11.
Der Untergang

03:50 Uhr

Die LONDON befand sich mit dem Bug bereits unter Wasser. Es drohte nun auch die Kommandobrücke von den Fluten eingehüllt zu werden. Noch zehn Rettungskapseln standen zur Verfügung.

Attakus und Zhart hatten, während sie damit beschäftigt waren, Spector und Rosan zu suchen, ihre Passage verpasst. Schließlich entschloss sich Attakus nun doch zu fliehen. Er verzichtete nur ungern auf seinen kostbaren Besitz, doch sein Leben war ihm wichtiger. Er war sich sicher, dass er den Tod Rosans betrauern würde – für ein paar Tage oder gar Wochen. Doch dann würde er eine Neue finden. Eilig rannte er zum Ersten Offizier Rudocc, der die letzten Boote beaufsichtigte.

»Ich brauche einen Platz. Sofort«, forderte der Aristokrat.

Rudocc sah ihn erstaunt an.

»Ich hab dafür gezahlt!«, meinte Orbanashol leise.

Der Erste Offizier holte das Geld heraus und warf es dem Arkoniden ins Gesicht.

»Ich pfeife auf dein Geld, wir verrecken sowieso!«

Attakus starrte ihn verzweifelt an. Dann zückte Rudocc den Thermostrahler.

»Zurück von der Kapsel!«, befahl er.

Attakus hob die Hände und wich langsam zurück. Da Zhart packte ihn und zog ihn weg. Beide rannten zur anderen Seite des Schiffes, in der Hoffnung, dass sich dort noch Boote und kooperativere Offiziere befanden.

Die Kapsel wurde mit Passagieren gefüllt. Arno Gaton stand ruhig daneben und half einigen Leuten.

Für ihn war es das größte Desaster.

Er konnte sich nicht mehr herausreden. Sicher musste er in Terrania City Rede und Antwort stehen. Seinen Posten als Hansesprecher war er los. Zwei Entführungen und eine fehlerhafte Syntronik würden ihm angelastet werden. Das Vertrauen der Märkte in die Hanse aufgrund des enormen Verlustes war dahin.

Trotzdem war das für ihn kein Grund, auf der LONDON mit unterzugehen. Er verfügte immer noch über genügend finanzielle Mittel und mit den richtigen Anwälten konnte er mit einem blauen Auge davonkommen.

Als niemand mehr in die Kapsel stieg, schwang sich der Hansesprecher hinein. Jetzt wartete man auf das Zeichen von Rudocc. Gaton schloss die Augen und betete, dass Rudocc ihn gewähren ließ.

Dieser erblickte Gaton und zögerte eine Weile. Dann gab er den Befehl das Boot zu Wasser zu lassen.

 

4:10 Uhr

Perry Rhodan war zum Statisten degradiert. Er konnte nicht viel tun. Die LONDON ging unter und mit ihr starben viele Wesen. Daran konnte auch er nichts mehr ändern. Vielleicht musste er sogar selbst sterben. Dann hatte Rodrom sein Ziel erreicht.

Immerhin hatten die Haie ihre Attacken gegen die Rettungskapseln eingestellt. Nur vereinzelt griffen sie schwimmende Passagiere an. Rhodan machte sich um Sam Sorgen.

»Falls wir schwimmen müssen, dann sehe ich schwarz für dich. Es ist besser, du gehst in eines der Boote«, forderte Rhodan den Somer auf.

»Nein. Erst müssen alle Frauen und Kinder gerettet sein, bevor ich auf einer dieser Rettungskapseln gehe«, sagte er selbstlos.

Rhodan sah zum Himmel hoch, dann schlug er das Vogelwesen nieder. Er trug ihn zu einer der Kapseln und legte ihn in das Boot. Weder Rudocc noch Sparks hatten Einwände.

Rhodan sah sich um und entdeckte ein kleines Mädchen, das in der Ecke kauerte. Sofort nahm er es und setzte sie ins Boot. Dann wurde auch dieses zu Wasser gelassen.

Rhodan hatte Mühe, gerade zu stehen, während er in die Kommandostation ging. Das sprudelnde Wasser war wenige Meter von der Zentrale entfernt. Holling geisterte auf dem Nebenkorridor umher und sah sich um. Sparks war der einzige in der Zentrale.

»Irgendwelche Nachrichten empfangen?«, fragte Rhodan, obwohl er die Antwort bereits kannte.

Der Afroterraner schüttelte den Kopf.

»Nichts, Sir! Ich habe SOS-Sprüche auf hundert verschiedenen Frequenzen los geschickt. Wenn jemand halbwegs in der Nähe ist, muss er sie irgendwann empfangen.«

Rhodan seufzte. Das war eine vage Hoffnung. Wer wusste schon, dass sich die LONDON hier befand? Irgendwo im Leerraum vor Triangulum. Rhodan klopfte Sparks auf die Schulter. Das Raumschiff knirschte und knarrte dumpf.

»Du hast deine Pflicht getan. Rette dich, wenn möglich. Alles Gute!«

Sparks verstand und verließ die Zentrale. Rhodan warf einen letzten Blick auf James Holling. Innerlich verabschiedete er sich von dem Plophoser.

*

Die LONDON neigte sich immer mehr. Selbstlos spielte die Kapelle weiter. Die Kreuzfahrtmanagerin Terna Ambyl war für die Passagiere immer noch Ansprechpartner und versuchte sie zu den Rettungskapseln zu geleiten. Ein aussichtsloses Unterfangen.

Offizier Lichtern trat an die Terranerin heran.

»Terna, jetzt musst du auch gehen. Es ist noch Platz.«

Ambyl überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf.

»Im letzten Boot vielleicht. Ich helfe den Leuten noch, solange es geht.«

Lichtern war von dem Mut der Kreuzfahrtmanagerin beeindruckt. Er nahm sich daran ein Beispiel und spornte seine Männer an. Doch immer mehr drängelten sich vor. Lichtern gab ein paar Warnschüsse ab, damit sich die Wesen wieder beruhigten, doch es war sinnlos. Je mehr sich das Schiff neigte, je näher das Wasser vordrang, desto schlimmer wurde es. Welche Kuriosität, denn die Kapelle spielte immer noch. Es war ein Gleichnis mit vergangenen Tagen.

Als das Schiff immer schräger stand hörten sie mit einem modernen Lied auf.

»Ich glaube, wir haben unsere Pflicht erfüllt«, meinte einer.

Der andere schüttelte den Kopf. »Wo sollen wir denn noch hin? Spielen wir weiter.«

Er stimmte zu einem neuen, tragischen Lied an. Es war ein ferronisches Requiem. Das Lied vermischte sich mit den panischen Schreien der um ihr Leben kämpfenden Wesen. Die LONDON sank nun schneller. Sie hatte sich so tief in das Meer geneigt, dass die losen Gegenstände in das Wasser rutschten, die Passagiere und Crewmitglieder hatten Mühe zu stehen, die letzten Rettungskapseln glitten unausweichlich Richtung Wasser und die LONDON lag so tief im dunklen Ozean, dass die Kommandozentrale darin verschwand.

 

4:17 Uhr

James Holling ging auf die Kommandobrücke und schloss die Tür. Die LONDON ging weiter mit dem Bug voran unter. Die Wassermassen umschlossen die Brücke. Noch hielten die Fenster stand.

Der alte Plophoser stellte sich an die Navigationskontrollen und schloss mit dem Leben ab.

Das hatte er nicht gewollt. Er würde nicht als geachteter, glorreicher Kapitän in die Geschichte eingehen, sondern als der Kapitän des Todesschiffes LONDON.

Nun hatte er sein Wrack. Er folgte dem Beispiel unzähliger Vorgänger und starb auf seinem Raumschiff. Es war eine Ehre und eine Last zugleich. Holling dachte an seine Familie, seine Enkelkinder, die auf ihn warteten. Nie würde er sie wieder sehen.

Doch wie viele Kinder und Enkelkinder mussten hier auf diesem Schiff jetzt sterben? Das erfüllte ihn mit noch größerer Trauer. Es begann bedrohlich zu knarren. Holling hielt den Atem an.

Der Wasserdruck zerquetschte die Fenster und Türen und das Wasser strömte hinein und umschloss den Kommandanten der LONDON.

*

Überall drang nun Wasser ein. Auch die Sternenhalle, in dem der topsidische Botschafter Terek-Orn, der Jülziisch Türkalyl Öbbysun und der Springer-Patriarch Kolipot den letzten Schluck Vurguzz nahmen, wurde überflutet. Entsetzt, aber würdevoll sahen die drei den ankommenden Flutwellen entgegen und nahmen ihr Ende wortlos hin.

Eine gatasische Mutter, die kein Rettungsboot mehr erreichte, saß mit ihren drei Kindern in der Kabine auf dem Bett und erzählte ihnen eine Geschichte von der blauen, roten und gelben Kreatur, die sich darauf freuten, die drei bald zu sehen.

Alex Moindrew geisterte durch das Schiff und blieb in einer Lounge stehen. Er sah auf ein Chronometer und bemerkte, dass es nicht mehr richtig lief. Pedantisch stellte er die Zeit neu ein. Dann rutschte es vom Podest und fiel klirrend zu Boden. Er musste eingestehen, dass die LONDON kein perfektes Raumschiff war. Sie war nicht unzerstörbar. Dieser Rodrom hatte ihnen das bewiesen. Und sie bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Moindrew verlor den Halt und musste sich festhalten. Aus den Seitentüren quoll Wasser hervor und drückte den Ingenieur zu Boden. Moindrew startete keinen Versuch sich zu retten, schweigend nahm er seinen Tod hin.

Jakko Mathyl erreichte das vorletzte Rettungsboot. Er flehte Lichtern an, auf das Boot zu kommen.

»Bitte, bitte ... ich habe zuhause eine Frau und ein Kind. Ich will sie wieder sehen«, sagte der Banker weinerlich.

Lichtern blickte sich um und fragte, ob noch Frauen oder Kinder hier wären. Niemand meldete sich. Er sah Mathyl tief in die Augen, dann erlaubte er ihm auf die Kapsel zu gehen.

Der Unternehmer lachte schallend.

»Dafür dürfen ihre Hinterbliebenen ein kostenloses Konto bei unserer Galaxiskasse führen!« jubelte der Mann.

Die Rettungskapsel war bereits überfüllt. Mathyl war der letzte, der aufgenommen wurde. Hinter sich hörte Mathyl das Schluchzen von zwei epsalischen Kindern. Die beiden pummeligen Jungen saßen auf einer Bank und hielten sich gegenseitig.

Mathyl zögerte. Er sah in die entsetzen Augen der beiden. Er wollte sie mit sich nehmen. Doch der Platz reichte nur für einen von beiden. Sie waren einfach zu dick. Er konnte nur einen retten, es sei denn ...

Mathyl sah sich um. Er dachte an seine Familie. Dann dachte er an die Zukunft dieser beiden Epsaler. Zitternd nahm er beide an die Hand und setzte sie in die Rettungskapsel.

Lichtern beobachtete Mathyl mit wässrigen Augen. Dann nahm er Mathyls Arm und zog ihn sanft zurück. Anschließend gab er den Befehl, die Kapsel zu Wasser zu lassen.

Für Mathyl war nun kein Platz mehr. Weinend stand er an der Reling und sah, wie seine letzte Chance wegschwamm.

Er hatte in seinem ganzen Leben meist nur an sich gedacht, wie er wirtschaftliche Vorteile erringen konnte. Doch dieses eine Mal dachte er auch an das Glück anderer. Obwohl er ein skrupelloser Geschäftsmann war, wurde er doch in dieser Nacht ein Held.

*

Die LONDON stand nun schräg im Wasser. Der gesamte vordere Teil befand sich bereits unter der Meeresoberfläche.

Die Männer und Frauen versuchten schreiend, sich in das Heckteil vorzukämpfen. Das letzte Rettungsboot wurde förmlich gestürmt. Rudocc hatte große Mühe die Leute zurückzuhalten.

»Bleibt stehen oder ich schieße!«, schrie er.

Einer der Passagiere, ein junger Akone, ging nicht darauf ein und stieg in die Kapsel. Rudocc schoss zweimal auf ihn. Leblos brach der Mann zusammen.

Rudocc war über sich selbst entsetzt und ließ die Waffe fallen. Einige beschimpften ihn, andere nutzten die Gelegenheit um auf die Kapsel zu kommen. Das Wasser hatte das Deck bereits erreicht, so dass man es nicht einmal mehr per Antigrav herunterlassen musste.

Der erste Offizier blickte zu seinen Kollegen. Sparks und Lichtern holten die letzten beiden Not Boote ans Deck. Sie waren noch vor wenigen Minuten aus Möbelholz zusammengezimmert worden. Die Wesen stürzten sich panisch auf die rettenden Inseln. Die Fluten erreichten nun auch diesen Bereich. Einige rutschten durch die Schräglage ab, andere wurden von den Wellen einfach weggerissen.

Attakus hatte seinen Diener da Zhart in dem Tumult aus den Augen verloren. Letztlich scherte er sich sowieso nur um sein eigenes Leben. Er schaffte es, auch auf das Boot zu kommen.

Es fing jedoch bereits an zu wanken. Die Kapsel war viel zu überladen. Der junge Arkonide versuchte mit einem der provisorischen Ruder das Boot zu stabilisieren. Dabei stieß er eine alte Frau von der Kapsel. Sie fiel schreiend ins Wasser.

»Das hätte sich nicht mehr gelohnt, Oma«, rief er ihr hinterher. Sein Plan ging auf. Die Kapsel trieb langsam vom sinkenden Schiff weg. Attakus wähnte sich in Sicherheit.

Das Heck der LONDON ragte noch etliche Meter aus dem Wasser. Zu etwa einem Drittel war das Raumschiff bereits untergegangen. Doch nun begann es immer schneller und schneller zu sinken.

Ulryk Wakkner lief schreiend umher und versuchte sich irgendwo festzuhalten, doch das Wasser zog den Banker mit sich. Das gläserne Dach der Sternenhalle brach auseinander. Tausende über tausende Liter an Wasser strömten von oben und unten hindurch. Die Hologramme waren erloschen, die Kunstschätze wurden in einen Strudel gezogen, der sich in der Mitte der Halle auftat. Das Wasser drückte die armen Seelen in die Mitte der Sternenhalle, wo sie durch den Strudel in die Tiefe gezogen wurden. Kolipot, Terek-Orn und Türkalyl Öbbysun konnten sich nicht mehr am Hauptspeisesaal halten und wurden vom Wasser in ihr tödliches Schicksal gerissen.

Die Musikanten der Kapelle wurden von den Wellen erfasst und durch die zerplatzten Fenster gedrückt. Terna Ambyl versuchte zum letzten Boot zu gelangen.

Lichtern hielt nach ihr Ausschau und rief ihr zu. Ulryk Wakkner erspähte auch die letzten Notboote. Er schwamm nun direkt vor der ersten Trägersäule der zersprengten Glaskuppel und versuchte wieder ein Geländer zu erreichen.

Etwa fünfzig Meter schräg davon hatte Attakus das Rettungsboot unter Kontrolle gebracht. Jakko Mathyl schwamm dorthin. Voller Hoffnung griff er nach dem Boot und rief Attakus Namen.

»Weg hier!«, brüllte der Arkonide, doch Mathyl hörte nicht. Er erreichte den Rand des Bootes und wollte sich hochziehen.

»Hilf mir! Ich will nach Hause!«

Attakus nahm das provisorische Ruder und schlug es Mathyl auf den Schädel. Der ließ sofort los und wurde von der Strömung weggetrieben.

»Ich glaube, du bist auf dem richtigen Weg«, murmelte Attakus und stieß jeden vom Boot weg, der es wagte, danach zu greifen.

Die Schräglage belastete die Statik eines der Türme. Mit einem großen Quietschen und einem hohlen, düsteren Dröhnen brach der mittlere Turm durch und fiel mit einem tosenden Donnern ins Wasser.

Ulryk Wakkner schrie kurz auf, dann wurde er von dem riesigen Gewicht erdrückt, wie viele andere auch, die davor schwammen. Die Welle spülte einige Dutzend Galaktiker vom Schiff. Darunter auch Rudocc. Er versuchte sich vergeblich an einem Geländer festzuhalten. Die Welle war stärker und hielt ihn unter Wasser, bis er keine Luft mehr bekam und das Wasser in seine Lunge eindrang.

Sparks erging es auf der anderen Seite nicht besser. Er konnte nur knapp der Wasserwelle entkommen und kletterte nun in Richtung Heck. Die Welle erfasste auch Terna Ambyl. Sie wurde gegen die Außenwand des Decks geschoben und regelrecht zerquetscht. Das zweite Notboot kenterte. Lichtern konnte sich mit aller Mühe am Boot festhalten.

Inzwischen war totale Panik ausgebrochen. Die Menschen und Wesen schrien um Hilfe, doch niemand konnte ihnen mehr helfen. Das Ende war nur noch eine Sache von wenigen Minuten.

Vater Dannos und seine Kinder der Materiequelle hatten sich im Hinterdeck versammelt. Sie saßen um ihren Guru herum und beteten.

»Meine Kinder, wie der rote Gott es sagte, werden wir in ihm aufgehen und so den Weg zu einer Entität schaffen«, faselte der Guru.

Stellara Chowfor sah ein terranisches Kind, das ins Wasser rutschte und laut schrie. Sie fing an zu weinen. Die Terranerin hatte sich noch eine Flasche Vurguzz mitgenommen, um das Ende besser ertragen zu können.

Die Wut stieg plötzlich in ihr hoch.

»Du Schwein!«, fing sie an Dannos anzubrüllen. »Du hattest gesagt, den Kindern passiert nichts.«

Sie zeigte auf das ertrinkende Kind.

Dannos schüttelte den Kopf.

»Nein«, stammelte er.

»Das verstehe ich nicht. Er sagte doch, dass ... Stellara ... das Kind geht kosmischer Harmonie!«

Doch Chowfor glaubte ihrem Meister nicht mehr. Sie zog den Strahler, den sie sich heimlich geholt hatte, und schoss fünfmal auf Dannos. Die Strahlen durchbohrten ihn. In seinem Gesicht stand großes Erstaunen, dann fiel er nach hinten. Sein lebloser Körper schien endlos lange zu fallen, prallte gegen die Unterlichttriebwerke und von dort aus ins Wasser.

Der Vater der Kinder der Materiequelle war tot. Sein perfekter Plan war nun endgültig gescheitert. Nun brach Panik unter den Jüngern des Dannos aus. Sie rannten nach hinten. Stellara stolperte und rutschte das Deck hinunter ins Wasser.

Die LONDON war inzwischen zur mehr als die Hälfte gesunken. Sie stand schräg über dem Wasser. Das Heck war bereits ein- bis zweihundert Meter über der Wasseroberfläche. Noch etwa 600 Meter ragten aus dem Meer heraus.

Immer wieder sprangen verzweifelte Menschen ins Wasser. Sie prasselten wie reifes Obst vom Heck der LONDON herunter. Wer es überlebte, erreichte die Kapseln meist nicht.

Wieder wurden die Raubfische aktiv. Sie packten sich ab und zu einen Passagier und zerrissen ihn.

*

Rosan und Wyll hatten es inzwischen auch auf das Deck geschafft. Sie kämpften sich durch die schreienden Massen langsam zum Heck durch.

Sie stiegen über einen Eingang und sprangen herunter. Rosan fiel zu Boden und verlor den Blickkontakt mit Wyll.

»Wyll? Wyll?«, schrie sie. Sie hatte inzwischen große Angst, dass das alles kein gutes Ende für sie nehmen würde.

Dann packte sie eine Hand. Zu ihrer Erleichterung war es Wylls. Er rannte mit ihr weiter in Richtung Schiffsende.

Dann ein großes Aufschreien, als die Beleuchtung ausfiel. Man hörte einige Explosionen.

Unbeirrt kämpften sie sich trotzdem durch.

Vor ihnen stand ein terranischer Priester, der zum letzten Gebet aufrief. Vor ihm knieten etliche Wesen – nicht nur Terraner. Sie hofften auf ihre Absolution, auf Vergebung für ihre Sünden. Andere wollten vorbereitet in den Tod gehen.

Auf dem Weg zum hinteren Geländer trafen Wyll und Rosan auf Shel Norkat. Sie war völlig verzweifelt.

»Wäre ich doch bloß bei Aurec geblieben«, schrie sie.

Rosan versuchte sie mitzuziehen, doch Shel riss sich los und taumelte in die andere Richtung.

Früher war die Sternenhalle der Mittelpunkt des Schiffes gewesen, das Zentrum der Aktivitäten und des Lebens. Jetzt war sie mit Wasser geflutet und leblose Körper von Männern und Frauen schwammen darin.

Vielleicht knapp 500 Meter ragten noch aus dem Wasser. Viele Menschen rutschten das Deck hinunter, weil es so steil war. Sie schlugen gegen offene Türen oder Ausbuchtungen.

Rosan und Wyll hatten sich bis zum Unterlichttriebwerk durchgekämpft. Alle Überlebenden strömten dorthin, denn es war im wahrsten Sinne des Wortes, das Ende der LONDON. Andere hatten sich auf dem »Rücken« des C-Turms versammelt.

Beim Triebwerk war auch Perry Rhodan. Er hatte versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen, doch diesmal war der Unsterbliche machtlos. Er hatte sich hinter ein Geländer gestellt und hielt daran fest.

Wyll und Rosan folgten seinem Beispiel. Wyll stieg rüber, doch Rosan schafft es nicht ganz. Sie klammerte sich von der anderen Seite an das Geländer.

Neben sich sah sie Jakko Mathyl mit einer klaffenden Kopfwunde, der auch hinter dem Geländer stand.

Einige andere Leute sprangen einfach in das Wasser. Manche fielen auf die Triebwerke und wurden zerschmettert. Andere überlebten den Aufprall ins Wasser nicht.

Nichts konnte sie mehr retten. Die Angst und Verzweiflung stand allen ins Gesicht geschrieben.

Die Rettungskapseln waren inzwischen etwa 500 bis 1.500 Meter vom Geschehen entfernt. Damit hatten sie eine einigermaßen sichere Entfernung erreicht.

Die LONDON ragte hoch und düster aus dem Wasser. Die Lichter und die Musik waren erloschen. Man hörte noch das Schreien und Weinen der Menschen an Bord. Dumpfe Aufschläge von Körpern auf Metall!

Arno Gaton lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Sam war inzwischen wieder zu Bewusstsein gekommen. Er verfluchte Perry Rhodan, dass er ihn niedergeschlagen hatte. Neben sich erkannte er den Ortungsleiter Spechdt, der die Verantwortung für die Kapsel trug.

Sam starrte zur LONDON und wünschte Perry Rhodan alles erdenkliche Glück. Er betete für die Wesen an Bord der LONDON. Er betete für ihre Seelen und für ihre schnelle Erlösung. Er hoffte, dass es einige noch schaffen würden. Besonders Perry Rhodan ...

*

Zhart hielt sich am Geländer fest und versuchte nach oben zu klettern. Neben ihm bemerkte er Mugabe Sparks, der das Gleiche versuchte.

Doch es waren noch etwa 500 Meter bis zur Triebwerkssektion der LONDON. Zhart befand sich auf Höhe des eingestürzten zweiten Turmes des Schiffes. In diesem Moment verfluchte er seinen Schützling Attakus. Wäre dieser Narr nicht ständig Rosan hinterher gerannt, hätte da Zhart eine Überlebenschance gehabt. Nun waren alle Boote weg. Nur ein Wunder konnte ihn noch retten. Der Arkonide glaubte ein Knarren und Explosionen aus dem Schiffsinneren zu hören.

Einige Generatoren explodierten und sprengten mehrere Risse quer durch die LONDON. Das vordere Teil konnte dadurch nicht mehr die restlichen 500 Meter des Hinterteils und die schweren Triebwerke tragen. Es brach in der Mitte hindurch. Sparks schrie auf und versuchte sich irgendwo festzuhalten, Zhart wollte sich am Geländer hochziehen, rutschte jedoch ab und fiel durch den Riss und in den Tod.

Das hintere Teil der LONDON fiel wieder zurück ins Wasser und schlug auf. Die Menschen schrien während des Falls.

Rosan schloss die Augen und hielt sich fest. In ihr stieg ein flaues Magengefühl hoch. Ihr wurde übel durch den tiefen, raschen Fall. Sie hörte das Aufschlagen einiger Körper. Dann öffnete sie die Augen und sah zu Wyll. Er hatte den Aufschlag, wie auch Perry Rhodan, überlebt. Beide halfen nun Rosan hinter das Geländer.

Der abgetrennte vordere Teil ging unter. Der restliche Teil füllte sich erst langsam mit Wasser, dann stieg er höher und höher.

Die restlichen 400 Meter des Schiffes bäumten sich horizontal auf, bis es nahezu senkrecht in der Luft stehen blieb.

Rhodan stützte sich mit aller Kraft am Geländer ab, um nicht über dieses in die Tiefe zu stürzen.

Rosan blickte auf die Menschen, die am Geländer hingen. Sie erkannte Shel Norkat, die mit weit aufgerissenen Augen an einem Eingang hing. Sie hatte sichtlich Mühe sich festzuhalten und glitt langsam ab, bis sie völlig abrutschte und hinunterfiel. Sie prallte gegen eine Antenne, die durchbrach. Dann fiel sie weitere 400 Meter in die Tiefe.

Zitternd blickte Rosan Mathyl an, der schweigend zurückblickte. Jeder wusste, dass das Ende gekommen auf.

Rhodan atmete tief durch. Der Moment schien Ewigkeiten zu dauern. Das Ende der LONDON stand kurz bevor. Doch das Schicksal spielte noch einen sadistischen Streich, indem es das Ende weiter verzögerte.

Rhodan erkannte das unithische und terranische Kind. Beide wurden von einer Frau umarmt. Sie sahen kurz zum Unsterblichen hoch. In den Augen standen Trauer und Leid.

»Es ist gleich vorbei«, flüsterte sie den weinenden Kindern zu.

Aus Perry Rhodans Augenhöhlen flossen Tränen. Diese Kinder mussten jetzt sterben. Warum und wofür? Ihnen wurde alles genommen. Sie hatten nie die Chance gehabt, das Leben kennen zu lernen. Sie konnten sich niemals verlieben, niemals Kinder bekommen, niemals ihren Wünschen nachkommen. Rhodan verfluchte Rodrom und hasste ihn für diese Tat.

Einige weitere Lebewesen fielen in die Tiefe.

Rhodan riss sich wieder zusammen.

»Rosan, Wyll! Ihr beide dürft erst loslassen, wenn die LONDON im Wasser ist«, sagte er schnell. »Dann versucht so schnell wie möglich wieder nach oben zu kommen, bevor der Sog euch herunterzieht. Kurz bevor das Wasser das Geländer erreicht, Luft holen!«

Dann ging ein Ruck durch die LONDON. Ein Aufschreien. Das Ende kam jetzt. Die LONDON fing weiter an zu sinken. Langsam aber unaufhaltsam kam das Wasser Meter um Meter näher.

»Oh Gott, oh Gott. Ich will noch nicht sterben!«, kreischte Rosan.

Wyll nahm ihre Hand. »Du hast gehört, was Perry sagte. Luft holen, wenn ich es sage.«

Beide zitterten vor Angst. Rhodan sah dem Wasser entgegen. Es war noch 200 Meter entfernt, 100 Meter, 50 Meter, 25 Meter. Die Menschen wurden hinuntergerissen und verschwanden in dem dunklen Nass.

Dann erreichte das Wasser das Geländer.

»Luft holen!«, befahl Rhodan.

Die drei hielten fast gleichzeitig die Luft an. Das Geländer wurde überspült. Die Triebwerke waren das Letzte, was noch den Himmel erblickte, dann verschwanden auch diese, zusammen mit dem Hypertrop-Zapfer und der Flagge der Kosmischen Hanse im Wasser.

Die LONDON war untergegangen und riss mehr als zehntausend Wesen mit in den Tod. Das Drama war jedoch noch nicht zu Ende. Die LONDON aber glitt um 4:28 Uhr langsam in die Tiefe des Ozeans hinab zu ihrem Grab …