Rosan versuchte krampfhaft an die Wasseroberfläche zu gelangen. Sie verlor Wylls Hand und versuchte den Kontakt zu ihm wieder herzustellen, schaffte es aber nicht.
Dann schwamm die Halbarkonidin an die Oberfläche. Der Sog war überraschend schwach, so schaffte sie es wieder nach oben.
Das erste, was sie rief, war Wylls Name. Doch sie war nicht die einzige, die rief. Sie war von über tausend Überlebenden umringt, die Hilfe schreiend im Wasser schwammen.
Hinter ihr tauchte ein Mann auf, der sie unter Wasser drückte. Er stand offensichtlich unter Schock und schrie. Rosan kam kurz wieder hoch und wollte Luft holen. Da hörte sie eine vertraute Stimme rufen: »Lass sie los!«
Es war Wylls Stimme. Er schwamm so schnell er konnte zu den beiden und schlug den Mann ins Gesicht, der daraufhin auch sofort Rosan losließ.
Wyll umarmte seine Geliebte innig.
»Gott sei Dank, du lebst!«, stammelte die junge Orbanashol.
Wyll legte einen Arm um Rosans Oberkörper und zog sie mit sich. Er hatte ein schwimmendes Stück Holz gesehen. Es stammte vermutlich von einer Tür.
Er legte Rosan auf das rettende Stück. Es war zwei Meter lang und etwa halb so breit. Jedoch konnte es nur eine Person tragen. Wyll musste sich an dem Stück festhalten. Er sah sich um. Die Männer und Frauen im Wasser schrien verzweifelt um Hilfe, doch niemand schien sie zu hören. Die Rettungsboote waren über einen Kilometer entfernt. Sie bewegten sich auch nicht.
Wyll hielt Rosans Hände fest. Beide sahen sich in die Augen.
»Wir leben immerhin noch. Jetzt schaffen wir es!«, munterte er sie auf.
Sie lächelte schwach. Es fing an zu regnen.
»Noch nasser können wir ja nicht werden«, flüsterte sie sarkastisch.
Wyll sah sich weiter um. Neben ihm trieb die zerschmetterte Leiche des Funkoffiziers Sparks. Wyll sprach ein letztes Gebet für seinen Kameraden. Er glaubte Perry Rhodan entdeckt zu haben. Der junge Terraner winkte ihm zu.
Es war tatsächlich der Zellaktivatorträger.
Rhodan lächelte als er die beiden sah. Er hatte sich an einem Plastikstuhl festgehalten und schwamm mit diesem zu dem Liebespaar herüber.
»Ich bin froh, euch beide lebend zu sehen.«
4:40 Uhr
Die Rettungskapseln trieben ruhig über das Meer. Als es anfing zu regnen, seufzten einige Frauen pikiert und beschwerten sich. Lichtern lag erschöpft auf dem letzten Boot und musste an die arme Terna Ambyl denken. Wäre sie nur etwas weniger selbstlos gewesen, wäre sie noch am Leben. Er hörte die Beschwerde der Frau vom gegenüberliegenden Boot und schnauzte sie an.
»Halt dein Maul, du dumme Kuh!«
Seine Nerven lagen, wie die der anderen, blank. So viele Wesen waren gestorben. Viele die er kannte, viele, die er eben erst kennen gelernt hatte. Nur Gesichter. Von Männern, Frauen und Kindern aller Rassen. In ihrer aller Augen hatte Furcht und Panik gestanden. Er hörte die Schreie der noch im Wasser schwimmenden. Entsetzt blickte er zu ihnen. Dann befahl er seinen Leuten zu den anderen Kapseln zu rudern. Er suchte den wachhabenden Offizier Spechdt.
*
Die etwas über 5.500 Männer und Frauen saßen still in den umfunktionierten Booten und hofften auf baldige Hilfe.
Sam konnte nicht ruhig sitzen. Er musste an die tausend Lebewesen denken, die da draußen im Wasser um ihr Leben kämpften.
»Wir müssen umkehren. Nicht alle Kapseln sind voll besetzt. Wir können noch Leben retten«, sagte der Somer eindringlich.
Spechdt, der ehemalige Ortungsleiter der LONDON entgegnete barsch: »Das kannst du vergessen. Ich kehre nicht mehr zurück. Die würden doch die Kapsel zum Kentern bringen.«
Sam schüttelte wütend den Kopf.
»Das ist doch Wahnsinn. Die Menschen brauchen unsere Hilfe. Leute, das sind eure Männer, Frauen und Kinder da draußen. Ihr könnt sie doch nicht einfach sterben lassen!« beschwor er sie.
»Wenn du nicht gleich den Schnabel hältst, kannst du denen da im Wasser Gesellschaft leisten«, fletschte Spechdt ihm entgegen.
Sam atmete tief durch und setzte sich kopfschüttelnd.
5:30 Uhr
Seit bereits einer Stunde schwammen die Überlebenden im Wasser. Die Schreie wurden leiser. Einige waren vor Entkräftung bereits untergegangen.
Unweit von ihnen trällerte Jon Maskott auf einer Pfeife und rief immer wieder die Boote zu sich.
Wyll versuchte Rosan weiter aufzumuntern.
»He, es könnte schlimmer sein«, meinte er lächelnd.
Rosan gab ein schwaches Lächeln zurück. Auch sie war immer noch klitschnass. Der Regen wollte nicht aufhören.
»Bald kommen die Rettungskapseln und holen uns ab«, tröstete Wyll seine Geliebte.
Er sah fragend zu Perry Rhodan herüber, doch der schüttelte nur den Kopf.
Perry hörte einige Aufschreie. Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie ein Hai aus dem Wasser schnellte und sich Maskott schnappte. Der stellvertretende Ortungsleiter hatte keine Chance gehabt.
Die Wasserraubtiere waren wieder hungrig. Sie sprangen aus dem Wasser und rissen die Lebewesen schnell und tödlich. Wieder brach eine Panik unter den Überlebenden aus.
»Es ist schlimmer«, sagte Rosan.
*
Es regnete immer noch. Die Wesen auf den Booten waren durchnässt, doch in Sicherheit. Es war immer noch sehr ruhig unter den Geretteten. Das Notboot von Lichtern erreichte die anderen. Der hagere Offizier winkte Spechdt zu und forderte ihn auf, sofort mit der Umladung der Passagiere zu beginnen.
»Wir füllen die anderen Boote und können so noch Überlebende aus dem Wasser aufnehmen. Spechdt lehnte ab, doch das war Lichtern egal. Sam unterstützte ihn dabei. Sie vertäuten die Rettungskapseln miteinander und baten die Passagiere umzusteigen, die widerwillig Folge leisten.
Sam half mit und versuchte die Aktion voranzutreiben. Doch es dauerte eine Ewigkeit ...
6:20 Uhr
Eine gespenstische Stille lag über dem Meer. Das Schreien der Überlebenden war verstummt. Man hörte nur noch das Rauschen der Wellen und das Prasseln des Regens. Vereinzelt noch ein Seufzen oder ein Stöhnen.
Rosan war inzwischen eingeschlafen. Perry Rhodan hielt Nordment vom Einschlafen ab. Das dürfte dessen sicherer Tod sein Das Wasser war zwar mit knappen zehn Grad Celsius nicht eiskalt, aber auch nicht sonderlich warm.
Rhodan betrachtete einen vorbeischwimmenden Torso eines Menschen, der von den Fischen übrig gelassen wurde. Rhodan erkannte den Sicherheitschef der LONDON, Prollig. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Gedärme hingen aus dem abgetrennten Bauch. Perry musste sich ein Würgen unterdrücken.
Die Raubfische hatten sich inzwischen zurückgezogen. Seit bereits einer Stunde hatten sie keinen Galaktiker mehr gerissen. Hulga Imoll und Brunde Galfesch hatte es zum Schluss erwischt. Beide hatten keine Chance gegen die Haie gehabt. Damit waren wohl Dannos letzte Kinder der Materiequelle gestorben. Nun waren sie in ihrem Paradies, doch sicherlich weit davon entfernt, jemals ein Kosmokrat zu werden.
Doch die See bot ein riesiges Grab. Rhodan schätzte, dass knapp dreitausend Wesen in den letzten fast zwei Stunden den Tod gefunden hatten. War es durch die Raubfische oder durch Kreislaufzusammenbruch und Entkräftung. Jakko Mathyl paddelte etwa zehn Meter von den Dreien entfernt. Er war kreidebleich und am Ende seiner Kräfte.
Rhodan sah, wie sich zwei Kapseln näherten. Erleichtert stieß er Wyll Nordment an, der hochschreckte. Rhodan zeigte in die Richtung der kommenden Rettung.
Wyll weckte sanft Rosan auf, die sich irritiert umsah.
»Sie kommen, um uns zu retten!«, sagte Wyll freudig.
Rosan lächelte mühsam.
Wyll und Rhodan winkten die Kapseln herbei. Auch die anderen, noch knapp 400 Überlebenden machten auf sich aufmerksam. Viele schwammen den beiden Kapseln entgegen. Die Luken öffneten sich und die ersten wurden aufgenommen.
Doch das Glück dauerte nicht lange. Rhodan hörte hinter sich ein unnatürliches Rauschen. Es waren die Raubtiere. Sie griffen wieder etliche der Menschen an und zogen sie in die Tiefe. Es brach eine Panik aus. Eine der Kreaturen tauchte urplötzlich vor Rosan und Wyll auf. Sie rammte Wyll in seiner Brustgegend und riss mit seinen scharfen Flossen seinen Oberschenkel auf. Dann erspähte es Mathyl, der auf Rhodan zu geschwommen war. Es bäumte sich auf und sprang auf ihn. Eine Welle blieb von beiden zurück. Mathyl tauchte nicht wieder auf.
Rhodan schwamm zu Wyll, um zu sehen, wie stark er verletzt war.
»Es geht schon«, hustete Wyll. Er erreichte wieder das Holz mit Rosan.
Sie ergriff sofort wieder seine Hände und küsste ihn.
»Du musst durchhalten!«, hauchte sie leise.
Rhodan winkte einem der Beiboote zu. Lichtern sah Rhodan, tat jedoch nichts.
Er griff, anstelle Befehl zu geben dorthin zu fahren, ein Sprechgerät.
»Es tut mir Leid, mehr als 150 Personen können wir nicht aufnehmen. Die Boote sind randvoll. Bitte vergebt uns, aber haltet weiter durch, bis Hilfe kommt.«
Wyll sah entsetzt Rosan an.
»Wir haben einen Verletzten hier!«, rief Rhodan.
Das zweite Rettungsboot näherte sich den drei. Rhodan konnte Sam erkennen, der aus der Luke sah.
»Wir nehmen Wyll Nordment zu uns. Dafür gehe ich ins Wasser«, schlug der Somer vor.
Wyll wollte erst nicht, doch Rhodan konnte ihn vom Gegenteil überzeugen.
Plötzlich umringten aber etwa 100 Überlebende die Kapsel und versuchten an Bord zu kommen.
»So geht das nicht. Wir müssen die Luke schließen, sonst kentert das Boot!«, fluchte Spechdt.
Sam verneinte. »Solange ich hier bin, bleibt sie offen!«
Spechdt schien das allzu wörtlich zu nehmen. Er schubste Sam ins Wasser und schloss die Luke. Die Kapsel trieb wieder davon. Die schreienden Menschen hinter sich lassend.
Die andere Kapsel unter Lichtern trieb langsam auf die Wesen im Wasser zu. Zumindest wollten sie moralischen Beistand leisten, auch wenn sie keine Passagiere mehr aufnehmen konnten.
Perry kraulte zu dem Somer, der sichtlich Mühe hatte sich an der Oberfläche zu halten. Sam ergriff sofort den Plastikstuhl und hielt daran fest.
»Wozu habe ich dich niedergeschlagen, wenn du doch den Helden spielst?«, fragte Rhodan ironisch.
Die Raubfische zogen ab, doch sie konnten jederzeit wiederkommen. Es hatte aufgehört zu regnen. Jedoch war es weiterhin dunkel. Die meisten waren nun tot oder dämmerten dem Tode entgegen. Kaum einer gab mehr einen Laut von sich. Perry Rhodan und Sam hielten sich gegenseitig wach. Der Unsterbliche dachte an die lange Odyssee der LONDON. All die Abenteuer um nun hier zu enden? Das durfte nicht sein!
Wyll zitterte inzwischen. Rosan versuchte ihn immer wieder aufzumuntern. Doch auch ihr fehlte die Kraft. Sie bemerkte, dass sich das Wasser rot färbte. Es war Wyll Nordments Blut.
»Wyll«, flüsterte sie schwach. Sie hustete mehrmals.
»Ja?«
»Ich liebe dich.«
»He, das klingt ja wie ein Abschied«, stotterte er. Das Wasser wurde nun doch ziemlich kalt.
»Ich schaffe es nicht, Wyll«, hauchte Rosan.
Er verstärkte den Druck in seinen Händen, die immer noch Rosans hielten. »Du musst mir versprechen, dass du es schaffst. Du wirst noch steinalt werden und viele Kinder bekommen auf Camelot.«
»Nur, wenn du der Vater bist«, flüsterte sie.
Wyll wollte darauf antworten, doch der Schmerz der gebrochenen Rippen und des Oberschenkels ließen ihn zusammenzucken.
»Sicher ...«, meinte er nur.
Er wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten konnte. Vielleicht noch eine halbe Stunde, dann würde er zusammenbrechen. Doch Hilfe war nicht in Sicht. Es war vorbei. Er hoffte nur, dass Rosan es schaffte.
Rosan glitt von dem Holzstück herab und half Wyll darauf. Er hatte Schmerzen, als sie eine Rippe berührte. Rhodan half ihr.
Nordment war verblüfft.
»Du brauchst die Ruhe nötiger als ich«, sagte Rosan.
»Rosan, du bist die tollste Frau, die mir jemals begegnet ist. Auch wenn es schwachsinnig klingt, aber dich hier zu treffen, war das Beste, was mir passieren konnte«, gestand er ihr.
Sie lächelte wieder schwach. Auch sie zitterte. Das Wasser war kalt. Ein kalter Wind zog nun über das Meer.
Auf einmal hörten sie ein Dröhnen, das vom Himmel kam. Mehrere Lichter waren zu sehen.