3.
Mashratan

Rosan Orbanashol-Nordment betrachtete die IVANHOE, als die Space-Jet aus dem Hangar glitt. Es war ein beeindruckender Anblick, auch wenn die LONDON sogar größer und von der Form her einfallsreicher gewesen war. Doch eines wusste Rosan, auf Mashratan würde sie nirgends ertrinken. Hier gab es kaum Wasser. Das machte den Planeten auch wieder irgendwie sympathisch.

Der ockerfarbene Planet des binären Mashritun-Systems verfügte nur über wenige Flüsse und wies nur unterirdische Ozeane auf. Trockene Wüsten erstreckten sich über weite Teile des 13.678 Kilometer durchmessenden Planeten.

Es gab auch nur wenig große Städte. Die Hauptstadt Vhrataalis lag an dem größten Fluss der Welt. Zumeist verteilte sich die Population in den Oasen oder führte ein Nomadendasein. Mashratan war so völlig anders als Terra oder Arkon. Hier schien die Zeit förmlich anders zu ticken. Durch das Embargo wurde der Planet noch mehr vom Rest der Galaxis abgeschnitten.

Rosan wusste nicht, was sie von den Sanktionen halten sollte. Meistens traf dies nicht die eigentlichen Übeltäter, sondern die ohnehin schon arme Bevölkerung. Früher war Mashratan ein beliebter Handelspartner der LFT, des Kristallimperiums aber auch von kriminellen Organisationen gewesen. Vielleicht deshalb.

Nicht umsonst hatten Michael Shorne, der ehemalige Hansesprecher Arno Gaton, Uwahn Jenmuhs und ihr Stiefvater Spector Oberst Kerkum hofiert. Nur ihr Vater hatte damals den Geschäften mit Kerkum skeptisch gegenübergestanden und war wenige Monate später tot.

Rosan hatte immer vermutet, dass Spector oder seine Geschäftspartner, vielleicht auch Kerkum dahinter steckten. An einen Unfall hatte sie trotz Beteuerungen ihrer Mutter nie geglaubt.

Nun waren viele von ihnen schon längst tot. Mutter und Spector waren auf der LONDON gestorben und Arno Gaton hatte nach dem Desaster Selbstmord begangen. Allerdings waren Oberst Kerkum, Michael Shorne und Uwahn Jenmuhs noch am Leben und erfreuten sich offensichtlich bester Gesundheit.

An die Familie Jenmuhs dachte Rosan mit einem Schaudern. Die Erinnerungen an die Vergewaltigung durch Uwahns Zwillingsbruder Hajun an Bord der LONDON II waren noch zu frisch. Sie hatte versucht, es auszublenden. Was blieb ihr auch anderes übrig, um nicht vor Scham darunter zusammenzubrechen. Hajun war tot. Rosan war nicht ganz unschuldig an seinem Ableben gewesen. Zumindest hatte sie Jenmuhs seinem Schicksal überlassen. Doch sie fühlte dabei keine Reue, er hatte letztendlich das bekommen, was er verdient hatte.

Nun war also der nächste Widerling an der Reihe. Oberst Ibrahim el Kerkum. Was würde der sich wohl für sadistische Bosheiten ausdenken? Rosan schüttelte sich. Warum musste sie immer auf irgendwelche Psychopathen treffen? Das war vielleicht der Preis für ein abenteuerliches Leben. Insbesondere, wenn man es mit den Unsterblichen zu tun hatte. Die zogen ja geradezu die ganzen irren Schurken an, wie das Licht die Motten. Sie kamen immer näher an Mashratan heran und passierten die Umlaufbahn der beiden Monde.

Auf der Südhalbkugel lag die Hauptstadt Vhraatalis in einer Hochebene, die von hohen Gletschern umgegeben war. Nur in den Tälern der Bergregionen gab es offenes Wasser. Es war kein Wunder, dass sich das Leben an diesen Quellen tummelte, während große Teile des Planeten bis heute noch unerforscht waren.

»Wir nähern uns dem Orbit und haben Landeerlaubnis erhalten«, meldete Lorif. »Allerdings rate ich dir, Mathew, keine unüberlegten und zu waghalsigen Manöver durchzuführen. Flugabwehrgeschütze sind auf uns gerichtet.«

»Wieso? Ist er dafür bekannt?«, wollte Rosan wissen.

Mathew Wallace kicherte schelmisch.

»Nun während der Testflüge hat sich Mathew Wallace vor allem durch erhöhte Geschwindigkeit, Nichteinhaltens des korrekten Abstands zu anderen Objekten und weiteren Verstößen gegen die Vorschriften zur Steuerung von Raumschiffen hervor getan«, berichtete Lorif.

Wallace lachte.

»Keine Sorge, ich bringe euch sicher nach unten. Lorif übertreibt ein wenig.«

Wallace erinnerte Rosan ein wenig an Wyll. Der am 26. Januar 1270 NGZ geborene Terraner war nicht einmal 21 Jahre alt und schon ein aufstrebender, abenteuerlustiger Offizier.

Mathew Wallace hatte seine Laufbahn als ein sehr junger aber sehr talentierter Offizier begonnen. Seine Mutter war sechs Jahre nach seiner Geburt nach Camelot gezogen, wo Wallace aufgewachsen war. Auch wenn seine Wurzeln auf Terra lagen, so gehörte er zur »Generation Camelot«.

Schnell hatte er sein Interesse für die Raumflotte gefunden und den üblichen Weg absolviert. Als junger Kadett war er 1288 auf die TITANUS gekommen, die jedoch während der Kämpfe gegen die Tolkander zerstört wurde. Dank seinen guten Flugkünsten konnte Wallace mit seiner Crew auf einer Space-Jet entkommen.

Jeamour war auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihm angeboten, Kommandant der Space-Jets zu werden. Wallace hatte sofort akzeptiert und das Kommando über alle 25 Space-Jet Einheiten der IVANHOE erhalten.

Auf Rosan wirkte der schlanke Schotte mit den blauen Augen, dem Dreitagebart und den langen, wirren Haaren sympathisch. Überhaupt war die ganze Führungscrew der IVANHOE offenbar eine gute Auswahl für Camelot gewesen. Auch wenn der erst 1289 konstruierte Posbi Lorif ständig redete und redete, dass selbst der ruhige und besonnene Oxtorner Irwan Dove das ein oder andere Mal hörbar seufzte.

Rosan warf einen Blick auf einen Trividkubus, der die Aufnahmen der Feldkameras der Umfeldoptik in Echtzeit darstellte. Innerhalb der Projektion war die Oberfläche Mashratans in allen Einzelheiten erkennbar, als die Optik immer stärker in das dreidimensionale Bild hineinzoomte.

Sie erkannte die Hügelkette der Hochebene und auch der See mit seinen Nebenflüssen war gut sichtbar. Dort lag auch Vhrataalis, die einzige Millionenmetropole des sonst so ungastlichen Planeten.

Weiße und ockerfarbene Gebäude mit flachen Dächern dominierten das Erscheinungsbild der Stadt. Klotzförmige Hochhäuser reihten sich schmucklos aneinander. Einzig die großen Kirchen, Moscheen, Synagogen und Tempel erstrahlten in gleißendem Glanz.

Meist waren die verschiedenen Gotteshäuser in einem Komplex zusammengefasst und bildeten eine symbiotische Einheit. Diese sollte symbolisch für die vereinte Menschheit aller Kinder Lemurias stehen. Auch wenn Rosan diese Vorstellung auf der einen Seite faszinierend fand – gerade in einer Zeit, in der sich LFT und Kristallimperium in einer Art Kalten Krieg befanden –, so erfüllte sie der Vhratismus, wie er in der Religion des »Dreieinigen Gottes« zum Ausdruck kam, mit Abscheu. Zwar wurde auch auf Terra oder Arkon ein gemeinsamer Gott verehrt, doch die religiösen Gebote und moralischen Verhaltensregeln, wie sie aus dem »Heiligen Buch Vhrashium« abgeleitet wurden, waren archaisch und einer modernen und aufgeschlossenen Gesellschaft unwürdig.

Die Space-Jet überflog den Palastkomplex, ehe Mathew Wallace den Südteil der Stadt ansteuerte. Dort befand sich die Botschaft des Galaktikums, die eher einem kleinen aber feinen Hochsicherheitstrakt ähnelte.

Wallace machte sein Versprechen wahr und landete die Space-Jet sanft auf dem Hangar zwischen zwei 100 Meter Kreuzern. Als Rosan aus der Schleuse der klimatisierten Space-Jet stieg, glaubte sie kurz zu verbrennen, so heiß war es. Sie fasste sich wieder und sah an den gequälten Gesichtern von Wyll und Mathew, dass es ihnen ähnlich erging. Nur Irwan Dove wirkte entspannt. Und natürlich Lorif.

»Eine sonnige Welt«, meinte der Posbi.

»Zu sonnig«, erwiderte Dove kühl und blickte dann nach links. Dort hielt eine Gruppe Menschen auf sie zu.

Das Empfangskomitee bestand aus drei Männern und einer Frau. Natürlich war die Frau nicht die Botschafterin des Galaktikums, denn das hätte die Beziehungen zu den Mashraten belastet. Sie fungierte vielmehr als Beraterin für kulturelle und interreligiöse Aspekte und hieß Pauly Nemak. Rosan kannte die Dame aus einigen Talkshows. Der Terraner in der kakifarbenen Uniform mit dem dicken Bierbauch war offenbar der Botschafter. Er ging an der Spitze. Rechts neben ihm befand sich ein bärtiger Akone und auf der anderen Seite ein kleinwüchsiger Arkonide.

Ansonsten sah Rosan zumeist nur Roboter. Extraterrestrier würde sie hier nicht finden, denn auch nur die bloße Anwesenheit von Jülziisch, Unithern, Swoon oder Topsidern wurde von den Mashraten aus religiösen Gründen abgelehnt.

Der recht beleibte Mann mit der Halbglatze und dem Schnauzbart blieb vor ihnen stehen. Er stemmte die Arme in die Hüften und musterte die Cameloter.

»Soso, ihr seid also diese Rhodanisten! Naja, LFT-Kommissar Khan hat ja ein gutes Wort für euch eingelegt. Ich bin Petur Werna. Willkommen in der Hölle!«

*

Die Gebäude der Stationen machten nicht nur äußerlich einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck, auch die Einrichtung war spartanisch und passte zu dem Erscheinungsbild des Kommandanten Petur Werna. Alles war ungepflegt, geradezu dreckig. Darüber hinaus wunderte es Rosan, dass diverse Mashraten in der Niederlassung des Galaktikums anscheinend unkontrolliert ein- und ausgingen.

Werna erklärte beiläufig, dass sich nur fünfzehn Galaktiker hier befanden. Der Rest bestand aus einheimischem Personal. Haushaltskräfte, Sicherheitspersonal, Wartungspersonal und Techniker.

Der bärtige Akone hieß Argon von Lasal. Der Arkonide war nicht von Adel und trug den Namen Luff Gerbana. Die anderen elf Galaktiker bekam die Gruppe aus Camelot nicht zu sehen.

Mathew Wallace, Irwan Dove, Wyll und Rosan setzten sich. Lorif blieb stehen. Rosan war froh über etwas kühle Luft. Doch alles in allem war es schrecklich heiß und die Ausdünstungen der Anwesenden peinigten ihren Geruchssinn. Pauly Nemak musterte die Cameloter abfällig. Rosan erinnerte sich gut an einige Auftritte der Terranerin, die besonders scharf ihr eigenes Volk kritisierte. Sie war der Auffassung, dass das Solare Imperium sich zahlreicher Verbrechen schuldig gemacht hätte und Rhodan sowie seine unsterbliche Clique vor den galaktischen Gerichtshof für Lebewesenrechte gehörten, um sich für 1.500 Jahre Tyrannei, Rassismus, Krieg und Unterdrückung zu rechtfertigen.

Rosan konnte über so viel selbstherrliche Ignoranz und Dummheit nur den Kopf schütteln. Die modernen Sozialromantiker vom Schlage einer Pauly Nemak hatten sich geradezu in den irrwitzigen Glauben hineingesteigert, dass an allen Missständen in der Milchstraße Perry Rhodan und die anderen Unsterblichen die Schuld tragen würden. Gleichzeitig jedoch war in der terrazentrischen Bewegung um Buddcio Grigor und Medros Eavan eine nationalistische Ideologie entstanden, die die verklärte Großmachtstellung des Solaren Imperiums, und somit das vermeintliche »Goldene Zeitalter« Terras, wieder restaurieren wollte. Einig waren beide Gruppen natürlich darin, dass die Ursache am Niedergang nur bei den Unsterblichen liegen konnte. Als besonders bedenklich erschien es Rosan, dass es deutlich sichtbare Hinweise gab, dass die Mordred genau aus diesem nationalistischen Potenzial gespeist wurden.

Dabei musste es doch für jeden, der die jüngere galaktische Geschichte unvoreingenommen betrachtete, klar auf der Hand liegen, dass es nur der Organisation der Unsterblichen zu verdanken war, dass die Gefahr durch Goedda und die Dscherro gebannt werden konnten.

Diese Einsicht schien auch in den letzten Monaten bei den Galaktikern langsam an Boden zu gewinnen, was die zunehmende Entspannung zwischen Camelot und der LFT zeigte. Allerdings, und das bereitete ihr zunehmend Angst, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass genau in dieser Entwicklung die Ursache für den zunehmenden Terror der Mordred lag.

Ein Räuspern der in eine sackähnliche Umhüllung gekleideten Terranerin, die Rosan an die »Yeshi-Halef« der weiblichen Landbevölkerung erinnerte, riss sie aus ihren Betrachtungen. Widerwillig rief sie sich nochmals die Informationen über den ehemaligen Medienstar ins Gedächtnis.

Nemak sollte als Vermittlerin zwischen Mashratan, der LFT sowie dem Galaktikum dienen, da sie im Zweifelsfall aufseiten der Mashraten stand, die auf der anderen Seite selbst die radikalsten Rassisten waren, da sie keine nicht humanoiden Lebensformen auf ihrer Welt duldeten und sogar nach den Geboten, die aus dem »Buch Vhrashium« abgeleitet werden konnten, den Genozid aller »Alienparasiten« forderten. Damit stand Pauly Nemak eigentlich mit sich selbst im Widerspruch, denn sie hatte einmal gesagt, dass es besser wäre, die Milchstraße würde sich in ein Schwarzes Loch verwandeln, als dass sie von Rassisten beherrscht würde.

Die einzige Erklärung für diesen Widerspruch konnte darin liegen, dass die ehemalige Moderatorin ihrer irrationalen Verachtung und dem Hass auf Camelot alle sachlichen Argumente unterordnete. Oder, und diesen Gedanken wollte Rosan gar nicht weiterdenken, das ganze sozialromantische Pathos der ehemaligen Moderatorin diente nur dazu, die galaktische Öffentlichkeit hinters Licht zu führen und ihre wahre Einstellung zu verschleiern.

Pauly Nemak gehörte, neben dem rechtskonservativen TV-Moderator Bekket Glyn, zu den unsympathischsten Gestalten der medialen Welt. Wie ihnen diese Personen auf Mashratan weiterhelfen sollten, war ihr schleierhaft.

Es wurden Tee und kalter Muxipsaft serviert. Irwan Dove übernahm die Gesprächsführung. Der Oxtorner erklärte gegenüber den Inspekteuren, dass sie nach Verknüpfungen zwischen Mashratan und der MORDRED suchen würden.

»Das ist noch mashraphob. Ihr wittert hinter allem gleich die bösen Mashraten und ihren Glauben als Unruhestifter. Kehrt lieber vor eurer eigenen Haustür«, warf Pauly Nemak ein.

Petur Werna war mehr damit beschäftigt, auf das Essen zu warten. Immerhin waren Argon von Lasal und Luff Gerbana etwas kooperativer.

»Wir sind Inspekteure und Beobachter aber keine Geheimagenten. Wir müssen mit der mashratischen Regierung zusammenarbeiten. Natürlich werden die uns nicht ihre Geheimnisse verraten. Wenn ihr uns sagt, wonach ihr sucht, können wir vielleicht helfen«, meinte der Akone.

»Ungewöhnliche Aktivitäten zum Beispiel«, sagte Dove. »Truppenbewegungen, unbekannte Raumschiffe, Bauaktivitäten oder das Verschwinden von Bewohnern«, fügte er hinzu.

Pauly schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Petur Werna hatte sich ächzend erhoben und war in die Küche gegangen, um zu überprüfen, wie lange der Kuhunbraten wohl noch brauchen würde.

Argon von Lasal prüfte auf seinem Rechner diverse Protokolle. Derweil servierte ein Roboter Speis und Trank. Es gab eben jenen Kuhunbraten mit mashratischem Gemüse und Kartoffeln. Rosan aß nur wenig davon. Sie wusste über die mashratanischen Schlachtgebräuche Bescheid, was ihr den Appetit verdarb. Die Tiere wurden mit Gebeten bei lebendigem Leib langsam auseinandergenommen. Rosan liebte Fleisch, jedoch war ihr beim Gedanken unwohl, dass die Tiere unnötig gequält wurden.

»Es gibt in der Tat einige Auffälligkeiten. Es wurden viele Transporte durchgeführt, die in den sogenannten Vorhof zur Hölle, also mitten in der unwirklichsten Wüste, endeten«, berichtete Argon von Lasal.

Der Akone war am hilfsbereitesten von allen. Er bot den Camelotern an, sie zu dieser Position zu führen. Die Cameloter sahen sich fragend an, schließlich antwortete Irwan Dove: »Wir nehmen das Angebot gerne an.«