4.
Die nächsten Ziele

Anfang Oktober 1290 NGZ, Dejabay

Eine weitere Konferenz der obersten Führungsebene der MORDRED war durch Rhifa Hun auf Dejabay einberufen worden. Allerdings waren einige Führer der Terrororganisation nicht anwesend, darunter natürlich die Nummer Vier, der jedoch durch Rhifa Hun, die Nummer Eins, entschuldigt und vertreten wurde. Noch immer rätselten Despair und die anderen, wer sich hinter dem konturlosen Nebelfeld verbarg, doch nur Rhifa Hun selbst kannte die Identität von Nummer Vier. Nicht einmal Despair und Kerkum waren in das Geheimnis eingeweiht, obwohl die Nummer Vier formal ihnen unterstellt war.

Cauthon Despair betrat langsam, als hätte er alle Zeit der Welt, den Besprechungsraum. Die meisten anderen waren bereits anwesend. Auch Nummer Drei und Nummer Fünf fehlten. Despair wusste, dass sie sich auf Mashratan befanden.

Despair musterte die einzelnen Wesen. Er fühlte sich wohl bei dieser Aktion. Er konnte aus den Gesichtern der Leute lesen, während niemand seine Gesten interpretieren konnte.

Besonders fiel ihm die Anspannung von Ben Trayir auf. Der Ertruser fürchtete sich. Bei der Eliminierung der Cameloter auf Plophos konnten sieben Menschen gerettet werden. Es war zu Verlusten aufseiten der MORDRED gekommen. Dies war zwar nur eine Teilniederlage, dennoch eine Niederlage. Trayir hatte Angst vor der Reaktion von Nummer Eins. Die anderen hingegen waren gespannt. Ihnen bedeutete das Leben von Trayir nichts. Jeder der Anführer war auf seinen eigenen Vorteil aus. Nur der große Respekt vor Nummer Eins hielt sie davon ab, auf eigene Faust zu handeln oder sich gegenseitig zu bekämpfen.

Eron Quartermagin, die Nummer Neun der Organisation schien sogar auf eine drakonische Bestrafung des Ertrusers zu hoffen. Damit würde Quartermagin nämlich in der Hierarchie der MORDRED aufsteigen.

Für Cauthon Despair waren diese Gedankengänge irrelevant. Einzig bedeutend war für ihn der Untergang Camelots. Despair verspürte immer noch großen Zorn und Hass gegen Rhodan und seine Anhänger. Er war fest von dem Willen besessen, die Unsterblichen zu brechen, um danach eine neue Ordnung in der Milchstraße einzuführen, darin lagen seine Motive, er strebte nicht nach Geld oder Macht.

Die Stimme von Rhifa Hun erklang durch das Holosystem. Synchron dazu erschien das Symbol der MORDRED.

»Wir haben uns hier versammelt, um über unsere weiteren Schritte zu beraten«, begann er mit verzerrter Stimme.

Keiner der Beteiligten sagte ein Wort. Vielmehr warteten sie auf das Ende der Kunstpause.

»Bevor wir jedoch damit beginnen, will ich auf unseren Einsatz bei Plophos zu sprechen kommen.«

Unwillkürlich zuckte Trayir zusammen. Es war ein seltsamer Anblick. Dieser hünenhafte, muskelbepackte Ertruser zeigte so offensichtlich seine Angst, dass es fast lächerlich wirkte. Die Blicke seiner Kollegen fielen auf ihn. Unaufgefordert stand Nummer Acht auf, um sich zu rechtfertigen.

»Sir, die Cameloter haben damit begonnen, ihre Niederlassungen militärisch zu schützen. Diese Information besaß ich nicht!«

Es blieb still. Trayir zitterte leicht und fasste sich an das Kinn. Er fuhr sich über die Bartstoppeln und schluckte tief.

»Außerdem ...«, fuhr er mit gebrochener Stimme fort. »Außerdem haben die Cameloter einen neuen Raumschiffstyp eingesetzt, der meinem Schiff weit überlegen war. Ich konnte nichts machen!«

Nun ergriff Rhifa Hun das Wort.

»Uns ist durchaus bekannt, dass die Cameloter ein Schiff mit dem Namen TAKVORIAN, das einen Durchmesser von 1.000 Metern hat und mit modernster Technik ausgerüstet ist, nach Plophos entsendet haben. Dieses Schiff steht unter dem Kommando eines Veteranen aus dem Solaren Imperium namens Joak Cascal, den die Sternenteufel aus den finstersten Gefilden der Hölle ausgespukt haben müssen. In jedem Fall müssen wir uns in Zukunft darauf einstellen, dass der Widerstand Camelots professioneller und wirksamer werden wird, denn dieser Cascal hat im Laufe seines früheren Lebens genügend einschlägige Erfahrungen gesammelt. Die Zeit der leichten Siege für uns dürfte nun vorbei sein.«

Ben Trayir wirkte beruhigt, da Rhifa Hun ihm anscheinend keine Vorwürfe machte. Langsam setzte er sich wieder und wartete auf die weiteren Ausführungen seines Anführers.

»Nummer Acht trifft keine Schuld. Er hat im Gegenteil sein Hauptziel erreicht, die Camelotansiedlung auf Plophos zu vernichten.«

»Was sind unsere nächsten Ziele?«, wollte der Mehandor Horach, Nummer Sechs, wissen.

»Nummer Vier arbeitet zurzeit daran, Verbündete für die MORDRED zu gewinnen. Bis dahin werden wir jedoch mit der Zerstörung der Camelot-Büros fortfahren. Ich habe sechs neue Ziele ausgesucht. Sie lauten Sphinx, Archez, Lepso, Oxtorne, Gäa und die Welt Sverigor«, verkündete er mit einem leichten Unterton.

Despair hob verwundert den Kopf, als er den Namen Sverigor hörte. Rhifa Hun wusste genau, wer auf Sverigor war. Cauthon Despair hatte bis jetzt gehofft, dass sie Sverigor unbeachtet lassen würden.

Den Nummern wurden die Welten zugeteilt. Horach sollte auf seinem Heimatplaneten Archez die Camelotniederlassung vernichten, Trayir Lepso übernehmen, Oran Tazun übernahm Sphinx und Quartermagin meldete sich für Sverigor freiwillig.

»Nein, ich übernehme Sverigor!«, mischte sich Despair ein. Irritiert drehte sich der Arkonide um und sah zu dem Silbernen Ritter.

»Ich hatte mich schon vorher bereit erklärt, diesen Planeten zu übernehmen«, rechtfertigte sich Quartermagin.

Despair trat an ihn heran. Unwillkürlich wich der Arkonide vor der großen Gestalt zurück.

»Das ist doch ein völlig unwichtiger Planet, warum die Aufregung?«, fragte er.

Despair gedachte Quartermagin gegenüber keine Rechenschaft abzulegen. Stattdessen wandte er sich Rhifa Hun zu.

»Lassen Sie mich Sverigor übernehmen!«, forderte er in einem ungewöhnlich harten Tonfall von seinem obersten Befehlshaber.

Kein anderer hätte es gewagt, so entschlossen gegen Nummer Eins vorzugehen. In den ersten Jahren des Aufbaus der MORDRED gab es insgesamt fünfzehn Nummern, doch fünf hatten wegen Verrat oder durch persönliches Versagen teilweise einen grausamen Tod gefunden. Rhifa Hun kannte kein Pardon. Jeder der Anwesenden wartete gespannt auf die Antwort.

»Nummer Neun wird Gäa übernehmen und Cauthon Despair wird auf Sverigor den langen Arm der MORDRED über alle Cameloter richten lassen. Die Sitzung ist beendet!«

»Wie Ihr wünscht«, sprach Despair und verneigte sich kurz.

Dann verließ er mit forschen Schritten den Konferenzsaal. Obwohl er Zantra Solynger seit acht Jahren nicht mehr gesehen hatte und sie ihn bei ihrer letzten Begegnung als Psychopathen bezeichnet hatte, so hatte er seine Gefühle zu ihr nie ganz verloren.

Despair wusste nicht, was er auf Sverigor mit ihr anstellen würde. Sie arbeitete dort im Cameloter Büro. Würde er sie töten oder am Leben lassen? Welche Entscheidung er auch immer treffen würde, eines wusste er genau: Nur er durfte über Zantras Schicksal entscheiden.

*

Despair erreichte die VERDUN, welche sich im unterirdischen Raumhafen von Dejabay befand. Auf der Oberfläche des sumpfigen und tropischen Planeten regnete es wie üblich.

Wartungsroboter arbeiteten an der Außenhülle des einzigen Schlachtschiffes der NEOUNIVERSUM-Klasse. Eine Gruppe von Soldaten salutierte, als Despair an ihnen vorbei schritt.

Despair dachte über Zantra Solynger nach, während er den Weg in die Kommandozentrale über Rollfelder und Antigravs zurücklegte. Was sollte mit ihr geschehen? Bei der Auslöschung des Camelotbüros durfte er sich nicht von persönlichen Gefühlen beeinflussen lassen. Zantra hatte ihn damals verletzt, ihn gedemütigt. War ihr Tod die angemessene Strafe? Oder sollte er sie um seiner alten Gefühle wegen schonen?

Er wurde in seinen Überlegungen von Admiral Kenneth Kolley unterbrochen, der Despair im Korridor vor der Zentrale erwartete. Der Kommandant der VERDUN machte eine Ehrenbezeugung vor seinem Kommandanten.

»Wie lange braucht das Schiff, um startklar zu sein?«

»In 45 Minuten können wir abheben, Sir!«

»Sehr gut, Admiral! Setzen Sie den Kurs auf das Malmöön-System. Wir werden uns des Camelot-Büros auf Sverigor annehmen.«

Kolley machte sich sofort an die Arbeit, während Despair langsam durch die Kommandozentrale ging. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, Zantra jemals wiederzusehen. Sie war ein Symbol für sein verkorkstes Leben. Despair war ihr nie wirklich wichtig gewesen. Er war offenbar nur ein Zeitvertreib für sie gewesen. All die vielen Abende und das unsägliche Gewäsch waren bedeutungslos gewesen.

Despair atmete schwer. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Vielleicht wäre einiges anders verlaufen, wenn Zantra ihm eine Chance gegeben hätte. Möglich, dass er dann sogar Rhodans Verrat verziehen hätte. Doch es hatte nichts mehr auf Camelot gegeben, was ihn zu einer Rückkehr veranlasst hätte.

Nein, seine neue Heimat war die MORDRED. Hier hatte er seine Bestimmung gefunden. Bei der MORDRED fand er den Respekt und die Anerkennung, nach der er sein Leben lang gesucht hatte. Die Offiziere, Soldaten und Angehörige der MORDRED fürchteten den Silbernen Ritter, wie sie ihn respektvoll nannten. Seine Rüstung verlieh ihm diese Aura. Seine Kompromisslosigkeit, seine Unberechenbarkeit und seine Kälte ließen die Verbündeten genauso wie die Gegner erschaudern.

Der Hass hatte ihn mächtig gemacht. Auf Camelot war ein naiver, hoffnungsvoller und doch wenig beachteter junger Mann gewesen. Alle hatten ihn auf ihm herumgetrampelt. Und für Perry Rhodan war Despair sogar so unwichtig gewesen, dass er ihn geflissentlich als Kollateralschaden beim Bombenangriff auf Mashratan beinahe hatte sterben lassen.

Zantra Solynger hatten ihren Beitrag zu seinem Weg zur MORDRED geleistet. Sie hatte ihn einst als Psychopath bezeichnet. Beleidigungen waren sehr leicht ausgesprochen, wenn sich eine Person unendlich überlegen fühlte. Zantra Solynger, so entschloss er sich, würde für ihre Lieblosigkeit, Treuelosigkeit und Impertinenz bezahlen.

*

Cauthon Despair öffnete die Datei Sverigor. Eine holografische Abbildung des Planeten wurde sichtbar. Langsam zoomte das Hologramm näher. Gebirge, Täler, Flüsse und Städte wurden erkennbar.

Sverigor war eine LFT-Kolonie, die im Jahre 2569 alter Zeitrechnung, also noch zu Zeiten des Solaren Imperiums, von schwedischen Emigranten gegründet wurde. Daher hatte diese Welt auch einen nordeuropäischen Touch. Sverigor lag im Malmöön-System, 1.978 Lichtjahre von Sol entfernt. Die Sonne war ein gelber, mittelgroßer Stern. Das System besaß sieben weitere Planeten, doch nur Sverigor eignete sich als bewohnte Welt. Die Schwerkraft lag bei 0,93 Gravos, der Durchmesser betrug 10.867 Kilometer, die Durchschnittstemperatur in den bewohnten Regionen lag knapp 10 Grad Celsius.

Die Hauptstadt der Welt mit zwei Milliarden Einwohnern trug den Namen New Stockholm und bot knapp neun Millionen Galaktikern eine Heimat, weitere Metropolen waren New Trelleborg, New Göteborg oder New Malmö.

Eine beeindruckende Natur zeichnete diesen Planeten aus. Sverigor war ein beliebtes Ausflugsziel, wenngleich in den vergangenen 50 Jahren sich eine negative Stimmung gegen Bürger der LFT und des Kristallimperiums breitgemacht hatte.

Despair fiel der Eintrag zur offiziellen Begrüßungsdokumentation des Planeten auf. Er aktivierte die Datei. Das Gesicht eines dunkelhäutigen Mannes mit rotem Haar und Bart erschien.

»Herzlich willkommen, einzigartiges Individuum. Ich bin das Reiseleiter und bringe dir unsere wundervolle, bunte, vielfältige Welt des Friedens näher.«

Despair setzte sich in seinen breiten Sessel und lehnte sich tief hinein. Schon die Einführung des Videos klang ihm zu perfekt. Er übersprang die Führung durch die tollen Wälder, Seen und Gebirge. Ihn interessierte vielmehr die Gesellschaft Sverigors.

»Sverigor ist seit dem 26. Jahrhundert vor NGZ besiedelt. Sie ist seit jeher ein Planet der Migration und Zuwanderung aus allen Teilen der Galaxis. Darauf sind wir stolz. Wir sind jedoch nicht glücklich über die Epoche des Solaren Imperiums. Zu jener Zeit haben unsere Vorfahren große Schuld auf sich geladen. Wir Individuen leben mit dieser Verantwortung und lehnen jegliche Form von Rassismus, Imperialismus und Faschismus ab, wie er einst im Solaren Imperium verbrecherisch praktiziert wurde.«

Despair war über diese Aussage verwundert. Jedes Imperium war schon vom Begriff her imperialistisch. Doch ob er nun Rhodan mochte oder nicht, dem Solaren Imperium Rassismus oder Faschismus zu unterstellen, war dreist. Doch Despair war neugierig, was dieser Sverige weiter zu berichten hatte.

»Wir sind eine echte Demokratie. Unser moderner Zeitgeist entspricht dem Leben im 13. Jahrhundert NGZ. Wir lieben und respektieren die Kulturen und Religionen, die Bräuche und Sitten aller galaktischen Völker. Unsere Toleranz, unsere Lebensfreude und unser Wille zur Bereicherung unserer Kultur durch Individuen aus mannigfaltigen galaktischen Kulturkreisen macht Sverigor zu einer beliebten neuen Heimat für Bürger der Galaxis.«

Das Video zeigte nun glückliche Blues, Ferronen, Springer, Swoon, Topsider, Unither und auch einen Haluter. Alle waren glücklich und lebten in Frieden und Harmonie miteinander. Das war die offizielle Version. Doch Despair wusste, dass auf Sverigor viele Probleme unter den Teppich gekehrt wurden. Die tolerante Haltung gegenüber allen Wesen der Milchstraße hatte eine Menge Verbrecher und diverse kriminelle Vereinigungen angezogen. Sie beherrschten ganze Siedlungen und konnten ungehindert ihren Geschäften nachgehen.

Sverigor war eine autarke Welt. Als in der LFT nationalistische Tendenzen stärker wurden und Buddico Grigor an die Macht gekommen war, war Sverigor aus der LFT ausgetreten. Die Diktion der absoluten Gleichheit aller, so widersprüchlich und unerfüllbar er auch war, wurde oberster Verfassungsgrundsatz. Rassismus und Diskriminierung waren in jeglicher Form strengstens verboten.

Despair spulte die Videonachricht etwas vor. Dann stoppte er und lies den Erzähler weiter ausführen.

»Wir haben uns frei von Rassismus und Diskriminierung gemacht. Wir haben uns vom Faschismus und Nationalismus der LFT und des Kristallimperiums losgesagt. Wir folgen nicht dem Märchen des Rhodanismus und der Überlegenheit der terranischen Rasse. Wir knien nicht nieder vor der millionenäugigen Illusion des Despoten aus Arkon.

Wir lieben jedes Individuum, egal woher es kommt. Der Mensch ist beispielsweise nicht besser als ein Topsider, sondern hat im Gegenteil viel Schuld auf sich geladen und unendliches Leid über die Milchstraße gebracht. Wir wollen unseren Freunden aus der Milchstraße sagen, dass wir uns für die Taten unserer Rasse schämen.

Wir verurteilen den Imperialismus Arkons über Jahrtausende.

Wir verurteilen die naive, egoistische Expansion Perry Rhodans in der Zeit des Solaren Imperiums.

Wir bekennen uns zur Schuld an Kriegen gegen die Topsider, Akonen und Jülziisch.

Durch die rücksichtslose terranische Politik wurde das Volk der Pariczaner in die Isolation gedrängt. Durch unsere Gewalt an ihnen wurden erst die Leticrons erschaffen. Durch unser Versagen sind die meisten verbannt.

Rhodans rücksichtsloses, kriegslüsternes Verhalten hat uns Feinde im ganzen Universum gebracht und in zahllose Krisen gestürzt.

Wir wissen, dass die Menschheit eine Bestie ist. Doch wir auf Sverigor leisten Wiedergutmachung. Wir haben eine bunte, vielfältige Community des Friedens, der Freude und des Glücks geschaffen.«

Despair war verwirrt. Offenbar hassten die Sverigen inzwischen ihr eigenes Volk und distanzierten sich davon. Die verschrobene Interpretation der galaktischen Geschichte schien auf Sverigor offensichtlich zu wirken.

Despair schüttelte über diesen Irrsinn den Kopf und schlug seine geballte Faust auf den Tisch. Sverigor war eine verachtenswerte Welt. Sie verschmähte ihre eigene Geschichte. Die Menschheit war heute schwach, zerstritten und maßlos arrogant. Sie urteilten verächtlich über die Errungenschaften aus den Zeiten des Solaren Imperiums. Oh ja, Cauthon Despair hasste Perry Rhodan für seinen Verrat, doch er musste zugeben, dass Rhodan und dessen Gefährten erst die Menschheit von der eigenen Selbstzerstörung gerettet hatten.

Doch all das war heute nichts mehr wert. Gleich ob es sich um die nationalistischen Extremisten oder die hoffnungslosen Sozialromantiker wie diese Sverigen handelte, in ihrer Haltung zu den Idealen des Solaren Imperiums trafen sich ihre verqueren Ansichten.

Das Kristallimperium dagegen befand sich auf einem guten Weg. Doch das half den Terranern nicht weiter. Solche Gesellschaften wie auf Sverigor schien das sogar noch zu freuen.

Despair schwirrte der Kopf von all dem Irrsinn. Es gab keine Geschlechter, da schon die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen eine Diskriminierung darstellen würde. Alles war geschlechtsneutral. Diverse Worte, Sätze und Redewendungen waren bei Strafe verboten. Jede terranische Religion war verboten. Nur die Religionen von nichthumanoiden Völkern war erlaubt. Die Sverigen unterlagen einem Ökologisch-Physischen-Maßindex. Wer außerhalb der erlaubten Werte lag, wurde genetisch verändert, um die Umwelt nicht zu belasten und gesünder zu leben.

Das Ziel war das perfekte Individuum, das zugleich innerhalb der gesellschaftlichen Normen lag. Wieder konnte er nur den Kopf schütteln.

Sverigor war eine merkwürdige Welt voller Widersprüche, obwohl man den Anspruch erhob, genau diese Widersprüche abzuschaffen. Er war in gewisser Hinsicht neugierig auf sie, auch wenn er nur den Auftrag hatte, das Camelotbüro in Schutt und Asche zu zerlegen.

*

Einige Stunden später.

Cauthon Despair hatte genug über die Welt Sverigor in Erfahrung gebracht. Es war nichts Besonderes, dass eine Administration absolute Harmonie und Perfektion vorgaukelte. Jede Regierung stellte sich in die Sonnenseite.

Doch die geheimdienstlichen Berichte unterschieden sich gravierend von der offiziellen Darstellung Sverigors. Die Gleichschaltung im Namen der Demokratie und Toleranz hatte ihre Schattenseiten.

Millionen Sverigen hatten während der letzten Jahrzehnte ihre Heimat verlassen, um sich woanders anzusiedeln. Vornehmlich waren es Sverigen menschlicher Abstammung gewesen. Despair las einen Bericht, der ihn aus Camelot zugespielt worden war.

So sehr das Bestreben der sverigischen Administration auch lobenswert ist, Rassendünkel, Ungerechtigkeit und Benachteiligung auszumerzen, so verwendet die Administration seit fast 50 Jahren undemokratische Mittel zur Kontrolle der Gedanken durch Medikamente und genetische Veränderungen. Der Vielvölkerplanet Sverigor leidet außerdem unter seinen eigenen Ansprüchen. Durch den Wunsch alle Völker gleich zu behandeln, wurde genau die Ungerechtigkeit geschaffen, die man angeblich abschaffen wollte. Das umfassende Sozialsystem und die lasche Justiz haben ein Paradies für Verbrecherorganisationen geschaffen.

Drogenhandel, Schmuggel, Piraterie blühen auf Sverigor. Problembereiche werden öffentlich ignoriert. Nach unseren Informationen glaubt die Administration, dass sich solche »spannenden Ereignisse« in einer Generation erledigt hätten.

Ebenfalls bemerken wir eine totalitäre Haltung gegenüber Andersdenkenden. Die Richtlinien der Administration müssen befolgt werden. Strafen werden gegen Andersdenkende in Form von hohen Bußgeldern, Gefängnis oder öffentlicher Ächtung durch einen Eintrag im Sverigornetz verhängt.

Zum Beispiel wird bereits eine Strafe verhängt, wenn Begriffe wie Mutter, Tochter, Mann oder Frau fallen. Die Farbe Blau gilt als Beleidigung für Jülziisch. Die Farbe lindgrün wird in Assoziation mit der Uniform des Solaren Imperiums als rechtsradikal angesehen. Ein lindgrünes Kleidungsstück verwandelt also einen Menschen in einen Faschisten und wird natürlich schwer bestraft.

Kriminelle Clans und Organisationen bleiben unbehelligt, da der gesamte Polizei- und Justizapparat damit beschäftigt ist, die Einhaltung der Gleichheitsregeln zu überwachen und Zuwiderhandlungen strafrechtlich zu verfolgen. Sie schüren geschickt den Hass der Sverigen auf die eigene menschliche Natur und verstehen es geschickt, unbehelligt zu bleiben.

Die Banden nutzen Sverigor als Anlaufstelle und Stützpunkt, verüben aber selten Verbrechen auf der Welt selbst. Allerdings kommen Übergriffe vor, die jedoch in der Öffentlichkeit keine Erwähnung finden, um das System an sich nicht infrage zu stellen.

Einwanderungs- und Auswanderungsquote sind auf Sverigor hoch. Unseren Recherchen zufolge wandern auch viele Extraterrestrier aus (Jülziisch, Topsider, Unither, Swoon), die sich von der Welt enttäuscht zeigen, aufgrund der »Korrektheits-Doktrin«, die von einer Korrektheitsbehörde auch durch Kontrollen überwacht wird.

Sverigor mag für Anhänger des Systems eine paradiesische Welt sein. Sie ist jedoch nicht frei. Die Ansammlung an Verbrecherorganisationen machen Sverigor – trotz eines hohen Ansehens in der Galaxis als Urlaubsstandort – zu einem Pulverfass.

*

Die Sverigen waren also so sehr von ihrem Wunsch beseelt, eine tolerante Gesellschaft der Galaxis zu schaffen, dass sie dabei Mittel anwandten, die sie ja eigentlich verurteilten.

Despair bestätigte das nur in seinen Ansichten. Zuviel Freiheit machte das Individuum dumm und gefährlich. Ein Volk brauchte eine starke Hand, die sie gerecht führte. Worauf sollte Sverigor eigentlich stolz sein? Dass ein Kind seine Mutter nicht einmal mehr Mami nennen durfte? Dass es zum El Dorado von galaktischen Verbrechersyndikaten geworden war, weil sie die Gewissheit hatten, nicht verfolgt zu werden, solange sie nicht menschlicher Abstammung waren? Dass das System zwischen guten und schlechten Verbrechen unterschied? War das gerecht?

Das Solare Imperium und seine lindgrünen Anhänger waren also auf Sverigor verpönt. Diese Narren! Nur ein starkes und geeintes Imperium der Menschheit, das sich über die gesamte Milchstraße erstreckte, konnte die Galaxis vor dem Zerfall bewahren. Eine starke Hand vermochte solch törichte Ideologien zu zerquetschen.

Cauthon Despair war trotzdem neugierig auf diese Sverigen, denn ihre Gesellschaft unterschied sich fundamental von allem, was er bisher kannte. Bevor er das Camelotbüro und vielleicht auch damit Zantra Solynger vernichtete, wollte er sich ein Bild von dieser Gesellschaft machen.