13.
Rätsel der Wüste

»Was soll das bedeuten? Wieso ist ein Raumschiff der LFT im Orbit von Mashratan?«, fauchte Pauly Nemak verständnislos. James Fraces lehnte sich ganz entspannt zurück. Er wechselte einen kurzen Blick mit Wyll Nordment.

»Wir haben die NORTH CAROLINA zu Hilfe gerufen. Da Camelot nicht autorisiert ist, haben wir von der LFT jemand mit mehr Befugnissen angefordert.«

»Ein Kriegsschiff der LFT? Was wollt ihr Faschos denn machen? Mashratan wieder zerbomben?«, keifte Pauly Nemak unbeirrt weiter. Fraces wollte etwas sagen, doch er kam nicht dazu.

»Ich weiß genau über euch krude Bande Bescheid. Die CELTIC, die FREYJA und auch die NORTH CAROLINA waren mit dabei, als ihr feige und brutal den Palastdistrikt mit euren Bomben in ein Trümmerfeld verwandelt habt.«

Die Frau griff in ihr wirres, rotes Haar und schüttelte voller Abscheu den Kopf. Nordment spürte, wie sehr sie die Terraner, immerhin ihr eigenes Volk, verachtete.

Nemak war Pazifistin durch und durch. Jedoch vertrat sie ihre an sich positive Gesinnung auf eine extreme, wenig nützliche Art und Weise. Wyll hatte sogar Verständnis für sie. Sie setzte sich gegen Gewalt ein. Aber Nordment fand die Art und Weise schlichtweg falsch.

»Miss Nemak, die Umstände dieser Bombardierung wurden nie geklärt. Einige gehen von einem Syntronikfehler aus. Andere wittern eine Verschwörung«, versuchte Lorif die Frau zu besänftigen.

»Wir hätten offenbar deutlich weniger Probleme, wenn diese Bombardierung niemals stattgefunden hätte«, stellte Fraces fest und spielte damit sicherlich auf Cauthon Despair an.

»Die Geister, die ich rief …«, sinnierte Nemak mit einem zynischen Lächeln.

Petur Werna räusperte sich und unterdrückte anschließend einen Rülpser. Der Chef der Inspekteure war bis eben mit seinem Refrybraten beschäftigt gewesen. Ein kleiner Kugelroboter schwebte an und desintegrierte die Essensreste. Mit einem Greifarm schnappte er sich das Geschirr und schwebte davon.

»Was will denn die NORTH CAROLINA hier? Rosan und Argon sind doch wohl behalten zurückgekehrt. Wieso müssen wir unbedingt einen Konflikt heraufbeschwören?«

Werna seufzte, während er sich ein Glas Muxip-Saft einschenkte. Ein Mitarbeiter informierte ihn darüber, dass der Kommandant der NORTH CAROLINA mit ihm sprechen wollte.

Werna erhob sich ächzend von den Sitzkissen und schlurfte zur Kommunikationsanlage. Er drückte eine Taste auf dem Display und das herbe, verbrauchte Gesicht von Henry Portland erschien auf dem Monitor.

»Exzellenz, ich wünsche eine baldige Audienz bei Oberst Kerkum. Ich habe Instruktionen vom LFT-Kommissar Cistolo Khan. Die Situation ist ernst. Wir wollen diese unterirdische Station in der Wüste untersuchen und Kerkum, als auch seinen zweitgeborenen Sohn einige Fragen stellen.«

Wieder seufzte Petur Werna.

»Ohje, das habe ich befürchtet …«

*

Oberst Kerkum war nur bereit, Henry Portland, Xavier Jeamour und Petur Werna zu empfangen. Der Gleiter der Drei wurde von anderen Gleitern mit mashratischen Hoheitszeichen in den Palastbezirk eskortiert. Sie schwebten auf einer langen, gerade Straße entlang, vorbei an Kasernen, Parkanlagen, Gärten, dem Paradegelände und Wohnblöcken der Bediensteten. Nach einigen Minuten erreichten sie endlich den großen Hauptpalast.

»Bitte wählt eure Worte mit Bedacht«, mahnte Werna.

»Das muss man bei Psychopathen immer«, erwiderte Portland trocken und stieg aus dem Gleiter. Er zupfte seine Uniform zurecht. Portland war angespannt. Er war Soldat, Offizier, Befehlshaber eines Raumschiffes, aber kein Politiker. Flak fühlte sich in Gegenwart dieser doppelzüngigen Wahrheitsverdreher immer unwohl. Er bevorzugte die direkte Sprache und mochte es nicht, wenn man um den heißen Brei redete. Doch in diesem Fall hatte er wohl keine andere Wahl.

Ein Empfangskomitee brachte sie in den Audienzsaal des Despoten, der prunkvoller und protziger nicht hätte eingerichtet sein können. An der Decke funkelten Hologramme. Die Wände waren in einem Goldton gestrichen, während diverse Statuen und Bilder von Kerkum dessen Selbstverliebtheit zeigten.

Der Oberst thronte auf einem breiten Sofa. Die kakifarbene Kombination war halb geöffnet. Eine halb nackte Frau rieb die Brust Kerkums mit Lotion ein. Ein Knurren des Obersten gab ihr zu verstehen, den Platz zu räumen. Kerkum machte keine Anstalten, sein Hemd zu schließen. Er stand auf und klatsche in die Hände. Drei Sessel aus Formenergie materialisierten neben den Gästen.

»Ich höre«, sagte Kerkum und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

Jeamour und Portland wechselten einen vielsagenden Blick. Petur Werna eröffnete den Dialog und sprach von der Entführung und den Ungereimtheiten. Er bat um Mithilfe im Kampf gegen die MORDRED.

Kerkum lachte grunzend.

»Ihr wollt die Hilfe Mashratans? Ein Treppenwitz der Geschichte! Ihr habt Bomben auf uns abgeworfen, nachdem meine Männer die Drecksarbeit für eure Firmen gemacht haben. Seit Jahren drangsaliert ihr uns mit Embargos, schändet unsere Ehre, unser Hoheitsgebiet, unsere Autarkie und führt Inspektionen durch. Ihr führt euch auf wie eine Kolonialmacht. Und da bittet ihr nun um Hilfe?«

Der Oberst schüttelte den Kopf und kicherte vor sich hin. Er legte sich in das Sofa und spielte mit seinen Brusthaaren.

Portland räusperte sich.

»Die Beziehungen zu Mashratan können sich nur normalisieren, wenn du kooperativ bist, Oberst Kerkum. Autarkie berechtigt euch nicht, Verbrecherorganisationen zu beherbergen. Sollte sich ein Stützpunkt der MORDRED auf Mashratan befinden, werden wir nicht eher gehen, bis er ausgehoben wurde.«

Kerkum brummelte etwas vor sich hin. Dann zeigte er mit dem Finger auf Portland und schmunzelte.

»Du bist ein Krieger. Ich bin auch ein Krieger. Ein großer Kriegsherr. Mashratan wäre bereit zu kämpfen. Das ist unser Planet. Wir bestimmen, was hier geschieht und nicht die LFT oder gar das Galaktikum. Wir sind nicht eure Untergebenen.«

»Das hat auch niemand behauptet«, mischte sich Jeamour ins Gespräch ein. »Allerdings machst du dich verdächtig. Die MORDRED muss hier aktiv sein. Was ist 1283 passiert? Ihr müsst doch Despair lebend gefunden haben?«

Kerkum stierte vor sich hin und gab keine Antwort. Es war, als wäre er zur Salzsäule erstarrt. Portland räusperte sich. Endlich zeigte Kerkum eine Regung und glotzte die drei verwundert an.

»Wie war die Frage?«

Bevor Jeamour diese wiederholen konnte, unterbrach ihn Kerkum bereits wieder.

»Was springt für Mashratan dabei heraus, wenn wir Informationen liefern?«

Kerkum begann sein Hemd langsam zuzuknöpfen. Dabei pulte er zuerst in seinem Bauchnabel und massierte danach seine Brustwarzen, ehe das groteske Schauspiel mit dem letzten zugeknöpften Hemdsknopf ein Ende fand.

»Aufhebung des Embargos nach zwölf Monaten. Abzug der Inspektionsgesandten des Galaktikums. Aufnahme in die LFT, sofern gewisse Reformen durchgeführt werden«, erklärte Portland. Khan hatte ihn bereits für solche Fälle instruiert. Es schmeckte Portland nicht, mit diesem Tyrannen zusammenzuarbeiten, der ganz offensichtlich psychisch krank war und seine Bevölkerung mit Absicht in der Primitivität leben ließ. So war sie ja auch leichter durch ihn und seine Speichellecker zu kontrollieren.

Kerkum lachte plötzlich.

»Sieht Camelot das ebenso? Was nützt mir das Wort der LFT? Irgendwann wird Rhodan sowieso wieder über die LFT herrschen, nachdem er zurückkehrt ist«, antwortete Kerkum.

»Nun, ich bin nicht Perry Rhodan. Doch wenn die mashratische Regierung uns hilft, die MORDRED zu zerschlagen, werden Leben gerettet. Das rechnen wir hoch an und werden mit dir verhandeln«, meinte der Kommandant der IVANHOE.

Kerkum nickte und kaute auf seiner Unterlippe herum. Er ging durch den Saal. Erst jetzt fiel Portland auf, dass Kerkum nicht einmal Schuhe trug. Und so einer bezeichnete sich als Soldat?

Er nahm ein Schwert, welches an der Wand hing und fuchtelte damit herum. Dann legte er es beiseite und ergriff einen Nadelstrahler. Es war ein modernes Präzisionsgewehr mit Energie- und Projektilgeschossen. Portland fragte sich, ob Kerkum nur Macht demonstrieren wollte oder sie im nächsten Moment abknallen würde.

»Nun gut …«

In diesem Moment betraten Ali Judäa Kerkum und Argon tan Lasal den Saal. Portland war über die Ankunft des zweiten Inspekteurs verwundert. Beide wirkten angespannt.

»Vater, du hast uns zu dir berufen?«

Kerkum nickte gnädig.

»Es sieht so aus, als würde die MORDRED einen Stützpunkt in der Wüste errichtet haben. Es ist mein Befehl, mit der LFT und Camelot zu kooperieren.«

»Wie bitte?«, stieß Argon tan Lasal aus. »Das sind ja ganz neue Töne. Nun, ich werde das Galaktikum darüber informieren.«

Kerkum richtete die Waffe auf den Akonen.

»Du räudiger Refryhüter gehst nirgendwo hin!« Kerkum wandte sich an Portland und fuhr fort: »Argon tan Lasal gehört zum Führungskreis der MORDRED. Er hat uns erpresst. Die MORDRED hätte Mashratan völlig vernichtet. Meine Familie und mich ermordet. Ich musste mit ihnen zusammenarbeiten.«

Portland verzog keine Miene. Jedoch dachte er bei sich etwas ganz anderes. Die Schlinge zog sich um Kerkums Hals zusammen. Offenbar rechnete er sich aus, mit der LFT und Camelot besser zu fahren.

»Lachhaft. Wenn Rhifa Hun von deinem Verrat wüsste, du Provinzdiktator!«

Argon tan Lasal machte einen Schritt auf Kerkum zu. Ohne zu zögern drückte Kerkum ab. Der feine Energiestrahl bohrte sich durch die Stirn des Akonen.

»Nein!«, rief Jeamour.

Doch es war zu spät. Argon tan Lasal fiel rücklings tot zu Boden. Portland wusste, dass Kerkum die Bewegung von Lasal genutzt hatte, um einen unliebsamen Mitwisser zu beseitigen. Indirekt hatte der Akone immerhin ein Geständnis abgelegt.

Wenn Rhifa Hun von dem Verrat wüsste.

Portland wertete dies als Eingeständnis. Argon tan Lasal war Mitglied der MORDRED gewesen. Kerkum und sein Sohn genauso, doch sie befanden sich jetzt in einer wichtigen Position. Sowohl die LFT als auch Camelot brauchten sie, um an mehr Informationen zu gelangen.

»Geht nun in die Wüste und begegnet dem Adler«, sagte Kerkum und deutete auf den Ausgang. Seine Leibgarde betrat den Raum. Das war ein deutliches Zeichen.

Petur Werna war völlig perplex. Er stand regelrecht unter Schock. Jeamour musste ihn hochziehen, was dem hageren Belgier doch recht schwerfiel. Portland half ihm. Gemeinsam brachten sie Werna aus dem Audienzsaal.

»Was nun?«, wollte Jeamour wissen.

»Jetzt greifen wir den Stützpunkt an, ehe Kerkum es sich anders überlegt.«