4.
Die Kollision

09. Dezember 23:15 Uhr

Die Gravitrafspeicher waren wieder vollgetankt. Die LONDON nahm langsam an Fahrt auf und bereitete sich auf den Sprung in den Hyperraum vor.

Rudocc saß mit drei anderen Besatzungsmitgliedern auf der Brücke. Es waren der junge Navigationsoffizier High Gellar, der Funker Mugabe Sparks und der stellvertretende Sicherheitschef Uto Lichtern.

Rudocc trank einen Kaffee und beobachtete die Sterne. Sie waren 13.000 Kilometer über dem Orbit des blauen Wasserplaneten und entfernten sich langsam von ihm.

»Wie lange noch, bis zum Hyperraumeintritt?«, wollte er wissen.

»Noch etwa fünf Minuten«, berichtete High Gellar.

Lichtern dehnte sich etwas. Rudocc blickte den vierten Offizier verblüfft an. Was der wohl schon wieder hatte, dachte Rudocc amüsiert. Ständig will er Sport treiben.

»Ich werde dann mal meine Runde laufen«, erklärte Lichter wie aufs Stichwort.

Rudocc nickte ihm zu und nippte an dem Kaffee, der noch schrecklich heiß war. Dann blickte er zum Ausguck und musste über diese Einrichtung schmunzeln. Wo gab es schon so etwas? Einen Ausguck an Bord eines Raumschiffes.

Tja, die LONDON bietet wirklich Kuriositäten, überlegte er. Dann empfand er etwas Mitleid mit Spechdt und Maskott auf dem Ausguck.

Auf dem Hypertrop-Zapfer waren das Teleskop und der Ausguckstand befestigt. Die beiden Männer langweilten sich schrecklich.

»Wir hätten was zum Spielen mitnehmen sollen«, meinte Maskott mürrisch. Zappelig hüpfte er auf der Stelle und erwartete von Spechdt eine Reaktion, doch der Ortungschef reagierte nicht auf die Gebärden seines Kollegen, sondern starrte in das All heraus. Er sah irgendetwas Schemenhaftes auf die LONDON zukommen.

Es kam immer näher und näher. Allmählich erkannte er die Konturen des voluminösen Gebildes. Es war deutlich größer als die LONDON. Plötzlich begriff er!

»Oh Gott, ein Asteroid!«, schrie er. Er rief sofort in der Kommandozentrale an.

Gellar nahm erst nach dem vierten Aufsummen ab.

»Kommandozentrale«, meldete er sich.

»Hier ist Spechdt, ein Asteroid vor uns. Er hält direkt auf uns zu! Mensch, mach was. Ausweichen! Schutzschirm aktivieren!«

Der Offizier rannte zu Rudocc und berichtete ihm. Der Asteroid war inzwischen mit bloßem Auge zu erkennen.

Der Offizier rannte weiter in die Zentrale. Sparks kam aus seinem Funkleitstand und wollte gerade einen Schluck aus seiner Tasse Tee nehmen, doch Rudocc schubste ihn beiseite.

»An Maschinenraum, Ausweichmanöver. High, nach links drehen, los!«

Moindrew reagierte schnell und aktivierte den Gegenschub. Die LONDON drehte leicht nach links ab und passierte bereits den riesigen Asteroiden.

»Komm schon, komm schon!«, beschwor Rudocc das Schiff.

Der Asteroid hatte eine Länge von etlichen Kilometern. Jedoch war er nicht rund, sondern pflockförmig. Die LONDON steuerte langsam an ihm vorbei.

»Paratronschirm aktivieren«, murmelte Rudocc leise und viel zu spät. Zitternd aktivierte der wachhabende Offizier den Schutzschirm.

Rudocc atmete durch. Jetzt würde nichts mehr geschehen. Der Paratronschirm würde jegliche Kollision verpuffen lassen.

Sparks und der junge Gellar starrten gebannt auf den ungewöhnlichen Himmelskörper. Plötzlich wurde der Asteroid hell. Lichter flammten auf und Geschütztürme wurden sichtbar. Rudocc traute seinen eigenen Augen nicht.

»Oh, mein Gott ... Das ist kein Asteroid!«

Die Geschütze eröffneten das Feuer! Zerstörerische Salven trafen den Schutzschirm der LONDON.

Das Raumschiff erzitterte unter dem Punktbeschuss des fremden Schiffes.

»Sir, Schutzschirm beginnt zusammenzubrechen!«, rief Sparks, der die Kontrollen für Lichtern übernommen hatte, der immer noch auf seinem Rundgang war.

Rudocc lief der Schweiß von der Stirn. Das durfte nicht sein! Der Schutzschirm musste um jeden Preis halten, sonst waren sie verloren!

Der Schutzschirm flackerte und brach in der unteren Sektion zusammen. Dann ein riesiger Knall. Blitze und Energiekaskaden schlugen aus der Seite der LONDON.

»Treffer. Wir sind getroffen«, meldete der Funker panisch.

»Schutzschirm stabilisieren. Beeilung!«

Die LONDON wurde in einen Traktorstrahl genommen. Das fremde asteroidenartige Pflockraumschiff änderte den Kurs und zog die LONDON in Richtung des Wasserplaneten. Dann erlosch der Traktorstrahl.

Der Angreifer nahm Fahrt auf und verschwand. Zurück blieb eine beschädigte LONDON. Sie bebte inzwischen nicht mehr. Dafür zitterte Rudocc am ganzen Körper. Alles war so schnell gegangen.

»Schadensmeldung«, forderte er.

Offizier High Gellar reagierte nicht. Er stand unter Schock. Sparks lehnte sich erschöpft an die Wand und atmete schwer.

»Schadensmeldung!«, rief Rudocc lauter. Seine Stimme überschlug sich vor Aufregung.

Inzwischen erreichte auch Holling die Kommandozentrale.

»Was ist passiert?«, wollte er unverzüglich von Rudocc wissen.

Alex Moindrew und Arno Gaton begleiteten den Kapitän. Der Chefingenieur war kreidebleich im Gesicht. Arno Gaton blickte verärgert die Brückencrew an. Er hatte das Ausmaß des Angriffes anscheinend nicht verstanden.

»Sir, ich weiß es nicht genau. Ein Asteroid tauchte auf, doch das war gar keiner. Er feuerte auf uns«, berichtete Rudocc stotternd.

»Ich brauche eine Schadensanalyse«, befahl Holling.

Alex Moindrew machte sich sofort an die Arbeit. Er wurde noch bleicher, als das Ergebnis feststand. Seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Ein dreidimensionales Hologramm der LONDON baute sich vor den Männern auf. Moindrew zeigte die beschädigten Sektionen. Sie leuchteten rot auf.

»Die LONDON wurde von der untersten Sektion, dort wo die Lagerräume sind, bis zu den Triebwerken aufgerissen. Notschutzschilde haben den Verlust von Sauerstoff vermieden.«

»Wann können wir weiterfliegen?«, fragte Gaton ungeduldig.

Moindrew sah ihn verständnislos an. »Die … die Stabilisatoren wurden zerstört, die Gravitrafspeicher ebenso. Der Antrieb … Die LONDON ist manövrierunfähig. Wir können nicht mehr weiterfliegen.«

Der Schock saß tief bei allen Beteiligten. Gaton schüttelte nur den Kopf. Er schien seinem Chefingenieur keinen rechten Glauben zu schenken. Die anderen Besatzungsmitglieder, einschließlich des Kapitäns, starrten Moindrew betreten an.

Doch Moindrew war mit seinem Bericht noch nicht fertig.

»Es kommt noch schlimmer. Das fremde Raumschiff hat uns in den Orbit des Wasserplaneten gelenkt. Wir können den Kurs nicht korrigieren. Er zieht uns rasant an. Das bedeutet, die LONDON wird abstürzen und auf der Oberfläche aufschlagen.«

»Wie lange noch?«, erkundigte sich Holling leise.

»Vielleicht zwanzig Minuten.«

»Das reicht nicht aus, um die Passagiere zu evakuieren«, stellte Holling entmutigt fest.

»Informiert Rhodan, der kann uns bestimmt weiterhelfen!«, meinte Gaton hastig.