Rosan und Wyll waren erschöpft. Sie verließen Peepsies Nestchen und begaben sich zu den sogenannten Außendecks, die unter der Kuppel lagen und somit den Blick auf das Weltall ermöglichten. Die LONDON fiel aus dem Hyperraum. Die Sterne wurden sichtbar. Eine blaue Sonne strahlte hell und ein blauer Wasserplanet schimmerte faustgroß am Firmament. Es war ein schöner Anblick.
Beide küssten sich.
»Wyll, heute werde ich meiner Familie mitteilen, dass ich endgültig bei dir bleibe«, verkündete Rosan. »Wir gehen in meine Suite und ich werde einen Brief schreiben. Außerdem nehme ich noch meine Sachen mit.«
Wyll lächelte. »Wir gehen gemeinsam. Solange uns nicht dieser Zhart oder seine Naats über den Weg laufen.«
Beide gingen Hände haltend in das Innere der LONDON zu der Suite der Orbanashols.
*
Die Syntronik meldete automatisch, dass ein Auftanken der Gravitrafspeicher notwendig war. Sie hatte den Zeitpunkt und den Ort des Eintritts in das Normaluniversum festgelegt. Die LONDON trieb 674.500 Kilometer von dem blauen Wasserplaneten im Weltraum. Kommandant James Holling war in diesem Punkt mit der Syntronik zufrieden, auch wenn sie mehr schlecht als recht arbeitete. Alex Moindrew leitete das »Auftanken« ein und überwachte die Prozesse der Syntronik.
Holling nahm Kurs auf den Wasserplaneten, um den Passagieren während des Hypertropzapfung etwas zu bieten. Dann wandte er sich an seinen Ersten Offizier Evan Rudocc.
»Rudocc, übernimm du bitte heute die Nachtwache.« Der 175-jährige Plophoser verspürte leichte Kopfschmerzen.
»Okay, Sir. Wird gemacht«, gab der Erste Offizier von sich. Dann fiel ihm doch noch etwas ein, was er sagen wollte. »Die Ortung funktioniert immer noch nicht. Wir hätten doch das Angebot der Saggittonen annehmen sollen. Es ist teilweise ein Blindflug. Die Nahortung ist seit heute Morgen wieder defekt. Ich würde vorschlagen, dass wir wieder den provisorischen Ausguck an den Masten aufstellen, die mit Teleskopen nach Asteroiden oder ähnlichem Ausschau halten sollen.«
Holling fasste sich an die Schläfen. Ein so gigantisches Schiff ohne Nahabtastung! Das war eine Farce. Doch er musste das Beste daraus machen.
»Ja, macht es so. Mit Teleskopen ... ist sicher eine gute Idee«, bestätigte er leicht müde.
Dann ging er von der Zentrale aus in seine Kabine. Er wollte jetzt seine Abschiedsrede schreiben. Dafür brauchte er viel Ruhe, denn gekünstelte Reden waren nicht sein Metier.
Rudocc befahl Jon Maskott und Garl Spechdt den Ausguck als Erstes zu besetzen. Ein drei Meter dickes Teleskop wurde innerhalb von fünfzehn Minuten an einem Wartungsmast über der Glaskuppel montiert.
»Völlig schwachsinnige Idee. Das bringt auch nicht viel«, meinte Maskott.
»Quatsch, ich kann Asteroiden und fremde Raumschiffe bis auf Lichtjahre sehen«, konterte der Ortungsleiter Spechdt.
Maskott schüttelte schmunzelnd den Kopf.
Der Chefingenieur Alex Moindrew teilte inzwischen mit, dass der Ladeprozess begonnen hatte. Der Horizont färbte sich in die verschiedensten Farbtöne. Die Energie floss in die Hypertrop-Zapfer.
Der Vorgang würde rund zwei Stunden dauern. Vielleicht auch nur neunzig Minuten. Solange konnten die Passagiere jedenfalls den Anblick des Wasserplaneten genießen, dem sich die LONDON langsam näherte. Rudocc hatte morgen frei. Er überlegte sich bereits, was er an dem Tag machen wollte.
*
Auf dem Weg zur Kabine begegneten Rosan und Wyll eine Gruppe von zwei Dutzend Passagieren. Eine hoch gewachsene Arkonidin im blassen Teint winkte Rosan zu. Es war Terza da Mindros. Rosan erkannte auch Terzas Kinder, den neunjährigen Carba und die sieben Jahre junge Esrana. Die drei befanden sich mit einer Gruppe von Passagieren vor einem Antigravschacht. Offenbar stand eine Führung bevor. Arno Gaton hatte mehr solcher Besichtigungen arrangiert, um die Passagiere bei Laune zu halten.
Terza da Mindros gehörte zum niederen Adel. Ihre Familie mied die da Mindros, obwohl ihr Mann Prothon ein hoch dekorierter und berühmter Mascant der Kristallflotte war. Dennoch, in den Augen der Orbanashols waren sie halt nur Leute, denen man höflich guten Tagen sagte und ab und an einmal bei Kaffee und Kuchen verkehrte.
»Wohin des Weges?«, fragte Terza freundlich.
»In meine Kabine. Ich habe dort etwas Wichtiges zu klären«, antwortete Rosan.
Terza blickte Wyll an und musterte ihn mit einem feinen Lächeln.
»Das ist also der Bras’Cooi, der die Orbanashols erniedrigt. Amüsant.«
Wyll räusperte sich.
»Und wohin geht ihr?«, wollte Rosan schließlich wissen.
»Oh, wir haben eine Besichtigungstour mit Doktor Talbot in den Mannschaftsetagen und unteren Decks vereinbart. Auch wenn es schon spät ist, aber Zeit ist im Weltraum sowieso relativ.«
Rosan wünschte der Gruppe viel Spaß. Der Doktor und der stellvertretende Kreuzfahrtmanager trafen ein und begannen mit der Führung.
»Zur Abwechslung mal eine freundliche Arkonidin«, meinte Wyll, als die Gruppe sie verließ.
»Ach, bin ich nicht freundlich?«
Beide mussten lachen. Nach einer Weile erreichten Rosan und Wyll ihre Kabine. Sie kramte in ihrer Schublade, holte einige kostbare Schmuckstücke heraus und packte sie in ihre Tasche.
»Wer weiß, wenn es uns mal nicht so gut geht, können wir sie ins Pfandhaus bringen«, scherzte sie.
Dann nahm sie noch ihren Plüschgucky. Wyll schaute Rosan erstaunt an.
»Den hab ich von meinem Vater bekommen. Ich hänge sehr an ihm«, erklärte sie.
»Schon gut«, lächelte Wyll.
Er schaute sich in dem Raum um und spielte mit einem goldenen Brieföffner, dabei schnitt er sich versehentlich.
Rosan zeigte ihm, wo er sich verarzten konnte.
Sie schrieb noch einen Abschiedsbrief und war fest entschlossen, den Rest der Reise bei Wyll zu verbringen und dann mit ihm nach Camelot zu gehen.
In dem Moment kam allerdings Zhart in die Kabine.
Er sah Wyll und Rosan verachtend an. Seine anfängliche Überraschung hatte er schnell verarbeitet.
»Ehrenwerte Rosan Orbanashol, Attakus wünscht dich unverzüglich zu sprechen. Ich habe den Auftrag, dich sofort zu ihm zu bringen«, erklärte er mit der üblichen Arroganz.
»Sie geht nirgendwo hin!«, blaffte Wyll den Haushofmeister an.
Dieser warf einen verächtlichen Blick zu Nordment. »Ich wiederhole mich nur ungern, aber Attakus ist des ausdrücklichen Wunsches, sich mit dir zu artikulieren. Ohne deinen barbarischen Bras’cooi. Dieser sollte besser die Kabine verlassen, sonst rufe ich den Sicherheitsdienst wegen Einbruch.«
»Von mir aus, wir wollten sowieso gehen«, konterte Rosan und rannte los.
Nicht nur Zhart war von dieser Aktion überrascht. Auch Wyll brauchte einige Sekunden um zu schalten. Dann warf er ein Kissen in Richtung Zhart und lief los. Sie stürmten aus der Kabine und liefen einen Korridor entlang. Zhart verfolgte sie quer durch die Gänge.
Das Liebespaar lief an den verdutzten Passagieren vorbei und rief des Öfteren eine Entschuldigung. Sie versteckten sich in einem Raum.
Doch Zhart entdeckte sie dort. Die »Jagd« ging weiter.
»Der ist ja furchtbar hartnäckig«, rief Wyll.
»Kein Wunder, er war früher bei der FAMUG und im Kristallsicherheitsdienst«, antwortete Rosan außer Atem.
Sie machten in einem Korridor halt, der zur Sternenhalle führte. Als sie erneut Zhart sahen, eilten sie los und erreichten das Foyer.
»Wir nehmen den Antigrav«, beschloss Wyll hastig.
Sie sprangen in den Antigrav und schwebten an einigen verdutzten Passagieren vorbei. Zhart nahm die Verfolgung auf und hechtete in den Antigrav. Wyll und Rosan sprangen in den Mannschaftsdecks heraus. Wyll zerrte sie mit. Sie erreichten das Transmitternetz und nannten den Hangar als Ziel.
Alles war dort ruhig. Keine Seele weit und breit zu erkennen. Rosan und Wyll vergewisserten sich, dass Zhart ihnen nicht gefolgt war. Der spärlich beleuchtete Hangar drei barg eine der Space-Jets sowie 25 der kleinen Beiboote, die Plätze für 100 humanoide Lebewesen boten. Rosan schenkte Wyll ein viel sagendes Grinsen und marschierte schnurstracks auf die Space-Jet zu. Sie öffnete die Einstiegsluke und setzte sich an die Konsole. Wyll folgte ihr und nahm an der Steuerung Platz.
»Wohin soll es gehen?«
»Auf einen einsamen wunderschönen Planeten, wo nur wir zwei sind.«
Dann umschloss Rosan Wyll mit ihren Armen. Beide legten sich auf eine Rückbank in der Zentrale.
Er küsste sie leidenschaftlich und begann ihre Kombination zu öffnen. Beide versanken in ihrer leidenschaftlichen Liebe. Sie stöhnten auf, umarmten einander fest und küssten sich innig.
Doch plötzlich hielt Wyll inne, als er Bauteile in der Ecke sah, die eigentlich zum Antrieb gehörten.
»Was? Hast du es dir anders überlegt?«, fragte Rosan verdutzt.
Nordment räusperte sich verlegen.
»Etwas stimmt nicht mit der Space-Jet. Hier hat sich jemand dran zu schaffen gemacht.«
*
»Ich konnte sie bis jetzt nicht finden«, erklärte Zhart unzufrieden. »Sie sind ziemlich schnell …«
Attakus resignierte. Wie konnten die beiden es wagen? Er war ein Adliger! Ein Arkonide! Wie konnte Rosan ihn so demütigen? Wieso liebte sie ihn nicht? Was war an diesem gewöhnlichen Barbaren denn schon dran? Attakus lief wütend durch die Kabine und schlug mit der Faust gegen die Wand.
»Verdammt!«
»Ich fürchte, die bist du für immer los«, meinte Hermon da Zhart. Der Arkonide legte kein Bedauern in seine Äußerung. Dem jungen Orbanashol war es völlig egal, ob sein Diener nun Mitgefühl oder nicht für ihn empfand. Hauptsache, Zhart diente ihm loyal bis an sein Ende.
Attakus sah plötzlich den Brieföffner an dem noch etwas Blut klebte.
»Wessen Blut ist das?«
Zhart holte einen Analysator aus dem Nebenzimmer. Mit seiner stoischen Ruhe aktivierte er das Gerät und scannte die DNS. Als ehemaliger Mitarbeiter des Kristalldienstes hatte Zhart seine Möglichkeiten, eine Verbindung zur Syntronik der LONDON herzustellen. Trotz der vielen defekten Bereiche der Syntronik gelang es ihm, die Datenbank der Crew abzufragen. Jedes Besatzungsmitglied hatte zwecks Identifizierung einen Bluttest machen müssen.
Der alte Arkonide hatte einen Verdacht, der sich sehr schnell bestätigte. Der Test ergab, dass das Blut von Wyll Nordment stammte.
Attakus fing an zu lachen. Zhart konnte ihm nicht ganz folgen. Er sah seinen Meister fragend an.
»Jetzt haben wir einen Beweis für Wyll Nordments Attentat auf mich.«