2.
IVANHOE

»Guten Morgen, Schatz«, flüsterte Wyll Nordment seiner Frau ins Ohr, die noch im Halbschlaf war. Er kuschelte sich an sie, was sie zuerst mit einem herzhaften Gähnen erwiderte. Als Rosan schließlich zu sich kam, blickte sie Wyll mit ihren rubinroten Augen an und schenkte ihm ein Lächeln.

»Guten Morgen.«

Rosan rekelte sich. Nordment stand nur widerwillig auf. Viel lieber hätte er noch mit Rosan gekuschelt, bis er wieder ins Land der Träume gefallen wäre. Doch der Interkomanruf von Xavier Jeamour vor wenigen Minuten hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass der Kommandant der IVANHOE in einer Viertelstunde eine Besprechung angesetzt hatte.

Wyll teilte das Rosan mit, die wenig Begeisterung zeigte.

»Es ist 05:40 Uhr. Schläft der Mann denn nie?«

Wyll zuckte mit den Schultern, während er in die Nasszelle ging, um wenigstens eine Katzenwäsche hinter sich zu bringen. Der Türsummer erklang. Rosan stieß eine Art »Grr« aus und schwang sich hörbar aus dem Bett. Wyll ließ sich derweil durch das Warmluftdüsensystem abtrocknen.

»Wer ist es?«, rief er fragend.

»Oh, Sir, da hinten sind Sie! Ihre Frau macht einen ermüdeten Eindruck. Nun denn, ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen die Besprechungsunterlagen bereits zu überreichen. Sie haben noch 11 Minuten Zeit, sie zu studieren.«

Wyll glaubte es nicht. Da stand er noch so wie Gott ihn schuf in der Nasszelle – törichterweise ohne sie zu schließen – und nun wurzelte der graue, metallische Posbi mit den großen, roten Kulleraugen vor ihm und reichte ihm einen Datenkristall.

Rosan schlenderte schmunzelnd ins Bad.

»Schamgefühl scheint Lorif nicht zu kennen …«

»Oh, mir ist durchaus bewusst, dass Mister Nordment nackt ist, Mrs. Orbanashol-Nordment. Allerdings kann ich kein Schamgefühl zeigen, da ich ein Roboter von der Hundertsonnenwelt mit Plasmazusatz bin. Da ich kein Mensch bin, zeige ich auch weder eine sexuelle Erregung noch eine peinlich berührte Entrüstung über die Tatsache, dass Mister Nordment nackt vor mir steht.«

Wyll hatte sich inzwischen den Bademantel übergezogen und die Nasszelle verlassen.

»Raus hier«, sagte Rosan ernst. »Das gilt für euch beide. Ich bevorzuge meine Privatsphäre.«

»Natürlich, Mrs. Rosan! Im Übrigen können Sie den Kristall auch in das Interface der Hygienezelle stecken. So können Sie während des physischen Reinigungsprozesses die Themen der nahenden Besprechung studieren. Ich finde, das ist eine sehr effektive Vorgehensweise«, erklärte Lorif weiter.

»Wir sollten tun, was meine Frau wünscht, sonst wird sie grantig«, wandte Wyll ein.

Lorif schien zu verstehen und folgte Nordment aus dem Bad heraus. Wyll schloss die Tür, sodass Rosan nun ungestört ihren »Reinigungsprozess« vollziehen konnte, wie es der Zweite Offizier der IVANHOE bezeichnete.

Lorif war der Wissenschaftsoffizier an Bord der IVANHOE, eignete sich aber auch als Navigator und Mädchen für alles. Er war ein Geschenk der Posbis an die Unsterblichenorganisation. Allerdings war er auch ziemlich geschwätzig und exentrisch, wovon sich Wyll nun auch ausgiebig überzeugen durfte.

*

Mit zehn Minuten Verspätung erreichten Wyll Nordment und Rosan Orbanashol-Nordment die Konferenz im Besprechungsraum neben der Kommandozentrale im Herzen der eintausend Meter durchmessenden IVANHOE. Als Erstes sah Nordment den vorwurfsvollen Blick des Kommandanten Xavier Jeamour.

Der hagere Terraner mit den wenigen Haaren kauerte in seinem Sessel und sagte kein Wort. Jeamour stammte aus Lüttich in Belgien und war früher Angehöriger der LFT-Flotte gewesen. Doch nachdem er sich mit dem Flottenkommando überworfen hatte, war er bereits 1279 NGZ nach Camelot gewechselt und lange Zeit Befehlshaber der FREYJA gewesen.

Für Wyll und Rosan war die FREYJA ein besonderes Raumschiff, denn es hatte sie vor fast fünf Jahren von Londons Grave gerettet.

»Entschuldige bitte, lieber Xavier Jeamour. Ich bin arkonidische Adlige. Wir stehen nicht so früh auf«, versuchte sich Rosan diplomatisch zu entschuldigen.

Jeamour räusperte sich, stand auf und zupfte seine Uniform zurecht.

»Entschuldigung akzeptiert. Guten Morgen erst einmal. Da wir die Recherche rund um Mashratan abgeschlossen haben, ist es nun an der Zeit, uns aktiv auf dem Planeten umzusehen«, erklärte Jeamour.

Rosan schnappte sich erst einmal eine Kanne Kaffee und schenkte sich und Wyll ein. Nordment begrüßte nun auch die anderen Teilnehmer der Besprechung. Neben Jeamour und dem redseligen Lorif waren noch der Erste Offizier James Fraces, ein bärtiger Haudegen aus Irland, der Sicherheitschef Irwan Dove, ein mächtiger Oxtorner sowie der jülziische Maschinenchef Zyrak Wygal und der Space-Jet Oberbefehlshaber Mathew Wallace anwesend.

Es würde der erste Einsatz der IVANHOE werden. In den vergangenen Tagen waren diverse Tests mit dem 1000 Meter durchmessenden Schlachtschiff durchgeführt worden, obwohl die Ausrüstung noch nicht abgeschlossen war. Besonders die fehlenden Trägerkreuzer und Korvetten, bei denen eine Lieferverzögerung eingetreten war, bedeuteten eine schwerwiegende Schwächung der Kampfkraft. Auch die Besatzung musste sich erst einmal einspielen. Allerdings hatten sie wahrlich nicht viel Zeit. Sollte es eine Verbindung zwischen Mashratan und der MORDRED geben, war ein Kampfeinsatz nicht ausgeschlossen. Doch sowohl Jeamour als auch Wyll und Rosan wollten diesen möglichst vermeiden. Vielmehr planten sie eine geheime Operation auf der Wüstenwelt.

Xavier Jeamour übergab das Wort an seinen dritten Offizier, den mächtigen, haarlosen Oxtorner mit der hellbraunen Haut namens Irwan Dove.

Irwan Dove war ein Nachfahre des legendären Hansespezialisten Stalion Dove. Seine Jugend hatte er auf der oxtornischen Kolonie Taulus verbracht, wo er eine fundierte Ausbildung als Waffensystemingenieur abgeschlossen hatte. Einige Jahre später war er nach Oxtorne zurückgekehrt und hatte geheiratet. Die anarchischen Zustände auf seiner Heimatwelt hatten es der LFT leicht gemacht, den begabten Oxtorner für den Ligadienst zu verpflichten.

Seine Frau war jedoch mit der Umsiedlung nach Terra nicht klargekommen, was 1265 NGZ zur Scheidung geführt hatte. Bei ihrem Rückflug nach Oxtorne war das Raumschiff von unbekannten Gegnern angegriffen und vernichtet worden. Dabei war nicht nur sie, sondern auch Irwans Sohn ermordet worden. Irwan gab sich noch immer die Schuld an ihrem Tod und war 1266 NGZ aus dem Ligadienst ausgeschieden. Eine Zeit lang hatte er sich ziellos von Planet zu Planet treiben lassen und fand schließlich in der Vision von Camelot eine neue Aufgabe. 1280 NGZ hatte er sich der Unsterblichenorganisation angeschlossen.

Der Oxtorner begrüßte die Anwesenden freundlich mit seiner sonoren Stimme. Dann fing Dove an, über die aktuelle Lage von Mashratan zu referieren.

»Auf Mashratan regiert Oberst Kerkum zusammen mit den Vhratopriestern mit eiserner Hand. Die Grundrechte der Bevölkerung sind allenfalls archaisch. Durch die sieben Jahre andauernden Sanktionen und Beschränkungen im Im- und Export sind Hungersnöte und Armut weit verbreitet. Trotz regelmäßiger Kontrollen verfügt Kerkum über eine schlagkräftige Armee und militärisch geschulte Polizeieinheiten. Dazu kommen die paramilitärischen Garden der Vhratopriesterschaft. Über eine Raumflotte verfügt Kerkum jedoch nicht mehr. Durch Beschluss von 1284 NGZ musste Mashratan seine Raumflotte abrüsten und entmilitarisieren«, erklärte der Oxtorner.

»Gefahr droht der IVANHOE also höchstens durch Abwehrraumforts im Orbit oder Abwehrgeschützen auf dem Planeten selbst«, schloss der Erste Offizier James Fraces daraus.

Jeamour winkte ab.

»Ich gedenke nicht, die IVANHOE in einen Orbit um Mashratan zu bringen. Wir halten erst einmal eine Position im inneren Planetensystem und werden ein Außenteam auf Mashratan absetzen.«

Jeamour erklärte weiter, dass er keinesfalls einen Konflikt provozieren wollte. Nordment wusste, dass der Kommandant damit recht hatte. Die Mashraten waren nicht gut auf die LFT oder andere Galaktiker zu sprechen. Durch die Sanktionen hatte sich die Bevölkerung größtenteils mit Kerkum solidarisiert, zumal ihn die Vhratopriesterschaft den Rücken deckte. Selbst wenn die Mashratan gegen ihren Despoten rebellierten, so konnte dies nie gegen den Willen der religiösen Führung geschehen, da die Bevölkerung tief religiös geprägt war. Die Verehrung des Dreieinigen Gottes und die Befolgung der Regeln des heiligen Buches Vhrashium war ihr wichtigster Lebensinhalt. Die Religion auf Mashratan verband den Vhratokult der Arkoniden und Akonen, das Christentum, den Islam und das Judentum Terras miteinander. Die Grundlage dieser Theologie war, dass sie alle den gleichen Gott hatte und die Propheten alle Kinder Gottes waren. Der nächste Messias wäre demnach der Vhrato.

Doch zwischen den religiösen Lehren und der gesellschaftlichen Realität herrschte wie so oft ein gewaltiger Unterschied. Die Mashraten lebten nach sehr strengen, uralten religiösen Gesetzen. Insbesondere die Rechte der Frauen waren arg beschnitten. Es gab Galaktiker, die verurteilten diese Behandlung, andere sprachen sich für mehr Toleranz gegenüber den Bräuchen und der Kultur Mashratans aus.

Für Rosan war diese Toleranz gegenüber dem autokratischen und klerikalen System des selbst ernannten »Obersten« ein rotes Tuch. Vor 15 Jahren war sie zusammen mit Cauthon Despair auf Mashratan von Unbekannten entführt worden und in eine Tuffa Jab-Jab Schule gebracht worden. Solche »Schulen« unterrichteten offiziell Kinder im »Tanzen«, was letztendlich nichts anderes bedeutete, dass den Kindern die Persönlichkeit gebrochen wurde, um sie als »Frischfleisch« den Gelüsten betuchter Perverser aus den herrschenden Kreisen zuzuführen.

Gucky hatte sie damals befreit und wohl den Besitzer der Schule in der Wüste ausgesetzt. Rosan hegte seitdem keinerlei Verständnis für die archaischen Bräuche der Mashraten. Außerdem war die tyrannische Familie der Kerkums verschlagen und durch und durch korrupt. Die Moral der teils verwilderten Bevölkerung war nicht sehr hoch. Alles in allem sicher keine Welt, auf der man seinen Urlaub plante.

»In der Hauptstadt Vhrataalis hat das Galaktikum eine großflächige Botschaft aufgebaut, wo Terraner, Ertruser, Akonen, Mehandor und Arkoniden die Einhaltung der Embargobeschlüsse überwachen sollen. Das religiöse Gesetz, wie es im sogenannten »Heiligen Buch Vhrashiator« niedergeschrieben ist, verbietet jeglichen Nichthumanoiden das Betreten des Planeten«, erklärte der Posbi Lorif weiter. »Vor einigen Jahren war es zu einem ernsten Zwischenfall gekommen, als das Galaktikum eine Untersuchungskommission aus Jülziisch, Unithern und Cheborpanern zusammenstellte. Die Folge war, dass der religiöse Mob die Extraterrestrier regelrecht vom Planeten jagte.«

»Was für ein gastfreundliches Paradies«, meinte Mathew Wallace zynisch.

»Aus diesem Grund können auch nur Menschen an der Mission teilnehmen«, sagte Jeamour und richtete seinen Blick auf den Blue Zyrak Wygal, der lässig mit der sechsgliedrigen Hand abwinkte.

»Ich habe sowieso genügend im Maschinenraum zu tun. Da verkrümel ich mich lieber mit einer schönen Flasche Milch und mache weitere Tests mit der Mühle.«

Jeder in dem Besprechungsraum musste schmunzeln und wusste, dass Milch auf die Blues die gleiche Wirkung wie Alkohol hatte. Jeamour hegte keinen Einwand, denn der Kommandant wusste genau, dass sein Maschinenchef sich nicht volllaufen lassen würde. Wygal war ein exentrischer Gataser, auf den jedoch Verlass war. Er war ein technisches Genie und besaß ein geradezu intuitives Verständnis für jede Art von Technik.

»Wir verbleiben zwischen dem Planeten Mashritun-IV und Mashratan. Die Inspekteure des Galaktikums auf Mashratan sind informiert. Wir schicken eine Space-Jet dorthin. Offiziell handelt es sich dabei um eine neue Kontrollkommission«, fasste Jeamour zusammen.

Ein Servoroboter brachte ihm eine heiße Tasse Tee. Jeamour kratzte sich am Nasenflügel und musterte die Runde.

»Mister Wallace, Mister Dove, Mister Lorif und Mister Nordment werden die Kommission bilden.«

»Und was ist mit mir?«, warf Rosan ein.

Jeamour räusperte sich verlegen.

»Das ist keine Mission für eine Dame. Schon gar nicht für eine aus dem arkonidischen Hochadel. Frauen werden hier anders behandelt.«

»Das musst du mir nicht sagen, Kommandant Jeamour! Ich war als Einzige schon einmal hier! Ich werde mich den primitiven Gepflogenheiten anpassen und nicht ohne meine Yeshi-Hihab das Haus verlassen …«

Jeamour seufzte. Wyll hielt sich fein aus der Sache heraus. Er glaubte, Jeamour bemerkte nun, wie resolut Rosan sein konnte. Sie war sicherlich nicht das zarte Püppchen, als das sie viele sahen. Während den LONDON-Katastrophen hatte sie genügend erlebt. Sicherlich wäre es Wyll auch lieber gewesen, wenn Rosan an Bord der IVANHOE bleiben würde, aber wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, hörte sie sowieso nicht auf ihn.

»Also gut. Aber achte auf dich. Nicht dass du auf einem Sklavenmarkt gegen vier Refrys getauscht wirst«, meinte der Kommandant der IVANHOE.

»Nur vier?«, scherzte Rosan.

Jeamour stand auf beendete die Konferenz. Sie begaben sich nun auf eine unwirkliche Welt, in der Hoffnung dort etwas über die MORDRED herauszufinden.