10.
Glühende Sonnen

»Nur noch 14 Kilometer, Sir!«

»Nur … nur …«

Wyll Nordment fehlte die Kraft, auf Lorifs wenig geistreiche Aufmunterung einzugehen. Die Kehle war trocken, die Sonnen brannten heiß und es war nur noch Wüste zu sehen. Sie waren verloren. Für neun Kilometer hatten sie mehr als acht Stunden benötigt. Und sie wurden langsamer. Zumindest Wyll gingen die Kräfte aus. Lorif konnte sicherlich noch Tage so weiter marschieren. Er brauchte auch kein Wasser und keine Kühlung.

Nordment starrte stöhnend in den wolkenlosen Himmel. Die beiden Sonnen brannten unerbittlich auf sie herab.

Der Anblick am Boden war nicht besser. Sand, so weit das Auge reichte. Hier und da gab es festeren, steinigen Boden.

»Ich orte eine kleine Ansammlung an pflanzlichen und tierischen Lebensformen, Sir. In die Richtung.«

Wyll folgte dem Posbi wortlos. Lorifs Sensoren waren ihre einzige Hoffnung. Jeder Schritt fiel schwer. Wyll erkannte aus der Ferne eine eingedorrte Pflanze mit dunkelroten Blüten. Ein schwarzer Stängel wucherte etwa zwei Meter in die Höhe.

»Eine mashratische Wüstenpflanze. Ihr Wurzeln gehen tief. Von dort bezieht sie Wasser. Ansonsten ernährt sie sich von Fleisch …«

Wyll stoppte und hielt gebührenden Abstand zur Pflanze.

»Hat sicherlich nicht viel zu essen bekommen in letzter Zeit.«

Wyll wollte sich auf einen Stein setzen, um etwas auszuruhen.

»Das würde ich nicht tun. Hinter dir befindet sich ein Schlangennest. Das ist eine Art Oase hier.«

»Und wo ist Wasser?«

Lorif schwieg. Nach einer Weile antwortete der Posbi: »Etwa 20 Meter in der Tiefe.«

»Super …«

Wyll blickte sich um. Er erkannte eine Art Höhle zwischen zwei quadratischen Felsblöcken. Der Terraner ließ sich von Lorifs Zwischenrufen nicht beirren. Wenn es einen Weg zum Wasser gab, dann dort. Außerdem wären sie in der Höhle geschützt. Es war die Rettung. Beinahe hätte Wyll schon die Hoffnung gänzlich aufgegeben. Nordment nahm seine letzte Kraft zusammen und plötzlich hörte er ein bedrohliches Knacken aus der Grotte. Er stoppte abrupt.

»Zurück, Sir!«, rief der Posbi.

Langsam setzte Nordment einen Schritt hinter den anderen. Ein lautes Grollen ließ ihn trotz der Hitze einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Mit mächtigem Stampfen krabbelte ein riesiges, skorpionartiges Wesen aus der Höhle.

Es besaß gleich vier Zangenarme und schnappte mit einem zu. Offenbar war das nur eine Warnung. Wyll ging behutsam zurück. Lorif stellte sich vor den Terraner, da wuchtete das etwa zwei Meter große Rieseninsekt den Stachelschwanz bereits auf den Posbi. Nach einem blechernen Geräusch fiel Lorif zu Boden. Der Skorpion griff mit dem Zangenarm nach ihm, doch Lorif packte die beiden Scherenseiten und drückte sie auseinander. Doch mit dem zweiten Arm bekam der Skorpion ihn zu fassen. Wyll sah sich um, griff ein paar handgroße Steine und warf sie auf das Insekt. Dieses war unbeeindruckt und setzte seinen Kampf gegen den Posbi fort.

Plötzlich hörte Nordment ein Donnern am Himmel. Er blickte nach oben. Die Space-Jet war bereits fast über ihn und setzte einen gut platzierten Schuss auf die Mitte des Skorpions ab. Augenblick sank das Wüstenwesen zu Boden. Lorif befreite sich aus der misslichen Lage. Wyll eilte zu ihm. Zwar war der Posbi an der Außenhaut zerbeult, doch es schien ihm gut zu gehen.

»Ein faszinierendes Wesen«, kommentierte Lorif nüchtern.

Nordment fehlte die Kraft, um zu sprechen. Ein Hustenreiz breitete sich in der Kehle aus. Er unterdrückte ihn. Die Space-Jet landete. Er war froh, den Oxtorner Irwan Dove und den Schotten Mathew Wallace zu sehen.

»Möchtet ihr noch eine Weile hier spielen und euch sonnen oder sucht ihr eine Mitfluggelegenheit?«, fragte Wallace grinsend.

Dove reichte Nordment eine Flasche Wasser. Innerhalb kürzester Zeit leere Wyll sie.

»Wie?«

»Ihr bewegt euch weit ab von der geheimen Station, sonst hätten wir euch eher gefunden. Wir haben Lorif schließlich anpeilen können«, erklärte Dove mit dunkler Stimme.

»Rosan?«

Wallace macht ein ernstes Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Keine Spur von ihr. Mein Gleiter wurde gestern Abend angegriffen. Ich flog zurück und wir kehrten beim Morgengrauen zurück, um euch zu suchen. Die Heinis vom Galaktikum diskutieren derweil mit Kerkum um irgendwelche Genehmigungen, doch das dauerte uns zu lange.«

»Argon tan Lasal?«

»Auch er ist verschwunden«, antwortete Dove. Der Oxtorner nahm Wyll Nordment und trug den erschöpften Terraner behutsam in die Space-Jet. So erledigt Wyll auch war, die Sorge um Rosan trieb ihn an. Sie mussten seine geliebte Frau finden. Wenn sie auch irgendwo in der Wüste ausgesetzt war, blieb ihr nicht mehr viel Zeit!

*

Wie lange Rosan den Gestank noch aushalten konnte, wusste sie nicht. Sie hätte den einsamen Weg durch die Wüste vorgezogen. Doch stattdessen saß sie seit Stunden auf der Ladefläche des Transportgleiters im mit Urin und Kot durchtränkten Heu zwischen müffelnden Kuhuns, Refrys und noch übler riechenden Mashratan, die sie mit einer Mischung aus Verlangen und Furcht musterten.

Keiner hatte mit ihr geredet. Niemand hatte ihre Fragen beantwortet. Sie hoffte, dass dieser Vhratopriester etwas mehr Verstand besitzen würde. Die Halbarkonidin hatte keine Ahnung, wo sie sich auf Mashratan befand. Die Logik würde gebieten, dass sie nicht zu weit von der geheimen Station entfernt war.

War es nun Zufall oder Absicht, dass sie auf diese Karawane gestoßen war? Und was war mit Wyll passiert? Endlich stoppte der Transporter. Rosan wurde grob von der Ladefläche gestoßen und sank erschöpft in den heißen Sand. Die Mashraten grölten und feuerten mit ihren Waffen in die Luft. Offenbar war es ein Zeichen ihrer Rückkehr. Oder, dass sie Beute mitgebracht hatten.

Das Inferno aus diversen Waffen ließ Rosan die Hände auf die gepeinigten Ohren pressen und die Augen zusammenkneifen. Das Ganze erinnerte sie an kulturelle Berichte über die nomadischen Wüstenvölker Terras vor der Eroberung des Weltraumes. Genau wie die Beduinen Terras schienen die Mashraten großen Spaß daran zu haben, ihre Rückkehr in ihr Dorf mit einem ohrenbetäubenden Spektakel zu feiern. Hauptsächlich verfügten sie über ein vielfältiges Arsenal von altertümlichen Projektilwaffen, aber zu Rosans Bestürzung kamen auch moderne elektromagnetische Hochleistungswaffen und sogar ein Impulsstrahler zum Einsatz.

Rosan war innerhalb weniger Momente von Bewohner des kargen Dorfes umringt. Kinder betatschten sie, rissen an den Resten ihrer Kleidung. Die Frauen, natürlich durch den Yeshi-Hihab Energieschleier verhüllt, stießen schrille Verwünschungen aus.

Soweit Rosan den mashratischen Dialekt halbwegs verstehen konnte, wurden die Methoden ihrer Hinrichtung diskutiert. Diese variierten zwischen Steinigung, Enthauptung, Verbrennung oder Erhängung. Einige der Männer schlugen sie mit den Kolben ihrer Gewehre und drängten sie durch die Gassen. Die Straßen waren Sandwege, die Häuser schlichte Kuppelbauten aus weißem Stein, der jedoch längst seine klare Farbe verloren hatte und mehr grau-gelb wirkte. Hier und da fand Rosan Anzeichen von Technologie, doch alles in allem wirkte es so, als befände sie sich um Jahrtausende zurück versetzt. Es wirkte alles so ärmlich und heruntergekommen. Ja, regelrecht verfallen.

Die Mashraten mussten in großer Armut leben. Auf Terra oder im Gos’Tussan gab es solche Dörfer nicht. Es wäre undenkbar gewesen, die Infrastruktur so verfallen zu lassen. Bei den Terranern geschah das aus Fürsorge gegenüber den Bewohnern Terras, bei den Arkoniden auch aus Imagegründen. Doch Mashratan war anders. Alles war hier anders als auf den modernen Hauptwelten der Milchstraße.

Hier standen Kutschen neben verrosteten Gleitern. Alte, knirschende Roboter schleppten Wasserkrüge aus Ton durch die Gegend. Die Zeit schien auf Mashratan stehen geblieben zu sein.

Das einzig prunkvolle Gebäude war der Vhratotempel. Er war von einer hohen, weißen Mauer mit grünen Zinnen umgeben. Noch immer redete niemand mit Rosan. Die Dorfbewohner beschimpften sie lieber. Rosan war froh, als sie die Mauern des Tempelbezirks erreichte. Er wurde von zwei Mashratan bewacht, die immerhin saubere Kleidung trugen. Einer ihrer Entführer berichtete, was geschehen war. Ein Vorsteher eilte zu ihnen. Der Dunkelhäutige Mashrate mit dem grünen Haar und Bart war aus der Puste, als er das Tor erreicht hatte.

Die Wachen brachten Rosan in das Innere, während die Dorfbewohner draußen warten mussten. Der Hof der Anlage war gepflegt. Einige Mashraten verrichteten Gärtnertätigkeiten. Der Tempel selbst war vielleicht zehn mal zehn Meter groß. Vier Türme ragten an den Seiten hoch. Das Dach verlief spitz zu. Diese Bauart war typisch für Mashratan. Eine Mischung aus romanisch-gotischen Kirchen des Christentums und arabischen Moscheen.

»Verstehst du Interkosmo?«, wollte Rosan von dem Vorsteher wissen.

»Schweig, der Priester wird mit dir reden und über dein Schicksal entscheiden.«

Das Innere des Tempels war vergleichsweise schlicht. Dreidimensionale Hologramme verzierten die Decke und die Wände. Sie zeigten Abbildungen von Heiligen der verschiedenen Religionen.

Sie wurde vorbei an den Sitzplätzen und dem Altar in einen Nebenraum gebracht. Dort erwartete sie der Vhratopriester. Der Vorsteher stellte ihn als Mahmud Benjamin del Concetti vor. Concetti trug ein weiß-rotes Gewand. Sein grobes Gesicht in dunklem Teint war von einem grauen, langen Bart bedeckt. Auf dem Kopf trug er eine Art Häkelmütze.

Der Vorsteher zwang Rosan, niederzuknien.

»Die Männer berichten, du seist eine Ausgeburt der Wüste. Kennst du die Geschichte der Lilith? Sie war einst ein Kind Gottes, doch sie hatte Gott herausgefordert und wurde aus dem Paradies verbannt. Fortan lebte sie in der Wüste und zeugte mit dem Satan Dämonen. Des Nachts schleicht sie sich in die Häuser und saugt das Blut aus Säuglingen oder vergewaltigt tugendhafte Männer.«

»Ich sehe da keine Parallelen«, erwiderte Rosan.

Sie erhob sich und nahm Haltung an.

»Ich bin eine Aristokratin arkonidischen Blutes. Ich wurde entführt, in der Wüste ausgesetzt und dann von ihren Dorfbewohnern verschleppt. Ich verlange im Namen des arkonidischen Kristallimperiums sofort nach Vhrataalis gebracht zu werden.«

Mahmud Benjamin del Concetti lachte Rosan nur aus und setzte sich auf ein Kissen auf den Boden.

»Das Kristallimperium bedeutet in meiner Provinz nichts. Die meisten Bürger des Dorfes wissen nicht einmal, dass es existiert. Du hast hier nichts zu verlangen, Ungläubige! Die Bewohner halten dich für eine Hexe, bestenfalls. Auf Magie steht der Tod.«

Rosan nahm nun auch Platz und versuchte eine andere Taktik.

»Wir beiden wissen, dass ich keine Hexe bin. Ich bin reich. Als Dank für die Errettung könnte ich doch eine stattliche Summe an die Kirche und das Dorf spenden?«

Der Priester und der Vorsteher wechselten einen Blick. Sie schienen zu überlegen.

»Was ist mehr wert? Das kurzfristige Vergnügen mich zu steinigen oder eine neue, prächtige Kapelle? Eine Sanierung des Dorfes zu Ehren Vhratos?«

»Nun«, sagte der Priester gedehnt. »Ich gehe im Moment davon aus, dass du keine Hexe bist. Ich werde zu Gott beten und hoffe auf eine Weise Eingebung durch ihn. Bis dahin bist du unser Gast. Du stehst unter meinem Schutz.«

»Vielen Dank, hoher Priester des Vhrato. Ich würde deine unendlich großzügige Gastfreundschaft gerne in Anspruch nehmen und mich frisch machen. Neue Kleider wären auch nicht verkehrt.«

»So sei es. Nun gehe dahin.«

Der Vorsteher brachte Rosan in einen anderen Raum. Dort fand sie ein Bad. Sie wartete eine Weile. Schließlich entdeckte sie eine Kamera. Rosan hatte so etwas schon erwartet. Sie hing ein Handtuch darüber und genoss das Bad.

*

Ihre neuen Kleider bestanden eigentlich nur aus einem zusätzlichen Gewand, welches sie über ihre derangierte Kombination legte. Außerdem überreichte der Vorsteher ihr einen Gürtel mit dem Yeshi-Hihab.

Rosan bekam die Erlaubnis, sich das Dorf anzuschauen. Sie hatte eine Stunde Ausgang von der Tempelanlage. Natürlich musste sie die Yeshi-Hihab aktivieren. Es war den mashratischen Frauen strengstens verboten, sich außerhalb der vier Wände des Ehemannes oder Vaters zu zeigen. Wie die Männer so eine Frau kennenlernen wollte, war Rosan schleierhaft. Allerdings wusste sie auch, dass die meisten Ehen ohnehin von den Familienoberhäuptern arrangiert wurden.

Sie zögerte etwas, als sie durch das Tor der Tempelanlage geschritten war. Die Straße vor ihr führte nach rechts zum Marktplatz. Dort befand sich das Zentrum des Dorfes. Also ging sie dorthin. Niemand beachtete Rosan im Schutz der Yeshi-Hihab. Der Marktplatz war ein etwa einhundert Meter durchmessender, runder Platz. Auf ihm standen einige Zelte und provisorische Stände, mit Spanntüchern als Sonnenschutz. Auf einem zerfallenen Turm links glomm eine Holografie von Oberst Kerkum.

Rosan blickte sich um. Sie suchte nach irgendetwas, was ihr Informationen über ihren Standort geben würde. Sie kannte ja nicht einmal den Namen des Kaffs. Doch dieser würde ihr wenig nutzen, denn ihren Picopad hatte man ihr abgenommen.

Es gab hier natürlich keine öffentlichen Kommunikationsterminals. Und selbst wenn, so war die Zensur auf Mashratan umfassend. Private Anschlüsse an das Galaktiknetz gab es nicht, Hyperfunkverbindungen waren nur über öffentliche Funkknoten möglich und wurden gefiltert. Nachrichten und Informationen gab es nur von staatlicher Seite und der Kirche. Der private Nachrichtenaustausch auf Mashratan wurde ebenfalls strikt kontrolliert. Rosan stand verloren auf dem belebten Marktplatz und war ratlos.

Sie beobachtete die Menschen. Kinder spielten mit kleinen Refrys und tobten über den Platz. An jeder Ecke feilschten Händler mit ihren Kunden um den Preis ihrer Waren. Meist waren es Schmuckstücke, Waffen oder Haushaltsgeräte.

Ein eingefallener Mann pries eine neue, moderne Erfindung an. Rosan sah sich den rostigen Haushaltsroboter genauer an. Der musste gut dreihundert Jahre alt sein.

Rosan ging vorbei und schaute einer anderen »Energiefrau« zu, wie sie Obst und Gemüse nach der Frische untersuchte. All das gab es auf Terra und anderen Welten nicht. Ob der moderne Galaktiker auf einer Welt wie Mashratan überhaupt zurechtkommen würde? Jedes Nahrungsmittel wurde im Supermarkt mittels einer eingerichteten Positronik auf Bakterien, Frische und Keime untersucht. Jedes Picopad hatte Applikationen, welche den Zustand von Nahrung und Getränken testete.

Ein durchschnittlicher Galaktiker würde auf Mashratan wohl ohne seine gewohnte Technik überfordert sein. Immerhin, die Mashratan hatten vielleicht ein besseres Verständnis von der Natur ihres Planeten. Dafür lebten sie jedoch in Tyrannei, Unterdrückung und Primitivität.

Eine andere Mashratin im Yeshi-Hihab diskutierte mit dem greisen Roboterverkäufer.

»Was soll ich mit so was? Der nimmt mir doch die Arbeit weg. Was soll ich dann tun? Das ist wie mit dem fließenden Wasser! Seitdem kann ich mich nicht mehr mit den anderen Frauen treffen, wie in guten alten Zeiten, als wir Wasser vom Brunnen geholt haben.«

Offenbar gab es viele Mashraten, welche mit den primitiven Verhältnissen zufrieden waren. Die ohnehin nur bescheidene Infrastruktur war in der Ära vor dem Oberst durch die Neoaktivisten und zuvor durch die Monos-Epoche stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Doch während die meisten galaktischen Völker in den letzten 150 Jahren wieder ihren Lebensstandard erhöht hatten, hinkte Mashratan weit hinter dem üblichen Existenzniveau der Milchstraße hinterher. Rosan wusste, dass es noch vereinzelte Gruppierungen der Neoaktivsten und ihrer Gegner, den Rationalisten gab.

Während die Neoaktivisten selbst jede kleinste Technik verurteilten und als Satanszeug ansahen, waren die Rationalisten Befürworter der Freiheit, – jedoch nicht unbedingt der Demokratie. Rosan erinnerte sich an Berichte über Rationalisten als potenzielle Verbündete gegen Oberst Kerkum. Zwar setzten sich diese teilweise für die Werte der LFT ein, doch ihnen schwebte vor allem eine Industrialisierung Mashratans vor. Sie wollten es den Vermögenden ermöglichen, Unternehmen jeder Art zu gründen und die Masse der mittellosen Bewohner zu einer Art Leibeigenschaft verpflichten sowie die herrschende Religion abschaffen. Somit waren auch sie in einer ganz anderen Art ebenfalls Extremisten.

Das Problem war, dass die Mashratan keine Wahl hatten. Wenn es eine Frau gab, die lieber im Bikini herumlaufen wollte, dann wurde sie geschlagen oder gesteinigt.

Extraterrestrier wurden nicht geduldet. Der Kontakt mit anderen Planeten untersagt.

Eine vernünftige politische Macht gab es auf Mashratan nicht. Jede Fraktion hatte ihre eigenen Interessen im Kopf und kümmerte sich nicht um das Wohlbefinden der Bürger. So abstrakt und verrückt es klang, doch Oberst Kerkum und die Traditionalisten waren die Gemäßigten auf dieser Welt der Extreme.

Rosan wollte nur wieder weg von hier. Sie kehrte zur Tempelanlage zurück. Dort erwartete sie bereits Concetti.

»Ich habe eine Entscheidung gefällt. Ich glaube, es ist Gottes Wille, wenn du nach Vhrataalis gehst und auf diese Kontonummer eine großzügige Spende für die Kirche und das Dorf überweist.«

Concetti reichte ihr eine Karte. Rosan nahm sie. Dort war die Bankverbindung eingetragen.

Sie nickte.

»Danke, ich werde mein Wort halten.«

»Du bist verunsichert, mein Kind?«

»Nun, verwirrt. Du bist einer der wenigen kooperativen Mashratan.«

Concetti lachte laut. Sein grauer verfilzter Bart zitterte dabei.

»Mashratan wird nicht ewig vor den ketzerischen Horden der Milchstraße bestehen können, wenn wir nicht Allianzen eingehen. Ich persönlich hoffe auf die Gunst der Terraner und Arkoniden.«

Rosan verstand. Im Hintergrund sah sie, wie der Vorsteher mit zwei Mashraten einen Gleiter inspizierte. Offenbar ging ihre Rückreise bald los.

»Eines noch, mein Kind. Grüße den Kardinal der Universellen Kirche von Terrania City von mir, wenn du einmal in der großen Stadt bist. Er ist ein alter Freund. Sage ihm, Mashratan braucht Erleuchtung.«

Concetti verabschiedete sich von Rosan. Die Halbarkonidin stieg kurz darauf in den Gleiter, der sie nach Vhrataalis bringen würde.