologie langsam aber stetig. Nachdem die LFT konservativer wurde, entflammte regelrecht die Bestrebung, sich von der terranischen Kultur, den Traditionen und den eingesessenen Regeln und Ansichten zu verabschieden. Es schien, als wäre alles zutiefst verpönt, was früher als gut gegolten hatte.
Als Unbeteiligter aus einer anderen Galaxis empfand Aurec die ganzen Gesetze und Beschränkungen ziemlich verwirrend und gefährlich. Er war gespannt, wie sie sich auf der Welt zurechtfinden würden. Immerhin hofften sie hier, Spuren zur MORDRED zu finden.
Die Monos-Ära war offenbar ein herber Rückschlag für viele Zivilisationen in der Milchstraße gewesen. Selbst 143 Jahre danach waren die Nachwirkungen immer noch zu spüren.