10.
Unzertrennliche Liebe

3:20 Uhr

Rosan irrte durch die leeren Korridore. Sie starrte auf das Pad, welches einen Lageplan der LONDON zeigte. Der Sicherheitsbereich befand sich nahe den Mannschaftsquartieren. Diese waren jedoch schon unter Wasser, sowie Teile von dem Hangar. Es war gut möglich, dass Wyll bereits ertrunken war, doch sie wollte das nicht wahrhaben. Sie musste es versuchen. Rosan lief einen Umweg, da immer wieder Sektionen bereits unter Wasser waren.

Endlich fand sie eine Treppe, die nicht unter Wasser stand. Sie rannte diese Treppe herunter und platschte mit den Füßen in das kalte Wasser. Von überall her strömte es in den Gang. Es war erst knöcheltief, doch dieser Umstand würde sich bald ändern. Rosan rannte weiter und ignorierte die kühle Temperatur des Wassers.

»Wyll!«, rief sie. Doch keine Antwort. Sie rief seinen Namen ständig, immer lauter.

Ein Jülziisch, der Steward auf der LONDON war, rannte an ihr vorbei. Sie packte ihn am Arm und zog ihn zu sich.

»Hilf mir, wo ist der Inhaftierungsblock?«

»Bei allen Kreaturen des Wassers, ich muss weg ... muss weg, weg, weg!«, stammelte der Gataser aufgeregt. Er beachtete Rosan nicht mehr und torkelte durch den Gang.

Rosan ging eine weitere Treppe herunter, über dieser stand »Inhaftierungsblock«. Das Wasser ging ihr inzwischen bis zu den Hüften. Es war ziemlich frisch, jedoch nicht eiskalt. Sie schrie kurz auf, bevor sich ihr Körper akklimatisierte.

Auf dem Weg traf sie einen Maahk, der ruhig durch das Wasser watete.

»Hast du einen jungen Terraner hier gesehen?«

Rosan war verzweifelt. Die Tränen standen ihr in den Augen.

»Ich habe viele junge Terraner auf diesem Schiff gesehen. Bitte definiere deine Beschreibung«, erwiderte der Methanatmer kühl.

Rosan verdrehte die Augen. »Bitte hilf mir, ihn zu suchen. Er ist hier irgendwo gefangen, ich muss ihn retten.«

Der Maahk machte eine ablehnende Geste. »Unlogisch. Männer dürfen sowieso nicht auf die Rettungskapseln, also wird er so oder so sterben. Ob früher oder später spielt keine Rolle.«

»Arschloch!«, entgegnete die Halbarkonidin wütend und watete weiter durch das Wasser. Der Maahk schaute ihr verständnislos mit seinen vier Augen durch den Glashelm hinterher.

Sie bahnte sich ihren Weg durch den Gang und rief wieder nach ihrem Geliebten. Das Licht fiel aus. Erschrocken stoppte Rosan und hörte das unheimliche Knarren der Wände und Türen. Sie atmete lauter und versuchte nicht in völlige Panik zu verfallen. Endlich wurde es wieder hell.

Neben dem Rauschen des einströmenden Wassers hörte sie ein dumpfes Platschen. Es kam aus einem überfluteten Antigravschacht neben ihr. Rosan schaute hinunter, da huschte ein Schatten vorbei. Da war etwas im Wasser.

»Wyll«, schrie Rosan voller Ungeduld.

Diesmal hörte sie schwach: »Rosan, ich bin hier.«

Sie rannte in die Richtung, wo sie ihn zu hören glaubte. Der Ruf wurde lauter. Sie stürmte in einen Raum, in dem Wyll mit den Energiefesseln an einem Rohr angekettet war.

»Rosan, warum bist du hier?«

»Um dich zu retten, was sonst?«, erklärte sie und küsste ihn.

»Du musst die Fesseln deaktivieren.«

»Wie denn? Gibt es einen Schlüssel oder einen Code?«

Wyll wusste es nicht. Er überlegte eine Weile. Das Wasser stieg höher und höher. Es erreichte langsam Rosans Brust.

»Du musst sie überladen. Im Schubfach des Tisches liegt ein Thermostrahler.«

Rosan kämpfte sich durch die Wassermassen bis zum Tisch vor und holte die Waffe heraus. Sie zielte mit der Waffe auf die Handfesseln.

»Warte, warte. Übe erst mal an toten Objekten«, schlug Nordment leicht beunruhigt vor.

»Keine Zeit«, meinte sie und feuerte.

Wyll schrie auf, doch unbegründet. Der Strahl überlud die Energiefesseln, die sofort erloschen.

»Okay, jetzt raus hier!«

Der Terraner nahm seine Geliebte bei der Hand und sie verließen so schnell es ging den Raum. Wyll fluchte mehrmals über die Temperatur des Wassers.

Sie mussten den Korridor bereits entlang schwimmen. Erst als beide eine höhere Ebene erreichten, konnten sie wieder laufen. Doch das Wasser strömte bereits nach. Sie landeten in einer Sackgasse. Die schwere Stahltür versperrte den Weg in die nächste Sektion.

Das Wasser ging ihnen bereits zu den Knöcheln.

»Wir müssen zum Antigravschacht. Dort gibt es immer eine Notleiter. Die können wir hochklettern«, meinte Wyll.

Rosan schaute auf ihr Pad. Doch es war bereits zu durchnässt. Wasser war in das Innere gedrungen und das Touchpad reagierte nicht mehr auf ihre Eingaben.

»Wir finden das schon«, munterte Wyll sie auf. Auf dem Weg dorthin eilten ihnen zwei kleine Wesen im blauen Fell entgegen. Nordment und Orbanashol kannten Herban und Hiretta Livilan Arkyl nur zu gut. Der Hasproner richtete seinen Thermostrahler auf ihn. Rosan hielt ihren noch unter dem nassen Mantel zurück.

»Was soll das?«, wollte Nordment wissen.

»Wir haben uns verlaufen. Helft uns hier raus«, forderte Herban Livilan Arkyl.

»Dazu musst du uns nicht mit einer Waffe bedrohen. Wir suchen auch den Ausgang. Kommt mit.«

Wyll schob sich an den kleinen Haspronern vorbei. Rosan hielt ihre rechte Hand immer in Griffnähe zu ihrem Thermostrahler. Sie traute keinem Kind der Materiequelle. Die beiden Hasproner trugen schwere Rucksäcke mit sich, die klirrende Geräusche von sich gaben. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, dass sie sich bereichert hatten. Selbst im Angesicht des Todes war die Aussicht auf eine Beute offenbar immer noch attraktiv für solche Wesen.

Das Wasser stieg immer höher und die Hasproner hatten Mühe, überhaupt noch zu stehen.

»Werft die Rucksäcke weg«, forderte Rosan.

»Niemals. Das ist unsere Altersvorsorge«, keifte Herban außer Atem.

»Herb, ich kann nicht mehr«, seufzte Hiretta. Er schob sie an. Endlich erreichten sie den Antigravschacht.

Von unten drang das Wasser hoch. Sie mussten sich beeilen. Zuerst stieg Rosan auf, dann folgte ihr Wyll. Die Hasproner kamen nicht sehr schnell hinterher. Ihr Gepäck war zu schwer. Rosan erreichte die nächste Etage, doch die Ausstiegsluke war verschlossen.

»Mist! Wenn die jetzt alle Luken verschlossen haben, sitzen wir in der Falle.«

»Rosan, kannst du die Konsole öffnen?«, fragte Wyll.

»Ja«, sagte sie und tippte darauf herum. Doch nichts passierte. »Keine Energie.«

»Wir können die mit einem Hebel manuell öffnen. Aber das Wasser steigt zu schnell, lass uns das ein paar Etagen höher probieren«, riet Wyll. Rosan bestätigte. Sie kletterten drei Etagen weiter hoch und hatten etwas Abstand zu dem Wasser gewonnen.

Plötzlich erschütterte eine Explosion das Schiff. Rosan hätte beinahe den Halt verloren, doch Wyll stützte sie ab.

Hiretta Livilan kreischte.

»Ich kann nicht mehr. Es ist so schwer«, brüllte sie.

»Gib mir den Rucksack«, forderte Herban.

Er kletterte herunter zu ihr, nahm das schwere Gepäck und verlor die Balance. Schreiend fiel er ins Wasser.

»Nein, der Rucksack«, rief er entsetzt.

Wyll forderte den gierigen Hasproner auf, endlich wieder auf die Leiter zu steigen. Da tauchte unter ihm ein großer Schatten auf. Plötzlich sprang ein haiähnliches Raubtier aus dem Wasser und verschlang Herban Livilan Arkyl mit einem Bissen.

Hiretta schrie und klammerte sich an die Leiter.

»Du musst weiter. Zu uns!«, rief Wyll, doch die Haspronerin stand unter Schock.

Wyll wollte zu ihr hinab klettern, doch eine zweite Explosion ließ ihn in das Wasser stürzen. Rosan war entsetzt. Eine dritte Detonation fegte die Luke vor Hiretta zur Seite. Ein Feuerwalle hüllte die schreiende Haspronerin ein, ehe sie brennend in das Wasser stürzte. Dem Feuer selbst folgte ein Wasserfall.

Wo war nur Wyll? Endlich tauchte er wieder auf und ließ sich vom Wasser höher tragen. Doch hinter ihm erkannte Rosan einen Schatten. Instinktiv zog sie den Strahler und feuerte auf das Meeresraubtier, bevor es Wyll packen konnte. Endlich erreichte er die Leiter und kletterte wieder hoch zu ihr.

»Weiter, Rosan! Weiter!«

Das Wasser kam näher und stieg rasant höher. Sie eilten so schnell es ging die Leiter hoch. Zwei Etagen weiter versuchte Rosan den Hebel auf und ab zu bewegen, um die Luke manuell zu öffnen. Doch es war schwer. Sie ließ Wyll ran. Das Wasser hatte sie erreicht. Mit Mühe schaffte er es und beide krochen durch die Luke.

Sie rannten einen Korridor entlang und erreichten eine Sektion mit zwei Ausgängen. Aus beiden quoll an den Seiten Wasser. Sie befanden sich in einer Lounge mit Glas- und Holztüren. Diese würden nicht lange halten.

Ein kleines gatasisches Kind stand im Wasser und schrie nach seinen Eltern.

»Wir müssen ihn mitnehmen.«

Wyll überlegte kurz, dann folgte er der Aufforderung der Halbarkonidin und rannte zum Blue.

Wyll nahm den Kleinen auf den Arm und wollte loslaufen. Da kam ein zweiter Jülziisch angestürmt. Er schrie Wyll auf gatasisch an und riss ihm den Jungen aus dem Arm. Er rannte dann zu einem der Ausgänge. Doch da brach das Wasser durch die zerberstenden Glastüren und der Blue und sein Kind wurden von der Flutwelle mitgerissen.

Rosan und Wyll rannten um ihr Leben, doch die Welle holte auch sie ein. Beide wurden zu Boden gedrückt. Wyll schaffte es, sich an dem Geländer festzuhalten. Er packte Rosan an ihrem Kleid und zog sie zu sich. Dann schwammen sie mühsam einen Gang entlang und konnten noch rechtzeitig eine höhere Etage erreichen, bevor die andere vollständig überflutet wurde. Nun endlich erreichten sie den noch trockenen Teil der LONDON. Sie beeilten sich auf die Außendecks zu kommen, in der Hoffnung, noch einen Platz auf einer rettenden Kapsel zu finden.

 

3:50 Uhr

Das Raumschiff hatte sich inzwischen noch tiefer in das Meer geneigt. Das Wasser begann nun bereits die oberen Passagiersektion zu erreichen. Es schwappte schon auf das vordere Deck. 37 Rettungskapseln wurden bis jetzt zu Wasser gelassen.

Viele Wesen versuchten vergeblich, auf eines der Boote zu kommen. Rudocc und die anderen mussten einige sogar mit Thermostrahlern bedrohen, damit sie zurückwichen. Die Nerven des Ersten Offiziers lagen blank.

Rudocc wollte in eine untere Sektion gehen, doch es strömte bereits die, in diesem Falle, todbringende Flüssigkeit aus dem Antigravschacht.

Die Kapelle spielte unbeirrt weiter. Die musikalische Begleitung wirkte inzwischen wie ein Requiem.

Rosan und Wyll trafen auf Attakus, Spector und da Zhart.

Attakus lief auf sie zu.

»Da bist du ja.« Er legte seinen Mantel über die nasse Frau. »Du musst sofort in diese Kapsel!«

Rosan schüttelte den Kopf.

Doch auch Wyll riet ihr zu: »Hör' zu, du musst da rein.«

»Aber was wird mit dir?«, wollte sie wissen.

»Ich komme schon klar. Irgendwie schaffe ich es, mich durchzukämpfen«, meinte Wyll und versuchte sie so zu beruhigen.

»Ich habe ein Abkommen mit einem der Offiziere, er hat freie Plätze für uns. Wyll kann auch mit, wenn es unbedingt sein muss«, schlug Attakus überraschend vor.

»Stimmt das?«, fragte Rosan.

»Natürlich!«, antwortete ihr der Arkonide, ohne eine Miene zu verziehen.

Wyll nickte ihr zu. Ihm war klar, dass Attakus gelogen hatte, doch er musste erst einmal Rosan in Sicherheit wissen.

Sie stieg in die Kapsel ein, die danach langsam per Antigrav abwärts gelassen wurde. Rosan sah zu den beiden Männern hoch, die ihr nach blickten.

»Es gibt kein Abkommen, oder?«, wollte Wyll von dem Arkoniden wissen.

»Doch, aber es gilt nicht für dich«, entgegnete Attakus kalt.

*

Alles verging für sie wie in Zeitlupe. Sie blickte zu den anderen Menschen, die schreiend und weinend versuchten, ihr Leben zu retten. Langsam senkte sich das Rettungsboot in Richtung Meer. Sie sah die Offiziere, die selbstlos und unermüdlich versuchten, das Leben der Passagiere zu retten. Dann wieder die in Panik verfallenen Wesen, die alles taten, um zu überleben. Ein letztes Mal starrte sie zu Wyll hinauf, der kurz den Kopf resignierend senkte.

Rosan wusste nicht genau, was er damit meinte. Doch sie hatte das Gefühl, es war das Letzte, was sie von ihm zu Gesicht bekommen würde. Es war ein Abschied auf ewig!

Sie dachte an Attakus, wie verlogen er doch war. Was war, wenn es keinen Deal gab? Wyll war der Mann, den sie liebte. Sie konnte ihn nicht einfach alleine auf der untergehenden LONDON lassen. Plötzlich überkam sie Panik, dass sie wirklich Famal Gosner zu ihm gesagt hatte.

Sie schätzte den Abstand zum Geländer ab und sprang aus der Kapsel. Nur knapp erreichte sie das Geländer und krallte sich fest.

Wyll und Attakus schrieen fast zu gleicher Zeit auf. Dann rannte Nordment los.

Einige Leute halfen Rosan wieder auf das Schiff. Sie rannte die Treppe hoch, um zu Wyll zu gelangen. Sie dachte nur noch an ihn, seine Nähe. Sie wollte ohne ihn nicht leben. Das wäre kein Leben! Es war ihr unmöglich, ihn zurückzulassen. Sie mussten gemeinsam einen Weg finden, sich zu retten oder gemeinsam sterben. In der Sternenhalle trafen sich beide und umarmten sich.

»Rosan, wie konntest du nur so dumm sein?«, sagte er leise.

»Ohne dich werde ich dieses Schiff nicht verlassen.«

Spector hatte diese Szene verfolgt. Er sah seinen traurigen Neffen an. Dann brüllte er los, riss den Thermostrahler aus da Zharts Halfter, der verwundert versuchte, Spector aufzuhalten. Doch es war zu spät. Aggressiv stürmte er auf Rosan und Wyll zu.

»Jetzt mach ich dieses Essoya-Pack kalt!«, donnerte er und schoss auf die beiden.

»Rosan, lauf!«, rief Wyll.

Sie rannten die große Treppe hinunter in das Innere des Schiffes. Dort versuchten sie, dem wütenden Spector Orbanashol zu entkommen, doch der blieb ihnen auf ihren Fersen. Wie ein Berserker raste er die Treppe hinunter und feuerte auf die beiden. Dabei traf er einen Unither, der sich retten wollte.

»Mist, daneben!«, murmelte der Arkonide und fing an, die beiden zu suchen.

Er rannte die Treppen herunter und stieß dabei auf Türkalyl Öbbysun, Kolipot und Terek-Orn, die ein Glas Vurguzz in der Hand hielten.

»Terek, wie ist das werte Befinden?«, erkundigte sich der Arkonide gemäß der Etikette.

»Nun, wir sind bereit, wie Ehrenmänner abzutreten«, erwiderte der Topsider.

»Fein, ich berichte das deiner Frau, wenn ich wieder auf Arkon bin«, erwiderte Spector und setzte seine Suche fort.

Schnell fand er sie und ließ nicht locker. Er schoss erneut auf die beiden.

Das Liebespaar floh in einen Speiseraum. Das Wasser reichte ihnen bis zur Hüfte.

»Versteck dich hinter den Stühlen«, flüsterte Wyll.

Rosan war zuerst unschlüssig. Wyll konnte es niemals mit Spector aufnehmen. Dann tat sie, was er wollte. Sie vertraute ihm. Auch Wyll versteckte sich.

Spector watete durch den Raum. Von überallher drang Wasser in den großen Saal ein, indem er noch vor wenigen Stunden gespeist hatte. Es war, abgesehen vom dauernden Plätschern, ruhig. Zur ruhig. Spector musterte den ganzen Raum. Plötzlich brach ein Rohr aus der Decke und knallte auf einen Tisch. Das Geschirr zerbrach. Wasser strömte von oben in den Saal. Rosan schrie auf und wich den Wassermassen aus. Spector schoss sofort! Wyll griff ihn von der Seite an und trat ihm in die Hüfte. Orbanashol packte Nordments Kinn, wuchtete ihn hoch und stieß ihn von sich. Er setzte zum tödlichen Schuss an. Rosan wollte ihren Strahler ziehen, doch er war nicht mehr im Mantel. Sie hatte ihn verloren. Hastig nahm sie Teller und warf sie auf Spector. Einer traf ihn an der Schläfe und zerbrach. Blut floss aus der klaffenden Wunde. Nordment nutzte die Chance und trat Spector Orbanashol in den Genitalbereich. Sofort liefen er und Rosan aus dem Raum. Spector ballerte mit dem Thermostrahler hinter ihnen her, solange, bis die Energie der Waffe aufgebraucht war.

Keuchend raffte er sich auf und folgte ihnen. Sie liefen in die Kombüse. Wyll schnappte sich ein Küchenmesser. Rosan suchte unterdessen einen zweiten Ausgang. Alle Wege führten in eine Sackgasse. Sie stieß nur auf Kühl- und Lagerräume. Endlich entdeckte sie eine Tür, die zu einem langen Korridor führte, doch da hatte Spector die beiden bereits erreicht. Brüllend packte er Nordment und drückte ihn gegen einen Küchenschrank. Wyll fuchtelte wild mit dem Messer umher und traf die Schulter des Arkoniden, der vor Schmerzen aufschrie. Wyll wich zurück. Orbanashol griff nach einem Hackebeil und warf es auf Nordment, der nur knapp der Klinge ausweichen konnte. Der Arkonide starrte kurz nach oben, stieg dann auf einen Herd und riss ein Rohr aus der oberen Wand. Er versuchte Wyll damit zu erschlagen und traf ihn am Rücken. Nordment ließ das Messer fallen. Sofort stürzte sich Orbanashol auf ihn. Beide rangen im Wasser.

Rosan konnte nur tatenlos zusehen. Spector schlug dem Terraner mehrmals in die Nierengegend. Wyll brach ächzend zusammen.

Rosan hängte sich von hinten an ihren Stiefvater, um ihn zurückzuhalten. Das brachte Nordment die nötige Zeit, um zu verschnaufen. Nachdem der Arkonide seine Stieftochter abschüttelte, rang sich dessen Gegner wieder hoch und versetzte ihm einen Tritt in den Magen. Keuchend sackte der Hüne in sich zusammen.

Eine Tür wurde von reinströmenden Flutmassen regelrecht aufgesprengt und traf Spector. Das Liebespaar rannte zum zweiten Ausgang und flüchtete durch den Korridor. Überall strömte Wasser durch die Türen. Orbanashol war dicht hinter ihnen. Sie hörten sein erschöpftes Schnauben. Endlich fanden sie einen Weg in eine höhere Etage. Wyll und Rosan kletterten die Leiter hoch, die an einem Gitter endete. Es war elektronisch verschlossen.

Wyll rüttelte am Gitter.

»Vielleicht können wir sie durch einen Kurzschluss öffnen?«, schlug Rosan vor.

Spector Orbanashol kam immer näher. Doch er hatte mit den Fluten zu kämpfen, die ihn immer wieder ins Wasser drückten.

»Wir müssen uns beeilen, entweder wir ertrinken oder mein Stiefvater schlägt uns tot.«

Nordment hantierte am Schloss des Gitters herum. Rosan drängelte, er solle sich beeilen. Der Sippenführer der Orbanashols war wieder zu vollem Bewusstsein gekommen. Er sah, wie die beiden vergeblich versuchten das Schott zu öffnen. Überheblich fing er an zu grinsen. Dann zog er aus seiner Tasche einen weiteren Thermostrahler.

»Oh Gott, er hat noch eine Waffe!«, schrie Rosan.

In dem Moment hatte es Wyll geschafft und das Gitter öffnete sich kurz. Sie quetschten sich hindurch, bevor es sich wieder schloss. Spector kanalisierte die Energieblitze aus der Waffe auf die beiden, traf allerdings das Schloss des Gitters, welches durch die Hitze verschmolz.

Orbanashol verlor in dieser Sekunde seine Überlegenheit. Schnell realisierte er, was er getan hatte. Hastig rannte er zum Gitter und versuchte es zu öffnen, doch das Schloss war nicht mehr aufzukriegen. Das Wasser drückte ihn zur Seite. Er verlor seinen Thermostrahler und damit die Chance, das Gitter aufzuschneiden. Als er wieder am Gitter Halt fand, starrte er die beiden wütend an. Rosan verstand den maßlosen Hass nicht, den sie in den Augen ihres Stiefvaters erkannte. Sie schaute ihn traurig an. Das Wasser stieg höher und höher. Es drängte Spector weg, der sich jedoch noch an dem Gitter festhielt. Er versuchte es mit seiner Kraft aus den Angeln zu heben. Nordment und Rosan halfen ihm. Es war sinnlos gewesen, denn das Gitter gab nicht nach. Spector rutschte mit einer Hand ab. Das Wasser reichte ihm bis zum Hals. Wyll packte Rosan und drängte sie, sofort zu verschwinden. Rosan warf ihrem Stiefvater einen letzten Blick zu.

»Es tut mir Leid, wir können dir nicht mehr helfen. Famal Gosner …«

Bedauern lag in Rosans Stimme. Das hatte sie nicht gewollt. Sie wünschte niemandem den Tod. Nicht einmal ihrem verhassten Stiefvater.

Das Wasser stieg immer höher. Wyll und Rosan schwammen aus dem Korridor. Zurück blieb Spector Orbanashol, der verzweifelt am Gitter rüttelte, bis er nicht mehr konnte. Er verlor den Kontakt zur Tür, das Wasser drückte ihn fort. Er versuchte dagegen anzukämpfen, doch es gab keinen Ausweg mehr. Der gesamte Korridor war überflutet. Orbanashol hämmerte mit den Fäusten gegen die Decke. Zuerst heftig, dann immer schwächer. Als ihm die Luft ausging, stieß er die letzten Blasen aus dem Mund, dann füllten sich seine Lungen mit Wasser und besiegelten sein Schicksal.