2.
Rodroms Rache

Ihr glaubt, es sei zu Ende? Ihr glaubt, ihr habt es geschafft? Ich lasse euch in diesem Glauben. Umso erfreulicher für mich werden eure Überraschung und euer Entsetzen über die unvermeidliche Katastrophe sein. Niemand wagt es, Rodrom zu trotzen. Dafür wirst nicht nur du, Perry Rhodan, deine Strafe erhalten. Nein, alle der 16.000 Wesen an Bord der LONDON werden dafür büßen. Sie werden die Apokalypse erleiden, hoffen auf eine Absolution, die nie erteilt wird.

Hörst du sie schreien? Die Männer, Frauen und kleinen Kinder? Nein, du hörst sie nicht? Doch das wirst du bald. Denn das Schicksal dieses Raumschiffes ist besiegelt.

*

Wyll und Rosan hatten sich lange an einem gemütlichen Imbiss in der Sternenhalle unterhalten. Sie hatten einen Schwebetisch gewählt, von dessen Position aus, ihnen einen schöner Blick auf die Halle und die Hologramme bot.

Rosan lehnte sich an das Geländer und sah Wyll erwartungsvoll an.

Er holte seine Hände aus den Hosentaschen und legte sie auf Rosans Schultern.

»Ich habe mit meinem neuen Boss gesprochen«, sagte er.

»Und wer ist das?«

»Ein sehr freundlicher Mann. Er hat mir den Posten des Chefnavigators auf einem Raumschiff angeboten.«

Rosan sah Wyll ungläubig an. »Das ist aber sehr nett von ihm, wer auch immer es ist.«

»Und mehr noch, ich kann auch dort wohnen. Eine große und geräumige Wohnung, ein gutes Gehalt und Platz für zwei.«

Sie fing an zu lächeln. Dann legte sie ihre Arme um seine Hüften.

»Wer und wo?«

»Perry Rhodan und Camelot.«

Rosan machte eine erstaunte Geste. »Du hast Rhodan gefragt?«

»Und er hat zugestimmt. Auf Camelot sind wir vor deiner Familie völlig sicher.«

»Unter den Umständen möchte ich doch mein ganzes Leben mit dir verbringen, Wyll Nordment!«

Rosan küsste ihn leidenschaftlich. Jetzt waren ihre Träume in Erfüllung gegangen. Nichts konnte ihrem Glück mehr im Wege stehen.

*

Noch seid ihr vergnügt und glücklich, ihr erbärmlichen, atavistischen Kreaturen auf der LONDON. Erleichtert, dass alles vorbei ist. Ihr wähnt euch in Sicherheit.

Doch nicht mehr lange, nicht mehr lange, dann werdet ihr an euren Schmerzensschreien ersticken. Meine Rache wird euch schon sehr bald heimsuchen.

Und noch in tausend Jahren wird mit Ehrfurcht an das Schicksal der LONDON gedacht werden. Und jeder wird wissen, wer das Schicksal der LONDON besiegelt hat.

Es war die Inkarnation MODRORs.

Es war Rodrom ...

*

09. Dezember 1285 NGZ

Die LONDON flog mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum. Es war so, als wollte der Kommandant einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Nach neuesten Berechnungen würde die LONDON in bereits zwei Wochen die Milchstraße erreichen.

Jedoch waren die Gravitrafspeicher fast leer. Holling rechnete damit, dass gegen Abend des 09. Dezembers die LONDON den Hyperraum verlassen musste, um die Speicher aufzuladen.

Perry Rhodan und Sam verbrachten viel Zeit miteinander. Sie sprachen über die vergangenen Wochen und über die Zukunft der Milchstraße. Mehr war nicht zu tun. Perry Rhodan genoss die Ruhe. Auf jeden Fall war der Rückflug bis jetzt ohne Zwischenfälle verlaufen, alles blieb ruhig.

Der Tag ging relativ schnell vorüber und es näherte sich die Zeit des Dinners. Diesmal waren wieder der gesamte Adel aus Macht und Geld an seinem Tisch versammelt. Die Kapelle spielte den Ark’Tussan-Walzer.

Perry Rhodan freute sich irgendwie auf die belanglose Tischkonversation und das intrigante Spiel der Orbanashols gegen Wyll und Rosan. Das war zur Abwechslung herrlich trivial und hatte nichts mit kosmischen Entitäten zu tun.

Gaton überlegte bereits, einen Film über die Abenteuer der LONDON zu produzieren, der auf allen zentralen Welten der Milchstraße gleichzeitig anlaufen sollte. Rhodan wunderte sich nicht mehr über die Art des Hansesprechers.

»Mit welchem Affen gedenkst du die Rolle von Wyll Nordment zu besetzen?«, warf Attakus ein. »Oder gibt es terranische Schauspieler, die darauf spezialisiert sind, die Frauen von arkonidischen Edelmännern zu rauben?«

Wyll sprang natürlich sofort darauf an. Bevor Gaton etwas entgegnen konnte, war Nordment bereits aufgestanden und wollte zu Attakus.

»Diesmal stopfe ich dir für immer das Maul!«, schrie Wyll.

Rosan packte ihn und zog ihn wieder auf den Sitzplatz.

»Beruhige dich, Liebling. Merkst du nicht, dass er dich nur provozieren will?«

»Das war eine Morddrohung! Ihr alle habt es gehört!«, posaunte Orbanashol durch den Saal. Dann erhob er sich und verließ den Raum.

Zhart richtete noch einige Worte an die Tischnachbarn: »Der ehrenwerte Attakus Orbanashol ist über die Behandlung durch diesen Nordment derart entsetzt, dass er es nicht mehr mit seiner Ehre vereinbaren kann, mit ihm an einem Tisch zu sitzen.«

Gaton versuchte sich zu entschuldigen, doch Zhart ging hochnäsig in Richtung Ausgang des Saals. Der Hansesprecher warf Nordment einen bitterbösen Blick zu.

»Würdest du nicht unter dem Schutz Perry Rhodans stehen, hätte ich dich aus der Schleuse werfen lassen!«

»Mal wieder ein gemütlicher Abend«, meinte Sam sarkastisch. »Ich glaube, ich gehe besser in meine Kabine und höre ein wenig Williams.«

Der Somer stand auf, verabschiedete sich höflich und verließ mit staksigen Schritten den Saal.

Wyll senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Rosan.«

Rosan schüttelte den Kopf.

»An deinem Temperament müssen wir noch etwas arbeiten«, sagte sie lächelnd. »Komm mit, ich weiß wo wir jetzt noch hingehen!«

Sie nahm Wylls Hand. Beide schlenderten über die Sternenhalle und begaben sich sechs Decks unter dem Hauptspeisesaal zu »Peepsies Nestchen«. Dorthin hatte sie Wyll vor etwas mehr als einen Monat mitgenommen und ihr – zumindest bis zum Kampf mit Tett Chowfor – den schönsten Abend ihres Lebens beschert.

»Ich möchte heute wieder so feiern wie damals.«

Die Band hatte ihren jülziisch-terranischen Abend. Ein Blue sang ein uraltes terranisches Lied mit seiner schrillen Stimme. Doch er begeisterte das Publikum, das eine Zugabe forderte.

Zu dem Klang der Musik tanzten der Unitherjunge und das jülziische Kind auf der Tanzfläche, die Rosan schon von damals kannte. Auch die Ertruser waren wieder da und betranken sich. Der Peepsie saß ebenfalls wieder an der Bar und wippte mit dem Bier hin und her. Diesmal hielt Rosan jedoch Abstand zu ihm.

Sie tanzte mit Wyll den ganzen Abend durch. Sie wollte nicht mehr an Attakus, Spector oder ihre Mutter denken. Nur noch sie und Wyll.

*

Das Ende naht. Das letzte Kapitel ist aufgeschlagen. Kälte und Tod erwarten die LONDON.

Die rote Gestalt materialisierte in der Sicherheitsabteilung der LONDON. Wie lachhaft diese Einrichtung war. Das diensthabende Personal registrierte mit einem Wink die Ankunft Rodroms nicht mehr. Bereits vor seinem Besuch auf der LONDON hatten die zievohnischen Techniker die Syntronik der LONDON durch den Virus unter ihre Kontrolle gebracht. So gehorchten die Wachroboter ausschließlich Rodroms Anweisungen.

Den Virus zu kontrollieren, war ein leichtes, denn die Zievohnen hatten ihn vor langer Zeit entworfen und eine modifizierte Version der Mordred über Cau Thon zur Verfügung gestellt. Natürlich wussten weder Cauthon Despair, noch die Mordred oder gar diese einfältigen Kinder der Materiequelle davon.

Die LONDON gehorchte Rodrom. Doch es war ratsam, noch weitere Trümpfe unter der Kutte zu verstecken. Rodrom betrat die provisorischen Inhaftierungsblöcke. Die eigentlichen Zellen waren nicht für die zweihundert Kinder der Materiequelle ausgelegt. Unter Kabinenarrest wollte man sie auch nicht stellen. So wurden die Lagerräume neben der eigentlichen Sicherheitszentrale umgebaut.

Der Ertruser Bogo Prollig hielt Wache. Er stellte sich dem Rodrom gegenüber.

»Was willst du?«, fragte er barsch.

Rodrom beeinflusste ihn suggestiv. Es war ein Leichtes für ihn. Prollig wich zur Seite und ließ den Roten passieren.

Die Inkarnation deaktivierte die Energieschirme vor den Zellen der Kinder der Materiequelle. Die Leute stürmten verwundert aus den provisorischen Zellen, die umfunktionierte Lagerplätze mit einem Schutzschirm vor der Einbuchtung waren.

Der Sektenguru Dannos näherte sich dem roten Wesen.

»Wer bist du?«

»Dein Gott«, antwortete Rodrom.

Rodrom ließ seine Psi-Kräfte auf den Anführer der Sekte wirken. Dannos sprach sofort darauf an, er bemerkte nicht einmal die Beeinflussung.

»Spüre den kosmischen Energieausgleich, mein Sohn! Ich bin euer Weg zur Materiequelle. Folgt meinen Anweisungen und es wird einen glücklichen Ausgang für dich und deine Jünger geben.«

Dannos machte eine Geste der Ehrfurcht.

»Herr, sage mir, was ich tun kann«, bat der kahlköpfige Mann.

Rodrom wanderte durch den Raum. Inzwischen hatten sich die restlichen Kinder der Materiequelle aus den Zellen befreit. Prollig stand wie in Trance am Eingang des Blocks und hielt Ausschau nach unerwünschten Personen.

Dann ging Rodrom zu Dannos. »Ihr seid zu wenige für eure kosmische Reise. Ihr braucht mehr Seelen, die in die Materiequelle aufgehen. Mindestens 16.000 weitere Existenzen.«

Dannos starrte auf den Boden. Er war fassungslos über diese Aussage. War alles was er angestrebt hatte, letztlich umsonst gewesen?

Dann kam ihm eine Idee. »Herr, auf der LONDON sind genügend Wesen, die wir nehmen könnten.«

Rodrom bestätigte dies.

»Doch das wäre vielleicht nicht im Interesse dieser Personen«, gab er gedehnt zu bedenken. Er wartete die Reaktion Dannos und seiner Gefährten ab.

Der Guru blickte seine Kinder der Materiequelle an. »Sie werden es verstehen, nachdem sie Teil der Materiequelle geworden sind. Dann werden sie froh über das Glück sein und nicht mehr ihrem erbärmlichen Dasein in diesem Universum nachtrauern.«

In Dannos Augen flammte wieder jener Fanatismus auf, der ihm die Tatkraft zur Entführung der LONDON gegeben hatte.

»Dann dürfen sie auch nicht dieses Schiff verlassen«, waren Rodroms Worte.

»Doch wie können wir das verhindern? Eine erneute Entführung?«

»So in der Art. Eure Aufgabe ist es, alle Beiboote, Seruns und Space-Jets zu sabotieren, damit sie das Raumschiff nicht verlassen können. Wenn es euch möglich ist, sie unauffällig zu sabotieren, dann wäre das nur zum Besten für euren Aufstieg.«

Nun mischte sich allerdings Stellara Chowfor ein.

»Aber den Kindern darf nichts passieren. Sie sollen ihr Leben genießen, bis sie selbst zur Erkenntnis gekommen sind, dass das Leben als Entität schöner ist«, säuselte sie schrill.

Rodrom war über das Einmischen dieser Frau irritiert und auch erbost. Dannos sicherte Stellara jedoch zu, dass den Kindern bei einer erneuten Entführung nichts passieren würde. Er suchte Bestätigung bei Rodrom.

»Natürlich wird den kleinen Dingern nichts passieren«, log die Entität. »Ich persönlich werde sie in hyperkosmischen Megasphären vor Schaden bewahren«, führte der Rote in einem Anflug von Sarkasmus weiter aus.

»So sei es!«, sprach Dannos und faltete die Hände.

Er fühlte sich endlich am Ziel seiner Träume. Rodrom erwähnte natürlich nicht, dass die Syntronik unter seiner Kontrolle stand. Er schlug den Kindern vor, das Transmitternetzwerk zu benutzen, um den Hangar schnell zu erreichen. Weder die Bordsyntronik noch die derzeit unter suggestiver Kontrolle stehenden Sicherheitsleute der LONDON, würden Alarm schlagen.

Die Kinder der Materiequelle machten sich an die Arbeit und zerstörten die Triebwerke der 100 Rettungskapseln, Beiboote und Space-Jets.

Jedoch arbeiteten sie nicht im Sinne der kosmischen Ordnung. Auch würden sie niemals die Möglichkeit bekommen, auch nur in die Nähe einer Materiequelle zu kommen. Sie waren nur Bauern in einem Schachspiel.

In Rodroms Schachspiel.

Rodrom überwachte die Arbeit, da die Anhänger von Dannos natürlich nicht ohne Hilfe die Antriebsgeneratoren fanden, geschweige denn zerstören konnten. Rodrom hätte auch eine Eliteeinheit der Skurit an Bord der LONDON bringen können, doch er empfand es als ironisch, dass ausgerechnet die Kinder der Materiequelle das Grab der Passagiere und Crewmitglieder schaufelten.

Als die Arbeit nach einer Stunde getan war, kehrten alle wieder in ihre Zellen zurück. Rodrom entließ Prollig und seine Leute aus der geistigen Kontrolle und begab sich wieder auf die WORDON, die nur wenige Lichtjahre von der LONDON entfernt war.

In der Kommandozentrale der WORDON herrschte große Aufregung. Jeder war bemüht, so schnell wie möglich Rodroms Plan auszuführen.

Zukkth meldete sich bei seinem Kommandanten.

»Herr, der Ortungsschutz ist perfekt. Die Tarnung als Asteroid ebenso. Wir müssen jetzt nur noch darauf warten, das die LONDON den Hyperraum verlässt.«

Rodrom wanderte durch die Zentrale. Dann ging er zu seinem großen Sessel, der mehr einem Thron ähnelte und setzte sich. Wie er doch diesen Körper hasste. Selbst dieses halbphysische Dasein belastete ihn, denn er spürte die Gebrechen eines normalen Wesens. Er hatte das Bedürfnis, sich hinzusetzen, weil ihm die Beine schmerzten. An derlei Banalitäten musste er als Geisteswesen nicht denken.

Sein Blick schweifte wieder durch den gewaltigen Raum.

»Der Zwischenstopp wird heute sein. Dafür wird die Syntronik der LONDON sorgen. Um etwa 23:30 Uhr galaktischer Zeit wird das letzte Kapitel der LONDON geschrieben werden.«

Die WORDON nahm an Fahrt auf. Rodrom gab die Koordinaten eines Sonnensystems durch. Dort sollte die Konfrontation erfolgen.

Die ausgewählte Sonne trieb als Irrläufer im intergalaktischen Raum zwischen IC 342 und Pinwheel. Die Syntronik der LONDON würde automatisch bei diesen Koordinaten aus dem Hyperraum fallen, um die Gravitrafspeicher wieder zu betanken.

Das System war absolut unbedeutend. Eine große, blaue Sonne spendete Licht und Wärme für vier Planeten. Drei davon waren öde Wüstenplaneten, während der Vierte eine Wasserwelt ohne Landmassen war.

Das war das Ziel der WORDON. Dort sollte die LONDON gestellt werden. Rodrom fieberte der Erfüllung seiner Rache entgegen. Zwar hatte er einen Stützpunkt verloren und somit eine Schlacht, doch der Krieg war noch längst nicht entschieden. Selbst wenn Rhodan wieder überlebte, so hatte Rodrom sich einen Namen aus Blut gemacht und jeder dieser infantilen Galaktiker würde mit Furcht und Respekt an ihn denken. Dann würde immer noch der »mit dem Blute des Sargomoph« für Rhodans Tod sorgen. Cau Thon arbeitete an vielen Fronten, um die erste Phase des großen Planes MORDORs zu vollenden. So oder so, Rhodan hatte ausgespielt!