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D O R G O N

Fan-Projekt des Perry Rhodan Online Clubs

 

MORDRED-ZYKLUS

Band 8

 

Nils Hirseland

Titelbild von John Buurman

 

Das Ende der LONDON

Rodrom übt grausame Rache

 

Was bisher geschah

Im Oktober des Jahres 1285 NGZ bricht das Luxusraumschiff LONDON zu einer Kreuzfahrt quer durch die Lokale Gruppe auf. Das neue Flaggschiff der Kosmischen Hanse soll das traditionsreiche terranische Unternehmen zu neuem Glanz verhelfen.

Mit an Bord ist auch Perry Rhodan, der den bedeutenden Somer Sruel Allok Mok auf der LONDON für Camelot gewinnt. Zu den illustren Gästen zählt nicht nur die Familie der arkondischen Orbanashols, sondern auch die Sekte »Die Kinder der Materiequelle« unter der Führung von Vater Dannos.

Sie sind auf einer selbst ernannten kosmischen Mission und entführen die LONDON. Doch ihr »perfekter kosmischer Plan« scheitert, als ein fremdes Raumschiff auftaucht und die LONDON in die Galaxis M64 bringt. Nachdem das Luxusraumschiff durch die kosmische Inkarnation Rodrom in die Vergangenheit eines Paralleluniversums versetzt wurde, gelingt dank des verschollen geglaubten Sato Ambush die Rückkehr in das Normaluniversum.

Aurec und Perry Rhodan wehren den Usurpator Dolphus in Saggittor ab und besiegen Rodroms Truppen im »Schwarzen Auge«.

Die LONDON beginnt ihren Flug zurück in die Milchstraße. Doch Rodrom sinnt auf Rache und droht
DAS ENDE DER LONDON an.

Hauptpersonen

Perry Rhodan – Der Zellaktivatorträger kämpft um das Überleben der Passagiere und Besatzung der LONDON.

Rosan Orbanashol – Die Halbarkonidin schlittert von einer Katastrophe in die nächste.

Wyll Nordment – Er kämpft um die Liebe von Rosan.

Sam – Der Somer hilft bei der Evakuierung der LONDON.

James Holling – Kommandant der LONDON.

Rodrom – Die Inkarnation der mächtigen Entität MODROR übt grausame Rache.

Spector Orbanashol, Attakus Orbanashol, Hermon da Zhart und Thorina Orbanashol – Die Arkoniden machen jedem das Leben schwer.

Alex Moindrew, Evan Rudocc, Mugabe Sparks, Uto Lichtern, High Gellar, Garl Spechdt, Bogo Prollig und Terna Ambyl – Sie suchen die LONDON.

Terek-Orn, Shel Norkat, Kolipot und Jakko Mathyl Sind die Passagiere der LONDON dem Tode geweiht?

Vater Dannos – Der Sektenguru als Gehilfe der Apokalypse.

 

 

 

 

1. Prolog

Das letzte Kapitel von Rhodans Odyssee – der Reise der LONDON – wurde aufgeschlagen. Es schien, als wären alle Ängste und Sorgen in Saggittor geblieben, als das Luxusraumschiff der Kosmischen Hanse durch das Sternenportal am 29. November 1285 NGZ die Gegenstation in der Lokalen Gruppe erreichte.

Die Reise dauerte nur wenige Momente. Wer diese Dimensionstore erschaffen hatte, wussten weder die Saggittonen noch die Galaktiker. Möglicherweise stammte es von der Superintelligenz SAGGITTORA, von der Aurec kurz vor ihrer Abreise gesprochen hatte.

Demnach hatte sie den Saggittonen den Auftrag zur Erforschung der Lokalen Gruppe gegeben. Rhodan wusste, dass er dieses Sternenportal untersuchen wollte, sobald Ruhe eingekehrt war. Jedenfalls existierte nun eine direkte, schnelle Verbindung zur 19 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie Saggittor.

Die LONDON befand sich inzwischen auf der Rückreise. Es dauerte sicherlich noch rund drei Wochen, ehe sie die Milchstraße erreichen würden. Doch, und das war das Wichtigste, ihre Odyssee näherte sich dem Ende.

Die Abenteuer durch die Entführung der Kinder der Materiequelle, in der Vergangenheit eines Paralleluniversums und in Saggittor waren vorbei. Die Galaktiker hatten in den Saggittonen neue Freunde und Handelspartner gefunden.

Doch Perry Rhodan hatte die Worte Rodroms nicht vergessen. Er war sicher, dass er eines Tages Rodrom wieder begegnen würde.

Aus den Chroniken
Jaaron Jargon

 

2. Der Rückflug der LONDON

08. Dezember 1285 NGZ

Rosan stand am Geländer und blickte verträumt in den künstlichen Himmel, den die Bordsyntronik der LONDON kreierte. Die kleine Kunstsonne war aktiviert und die Temperatur dementsprechend höher auf den so genannten Außendecks des Luxusraumers. Der Sauerstoff wurde mit einem leichten Salzgehalt angereichert. Dazu kam das Rauschen von Wellen und eine Projektion eines schier endlosen Meeres. Rosan hatte das Gefühl, sie würde auf einem richtigen Schiff stehen und einen Ozean überqueren.

Sie sah den Menschen zu, die noch das Beste aus der Reise machten. Arno Gaton hatte notgedrungen allen Passagieren einen Preisnachlass von bis zu fünfzig Prozent versprochen. Damit beruhigte er wieder die wütenden, aber auch verängstigten Passagiere. Die Reise wäre beinahe zum Fiasko für die Kosmische Hanse geworden. Ausgerechnet Perry Rhodan hatten sie es zu verdanken, dass sie doch noch eine glückliche Wende genommen hatte. Perry Rhodan war es auch gewesen, wenn auch mit Hilfe von Sam, Aurec, Wyll und Rosan selbst, der Rodrom besiegt hatte. Zwar hatten viele glückliche Zufälle mitgespielt, doch ohne Perry Rhodan wäre die LONDON schon bei der Entführung durch Dannos verloren gewesen.

Jeder an Bord war ihm zu Dank verpflichtet. Doch nicht alle taten es. Ihr Onkel Spector hatte Rhodan als Grund für die ganze Misere bezeichnet. Er argumentierte, dass ohne Rhodan Rodrom niemals Interesse an der LONDON gehabt hätte.

Sicherlich hatte er so gesehen Recht, doch ohne Rhodans beruhigende Art und Durchsetzungsvermögen hätte bereits Dannos seine Pläne verwirklichen können, was auch für viele das Ende bedeutet hätte.

Außerdem hatte niemand das Recht dazu, Perry Rhodan für die Bösartigkeit Rodroms verantwortlich zu machen. Aber das war schon immer eine Unart der Arkoniden gewesen.

Dieser Undank regte sie auf. Die Eliten der Milchstraße dachten stets, sie würden über der normalen Bevölkerung stehen und doch waren sie, im Angesicht des Kosmos, nur Staub. Klein und unbedeutend, doch sie nahmen sich viel zu wichtig und machten anderen das Leben schwer.

Und doch waren sie nichts ohne ihre willigen Diener, die ihren gierigen Herren nacheiferten, in der Hoffnung, auf einer ähnlich traumhaften Wolke zu schweben, wie ihre Vorbilder. Rosan hätte gut und gerne auf den Reichtum und den Glamour der selbst ernannten Eliten verzichten können.

Sie dachte nun an ihre Zukunft. Auf dieser Reise war sehr viel passiert. Wyll Nordment hatte ihr Leben mehr verändert, als die Abenteuer in den letzten Wochen. Er hatte ihr gezeigt, wie schön das Leben doch sein konnte, fernab von den Orbanashols und der arkonidischen Etikette. Sie hatte es satt, jeden Morgen die arkonidische Hymne singen zu müssen. Für Arkons Macht und Glorie – sie konnte die Arroganz Attakus' nicht mehr ertragen.

Wyll und Rosan waren zwar häufig zusammen gewesen, doch sie hatten keine Zeit gefunden, ihre Liebe richtig zu genießen. Erst jetzt hatten beide Zeit, ausgiebig über sich und ihre gemeinsame, Zukunft nachzudenken. Rosan wollte erst einmal eine Weile allein sein, um sich über ihre Gefühle im Klaren zu werden.

Sie liebte Wyll mehr als alles andere und war der festen Überzeugung, dass sie beide zusammen glücklich werden konnten. Nur hatte sie Angst vor ihrer Familie. Spector und Attakus Orbanashol würden nichts unversucht lassen, um ihr Glück zu zerstören. Deshalb war sie manchmal der Ansicht, dass Wyll ohne sie besser dran wäre.

Als Zeichen der Anerkennung hatte Wyll immerhin eine bessere Unterkunft erhalten, seine Position als Navigator blieb ihm jedoch weiter verwehrt. Die Anklage wegen Mittäterschaft bei der Entführung der LONDON und wegen tätlichen Angriffs gegen Attakus Orbanashol wurde allerdings aufgrund von Wylls maßgeblicher Beteiligung zur Rettung der LONDON fallen gelassen.

*

Die neue Kabine Wyll Nordments war um etliches komfortabler, als sein Interimsquartier. Das Bett war weich. Hätte er in der alten Absteige Möbel aus Formenergie gehabt, wäre es ihm egal gewesen, doch die harte Pritsche hatte ihm nur Rückenschmerzen beschert. Wyll lag auf seinem kuscheligen Schlafplatz und verschränkte die Arme hinter den Kopf.

Er dachte natürlich an Rosan. Er liebte sie und wollte den Rest seines Lebens mit ihr verbringen. Er hatte keine Angst vor den Orbanashols. Das einzige, was ihm im Moment fehlte, war ein Job. Er glaubte nicht daran, dass er in der Hanse noch einmal anfangen könnte.

Natürlich musste kein Mensch mehr auf Terra hungern und Wyll war sich sicher, dass er auf irgendeinem Schiff eine Stelle bekam, doch war das dann auch das Richtige für Rosan? Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, war sie einen gewissen Lebensstandard gewohnt.

Wyll wollte nicht, dass sie auf alles verzichten musste, nur wegen ihm.

Er seufzte laut. Dann schaute er auf sein Chronometer. Es war bereits 20.40 Uhr. Er entschloss sich, zu Rosan zu gehen, um mit ihr über alles zu reden.

*

Perry Rhodan und Sam saßen in Rhodans Kabine und genossen die Ruhe. Für Rhodan waren Erlebnisse dieser Art nichts Ungewohntes mehr, doch Sam brauchte diese Phase der Ruhe. Diese gewährte ihm Rhodan schon seit dem Abflug aus der Galaxis Saggittor.

Der Cameloter dachte über seinen neuen Alliierten und dessen Volk nach. Seit die LONDON auf der Rückreise in die Milchstraße war, begann er in den Ruheperioden immer mehr zu grübeln. Die Saggittonen und ihr charismatischer Führer Aurec, der zu einem guten Freund geworden war, erinnerten ihn mehr und mehr an ein anderes Volk und an einen anderen Freund, der jedoch längst im Dunkel der Geschichte verschwunden war: Ovaron und die Ganjasen.

Je mehr er über seine neuen Verbündeten nachdachte, umso mehr drängte sich ihm der Vergleich mit dem Ganjo auf. Aurec steckte genau wie Ovaron voller Tatendrang und war bereit, unter Einsatz seines Lebens, für eine friedliche und geeinte Zukunft seines Volkes zu kämpfen.

Er war sich sicher, dass diese Episode erst der Anfang einer intensiven Zusammenarbeit mit Saggittor sein würde, die Sternentransmitter eröffneten die Möglichkeit eines intensiven Austausches auf kultureller, wirtschaftlicher und militärischer Ebene. Ebenso hatte er allerdings auch das Gefühl, dass er schon in naher Zukunft wieder auf Rodrom stoßen würde. Die letzten Worte der Entität waren eindeutig und hingen wie eine dunkle Bedrohung über ihm und den Menschen: Krieg und nochmals Krieg.

Sam war inzwischen eingeschlafen. Der Somer hatte sich für einen Diplomaten und Politiker sehr tapfer geschlagen. Er war eines Cameloters würdig. Perry freute sich auf die kommende Zusammenarbeit mit ihm.

Er war sich noch nicht sicher, wo er genau Sam einsetzen wollte. Doch er sollte an einem Langzeitplan arbeiten, die Milchstraße wieder auf friedliche Art zu einen. Eine wahrhaftig anstrengende Aufgabe, doch Sam konnte dieser gerecht werden.

Rhodan holte eine Decke und legte diese über das Vogelwesen. Er wollte ihn nicht extra wecken. Es machte ihm nichts aus, wenn der Somer die Ruheperiode in seiner Kabine verbrachte. Er selbst konnte nicht schlafen, zu sehr beschäftigten ihn die vergangenen Ereignisse. Schließlich verließ er seine Unterkunft und begann ziellos durch das Raumschiff zu schlendern.

Unterwegs bemerkte er, wie schön die LONDON eigentlich war und er war froh, dass das Schiff keine ernsthaften Schäden davongetragen hatte. Aber er machte sich noch immer Sorgen um die Sicherheit des Luxusraumers und seiner Passagiere. Diese würden wohl erst beendet sein, wenn die LONDON sicher im Orbit um Terra angekommen war.

Gedankenverloren bemerkte er, dass ihn sein Weg in die Sternenhalle geführt hatte. Über ihm wölbte sich die gewaltige Kuppel aus hoch verdichtetem Glas, das gegen die Leere des Weltraumes durch eine zusätzliche Schutzschicht aus Formenergie abgeschirmt wurde. Sein Blick wurde wie magisch von der Projektion des intergalaktischen Raumes angezogen, die während des Metagravfluges die Illusion erzeugte, freien Blick auf das normale Raum-Zeitgefüge zu haben. Langsam ließ er sich in einen etwas abseits stehenden Formenergiesessel sinken und blickte abwesend in das beeindruckende Firmament.

Mit einem Handzeichen machte er sich bemerkbar, worauf eine äußerst knapp bekleidete Bedienung zu ihm kam. Die hoch gewachsene junge Frau mit kupferfarbener Haut und oxidgrünen Haaren starrte ihn einen Moment völlig konsterniert an, bevor sie sich sichtbar zusammenriss und nach seinen Wünschen fragte.

»Könnten Sie mir bitte eine Flasche Vurguzz, eine Flasche Wasser und ein Glas bringen?«

Wieder schien die junge Frau völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten und brauchte einige Augenblicke, bevor sie seinen Wunsch bestätigte.

»Gerne Großadministrator, sehr …, sehr gerne!«, stammelte sie verwirrt.

»Großadministrator, das war einmal, in einer anderen Zeit, in einem andren Leben. Jetzt bin ich nur Perry, ganz einfach Perry«, antwortete er ihr.

Ihr Blick ruhte noch einen Augenblick auf ihm, bevor sie sich eilig entfernte. Rhodan blickte ihr nach und überlegte, von welchem Siedlungsplaneten sie stammen mochte. Aus seinem Gedächtnis entstand das Bild eines zwei Meter großen Hünen mit den gleichen äußerlichen Merkmalen, Arl Tratlo, der Dreitöter. Der USO-Spezialist hatte im Kampf gegen die Meister der Insel eine Rolle gespielt und war vor knapp 2.500 Jahren gefallen.

Die junge Frau musste also, genau wie Tratlo, von der Welt Meredi IV stammen, die etwa 500 Lichtjahre von Terra entfernt war.

Wenig später kam die Bedienung zurück und überreichte ihm mit einem scheuen Lächeln die gewünschten Getränke.

Mit einem gemurmelten »Danke!« verabschiedete er sich von der Meredierin und nahm die Flaschen samt Glas. Er schenkte sich ein und genoss das Aroma des grünen Likörs aus den Vurga-Beeren. Nachdem er das Glas in kleinen Schlucken geleert hatte, lehnte er sich zurück und nahm seinen Pikosyn. Er griff auf die Daten der Saggittonen zu und ließ den kleinen Rechner Auswertungen vornehmen.

Rhodan goss sich nochmals ein Glas Vurguzz ein, das er auf einen Zug leerte.

Obwohl er halbwegs mit diesem Ergebnis gerechnet hatte, überraschte ihn die Bestätigung seiner Vorahnung. Die Auswertung des Genetischen Codes und der DNA-Sequenzen der Saggittonen hatte eine weitgehende Übereinstimmung mit dem Erbgut der Terraner ergeben, kurz gesagt, Aurec und sein Volk waren, genauso wie die Cappinvölker, Varganen oder auch die Wynger, genetisch mit den lemuriden Völkern der Milchstraße kompatibel, sie konnten ohne genetische Manipulationen gemeinsame Nachkommen haben. Alles deutete also auf eine gemeinsame Abstammung hin. Doch wo lag dann der Ursprung der Menschheit und welche Rolle spielte sie im Kosmos?

Sollte die Legende der V’Aupertir als Ursprung aller humanoiden Völker doch einen Wahrheitskern enthalten?

Rhodan schwindelte vor den Konsequenzen. Sollte die alte Prophezeiung von ES dahin gehend zu verstehen sein, dass die Menschheit in ferner Zukunft das »Erbe« ihres eigenen Urvolkes antreten sollte? Und welche Rolle war ihm bei diesem Spiel eigentlich zugedacht?

Zumindest eines war ihm inzwischen klar geworden: Die Entführung der LONDON hatte offenbar dem Zweck gedient, ihn auszuschalten. Irgendwie musste er den Plänen irgendeiner unbekannten Entität gewaltig im Wege stehen.

Endlich bemerkte er, dass sein Geist zur Ruhe gekommen war. Er beschloss in seine Kabine zu gehen und endlich seinen verdienten Schlaf zu finden. Er durchquerte die inzwischen menschenleere Sternenhalle und erreichte über den Umweg des ebenfalls glasüberdachten »Hauptdecks« seine Kabine, wo Sam nach wie vor friedlich in einem Sessel schlief. Rhodan legte sich auf die Konturliege und deckte sich mit der zur Luxusausstattung gehörenden Daunendecke zu. Wenig später fielen ihm die Augen zu und er begann einzuschlafen.

*

James Holling und Arno Gaton saßen in einem der vielen Speiseräumen zusammen. Dies war einer, der für kleine Mahlzeiten vorgesehen war. Sie ruhten in zwei bequemen, dunkelbraunen Sesseln mit breiten Lehnen. Vor ihnen stand ein kleiner, grünlicher Tisch aus Phasit-Holz. Beide tranken eine Tasse Cappuccino nach siganesischem Rezept.

Gaton war in bester Laune.

»Sogar ein gutes Geschäft an Land gezogen. Wir werden dir zum Abschied erlauben, noch eine Runde durch das Solsystem zu fliegen. Mit Feuerwerk kannst du dann in deine Pension schippern. Als heldenhafter Kommandant der LONDON! Klingt das nicht nett?«

Der alte Plophoser lehnte sich zurück. Natürlich wünschte er sich solch einen glanzvollen Abschied. Letztendlich hatte Gaton ja Recht. Es war nichts passiert. Er grinste und griff nach seinem Glas. Dann stieß er mit Gaton an.

»Auf meinen letzten Flug.«

Gaton machte einen zufriedenen Eindruck.

»Warum nicht gleich so.«

Beide saßen noch eine Weile in dem Raum und sahen den Passagieren zu.

»Weißt du, in meiner langen Raumflottenkarriere ist mir alles schon vorgekommen. Nur eines nicht«, murmelte Holling.

Gaton sah ihn fragend an.

»Kein Wrack. Keine Zerstörung eines Raumschiffes.«

Gaton lachte laut. »Wird wohl auch nicht mehr passieren.«

Der Hansesprecher nahm einen langen Zug aus dem Glas und ging wieder. Holling blieb im Sessel und wippte etwas mit dem Kopf hin und her.

*

Die Orbanashols saßen in einer Dunstwolke aus Zigarrenqualm zusammen mit dem Mehandor-Patricharchen Kolipot, dem Apaser Türkalyl Öbbysun und dem topsidischen Botschafter Terek-Orn beim Abendtrunk. Auch der terranische Bankier Jakko Mathyl und weitere einflussreiche Geschäftsmänner gesellten sich in den luxuriösen Raum mit dem künstlichen Kamin zu ihnen. Sie diskutierten über die wirtschaftliche Lage und wie die Märkte auf das Verschwinden der LONDON wohl reagierten.

»Jetzt wäre der beste Zeitpunkt, um Hanseaktien zu kaufen. Sofern es zuhause bekannt ist, dürfte die Aktie im Keller sein. Jetzt aufkaufen und sobald die LONDON in der Milchstraße ist und Gaton den Saggittor-Deal verkündet, ist die Hanseaktie unbezahlbar«, stellte Mathyl fest und nippte an seinem Whiskeyglas.

»Wir könnten jemand mit einer Space-Jet voraus schicken«, schlug Kolipot vor.

»Insiderhandel ist verboten«, warf Öbbysun schrill ein.

Mathyl winkte ab, während der Springer verächtlich die Miene verzog und grollte.

»Nur wenn man erwischt wird. Ansonsten gehört es zum normalen Geschäft eines klugen und weitsichtigen Unternehmers.«

»Ich stimmte meinem Mehandorfreund zu«, sagte Mathyl. »Was meint der arkonidische Adel dazu? Etwas mehr Geld schadet doch nie, oder?«

Attakus Orbanashol war jedoch nicht bei der Sache. Er kauerte in seinem Sessel und hielt ein leeres Glas in der Hand.

»Wie du meinst«, erwiderte Attakus in Gedanken versunken. Der Aristokrat winkte Hermon da Zhart zu sich. Der kantige Arkonide trat an seinen Herren heran und beugte sich herab.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte der Diener der Familie.

»Wir brauchen einen Plan. Ich will Rosan zurück!«

Zhart verdrehte die Augen. Er war dieses Thema langsam Leid. Nach seiner Meinung hatte dieses Mischblut den hohen Zhdopanda Attakus nicht verdient. Doch diese Kritik wagte er nicht zu äußern.

»Wir haben doch schon alles versucht. Zwecklos«, erklärte er halbwegs diplomatisch.

Attakus stand auf und lief wütend durch den Raum. Die anderen starrten ihn entgeistert an.

Jakko Mathyl flüsterte etwas zum topsidischen Delegierten. Dieser gab ein leises, kehliges Summen von sich.

Attakus blieb plötzlich stehen. »Ich hab eine Idee. Zhart, folge mir!«

Beide verließen schnellen Schrittes den Raum. Spector sah seinem Neffen misstrauisch hinterher. Ihm gefiel es nicht, wie Attakus Rosan hinterherrannte. Spector hätte an Attakus Position anders reagiert. Er hätte die Frau, die es wagte ihn abzulehnen, beseitigen lassen.

Liebe war das nicht, sondern gekränkte Eitelkeit. Er hatte seinen Besitz verloren. Attakus hatte verloren. Das störte Spectors Neffen wirklich.

Aber Spector plante bereits, einige Killer auf Rosan Orbanashol anzusetzen, sobald sie wieder auf Arkon waren. Egal ob sie sich nun für Attakus oder Wyll Nordment entschied. Wenn es nach Spector Orbanashol ging, war das Schicksal seiner verhassten und verschmähten Stieftochter besiegelt.

Mit Niemandem hatte er darüber geredet. Nicht einmal mit seiner Frau Thorina. Er fürchtete, sie könnte auf einmal mütterliche Gefühle entwickeln und ihr Veto gegen das Vorhaben einlegen.

So hingegen war es unabänderlich für jeden. Am liebsten wollte Spector sie schon heute ermorden lassen, doch niemand an Bord war dazu bereit, zudem war es taktisch unklug. Er wäre einer der Hauptverdächtigen, falls ihr etwas geschah. Besonders in einer so begrenzten Örtlichkeit, wie auf der LONDON. Ein beauftragter Killer konnte sie jedoch auf Terra töten, während Spector auf Gos’Ranton saß und Zeitung las.

*

Attakus und Zhart begaben sich in ihre Luxussuite. Sie aktivierten das Türschloss und vergewisserten sich, dass niemand von der Dienerschaft in der Nähe war und ihnen zuhörte.

»Nordment hat ein aufbrausendes Temperament«, begann Attakus schnell, während er um den runden, transparenten Designertisches aus Ghama-Glas wanderte.

Zhart hob die Augenbrauen und stimmte zu.

»Das konntest du ja besonders feststellen. Doch was nutzt uns das?«, wollte der Haushofmeister der Familie Orbanashol wissen.

»Wir werden ihn wieder provozieren – öffentlich, danach wird ein Mordanschlag auf mich ausgeübt werden«, erklärte Attakus. »Ich überlebe natürlich, doch die Beweise am Tatort deuten auf Wyll Nordment hin. Aus Liebe zu Rosan wollte er sie von dem bösen Arkonidencousin befreien, der sie doch nur gefangen halten wollte. Aus Liebe tun diese Terraner ja fast alles.«

»Einen Anschlag kann ich mit Leichtigkeit inszenieren. Ich denke, das könnte diesmal funktionieren«, entgegnete Hermon von Zhart.

*

Shel Norkat saß alleine in ihrem Zimmer. Sie grübelte über die Dinge nach, die sie getan hatte. Sie bereute es inzwischen.

Shel war wieder in ihre alten Zeiten zurückgefallen. Zeiten, in denen ihr Partys, Drogen, Alkohol und Sex wichtiger waren als alles andere. Sie war auf die LONDON gegangen, um diese alten Zeiten zu vergessen. Doch anstelle bei Aurec zu bleiben, musste sie bei der Feier mit einer anderen Terranerin flirten, Drogen einnehmen und bei einem flotten Dreier die Hauptrolle spielen.

Dabei hatte sie einfach alles für eine Nacht vergessen wollen. Die ganze Irrfahrt war zu schrecklich gewesen. Sie hatte einfach nur neben sich gestanden und nach einer Ablenkung gesucht.

Shel hatte versucht, ihren Fehltritt wieder gut zu machen, doch es hatte keinen Sinn gehabt. Aurec hatte sein Interesse an ihr verloren. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zurück zur Erde zu fliegen. Erst in den letzten Tagen des Rückflugs war sie sich darüber im Klaren gewesen, dass sie nie wieder so eine Chance bekommen würde. Sie hasste sich selbst dafür.

 

3. Rodroms Rache

Ihr glaubt, es sei zu Ende? Ihr glaubt, ihr habt es geschafft? Ich lasse euch in diesem Glauben. Umso erfreulicher für mich werden eure Überraschung und euer Entsetzen über die unvermeidliche Katastrophe sein. Niemand wagt es, Rodrom zu trotzen. Dafür wirst nicht nur du, Perry Rhodan, deine Strafe erhalten. Nein, alle der 16.000 Wesen an Bord der LONDON werden dafür büßen. Sie werden die Apokalypse erleiden, hoffen auf eine Absolution, die nie erteilt wird.

Hörst du sie schreien? Die Männer, Frauen und kleinen Kinder? Nein, du hörst sie nicht? Doch das wirst du bald. Denn das Schicksal dieses Raumschiffes ist besiegelt.

*

Wyll und Rosan hatten sich lange an einem gemütlichen Imbiss in der Sternenhalle unterhalten. Sie hatten einen Schwebetisch gewählt, von dessen Position aus, ihnen einen schöner Blick auf die Halle und die Hologramme bot.

Rosan lehnte sich an das Geländer und sah Wyll erwartungsvoll an.

Er holte seine Hände aus den Hosentaschen und legte sie auf Rosans Schultern.

»Ich habe mit meinem neuen Boss gesprochen«, sagte er.

»Und wer ist das?«

»Ein sehr freundlicher Mann. Er hat mir den Posten des Chefnavigators auf einem Raumschiff angeboten.«

Rosan sah Wyll ungläubig an. »Das ist aber sehr nett von ihm, wer auch immer es ist.«

»Und mehr noch, ich kann auch dort wohnen. Eine große und geräumige Wohnung, ein gutes Gehalt und Platz für zwei.«

Sie fing an zu lächeln. Dann legte sie ihre Arme um seine Hüften.

»Wer und wo?«

»Perry Rhodan und Camelot.«

Rosan machte eine erstaunte Geste. »Du hast Rhodan gefragt?«

»Und er hat zugestimmt. Auf Camelot sind wir vor deiner Familie völlig sicher.«

»Unter den Umständen möchte ich doch mein ganzes Leben mit dir verbringen, Wyll Nordment!«

Rosan küsste ihn leidenschaftlich. Jetzt waren ihre Träume in Erfüllung gegangen. Nichts konnte ihrem Glück mehr im Wege stehen.

*

Noch seid ihr vergnügt und glücklich, ihr erbärmlichen, atavistischen Kreaturen auf der LONDON. Erleichtert, dass alles vorbei ist. Ihr wähnt euch in Sicherheit.

Doch nicht mehr lange, nicht mehr lange, dann werdet ihr an euren Schmerzensschreien ersticken. Meine Rache wird euch schon sehr bald heimsuchen.

Und noch in tausend Jahren wird mit Ehrfurcht an das Schicksal der LONDON gedacht werden. Und jeder wird wissen, wer das Schicksal der LONDON besiegelt hat.

Es war die Inkarnation MODRORs.

Es war Rodrom ...

*

09. Dezember 1285 NGZ

Die LONDON flog mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum. Es war so, als wollte der Kommandant einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Nach neuesten Berechnungen würde die LONDON in bereits zwei Wochen die Milchstraße erreichen.

Jedoch waren die Gravitrafspeicher fast leer. Holling rechnete damit, dass gegen Abend des 09. Dezembers die LONDON den Hyperraum verlassen musste, um die Speicher aufzuladen.

Perry Rhodan und Sam verbrachten viel Zeit miteinander. Sie sprachen über die vergangenen Wochen und über die Zukunft der Milchstraße. Mehr war nicht zu tun. Perry Rhodan genoss die Ruhe. Auf jeden Fall war der Rückflug bis jetzt ohne Zwischenfälle verlaufen, alles blieb ruhig.

Der Tag ging relativ schnell vorüber und es näherte sich die Zeit des Dinners. Diesmal waren wieder der gesamte Adel aus Macht und Geld an seinem Tisch versammelt. Die Kapelle spielte den Ark’Tussan-Walzer.

Perry Rhodan freute sich irgendwie auf die belanglose Tischkonversation und das intrigante Spiel der Orbanashols gegen Wyll und Rosan. Das war zur Abwechslung herrlich trivial und hatte nichts mit kosmischen Entitäten zu tun.

Gaton überlegte bereits, einen Film über die Abenteuer der LONDON zu produzieren, der auf allen zentralen Welten der Milchstraße gleichzeitig anlaufen sollte. Rhodan wunderte sich nicht mehr über die Art des Hansesprechers.

»Mit welchem Affen gedenkst du die Rolle von Wyll Nordment zu besetzen?«, warf Attakus ein. »Oder gibt es terranische Schauspieler, die darauf spezialisiert sind, die Frauen von arkonidischen Edelmännern zu rauben?«

Wyll sprang natürlich sofort darauf an. Bevor Gaton etwas entgegnen konnte, war Nordment bereits aufgestanden und wollte zu Attakus.

»Diesmal stopfe ich dir für immer das Maul!«, schrie Wyll.

Rosan packte ihn und zog ihn wieder auf den Sitzplatz.

»Beruhige dich, Liebling. Merkst du nicht, dass er dich nur provozieren will?«

»Das war eine Morddrohung! Ihr alle habt es gehört!«, posaunte Orbanashol durch den Saal. Dann erhob er sich und verließ den Raum.

Zhart richtete noch einige Worte an die Tischnachbarn: »Der ehrenwerte Attakus Orbanashol ist über die Behandlung durch diesen Nordment derart entsetzt, dass er es nicht mehr mit seiner Ehre vereinbaren kann, mit ihm an einem Tisch zu sitzen.«

Gaton versuchte sich zu entschuldigen, doch Zhart ging hochnäsig in Richtung Ausgang des Saals. Der Hansesprecher warf Nordment einen bitterbösen Blick zu.

»Würdest du nicht unter dem Schutz Perry Rhodans stehen, hätte ich dich aus der Schleuse werfen lassen!«

»Mal wieder ein gemütlicher Abend«, meinte Sam sarkastisch. »Ich glaube, ich gehe besser in meine Kabine und höre ein wenig Williams.«

Der Somer stand auf, verabschiedete sich höflich und verließ mit staksigen Schritten den Saal.

Wyll senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Rosan.«

Rosan schüttelte den Kopf.

»An deinem Temperament müssen wir noch etwas arbeiten«, sagte sie lächelnd. »Komm mit, ich weiß wo wir jetzt noch hingehen!«

Sie nahm Wylls Hand. Beide schlenderten über die Sternenhalle und begaben sich sechs Decks unter dem Hauptspeisesaal zu »Peepsies Nestchen«. Dorthin hatte sie Wyll vor etwas mehr als einen Monat mitgenommen und ihr – zumindest bis zum Kampf mit Tett Chowfor – den schönsten Abend ihres Lebens beschert.

»Ich möchte heute wieder so feiern wie damals.«

Die Band hatte ihren jülziisch-terranischen Abend. Ein Blue sang ein uraltes terranisches Lied mit seiner schrillen Stimme. Doch er begeisterte das Publikum, das eine Zugabe forderte.

Zu dem Klang der Musik tanzten der Unitherjunge und das jülziische Kind auf der Tanzfläche, die Rosan schon von damals kannte. Auch die Ertruser waren wieder da und betranken sich. Der Peepsie saß ebenfalls wieder an der Bar und wippte mit dem Bier hin und her. Diesmal hielt Rosan jedoch Abstand zu ihm.

Sie tanzte mit Wyll den ganzen Abend durch. Sie wollte nicht mehr an Attakus, Spector oder ihre Mutter denken. Nur noch sie und Wyll.

*

Das Ende naht. Das letzte Kapitel ist aufgeschlagen. Kälte und Tod erwarten die LONDON.

Die rote Gestalt materialisierte in der Sicherheitsabteilung der LONDON. Wie lachhaft diese Einrichtung war. Das diensthabende Personal registrierte mit einem Wink die Ankunft Rodroms nicht mehr. Bereits vor seinem Besuch auf der LONDON hatten die zievohnischen Techniker die Syntronik der LONDON durch den Virus unter ihre Kontrolle gebracht. So gehorchten die Wachroboter ausschließlich Rodroms Anweisungen.

Den Virus zu kontrollieren, war ein leichtes, denn die Zievohnen hatten ihn vor langer Zeit entworfen und eine modifizierte Version der Mordred über Cau Thon zur Verfügung gestellt. Natürlich wussten weder Cauthon Despair, noch die Mordred oder gar diese einfältigen Kinder der Materiequelle davon.

Die LONDON gehorchte Rodrom. Doch es war ratsam, noch weitere Trümpfe unter der Kutte zu verstecken. Rodrom betrat die provisorischen Inhaftierungsblöcke. Die eigentlichen Zellen waren nicht für die zweihundert Kinder der Materiequelle ausgelegt. Unter Kabinenarrest wollte man sie auch nicht stellen. So wurden die Lagerräume neben der eigentlichen Sicherheitszentrale umgebaut.

Der Ertruser Bogo Prollig hielt Wache. Er stellte sich dem Rodrom gegenüber.

»Was willst du?«, fragte er barsch.

Rodrom beeinflusste ihn suggestiv. Es war ein Leichtes für ihn. Prollig wich zur Seite und ließ den Roten passieren.

Die Inkarnation deaktivierte die Energieschirme vor den Zellen der Kinder der Materiequelle. Die Leute stürmten verwundert aus den provisorischen Zellen, die umfunktionierte Lagerplätze mit einem Schutzschirm vor der Einbuchtung waren.

Der Sektenguru Dannos näherte sich dem roten Wesen.

»Wer bist du?«

»Dein Gott«, antwortete Rodrom.

Rodrom ließ seine Psi-Kräfte auf den Anführer der Sekte wirken. Dannos sprach sofort darauf an, er bemerkte nicht einmal die Beeinflussung.

»Spüre den kosmischen Energieausgleich, mein Sohn! Ich bin euer Weg zur Materiequelle. Folgt meinen Anweisungen und es wird einen glücklichen Ausgang für dich und deine Jünger geben.«

Dannos machte eine Geste der Ehrfurcht.

»Herr, sage mir, was ich tun kann«, bat der kahlköpfige Mann.

Rodrom wanderte durch den Raum. Inzwischen hatten sich die restlichen Kinder der Materiequelle aus den Zellen befreit. Prollig stand wie in Trance am Eingang des Blocks und hielt Ausschau nach unerwünschten Personen.

Dann ging Rodrom zu Dannos. »Ihr seid zu wenige für eure kosmische Reise. Ihr braucht mehr Seelen, die in die Materiequelle aufgehen. Mindestens 16.000 weitere Existenzen.«

Dannos starrte auf den Boden. Er war fassungslos über diese Aussage. War alles was er angestrebt hatte, letztlich umsonst gewesen?

Dann kam ihm eine Idee. »Herr, auf der LONDON sind genügend Wesen, die wir nehmen könnten.«

Rodrom bestätigte dies.

»Doch das wäre vielleicht nicht im Interesse dieser Personen«, gab er gedehnt zu bedenken. Er wartete die Reaktion Dannos und seiner Gefährten ab.

Der Guru blickte seine Kinder der Materiequelle an. »Sie werden es verstehen, nachdem sie Teil der Materiequelle geworden sind. Dann werden sie froh über das Glück sein und nicht mehr ihrem erbärmlichen Dasein in diesem Universum nachtrauern.«

In Dannos Augen flammte wieder jener Fanatismus auf, der ihm die Tatkraft zur Entführung der LONDON gegeben hatte.

»Dann dürfen sie auch nicht dieses Schiff verlassen«, waren Rodroms Worte.

»Doch wie können wir das verhindern? Eine erneute Entführung?«

»So in der Art. Eure Aufgabe ist es, alle Beiboote, Seruns und Space-Jets zu sabotieren, damit sie das Raumschiff nicht verlassen können. Wenn es euch möglich ist, sie unauffällig zu sabotieren, dann wäre das nur zum Besten für euren Aufstieg.«

Nun mischte sich allerdings Stellara Chowfor ein.

»Aber den Kindern darf nichts passieren. Sie sollen ihr Leben genießen, bis sie selbst zur Erkenntnis gekommen sind, dass das Leben als Entität schöner ist«, säuselte sie schrill.

Rodrom war über das Einmischen dieser Frau irritiert und auch erbost. Dannos sicherte Stellara jedoch zu, dass den Kindern bei einer erneuten Entführung nichts passieren würde. Er suchte Bestätigung bei Rodrom.

»Natürlich wird den kleinen Dingern nichts passieren«, log die Entität. »Ich persönlich werde sie in hyperkosmischen Megasphären vor Schaden bewahren«, führte der Rote in einem Anflug von Sarkasmus weiter aus.

»So sei es!«, sprach Dannos und faltete die Hände.

Er fühlte sich endlich am Ziel seiner Träume. Rodrom erwähnte natürlich nicht, dass die Syntronik unter seiner Kontrolle stand. Er schlug den Kindern vor, das Transmitternetzwerk zu benutzen, um den Hangar schnell zu erreichen. Weder die Bordsyntronik noch die derzeit unter suggestiver Kontrolle stehenden Sicherheitsleute der LONDON, würden Alarm schlagen.

Die Kinder der Materiequelle machten sich an die Arbeit und zerstörten die Triebwerke der 100 Rettungskapseln, Beiboote und Space-Jets.

Jedoch arbeiteten sie nicht im Sinne der kosmischen Ordnung. Auch würden sie niemals die Möglichkeit bekommen, auch nur in die Nähe einer Materiequelle zu kommen. Sie waren nur Bauern in einem Schachspiel.

In Rodroms Schachspiel.

Rodrom überwachte die Arbeit, da die Anhänger von Dannos natürlich nicht ohne Hilfe die Antriebsgeneratoren fanden, geschweige denn zerstören konnten. Rodrom hätte auch eine Eliteeinheit der Skurit an Bord der LONDON bringen können, doch er empfand es als ironisch, dass ausgerechnet die Kinder der Materiequelle das Grab der Passagiere und Crewmitglieder schaufelten.

Als die Arbeit nach einer Stunde getan war, kehrten alle wieder in ihre Zellen zurück. Rodrom entließ Prollig und seine Leute aus der geistigen Kontrolle und begab sich wieder auf die WORDON, die nur wenige Lichtjahre von der LONDON entfernt war.

In der Kommandozentrale der WORDON herrschte große Aufregung. Jeder war bemüht, so schnell wie möglich Rodroms Plan auszuführen.

Zukkth meldete sich bei seinem Kommandanten.

»Herr, der Ortungsschutz ist perfekt. Die Tarnung als Asteroid ebenso. Wir müssen jetzt nur noch darauf warten, das die LONDON den Hyperraum verlässt.«

Rodrom wanderte durch die Zentrale. Dann ging er zu seinem großen Sessel, der mehr einem Thron ähnelte und setzte sich. Wie er doch diesen Körper hasste. Selbst dieses halbphysische Dasein belastete ihn, denn er spürte die Gebrechen eines normalen Wesens. Er hatte das Bedürfnis, sich hinzusetzen, weil ihm die Beine schmerzten. An derlei Banalitäten musste er als Geisteswesen nicht denken.

Sein Blick schweifte wieder durch den gewaltigen Raum.

»Der Zwischenstopp wird heute sein. Dafür wird die Syntronik der LONDON sorgen. Um etwa 23:30 Uhr galaktischer Zeit wird das letzte Kapitel der LONDON geschrieben werden.«

Die WORDON nahm an Fahrt auf. Rodrom gab die Koordinaten eines Sonnensystems durch. Dort sollte die Konfrontation erfolgen.

Die ausgewählte Sonne trieb als Irrläufer im intergalaktischen Raum zwischen IC 342 und Pinwheel. Die Syntronik der LONDON würde automatisch bei diesen Koordinaten aus dem Hyperraum fallen, um die Gravitrafspeicher wieder zu betanken.

Das System war absolut unbedeutend. Eine große, blaue Sonne spendete Licht und Wärme für vier Planeten. Drei davon waren öde Wüstenplaneten, während der Vierte eine Wasserwelt ohne Landmassen war.

Das war das Ziel der WORDON. Dort sollte die LONDON gestellt werden. Rodrom fieberte der Erfüllung seiner Rache entgegen. Zwar hatte er einen Stützpunkt verloren und somit eine Schlacht, doch der Krieg war noch längst nicht entschieden. Selbst wenn Rhodan wieder überlebte, so hatte Rodrom sich einen Namen aus Blut gemacht und jeder dieser infantilen Galaktiker würde mit Furcht und Respekt an ihn denken. Dann würde immer noch der »mit dem Blute des Sargomoph« für Rhodans Tod sorgen. Cau Thon arbeitete an vielen Fronten, um die erste Phase des großen Planes MORDORs zu vollenden. So oder so, Rhodan hatte ausgespielt!

 

4. Die Ruhe vor dem roten Sturm

Rosan und Wyll waren erschöpft. Sie verließen Peepsies Nestchen und begaben sich zu den sogenannten Außendecks, die unter der Kuppel lagen und somit den Blick auf das Weltall ermöglichten. Die LONDON fiel aus dem Hyperraum. Die Sterne wurden sichtbar. Eine blaue Sonne strahlte hell und ein blauer Wasserplanet schimmerte faustgroß am Firmament. Es war ein schöner Anblick.

Beide küssten sich.

»Wyll, heute werde ich meiner Familie mitteilen, dass ich endgültig bei dir bleibe«, verkündete Rosan. »Wir gehen in meine Suite und ich werde einen Brief schreiben. Außerdem nehme ich noch meine Sachen mit.«

Wyll lächelte. »Wir gehen gemeinsam. Solange uns nicht dieser Zhart oder seine Naats über den Weg laufen.«

Beide gingen Hände haltend in das Innere der LONDON zu der Suite der Orbanashols.

*

Die Syntronik meldete automatisch, dass ein Auftanken der Gravitrafspeicher notwendig war. Sie hatte den Zeitpunkt und den Ort des Eintritts in das Normaluniversum festgelegt. Die LONDON trieb 674.500 Kilometer von dem blauen Wasserplaneten im Weltraum. Kommandant James Holling war in diesem Punkt mit der Syntronik zufrieden, auch wenn sie mehr schlecht als recht arbeitete. Alex Moindrew leitete das »Auftanken« ein und überwachte die Prozesse der Syntronik.

Holling nahm Kurs auf den Wasserplaneten, um den Passagieren während des Hypertropzapfung etwas zu bieten. Dann wandte er sich an seinen Ersten Offizier Evan Rudocc.

»Rudocc, übernimm du bitte heute die Nachtwache.« Der 175-jährige Plophoser verspürte leichte Kopfschmerzen.

»Okay, Sir. Wird gemacht«, gab der Erste Offizier von sich. Dann fiel ihm doch noch etwas ein, was er sagen wollte. »Die Ortung funktioniert immer noch nicht. Wir hätten doch das Angebot der Saggittonen annehmen sollen. Es ist teilweise ein Blindflug. Die Nahortung ist seit heute Morgen wieder defekt. Ich würde vorschlagen, dass wir wieder den provisorischen Ausguck an den Masten aufstellen, die mit Teleskopen nach Asteroiden oder ähnlichem Ausschau halten sollen.«

Holling fasste sich an die Schläfen. Ein so gigantisches Schiff ohne Nahabtastung! Das war eine Farce. Doch er musste das Beste daraus machen.

»Ja, macht es so. Mit Teleskopen ... ist sicher eine gute Idee«, bestätigte er leicht müde.

Dann ging er von der Zentrale aus in seine Kabine. Er wollte jetzt seine Abschiedsrede schreiben. Dafür brauchte er viel Ruhe, denn gekünstelte Reden waren nicht sein Metier.

Rudocc befahl Jon Maskott und Garl Spechdt den Ausguck als Erstes zu besetzen. Ein drei Meter dickes Teleskop wurde innerhalb von fünfzehn Minuten an einem Wartungsmast über der Glaskuppel montiert.

»Völlig schwachsinnige Idee. Das bringt auch nicht viel«, meinte Maskott.

»Quatsch, ich kann Asteroiden und fremde Raumschiffe bis auf Lichtjahre sehen«, konterte der Ortungsleiter Spechdt.

Maskott schüttelte schmunzelnd den Kopf.

Der Chefingenieur Alex Moindrew teilte inzwischen mit, dass der Ladeprozess begonnen hatte. Der Horizont färbte sich in die verschiedensten Farbtöne. Die Energie floss in die Hypertrop-Zapfer.

Der Vorgang würde rund zwei Stunden dauern. Vielleicht auch nur neunzig Minuten. Solange konnten die Passagiere jedenfalls den Anblick des Wasserplaneten genießen, dem sich die LONDON langsam näherte. Rudocc hatte morgen frei. Er überlegte sich bereits, was er an dem Tag machen wollte.

*

Auf dem Weg zur Kabine begegneten Rosan und Wyll eine Gruppe von zwei Dutzend Passagieren. Eine hoch gewachsene Arkonidin im blassen Teint winkte Rosan zu. Es war Terza da Mindros. Rosan erkannte auch Terzas Kinder, den neunjährigen Carba und die sieben Jahre junge Esrana. Die drei befanden sich mit einer Gruppe von Passagieren vor einem Antigravschacht. Offenbar stand eine Führung bevor. Arno Gaton hatte mehr solcher Besichtigungen arrangiert, um die Passagiere bei Laune zu halten.

Terza da Mindros gehörte zum niederen Adel. Ihre Familie mied die da Mindros, obwohl ihr Mann Prothon ein hoch dekorierter und berühmter Mascant der Kristallflotte war. Dennoch, in den Augen der Orbanashols waren sie halt nur Leute, denen man höflich guten Tagen sagte und ab und an einmal bei Kaffee und Kuchen verkehrte.

»Wohin des Weges?«, fragte Terza freundlich.

»In meine Kabine. Ich habe dort etwas Wichtiges zu klären«, antwortete Rosan.

Terza blickte Wyll an und musterte ihn mit einem feinen Lächeln.

»Das ist also der Bras’Cooi, der die Orbanashols erniedrigt. Amüsant.«

Wyll räusperte sich.

»Und wohin geht ihr?«, wollte Rosan schließlich wissen.

»Oh, wir haben eine Besichtigungstour mit Doktor Talbot in den Mannschaftsetagen und unteren Decks vereinbart. Auch wenn es schon spät ist, aber Zeit ist im Weltraum sowieso relativ.«

Rosan wünschte der Gruppe viel Spaß. Der Doktor und der stellvertretende Kreuzfahrtmanager trafen ein und begannen mit der Führung.

»Zur Abwechslung mal eine freundliche Arkonidin«, meinte Wyll, als die Gruppe sie verließ.

»Ach, bin ich nicht freundlich?«

Beide mussten lachen. Nach einer Weile erreichten Rosan und Wyll ihre Kabine. Sie kramte in ihrer Schublade, holte einige kostbare Schmuckstücke heraus und packte sie in ihre Tasche.

»Wer weiß, wenn es uns mal nicht so gut geht, können wir sie ins Pfandhaus bringen«, scherzte sie.

Dann nahm sie noch ihren Plüschgucky. Wyll schaute Rosan erstaunt an.

»Den hab ich von meinem Vater bekommen. Ich hänge sehr an ihm«, erklärte sie.

»Schon gut«, lächelte Wyll.

Er schaute sich in dem Raum um und spielte mit einem goldenen Brieföffner, dabei schnitt er sich versehentlich.

Rosan zeigte ihm, wo er sich verarzten konnte.

Sie schrieb noch einen Abschiedsbrief und war fest entschlossen, den Rest der Reise bei Wyll zu verbringen und dann mit ihm nach Camelot zu gehen.

In dem Moment kam allerdings Zhart in die Kabine.

Er sah Wyll und Rosan verachtend an. Seine anfängliche Überraschung hatte er schnell verarbeitet.

»Ehrenwerte Rosan Orbanashol, Attakus wünscht dich unverzüglich zu sprechen. Ich habe den Auftrag, dich sofort zu ihm zu bringen«, erklärte er mit der üblichen Arroganz.

»Sie geht nirgendwo hin!«, blaffte Wyll den Haushofmeister an.

Dieser warf einen verächtlichen Blick zu Nordment. »Ich wiederhole mich nur ungern, aber Attakus ist des ausdrücklichen Wunsches, sich mit dir zu artikulieren. Ohne deinen barbarischen Bras’cooi. Dieser sollte besser die Kabine verlassen, sonst rufe ich den Sicherheitsdienst wegen Einbruch.«

»Von mir aus, wir wollten sowieso gehen«, konterte Rosan und rannte los.

Nicht nur Zhart war von dieser Aktion überrascht. Auch Wyll brauchte einige Sekunden um zu schalten. Dann warf er ein Kissen in Richtung Zhart und lief los. Sie stürmten aus der Kabine und liefen einen Korridor entlang. Zhart verfolgte sie quer durch die Gänge.

Das Liebespaar lief an den verdutzten Passagieren vorbei und rief des Öfteren eine Entschuldigung. Sie versteckten sich in einem Raum.

Doch Zhart entdeckte sie dort. Die »Jagd« ging weiter.

»Der ist ja furchtbar hartnäckig«, rief Wyll.

»Kein Wunder, er war früher bei der FAMUG und im Kristallsicherheitsdienst«, antwortete Rosan außer Atem.

Sie machten in einem Korridor halt, der zur Sternenhalle führte. Als sie erneut Zhart sahen, eilten sie los und erreichten das Foyer.

»Wir nehmen den Antigrav«, beschloss Wyll hastig.

Sie sprangen in den Antigrav und schwebten an einigen verdutzten Passagieren vorbei. Zhart nahm die Verfolgung auf und hechtete in den Antigrav. Wyll und Rosan sprangen in den Mannschaftsdecks heraus. Wyll zerrte sie mit. Sie erreichten das Transmitternetz und nannten den Hangar als Ziel.

Alles war dort ruhig. Keine Seele weit und breit zu erkennen. Rosan und Wyll vergewisserten sich, dass Zhart ihnen nicht gefolgt war. Der spärlich beleuchtete Hangar drei barg eine der Space-Jets sowie 25 der kleinen Beiboote, die Plätze für 100 humanoide Lebewesen boten. Rosan schenkte Wyll ein viel sagendes Grinsen und marschierte schnurstracks auf die Space-Jet zu. Sie öffnete die Einstiegsluke und setzte sich an die Konsole. Wyll folgte ihr und nahm an der Steuerung Platz.

»Wohin soll es gehen?«

»Auf einen einsamen wunderschönen Planeten, wo nur wir zwei sind.«

Dann umschloss Rosan Wyll mit ihren Armen. Beide legten sich auf eine Rückbank in der Zentrale.

Er küsste sie leidenschaftlich und begann ihre Kombination zu öffnen. Beide versanken in ihrer leidenschaftlichen Liebe. Sie stöhnten auf, umarmten einander fest und küssten sich innig.

Doch plötzlich hielt Wyll inne, als er Bauteile in der Ecke sah, die eigentlich zum Antrieb gehörten.

»Was? Hast du es dir anders überlegt?«, fragte Rosan verdutzt.

Nordment räusperte sich verlegen.

»Etwas stimmt nicht mit der Space-Jet. Hier hat sich jemand dran zu schaffen gemacht.«

*

»Ich konnte sie bis jetzt nicht finden«, erklärte Zhart unzufrieden. »Sie sind ziemlich schnell …«

Attakus resignierte. Wie konnten die beiden es wagen? Er war ein Adliger! Ein Arkonide! Wie konnte Rosan ihn so demütigen? Wieso liebte sie ihn nicht? Was war an diesem gewöhnlichen Barbaren denn schon dran? Attakus lief wütend durch die Kabine und schlug mit der Faust gegen die Wand.

»Verdammt!«

»Ich fürchte, die bist du für immer los«, meinte Hermon da Zhart. Der Arkonide legte kein Bedauern in seine Äußerung. Dem jungen Orbanashol war es völlig egal, ob sein Diener nun Mitgefühl oder nicht für ihn empfand. Hauptsache, Zhart diente ihm loyal bis an sein Ende.

Attakus sah plötzlich den Brieföffner an dem noch etwas Blut klebte.

»Wessen Blut ist das?«

Zhart holte einen Analysator aus dem Nebenzimmer. Mit seiner stoischen Ruhe aktivierte er das Gerät und scannte die DNS. Als ehemaliger Mitarbeiter des Kristalldienstes hatte Zhart seine Möglichkeiten, eine Verbindung zur Syntronik der LONDON herzustellen. Trotz der vielen defekten Bereiche der Syntronik gelang es ihm, die Datenbank der Crew abzufragen. Jedes Besatzungsmitglied hatte zwecks Identifizierung einen Bluttest machen müssen.

Der alte Arkonide hatte einen Verdacht, der sich sehr schnell bestätigte. Der Test ergab, dass das Blut von Wyll Nordment stammte.

Attakus fing an zu lachen. Zhart konnte ihm nicht ganz folgen. Er sah seinen Meister fragend an.

»Jetzt haben wir einen Beweis für Wyll Nordments Attentat auf mich.«

 

5. Die Kollision

09. Dezember 23:15 Uhr

Die Gravitrafspeicher waren wieder vollgetankt. Die LONDON nahm langsam an Fahrt auf und bereitete sich auf den Sprung in den Hyperraum vor.

Rudocc saß mit drei anderen Besatzungsmitgliedern auf der Brücke. Es waren der junge Navigationsoffizier High Gellar, der Funker Mugabe Sparks und der stellvertretende Sicherheitschef Uto Lichtern.

Rudocc trank einen Kaffee und beobachtete die Sterne. Sie waren 13.000 Kilometer über dem Orbit des blauen Wasserplaneten und entfernten sich langsam von ihm.

»Wie lange noch, bis zum Hyperraumeintritt?«, wollte er wissen.

»Noch etwa fünf Minuten«, berichtete High Gellar.

Lichtern dehnte sich etwas. Rudocc blickte den vierten Offizier verblüfft an. Was der wohl schon wieder hatte, dachte Rudocc amüsiert. Ständig will er Sport treiben.

»Ich werde dann mal meine Runde laufen«, erklärte Lichter wie aufs Stichwort.

Rudocc nickte ihm zu und nippte an dem Kaffee, der noch schrecklich heiß war. Dann blickte er zum Ausguck und musste über diese Einrichtung schmunzeln. Wo gab es schon so etwas? Einen Ausguck an Bord eines Raumschiffes.

Tja, die LONDON bietet wirklich Kuriositäten, überlegte er. Dann empfand er etwas Mitleid mit Spechdt und Maskott auf dem Ausguck.

Auf dem Hypertrop-Zapfer waren das Teleskop und der Ausguckstand befestigt. Die beiden Männer langweilten sich schrecklich.

»Wir hätten was zum Spielen mitnehmen sollen«, meinte Maskott mürrisch. Zappelig hüpfte er auf der Stelle und erwartete von Spechdt eine Reaktion, doch der Ortungschef reagierte nicht auf die Gebärden seines Kollegen, sondern starrte in das All heraus. Er sah irgendetwas Schemenhaftes auf die LONDON zukommen.

Es kam immer näher und näher. Allmählich erkannte er die Konturen des voluminösen Gebildes. Es war deutlich größer als die LONDON. Plötzlich begriff er!

»Oh Gott, ein Asteroid!«, schrie er. Er rief sofort in der Kommandozentrale an.

Gellar nahm erst nach dem vierten Aufsummen ab.

»Kommandozentrale«, meldete er sich.

»Hier ist Spechdt, ein Asteroid vor uns. Er hält direkt auf uns zu! Mensch, mach was. Ausweichen! Schutzschirm aktivieren!«

Der Offizier rannte zu Rudocc und berichtete ihm. Der Asteroid war inzwischen mit bloßem Auge zu erkennen.

Der Offizier rannte weiter in die Zentrale. Sparks kam aus seinem Funkleitstand und wollte gerade einen Schluck aus seiner Tasse Tee nehmen, doch Rudocc schubste ihn beiseite.

»An Maschinenraum, Ausweichmanöver. High, nach links drehen, los!«

Moindrew reagierte schnell und aktivierte den Gegenschub. Die LONDON drehte leicht nach links ab und passierte bereits den riesigen Asteroiden.

»Komm schon, komm schon!«, beschwor Rudocc das Schiff.

Der Asteroid hatte eine Länge von etlichen Kilometern. Jedoch war er nicht rund, sondern pflockförmig. Die LONDON steuerte langsam an ihm vorbei.

»Paratronschirm aktivieren«, murmelte Rudocc leise und viel zu spät. Zitternd aktivierte der wachhabende Offizier den Schutzschirm.

Rudocc atmete durch. Jetzt würde nichts mehr geschehen. Der Paratronschirm würde jegliche Kollision verpuffen lassen.

Sparks und der junge Gellar starrten gebannt auf den ungewöhnlichen Himmelskörper. Plötzlich wurde der Asteroid hell. Lichter flammten auf und Geschütztürme wurden sichtbar. Rudocc traute seinen eigenen Augen nicht.

»Oh, mein Gott ... Das ist kein Asteroid!«

Die Geschütze eröffneten das Feuer! Zerstörerische Salven trafen den Schutzschirm der LONDON.

Das Raumschiff erzitterte unter dem Punktbeschuss des fremden Schiffes.

»Sir, Schutzschirm beginnt zusammenzubrechen!«, rief Sparks, der die Kontrollen für Lichtern übernommen hatte, der immer noch auf seinem Rundgang war.

Rudocc lief der Schweiß von der Stirn. Das durfte nicht sein! Der Schutzschirm musste um jeden Preis halten, sonst waren sie verloren!

Der Schutzschirm flackerte und brach in der unteren Sektion zusammen. Dann ein riesiger Knall. Blitze und Energiekaskaden schlugen aus der Seite der LONDON.

»Treffer. Wir sind getroffen«, meldete der Funker panisch.

»Schutzschirm stabilisieren. Beeilung!«

Die LONDON wurde in einen Traktorstrahl genommen. Das fremde asteroidenartige Pflockraumschiff änderte den Kurs und zog die LONDON in Richtung des Wasserplaneten. Dann erlosch der Traktorstrahl.

Der Angreifer nahm Fahrt auf und verschwand. Zurück blieb eine beschädigte LONDON. Sie bebte inzwischen nicht mehr. Dafür zitterte Rudocc am ganzen Körper. Alles war so schnell gegangen.

»Schadensmeldung«, forderte er.

Offizier High Gellar reagierte nicht. Er stand unter Schock. Sparks lehnte sich erschöpft an die Wand und atmete schwer.

»Schadensmeldung!«, rief Rudocc lauter. Seine Stimme überschlug sich vor Aufregung.

Inzwischen erreichte auch Holling die Kommandozentrale.

»Was ist passiert?«, wollte er unverzüglich von Rudocc wissen.

Alex Moindrew und Arno Gaton begleiteten den Kapitän. Der Chefingenieur war kreidebleich im Gesicht. Arno Gaton blickte verärgert die Brückencrew an. Er hatte das Ausmaß des Angriffes anscheinend nicht verstanden.

»Sir, ich weiß es nicht genau. Ein Asteroid tauchte auf, doch das war gar keiner. Er feuerte auf uns«, berichtete Rudocc stotternd.

»Ich brauche eine Schadensanalyse«, befahl Holling.

Alex Moindrew machte sich sofort an die Arbeit. Er wurde noch bleicher, als das Ergebnis feststand. Seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Ein dreidimensionales Hologramm der LONDON baute sich vor den Männern auf. Moindrew zeigte die beschädigten Sektionen. Sie leuchteten rot auf.

»Die LONDON wurde von der untersten Sektion, dort wo die Lagerräume sind, bis zu den Triebwerken aufgerissen. Notschutzschilde haben den Verlust von Sauerstoff vermieden.«

»Wann können wir weiterfliegen?«, fragte Gaton ungeduldig.

Moindrew sah ihn verständnislos an. »Die … die Stabilisatoren wurden zerstört, die Gravitrafspeicher ebenso. Der Antrieb … Die LONDON ist manövrierunfähig. Wir können nicht mehr weiterfliegen.«

Der Schock saß tief bei allen Beteiligten. Gaton schüttelte nur den Kopf. Er schien seinem Chefingenieur keinen rechten Glauben zu schenken. Die anderen Besatzungsmitglieder, einschließlich des Kapitäns, starrten Moindrew betreten an.

Doch Moindrew war mit seinem Bericht noch nicht fertig.

»Es kommt noch schlimmer. Das fremde Raumschiff hat uns in den Orbit des Wasserplaneten gelenkt. Wir können den Kurs nicht korrigieren. Er zieht uns rasant an. Das bedeutet, die LONDON wird abstürzen und auf der Oberfläche aufschlagen.«

»Wie lange noch?«, erkundigte sich Holling leise.

»Vielleicht zwanzig Minuten.«

»Das reicht nicht aus, um die Passagiere zu evakuieren«, stellte Holling entmutigt fest.

»Informiert Rhodan, der kann uns bestimmt weiterhelfen!«, meinte Gaton hastig.

 

6. Absturz

Perry Rhodan hatte den Angriff mitbekommen, wie wohl die meisten Wesen an Bord der LONDON. In der unteren Sektion waren Brände ausgebrochen. Uto Lichtern eilte mit einigen Sicherheitskräften an Rhodan vorbei. Vermutlich waren sie auf dem Weg zu den Brandherden.

»Wie schlimm ist es?«, wollte Rhodan wissen, als er die Kommandobrücke erreicht hatte.

Moindrew klärte den Cameloter über die großen Schäden auf. Rhodan sah sich alles eine Weile an und verinnerlichte die Informationen. Dann dachte er über eine Alternative nach. Kurz musterte er die Menschen auf der Brücke. Sie vertrauten ihm. Es machte ihm schon fast Angst, wie verzweifelt die Blicke der Leute auf ihm lagen.

»Ich bin kein Ingenieur, also erwartet keine Wunder. Ich brauche die Hilfe von allen Beteiligten«, sagte Perry schließlich. »Ich habe aber eine Idee. Uns bleibt vielleicht noch etwas mehr als eine Stunde, bis die LONDON in die Atmosphäre eintritt. Wir müssen diese Zeit nutzen, um die Passagiere zu warnen. Sie sollen in ihren Kabinen bleiben und sich auf den Konturliegen anschnallen, da zu erwarten ist, dass starke Vibrationen auftreten werden und auch die künstliche Schwerkraft Probleme machen kann. Da der Metagrav zerstört wurde, muss vorrangig der Antigravantrieb mit Energie versorgt werden, auch wenn dadurch der Trägheitsdämpfungseffekt des Inerters nicht mehr voll wirksam sein sollte. Vor allem aber muss unter allen Umständen der Prallfeldschirm aufrecht erhalten bleiben, da sonst die LONDON beim Eintritt in die Atmosphäre des Wasserplaneten regelrecht zerrissen würde. Klimaanlagen, Beleuchtung, Bordunterhaltung, also alles, was nicht unbedingt überlebensnotwenig ist, muss von der Energieversorgung getrennt werden. Und …«, dabei fixierte er Gaton, »das gilt für alle Passagiere und Besatzungsmitglieder gleichermaßen, also keinerlei Ausnahmen.«

Der Hansesprecher schluckte sichtbar.

»Das, das … können wir doch nicht machen, das geht einfach nicht. Die Orbanashols, Jakko Mathyl, Terek-Orn und all die anderen Honoratioren können doch nicht wie gewöhnliche Passagiere behandelt werden, die haben doch Anspruch auf Komfort und bevorzugte Behandlung. Und wer soll ihnen das sagen? Ich … ich nicht  … ich  …«

Rhodan musterte Gaton abweisend und entgegnete ihm:

»Dein Problem.«

Gaton starrte ihn verständnislos an, während Rhodan sich an den Chefingenieur wandte.

»Alex, kannst Du die Energieverteilung so steuern, dass die von mir genannte Priorität eingehalten wird?«

Moindrew nickte. »Das wäre hinzubekommen. Wird knapp, aber nicht unmöglich.«

»Gut, mache einem Bert Hefrich alle Ehre!«, entgegnete Rhodan.

Moindrew wollte nachhaken, wer Bert Hefrich gewesen war, doch die Zeit war zu beschränkt für eine Geschichtsstunde. Er machte sich sofort an die Arbeit und versuchte die zerstörten Energieleitungen zu ersetzen oder zu überbrücken.

Rhodan wandte sich dann an den Kapitän.

»Ich brauche auf der Brücke die luxuriöseste Konturliege, die aufzutreiben ist. Diese ist so zu platzieren, dass ich die manuellen Steuerungskonsolen von ihr aus bequem erreichen kann.«

Holling musterte den Cameloter perplex.

»Sie wollen die LONDON manuell landen?«, stieß Holling ungläubig hervor.

»Ganz genau!«, entgegnete Rhodan. »Wenn ein Mitglied der Brückencrew Erfahrung in Swing-by Manövern hat und in der Lage ist, bei mehreren Gravos handlungsfähig zu bleiben, dann soll er sich melden.«

Er blickte sich um, betretenes Schweigen schlug ihm entgegen.

»Nun gut, ich kann, besser konnte, beides. Zugegeben, es ist zwar einige Jahrhunderte her, aber zu meiner Ausbildung als Pilot der US Space-Force gehörte ein ausgiebiges Zentrifugentraining und Swing-by Manöver beherrschten wir im Schlaf.«

Holling schüttelte nur den Kopf.

»Ich verstehe immer noch nicht. Wir haben doch die Syntronik und Wyll ist ein hervorragender Navigator.«

»Ja Navigator, das stimmt, aber was wir hier brauchen ist ein Pilot. Die Syntronik würde, selbst wenn sie einwandfrei funktionieren würde, in unserer speziellen Situation nicht viel nutzen, weil seit den Tagen der alten Space-Force einfach niemand mehr Swing-by benutzt.«

*

Die Crewmitglieder, allen voran Kreuzfahrtmanager, Stewards und Freizeitgestalter kümmerte sich inzwischen um die Passagiere. Auch Sam half mit, die Gäste zu beruhigen. Nicht jedem Passagier wurde die Wahrheit über den Angriff des Asteroiden erzählt. Die Schiffsführung wollte eine Massenpanik verhindern. Doch man konnte den Leuten wohl kaum erklären, sie sollten sich zum Spaß festhalten und eine sichere Deckung suchen.

Der Somer versuchte ehrlich die verunsicherten Passagiere auf den Absturz vorzubereiten. Doch viele nahmen seine Warnungen gar nicht ernst. Von den Bränden und Schäden einige hundert Meter weiter unter ihnen, spürten sie in ihren Passagierbereichen nichts mehr.

Es gab noch immer Gäste, die sich nicht an die unglaubliche Abenteuerserie, die nicht zu abreißen wollte, gewöhnt hatten. Einige waren ängstlich, andere überheblich oder gar gleichgültig.

Offizier Lichtern wurde zu Sams Hilfe abkommandiert. Er meldete sich steif beim Somer.

»Wie ist die Lage?«, erkundigte sich der Somer.

»Die Brände kriegen wir unter Kontrolle, allerdings wissen wir nicht, ob Passagiere oder Crewmitglieder zum Zeitpunkt des Angriffs in den zerstörten Sektionen waren.«

»Abtaster?«

Lichtern räusperte sich und nickte hastig. Er hatte wohl in der Panik diese Option vergessen.

»Es … geht alles so schnell«, versuchte er sich zu verteidigen.

»Sie müssen die Nerven behalten. Ich verlasse mich auf Sie. Roboter sollen in den beschädigten Sektionen nach Lebewesen suchen, während Sie dafür Sorge tragen, dass die Passagiere den Ernst der Lage begreifen.«

»Aber … wir können sie schlecht zwingen, sich in den Kabinen anzuschnallen, 16.000 Leute in wenigen Minuten. Wie?«

In diesem Moment sprach der Kapitän über die Lautsprecher an die Galaktiker und gab die Anweisungen durch.

Sam erklärte Lichtern, er solle für die Sicherheit der Gäste Sorge tragen, gleichgültig, ob die Wesen es wollten oder nicht. Dutzende Passagiere beschwerten sich über die Unannehmlichkeiten, die sie durch diese »Übung« erlitten. Sam wusste darauf auch nichts mehr zu sagen.

Wyll Nordment und Rosan Orbanashol erreichten das Foyer und liefen auf Sam zu.

»Was ist passiert?«, wollten beide wissen.

»Die LONDON wurde getroffen und stürzt ab. Suchen Sie sich eine Kabine und legen sie sich in die Konturliegen und hoffen Sie, dass wir Glück haben.«

Der Somer begab sich wieder zu Perry Rhodan, der versuchte die verzweifelten Bemühungen den Sturz abzumindern, zu koordinieren.

»Ein pflockförmiger Asteroid … in Wirklichkeit aber ein Raumschiff«, murmelte Sam.

»Die WORDON. Es war Rodroms Rache«, stelle Rhodan bitter fest.

Die LONDON fing an zu vibrieren und fiel immer schneller.

»Moindrew, wir haben nicht mehr viel Zeit«, rief Rhodan ins Interkom. Er erhielt keine Antwort. Trotzdem nahm er auf der Konturliege Platz und schnallte sich an. Er war bereit.

Viele der Passagiere nahmen die Warnungen immer noch nicht ernst. Andere wiederum schrien beim Erzittern des Schiffes in Panik auf. Die Crew hatte die größte Mühe, alle sicher unterzubringen.

»Holling, können wir vielleicht mit Hilfe der Traktorstrahlen der Space-Jets die LONDON abbremsen?«, schlug Rhodan vor.

Der alte Mann schüttelte den Kopf.

»Versuch mal mit einem Bindfaden den Fall einer Tonne zu verhindern.«

Rhodan fluchte. Er vergewisserte sich, wie spät es war. 23:42 Uhr!

»Eintritt in die Atmosphäre. Wenigstens ein Wasserplanet«, murmelte er zu den anderen.

»Die LONDON kann auch auf dem Wasser schwimmen. Sie ist amphibisch gebaut«, erklärte Sam, der sich inzwischen auch auf einem Kontursessel angeschnallt hatte.

Rhodan wartete ungeduldig, bis endlich der Schutzschirm um die LONDON aufleuchtete. Sie entgingen damit der Gefahr, in der Atmosphäre zu verglühen. Die LONDON senkte sich nach vorn und Rhodan hatte alle Mühe, den Eintrittswinkel mit den Antigravtriebwerken zu korrigieren..

»40.000 Meter noch«, hörten sie Rudocc nach einer Ewigkeit rufen.

Rhodan befahl Moindrew, bei 10.000 Metern mehr Energie auf den Antigrav zu geben.

»30.000 Meter, 20.000 Meter ... 10.000 Meter.«

Der Antigrav bremste die Geschwindigkeit weiter ab. Dazu kam die Reibung der Atmosphäre, die immer mehr Geschwindigkeit aufzehrte. Die LONDON fiel mit einer geringeren Geschwindigkeit der Oberfläche entgegen. Sie setzte zuerst mit dem Bug auf. Der Schutzschirm erlosch, als Rhodan volle Energie auf den Antigrav gab. Durch die hohe Geschwindigkeit raste die LONDON über das Wasser, sie flog noch einmal hunderte Meter hoch und setzte wieder mit dem Bug auf, der sogar kurz etliche Meter in das Wasser tauchte. Die Glaskuppel zerbrach dabei in tausend Teile, dann beruhigte sich das Schiff langsam und blieb ruhig auf der See liegen.

Es herrschte für eine Weile Ruhe. Auf der Planetenseite war es Nacht. Die Sonne war nicht zu sehen und Dunkelheit hüllte die LONDON ein.

Viele Leute in der Kommandozentrale waren trotz der Anschnallgurte quer durch den Raum geflogen. Medoroboter machten sich sofort daran, sie zu verarzten.

Reinigungsroboter versuchten skurriler Weise die Schäden der Inneneinrichtung zu beheben.

»Jemand noch am Leben?«, fragte Rhodan mit hustender Stimme.

»So etwas werde ich nie wieder mitmachen, meine Herren«, hörte er Sams Stimme.

Auch die anderen hatten den Aufprall überlebt. Rudocc überprüfte die Schäden der LONDON.

»Die Glaskuppel ist zerbrochen, etliche Schäden an der Außenhülle. Wassereinbruch bei den Decks. Der Scanner zeigt ungefähr vierzig Tote an.«

Rhodan raffte sich wieder auf und warf selbst einen Blick auf die Kontrollen. Er wischte den Dreck, der durch das Abfallen des Deckenverkleidung auf den Konsolen lag, wieder weg. Hunderte der Passagiere waren verletzt. Doch für so einen Absturz konnte man zufrieden mit den Schäden sein, wenngleich der Tod der vierzig Passagiere beklagenswert war.

Moindrew hatte inzwischen die Kommandozentrale erreicht. »Wir haben es geschafft!«, meldete er fröhlich.

»Besser hätte es ein Bert Hefrich auch nicht machen können«, gestand Rhodan. Dann wurde er wieder ernst. »Wird sich die LONDON über Wasser halten?«

Moindrew machte einige Tests am Hologrammbild. »Das große Leck wird mit den Notschirmen abgedeckt. Solange diese halten, schwimmt die LONDON.«

»Haben wir keine Notschotts?«

»Doch, aber nicht für die Größe des Einschusses. Der Beschuss der WORDON hat mehrere Decks durchschlagen und tiefe Risse in der LONDON hinterlassen.«, erklärte der Konstrukteur der LONDON.

»Okay, lasst die Passagiere sich erst mal sammeln. Sie sollen jedoch gewarnt und auf eine nötige Evakuierung vorbereitet werden. Holling, die Rettungskapseln sollen bereit gemacht werden.«

»Wir haben ein Problem«, rief Wyll Nordment, der die Kommandozentrale zusammen mit Rosan Orbanashol betrat.

»Jemand hat sich an den Beibooten zu schaffen gemacht. Die Antriebe wurden demontiert.«

»Bei allen?«, rief Rhodan verwundert.

Nordment zuckte mit den Achseln.

»Jedenfalls bei denen, die wir überprüft haben. Wir werden das sofort untersuchen.«

 

7. Schicksalhafte Momente

Ich sagte doch, es gibt kein Entrinnen. Die WORDON hat kompromisslos zugeschlagen. Knapp 100 von euch sind schon tot, doch diese hatten noch den angenehmsten Tod. Was euch nun erwartet, ist ein langsames Ende.

Bereitet euch darauf vor.

*

23:55 Uhr

Es herrschte helle Aufregung auf der Brücke und auch überall sonst auf dem Raumschiff. Zuerst galt es eine Schadensanalyse vorzunehmen. 27 Personen meldeten sich über Interkom. Es war die Gruppe um Doktor Tablot. Sie waren bei den Mannschaftsdecks eingeschlossen. Sie meldeten, dass Wasser überall eindrang.

Jegliche Hilfe kam zu spät. Mit trauriger Miene mussten James Holling und seine Brückenbesatzung die Todesschreie über Interkom verfolgen. Diese Sektion war wegen Bränden und Überflutungen nicht mehr zu erreichen. Die Transmitterstationen waren zerstört und das Wasser drang schnell vor.

Jegliche Hilfe kam zu spät. Horst Tablot und die sechsundzwanzig anderen Lebewesen starben. Holling kannte nur noch die Familie des hochrangigen, arkonidischen Mascanten Prothon da Mindros. Seine Frau Terza und die beiden Kinder Carba und Esrana gehörten zu den Opfern, die gerade ertranken.

*

10. Dezember, 00:45 Uhr

Die Lage an Bord hatte sich knapp eine Stunde nach dem Aufprall wieder etwas beruhigt. Die Passagiere waren entweder in ihren Kabinen oder in den Restaurants. Gaton wies die Kapellen an, heitere Musik zu spielen. Die Freizeitanimateure sollten ihre besten Stücke vorführen, damit bei den Passagieren keine Unruhe entstand.

Sam führte mit etlichen Leuten Gespräche und wirkte auf diese Weise ebenfalls beruhigend auf die unsicheren Reisenden. Die Crew arbeitete auf Hochtouren. Man versuchte die Schäden an der Außenhülle irgendwie zu beheben. Doch die Einschusslecks waren in der unteren Sektion knapp oberhalb der Bauchflosse weit verteilt und zogen sich quer durch die LONDON.

Holling wies Sparks an, unentwegt Hilferufe zu senden.

»Wir sind zu weit von Pinwheel entfernt. Das ist hoffnungslos«, meinte der Cheffunker Sparks, wiederholte den Hilferuf jedoch immer wieder und wieder.

Die Medoroboter verarzteten die Verwundeten und machten nun insgesamt 78 Tote ausfindig. Dazu kamen die 27 eingeschlossenen Opfer in den unteren Etagen, die bei der Besichtigungstour ertrunken waren. Darunter auch der Bordarzt Tablot und die arkonidische Familie da Mindros, Terza und ihre beiden Kinder Carba und Esrana.

Weitere Droiden säuberten das Schiff und stellten die Inneneinrichtung wieder her. Die unzähligen Glasscherben, von denen manche bis zu vier Meter lang waren, mussten ebenfalls vom Deck entfernt werden.

Nordment, Rudocc, Lichtern und Gellar hatten unterdessen die Rettungskapseln untersucht. Alle Kapseln waren fluguntüchtig gemacht worden. Dasselbe galt für die Seruns.

*

Nordment kehrte mit den anderen zurück. Sie nahmen den Weg über die Außendecks. Die frische, klare Luft des Planeten war gut zu atmen. Scheinwerfer waren auf das Wasser gerichtet. Einige Passagiere standen an den Geländern und zeigten immer wieder auf die See. Nordment fand den Sicherheitschef Bogo Prollig.

»Was ist los?«, fragte Nordment und deutete auf die aufgeregten Passagiere.

»Im Wasser befinden sich Kreaturen«, erklärte der Epsaler und zeigte Nordment die Ergebnisse auf dem Display seines Scanners. Ein dreidimensionales Abbild eines Wesens wurde abgebildet. Nordment fand Ähnlichkeit zu einem Hai. Neben den typischen Merkmalen wie Flossen, Kiemen und Körperverlauf hatten diese Haiwesen jedoch je ein Tentakelpaar vorne und hinten. Am Bauch und auf dem Rücken, knapp vor der Rückenflosse erkannte Nordment ein großes Loch, ähnlich wie bei einem Wal. Vermutlich wurde hier Wasser ausgestoßen oder Luft eingeatmet.

Terek-Orn, Kolipot und Spector Orbanashol drängten sich unsanft an Wyll vorbei. Sie trugen Waffen. Orbanashol legte an und zielte auf das Wasser. Dann feuerte er. Kolipot und Terek-Orn taten es ihm nach.

»Habe einen erwischt«, freute sich der Springer.

Nordment schüttelte nur den Kopf.

»Das solltest du unterbinden, Bogo!«

»Du hast mir gar nichts zu sagen, Zivilist! Lass den Passagieren ihren Spaß und kümmere dich um deinen eigenen Kram. Nun hau ab!«

Während Rudocc und Lichtern bereits den Weg zur Kommandostation weiter gegangen waren, wartete High Gellar auf Nordment.

»Nun komm schon, wir haben wichtigeres zu tun«, drängte er.

Nordment atmete tief durch und folgte schließlich dem Aufruf des jungen Terraners. Sie erreichten wenig später die Brücke, wo Arno Gaton bereits tobte.

»Sabotage! Doch wer hat so etwas Grausames getan?«

Rhodan ahnte Übles. »Überprüft bitte, ob Dannos und seine Kinder der Materiequelle noch in ihren Zellen sind.«

Rhodans Rat wurde sofort Folge geleistet. Jedoch befanden sich die Kinder der Materiequelle in ihren Zellen. Rhodan war über diese Tatsache überrascht. Nun wusste er auch nicht, wer dafür verantwortlich war.

Der Zellaktivatorträger setzte sich kurz in den Kommandostuhl. Holling sagte nichts. Es wäre auch unpassend gewesen, sich jetzt über Sitzplätze und Kompetenzen zu streiten.

Rhodan stierte auf sein Chronometer und beobachtete, wie die Sekunden vergingen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als zu warten. Die LONDON konnte unmöglich mehr starten. Moindrew musste eine der Space-Jets wieder flugtüchtig bekommen. Die Space-Jet konnte Hilfe holen – rechtzeitig.

*

Moindrew kauerte im Maschinenraum der Space-Jet und fluchte vor sich hin. Die Saboteure hatten ganze Arbeit geleistet und wussten, wie man ein Raumschiff fluguntüchtig machte.

»Hier spricht deine Bordsyntronik. Deine Versuche sind zwecklos. Ich aktiviere nun den Befehl 567-B und wünsche ein angenehmes Ende.«

»Was zum Teufel?«, zischte Moindrew.

Er aktivierte seinen tragbaren Computer und wollte Zugriff auf die Syntronik erhalten. Vergeblich!

Ein kleiner Ruck durchfuhr das Schiff und ließ Moindrew hochschrecken. Er stieg aus der Space-Jet aus, da hörte er ein gewaltiges Donnern. Die Tür zum zweiten Hangarraum wölbte sich nach außen. Moindrew rief die Wartungscrew im zweiten Hangar, doch niemand antwortete. Weitere Erschütterungen suchten die LONDON heim. Sie kamen aus dem Inneren des Raumschiffes.

Moindrew stellte eine Verbindung zu seinen Kontrollen im Maschinenraum her. Mehrere Explosionen hatten den Oberbereich der Bauchflosse bis zum Hangar durchzogen.

»Hier spricht der Kommandant, was ist los?«, schnarrte es aus dem Interkom.

»Explosionen. Ich muss mir das ansehen«, gab Moindrew knapp zurück. Er konnte nicht glauben, was jetzt passierte. Hastig sprang er in den Transmitter und rematerialisierte zehn Decks tiefer. Zuerst spürte er die unangenehme Kälte an seinen Füßen, denn er stand Knöcheltief im Wasser.

»Wassereinbruch in den unteren Decks«, gab er an die Brücke durch.

Ein Jülziisch kam ihm entgegen. Das Crewmitglied war für die Reparaturen in den unteren Bereich verantwortlich.

»Überall Explosionen. Die Schotten zerstört. Schirme ausgefallen«, kreischte der vieräugige Galaktiker und wedelte mit den sechsgliedrigen Händen. Da donnerte die nächste Detonation ein Loch in die Wand. Der Blue wurde regelrecht zerquetscht. Moindrew wich vor den Flammen zurück und rannte zum Transmitter. Das Feuer erlosch und eine Wasserwelle rollte auf ihn zu. Bevor sie ihn erreichte, befand er sich auf der Kommandostation und ging in die Knie.

»Was ist passiert?«, wollte James Holling wissen.

Alex Moindrew blickte seinen Kapitän ernst an.

»Ich fürchte, der Untergang der LONDON wurde soeben eingeleitet.«

*

Alex Moindrew war kreidebleich. Er erhob sich und stellte sich an die Kontrollen.

»Die Hauptsyntronik hat sich verabschiedet. Die unabhängigen Nebenrechner arbeiten. Ich mache eine Schadensanalyse«, erklärte der Maschinenchef.

Die LONDON wurde dreidimensional dargestellt. Dort, wo die WORDON bereits Hüllenbrüche verursacht hatte, waren durch weitere Explosionen diverse Schotten vernichtet worden. Eine Explosion hatte großen Schaden im zweiten Hangar angerichtet. Roboter waren bereits mit der Löschung beschäftigt. Doch weitaus schlimmer war, dass die Syntronik die Schutzschirme und Prallfelder vor den Lecks abgeschaltet hatte. In Kombination mit den Explosionen strömte nun ungehindert Wasser in mehrere Bereiche der unteren Sektionen des Raumschiffes.

»Sprengsätze! Es wurden diverse weitere Risse in die Hülle und in die LONDON gesprengt. Schleusen sind vernichtet worden. Das … das können wir nicht reparieren … die Energie für Prallfelder und Schutzschirme. Die Leitungen … vernichtet«, schloss Moindrew den finsteren Bericht.

»Was bedeutet das?«, wollte Gaton wissen.

»Die LONDON wird sinken.«

»Aber das ist doch Humbug. Die LONDON ist ein Raumschiff und aus bestem Ynkonit. Die kann doch nicht sinken. Das geht doch nicht!«, kreischte der Hansesprecher.

Rhodan atmete tief durch. Rodrom steckte dahinter. Er musste einen Weg gefunden haben, in aller Stille, die LONDON mit Sprengsätzen zu versehen und die Beiboote zu sabotieren.

Rodrom hatte sich alle Mühe gegeben, damit sie chancenlos waren.

Moindrew hatte sich wieder gefasst. »Meine Herren. In etwa drei bis vier Stunden wird die LONDON mit dem Bug voran auf den Meeresboden dieses Planeten liegen. Die Energieleitungen kann ich nicht mehr stabilisieren. Nichts kann das Ende aufhalten. Von nun an wird die LONDON untergehen!«

*

01:20 Uhr

Der Schock saß tief. Verzweifelt suchten die Brückenoffiziere nach einer Möglichkeit, den Untergang aufzuhalten.

»Und wenn wir einfach ab dem ersten intakten Deck die Zugänge versiegeln?«, fragte Rudocc.

Gaton schlug erfreut in die Hände.

»Genau! Schließlich ist das ein Raumschiff. Es muss doch für solche Notfälle konstruiert worden sein. Ob nun Wasser oder Vakuum ist doch egal.«

Moindrew schlug mit der Faust auf die Kontrollen.

»Die LONDON ist aber kein gewöhnliches Raumschiff. Du wolltest doch, dass wir weiche Teile einbauen auf Kosten der Sicherheit. Holztüren, Glastüren – damit die Passagiere es nicht so steril haben. Das sind potenzielle Sicherheitslücken. Ohne Energie können wir die Sektionen nicht vor dem Wasser abschirmen. Steigt es bis in den Passagierbereich, zieht das Gewicht die LONDON tiefer. Das Wasser schwappt über die kaputte Glaskuppel und dann ist alles verloren!«

Moindrew raufte sich die Haare. Perry Rhodan merkte, dass der Chefingenieur psychisch am Ende war. Rhodan musste die Ruhe bewahren.

»Wir müssen es trotzdem versuchen«, warf er ein. »Das Hangardeck ist der Dreh- und Angelpunkt. Wir brauchen die Beiboote. Versucht diese Etage zu versiegeln und dort den Wassereinbruch zu stoppen«, schlug Rhodan vor.

»Auf 1.600 Meter Länge? Unmöglich«, rief Moindrew.

»Versucht es!«, antwortete Rhodan streng.

»Können wir nicht einzelne Sektionen abschirmen? Das ist ein Raumschiff. Das muss dem Wasserdruck doch standhalten. Wir müssten doch auch Unterwasser genügend Luft und Schutz haben«, warf Sam ein.

Moindrew schüttelte den Kopf.

»Nicht ohne die Hauptsyntronik. Wir haben keine Energie mehr zur Luftgewinnung. Die Leute würden irgendwann ersticken. Es ist …«

Rhodan unterbrach Moindrew mit einer Handbewegung und befahl ihm, jetzt zum Hangardeck zu gehen. Die Beiboote hatten oberste Priorität. Rhodan wusste, dass Rodrom an alles gedacht hatte. Durch die Selbstabschaltung der Syntronik und dadurch dem Großteil der Energieversorgung würden sie das Unvermeidliche nicht aufhalten können, allenfalls hinauszögern, wenn es ihnen gelang, die Lebenserhaltungssysteme zu reparieren.

Die Crew schien Rhodan völlig überfordert zu sein. Der Vergleich mit Bert Hefrich war vielleicht zu euphorisch gewesen. Das war nicht die Besatzung der CREST II, sondern eine zivile Crew, die ohnehin schon durch die Abenteuer zerrüttet war.

»Also gut, meine Herren. Die Space-Jets und Rettungskapseln können schwimmen. Wir lassen sie zu Wasser und evakuieren die Passagiere darauf.«

Holling, Gaton, Rudocc und die anderen sahen Rhodan entgeistert an. Sam ergriff als erstes das Wort.

»Das sinkende Schiff hat immerhin seine Rettungsboote. Löschen Sie den Brand im Hangar, machen Sie eine Schadensanalyse und beginnen die Kapseln seefest zu machen. Ein drittes Team muss versuchen, die Energieversorgung stabiler zu machen. Jede Minute mit einem Schutzschirm und jeglicher Einsatz von Antigravs hilft uns.«

Schweigen. Sam starrte verdutzt zu Rhodan, der ebenso irritiert über die Passivität der Brückencrew war. James Holling nickte zaghaft.

»Ja … ja, so machen wir das. Erster Offizier, du kümmerst dich zusammen mit Lichtern um die Kapseln. Maskott und Spechdt versuchen die Energieversorgung zu stabilisieren und Sparks funkt weiter …«

Holling verließ mit schlurfendem Schritt die Brücke.

»Nun habe ich doch noch mein Wrack«, hörte sie den Plophoser murmeln.

 

8. Rettungsversuche

01:45 Uhr

Das Wasser stand nur zwei Decks unter dem Hangardeck. Diese beiden Etagen waren bereits verloren. Die Besatzungsmitglieder versuchten, das Hangardeck vor einer Überflutung zu schützen. Alex Moindrew war es immerhin gelungen, einige primäre Systeme der Syntronik zu umgehen. Er leitete die spärlich vorhandene Energie in den Hangarbereich um. Es gab tatsächlich Passagiere, die sich darüber beschwerten, dass die Heizungen nicht funktionierten und stellten weltfremde Wünsche an das ohnehin überforderte Personal.

Es gab zwei Arten von Hangartoren auf dem Deck. Die einen führten zur Seite hinaus. Die anderen führten nach oben zur Oberfläche der Scheibe, dort, wo die Passagiere sonst über die Außendecks flanierten. Rhodan befahl, die Beiboote mit dem Antigrav und den Hebevorrichtungen auf die Decks zu bringen. Uto Lichtern und Evan Rudocc waren dafür verantwortlich. Sobald ein Beiboot am Bauch versiegelt und zum Transport auf dem Außendeck bereit war, begann die Evakuierung.

Rhodan war jedoch irritiert, dass kaum Passagiere zu sehen waren. Er eilte zu Lichtern.

»Wo sind die alle? Hier stehen vier Beiboote für 400 Leute bereit. Es ist fast 2 Uhr. Fang endlich mit der Evakuierung an.«

Lichtern zuckte zusammen.

»Die Passagiere sind in der Sternenhalle und in den Foyers, in den Türmen. Es ist ihnen zu kalt draußen.«

»Verdammt noch mal, zwingt sie dazu, in die Kapseln zu steigen«, brüllte Rhodan. Für einen kurzen Moment hatte er die Fassung verloren. Er atmete tief durch und legte seine Hand auf Lichterns Schultern.

»Holling soll sofort eine Durchsage machen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«

Lichtern nickte und informierte den Kommandanten auf der Kommandozentrale. Rhodan lief zu den Hangars, während er die Lautsprecheransage von Holling hörte.

Die Luft im Hangar war stickig und voller Rauch. Etwa 200 Männer und Frauen arbeiteten an den beschädigten und intakten Kapseln. Rhodan suchte und fand Moindrew.

»Status?«

»Wir haben 67 intakte Kapseln. Das entspricht etwa Platz für 7.000 Passagiere, wenn sie zusammen rücken. Wobei wir das Gewicht nicht getestet haben. Das sind Raumkapseln und keine Seekutter.«

»Wie lange wird sich die LONDON halten? Wieso arbeiten hier keine Roboter?«

Moindrew verzog das Gesicht.

»Die Syntronik hat die Roboter deaktiviert. Ich habe nicht die Zeit, die Sperre zu neutralisieren. Das Wasser hat nun das Hangardeck erreicht, doch noch hält es. Ich habe Energie für eine Stunde, um die Prallfelder und Schutzschirme aufrecht zu erhalten. Mehr nicht.«

Rhodan verstand.

»In dieser Zeit müssen die 67 Kapseln und alles, was schwimmen kann, auf den Decks sein. Können wir Passagiere bereits hier in den Hangar bringen, dann geht es schneller?«

Moindrew bestätigte. Rhodan machte sich auf den Weg zur Kommandozentrale. Die Antigravs und Transmitterstationen funktionierten nur noch an wenigen Stellen.

Nach acht Minuten erreichte er die Brücke. Dort sahen James Holling, Mugabe Sparks und Arno Gaton ihn fragend an.

»Wir können mindestens 7.000 Wesen retten«, stellte Rhodan fest. Er klammerte sich an diese Hoffnung.

Wenn man 7.000 retten konnte, bestand vielleicht die Möglichkeit auch mehr am Leben zu halten. Man musste die LONDON auseinandernehmen und Flöße bauen, alles was schwimmen konnte, musste verwendet werden. Schnell musste sich der Unsterbliche der Realität stellen. Es würde niemals für alle reichen.

9.000 Wesen werden sterben, ging es Rhodan durch den Kopf. Diesmal war auch er machtlos. Was konnte er gegen die Katastrophe tun?

»Sparks, sende weiter Hyperkomnachrichten. Versuche alles, um Hilfe zu erhalten!«, kommandierte Rhodan. »Holling, du und die anderen müssen die Evakuierung beginnen. Unverzüglich! Bringt die Passagiere ins Hangardeck. Die anderen sollen sich auf dem Außendeck versammeln. Es stehen Kapseln bereit.«

Der Kommandant wirkte geknickt. »Nun habe ich doch noch mein Wrack«, murmelte er nachdenklich.

Rhodan wusste nicht, was er damit meinte.

Der Kapitän machte sich auf den Weg nach draußen. Die Sirenen wurden aktiviert, damit auch der letzte Narr den Ernst der Lage begriff.

Ein älteres, akonisches Ehepaar trat auf ihn zu.

»Kommandant, wir sind doch sehr erstaunt, dass sämtliche Formenergie in unserem Quartier deaktiviert wurde. Bis auf die Beleuchtung funktioniert nichts mehr. Wir erwarten, dass das behoben wird …«

Holling blickte die beiden entgeistert an und ging weiter. In diesem Moment wurde per Antigrav die fünfte Rettungskapsel auf das Außendeck gehievt.

Lichtern, Spechdt und Rudocc kümmerten sich um die Evakuierung auf dem Deck. Maskott und Gellar waren im Hangar. Holling blickte auf sein Chronometer. Es war 2:12 Uhr.

Die Sirenen verstummten. Endlich füllte sich das Deck mit Passagieren. Holling blickte in die Höhe. Auf den Etagen und Türmen, die sich insgesamt vielleicht fünfhundert Meter in die Höhe erstreckten, standen unzählige Lebewesen. Holling fühlte, wie sie ihn anstarrten. Doch was sollte er noch ausrichten? Es war Platz für vielleicht 7.000 von 16.000 Wesen.

Was konnte er da noch bewirken? Holling wandte sich an Evan Rudocc zu. Er lächelte dem Ersten Offizier zu, der sichtlich verunsichert wirkte.

»Weitermachen«, sagte Holling knapp.

Rudocc winkte die Passagiere zu sich.

»Frauen und Kinder zuerst«, gab er die Parole aus und erntete dafür schon erste erboste Zwischenrufe, dass dies rassistisch und sexistisch sei.

*

Perry Rhodan fragte unterdessen die Daten des Planeten in der fast leeren Brücke ab. Nur der Funker Mugabe Sparks saß an seinem Terminal und sendete pausenlos Hilferufe.

Die Temperatur lag im Moment bei zwölf Grad Celsius. Die Wassertemperatur jedoch bei nur zehn Grad. Die Tiefe des Ozeans betrug über zehn Kilometer. Rhodan hatte die leise Hoffnung gehegt, die LONDON wäre zu groß gewesen. Doch selbst knapp 1,6 Kilometer Länge waren nicht ausreichend.

Sam eilte unterdessen zu Perry Rhodan.

»Gibt es etwas Neues?«

Rhodan schilderte die traurigen Tatsachen.

»Dann wird es wohl Muscheln zum Frühstück geben«, sagte Sam sarkastisch. Im nächsten Moment wurde der Somer wieder ernst.

»Wir müssen die Frauen und Kinder zuerst retten. Altruismus ist jetzt unverzichtbar. Außerdem müssen wir eine Panik verhindern.«

*

2:20 Uhr

Wyll Nordment war erschöpft. Er hatte bei der Reparatur und Bereitstellung der Rettungskapseln geholfen. Doch er musste sich auch um Rosan kümmern. Allerdings lehnte sie es ab, in das erste Rettungsboot zu steigen. Es war typisch für diese Frau und ein Grund, wieso er sie so sehr liebte. Sie hatte tatsächlich Mitgefühl mit ihrer Familie. Rosan wollte auf alle Fälle ihre Familie warnen. Auch wenn sie nicht mehr viel für sie übrig hatte, so wollte sie nicht ihren Tod. Hand in Hand ging das Paar in die Suite.

Rosan und Wyll eilten zur Kabine der Orbanashols.

Attakus und die anderen starrten sie abfällig an. Prollig, der Sicherheitschef der LONDON, stand ebenfalls in der Kabine, wie auch einer seiner Sicherheitsbeamten, der angestrengt versuchte, die Orbanashols zu überzeugen, sich an Deck zu begeben. Attakus trug einen Verband um seinen Arm.

»Wo gibt es denn so was? Der Täter kehrt zum Tatort zurück«, meinte Attakus.

Wyll sah ihn ungläubig an.

Prollig legte ihm Energiefesseln an.

»Was soll das?«

»Es tut mir Leid, Junge. Du hast versucht Attakus Orbanashol zu erschießen«, erklärte der Sicherheitsoffizier. »Wir haben eine Waffe mit deinen Fingerabdrücken hier. Außerdem klebt dein Blut auf einem Brieföffner, den Attakus nahm, um sich zu verteidigen. Diesmal bist du zu weit gegangen.«

»Das ist eine Lüge!«, schrie Nordment.

»Attakus, Mutter ...«, rief Rosan ihrer Familie entgegen. »Wir haben anderes zu tun. Die LONDON wird untergehen. In knapp 40 Minuten erlöschen die Energiefelder. Dann wird der Hangar geflutet. Es sind nicht genügend Rettungskapseln da. Die LONDON geht unter!«

»Die LONDON wird nicht untergehen«, beharrte Thorina. »Das Schiff ist für wohlhabende Bürger gebaut worden, da passiert uns nichts.«

Plötzlich wurde die Arkonidin doch nachdenklich.

»Was würde denn aus meinen neuen Sachen werden? Ich habe so schöne Mäntel hier bekommen. Die müssen wir mitnehmen.«

Rosan lief wutentbrannt zu ihrer Mutter, packte sie an den Schultern und schüttelte sie.

»Mutter, wach' endlich auf. Die Rettungskapseln reichen gerade für die Hälfte aller Passagiere.«

»Ein Grund mehr, dass wir uns zu den Kapseln begeben sollten«, meinte Attakus.

Er packte Rosan am Arm. Sie riss sich los. Jetzt reichte es Attakus, er holte aus und ohrfeigte seine Verlobte. Schmerzverzerrt drehte Rosan ihren Kopf weg.

Dann mimte der junge Orbanashol wieder den zivilisierten Aristokraten und wandte sich dem Sicherheitsbeamten zu.

»Bitte reserviere bereits einen Platz in den Rettungskapseln für mich und meine Verlobte.«

Diese rannte kopfschüttelnd aus der Kabine. Für Attakus war diese Regung nicht nachvollziehbar. Diese Terraner hatten so seltsame Ansichten. Sie waren Barbaren und spielten sich wie tugendhafte Ehrenmänner auf. Attakus dachte nicht einmal im Traum daran, dass die Arkoniden einmal tugendhafte Gentlemen waren, die sich seit vielen Jahren wie Barbaren aufführten.

Prollig führte Wyll ab, der noch verzweifelt Rosans Namen rief. Zhart begleitete Prollig, um sicher zu gehen, dass Nordment dieses Mal wirklich von der Bildfläche verschwand.

Die Orbanashols gingen aus der Kabine hinaus auf den Korridor.

»Dienerin, drehe die Heizung auf, damit es nicht so kalt wird, wenn wir wieder zurückkehren«, ordnete Thorina selbstgefällig an. »Ein Schiff der kosmischen Hanse wird nicht sinken. Schließlich haben wir eine Menge für den Flug bezahlt.«

Rosan erwiderte nichts mehr. Ihre Mutter schien nicht zu begreifen, welche Tragödie sich auf dem Raumschiff anbahnte. Von Anfang an hatte sie es nicht verstanden. Weder bei der Entführung durch Dannos, noch nach dem Angriff Rodroms. Jetzt, als es feststand, dass tausende Lebewesen grausam ertrinken würden, sorgte sie sich um ihre Mäntel und schien den ganzen Untergang überhaupt nicht ernst zu nehmen.

Rosan verstand diese maßlose Arroganz nicht. Thorina war doch ihre Mutter. Irgendwelche Gefühle musste sie doch besitzen. Rosan dachte wieder an Wyll Nordment. Sie musste ihm irgendwie helfen. Doch wie? Diese Menschen um sie herum waren ihr fremd. Obwohl sie mit Spector, Attakus und Thorina ihr bisheriges Leben verbracht hatte, empfand sie nichts für die Arkoniden. Diese Familie widerte sie nur noch an! Sie schämte sich für die Orbanashols zutiefst und wollte aus dem Kristallkäfig endlich ausbrechen. Selbst im Angesicht des Todes achteten die steifen Arkoniden auf ihre Etikette, machten ihre schamlosen Witze und stolzierten auf einem hohen Ross.

Auf dem Weg trafen sie noch den topsidischen Delegierten Terek-Orn und den Springerpatriarch Kolipot.

»Welche Kapselnummer haben wir?«, fragte der Springer die Kreuzfahrtmanagerin Terna Ambyl, die einen sichtlich hilflosen Eindruck machte.

Der Offizier schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, nur Frauen und Kinder können zuerst evakuiert werden.«

Beide blieben wie erstarrt stehen und sahen sich an.

Der Topsider fasste sich an das Kinn. »Heute ist wohl ein guter Tag zum Sterben. Kellner, bringe uns eine Flasche Vurguzz, wir wollen wenigstens wie echte Männer abtreten!«

Beide begaben sich in die Sternenhalle, warteten offenbar auf den Untergang.

Die anderen Passagiere drängelten sich langsam auf das Deck. Viele glaubten immer noch nicht, dass die LONDON untergehen konnte. So etwas gab es doch nicht. Ein Raumschiff ging nicht auf dem Wasser unter. Das war für die meisten Reisenden einfach nur grotesk. Keiner konnte sich so richtig die drohende Gefahr vorstellen. Die LONDON war gewaltig, 1.600 Meter lang. Keine Nussschale von einhundert Metern.

Jakko Mathyl wurde auch aus seiner Kabine geholt. Er trug noch seinen Bademantel. Erst nach mehrmaligen Drängen der Crewmitglieder zog er sich an.

Perry Rhodan hatte inzwischen anweisen lassen, soviel Schwimmwesten wie möglich herzustellen. Die Crewmitglieder arbeiteten daran und fertigten etliche der vielleicht rettenden Westen an.

Die Rettungskapseln wurden umfunktioniert. Um die Passagiere schneller einladen zu können, hatte man die Glaskuppeln abmontiert. So mussten sich die Frauen und Kinder nicht durch einen Eingang quetschen, sondern konnten von oben in die Kapsel einsteigen. Sparks und Rudocc hatten die Aufsicht über die Verteilung und Besetzung der Boote.

Die Sirenen heulten immer wieder auf, um die Passagiere zu informieren. Bisher waren sieben Rettungsboote mit etwa 550 Passagieren zu Wasser gelassen worden.

Es war inzwischen 2:30 Uhr. Vor den Kapseln auf Deck hatte sich eine Masse versammelt.

Offizier Ute Lichtern bat um Ruhe. Die Sirenen verstummten nach einer Weile. Er setzte ein gequältes Lächeln auf und wies die Passagiere an, geordnet und gesittet die Rettungsfähren zu betreten. Er forderte zuerst die Frauen und Kinder auf. Zögerlich stiegen die ersten Wesen in die erste Kapsel ein. Lichtern half den Frauen und Kindern beim Einstieg, um den Vorgang zu beschleunigen.

Ein terranisches Wesen im Kleid, hoch gewachsen, mit modischem Bart, einer Designerbrille und Ringen an jedem Finger trat an Lichtern heran.

»Sorry, Kleiner, aber was ist mit den intersexuellen Wesen?« Es wedelte mit dem Ausweis vor der Nase von Lichtern. »Ich bin weder Mann noch Frau.«

Lichtern war ratlos.

»Und ... und mit welchem Geschlecht würdest du dich am ehesten identifizieren?«

»Nun, in diesem Fall natürlich mit einer Frau. Darf ich einsteigen?«

Lichtern nickte verdutzt und gewährte dem Passagier den Zutritt auf dier Rettungskapsel.

Dieser rannte sofort los. Rudocc hob die Arme und signalisierte, dass die ersten Frauen und Kinder in seine Kapseln konnten.

»Frauen und Kinder hervortreten«, rief er laut.

Zur Steuerung hatten sie provisorische Paddel konstruiert. Der Sabotageakt hatte fast den ganzen Energievorrat der Kapseln deaktiviert.

Das Boot wurde mit nur knapp 80 Passagieren gefüllt. Ziemlich hastig und übereilt wurde die Kapsel mit dem Antigrav zu Wasser gelassen.

Rhodan bemerkte diese Schlamperei nicht, da er nach weiteren Rettungsmöglichkeiten suchte. Er schlug vor, dass man aus den schwimmfesten Möbelstücken Flöße bauen sollte. Einige Männer machten sich sofort an die Arbeit.

*

2:40 Uhr

»Das ist die letzte Kapsel. Jetzt raus hier. Raus, raus«, brüllte Alex Moindrew den verbliebenen Crewmitgliedern im Hangar zu. Einige Passagiere standen noch verdutzt auf den Korridoren und wurden die Treppe hoch gedrängt. Die Antigravs waren schon lange deaktiviert worden, um die restliche Energie für den Schutzschirm aufzuwenden.

Das Licht flackerte. Moindrew blickte auf seinen Pikosyn. Er zeigte an, dass die Energie der Schutzschirme nun verbraucht war. Es war ihnen immerhin gelungen, zehn Kapseln mit 1.280 Passagieren aus dem Hangar auszuschleusen. Sie schwammen und bewegten sich langsam von der LONDON weg.

51 Kapseln hatten sie auf die Decks bringen können. Die restlichen sechs Schiffe wurden einfach ins Wasser gestoßen. Ein lauter Knall läutete den Zusammenbruch der Energiefelder ein. Moindrew hörte das Rauschen des Wassers.

Von nun an war der Untergang der LONDON nicht mehr aufzuhalten.

 

9. Aufkommende Panik

2:41 Uhr

Das Schiff schüttelte und vibrierte, als die Energieschirme ihren Dienst versagten. Die Passagiere schrien kurz auf, ehe sich die Situation wieder normalisierte.

Der Kapitän James Holling ließ seinen Blick über das Deck schweifen. Zögerlich strömten die Passagiere aus den Foyers und Restaurants zu den Rettungsbooten. Dann immer hektischer. Panik und Unmut machte sich breit, als die Wesen erfuhren, dass nicht genug Rettung bringende Fähren zur Verfügung standen.

Holling war dazu verdammt, mit anzusehen, wie sein Schiff mit tausenden Passagieren in den Tod sank.

Sein Wrack … nun hatte er es. Seine Gedanken kreisten nur noch darum. Um den Untergang, den Tod. Mutlos, voller Resignation wanderte er auf dem Deck umher und beobachtete das steigende Wasser. Es war nicht mehr weit von den Decks entfernt.

Rudocc erstattete inzwischen Holling Bericht: »Insgesamt 17 Rettungskapseln sind auf dem Wasser.«

Der alte Plophoser schien das nicht mehr mitzubekommen. Er starrte auf das Wasser. Dann schweifte sein Blick über das Deck. Holling blickte seinen Ersten Offizier ungläubig an. Langsam verinnerlichte er die Worte von Rudocc.

»So. Schön, schön«, murmelte er.

Rudocc ging nicht weiter darauf ein, sondern kümmerte sich um die anderen Kapseln.

Die Furcht, die er verspürte, war genauso immens, wie die der Passagiere. Der Terraner wollte noch nicht sterben. Er überlegte, vielleicht auf eines der Boote zu springen. Doch erst beim letzten. Zuerst wollte er noch, so gut er konnte, die Menschen retten.

*

Die LONDON neigte sich nun leicht nach vorne. Das Wasser erreichte die vordere Hülle des Bugs. Noch dauerte es aber eine Weile, bis der obere Passagierteil betroffen war. Aber die Bedrohung kam unaufhaltsam näher.

Sam wies unterdessen die Bordmusiker an, klassische Musik zu spielen. Rhodan sah den Somer verdutzt an.

»Nun, damals wurde das ja wohl auch so gemacht«, erwiderte Sam in Anspielung auf den Untergang eines terranischen Luxusliners aus dem 20. Jahrhundert, von dem Perry Rhodan vorhin kurz erzählt hatte, weil ihn die Situation auf der LONDON daran erinnerte.

»Ja, nur genutzt hat es auch nichts«, meinte Rhodan bitter.

*

Wyll wurde in den Inhaftierungsblock gebracht. Prollig kettete ihn mit den Handschellen an ein Rohr. Dannos und seine Kinder der Materiequelle hingegen wurden freigelassen.

Wyll sah irritiert zu, wie die Kinder der Materiequelle abzogen. Sie jubelten und zelebrierten. Dannos verkündete, sie seien nun am Ziel. Er umarmte Stellara Chowfor. Dann fassten sich die Kinder bei den Händen und konnten ihre Euphorie kaum unterdrücken. Nur die Arkyls standen dem Enthusiasmus des Vaters reserviert gegenüber.

»Meine Kinder, es ist soweit. Die Apokalypse hat begonnen. Der Rote hat es uns versprochen. Wir werden nun den Weg nach Erranternohre gehen, um unsere kosmische Erfüllung als Kosmokrat zu beginnen. Wir sind die einzig wahren kosmischen Bürger des Universums. Uns wird nichts passieren. Blickt frohen Mutes in die Zukunft«, predigte der Guru.

Wyll konnte das Gefasel nicht mehr hören. Hoffentlich gehen die bald an Deck, wünschte er sich. Doch da wollte er auch hin. Er konnte doch hier nicht einfach ertrinken.

Tatsächlich stürmten die Kinder der Materiequelle hoch, einige schnappten sich noch Thermostrahler. Dannos riet ihnen, sich auf ihrer göttlichen Mission zu bewaffnen. Auch Stellara Chowfor steckte sich einen Strahler in die Handtasche.

»Prollig, lass mich frei. Du kannst mich doch nicht hier absaufen lassen«, beschwor Wyll ihn.

Doch der Offizier hörte ihm nicht mehr zu. Er übergab Zhart den Schlüssel für die Handschellen und verließ den Raum.

Nur Hermon da Zhart blieb bei Wyll. Er lud die Energiezelle seines Thermostrahlers wieder auf. Genüsslich reinigte er seine Waffe, bevor er Wyll genauer beobachtete.

»Tja, wie es aussieht, bist du diesmal am Ende«, stellte der Arkonide zufrieden fest. Eine Tasse auf dem Tisch rutschte herunter. Das Schiff neigte sich nun immer schneller.

»Weißt du, ich gehe davon aus, dass die LONDON sinkt und viele Wesen sterben werden. Dich eingeschlossen, Bras’Cooi.«

Da Zhart schenkte Nordment ein kaltes, bösartiges Lächeln. Dann warf er den Schlüssel hoch und fing ihn mit der rechten Hand wieder auf. Betont auffällig steckte er ihn in seine Hemdtasche.

»Es wird Zeit, dass ich mich verabschiede.«

Mit allem in ihm schlummerndem Dünkel schritt Zhart langsam auf Nordment zu. Dann schlug er dem jungen Terraner mit aller Kraft in die Rippen. Wyll brach keuchend zusammen, während Zhart über seine Aktion höchst erfreut war. Er grinste breit. Dann ging er aus dem Raum und ließ den verzweifelten Wyll Nordment zurück.

 

10. Der schleichende Tod

2:55 Uhr

Zwanzig Rettungskapseln waren zu Wasser gelassen worden. Inzwischen brach eine leise Panik unter den Passagieren aus. Die Familien wollten sich nicht voneinander trennen. Viele Frauen und Kinder wurden von stärkeren Leuten zurückgedrängt. Langsam realisierten die Reisenden der LONDON, in welcher Gefahr ihr Leben schwebte.

Die Kapelle spielte zwar muntere Lieder, wie Orpheus und die Unterwelt, die Mehandor-Polka und ophalische Volkslieder, doch niemand achtete mehr darauf. Als man die Bedrohung durch das Wasser nun direkt auf den Decks erkennen konnte, entstand eine große Unruhe.

Ein Mirsalese hatte großes Glück. Obwohl er schon 120 Jahre alt war, ging er als Kind durch, was er seiner geringen Größe zu verdanken hatte. Er wurde in Rettungsboot Nummer 12 verfrachtet. Auch die Orbanashols näherten sich langsam den Kapseln.

Attakus versuchte inzwischen Lichtern zu bestechen, doch dieser gehörte zu den gewissenhaften Leuten.

Spector sah sich auch nach anderen Möglichkeiten um. Er packte sich Rudocc.

»Hör zu, du bekommst zwanzig Millionen Galax bar auf die Hand, wenn du für mich, meinen Neffen und Haushofmeister drei Plätze auf einem Boot sicherst.«

Er drückte Rudocc einen großen Batzen Geld in die Hand. Der Erste Offizier ließ sich von der Summe überzeugen.

»Haltet euch auf der linken Seite des Schiffes, dort bin ich und kann euch reinlassen«, erklärte er.

Nun waren Rosan und Thorina an der Reihe. Rosan hielt jedoch Ausschau nach Wyll. Ob er immer noch im Inhaftierungstrakt war? Das durfte nicht sein. Sie konnte ihn doch nicht hilflos hier zurücklassen. Die Halbarkonidin sah, wie Zhart zu Attakus lief. Wyll war nicht bei ihm!

Rosan eilte sofort zu beiden und bekam noch mit, wie der Haushofmeister ihrem Cousin berichtete, dass Nordment erledigt war.

»Was habt ihr mit ihm gemacht?«, wollte sie wissen.

»Er dürfte bald Fischfutter sein«, meinte Attakus amüsiert. »Und nun geh in deine Rettungskapsel!«

Rosan schaute unschlüssig auf das lebensrettende Gefährt. Lichtern drängte die Frauen einzusteigen. Nun stieß auch Delia Gaton hinzu. Sie trug ein Abendkleid und war wie für eine Gala ausstaffiert. Sie begrüßte Thorina freundlich.

»Delia, sage mir, ob das die Raumschiffe für die Erste Klasse sind«, erkundigte sich Thorina. »Die sehen so schäbig aus. Hier gibt es ja nicht einmal einen Steward.«

Delia gesellte sich affektiert zu Lichtern, der alle Mühe hatte, die Massen von den Booten zurückzudrängen. Er bat Delia Gaton sofort in das Boot einzusteigen, doch sie verwehrte ihm diese Bitte.

»Mister Lichtern! Ich bin die Frau des Eigentümers. Ich kann ja wohl erwarten, dass ich und die ehrenwerten Orbanashols separate Boote für uns und unsere Bediensteten erhalten.«

Lichtern starrte die Gaton mit einer Mischung aus Verwunderung und purer Verachtung an. Er schien kurz darüber nachzudenken, ob das wieder einer ihrer geschmacklosen Witze war, doch anscheinend war das nicht der Fall.

»Dein verdammter Bastard von Mann ist doch hierfür verantwortlich. Also rein ins Boot oder du ersäufst hier!«

Delia rügte den Offizier, er dürfe nicht in solch einem Ton mit ihr reden. Brüllend packte er sie bei den Hüften, hob sie an und setzte sie im Boot ab. Dann zückte er seinen Thermostrahler und forderte Thorina auf, sich ebenfalls in die Kapsel zu begeben. Als er merkte, dass Spector einsteigen wollte, richtete er die Waffe auf den Orbanashol.

»Zurück, Sir! Nur Frauen und Kinder!«

Spector wich zurück. Das kostete ihm viel Überwindung, doch dieser Lichtern schien zu allem bereit. Er warf seiner hässlichen Frau noch einen letzten Blick zu. Thorina kauerte unruhig auf dem unbequemen Sitz des Schiffes, während Delia Gaton immer noch nicht über die burschikose Art des Offiziers hinweg kam.

»Tochter, komm endlich!«, schrie Thorina, als sie Rosan zögerlich vor der Kapsel stehen sah. Attakus forderte Rosan nun auch auf, endlich in das Boot einzusteigen.

Das Boot, dachte Rosan. Sie starrte darauf. Es rettete ihr Leben, während tausende sterben würden. Ihr Leben … doch was war mit Wyll? Was war ihr Leben ohne das seine wert, hatte er ihr nicht erst beigebracht wirklich zu leben? Wyll hatte Rosan aus dem düsteren Kristallkäfig befreit. Sie durfte ihn nicht zurücklassen!

Rosan blickte ihren ehemaligen Verlobten Attakus an und schüttelte den Kopf.

»Nein ich kann nicht«, sagte sie und wollte weglaufen. Sie verabschiedete sich von ihrer Mutter und rannte los. Sie bekam die drohenden Rufe Thorinas nicht mehr mit. Attakus eilte hinterher und ergriff ihrem Arm.

»Wo willst du hin? Zu ihm?«, fletschte er ihr entgegen.

»Ja, zu ihm. Ich will für immer bei ihm bleiben.«

»Du willst die Hure dieses terranischen Bekkar werden?«, schrie der Arkonide fassungslos.

»Lieber die Hure dieses terranischen Bekkars, als deine Gemahlin«, brüllte Rosan ihm entgegen und schlug Attakus mit der Hand ins Gesicht.

Er ließ sie los. Sie nutzte die Gelegenheit und rannte los. Attakus gab Zhart einen Wink, sie im Auge zu behalten.

Attakus wollte seinen Besitz nicht hergeben. Er war Arkonide. Wyll Nordment ein Barbar. Er hatte nicht das Recht, einem Aristokraten etwas wegzunehmen. Rosan hatte für Attakus den Stellenwert eines Spielzeuges. In gewisser Weise liebte er sie auch, besser gesagt; er hing an ihr.

Spector stand neben seinem Cousin und starrte ihn schweigend an. Beide betrachteten die Rettungskapsel, in der sich Thorina befand. Offizier Lichtern gab dem Navigator High Gellar ein Zeichen, sich in die Kapsel zu setzen.

»Aber ihr braucht mich hier doch noch«, wandte Gellar ein.

»Rede keinen Unsinn, Navigator. Wir brauchen auch fähige Leute auf den Rettungskapseln. Du bist noch jung. Du hast das Leben vor dir«, erklärte Lichtern eindringlich.

Der junge Offizier befolgte schließlich mit gemischten Gefühlen den Befehl und übernahm das Kommando der Rettungskapsel.

Das Boot wurde nun zu Wasser gelassen. Lichtern gab die Befehle, wie man den Antigrav einsetzen sollte. Langsam glitt es herunter, bis es das Wasser erreicht hatte. Die Leute auf dem Boot fingen an, von der LONDON mit provisorisch zusammen geschusterten Paddeln weg zu rudern.

*

Die Panik wurde nun immer größer. Die LONDON hatte eine Neigung von vier Prozent erreicht. Sie füllte sich immer mehr mit Wasser. Der Hangar war nun im vorderen Bereich geflutet.

Als der Abstand zum Wasser geringer wurde, entschlossen sich einige Männer in das kühle Nass zu springen.

Wer den Sprung überlebte, versuchte verzweifelt eins der Rettungsschiffe zu erreichen.

Perry Rhodan und Sam beobachteten die angestrengten Versuche der Menschen, ihr Leben zu retten. Wie lange würde es noch dauern, bis eine Massenpanik ausbrach? Bis jeder nur noch an sein eigenes Leben dachte?

Einige Schwimmer schrien plötzlich auf und tauchten unter. Sie kehrten nicht mehr an die Wasseroberfläche zurück. Rhodan beäugte misstrauisch das Wasser. Er rief Spechdt zu, die Scheinwerfer auf das Wasser zu richten.

»Da schwimmt was«, stellte Sam alarmiert fest.

»Das sind diese Haiwesen von vorhin«, stellte Rhodan fest.

In dem Moment schnellte eine dieser Wasserkreaturen hoch. Das blauschuppige Tier schnappte sich einen Imarter und riss ihn in die Tiefe. Rhodan schätzte die Länge des Fisches auf mehr als sechs Meter.

»Oh mein Gott. Die Boote müssen aufpassen!«, rief Rhodan.

*

Auf einer Rettungskapsel brach Panik aus, als einer der Männer versuchte auf das Boot zu gelangen.

Delia Gaton schrie hysterisch auf. Ein Plophoser krallte sich am Rand der Kapsel fest und versuchte sich hochzuziehen. Thorina reagierte schnell und schnappte sich ein provisorisches Ruder. Erbarmungslos schlug sie damit auf den verzweifelten Menschen ein.

Einer der Raubfische wurde dadurch allerdings angelockt. Es schnellte auf den Mann hin und biss zu. Es zerriss ihn in zwei Teile. Der obere Teil des Mannes hing noch am Boot. Kreischend zuckten die Frauen und Kinder zusammen. Die Frauen trauten sich nicht, die Überreste herunterzuwerfen. Die Kinder fingen an zu winseln. High Gellar versuchte sie zu beruhigen.

Thorina hatte weniger Probleme damit. Sie ging vorsichtig zum Bootsende und gab dem Toten einen Tritt. Doch Sekunden später rammte das Tier die Kapsel beim Versuch den Rest des Mannes zu fressen. Die Kapsel kenterte zwar nicht, doch einige der Passagiere fielen heraus. Thorina verlor das Gleichgewicht. Sie wollte noch Delia Gatons Hand ergreifen, doch es war zu spät. Sie platschte ins Wasser. So schnell sie konnte, tauchte sie wieder auf und rief um Hilfe. Sie versuchte zum Boot zu gelangen, doch die in Panik verfallenen Insassen ruderten von ihr weg. Sie behandelten Thorina auch nicht anders, als die Arkonidin den Hilfe suchenden Mann behandelt hatte. Zwar rief Gellar noch gegenteilige Befehle, doch war es für Thorina zu spät.

Sofort tauchten vier weitere der Meerestiere auf und stürzten sich auf ihre Beute. Die alte Orbanashol schrie laut auf, als eine der Kreaturen in ihren Unterleib biss. Prustend versuchte sie sich an der Oberfläche zu halten. Dann zog das Tier sie einige Meter mit. Delia Gaton starrte fassungslos auf das Schauspiel. Thorina Orbanashols Oberkörper zog im Wasser einen Kreis, die Hände nach oben gestreckt, wild schreiend. Dann hörte man nur noch ein Gurgeln und Röcheln, bevor sie für immer in den Tiefen des Meeres versank. Der Ozean verfärbte sich rot.

*

Rhodan schaltete schnell.

»Wir müssen Fleisch und sonstige Nahrung ins Wasser werfen. Die Viecher müssen satt werden, bevor sie sich auf uns stürzen.«

Er und Sam machten sich zusammen mit einigen anderen auf den Weg in die Kombüsen und holten so viel Nahrung, wie sie tragen konnten und warfen sie ins Meer. Die Haifische stürzten sich darauf.

»Hoffen wir, dass dein Plan aufgeht«, meinte Sam.

Rhodan schüttelte den Kopf. »Es ist ziemlich aussichtslos. Die Männer und Frauen können im Wasser nicht tagelang ausharren. Doch bis Hilfe kommt, wenn überhaupt Hilfe kommt, können Tage vergehen. Wenn diese Biester uns dazu noch angreifen, haben wir keine Chance.«

Wie lange konnten die Wesen in dem kalten und von Haien wimmelnden Wasser schon aushalten? Eine halbe Stunde? Es war aussichtslos. Rhodan verfluchte Rodrom und Gaton!

*

3:10 Uhr

Alex Moindrew bat die Passagiere die selbst produzierten Schwimmwesten anzulegen und endlich an Deck zu gehen. Es gab immer noch viele Gäste, die auf den Korridoren herumliefen oder in ihren Kabinen warteten. Andere nahmen noch ein Abendessen in den Bordrestaurants der Sternenhalle oder von Turm A und B ein. Das Wasser schien hier so unendlich weit weg. Ein trügerisches Gefühl.

Auf dem Weg zu einem Gang, lief ihm Rosan über den Weg. Sie war völlig außer Atem. Ihre Augen wässrig.

»Rosan, was machst du noch hier?«, fragte er sie. »Die LONDON wird in der nächsten Stunde untergehen. Es gibt nicht genügend Rettungskapseln. Du musst dich retten.«

»Wo inhaftiert man die Verbrecher?«, wollte Rosan wissen.

Moindrew war irritiert.

»Bitte, es ist wichtig. Wyll ist im Sicherheitstrakt gefangen.«

Moindrew erklärte ihr den Weg zu den Inhaftierungsblocks. Rosan bedankte sich kurz und rannte in den unteren Schiffsteil, welcher zum Teil bereits unter Wasser stand. Moindrew begab sich nach draußen. Er verfolgte die Evakuierung. Wütend ging er zu Rudocc.

»Was soll das? Die Kapseln sind ja teilweise nicht einmal zur Hälfte bemannt.«

Rudocc war auch mit den Nerven völlig am Ende. Er war in dieser Situation völlig überfordert. Er schüttelte den Kopf.

»Wir ... wir wussten nicht, ob die Kapseln hielten«, entschuldigte er sich.

»Die Kapseln sind aus hartem Stahl, die brechen bei 100 Menschen sicher nicht zusammen. Nicht einmal bei 100 Halutern. Verdammt noch mal, holt die Kapseln zurück und füllt sie vollständig. Jedes Leben, das gerettet werden kann, ist es wert!«

Der Offizier nickte rasch und ordnete an, dass noch mehr Passagiere in die Kapseln konnten. Er rief die anderen Kapseln zurück, doch niemand hörte auf ihn.

*

Moindrew und Rudocc eilten zum Kapitän Holling, der ziellos durch das obere Deck wanderte und mit Grausen die Evakuierung verfolgte.

»Sir, wir müssen die Boote wieder zurückrufen, damit wir mehr Passagiere einladen können. Auf mich hören die nicht, aber du als Kapitän hast mehr Autorität«, erklärte er dem Kommandanten.

Der Plophoser machte jedoch einen zunehmend verwirrten Eindruck.

»Ja ... ja, wenn du meinst«, sagte er langsam und sah sich um. Er griff ein Sprechgerät und ging an die Reling. »Achtung, Achtung. Hier spricht der Kommandant. Die Kapseln, die nicht voll beladen sind, sollen sofort zurückkehren, um mehr Personen aufzunehmen. Das ist ein Befehl! Kehrt um!«

Doch die Leute reagierten nicht. Sie hatten Angst, die LONDON könnte urplötzlich sinken oder zu viele würden dazu kommen.

Keine der Rettungskapseln kehrte um. Holling wiederholte seinen Befehl noch einige Male, bevor er enttäuscht das Sprechgerät deaktivierte. Er war verloren. Die Wesen scherten sich nicht mehr um das Leben der anderen. Sie waren froh, gerettet zu sein.

 

11. Unzertrennliche Liebe

3:20 Uhr

Rosan irrte durch die leeren Korridore. Sie starrte auf das Pad, welches einen Lageplan der LONDON zeigte. Der Sicherheitsbereich befand sich nahe den Mannschaftsquartieren. Diese waren jedoch schon unter Wasser, sowie Teile von dem Hangar. Es war gut möglich, dass Wyll bereits ertrunken war, doch sie wollte das nicht wahrhaben. Sie musste es versuchen. Rosan lief einen Umweg, da immer wieder Sektionen bereits unter Wasser waren.

Endlich fand sie eine Treppe, die nicht unter Wasser stand. Sie rannte diese Treppe herunter und platschte mit den Füßen in das kalte Wasser. Von überall her strömte es in den Gang. Es war erst knöcheltief, doch dieser Umstand würde sich bald ändern. Rosan rannte weiter und ignorierte die kühle Temperatur des Wassers.

»Wyll!«, rief sie. Doch keine Antwort. Sie rief seinen Namen ständig, immer lauter.

Ein Jülziisch, der Steward auf der LONDON war, rannte an ihr vorbei. Sie packte ihn am Arm und zog ihn zu sich.

»Hilf mir, wo ist der Inhaftierungsblock?«

»Bei allen Kreaturen des Wassers, ich muss weg ... muss weg, weg, weg!«, stammelte der Gataser aufgeregt. Er beachtete Rosan nicht mehr und torkelte durch den Gang.

Rosan ging eine weitere Treppe herunter, über dieser stand »Inhaftierungsblock«. Das Wasser ging ihr inzwischen bis zu den Hüften. Es war ziemlich frisch, jedoch nicht eiskalt. Sie schrie kurz auf, bevor sich ihr Körper akklimatisierte.

Auf dem Weg traf sie einen Maahk, der ruhig durch das Wasser watete.

»Hast du einen jungen Terraner hier gesehen?«

Rosan war verzweifelt. Die Tränen standen ihr in den Augen.

»Ich habe viele junge Terraner auf diesem Schiff gesehen. Bitte definiere deine Beschreibung«, erwiderte der Methanatmer kühl.

Rosan verdrehte die Augen. »Bitte hilf mir, ihn zu suchen. Er ist hier irgendwo gefangen, ich muss ihn retten.«

Der Maahk machte eine ablehnende Geste. »Unlogisch. Männer dürfen sowieso nicht auf die Rettungskapseln, also wird er so oder so sterben. Ob früher oder später spielt keine Rolle.«

»Arschloch!«, entgegnete die Halbarkonidin wütend und watete weiter durch das Wasser. Der Maahk schaute ihr verständnislos mit seinen vier Augen durch den Glashelm hinterher.

Sie bahnte sich ihren Weg durch den Gang und rief wieder nach ihrem Geliebten. Das Licht fiel aus. Erschrocken stoppte Rosan und hörte das unheimliche Knarren der Wände und Türen. Sie atmete lauter und versuchte nicht in völlige Panik zu verfallen. Endlich wurde es wieder hell.

Neben dem Rauschen des einströmenden Wassers hörte sie ein dumpfes Platschen. Es kam aus einem überfluteten Antigravschacht neben ihr. Rosan schaute hinunter, da huschte ein Schatten vorbei. Da war etwas im Wasser.

»Wyll«, schrie Rosan voller Ungeduld.

Diesmal hörte sie schwach: »Rosan, ich bin hier.«

Sie rannte in die Richtung, wo sie ihn zu hören glaubte. Der Ruf wurde lauter. Sie stürmte in einen Raum, in dem Wyll mit den Energiefesseln an einem Rohr angekettet war.

»Rosan, warum bist du hier?«

»Um dich zu retten, was sonst?«, erklärte sie und küsste ihn.

»Du musst die Fesseln deaktivieren.«

»Wie denn? Gibt es einen Schlüssel oder einen Code?«

Wyll wusste es nicht. Er überlegte eine Weile. Das Wasser stieg höher und höher. Es erreichte langsam Rosans Brust.

»Du musst sie überladen. Im Schubfach des Tisches liegt ein Thermostrahler.«

Rosan kämpfte sich durch die Wassermassen bis zum Tisch vor und holte die Waffe heraus. Sie zielte mit der Waffe auf die Handfesseln.

»Warte, warte. Übe erst mal an toten Objekten«, schlug Nordment leicht beunruhigt vor.

»Keine Zeit«, meinte sie und feuerte.

Wyll schrie auf, doch unbegründet. Der Strahl überlud die Energiefesseln, die sofort erloschen.

»Okay, jetzt raus hier!«

Der Terraner nahm seine Geliebte bei der Hand und sie verließen so schnell es ging den Raum. Wyll fluchte mehrmals über die Temperatur des Wassers.

Sie mussten den Korridor bereits entlang schwimmen. Erst als beide eine höhere Ebene erreichten, konnten sie wieder laufen. Doch das Wasser strömte bereits nach. Sie landeten in einer Sackgasse. Die schwere Stahltür versperrte den Weg in die nächste Sektion.

Das Wasser ging ihnen bereits zu den Knöcheln.

»Wir müssen zum Antigravschacht. Dort gibt es immer eine Notleiter. Die können wir hochklettern«, meinte Wyll.

Rosan schaute auf ihr Pad. Doch es war bereits zu durchnässt. Wasser war in das Innere gedrungen und das Touchpad reagierte nicht mehr auf ihre Eingaben.

»Wir finden das schon«, munterte Wyll sie auf. Auf dem Weg dorthin eilten ihnen zwei kleine Wesen im blauen Fell entgegen. Nordment und Orbanashol kannten Herban und Hiretta Livilan Arkyl nur zu gut. Der Hasproner richtete seinen Thermostrahler auf ihn. Rosan hielt ihren noch unter dem nassen Mantel zurück.

»Was soll das?«, wollte Nordment wissen.

»Wir haben uns verlaufen. Helft uns hier raus«, forderte Herban Livilan Arkyl.

»Dazu musst du uns nicht mit einer Waffe bedrohen. Wir suchen auch den Ausgang. Kommt mit.«

Wyll schob sich an den kleinen Haspronern vorbei. Rosan hielt ihre rechte Hand immer in Griffnähe zu ihrem Thermostrahler. Sie traute keinem Kind der Materiequelle. Die beiden Hasproner trugen schwere Rucksäcke mit sich, die klirrende Geräusche von sich gaben. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, dass sie sich bereichert hatten. Selbst im Angesicht des Todes war die Aussicht auf eine Beute offenbar immer noch attraktiv für solche Wesen.

Das Wasser stieg immer höher und die Hasproner hatten Mühe, überhaupt noch zu stehen.

»Werft die Rucksäcke weg«, forderte Rosan.

»Niemals. Das ist unsere Altersvorsorge«, keifte Herban außer Atem.

»Herb, ich kann nicht mehr«, seufzte Hiretta. Er schob sie an. Endlich erreichten sie den Antigravschacht.

Von unten drang das Wasser hoch. Sie mussten sich beeilen. Zuerst stieg Rosan auf, dann folgte ihr Wyll. Die Hasproner kamen nicht sehr schnell hinterher. Ihr Gepäck war zu schwer. Rosan erreichte die nächste Etage, doch die Ausstiegsluke war verschlossen.

»Mist! Wenn die jetzt alle Luken verschlossen haben, sitzen wir in der Falle.«

»Rosan, kannst du die Konsole öffnen?«, fragte Wyll.

»Ja«, sagte sie und tippte darauf herum. Doch nichts passierte. »Keine Energie.«

»Wir können die mit einem Hebel manuell öffnen. Aber das Wasser steigt zu schnell, lass uns das ein paar Etagen höher probieren«, riet Wyll. Rosan bestätigte. Sie kletterten drei Etagen weiter hoch und hatten etwas Abstand zu dem Wasser gewonnen.

Plötzlich erschütterte eine Explosion das Schiff. Rosan hätte beinahe den Halt verloren, doch Wyll stützte sie ab.

Hiretta Livilan kreischte.

»Ich kann nicht mehr. Es ist so schwer«, brüllte sie.

»Gib mir den Rucksack«, forderte Herban.

Er kletterte herunter zu ihr, nahm das schwere Gepäck und verlor die Balance. Schreiend fiel er ins Wasser.

»Nein, der Rucksack«, rief er entsetzt.

Wyll forderte den gierigen Hasproner auf, endlich wieder auf die Leiter zu steigen. Da tauchte unter ihm ein großer Schatten auf. Plötzlich sprang ein haiähnliches Raubtier aus dem Wasser und verschlang Herban Livilan Arkyl mit einem Bissen.

Hiretta schrie und klammerte sich an die Leiter.

»Du musst weiter. Zu uns!«, rief Wyll, doch die Haspronerin stand unter Schock.

Wyll wollte zu ihr hinab klettern, doch eine zweite Explosion ließ ihn in das Wasser stürzen. Rosan war entsetzt. Eine dritte Detonation fegte die Luke vor Hiretta zur Seite. Ein Feuerwalle hüllte die schreiende Haspronerin ein, ehe sie brennend in das Wasser stürzte. Dem Feuer selbst folgte ein Wasserfall.

Wo war nur Wyll? Endlich tauchte er wieder auf und ließ sich vom Wasser höher tragen. Doch hinter ihm erkannte Rosan einen Schatten. Instinktiv zog sie den Strahler und feuerte auf das Meeresraubtier, bevor es Wyll packen konnte. Endlich erreichte er die Leiter und kletterte wieder hoch zu ihr.

»Weiter, Rosan! Weiter!«

Das Wasser kam näher und stieg rasant höher. Sie eilten so schnell es ging die Leiter hoch. Zwei Etagen weiter versuchte Rosan den Hebel auf und ab zu bewegen, um die Luke manuell zu öffnen. Doch es war schwer. Sie ließ Wyll ran. Das Wasser hatte sie erreicht. Mit Mühe schaffte er es und beide krochen durch die Luke.

Sie rannten einen Korridor entlang und erreichten eine Sektion mit zwei Ausgängen. Aus beiden quoll an den Seiten Wasser. Sie befanden sich in einer Lounge mit Glas- und Holztüren. Diese würden nicht lange halten.

Ein kleines gatasisches Kind stand im Wasser und schrie nach seinen Eltern.

»Wir müssen ihn mitnehmen.«

Wyll überlegte kurz, dann folgte er der Aufforderung der Halbarkonidin und rannte zum Blue.

Wyll nahm den Kleinen auf den Arm und wollte loslaufen. Da kam ein zweiter Jülziisch angestürmt. Er schrie Wyll auf gatasisch an und riss ihm den Jungen aus dem Arm. Er rannte dann zu einem der Ausgänge. Doch da brach das Wasser durch die zerberstenden Glastüren und der Blue und sein Kind wurden von der Flutwelle mitgerissen.

Rosan und Wyll rannten um ihr Leben, doch die Welle holte auch sie ein. Beide wurden zu Boden gedrückt. Wyll schaffte es, sich an dem Geländer festzuhalten. Er packte Rosan an ihrem Kleid und zog sie zu sich. Dann schwammen sie mühsam einen Gang entlang und konnten noch rechtzeitig eine höhere Etage erreichen, bevor die andere vollständig überflutet wurde. Nun endlich erreichten sie den noch trockenen Teil der LONDON. Sie beeilten sich auf die Außendecks zu kommen, in der Hoffnung, noch einen Platz auf einer rettenden Kapsel zu finden.

*

3:50 Uhr

Das Raumschiff hatte sich inzwischen noch tiefer in das Meer geneigt. Das Wasser begann nun bereits die oberen Passagiersektion zu erreichen. Es schwappte schon auf das vordere Deck. 37 Rettungskapseln wurden bis jetzt zu Wasser gelassen.

Viele Wesen versuchten vergeblich, auf eines der Boote zu kommen. Rudocc und die anderen mussten einige sogar mit Thermostrahlern bedrohen, damit sie zurückwichen. Die Nerven des Ersten Offiziers lagen blank.

Rudocc wollte in eine untere Sektion gehen, doch es strömte bereits die, in diesem Falle, todbringende Flüssigkeit aus dem Antigravschacht.

Die Kapelle spielte unbeirrt weiter. Die musikalische Begleitung wirkte inzwischen wie ein Requiem.

Rosan und Wyll trafen auf Attakus, Spector und da Zhart.

Attakus lief auf sie zu.

»Da bist du ja.« Er legte seinen Mantel über die nasse Frau. »Du musst sofort in diese Kapsel!«

Rosan schüttelte den Kopf.

Doch auch Wyll riet ihr zu: »Hör' zu, du musst da rein.«

»Aber was wird mit dir?«, wollte sie wissen.

»Ich komme schon klar. Irgendwie schaffe ich es, mich durchzukämpfen«, meinte Wyll und versuchte sie so zu beruhigen.

»Ich habe ein Abkommen mit einem der Offiziere, er hat freie Plätze für uns. Wyll kann auch mit, wenn es unbedingt sein muss«, schlug Attakus überraschend vor.

»Stimmt das?«, fragte Rosan.

»Natürlich!«, antwortete ihr der Arkonide, ohne eine Miene zu verziehen.

Wyll nickte ihr zu. Ihm war klar, dass Attakus gelogen hatte, doch er musste erst einmal Rosan in Sicherheit wissen.

Sie stieg in die Kapsel ein, die danach langsam per Antigrav abwärts gelassen wurde. Rosan sah zu den beiden Männern hoch, die ihr nach blickten.

»Es gibt kein Abkommen, oder?«, wollte Wyll von dem Arkoniden wissen.

»Doch, aber es gilt nicht für dich«, entgegnete Attakus kalt.

*

Alles verging für sie wie in Zeitlupe. Sie blickte zu den anderen Menschen, die schreiend und weinend versuchten, ihr Leben zu retten. Langsam senkte sich das Rettungsboot in Richtung Meer. Sie sah die Offiziere, die selbstlos und unermüdlich versuchten, das Leben der Passagiere zu retten. Dann wieder die in Panik verfallenen Wesen, die alles taten, um zu überleben. Ein letztes Mal starrte sie zu Wyll hinauf, der kurz den Kopf resignierend senkte.

Rosan wusste nicht genau, was er damit meinte. Doch sie hatte das Gefühl, es war das Letzte, was sie von ihm zu Gesicht bekommen würde. Es war ein Abschied auf ewig!

Sie dachte an Attakus, wie verlogen er doch war. Was war, wenn es keinen Deal gab? Wyll war der Mann, den sie liebte. Sie konnte ihn nicht einfach alleine auf der untergehenden LONDON lassen. Plötzlich überkam sie Panik, dass sie wirklich Famal Gosner zu ihm gesagt hatte.

Sie schätzte den Abstand zum Geländer ab und sprang aus der Kapsel. Nur knapp erreichte sie das Geländer und krallte sich fest.

Wyll und Attakus schrieen fast zu gleicher Zeit auf. Dann rannte Nordment los.

Einige Leute halfen Rosan wieder auf das Schiff. Sie rannte die Treppe hoch, um zu Wyll zu gelangen. Sie dachte nur noch an ihn, seine Nähe. Sie wollte ohne ihn nicht leben. Das wäre kein Leben! Es war ihr unmöglich, ihn zurückzulassen. Sie mussten gemeinsam einen Weg finden, sich zu retten oder gemeinsam sterben. In der Sternenhalle trafen sich beide und umarmten sich.

»Rosan, wie konntest du nur so dumm sein?«, sagte er leise.

»Ohne dich werde ich dieses Schiff nicht verlassen.«

Spector hatte diese Szene verfolgt. Er sah seinen traurigen Neffen an. Dann brüllte er los, riss den Thermostrahler aus da Zharts Halfter, der verwundert versuchte, Spector aufzuhalten. Doch es war zu spät. Aggressiv stürmte er auf Rosan und Wyll zu.

»Jetzt mach ich dieses Essoya-Pack kalt!«, donnerte er und schoss auf die beiden.

»Rosan, lauf!«, rief Wyll.

Sie rannten die große Treppe hinunter in das Innere des Schiffes. Dort versuchten sie, dem wütenden Spector Orbanashol zu entkommen, doch der blieb ihnen auf ihren Fersen. Wie ein Berserker raste er die Treppe hinunter und feuerte auf die beiden. Dabei traf er einen Unither, der sich retten wollte.

»Mist, daneben!«, murmelte der Arkonide und fing an, die beiden zu suchen.

Er rannte die Treppen herunter und stieß dabei auf Türkalyl Öbbysun, Kolipot und Terek-Orn, die ein Glas Vurguzz in der Hand hielten.

»Terek, wie ist das werte Befinden?«, erkundigte sich der Arkonide gemäß der Etikette.

»Nun, wir sind bereit, wie Ehrenmänner abzutreten«, erwiderte der Topsider.

»Fein, ich berichte das deiner Frau, wenn ich wieder auf Arkon bin«, erwiderte Spector und setzte seine Suche fort.

Schnell fand er sie und ließ nicht locker. Er schoss erneut auf die beiden.

Das Liebespaar floh in einen Speiseraum. Das Wasser reichte ihnen bis zur Hüfte.

»Versteck dich hinter den Stühlen«, flüsterte Wyll.

Rosan war zuerst unschlüssig. Wyll konnte es niemals mit Spector aufnehmen. Dann tat sie, was er wollte. Sie vertraute ihm. Auch Wyll versteckte sich.

Spector watete durch den Raum. Von überallher drang Wasser in den großen Saal ein, indem er noch vor wenigen Stunden gespeist hatte. Es war, abgesehen vom dauernden Plätschern, ruhig. Zur ruhig. Spector musterte den ganzen Raum. Plötzlich brach ein Rohr aus der Decke und knallte auf einen Tisch. Das Geschirr zerbrach. Wasser strömte von oben in den Saal. Rosan schrie auf und wich den Wassermassen aus. Spector schoss sofort! Wyll griff ihn von der Seite an und trat ihm in die Hüfte. Orbanashol packte Nordments Kinn, wuchtete ihn hoch und stieß ihn von sich. Er setzte zum tödlichen Schuss an. Rosan wollte ihren Strahler ziehen, doch er war nicht mehr im Mantel. Sie hatte ihn verloren. Hastig nahm sie Teller und warf sie auf Spector. Einer traf ihn an der Schläfe und zerbrach. Blut floss aus der klaffenden Wunde. Nordment nutzte die Chance und trat Spector Orbanashol in den Genitalbereich. Sofort liefen er und Rosan aus dem Raum. Spector ballerte mit dem Thermostrahler hinter ihnen her, solange, bis die Energie der Waffe aufgebraucht war.

Keuchend raffte er sich auf und folgte ihnen. Sie liefen in die Kombüse. Wyll schnappte sich ein Küchenmesser. Rosan suchte unterdessen einen zweiten Ausgang. Alle Wege führten in eine Sackgasse. Sie stieß nur auf Kühl- und Lagerräume. Endlich entdeckte sie eine Tür, die zu einem langen Korridor führte, doch da hatte Spector die beiden bereits erreicht. Brüllend packte er Nordment und drückte ihn gegen einen Küchenschrank. Wyll fuchtelte wild mit dem Messer umher und traf die Schulter des Arkoniden, der vor Schmerzen aufschrie. Wyll wich zurück. Orbanashol griff nach einem Hackebeil und warf es auf Nordment, der nur knapp der Klinge ausweichen konnte. Der Arkonide starrte kurz nach oben, stieg dann auf einen Herd und riss ein Rohr aus der oberen Wand. Er versuchte Wyll damit zu erschlagen und traf ihn am Rücken. Nordment ließ das Messer fallen. Sofort stürzte sich Orbanashol auf ihn. Beide rangen im Wasser.

Rosan konnte nur tatenlos zusehen. Spector schlug dem Terraner mehrmals in die Nierengegend. Wyll brach ächzend zusammen.

Rosan hängte sich von hinten an ihren Stiefvater, um ihn zurückzuhalten. Das brachte Nordment die nötige Zeit, um zu verschnaufen. Nachdem der Arkonide seine Stieftochter abschüttelte, rang sich dessen Gegner wieder hoch und versetzte ihm einen Tritt in den Magen. Keuchend sackte der Hüne in sich zusammen.

Eine Tür wurde von reinströmenden Flutmassen regelrecht aufgesprengt und traf Spector. Das Liebespaar rannte zum zweiten Ausgang und flüchtete durch den Korridor. Überall strömte Wasser durch die Türen. Orbanashol war dicht hinter ihnen. Sie hörten sein erschöpftes Schnauben. Endlich fanden sie einen Weg in eine höhere Etage. Wyll und Rosan kletterten die Leiter hoch, die an einem Gitter endete. Es war elektronisch verschlossen.

Wyll rüttelte am Gitter.

»Vielleicht können wir sie durch einen Kurzschluss öffnen?«, schlug Rosan vor.

Spector Orbanashol kam immer näher. Doch er hatte mit den Fluten zu kämpfen, die ihn immer wieder ins Wasser drückten.

»Wir müssen uns beeilen, entweder wir ertrinken oder mein Stiefvater schlägt uns tot.«

Nordment hantierte am Schloss des Gitters herum. Rosan drängelte, er solle sich beeilen. Der Sippenführer der Orbanashols war wieder zu vollem Bewusstsein gekommen. Er sah, wie die beiden vergeblich versuchten das Schott zu öffnen. Überheblich fing er an zu grinsen. Dann zog er aus seiner Tasche einen weiteren Thermostrahler.

»Oh Gott, er hat noch eine Waffe!«, schrie Rosan.

In dem Moment hatte es Wyll geschafft und das Gitter öffnete sich kurz. Sie quetschten sich hindurch, bevor es sich wieder schloss. Spector kanalisierte die Energieblitze aus der Waffe auf die beiden, traf allerdings das Schloss des Gitters, welches durch die Hitze verschmolz.

Orbanashol verlor in dieser Sekunde seine Überlegenheit. Schnell realisierte er, was er getan hatte. Hastig rannte er zum Gitter und versuchte es zu öffnen, doch das Schloss war nicht mehr aufzukriegen. Das Wasser drückte ihn zur Seite. Er verlor seinen Thermostrahler und damit die Chance, das Gitter aufzuschneiden. Als er wieder am Gitter Halt fand, starrte er die beiden wütend an. Rosan verstand den maßlosen Hass nicht, den sie in den Augen ihres Stiefvaters erkannte. Sie schaute ihn traurig an. Das Wasser stieg höher und höher. Es drängte Spector weg, der sich jedoch noch an dem Gitter festhielt. Er versuchte es mit seiner Kraft aus den Angeln zu heben. Nordment und Rosan halfen ihm. Es war sinnlos gewesen, denn das Gitter gab nicht nach. Spector rutschte mit einer Hand ab. Das Wasser reichte ihm bis zum Hals. Wyll packte Rosan und drängte sie, sofort zu verschwinden. Rosan warf ihrem Stiefvater einen letzten Blick zu.

»Es tut mir Leid, wir können dir nicht mehr helfen. Famal Gosner …«

Bedauern lag in Rosans Stimme. Das hatte sie nicht gewollt. Sie wünschte niemandem den Tod. Nicht einmal ihrem verhassten Stiefvater.

Das Wasser stieg immer höher. Wyll und Rosan schwammen aus dem Korridor. Zurück blieb Spector Orbanashol, der verzweifelt am Gitter rüttelte, bis er nicht mehr konnte. Er verlor den Kontakt zur Tür, das Wasser drückte ihn fort. Er versuchte dagegen anzukämpfen, doch es gab keinen Ausweg mehr. Der gesamte Korridor war überflutet. Orbanashol hämmerte mit den Fäusten gegen die Decke. Zuerst heftig, dann immer schwächer. Als ihm die Luft ausging, stieß er die letzten Blasen aus dem Mund, dann füllten sich seine Lungen mit Wasser und besiegelten sein Schicksal.

 

12. Der Untergang

03:50 Uhr

Die LONDON befand sich mit dem Bug bereits unter Wasser. Es drohte nun auch die Kommandobrücke von den Fluten eingehüllt zu werden. Noch zehn Rettungskapseln standen zur Verfügung.

Attakus und Zhart hatten, während sie damit beschäftigt waren, Spector und Rosan zu suchen, ihre Passage verpasst. Schließlich entschloss sich Attakus nun doch zu fliehen. Er verzichtete nur ungern auf seinen kostbaren Besitz, doch sein Leben war ihm wichtiger. Er war sich sicher, dass er den Tod Rosans betrauern würde – für ein paar Tage oder gar Wochen. Doch dann würde er eine Neue finden. Eilig rannte er zum Ersten Offizier Rudocc, der die letzten Boote beaufsichtigte.

»Ich brauche einen Platz. Sofort«, forderte der Aristokrat.

Rudocc sah ihn erstaunt an.

»Ich hab dafür gezahlt!«, meinte Orbanashol leise.

Der Erste Offizier holte das Geld heraus und warf es dem Arkoniden ins Gesicht.

»Ich pfeife auf dein Geld, wir verrecken sowieso!«

Attakus starrte ihn verzweifelt an. Dann zückte Rudocc den Thermostrahler.

»Zurück von der Kapsel!«, befahl er.

Attakus hob die Hände und wich langsam zurück. Da Zhart packte ihn und zog ihn weg. Beide rannten zur anderen Seite des Schiffes, in der Hoffnung, dass sich dort noch Boote und kooperativere Offiziere befanden.

Die Kapsel wurde mit Passagieren gefüllt. Arno Gaton stand ruhig daneben und half einigen Leuten.

Für ihn war es das größte Desaster.

Er konnte sich nicht mehr herausreden. Sicher musste er in Terrania City Rede und Antwort stehen. Seinen Posten als Hansesprecher war er los. Zwei Entführungen und eine fehlerhafte Syntronik würden ihm angelastet werden. Das Vertrauen der Märkte in die Hanse aufgrund des enormen Verlustes war dahin.

Trotzdem war das für ihn kein Grund, auf der LONDON mit unterzugehen. Er verfügte immer noch über genügend finanzielle Mittel und mit den richtigen Anwälten konnte er mit einem blauen Auge davonkommen.

Als niemand mehr in die Kapsel stieg, schwang sich der Hansesprecher hinein. Jetzt wartete man auf das Zeichen von Rudocc. Gaton schloss die Augen und betete, dass Rudocc ihn gewähren ließ.

Dieser erblickte Gaton und zögerte eine Weile. Dann gab er den Befehl das Boot zu Wasser zu lassen.

*

4:10 Uhr

Perry Rhodan war zum Statisten degradiert. Er konnte nicht viel tun. Die LONDON ging unter und mit ihr starben viele Wesen. Daran konnte auch er nichts mehr ändern. Vielleicht musste er sogar selbst sterben. Dann hatte Rodrom sein Ziel erreicht.

Immerhin hatten die Haie ihre Attacken gegen die Rettungskapseln eingestellt. Nur vereinzelt griffen sie schwimmende Passagiere an. Rhodan machte sich um Sam Sorgen.

»Falls wir schwimmen müssen, dann sehe ich schwarz für dich. Es ist besser, du gehst in eines der Boote«, forderte Rhodan den Somer auf.

»Nein. Erst müssen alle Frauen und Kinder gerettet sein, bevor ich auf einer dieser Rettungskapseln gehe«, sagte er selbstlos.

Rhodan sah zum Himmel hoch, dann schlug er das Vogelwesen nieder. Er trug ihn zu einer der Kapseln und legte ihn in das Boot. Weder Rudocc noch Sparks hatten Einwände.

Rhodan sah sich um und entdeckte ein kleines Mädchen, das in der Ecke kauerte. Sofort nahm er es und setzte sie ins Boot. Dann wurde auch dieses zu Wasser gelassen.

Rhodan hatte Mühe, gerade zu stehen, während er in die Kommandostation ging. Das sprudelnde Wasser war wenige Meter von der Zentrale entfernt. Holling geisterte auf dem Nebenkorridor umher und sah sich um. Sparks war der einzige in der Zentrale.

»Irgendwelche Nachrichten empfangen?«, fragte Rhodan, obwohl er die Antwort bereits kannte.

Der Afroterraner schüttelte den Kopf.

»Nichts, Sir! Ich habe SOS-Sprüche auf hundert verschiedenen Frequenzen los geschickt. Wenn jemand halbwegs in der Nähe ist, muss er sie irgendwann empfangen.«

Rhodan seufzte. Das war eine vage Hoffnung. Wer wusste schon, dass sich die LONDON hier befand? Irgendwo im Leerraum vor Triangulum. Rhodan klopfte Sparks auf die Schulter. Das Raumschiff knirschte und knarrte dumpf.

»Du hast deine Pflicht getan. Rette dich, wenn möglich. Alles Gute!«

Sparks verstand und verließ die Zentrale. Rhodan warf einen letzten Blick auf James Holling. Innerlich verabschiedete er sich von dem Plophoser.

*

Die LONDON neigte sich immer mehr. Selbstlos spielte die Kapelle weiter. Die Kreuzfahrtmanagerin Terna Ambyl war für die Passagiere immer noch Ansprechpartner und versuchte sie zu den Rettungskapseln zu geleiten. Ein aussichtsloses Unterfangen.

Offizier Lichtern trat an die Terranerin heran.

»Terna, jetzt musst du auch gehen. Es ist noch Platz.«

Ambyl überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf.

»Im letzten Boot vielleicht. Ich helfe den Leuten noch, solange es geht.«

Lichtern war von dem Mut der Kreuzfahrtmanagerin beeindruckt. Er nahm sich daran ein Beispiel und spornte seine Männer an. Doch immer mehr drängelten sich vor. Lichtern gab ein paar Warnschüsse ab, damit sich die Wesen wieder beruhigten, doch es war sinnlos. Je mehr sich das Schiff neigte, je näher das Wasser vordrang, desto schlimmer wurde es. Welche Kuriosität, denn die Kapelle spielte immer noch. Es war ein Gleichnis mit vergangenen Tagen.

Als das Schiff immer schräger stand hörten sie mit einem modernen Lied auf.

»Ich glaube, wir haben unsere Pflicht erfüllt«, meinte einer.

Der andere schüttelte den Kopf. »Wo sollen wir denn noch hin? Spielen wir weiter.«

Er stimmte zu einem neuen, tragischen Lied an. Es war ein ferronisches Requiem. Das Lied vermischte sich mit den panischen Schreien der um ihr Leben kämpfenden Wesen. Die LONDON sank nun schneller. Sie hatte sich so tief in das Meer geneigt, dass die losen Gegenstände in das Wasser rutschten, die Passagiere und Crewmitglieder hatten Mühe zu stehen, die letzten Rettungskapseln glitten unausweichlich Richtung Wasser und die LONDON lag so tief im dunklen Ozean, dass die Kommandozentrale darin verschwand.

*

4:17 Uhr

James Holling ging auf die Kommandobrücke und schloss die Tür. Die LONDON ging weiter mit dem Bug voran unter. Die Wassermassen umschlossen die Brücke. Noch hielten die Fenster stand.

Der alte Plophoser stellte sich an die Navigationskontrollen und schloss mit dem Leben ab.

Das hatte er nicht gewollt. Er würde nicht als geachteter, glorreicher Kapitän in die Geschichte eingehen, sondern als der Kapitän des Todesschiffes LONDON.

Nun hatte er sein Wrack. Er folgte dem Beispiel unzähliger Vorgänger und starb auf seinem Raumschiff. Es war eine Ehre und eine Last zugleich. Holling dachte an seine Familie, seine Enkelkinder, die auf ihn warteten. Nie würde er sie wieder sehen.

Doch wie viele Kinder und Enkelkinder mussten hier auf diesem Schiff jetzt sterben? Das erfüllte ihn mit noch größerer Trauer. Es begann bedrohlich zu knarren. Holling hielt den Atem an.

Der Wasserdruck zerquetschte die Fenster und Türen und das Wasser strömte hinein und umschloss den Kommandanten der LONDON.

*

Überall drang nun Wasser ein. Auch die Sternenhalle, in dem der topsidische Botschafter Terek-Orn, der Jülziisch Türkalyl Öbbysun und der Springer-Patriarch Kolipot den letzten Schluck Vurguzz nahmen, wurde überflutet. Entsetzt, aber würdevoll sahen die drei den ankommenden Flutwellen entgegen und nahmen ihr Ende wortlos hin.

Eine gatasische Mutter, die kein Rettungsboot mehr erreichte, saß mit ihren drei Kindern in der Kabine auf dem Bett und erzählte ihnen eine Geschichte von der blauen, roten und gelben Kreatur, die sich darauf freuten, die drei bald zu sehen.

Alex Moindrew geisterte durch das Schiff und blieb in einer Lounge stehen. Er sah auf ein Chronometer und bemerkte, dass es nicht mehr richtig lief. Pedantisch stellte er die Zeit neu ein. Dann rutschte es vom Podest und fiel klirrend zu Boden. Er musste eingestehen, dass die LONDON kein perfektes Raumschiff war. Sie war nicht unzerstörbar. Dieser Rodrom hatte ihnen das bewiesen. Und sie bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Moindrew verlor den Halt und musste sich festhalten. Aus den Seitentüren quoll Wasser hervor und drückte den Ingenieur zu Boden. Moindrew startete keinen Versuch sich zu retten, schweigend nahm er seinen Tod hin.

Jakko Mathyl erreichte das vorletzte Rettungsboot. Er flehte Lichtern an, auf das Boot zu kommen.

»Bitte, bitte ... ich habe zuhause eine Frau und ein Kind. Ich will sie wieder sehen«, sagte der Banker weinerlich.

Lichtern blickte sich um und fragte, ob noch Frauen oder Kinder hier wären. Niemand meldete sich. Er sah Mathyl tief in die Augen, dann erlaubte er ihm auf die Kapsel zu gehen.

Der Unternehmer lachte schallend.

»Dafür dürfen ihre Hinterbliebenen ein kostenloses Konto bei unserer Galaxiskasse führen!« jubelte der Mann.

Die Rettungskapsel war bereits überfüllt. Mathyl war der letzte, der aufgenommen wurde. Hinter sich hörte Mathyl das Schluchzen von zwei epsalischen Kindern. Die beiden pummeligen Jungen saßen auf einer Bank und hielten sich gegenseitig.

Mathyl zögerte. Er sah in die entsetzen Augen der beiden. Er wollte sie mit sich nehmen. Doch der Platz reichte nur für einen von beiden. Sie waren einfach zu dick. Er konnte nur einen retten, es sei denn ...

Mathyl sah sich um. Er dachte an seine Familie. Dann dachte er an die Zukunft dieser beiden Epsaler. Zitternd nahm er beide an die Hand und setzte sie in die Rettungskapsel.

Lichtern beobachtete Mathyl mit wässrigen Augen. Dann nahm er Mathyls Arm und zog ihn sanft zurück. Anschließend gab er den Befehl, die Kapsel zu Wasser zu lassen.

Für Mathyl war nun kein Platz mehr. Weinend stand er an der Reling und sah, wie seine letzte Chance wegschwamm.

Er hatte in seinem ganzen Leben meist nur an sich gedacht, wie er wirtschaftliche Vorteile erringen konnte. Doch dieses eine Mal dachte er auch an das Glück anderer. Obwohl er ein skrupelloser Geschäftsmann war, wurde er doch in dieser Nacht ein Held.

*

Die LONDON stand nun schräg im Wasser. Der gesamte vordere Teil befand sich bereits unter der Meeresoberfläche.

Die Männer und Frauen versuchten schreiend, sich in das Heckteil vorzukämpfen. Das letzte Rettungsboot wurde förmlich gestürmt. Rudocc hatte große Mühe die Leute zurückzuhalten.

»Bleibt stehen oder ich schieße!«, schrie er.

Einer der Passagiere, ein junger Akone, ging nicht darauf ein und stieg in die Kapsel. Rudocc schoss zweimal auf ihn. Leblos brach der Mann zusammen.

Rudocc war über sich selbst entsetzt und ließ die Waffe fallen. Einige beschimpften ihn, andere nutzten die Gelegenheit um auf die Kapsel zu kommen. Das Wasser hatte das Deck bereits erreicht, so dass man es nicht einmal mehr per Antigrav herunterlassen musste.

Der erste Offizier blickte zu seinen Kollegen. Sparks und Lichtern holten die letzten beiden Not Boote ans Deck. Sie waren noch vor wenigen Minuten aus Möbelholz zusammengezimmert worden. Die Wesen stürzten sich panisch auf die rettenden Inseln. Die Fluten erreichten nun auch diesen Bereich. Einige rutschten durch die Schräglage ab, andere wurden von den Wellen einfach weggerissen.

Attakus hatte seinen Diener da Zhart in dem Tumult aus den Augen verloren. Letztlich scherte er sich sowieso nur um sein eigenes Leben. Er schaffte es, auch auf das Boot zu kommen.

Es fing jedoch bereits an zu wanken. Die Kapsel war viel zu überladen. Der junge Arkonide versuchte mit einem der provisorischen Ruder das Boot zu stabilisieren. Dabei stieß er eine alte Frau von der Kapsel. Sie fiel schreiend ins Wasser.

»Das hätte sich nicht mehr gelohnt, Oma«, rief er ihr hinterher. Sein Plan ging auf. Die Kapsel trieb langsam vom sinkenden Schiff weg. Attakus wähnte sich in Sicherheit.

Das Heck der LONDON ragte noch etliche Meter aus dem Wasser. Zu etwa einem Drittel war das Raumschiff bereits untergegangen. Doch nun begann es immer schneller und schneller zu sinken.

Ulryk Wakkner lief schreiend umher und versuchte sich irgendwo festzuhalten, doch das Wasser zog den Banker mit sich. Das gläserne Dach der Sternenhalle brach auseinander. Tausende über tausende Liter an Wasser strömten von oben und unten hindurch. Die Hologramme waren erloschen, die Kunstschätze wurden in einen Strudel gezogen, der sich in der Mitte der Halle auftat. Das Wasser drückte die armen Seelen in die Mitte der Sternenhalle, wo sie durch den Strudel in die Tiefe gezogen wurden. Kolipot, Terek-Orn und Türkalyl Öbbysun konnten sich nicht mehr am Hauptspeisesaal halten und wurden vom Wasser in ihr tödliches Schicksal gerissen.

Die Musikanten der Kapelle wurden von den Wellen erfasst und durch die zerplatzten Fenster gedrückt. Terna Ambyl versuchte zum letzten Boot zu gelangen.

Lichtern hielt nach ihr Ausschau und rief ihr zu. Ulryk Wakkner erspähte auch die letzten Notboote. Er schwamm nun direkt vor der ersten Trägersäule der zersprengten Glaskuppel und versuchte wieder ein Geländer zu erreichen.

Etwa fünfzig Meter schräg davon hatte Attakus das Rettungsboot unter Kontrolle gebracht. Jakko Mathyl schwamm dorthin. Voller Hoffnung griff er nach dem Boot und rief Attakus Namen.

»Weg hier!«, brüllte der Arkonide, doch Mathyl hörte nicht. Er erreichte den Rand des Bootes und wollte sich hochziehen.

»Hilf mir! Ich will nach Hause!«

Attakus nahm das provisorische Ruder und schlug es Mathyl auf den Schädel. Der ließ sofort los und wurde von der Strömung weggetrieben.

»Ich glaube, du bist auf dem richtigen Weg«, murmelte Attakus und stieß jeden vom Boot weg, der es wagte, danach zu greifen.

Die Schräglage belastete die Statik eines der Türme. Mit einem großen Quietschen und einem hohlen, düsteren Dröhnen brach der mittlere Turm durch und fiel mit einem tosenden Donnern ins Wasser.

Ulryk Wakkner schrie kurz auf, dann wurde er von dem riesigen Gewicht erdrückt, wie viele andere auch, die davor schwammen. Die Welle spülte einige Dutzend Galaktiker vom Schiff. Darunter auch Rudocc. Er versuchte sich vergeblich an einem Geländer festzuhalten. Die Welle war stärker und hielt ihn unter Wasser, bis er keine Luft mehr bekam und das Wasser in seine Lunge eindrang.

Sparks erging es auf der anderen Seite nicht besser. Er konnte nur knapp der Wasserwelle entkommen und kletterte nun in Richtung Heck. Die Welle erfasste auch Terna Ambyl. Sie wurde gegen die Außenwand des Decks geschoben und regelrecht zerquetscht. Das zweite Notboot kenterte. Lichtern konnte sich mit aller Mühe am Boot festhalten.

Inzwischen war totale Panik ausgebrochen. Die Menschen und Wesen schrien um Hilfe, doch niemand konnte ihnen mehr helfen. Das Ende war nur noch eine Sache von wenigen Minuten.

Vater Dannos und seine Kinder der Materiequelle hatten sich im Hinterdeck versammelt. Sie saßen um ihren Guru herum und beteten.

»Meine Kinder, wie der rote Gott es sagte, werden wir in ihm aufgehen und so den Weg zu einer Entität schaffen«, faselte der Guru.

Stellara Chowfor sah ein terranisches Kind, das ins Wasser rutschte und laut schrie. Sie fing an zu weinen. Die Terranerin hatte sich noch eine Flasche Vurguzz mitgenommen, um das Ende besser ertragen zu können.

Die Wut stieg plötzlich in ihr hoch.

»Du Schwein!«, fing sie an Dannos anzubrüllen. »Du hattest gesagt, den Kindern passiert nichts.«

Sie zeigte auf das ertrinkende Kind.

Dannos schüttelte den Kopf.

»Nein«, stammelte er.

»Das verstehe ich nicht. Er sagte doch, dass ... Stellara ... das Kind geht kosmischer Harmonie!«

Doch Chowfor glaubte ihrem Meister nicht mehr. Sie zog den Strahler, den sie sich heimlich geholt hatte, und schoss fünfmal auf Dannos. Die Strahlen durchbohrten ihn. In seinem Gesicht stand großes Erstaunen, dann fiel er nach hinten. Sein lebloser Körper schien endlos lange zu fallen, prallte gegen die Unterlichttriebwerke und von dort aus ins Wasser.

Der Vater der Kinder der Materiequelle war tot. Sein perfekter Plan war nun endgültig gescheitert. Nun brach Panik unter den Jüngern des Dannos aus. Sie rannten nach hinten. Stellara stolperte und rutschte das Deck hinunter ins Wasser.

Die LONDON war inzwischen zur mehr als die Hälfte gesunken. Sie stand schräg über dem Wasser. Das Heck war bereits ein- bis zweihundert Meter über der Wasseroberfläche. Noch etwa 600 Meter ragten aus dem Meer heraus.

Immer wieder sprangen verzweifelte Menschen ins Wasser. Sie prasselten wie reifes Obst vom Heck der LONDON herunter. Wer es überlebte, erreichte die Kapseln meist nicht.

Wieder wurden die Raubfische aktiv. Sie packten sich ab und zu einen Passagier und zerrissen ihn.

*

Rosan und Wyll hatten es inzwischen auch auf das Deck geschafft. Sie kämpften sich durch die schreienden Massen langsam zum Heck durch.

Sie stiegen über einen Eingang und sprangen herunter. Rosan fiel zu Boden und verlor den Blickkontakt mit Wyll.

»Wyll? Wyll?«, schrie sie. Sie hatte inzwischen große Angst, dass das alles kein gutes Ende für sie nehmen würde.

Dann packte sie eine Hand. Zu ihrer Erleichterung war es Wylls. Er rannte mit ihr weiter in Richtung Schiffsende.

Dann ein großes Aufschreien, als die Beleuchtung ausfiel. Man hörte einige Explosionen.

Unbeirrt kämpften sie sich trotzdem durch.

Vor ihnen stand ein terranischer Priester, der zum letzten Gebet aufrief. Vor ihm knieten etliche Wesen – nicht nur Terraner. Sie hofften auf ihre Absolution, auf Vergebung für ihre Sünden. Andere wollten vorbereitet in den Tod gehen.

Auf dem Weg zum hinteren Geländer trafen Wyll und Rosan auf Shel Norkat. Sie war völlig verzweifelt.

»Wäre ich doch bloß bei Aurec geblieben«, schrie sie.

Rosan versuchte sie mitzuziehen, doch Shel riss sich los und taumelte in die andere Richtung.

Früher war die Sternenhalle der Mittelpunkt des Schiffes gewesen, das Zentrum der Aktivitäten und des Lebens. Jetzt war sie mit Wasser geflutet und leblose Körper von Männern und Frauen schwammen darin.

Vielleicht knapp 500 Meter ragten noch aus dem Wasser. Viele Menschen rutschten das Deck hinunter, weil es so steil war. Sie schlugen gegen offene Türen oder Ausbuchtungen.

Rosan und Wyll hatten sich bis zum Unterlichttriebwerk durchgekämpft. Alle Überlebenden strömten dorthin, denn es war im wahrsten Sinne des Wortes, das Ende der LONDON. Andere hatten sich auf dem »Rücken« des C-Turms versammelt.

Beim Triebwerk war auch Perry Rhodan. Er hatte versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen, doch diesmal war der Unsterbliche machtlos. Er hatte sich hinter ein Geländer gestellt und hielt daran fest.

Wyll und Rosan folgten seinem Beispiel. Wyll stieg rüber, doch Rosan schafft es nicht ganz. Sie klammerte sich von der anderen Seite an das Geländer.

Neben sich sah sie Jakko Mathyl mit einer klaffenden Kopfwunde, der auch hinter dem Geländer stand.

Einige andere Leute sprangen einfach in das Wasser. Manche fielen auf die Triebwerke und wurden zerschmettert. Andere überlebten den Aufprall ins Wasser nicht.

Nichts konnte sie mehr retten. Die Angst und Verzweiflung stand allen ins Gesicht geschrieben.

Die Rettungskapseln waren inzwischen etwa 500 bis 1.500 Meter vom Geschehen entfernt. Damit hatten sie eine einigermaßen sichere Entfernung erreicht.

Die LONDON ragte hoch und düster aus dem Wasser. Die Lichter und die Musik waren erloschen. Man hörte noch das Schreien und Weinen der Menschen an Bord. Dumpfe Aufschläge von Körpern auf Metall!

Arno Gaton lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Sam war inzwischen wieder zu Bewusstsein gekommen. Er verfluchte Perry Rhodan, dass er ihn niedergeschlagen hatte. Neben sich erkannte er den Ortungsleiter Spechdt, der die Verantwortung für die Kapsel trug.

Sam starrte zur LONDON und wünschte Perry Rhodan alles erdenkliche Glück. Er betete für die Wesen an Bord der LONDON. Er betete für ihre Seelen und für ihre schnelle Erlösung. Er hoffte, dass es einige noch schaffen würden. Besonders Perry Rhodan ...

*

Zhart hielt sich am Geländer fest und versuchte nach oben zu klettern. Neben ihm bemerkte er Mugabe Sparks, der das Gleiche versuchte.

Doch es waren noch etwa 500 Meter bis zur Triebwerkssektion der LONDON. Zhart befand sich auf Höhe des eingestürzten zweiten Turmes des Schiffes. In diesem Moment verfluchte er seinen Schützling Attakus. Wäre dieser Narr nicht ständig Rosan hinterher gerannt, hätte da Zhart eine Überlebenschance gehabt. Nun waren alle Boote weg. Nur ein Wunder konnte ihn noch retten. Der Arkonide glaubte ein Knarren und Explosionen aus dem Schiffsinneren zu hören.

Einige Generatoren explodierten und sprengten mehrere Risse quer durch die LONDON. Das vordere Teil konnte dadurch nicht mehr die restlichen 500 Meter des Hinterteils und die schweren Triebwerke tragen. Es brach in der Mitte hindurch. Sparks schrie auf und versuchte sich irgendwo festzuhalten, Zhart wollte sich am Geländer hochziehen, rutschte jedoch ab und fiel durch den Riss und in den Tod.

Das hintere Teil der LONDON fiel wieder zurück ins Wasser und schlug auf. Die Menschen schrien während des Falls.

Rosan schloss die Augen und hielt sich fest. In ihr stieg ein flaues Magengefühl hoch. Ihr wurde übel durch den tiefen, raschen Fall. Sie hörte das Aufschlagen einiger Körper. Dann öffnete sie die Augen und sah zu Wyll. Er hatte den Aufschlag, wie auch Perry Rhodan, überlebt. Beide halfen nun Rosan hinter das Geländer.

Der abgetrennte vordere Teil ging unter. Der restliche Teil füllte sich erst langsam mit Wasser, dann stieg er höher und höher.

Die restlichen 400 Meter des Schiffes bäumten sich horizontal auf, bis es nahezu senkrecht in der Luft stehen blieb.

Rhodan stützte sich mit aller Kraft am Geländer ab, um nicht über dieses in die Tiefe zu stürzen.

Rosan blickte auf die Menschen, die am Geländer hingen. Sie erkannte Shel Norkat, die mit weit aufgerissenen Augen an einem Eingang hing. Sie hatte sichtlich Mühe sich festzuhalten und glitt langsam ab, bis sie völlig abrutschte und hinunterfiel. Sie prallte gegen eine Antenne, die durchbrach. Dann fiel sie weitere 400 Meter in die Tiefe.

Zitternd blickte Rosan Mathyl an, der schweigend zurückblickte. Jeder wusste, dass das Ende gekommen auf.

Rhodan atmete tief durch. Der Moment schien Ewigkeiten zu dauern. Das Ende der LONDON stand kurz bevor. Doch das Schicksal spielte noch einen sadistischen Streich, indem es das Ende weiter verzögerte.

Rhodan erkannte das unithische und terranische Kind. Beide wurden von einer Frau umarmt. Sie sahen kurz zum Unsterblichen hoch. In den Augen standen Trauer und Leid.

»Es ist gleich vorbei«, flüsterte sie den weinenden Kindern zu.

Aus Perry Rhodans Augenhöhlen flossen Tränen. Diese Kinder mussten jetzt sterben. Warum und wofür? Ihnen wurde alles genommen. Sie hatten nie die Chance gehabt, das Leben kennen zu lernen. Sie konnten sich niemals verlieben, niemals Kinder bekommen, niemals ihren Wünschen nachkommen. Rhodan verfluchte Rodrom und hasste ihn für diese Tat.

Einige weitere Lebewesen fielen in die Tiefe.

Rhodan riss sich wieder zusammen.

»Rosan, Wyll! Ihr beide dürft erst loslassen, wenn die LONDON im Wasser ist«, sagte er schnell. »Dann versucht so schnell wie möglich wieder nach oben zu kommen, bevor der Sog euch herunterzieht. Kurz bevor das Wasser das Geländer erreicht, Luft holen!«

Dann ging ein Ruck durch die LONDON. Ein Aufschreien. Das Ende kam jetzt. Die LONDON fing weiter an zu sinken. Langsam aber unaufhaltsam kam das Wasser Meter um Meter näher.

»Oh Gott, oh Gott. Ich will noch nicht sterben!«, kreischte Rosan.

Wyll nahm ihre Hand. »Du hast gehört, was Perry sagte. Luft holen, wenn ich es sage.«

Beide zitterten vor Angst. Rhodan sah dem Wasser entgegen. Es war noch 200 Meter entfernt, 100 Meter, 50 Meter, 25 Meter. Die Menschen wurden hinuntergerissen und verschwanden in dem dunklen Nass.

Dann erreichte das Wasser das Geländer.

»Luft holen!«, befahl Rhodan.

Die drei hielten fast gleichzeitig die Luft an. Das Geländer wurde überspült. Die Triebwerke waren das Letzte, was noch den Himmel erblickte, dann verschwanden auch diese, zusammen mit dem Hypertrop-Zapfer und der Flagge der Kosmischen Hanse im Wasser.

Die LONDON war untergegangen und riss mehr als zehntausend Wesen mit in den Tod. Das Drama war jedoch noch nicht zu Ende. Die LONDON aber glitt um 4:28 Uhr langsam in die Tiefe des Ozeans hinab zu ihrem Grab …

 

13. Ozean des Todes

Rosan versuchte krampfhaft an die Wasseroberfläche zu gelangen. Sie verlor Wylls Hand und versuchte den Kontakt zu ihm wieder herzustellen, schaffte es aber nicht.

Dann schwamm die Halbarkonidin an die Oberfläche. Der Sog war überraschend schwach, so schaffte sie es wieder nach oben.

Das erste, was sie rief, war Wylls Name. Doch sie war nicht die einzige, die rief. Sie war von über tausend Überlebenden umringt, die Hilfe schreiend im Wasser schwammen.

Hinter ihr tauchte ein Mann auf, der sie unter Wasser drückte. Er stand offensichtlich unter Schock und schrie. Rosan kam kurz wieder hoch und wollte Luft holen. Da hörte sie eine vertraute Stimme rufen: »Lass sie los!«

Es war Wylls Stimme. Er schwamm so schnell er konnte zu den beiden und schlug den Mann ins Gesicht, der daraufhin auch sofort Rosan losließ.

Wyll umarmte seine Geliebte innig.

»Gott sei Dank, du lebst!«, stammelte die junge Orbanashol.

Wyll legte einen Arm um Rosans Oberkörper und zog sie mit sich. Er hatte ein schwimmendes Stück Holz gesehen. Es stammte vermutlich von einer Tür.

Er legte Rosan auf das rettende Stück. Es war zwei Meter lang und etwa halb so breit. Jedoch konnte es nur eine Person tragen. Wyll musste sich an dem Stück festhalten. Er sah sich um. Die Männer und Frauen im Wasser schrien verzweifelt um Hilfe, doch niemand schien sie zu hören. Die Rettungsboote waren über einen Kilometer entfernt. Sie bewegten sich auch nicht.

Wyll hielt Rosans Hände fest. Beide sahen sich in die Augen.

»Wir leben immerhin noch. Jetzt schaffen wir es!«, munterte er sie auf.

Sie lächelte schwach. Es fing an zu regnen.

»Noch nasser können wir ja nicht werden«, flüsterte sie sarkastisch.

Wyll sah sich weiter um. Neben ihm trieb die zerschmetterte Leiche des Funkoffiziers Sparks. Wyll sprach ein letztes Gebet für seinen Kameraden. Er glaubte Perry Rhodan entdeckt zu haben. Der junge Terraner winkte ihm zu.

Es war tatsächlich der Zellaktivatorträger. Rhodan lächelte als er die beiden sah. Er hatte sich an einem Plastikstuhl festgehalten und schwamm mit diesem zu dem Liebespaar herüber.

»Ich bin froh, euch beide lebend zu sehen.«

*

4:40 Uhr

Die Rettungskapseln trieben ruhig über das Meer. Als es anfing zu regnen, seufzten einige Frauen pikiert und beschwerten sich. Lichtern lag erschöpft auf dem letzten Boot und musste an die arme Terna Ambyl denken. Wäre sie nur etwas weniger selbstlos gewesen, wäre sie noch am Leben. Er hörte die Beschwerde der Frau vom gegenüberliegenden Boot und schnauzte sie an.

»Halt dein Maul, du dumme Kuh!«

Seine Nerven lagen, wie die der anderen, blank. So viele Wesen waren gestorben. Viele die er kannte, viele, die er eben erst kennen gelernt hatte. Nur Gesichter. Von Männern, Frauen und Kindern aller Rassen. In ihrer aller Augen hatte Furcht und Panik gestanden. Er hörte die Schreie der noch im Wasser schwimmenden. Entsetzt blickte er zu ihnen. Dann befahl er seinen Leuten zu den anderen Kapseln zu rudern. Er suchte den wachhabenden Offizier Spechdt.

*

Die etwas über 5.500 Männer und Frauen saßen still in den umfunktionierten Booten und hofften auf baldige Hilfe.

Sam konnte nicht ruhig sitzen. Er musste an die tausend Lebewesen denken, die da draußen im Wasser um ihr Leben kämpften.

»Wir müssen umkehren. Nicht alle Kapseln sind voll besetzt. Wir können noch Leben retten«, sagte der Somer eindringlich.

Spechdt, der ehemalige Ortungsleiter der LONDON entgegnete barsch: »Das kannst du vergessen. Ich kehre nicht mehr zurück. Die würden doch die Kapsel zum Kentern bringen.«

Sam schüttelte wütend den Kopf.

»Das ist doch Wahnsinn. Die Menschen brauchen unsere Hilfe. Leute, das sind eure Männer, Frauen und Kinder da draußen. Ihr könnt sie doch nicht einfach sterben lassen!« beschwor er sie.

»Wenn du nicht gleich den Schnabel hältst, kannst du denen da im Wasser Gesellschaft leisten«, fletschte Spechdt ihm entgegen.

Sam atmete tief durch und setzte sich kopfschüttelnd.

*

5:30 Uhr

Seit bereits einer Stunde schwammen die Überlebenden im Wasser. Die Schreie wurden leiser. Einige waren vor Entkräftung bereits untergegangen.

Unweit von ihnen trällerte Jon Maskott auf einer Pfeife und rief immer wieder die Boote zu sich.

Wyll versuchte Rosan weiter aufzumuntern.

»He, es könnte schlimmer sein«, meinte er lächelnd.

Rosan gab ein schwaches Lächeln zurück. Auch sie war immer noch klitschnass. Der Regen wollte nicht aufhören.

»Bald kommen die Rettungskapseln und holen uns ab«, tröstete Wyll seine Geliebte.

Er sah fragend zu Perry Rhodan herüber, doch der schüttelte nur den Kopf.

Perry hörte einige Aufschreie. Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie ein Hai aus dem Wasser schnellte und sich Maskott schnappte. Der stellvertretende Ortungsleiter hatte keine Chance gehabt.

Die Wasserraubtiere waren wieder hungrig. Sie sprangen aus dem Wasser und rissen die Lebewesen schnell und tödlich. Wieder brach eine Panik unter den Überlebenden aus.

»Es ist schlimmer«, sagte Rosan.

*

Es regnete immer noch. Die Wesen auf den Booten waren durchnässt, doch in Sicherheit. Es war immer noch sehr ruhig unter den Geretteten. Das Notboot von Lichtern erreichte die anderen. Der hagere Offizier winkte Spechdt zu und forderte ihn auf, sofort mit der Umladung der Passagiere zu beginnen.

»Wir füllen die anderen Boote und können so noch Überlebende aus dem Wasser aufnehmen. Spechdt lehnte ab, doch das war Lichtern egal. Sam unterstützte ihn dabei. Sie vertäuten die Rettungskapseln miteinander und baten die Passagiere umzusteigen, die widerwillig Folge leisten.

Sam half mit und versuchte die Aktion voranzutreiben. Doch es dauerte eine Ewigkeit ...

*

6:20 Uhr

Eine gespenstische Stille lag über dem Meer. Das Schreien der Überlebenden war verstummt. Man hörte nur noch das Rauschen der Wellen und das Prasseln des Regens. Vereinzelt noch ein Seufzen oder ein Stöhnen.

Rosan war inzwischen eingeschlafen. Perry Rhodan hielt Nordment vom Einschlafen ab. Das dürfte dessen sicherer Tod sein Das Wasser war zwar mit knappen zehn Grad Celsius nicht eiskalt, aber auch nicht sonderlich warm.

Rhodan betrachtete einen vorbeischwimmenden Torso eines Menschen, der von den Fischen übrig gelassen wurde. Rhodan erkannte den Sicherheitschef der LONDON, Prollig. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Gedärme hingen aus dem abgetrennten Bauch. Perry musste sich ein Würgen unterdrücken.

Die Raubfische hatten sich inzwischen zurückgezogen. Seit bereits einer Stunde hatten sie keinen Galaktiker mehr gerissen. Hulga Imoll und Brunde Galfesch hatte es zum Schluss erwischt. Beide hatten keine Chance gegen die Haie gehabt. Damit waren wohl Dannos letzte Kinder der Materiequelle gestorben. Nun waren sie in ihrem Paradies, doch sicherlich weit davon entfernt, jemals ein Kosmokrat zu werden.

Doch die See bot ein riesiges Grab. Rhodan schätzte, dass knapp dreitausend Wesen in den letzten fast zwei Stunden den Tod gefunden hatten. War es durch die Raubfische oder durch Kreislaufzusammenbruch und Entkräftung. Jakko Mathyl paddelte etwa zehn Meter von den Dreien entfernt. Er war kreidebleich und am Ende seiner Kräfte.

Rhodan sah, wie sich zwei Kapseln näherten. Erleichtert stieß er Wyll Nordment an, der hochschreckte. Rhodan zeigte in die Richtung der kommenden Rettung.

Wyll weckte sanft Rosan auf, die sich irritiert umsah.

»Sie kommen, um uns zu retten!«, sagte Wyll freudig.

Rosan lächelte mühsam.

Wyll und Rhodan winkten die Kapseln herbei. Auch die anderen, noch knapp 400 Überlebenden machten auf sich aufmerksam. Viele schwammen den beiden Kapseln entgegen. Die Luken öffneten sich und die ersten wurden aufgenommen.

Doch das Glück dauerte nicht lange. Rhodan hörte hinter sich ein unnatürliches Rauschen. Es waren die Raubtiere. Sie griffen wieder etliche der Menschen an und zogen sie in die Tiefe. Es brach eine Panik aus. Eine der Kreaturen tauchte urplötzlich vor Rosan und Wyll auf. Sie rammte Wyll in seiner Brustgegend und riss mit seinen scharfen Flossen seinen Oberschenkel auf. Dann erspähte es Mathyl, der auf Rhodan zu geschwommen war. Es bäumte sich auf und sprang auf ihn. Eine Welle blieb von beiden zurück. Mathyl tauchte nicht wieder auf.

Rhodan schwamm zu Wyll, um zu sehen, wie stark er verletzt war.

»Es geht schon«, hustete Wyll. Er erreichte wieder das Holz mit Rosan.

Sie ergriff sofort wieder seine Hände und küsste ihn.

»Du musst durchhalten!«, hauchte sie leise.

Rhodan winkte einem der Beiboote zu. Lichtern sah Rhodan, tat jedoch nichts.

Er griff, anstelle Befehl zu geben dorthin zu fahren, ein Sprechgerät.

»Es tut mir Leid, mehr als 150 Personen können wir nicht aufnehmen. Die Boote sind randvoll. Bitte vergebt uns, aber haltet weiter durch, bis Hilfe kommt.«

Wyll sah entsetzt Rosan an.

»Wir haben einen Verletzten hier!«, rief Rhodan.

Das zweite Rettungsboot näherte sich den drei. Rhodan konnte Sam erkennen, der aus der Luke sah.

»Wir nehmen Wyll Nordment zu uns. Dafür gehe ich ins Wasser«, schlug der Somer vor.

Wyll wollte erst nicht, doch Rhodan konnte ihn vom Gegenteil überzeugen.

Plötzlich umringten aber etwa 100 Überlebende die Kapsel und versuchten an Bord zu kommen.

»So geht das nicht. Wir müssen die Luke schließen, sonst kentert das Boot!«, fluchte Spechdt.

Sam verneinte. »Solange ich hier bin, bleibt sie offen!«

Spechdt schien das allzu wörtlich zu nehmen. Er schubste Sam ins Wasser und schloss die Luke. Die Kapsel trieb wieder davon. Die schreienden Menschen hinter sich lassend.

Die andere Kapsel unter Lichtern trieb langsam auf die Wesen im Wasser zu. Zumindest wollten sie moralischen Beistand leisten, auch wenn sie keine Passagiere mehr aufnehmen konnten.

Perry kraulte zu dem Somer, der sichtlich Mühe hatte sich an der Oberfläche zu halten. Sam ergriff sofort den Plastikstuhl und hielt daran fest.

»Wozu habe ich dich niedergeschlagen, wenn du doch den Helden spielst?«, fragte Rhodan ironisch.

Die Raubfische zogen ab, doch sie konnten jederzeit wiederkommen. Es hatte aufgehört zu regnen. Jedoch war es weiterhin dunkel. Die meisten waren nun tot oder dämmerten dem Tode entgegen. Kaum einer gab mehr einen Laut von sich. Perry Rhodan und Sam hielten sich gegenseitig wach. Der Unsterbliche dachte an die lange Odyssee der LONDON. All die Abenteuer um nun hier zu enden? Das durfte nicht sein!

Wyll zitterte inzwischen. Rosan versuchte ihn immer wieder aufzumuntern. Doch auch ihr fehlte die Kraft. Sie bemerkte, dass sich das Wasser rot färbte. Es war Wyll Nordments Blut.

»Wyll«, flüsterte sie schwach. Sie hustete mehrmals.

»Ja?«

»Ich liebe dich.«

»He, das klingt ja wie ein Abschied«, stotterte er. Das Wasser wurde nun doch ziemlich kalt.

»Ich schaffe es nicht, Wyll«, hauchte Rosan.

Er verstärkte den Druck in seinen Händen, die immer noch Rosans hielten. »Du musst mir versprechen, dass du es schaffst. Du wirst noch steinalt werden und viele Kinder bekommen auf Camelot.«

»Nur, wenn du der Vater bist«, flüsterte sie.

Wyll wollte darauf antworten, doch der Schmerz der gebrochenen Rippen und des Oberschenkels ließen ihn zusammenzucken.

»Sicher ...«, meinte er nur.

Er wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten konnte. Vielleicht noch eine halbe Stunde, dann würde er zusammenbrechen. Doch Hilfe war nicht in Sicht. Es war vorbei. Er hoffte nur, dass Rosan es schaffte.

Rosan glitt von dem Holzstück herab und half Wyll darauf. Er hatte Schmerzen, als sie eine Rippe berührte. Rhodan half ihr.

Nordment war verblüfft.

»Du brauchst die Ruhe nötiger als ich«, sagte Rosan.

»Rosan, du bist die tollste Frau, die mir jemals begegnet ist. Auch wenn es schwachsinnig klingt, aber dich hier zu treffen, war das Beste, was mir passieren konnte«, gestand er ihr.

Sie lächelte wieder schwach. Auch sie zitterte. Das Wasser war kalt. Ein kalter Wind zog nun über das Meer.

Auf einmal hörten sie ein Dröhnen, das vom Himmel kam. Mehrere Lichter waren zu sehen.

 

14. Erlösung

»Raumschiffe!«, rief Rhodan. »Die Rettung kommt!«

Auch die anderen in den Kapseln bemerkten das. Sie winkten den Space-Jets zu.

»Das sind galaktische Schiffe«, stellte Sam fest.

»Die FREYJA«, erkannte Perry Rhodan. »Ein Raumschiff von Camelot.«

Wyll wollte einen Freudenschrei loswerden, doch wieder tauchte ein Raubfisch auf. Er warf das Holz um. Wyll fiel ins Wasser, tauchte aber sogleich wieder auf. Rosan schwamm etwas weg, doch das Wesen nahm die Verfolgung auf.

»Rosan!«, schrie Wyll verzweifelt. Er brach etwas von dem Holz ab und warf es auf das Tier. Dieses reagierte auch.

Rosan hatte inzwischen eine der Kapseln erreicht.

»Wyll, schwimm weg!«, rief sie entsetzt.

Doch er konnte nicht mehr. Er hatte keine Möglichkeit sich zu verstecken. Das Raubtier raste mit weit geöffnetem Mund auf ihn zu.

Wyll hörte Rosan verzweifelt nach ihm rufen.

»Leb wohl, ich liebe dich auch, Rosan!«

Ein Koloss fiel platschend vor ihm auf das Wasser. Die vier Arme umklammerten den Körper des Haies und rissen ihn auseinander. Dann hielt das schwarze Ungetüm auf Wyll Nordment zu.

Das eigenartige war, dass dieses Wesen vor einer Minute noch nicht da war. Es fiel einfach vom Himmel ins Wasser. Direkt auf das Raubtier. Auf dem Giganten mit den drei roten Augen, die leuchteten, saß ein pelziges Wesen mit einem Zahn, welches sich das Wasser aus dem Fell schüttelte. Es sah aus wie das Stofftier von Rosan. Das Wesen grinste breit, als es zusammen mit dem Koloss auf Nordment zu schwamm.

»Du bist gerettet! Wir haben das sogar kostenlos gemacht«, hörte Wyll die schrille Stimme des Wesens sagen.

Er war sprachlos. Neben ihm landete eine amphibische Fähre auf dem Wasser. Sie holten Rosan, Perry Rhodan, Sam und etwa zweihundertfünfzig Andere aus dem Wasser. Dann spürte Wyll, wie er wie von Geisterhand hochgehoben wurde. Er wusste nun, wer die Beiden waren, Icho Tolot und Gucky.

Auf der Fähre stand ein weiterer Arkonide, der Rosan stützte. Wyll dachte zuerst, es sei Attakus Orbanashol, doch dann erkannte er seinen Irrtum. Es musste sich um Atlan handeln.

Perry Rhodan umarmte seinen Freund.

»Es wurde aber auch Zeit! Aber wie habt ihr uns gefunden?« wollte er wissen.

»Dannos Leute hatten einen Kontaktmann, der Lösegeld forderte«, erklärte Atlan. »Den konnten wir ausfindig machen. Wir folgten ihm bis UGCA 092.

Wir suchten und suchten seit Wochen. Dann stießen wir auf euren Hilferuf.«

»Etwas Grauenvolles muss passiert sein«, meinte Icho Tolot, als er auf das Meer sah.

»Ja, Tolotos. Etwas sehr grausames«, bestätigte Rhodan, dann blickte er zu Rosan, die zu dem verletzten Wyll rannte. Rhodan ging zu den beiden. »Tja, da ihr beide überlebt habt, muss ich wohl Wort halten. Ihr dürft nach Camelot. Dort könnt ihr Zwei in Ruhe leben.«

Er lachte und umarmte beide kurz.

»Siehst du, Rosan. Wir haben es beide geschafft«, meinte Wyll schwach.

»Sag jetzt nichts«, entgegnete sie und küsste ihn.

Attakus Orbanashol kam an ihnen vorbei als er aus einer der Kapseln kam. Er sah sie kurz an und ging resignierend weiter.

Er konnte das Glück der beiden nicht mehr verhindern. Weder seine Intrigen noch der Untergang der LONDON schafften es, ihre Beziehung zu zerstören. Nichts konnte zwischen die Liebe von Wyll Nordment und Rosan Orbanashol kommen.

Die Space-Jets und Gleiter hatten inzwischen alle in den Rettungskapseln befindlichen Überlebenden aufgenommen. Sie wurden zu den Fähren gebracht und versorgt. Einige litten an Unterkühlung oder Schocks. Sie mussten sofort medizinisch versorgt werden.

Auf der See trieben noch einige Überreste der LONDON, wie Stühle, Türen, Schotts oder andere schwimmende Gegenstände.

Gucky und Icho Tolot standen still am Rand der Fähre und sahen traurig auf das Meer. Sie hatten die schreckliche Nacht nicht miterlebt, doch wussten sie, dass etwa 11.000 Lebewesen einen grausamen Tod erlitten hatten.

Perry Rhodan dachte an Rodrom. Er schwor ihm Rache für das, was er getan hatte. Doch auch für Gaton und seine Hansesprecher würde der Untergang der LONDON ein Nachspiel haben.

Dann dachte er wieder an die über 11.000 Männer und Frauen, die ihr Leben ließen.

»Euer Tod wird gerächt werden«, versprach er.

Atlan ging zu ihm.

»Hast du einen Wunsch, Barbar?«

»Ja, ab nach Hause!«

 

15. Das untergegangene Schiff

Das einst so stolze Schiff lag nun am Meeresboden in einer Tiefe von 12.312 Metern. Mit der LONDON haben 10.023 Männer und Frauen aus der Milchstraße und der Lokalen Gruppe ihre letzte Ruhe gefunden. Nur 5.999 Lebewesen überlebten die größte Katastrophe eines Luxusraumschiffes seit Einführung der Neuen Galaktischen Zeitrechnung.

Die LONDON sollte das gewaltigste und schönste Schiff der Galaxis werden, doch sie wurde zu einem Schiff des Todes. Noch in Jahrhunderten würde man an das grausame Schicksal des Hanseschiffes denken. Rodrom hatte Recht, denn man würde auch ihn in Verbindung mit dem Desaster bringen. Doch man sollte auch an die Fahrlässigkeit der Hanse denken, die aufgrund materieller Vorteile nicht genügend Rettungskapseln an Bord hatten.

Es würde in naher Zukunft eine öffentliche Entschuldigung aller Hansesprecher geben und Arno Gaton würde in Pension gehen und in seiner Villa mit seinem schlechten Gewissen leben, doch dies machte die 10.023 Lebewesen auch nicht wieder lebendig.

Perry Rhodan taufte das System, wo das letzte Kapitel der LONDON geschrieben wurde, auf den Namen »Londons Grave«.

Er hoffte, dass niemand dieses System ansteuern würde, doch er wusste, dass irgendwann Forscher oder neugierige Journalisten versuchen würden, die letzte Ruhe der LONDON zu stören.

Viele ließen ihr Leben in der schrecklichen Nacht des 10. Dezembers 1285 NGZ. James Holling – der Kapitän der LONDON, Spector und Thorina Orbanashol, Hermon da Zhart, Jakko Mathyl, Shel Norkat, Ulryk Wakkner, Alex Moindrew, Kolipot – der Springerpatriarch, Terek-Orn – der Botschafter Topsids, Türkalyl Öbbysun – der Botschafter der Blues, die Offiziere Rudocc, Maskott, Sparks und Prollig, Bordarzt Horst Tablot, Terna Ambyl, Dannos, Luise Chowfor, Herban Livilan und Hiretta Arkyl, das jülziische und das unithische Kind und 9.999 weitere Lebewesen.

Mögen sie auf ewig in Frieden ruhen ...

 

Epilog

Die WORDON erreichte angeschlagen die Werft von MODRORs Burg. Der Rote stand in der Kommandozentrale und verspürte Genugtuung über seinen letztendlichen Sieg. Zwar hatte Perry Rhodan erneut überlebt, doch er hatte zum ersten Mal die Macht Rodroms zu spüren bekommen. Von nun an wusste Rhodan, welch kosmische Macht es auf ihn abgesehen hatte.

Zukthh informierte Rodrom über die Landung. Diesmal verzichtete die rote Inkarnation auf einen dramatischen Auftritt vor seinem Herren und Meister. Er löste sich vor Zukthhs Augen auf und verstofflichte in den Hallen des MODROR. Bedächtig betrat er den Thronsaal. Eine Manifestierung MODRORs erwartete ihn dort bereits.

Worte waren unnötig gewesen. Sein Meister wusste von Rodroms Begegnung mit Perry Rhodan.

»Bedauerlich, die Saggittonen werden schon bald DORGON unterstützen«, stellte MODROR nüchtern fest.

Rodrom verneigte sich voller Demut. Es war sein Versagen gewesen und doch wähnte er einen Vorteil an dem Intermezzo zu sehen. Perry Rhodan hatte für einen geringfügigen Sieg viele Leben lassen müssen. Das befriedigte Rodrom zutiefst.

»Was sind diese armseligen Wesen im Vergleich zum Kampf zwischen mir und DORGON?«, wollte MODROR wissen. »Nichts! Zwar weiß Rhodan nun um unsere Kompromisslosigkeit, doch er wird auch gewarnt sein.«

Rodrom schwieg. Was hätte er auch einbringen können? Die Worte seines Herren waren voller Weisheit.

Hinter ihm öffnete sich eine Tür. Eine humanoide Gestalt trat ein. Sie erinnerte Rodrom an einen Terraner, doch das Wesen war in ein schwarzes Gewand eingekleidet. Eine schwarze Kutte verhüllte das rotfarbene Gesicht. Kurz bevor es MODROR und Rodrom erreicht hatte, verneigte es sich vor seinen Gebietern. Dann stand es wieder auf und schritt auf die beiden zu. Rodrom betrachtete den Stab aus purem Carit, der Legierung des Ultimaten Stoffes, den der Besucher in seiner rechten Hand hielt. Knallend schlug er mit der Unterseite des mit einem Totenkopf verzierten Stabes auf den Boden. Mit der linken Hand griff er zu seiner Kapuze und legte sie nach hinten.

Das rote, haarlose Gesicht des Mannes zuckte vor Anspannung. Die gelbroten Augen schienen Funken zu versprühen. Rodrom musterte den Sohn des Chaos eingehend. Er starrte auf das Mal der drei sich kreuzenden Sechsen auf dem kahlen Schädel.

»Cau Thon, mein Sohn! Sei willkommen«, grüßte MODROR milde. »Berichte!«

Cau Thon kam zwei Schritte näher.

»Die Mordred ist einsatzbereit. Der Silberne Ritter Cauthon Despair wird seine Bestimmung erfüllen. Welch ironische Schicksalsfügung, dass die Mordred sich einer Sekte bediente, um die LONDON zu entführen«, berichtete Cau Thon.

MODROR forderte den Sohn des Chaos auf, fortzufahren. Thon kam dem Wunsch seines Meisters unverzüglich nach.

»Die Dorgonen werden uns unterstützen. Es existiert bereits Kontakt mit der Mordred. In wenigen Jahren wird sie zu großen Taten bereit sein. Alles entwickelt sich nach Eurem Plan, Meister«, beendete Cau Thon seinen Bericht.

MODROR begann zu erlöschen. Doch die beiden roten Gestalten hörten noch seine Stimme.

»Noch ahnen die Terraner nichts von ihrem Unheil. Rodroms Feldzug gegen dieses Schiff war ein unbedeutender Anfang. Große Ereignisse werden das Universum noch erschüttern!«

 

ENDE

 

Die LONDON ist untergegangen und hat 10.023 Wesen in den Tod gerissen. Doch der Mythos des Luxusraumschiffes lebt weiter. Denn knapp viereinhalb Jahre später läuft die LONDON II vom Stapel. Dieses Ereignis wird jedoch nicht überall bejubelt.

Band 9 wurde ebenfalls von Nils Hirseland verfasst und trägt den Titel:

DIE RACHE DES MASCANTEN

 

 

 

Kommentar

Nun ist der erste LONDON-Zyklus abgeschlossen, Perry Rhodan hat zwar auf Londons Grave überlebt, doch Tausende von Lebewesen mussten auf dem Wasserplaneten das Leben lassen.

Versuchen wir einmal, die vergangenen Bände zusammenzufassen:

Für Perry Rhodan wird die Jungfernfahrt des Kreuzfahrtschiffes LONDON, die er dazu benutzen wollte, den Somer Sam für Camelot zu gewinnen, zum Albtraum, er wird urplötzlich in eine kosmische Auseinandersetzung unbekannten Ausmaßes gezogen. In der Entität Rodrom hat er einen Gegner, der ihn anscheinend im Auftrag seines »Meisters« MORDROR umbringen soll. Warum oder wieso bleibt bis zum Ende unklar.

Doch Rodroms komplexer Plan scheitert zweimal, Rhodan findet in der Person Sato Ambushs einen alten Freund wieder, der längst als tot galt und auch auf der Wasserwelt, wo er wie alle Passagiere jämmerlich ersaufen sollte, wird er dank Gucky, Stewart Landry und Atlan zusammen mit den anderen Überlebenden gerettet. So gesehen hat Rodrom sein vorgegebenes Ziel nicht erreicht. Allerdings, das zeigen diverse Ankündigungen, haben die Auseinandersetzungen erst begonnen.

Jürgen Freier

 

 

Glossar

Die Chronik der LONDON

Von Jaaron Jargon (aus den späteren Chroniken der Kosmotarchen DORGON & MODROR)

Die LONDON war ein Luxusraumschiff der Kosmischen Hanse. Es wurde im Aussehen einem Seefahrtschiff nachempfunden. Mit einer Länge von 1.600 Metern, eine Breite von 554 Metern und einer Höhe von 787 Metern bot es über 15.000 Passagieren Platz und stellte eine Besatzung von 1.200 Männern und Frauen zur Verfügung. Die LONDON war die »Vision« des Hansesprechers Arno Gaton und sollte die finanziell angeschlagene Kosmische Hanse zu neuem Prestige in der Raumfahrt führen.

Das Luxusraumschiff lud zu einem Kreuzflug durch die Lokale Gruppe ein und lockte die Prominenz der Milchstraße an Bord.

05. Oktober 1285 NGZ

Auf der Raumwerft SUSSIX wird die LONDON vor 4.000 Gästen erstmalig präsentiert.

06. Oktober 1285 NGZ

Der Stapellauf und Jungfernflug der LONDON durch das Solsystem.

07. Oktober 1285 NGZ

Beginn der Reise durch die Lokale Gruppe mit 15.022 Passagieren und 1.200 Crewmitgliedern. Das Kommando auf der LONDON hat der 175jährige Plophoser James Holling. Zu den Gästen zählt die einflussreiche Familie der arkonidischen Orbanashols, des Somers Sruel Allok Mok (Sam) und sogar Perry Rhodan, der inkognito mitreist, um Sam für Camelot zu gewinnen.

08. Oktober 1285 NGZ

Die LONDON erreicht Gatas und nimmt weitere Passagiere auf.

Perry Rhodan wird von dem Sektenführer Dannos enttarnt. Rhodan gibt sich zu erkennen und beginnt offiziell die Verhandlungen mit Sam.

12. Oktober 1285 NGZ

Wyll Nordment hindert in der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober die verzweifelte Rosan Orbanashol an einem Selbstmordversuch bei einer Schleuse. Dabei wird zum ersten Mal ein fehlerhaftes Verhalten der Bordsyntronik registriert.

Vater Dannos ermordet Martha Wobbish, als diese nicht mehr am Kosmischen Plan der Kinder der Materiequelle teilhaben will.

Die LONDON erreicht am Mittag die Große Magellansche Wolke.

Nach einem handfesten Streit zwischen Wyll Nordment und Attakus Orbanashol um Rosan wird Nordment seines Postens als Erster Offizier der LONDON enthoben.

13. Oktober 1285 NGZ

Rosan Orbanashol wird von Tett Chowfor, ebenfalls ein Kind der Materiequelle, belästigt. Sie kann sich dank des Privatsekretärs der Orbanashols behaupten und demütigt Chowfor, indem sie ihn in einen Swimmingpool schubst.

15. Oktober

Die Kinder der Materiequelle entführen die LONDON. Die Söldner der Mordred nehmen die Kommandozentrale und den Maschinenraum ein. Da eine Bombe an Bord versteckt ist, bleibt der Schiffsführung nichts anderes übrig, als den Forderungen von Vater Dannos Folge zu leisten. Dannos will die LONDON, um mit ihr zu einer Materiequelle zu reisen, um dort selbst zu einer Materiequelle zu werden. Nur die Crew wird über die Entführung eingeweiht, sowie wenige Passagiere.

Während Wyll und Rosan feiern, wird Rosan erneut von Tett Chowfor belästigt. Als Wyll ihr zur Rettung kommt, greift Chowfor mit einem Vibratormesser Nordment an. Beim Kampf stirbt Chowfor. Rosan und Wyll informieren Holling und erhalten so Kenntnis über die Entführung. Auch Rhodan und Sam werden eingeweiht.

16. Oktober

Aus Rache an dem Tod von Tett Chowfor lässt Dannos von seinem Söldner Craig Anbol 10 unschuldige Passagiere ermorden.

22. Oktober

Das Kind der Materiequelle Dimytran informiert die Kosmische Hanse über die Entführung der LONDON und verspricht Beweise.

24. Oktober

Die LONDON ist weiterhin in der Hand der Entführer und befindet sich nahe Triangulum.

25. Oktober

Dimytran stellt eine Lösegeldforderung in Höhe von 150 Milliarden Galax an die Kosmische Hanse. Außerdem stellt er ein Ultimatum von 24 Stunden.

Der TLD wird informiert. Agent Stewart Landry stellt über den Chronisten Jaaron Jargon Kontakt zu Camelot her.

26. Oktober

Die Kosmische Hanse stimmt der Lösegeldforderung zu.

27. Oktober

Das Geld wird an Dimytran übergeben und auf einen CERES-Kreuzer verladen. Gucky und Stewart Landry schleichen sich ein. Der CERES-Kreuzer bricht Richtung UGCA-092 auf.

November 1285 NGZ

Die Passagiere und Besatzungsmitglieder der LONDON sollen nahe UGCA-092 auf einer verlassenen Station der Tefroder ausgesetzt werden. Allerdings ist das saggittonische Expeditions- und Schlachtraumschiff SAGRITON unter dem Kommando des saggittonischen Kanzlersohnes Aurec und des Admirals Dolphus auf die LONDON aufmerksam geworden. Als die SAGRITON von Dannos Söldnern beschossen wird, feuert die SAGRITON zurück und paralysiert die Galaktiker. Sie versetzen die Galaktiker in einen Tiefschlaf und bringen das Schiff als Beute und Forschungsgegenstand durch ein Sternenportal in die 19 Mio. Lichtjahre entfernte Galaxis Saggittor (M64).

14. November 1285 NGZ

Die SAGRITON erreicht mit der LONDON die Galaxis Saggittor.

15. November 1285 NGZ

Nachdem es Perry Rhodan gelungen ist, eine Freundschaft zu Aurec aufzubauen, können die Galaktiker und Saggittonen ihre anfänglichen Differenzen lösen. Die Galaktiker lernen mehr über die Saggittonen. Allerdings wird auch Rodrom – Inkarnation der Entität MODROR – auf Perry Rhodan aufmerksam, der sich auf einer Inspektionsreise in Saggittor befindet, um die geheime Basis des Hilfsvolkes der Kjollen zu inspizieren. Da die Mächte von MODROR bereits in der Lokalen Gruppe operieren, will Rodrom die Gunst der Stunde nutzen und eine Allianz zwischen Galaktikern und Saggittonen verhindern sowie Perry Rhodan töten.

16. November

Perry Rhodan und Aurec begutachten die geheimnisvolle Barriere im Zentrum der Galaxis Saggittor.

Zur gleichen Zeit trifft der CERES Kreuzer der Kinder der Materiequelle in der Kleingalaxie UGCA-092
ein und trifft dort auf ein Raumschiff der Organisation Mordred. Allerdings fehlt jede Spur von der LONDON.

17. November

Landry wird enttarnt, doch dank Gucky und den anrückenden Raumschiffen FREYJA und NORTH CAROLINA die beiden feindlichen Schiffe gestellt. Die Entführer ziehen es vor in den Selbstmord zu gehen.

Die Suchaktion nach der LONDON beginnt.

18. November

Die Kanzlerfamilie wird bis auf Aurec von Söldnern Rodroms ermordet. Admiral Dolphus gehört zu den Verschwörern, die Aurec und den Galaktikern die Schuld für den Mord in die Schuhe schieben.

Rodrom versetzt die LONDON durch eine Raumzeitfalte in das Jahr 1998 eines Paralleluniversums zur Erde. Dort werden Rhodan und seine Begleiter von Rodroms Söldner gejagt, können jedoch dank Sato Ambush entfliehen und kehren zurück in die Gegenwart des Normaluniversums. Sato Ambush, der offenbar von Hohen Mächten unterstützt wird, trifft auf ein Wesens mit dem Namen Alysker. Seine lange Odyssee in Pararealitäten und Paralleluniversum auf der Suche nach seinem Universum scheint vorbei, auch wenn er noch keinen Kontakt zu Perry Rhodan aufnehmen darf.

19. November

Aurec und Perry Rhodan beweisen ihre Unschuld vor dem Rat von Saggittor. Aurec wird nun offiziell Kanzler Saggittors.

21. November

Die Kanzlerfamilie Saggittors wird in einem großen Staatstrauerakt beigesetzt.

22. November – 24. November

Der Ursupator Dolphus stirbt, als ein Putschversuch gegen Aurec scheitert.

Der Kampf gegen die Kjollen im Zentrum der Barriere beginnt. Dank Alysker und Ambush haben die Saggittonen die Koordinaten eines Sternenportals im Zentrum von Saggittor erhalten. Die Kjollen werden geschlagen, die Barrierestationen vernichtet. Rodrom flieht und zerstört aus Rache das Heimatsystem der Kjollen.

29. November

Die LONDON verlässt Saggittor und beginnt ihre Rückreise.

08. Dezember 1285 NGZ

Die LONDON befindet sich noch etwas mehr als drei Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt.

09. Dezember 1285 NGZ

Rodrom manipuliert die ohnehin schon durch einen Virus der Mordred defekte Syntronik und befreit die Kinder der Materiequelle, um die Beiboote und Rettungsraumkapseln zu sabotieren.

Die LONDON tritt am Abend aus dem Hyperraum auf und macht in einem Sonnensystem mit einem Wasserplaneten Halt, um die Gravitrafspeicher aufzuladen. Dieser Zwischenstopp ist von Rodrom vorgesehen. Die WORDON wartet in dem System und greift um 23:19 Uhr die LONDON an. Das Luxusraumschiff wird schwer beschädigt und von der WORDON in die Umlaufbahn der Wasserwelt gezogen.

So stürzt die LONDON auf dem Planeten ab und macht gegen 23:40 Uhr eine Notlandung im Wasser. Der Wassereinbruch kann nach knapp 20 Minuten vorerst gestoppt werden, allerdings sterben rund 100 Galaktiker beim Aufprall und durch die ersten Fluten.

10. Dezember 1285 NGZ

Gegen 0:50 Uhr detonieren mehrere Sprengladungen von Rodrom, während die Evakuierung noch fast gar nicht stattfindet. Diverse Beiboote werden zerstört und somit nicht einmal mehr wassertauglich gemacht. Die Evakuierung beginnt nun nachdrücklicher.

Der Wassereinbruch kann bis etwa 2:40 Uhr bis zum Hangardeck gestoppt werden. Doch als die Energie für die Kraftfelder endgültig zusammenbricht und die Syntronik dank des Virus zerstört wird, kann der Untergang der LONDON nicht mehr aufgehalten werden.

Die Evakuierung verläuft teilweise chaotisch. Nicht alle Kapseln werden gefüllt und langsam bricht Panik aus. Gegen 04:00 Uhr morgens beginnt die LONDON schneller zu sinken. Um 04:17 Uhr hat das Wasser bereits die Kommandozentrale erreicht. Dort ertrinkt der Kapitän James Holling.

Die letzten Kapseln und umfunktionierten Rettungsboote werden zu Wasser gelassen, ehe die LONDON nun rasant sinkt.

Die Türme krachen zusammen und das Schiff bricht in der Mitte durch, da die Belastung durch die Triebwerke zu groß ist.

Um 04:28 Uhr war die LONDON komplett untergegangen.

Hunderte Überlebende müssen Stunden im Wasser ausharren und werden zur Beute von haiähnlichen Wasserkreaturen.

Gegen 06:25 Uhr erreichen die FREYJA und NORTH CAROLINA den Wasserplaneten und retten die Überlebenden. Im Wasser gelingt es Perry Rhodan, Wyll Nordment, Rosan Orbanashol und Sam zu überleben, ehe sie gerettet werden.

Insgesamt verlieren 10.023 Galaktiker ihr Leben bei der Katastrophe.

 

Beschreibung: C:\Users\Juergen\Documents\PROCeBook77x48.pngDas DORGON-Projekt – Mordred-Zyklus – ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.

Special-Edition Band 8, veröffentlicht am 5.4.2012 • Autor: Nils Hirseland • Titelillustration: John Buurman • Lektorat: Jürgen Freier und Jürgen Seel • Layout: Jürgen Seel • Internet: www.proc-community.de • E-Mail: info@proc-community.de • Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15 D-23730 Sierksdorf • Copyright © 1999-2012 • Alle Rechte vorbehalten