11.
Einsatz auf Mashratan

»Die Lage ist höchst unerfreulich und prekär«, stellte Xavier Jeamour fest.

Mathew Wallace, Irwan Dove, Lorif und Wyll Nordment befanden sich wieder an Bord der IVANHOE. Die Zeit brannte Nordment unter den Nägeln. Er wollte Rosan finden, doch bisher fehlte jegliche Spur. Es gab nur eine Möglichkeit, mehr über Rosans Verbleib herauszufinden. Die geheime Station, die als unterirdisches Wasserreservoir getarnt war, zu stürmen. Oder den Sohn von Oberst Kerkum zu inhaftieren.

»Wir können nicht einfach eine Militäroperation auf Mashratan durchführen. Die restlichen Galaktikums-Inspekteure sprechen sich dagegen aus. Der IVANHOE ist es untersagt, auf Mashratan eigenmächtig zu agieren.«

»Das ist mir egal. Rosan schwebt in Gefahr«, wütete Wyll.

»Das ist mir auch klar. Ich habe schon gestern eine Hyperkomnachricht an Mister Adams und die LFT abgesetzt. Die NORTH CAROLINA ist auf dem Weg hierher. Der Kommandant hat mehr Vollmachten. Bis dahin müssen wir uns damit begnügen, den Planeten zu beobachten, zu orten und nach den Individualimpulsen von Rosan zu suchen«, stellte Jeamour klar.

Nordment seufzte und ließ sich frustriert in den Sessel aus Formenergie fallen. Was sollte nur aus Rosan werden? Falls sie überhaupt noch am Leben war. Doch daran durfte er nicht denken. Und er tat es trotzdem. Diese Ungewissheit, die Sorge schnürten ihm den Magen zu.

»Die Familie Kerkum startet eine groß angelegte Suchaktion, um Rosan Orbanashol und Argon tan Lasal zu finden«, sagte Irwan Dove.

Wallace fing an zu lachen.

»Super, die stecken doch dahinter. Und die Delegation des Galaktikum tut nichts?«

Jeamour breitete die Arme in einer ratlosen Geste aus.

»Petur Werna und Pauly Nemak beteiligen sich an der Suchaktion. Sie weisen jedoch darauf hin, dass auch sie angehalten sind, die Gesetze des Planeten zu achten, solange keine Beweise vorliegen, dass die Regierung in diese Aktion verstrickt ist.«

Nordment merkte Jeamour an, dass der Kommandant der IVANHOE ebenso wenig begeistert von dieser Situation war. Doch was sollten sie tun? Nordment versuchte, sich in Jeamours Lage hinein zu versetzen. Würde es zu einer militärischen Konfrontation zwischen Camelot und mashratischen Truppen kommen, wäre das ein gefundenes Fressen für alle Gegner der Unsterblichenorganisation. Terraner, Arkoniden, Blues, Akonen, sie alle würden Camelot terroristische Tendenzen unterstellen.

Nordment war das gleich. Er hatte für Politik nichts übrig. Er wollte Rosan finden.

»Nun, Sir, soweit ich mich mit dem geltenden Recht im Galaktikum und den gängigen Verträgen auskenne, ist die Galaktikums-Inspektion autorisiert, um Hilfe zu bitten. Wenn Petur Werna einen offiziellen Antrag stellt, dürfen wir auf Mashratan ermitteln, da ja die Kerkum-Administration teilweise unter die Aufsicht des Galaktikums gestellt wurde«, erläuterte Lorif. »Natürlich kann Mashratan dies als Angriff werten und militärisch gegen uns vorgehen.«

»Wenn juckt das schon?«, wandte Wallace ein.

»Mich, Mister Wallace«, stellte Jeamour klar. »Ich bin sehr wohl um das Leben von Rosan Orbanashol-Nordment und Argon tan Lasal besorgt. Einen Krieg möchte ich dennoch nicht anzetteln.«

*

Die Stunden vergingen. Es kam Wyll wie eine Ewigkeit vor. Er musste tatenlos zusehen, wie nichts geschah, während Rosan vermutlich um ihr Leben kämpfte. Es lag auf der Hand, dass etwas auf Mashratan vor sich ging, was mit der MORDRED zu tun hatte. Wer waren diese Menschen mit der komischen Rüstung, die an eine moderne Variante eines römischen Zenturios erinnerte?

Wylls Interkom summte auf. Jeamour forderte Wyll auf, sofort in die Kommandozentrale zu kommen. Eilig begab sich Wyll dorthin. Er wurde vom Kommandanten der IVANHOE erwartet. Lorif und Irwan Dove befanden sich ebenfalls in der runden Zentrale.

In der Mitte des Raums baute sich eine zweidimensionale Holografie auf. Das Gesicht von Argon tan Lasal erschien. Er lebte!

»Nun, da Wyll auch hier ist, kann ich euch die Geschichte erzählen. Zuerst einmal, Rosan lebt. Wir haben von einem Priester die Informationen erhalten, dass sie wohl behalten in ein Dorf gebracht wurde, nachdem sie von hilfsbereiten Mashraten in der Wüste gefunden wurde.«

Wyll fiel ein Stein vom Herzen. Er fragte, wann er zu ihr könne, doch Jeamour stellte klar, dass er erst einmal schweigen sollte.

»Auch ich fand mich in der Wüste ausgesetzt, wurde jedoch durch einem Suchtrupp von Ali Kerkum gefunden. Dieser war selbst ganz überrascht über die Aktion gewesen. Offenbar handelte es sich um Terroristen der Adlerlegion Mashratans. Das sind oppositionelle Rationalisten, für die wohl das angebliche Wasserreservoir als Stützpunkt diente. Die Polizei wird sich darum kümmern. Sobald Rosan wieder an Bord der IVANHOE ist, bitten wir euch, das Mashritun-System zu verlassen. Das hat in dieser heiklen Phase alles für viel Unruhe gesorgt. Eine Zusammenarbeit zwischen Kerkum und der MORDRED schließen wir inzwischen aus.«

Stille. Alle in der Zentrale waren verdutzt über den Monolog des Akonen. Und keiner schien wirklich zu glauben, dass Kerkum nichts mit der MORDRED zu tun hatte.

»Vielen Dank. Bitte teile uns die Koordinaten des Dorfes mit. Wir holen Rosan Orbanashol-Nordment ab. Wir wollen verhindern, dass sie noch einmal verloren geht«, sagte Jeamour.

»Negativ, sie befindet sich bereits auf dem Weg nach Vhrataalis. Sobald sie im Inspektionsstützpunkt ist, informiere ich euch.«

Der Akone beendete das Gespräch.

»Ungewöhnlich«, kommentierte Lorif die Situation.

Jeamour blickte den Posbi fragend an.

»Wie du weißt, wurden sämtliche Informationen über Mashratan in meine Speicher geladen. Von einer Oppositionsgruppe namens Adlerlegion steht dort nichts. Ebenfalls stellt sich die Frage, wie Ali Judäa Kerkum entkommen konnte.«

Jeamour kratzte sein haarloses Haupt und seufzte. Er wanderte nachdenklich in der Zentrale umher.

»Wir kennen die Antwort. Doch zuerst muss Rosan Orbanashol in Sicherheit gebracht werden. Die Mashraten werden uns nicht so einfach los.«

*

Xavier Jeamour widersetzte sich der Empfehlung der Inspektoren des Galaktikums und machte einen Kreuzer klar. Die IVANHOE verfügte, obwohl das Schlachtschiff noch nicht voll ausgerüstet war, über fünf Minor Globes der KASKAYA-II-Klasse und über zwei Leichte Kreuzer der VESTA-Klasse.

Jeamour entschied sich für einen der VESTA-Kreuzer. Er wollte gegenüber den Mashraten etwas Macht demonstrieren. Zwar war ein VESTA-Kreuzer wahrlich kein Gigant, doch es handelte sich um einen Neubau Camelots, der über die modernste Technik verfügte und sich durchaus zu verteidigen wusste.

Während Jeamour an Bord der IVANHOE blieb, übernahm James Fraces das Kommando über den Kreuzer und dessen Stammbesatzung von 80 Raumfahrern. Zusätzlich waren Wallace, Lorif, Irwan Dove sowie Wyll Nordment an Bord.

Der Erste Offizier der IVANHOE war 1239 NGZ in Dublin auf der terranischen Insel Irland geboren. Der vollbärtige Fraces hatte mit seinen 1,89 Meter eine stattliche Statur und strahlte Autorität aus.

Er hatte seine Jugend auf einer irischen Farm bei seinem Vater und Großvater verlebt. Statt jedoch den Familienbetrieb fortzuführen, hatte es ihn zu den Sternen gezogen. Fraces war als junger Mann ausgerissen und hatte auf einem Frachter angeheuert. Dort hatte er gelernt, sich zu behaupten und Respekt zu verschaffen. Sein Weg hatte ihn schließlich nach Camelot geführt, wo er die Raumfahrtakademie ab 1274 NGZ besucht hatte. Seit dem Jahre 1281 NGZ hatte Fraces seinen Dienst auf der CELTIC als Erster Offizier verbracht. Xavier Jeamour war auf den raubeinigen und doch sehr fähigen Fraces aufmerksam geworden und hatte ihn 1290 NGZ als Ersten Offizier für die IVANHOE angefordert.

Nachdem die Administration über den Anflug informiert worden war, passierte der Kreuzer das Sperrfeld der Raumforts und landete auf dem Raumfeld, das zum Stützpunkt des Galaktikums gehörte.

Dort wurden sie bereits von Rosan Orbanashol erwartet, die in Begleitung von Argon tan Lasal, Pauly Nemak und Petur Werna war. Wyll stürmte als Erster die Landungsgangway hinunter, um Rosan in die Arme zu schließen.

James Fraces ging es etwas würdevoller an.

»Was soll das? Nehmt die Arkonidenschlampe und verschwindet, ihr Faschos!«, keifte Pauly Nemak. »Mashratan braucht eure Waffen nicht. Haut ab, ihr Mörder!«

Petur Werna räusperte sich und versuchte die Frau zu beruhigen. Fraces wirkte irritiert und wechselte einen Blick mit Irwan Dove, der sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Der beleibte Chefinspekteur entschuldigte sich beim Ersten Offizier der IVANHOE. Allerdings stellte er auch fest, dass die Anwesenheit der Cameloter für Komplikationen sorgen könnte.

»Wir sind weiterhin der Meinung, dass die MORDRED auf Mashratan aktiv ist. Niemals zuvor wurde so eine Adlerlegion erwähnt. Etwas stimmt hier nicht«, betonte Fraces.

»Und was habt ihr vor? Die Station in der Wüste zu bombardieren?«, wollte Argon tan Lasal wissen. Auch er schien inzwischen nicht mehr über die Anwesenheit der Cameloter glücklich zu sein.

Wyll fragte sich, wieso die alle so gereizt waren? Dass diese Pauly Nemak einen an der Waffel hatte, wusste er. Doch die ablehnende Haltung des Akonen machte ihn misstrauisch.

»Wo genau hat man dich in der Wüste eigentlich ausgesetzt? Wie lange warst du dort? Und wieso haben Kerkums Leute dich gefunden und uns nicht? Wie ist dieser Knilch eigentlich entkommen?«

»Ich habe keine Lust, alles zwei Mal zu erzählen«, wehrte tan Lasal ab.

»Bitte, bitte. Ein mashratisches Sprichwort sagt: So diskutiere nicht unter freiem Himmel, sondern am wärmenden Feuer in den eignen Wänden«, mischte sich Werna ein und marschierte demonstrativ in Richtung Hauptgebäude.