6.
Schicksalhafte Momente

Ich sagte doch, es gibt kein Entrinnen. Die WORDON hat kompromisslos zugeschlagen. Knapp 100 von euch sind schon tot, doch diese hatten noch den angenehmsten Tod. Was euch nun erwartet, ist ein langsames Ende.

Bereitet euch darauf vor.

 

23:55 Uhr

Es herrschte helle Aufregung auf der Brücke und auch überall sonst auf dem Raumschiff. Zuerst galt es eine Schadensanalyse vorzunehmen. 27 Personen meldeten sich über Interkom. Es war die Gruppe um Doktor Tablot. Sie waren bei den Mannschaftsdecks eingeschlossen. Sie meldeten, dass Wasser überall eindrang.

Jegliche Hilfe kam zu spät. Mit trauriger Miene mussten James Holling und seine Brückenbesatzung die Todesschreie über Interkom verfolgen. Diese Sektion war wegen Bränden und Überflutungen nicht mehr zu erreichen. Die Transmitterstationen waren zerstört und das Wasser drang schnell vor.

Jegliche Hilfe kam zu spät. Horst Tablot und die sechsundzwanzig anderen Lebewesen starben. Holling kannte nur noch die Familie des hochrangigen, arkonidischen Mascanten Prothon da Mindros. Seine Frau Terza und die beiden Kinder Carba und Esrana gehörten zu den Opfern, die gerade ertranken.

 

10. Dezember, 00:45 Uhr

Die Lage an Bord hatte sich knapp eine Stunde nach dem Aufprall wieder etwas beruhigt. Die Passagiere waren entweder in ihren Kabinen oder in den Restaurants. Gaton wies die Kapellen an, heitere Musik zu spielen. Die Freizeitanimateure sollten ihre besten Stücke vorführen, damit bei den Passagieren keine Unruhe entstand.

Sam führte mit etlichen Leuten Gespräche und wirkte auf diese Weise ebenfalls beruhigend auf die unsicheren Reisenden. Die Crew arbeitete auf Hochtouren. Man versuchte die Schäden an der Außenhülle irgendwie zu beheben. Doch die Einschusslecks waren in der unteren Sektion knapp oberhalb der Bauchflosse weit verteilt und zogen sich quer durch die LONDON.

Holling wies Sparks an, unentwegt Hilferufe zu senden.

»Wir sind zu weit von Pinwheel entfernt. Das ist hoffnungslos«, meinte der Cheffunker Sparks, wiederholte den Hilferuf jedoch immer wieder und wieder.

Die Medoroboter verarzteten die Verwundeten und machten nun insgesamt 78 Tote ausfindig. Dazu kamen die 27 eingeschlossenen Opfer in den unteren Etagen, die bei der Besichtigungstour ertrunken waren. Darunter auch der Bordarzt Tablot und die arkonidische Familie da Mindros, Terza und ihre beiden Kinder Carba und Esrana.

Weitere Droiden säuberten das Schiff und stellten die Inneneinrichtung wieder her. Die unzähligen Glasscherben, von denen manche bis zu vier Meter lang waren, mussten ebenfalls vom Deck entfernt werden.

Nordment, Rudocc, Lichtern und Gellar hatten unterdessen die Rettungskapseln untersucht. Alle Kapseln waren fluguntüchtig gemacht worden. Dasselbe galt für die Seruns.

*

Nordment kehrte mit den anderen zurück. Sie nahmen den Weg über die Außendecks. Die frische, klare Luft des Planeten war gut zu atmen. Scheinwerfer waren auf das Wasser gerichtet. Einige Passagiere standen an den Geländern und zeigten immer wieder auf die See. Nordment fand den Sicherheitschef Bogo Prollig.

»Was ist los?«, fragte Nordment und deutete auf die aufgeregten Passagiere.

»Im Wasser befinden sich Kreaturen«, erklärte der Epsaler und zeigte Nordment die Ergebnisse auf dem Display seines Scanners. Ein dreidimensionales Abbild eines Wesens wurde abgebildet. Nordment fand Ähnlichkeit zu einem Hai. Neben den typischen Merkmalen wie Flossen, Kiemen und Körperverlauf hatten diese Haiwesen jedoch je ein Tentakelpaar vorne und hinten. Am Bauch und auf dem Rücken, knapp vor der Rückenflosse erkannte Nordment ein großes Loch, ähnlich wie bei einem Wal. Vermutlich wurde hier Wasser ausgestoßen oder Luft eingeatmet.

Terek-Orn, Kolipot und Spector Orbanashol drängten sich unsanft an Wyll vorbei. Sie trugen Waffen. Orbanashol legte an und zielte auf das Wasser. Dann feuerte er. Kolipot und Terek-Orn taten es ihm nach.

»Habe einen erwischt«, freute sich der Springer.

Nordment schüttelte nur den Kopf.

»Das solltest du unterbinden, Bogo!«

»Du hast mir gar nichts zu sagen, Zivilist! Lass den Passagieren ihren Spaß und kümmere dich um deinen eigenen Kram. Nun hau ab!«

Während Rudocc und Lichtern bereits den Weg zur Kommandostation weiter gegangen waren, wartete High Gellar auf Nordment.

»Nun komm schon, wir haben wichtigeres zu tun«, drängte er.

Nordment atmete tief durch und folgte schließlich dem Aufruf des jungen Terraners. Sie erreichten wenig später die Brücke, wo Arno Gaton bereits tobte.

»Sabotage! Doch wer hat so etwas Grausames getan?«

Rhodan ahnte Übles. »Überprüft bitte, ob Dannos und seine Kinder der Materiequelle noch in ihren Zellen sind.«

Rhodans Rat wurde sofort Folge geleistet. Jedoch befanden sich die Kinder der Materiequelle in ihren Zellen. Rhodan war über diese Tatsache überrascht. Nun wusste er auch nicht, wer dafür verantwortlich war.

Der Zellaktivatorträger setzte sich kurz in den Kommandostuhl. Holling sagte nichts. Es wäre auch unpassend gewesen, sich jetzt über Sitzplätze und Kompetenzen zu streiten.

Rhodan stierte auf sein Chronometer und beobachtete, wie die Sekunden vergingen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als zu warten. Die LONDON konnte unmöglich mehr starten. Moindrew musste eine der Space-Jets wieder flugtüchtig bekommen. Die Space-Jet konnte Hilfe holen – rechtzeitig.

*

Moindrew kauerte im Maschinenraum der Space-Jet und fluchte vor sich hin. Die Saboteure hatten ganze Arbeit geleistet und wussten, wie man ein Raumschiff fluguntüchtig machte.

»Hier spricht deine Bordsyntronik. Deine Versuche sind zwecklos. Ich aktiviere nun den Befehl 567-B und wünsche ein angenehmes Ende.«

»Was zum Teufel?«, zischte Moindrew.

Er aktivierte seinen tragbaren Computer und wollte Zugriff auf die Syntronik erhalten. Vergeblich!

Ein kleiner Ruck durchfuhr das Schiff und ließ Moindrew hochschrecken. Er stieg aus der Space-Jet aus, da hörte er ein gewaltiges Donnern. Die Tür zum zweiten Hangarraum wölbte sich nach außen. Moindrew rief die Wartungscrew im zweiten Hangar, doch niemand antwortete. Weitere Erschütterungen suchten die LONDON heim. Sie kamen aus dem Inneren des Raumschiffes.

Moindrew stellte eine Verbindung zu seinen Kontrollen im Maschinenraum her. Mehrere Explosionen hatten den Oberbereich der Bauchflosse bis zum Hangar durchzogen.

»Hier spricht der Kommandant, was ist los?«, schnarrte es aus dem Interkom.

»Explosionen. Ich muss mir das ansehen«, gab Moindrew knapp zurück. Er konnte nicht glauben, was jetzt passierte. Hastig sprang er in den Transmitter und rematerialisierte zehn Decks tiefer. Zuerst spürte er die unangenehme Kälte an seinen Füßen, denn er stand Knöcheltief im Wasser.

»Wassereinbruch in den unteren Decks«, gab er an die Brücke durch.

Ein Jülziisch kam ihm entgegen. Das Crewmitglied war für die Reparaturen in den unteren Bereich verantwortlich.

»Überall Explosionen. Die Schotten zerstört. Schirme ausgefallen«, kreischte der vieräugige Galaktiker und wedelte mit den sechsgliedrigen Händen. Da donnerte die nächste Detonation ein Loch in die Wand. Der Blue wurde regelrecht zerquetscht. Moindrew wich vor den Flammen zurück und rannte zum Transmitter. Das Feuer erlosch und eine Wasserwelle rollte auf ihn zu. Bevor sie ihn erreichte, befand er sich auf der Kommandostation und ging in die Knie.

»Was ist passiert?«, wollte James Holling wissen.

Alex Moindrew blickte seinen Kapitän ernst an.

»Ich fürchte, der Untergang der LONDON wurde soeben eingeleitet.«

*

Alex Moindrew war kreidebleich. Er erhob sich und stellte sich an die Kontrollen.

»Die Hauptsyntronik hat sich verabschiedet. Die unabhängigen Nebenrechner arbeiten. Ich mache eine Schadensanalyse«, erklärte der Maschinenchef.

Die LONDON wurde dreidimensional dargestellt. Dort, wo die WORDON bereits Hüllenbrüche verursacht hatte, waren durch weitere Explosionen diverse Schotten vernichtet worden. Eine Explosion hatte großen Schaden im zweiten Hangar angerichtet. Roboter waren bereits mit der Löschung beschäftigt. Doch weitaus schlimmer war, dass die Syntronik die Schutzschirme und Prallfelder vor den Lecks abgeschaltet hatte. In Kombination mit den Explosionen strömte nun ungehindert Wasser in mehrere Bereiche der unteren Sektionen des Raumschiffes.

»Sprengsätze! Es wurden diverse weitere Risse in die Hülle und in die LONDON gesprengt. Schleusen sind vernichtet worden. Das … das können wir nicht reparieren … die Energie für Prallfelder und Schutzschirme. Die Leitungen … vernichtet«, schloss Moindrew den finsteren Bericht.

»Was bedeutet das?«, wollte Gaton wissen.

»Die LONDON wird sinken.«

»Aber das ist doch Humbug. Die LONDON ist ein Raumschiff und aus bestem Ynkonit. Die kann doch nicht sinken. Das geht doch nicht!«, kreischte der Hansesprecher.

Rhodan atmete tief durch. Rodrom steckte dahinter. Er musste einen Weg gefunden haben, in aller Stille, die LONDON mit Sprengsätzen zu versehen und die Beiboote zu sabotieren.

Rodrom hatte sich alle Mühe gegeben, damit sie chancenlos waren.

Moindrew hatte sich wieder gefasst. »Meine Herren. In etwa drei bis vier Stunden wird die LONDON mit dem Bug voran auf den Meeresboden dieses Planeten liegen. Die Energieleitungen kann ich nicht mehr stabilisieren. Nichts kann das Ende aufhalten. Von nun an wird die LONDON untergehen!«

 

01:20 Uhr

Der Schock saß tief. Verzweifelt suchten die Brückenoffiziere nach einer Möglichkeit, den Untergang aufzuhalten.

»Und wenn wir einfach ab dem ersten intakten Deck die Zugänge versiegeln?«, fragte Rudocc.

Gaton schlug erfreut in die Hände.

»Genau! Schließlich ist das ein Raumschiff. Es muss doch für solche Notfälle konstruiert worden sein. Ob nun Wasser oder Vakuum ist doch egal.«

Moindrew schlug mit der Faust auf die Kontrollen.

»Die LONDON ist aber kein gewöhnliches Raumschiff. Du wolltest doch, dass wir weiche Teile einbauen auf Kosten der Sicherheit. Holztüren, Glastüren – damit die Passagiere es nicht so steril haben. Das sind potenzielle Sicherheitslücken. Ohne Energie können wir die Sektionen nicht vor dem Wasser abschirmen. Steigt es bis in den Passagierbereich, zieht das Gewicht die LONDON tiefer. Das Wasser schwappt über die kaputte Glaskuppel und dann ist alles verloren!«

Moindrew raufte sich die Haare. Perry Rhodan merkte, dass der Chefingenieur psychisch am Ende war. Rhodan musste die Ruhe bewahren.

»Wir müssen es trotzdem versuchen«, warf er ein. »Das Hangardeck ist der Dreh- und Angelpunkt. Wir brauchen die Beiboote. Versucht diese Etage zu versiegeln und dort den Wassereinbruch zu stoppen«, schlug Rhodan vor.

»Auf 1.600 Meter Länge? Unmöglich«, rief Moindrew.

»Versucht es!«, antwortete Rhodan streng.

»Können wir nicht einzelne Sektionen abschirmen? Das ist ein Raumschiff. Das muss dem Wasserdruck doch standhalten. Wir müssten doch auch Unterwasser genügend Luft und Schutz haben«, warf Sam ein.

Moindrew schüttelte den Kopf.

»Nicht ohne die Hauptsyntronik. Wir haben keine Energie mehr zur Luftgewinnung. Die Leute würden irgendwann ersticken. Es ist …«

Rhodan unterbrach Moindrew mit einer Handbewegung und befahl ihm, jetzt zum Hangardeck zu gehen. Die Beiboote hatten oberste Priorität. Rhodan wusste, dass Rodrom an alles gedacht hatte. Durch die Selbstabschaltung der Syntronik und dadurch dem Großteil der Energieversorgung würden sie das Unvermeidliche nicht aufhalten können, allenfalls hinauszögern, wenn es ihnen gelang, die Lebenserhaltungssysteme zu reparieren.

Die Crew schien Rhodan völlig überfordert zu sein. Der Vergleich mit Bert Hefrich war vielleicht zu euphorisch gewesen. Das war nicht die Besatzung der CREST II, sondern eine zivile Crew, die ohnehin schon durch die Abenteuer zerrüttet war.

»Also gut, meine Herren. Die Space-Jets und Rettungskapseln können schwimmen. Wir lassen sie zu Wasser und evakuieren die Passagiere darauf.«

Holling, Gaton, Rudocc und die anderen sahen Rhodan entgeistert an. Sam ergriff als erstes das Wort.

»Das sinkende Schiff hat immerhin seine Rettungsboote. Löschen Sie den Brand im Hangar, machen Sie eine Schadensanalyse und beginnen die Kapseln seefest zu machen. Ein drittes Team muss versuchen, die Energieversorgung stabiler zu machen. Jede Minute mit einem Schutzschirm und jeglicher Einsatz von Antigravs hilft uns.«

Schweigen. Sam starrte verdutzt zu Rhodan, der ebenso irritiert über die Passivität der Brückencrew war. James Holling nickte zaghaft.

»Ja … ja, so machen wir das. Erster Offizier, du kümmerst dich zusammen mit Lichtern um die Kapseln. Maskott und Spechdt versuchen die Energieversorgung zu stabilisieren und Sparks funkt weiter …«

Holling verließ mit schlurfendem Schritt die Brücke.

»Nun habe ich doch noch mein Wrack«, hörte sie den Plophoser murmeln.