9.
Eine neue Gefahr

Cauthon Despair entsandte mehrere Korvetten und Kreuzer in den Orbit um Sverigor. Die Tarnfelder funktionierten. Während Despair auf Sverigor landete, um sich mit Sha-Hir-R’yar zu treffen, erkundeten die Korvetten die Stärke der Abwehrforts und Teams von Agenten und Spezialkommandos begannen mit der Sabotage der Militäranlagen und Raumschiffe. Sverigor verfügte über keine große Armee oder Raumflotte. Das gereichte der MORDRED zum Vorteil.

Diesmal wollte er nicht durch die Städte flanieren, um die Gesellschaft Sverigors kennenzulernen. Von ihnen hatte sich der Silberne Ritter bereits ein Bild gemacht und er verachtete sie zutiefst. Drei Gleiter der MORDRED sausten durch die mit Signalbojen abgesteckte Flugstraße. An der Karosserie waren topsidische Insignien und Symbole gemalt. Vermutlich würde sie niemand aufhalten. Und selbst wenn – Despair hatte Schießbefehl erteilt.

Despair erreichte New Stockholm. Sha-Hir-R’yar sendete eine Signal. Ihre Arbeit war von Erfolg gekrönt. Die Gleitergruppe schwebte zu einer alten Industrieplattform über der Skyline von New Stockholm. Jede Menge Twonoser lebten hier in ärmlichen Verhältnissen. Despair kümmerte sich nicht weiter um sie. Twonoser führten sowohl in der Milchstraße als auch in Andromeda ein Nomadendasein. Ein MORDRED-Offizier erklärte Despair, während sie zur Lagerhalle gingen, dass die jülziischen und topsidischen Gangs und Eliten die Twonoser nicht mochten und die twonosische Gemeinschaft deshalb meist abgeschieden auf solchen Plattformen hauste.

Despairs Soldaten betraten zuerst die Lagerhalle mit den verrosteten Wänden und Geräten. Sha-Hir-R’yar erwartete Despair. Sanna Breen und Johny Unarov schwebten in der Mitte der Halle und waren von einem Fesselfeld umgeben.

»Gute Arbeit«, lobte Despair knapp und wandte sich sogleich Johny Unarov zu.

»Was wissen Sie über die Nanokulturen?«

»Wie? Nichts. Was … ist das?«

Despair nickte Sha-Hir-R’yar zu. Sie fuhr ihre scharfen Krallen aus Terkonitstahl aus und fletschte die Zähne.

Despair richtete seinen Blick wieder auf Unarov. Natürlich konnte dieser das nicht sehen, doch zumindest anhand der Kopfbewegung musste der Sverige wissen, dass Despair ihn erwartungsvoll anstarrte.

»Hallo? Ich bin auch noch da«, rief Sanna Breen und versuchte sich an einem Lächeln.

Despair betrachtete die Frau. Sie blickte ihn mit ihren smaragdgrünen Augen an. Sanna Breen hatte wunderschöne Augen. Despair verlor sich einen Moment darin. Er hätte stundenlang hinein sehen können.

»Nun begegne ich also dem legendären Cauthon Despair. Dem Silbernen Ritter in Person«, stellte sie fest. »Ich bin Sanna Breen, LFT«

»Ich weiß, wer Sie sind«, unterbrach Despair sie. »Löst die Fesseln der beiden.«

»Wieso?«, fauchte Sha-Hir-R’yar.

»Tun Sie es!«

Sha-Hir-R’yar deaktivierte mit ihrem Picopad die Energiefesseln und den Antigrav. Sanna Breen und der Sverige fielen zu Boden, wobei die LFT-Spezialistin sich schnell wieder aufrappelte. Sie half Johny Unarov hoch. Despair stellte erst jetzt fest, dass es sich um einen Zwitter handelte. Er hielt nicht viel davon. Die Menschen waren nun einmal entweder Männer oder Frauen. Alles dazwischen war unnatürlich. Sie waren schließlich Menschen und keine Haluter.

Verächtlich blickte er zu Unarov und näherte sich ihm. Doch Sanna Breen stellte sich dazwischen und berührte sanft mit ihren Fingern Despairs Brustpanzer.

»Bitte tut ihm nichts.«

»Ich bin ein es«, meinte Unarov.

»Diese armselige Kreatur verfügt vermutlich über wichtige Informationen. Die tolerante sverigische Gesellschaft ist alles andere als friedlich. Erklären Sie Miss Breen doch, was sich hinter den Nanokulturen verbirgt!«

Sanna starrte Unarov fragend an. Doch dieser schwieg. Despair hatte genug. Er schubste die Terranerin zur Seite, packte Unarov am Hals und zog ihn hoch. Da zappelte diese Missbildung in seinem Kleid in der Luft und versuchte nicht zu ersticken.

»Und nun sollten Sie die Güte haben, endlich zu reden!«

»Aufhören«, rief Sanna Breen und ging wieder zu Despair. Sha-Hir-R’yar wollte dazwischen, doch da ließ Despair den Sverigen fallen, um die Kartanin zurückzuhalten.

Die Terranerin beugte sich zu dem wimmernden Sverigen und streichelte ihn sanft.

»Hat das etwas mit den ominösen Andeutungen der Korrektoren zu tun?«, hakte Breen nach.

Johny Unarov nickte schniefend.

»Was haben die vor? Geht das auch uns Terraner etwas an?«

»Natürlich betrifft es die Terraner, Miss Sanna Breen«, sprach Despair dunkel mit einem Hauch von Zynismus. Diese schöne LFT-Assistentin von Cistolo Khan hatte offenbar keine Ahnung von den Plänen der Sverigen. Sie würde eine große Überraschung erleben.

»Sanna … wir … helfen euch«, meinte Unarov und sah die Terranerin traurig an.

»Ihr seid krank. Versteh das bitte. Du bist psychisch und physisch krank. Doch wir haben die Heilung.«

Unarov hatte sich beruhigt. Seine Augen glänzten. Er blickte Sanna Breen an, als würde er ihr eine Freude machen. Doch die Terranerin ging nun auf Abstand zu ihm. Langsam lehnte sie sich zurück und stand in Zeitlupe auf.

»Was meinst du damit? Inwiefern bin ich krank?«

»Deine sexuellen Ansichten sind archaisch. Du hältst dich für eine Frau. Du denkst in dieser kruden Geschlechtertrennung. Du arbeitest für ein faschistoides Sternenreich. Aber keine Sorge, Sanna. Wir haben die Lösung für all deine Probleme!«

Sanna Breen starrte den oder das Sverigen fassungslos an. Sie brauchte ein paar Momente, um etwas zu sagen. Immer wieder blickte sie Unarov ungläubig an.

»Ich bin krank, weil ich dazu stehe, eine Frau zu sein? Ich bin krank, weil ich an die LFT glaube?«

Breen atmete tief durch. Despair schwieg und genoss dieses Szenario. Nun erkannte die LFT-Beamtin das wahre Gesicht der Sverigen. Deren Ideale und Visionen von einer Milchstraße, in der Menschen keine Bedeutung mehr hatten, deckten sich nun einmal nicht mit einer Liga Freier Terraner.

Unarov nickte verständnisvoll. Der Sverige schien das als leidige Selbstverständlichkeit zu betrachten. Als handelte es sich wirklich um eine Krankheit wie eine Grippe oder Durchfall.

Breen bekam ihre Fassung wieder.

»Und wie wollt ihr mich und all die anderen kurieren?«

Unarov seufzte echauffiert und massierte sich die Schläfen. Shahira stieß ein bedrohliches Knurren aus. Nun beeilte er sich endlich mit der Antwort.

»Die Korrektheitsbehörde hat eine Nanokultur entwickelt, die wir auf Terra ansiedeln. Sie befällt jeden Menschen und bewirkt Veränderungen im Bewusstsein. Der infizierte Mensch steht unter Kontrolle der Korrektheitsbehörde. Die Nanokulturen bewirken eine Heilung des Gehirns. Rassismus, Faschismus und Diskriminierung werden terminiert und jeder Mensch wird unisexuell. Ist das nicht schön?«

Sanna Breen blickte zu Despair.

»Und die MORDRED unterstützt diesen Plan?«

»Nein, wir wollen ihn verhindern. Die MORDRED wünscht sich eine starke Menschheit und keine Zombies. Der syntronisch-positronische Rechnerverbund auf Sverigor ist eine Gefahr. Die Nanokultur muss umgehend vernichtet werden. Nehmen Sie diese jämmerliche Gestalt und informieren Aurec und die LFT darüber. Handeln Sie, ehe wir gezwungen sind zu handeln. Doch viel Zeit bleibt nicht!«

Sanna Breen betrachtete Despair mit einer Mischung aus Neugier, Überraschung und Interesse.

»Ich habe Sie über Monate hinweg studiert, Cauthon Despair. Sie überraschen mich …«

Der Silberne Ritter schwieg. Er musste sich eingestehen, dass Sanna Breen ihn faszinierte. Sie war bildhübsch und intelligent.

»Der brutale Silberne Ritter der letzten Monate zeigt Anstand und warnt uns vor einer Gefahr. Hm, ich weiß, dass hinter der harten Rüstung ein weiches, einsames Herz steckt, welches all die Rückschläge seiner Kindheit und Teenagerzeit nie verkraftet hat.«

»Übertreiben Sie es nicht, Sanna Breen. Gehen Sie nun.«

Doch die Profilerin schien keine Angst vor Despair zu haben. Sie lächelte ihn an, wirkte regelrecht angetan von seiner Gegenwart. Sie fuhr mit der Hand langsam über den Brustpanzer Despairs.

»Ob Sie es hören wollen oder nicht. Aber Sie sind für mich der interessanteste Mann in der Milchstraße.«

Despairs Herzschlagfrequenz erhöhte sich plötzlich. Er konnte kaum glauben, dass so eine atemberaubende Frau ihn für den interessantesten Mann in der ganzen Galaxis hielt. Meinte sie das wirklich ernst oder war das nur taktisches Gewäsch?

Despair versank erneut beinahe in ihren smaragdgrünen Augen. Er riss sich zusammen. Sie standen auf gegnerischen Seiten.

»Gehen Sie jetzt sofort. Nehmen Sie das Ding mit. Sie haben 24 Stunden Zeit, ehe die MORDRED sich der Angelegenheit annimmt.«

Sanna Breen wurde nun ernst. Sie forderte Johny Unarov auf, ihr zu folgen. Zögerlich erhob sich der Sverige und schlich mit gesenktem Kopf hinter Sanna Breen her.

Despair wandte sich an Shahira. Er merkte, dass die Kreuzung aus einer Kartanin und Terranerin unzufrieden war. Eigentlich kümmerte es ihn wenig, doch er wollte verhindern, dass die Assassine von Nummer Vier sich zu unüberlegten Aktionen hinreißen lassen würde.

»Wir brauchen nun vorerst die Cameloter, den Saggittonen und die Terranerin. Die Sverigen sind unsere Feinde. Deine Aufgabe ist hier erledigt. Kehre zurück zu deinem Meister.«

Shahira fletschte die Zähne.

»Das war ein Befehl«, sagte Despair entschlossen.

»Ihr Menschen seid alle Drecksgewürm!«

Mit diesen blumigen Worten verließ die Hybride die Lagerhalle. Despair gab zwei Wachen ein Zeichen, Shahira auch zum Raumschiff zu eskortieren. Vermutlich war ihr Ego angekratzt. Sie hätte sicherlich lieber alle Cameloter umgebracht, doch die Situation war nun eine komplett andere. Höchste Priorität hatte die Vernichtung dieser Nanokultur. Außerdem durfte kein Frachter von Sverigor nach Terra gelangen.

Die VERDUN verfügte über genügend Feuerkraft, kleine Schlachtschiffe, Kreuzer und Beiboote, um das zu verhindern. Zusammen mit den sechs Begleitraumern war der VERDUN-Verband vermutlich der schlagkräftigste Raumschiffverband in der Milchstraße.

Der Silberne Ritter blickte auf sein Chronometer. Sverigor blieben noch 23 Stunden und 45 Minuten, ehe dieser Planet die Kampfkraft der VERDUN zu spüren bekommen würde.

Im Interesse der sverigischen Bevölkerung hoffte er, dass es Aurec, Sanna Breen und den anderen gelingen würde, die Korrektheitsbehörde zu einem Umdenken zu bewegen.