14.
Die Schwingen des Adlers

Henry »Flak« Portland war nun in seinem Element. Eine Landungsoperation zu organisieren, entsprach schon mehr seinem Metier, als Verhandlungen mit einem selbst ernannten Operettenpotentaten zu führen.

Der Transmitter strahlte ihn und Jeamour in die Kommandozentrale der NORTH CAROLINA. Auch die beiden Kreuzer der IVANHOE und des LFT-Raumers kehrten zurück. Portland gab Alarmstufe Rot und informierte den Oberbefehlshaber der Raumlandeeinheiten.

»Wir gehen runter bis auf einhundert Kilometer. Eine Vorhut soll die Stärke der Gegner aufklären. Bei zu starkem Widerstand zieht ihr euch zurück und die IVANHOE und die CAROLINA beginnen mit dem gezielten Bombardement. Ziel ist es jedoch, an Daten zu gelangen. Wenn wir alles kurz und klein schießen, bekommen wir keine Informationen«, erklärte Portland.

»Einverstanden«, meinte Jeamour. »Allerdings dürfte die Station gut gesichert sein. Allein der lange Weg zum Haupteingang des Stützpunktes ist gefährlich.«

»Wir werden die Kampfroboter und Oxtorner in die erste Reihe stellen«, entschied Portland und gab das Zeichen, die Operation zu beginnen. Eilig machten sich auf beiden Raumschiffen die Truppen bereit. Die Techniker überprüften die Kampfroboter und verluden sie in die Beiboote und Kreuzer.

Portland hoffte, dass Oberst Kerkum am Ende nicht doch dazwischen funkte. Er traute diesem Typ nicht. Ihm war schon klar, dass Kerkum die eigene Haut retten wollte, doch deshalb war er nicht weniger ein Verbrecher, der vermutlich jederzeit wieder die Fronten wechseln würde, wenn es ihm zum Vorteil gereichen würde.

»Kommandant?«, rief der Funker, ein Jülziisch. »Jemand nimmt mit uns Verbindung auf. Ich …«

Der Blue kam nicht dazu, weiter zu sprechen, denn schon erschien eine etwa 180 Zentimeter Holografie eines Menschen in der Zentrale der NORTH CAROLINA. Er trug eine Art rote Toga. Darunter schimmerte ein goldener Brustpanzer. Das schwarze Haar war glatt und kurz. Das Gesicht des Mannes war kantig mit strengen Gesichtszügen.

»Ich bin Seamus, kaiserlicher Legat des dorgonischen Reiches. In meiner unendlichen Güte gewähre ich euch den ehrenvollen Rückzug von diesem Planeten. Andernfalls sehe ich mich dazu gezwungen, euch die Macht des Kaiserreiches Dorgon zu demonstrieren.«

*

Henry Portland und Xavier Jeamour waren perplex über diese plötzliche Wendung. Portland kannte kein Kaiserreich Dorgon. Woher kamen diese Kerle? Der Rüstung nach zu urteilen, die wie eine moderne Ausgabe einer römischen Offiziersrüstung aussah, mussten es die gleichen Leute sein, die Rosan Orbanashol und Wyll Nordment paralysiert hatten. Portland wandte sich an Jeamour. Dieser begriff sofort.

»Wir wünschen zu verhandeln. Uns war die Anwesenheit einer fremden, raumfahrenden Zivilisation unbekannt.«

»Natürlich war es das. Es lag in unserer Absicht. Wir hielten die Rückständigkeit der Galaktiker für ein Gerücht, doch wir fühlen uns durch das Verhalten der Barbarenstämme bestätigt «, erwiderte der Dorgone. Er wirkte geradezu gelangweilt.

»Legat Seamus, ihr mischt euch da in einen innergalaktischen Konflikt ein. Wir bitten daher um Aufklärung und möchten dich und deine Delegation gerne zu einer Besprechung auf unser Raumschiff einladen«, entgegnete Jeamour weiterhin um Höflichkeit bemüht.

»Inakzeptabel. Wir haben unsere Großmut bewiesen, doch ihr habt unsere Warnung in eurer primitiven Denkweise nicht verstanden. Eine Kommunikation schließt sich daher aus.«

Das Hologramm des Dorgonen erlosch.

»Was für ein arrogantes Arschloch«, knurrte Portland.

»Das verändert die ganze Situation. Es ist zu früh, um von einer Invasion zu sprechen, doch das Ganze beunruhigt mich sehr«, gab Jeamour zu. Er informierte seinen Ersten Offizier auf der IVANHOE.

Die Erde um die geheime Station fing an zu beben. Portland befahl, die Landeoperation der Kreuzer abzubrechen. Die Sensoren registrierten gewaltige Erschütterungen der Planetenoberfläche um den vermuteten Stützpunkt. Der Boden brach auf und bildete einen fast einen Kilometer langen Riss aus dem Dampf und Rauchschwaden aufstiegen. Das ganze Areal wurde förmlich von der Erde verschluckt.

Portland traute seinen Augen nicht, denn Teile der Erde wölbten sich nun über eine Länge von mehreren Hundert Meter nach oben, um dann wieder einzusacken. Etwas stieg aus dem Erdreich empor. Als Erstes sah Portland mächtige Flügel aus einem bräunlichen Metall. Dann erkannte er den länglichen Rumpf, aus dem die Flügel seitlich herauswuchsen. Der Rumpf endete vorne in einer keilförmigen Konstruktion, die ihn an einen Kopf erinnerte. Alles in allem sah das Raumschiff wie ein Raubvogel aus.

»Das meinte Kerkum mit Adler in der Wüste«, bemerkte Jeamour, der ebenso beeindruckt von dem fremden Raumschiff war. Der Rumpf hatte eine Breite von maximal 200 und eine Länge von 900 Metern, jeder Flügel eine Spannweite von 600 Metern. So einen Raumschiffstyp hatte Portland noch nie gesehen. Explosionen und Feuersäulen brachen aus dem Erdboden hervor. Sie verpufften an dem Schutzschirm des Adlerraumschiffes, welches zweifellos diesen fremden Dorgonen gehörte. Wenn es bisher noch Zweifel daran gegeben hatte, dass sie auf ein unbekanntes raumfahrendes Volk gestoßen waren, so wurde dieser nun endgültig ausgeräumt.

Das Adlerraumschiff stieg empor und steuerte Richtung Orbit von Mashratan. Jetzt mussten Portland und Jeamour entscheiden, ob sie das Adlerraumschiff aufhalten wollten oder es einfach so passieren lassen würden.

Es hatte sie nicht angegriffen. Portland wollte nicht den ersten Schuss abfeuern. Er sah zu Jeamour und las in dessen Augen und Gesichtsausdruck, dass er genauso dachte.

»Schutzschirme verstärken, Abstand zum Raumschiff halten. Wir greifen nicht an«, befahl Portland. Das Adlerraumschiff erreichte den Orbit und flog zwischen den Positionen der NORTH CAROLINA und IVANHOE hindurch. Nach einigen Momenten verschwand es einfach.

»Wir haben sie nicht mehr in der Ortung«, meldete der Ortungsoffizier der NORTH CAROLINA.

»Der Stützpunkt?«

»Zerstört. Da steht nichts mehr.«

»Ich finde, Oberst Kerkum kann uns noch ein paar Fragen beantworten«, meinte Xavier Jeamour. Portland stimmte dem zu. Und er wollte ihrem Anliegen etwas Nachdruck verleihen.