08. Dezember 1285 NGZ
Rosan stand am Geländer und blickte verträumt in den künstlichen Himmel, den die Bordsyntronik der LONDON kreierte. Die kleine Kunstsonne war aktiviert und die Temperatur dementsprechend höher auf den so genannten Außendecks des Luxusraumers. Der Sauerstoff wurde mit einem leichten Salzgehalt angereichert. Dazu kam das Rauschen von Wellen und eine Projektion eines schier endlosen Meeres. Rosan hatte das Gefühl, sie würde auf einem richtigen Schiff stehen und einen Ozean überqueren.
Sie sah den Menschen zu, die noch das Beste aus der Reise machten. Arno Gaton hatte notgedrungen allen Passagieren einen Preisnachlass von bis zu fünfzig Prozent versprochen. Damit beruhigte er wieder die wütenden, aber auch verängstigten Passagiere. Die Reise wäre beinahe zum Fiasko für die Kosmische Hanse geworden. Ausgerechnet Perry Rhodan hatten sie es zu verdanken, dass sie doch noch eine glückliche Wende genommen hatte. Perry Rhodan war es auch gewesen, wenn auch mit Hilfe von Sam, Aurec, Wyll und Rosan selbst, der Rodrom besiegt hatte. Zwar hatten viele glückliche Zufälle mitgespielt, doch ohne Perry Rhodan wäre die LONDON schon bei der Entführung durch Dannos verloren gewesen.
Jeder an Bord war ihm zu Dank verpflichtet. Doch nicht alle taten es. Ihr Onkel Spector hatte Rhodan als Grund für die ganze Misere bezeichnet. Er argumentierte, dass ohne Rhodan Rodrom niemals Interesse an der LONDON gehabt hätte.
Sicherlich hatte er so gesehen Recht, doch ohne Rhodans beruhigende Art und Durchsetzungsvermögen hätte bereits Dannos seine Pläne verwirklichen können, was auch für viele das Ende bedeutet hätte.
Außerdem hatte niemand das Recht dazu, Perry Rhodan für die Bösartigkeit Rodroms verantwortlich zu machen. Aber das war schon immer eine Unart der Arkoniden gewesen.
Dieser Undank regte sie auf. Die Eliten der Milchstraße dachten stets, sie würden über der normalen Bevölkerung stehen und doch waren sie, im Angesicht des Kosmos, nur Staub. Klein und unbedeutend, doch sie nahmen sich viel zu wichtig und machten anderen das Leben schwer.
Und doch waren sie nichts ohne ihre willigen Diener, die ihren gierigen Herren nacheiferten, in der Hoffnung, auf einer ähnlich traumhaften Wolke zu schweben, wie ihre Vorbilder. Rosan hätte gut und gerne auf den Reichtum und den Glamour der selbst ernannten Eliten verzichten können.
Sie dachte nun an ihre Zukunft. Auf dieser Reise war sehr viel passiert. Wyll Nordment hatte ihr Leben mehr verändert, als die Abenteuer in den letzten Wochen. Er hatte ihr gezeigt, wie schön das Leben doch sein konnte, fernab von den Orbanashols und der arkonidischen Etikette. Sie hatte es satt, jeden Morgen die arkonidische Hymne singen zu müssen. Für Arkons Macht und Glorie – sie konnte die Arroganz Attakus' nicht mehr ertragen.
Wyll und Rosan waren zwar häufig zusammen gewesen, doch sie hatten keine Zeit gefunden, ihre Liebe richtig zu genießen. Erst jetzt hatten beide Zeit, ausgiebig über sich und ihre gemeinsame, Zukunft nachzudenken. Rosan wollte erst einmal eine Weile allein sein, um sich über ihre Gefühle im Klaren zu werden.
Sie liebte Wyll mehr als alles andere und war der festen Überzeugung, dass sie beide zusammen glücklich werden konnten. Nur hatte sie Angst vor ihrer Familie. Spector und Attakus Orbanashol würden nichts unversucht lassen, um ihr Glück zu zerstören. Deshalb war sie manchmal der Ansicht, dass Wyll ohne sie besser dran wäre.
Als Zeichen der Anerkennung hatte Wyll immerhin eine bessere Unterkunft erhalten, seine Position als Navigator blieb ihm jedoch weiter verwehrt. Die Anklage wegen Mittäterschaft bei der Entführung der LONDON und wegen tätlichen Angriffs gegen Attakus Orbanashol wurde allerdings aufgrund von Wylls maßgeblicher Beteiligung zur Rettung der LONDON fallen gelassen.
*
Die neue Kabine Wyll Nordments war um etliches komfortabler, als sein Interimsquartier. Das Bett war weich. Hätte er in der alten Absteige Möbel aus Formenergie gehabt, wäre es ihm egal gewesen, doch die harte Pritsche hatte ihm nur Rückenschmerzen beschert. Wyll lag auf seinem kuscheligen Schlafplatz und verschränkte die Arme hinter den Kopf.
Er dachte natürlich an Rosan. Er liebte sie und wollte den Rest seines Lebens mit ihr verbringen. Er hatte keine Angst vor den Orbanashols. Das einzige, was ihm im Moment fehlte, war ein Job. Er glaubte nicht daran, dass er in der Hanse noch einmal anfangen könnte.
Natürlich musste kein Mensch mehr auf Terra hungern und Wyll war sich sicher, dass er auf irgendeinem Schiff eine Stelle bekam, doch war das dann auch das Richtige für Rosan? Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, war sie einen gewissen Lebensstandard gewohnt.
Wyll wollte nicht, dass sie auf alles verzichten musste, nur wegen ihm.
Er seufzte laut. Dann schaute er auf sein Chronometer. Es war bereits 20.40 Uhr. Er entschloss sich, zu Rosan zu gehen, um mit ihr über alles zu reden.
*
Perry Rhodan und Sam saßen in Rhodans Kabine und genossen die Ruhe. Für Rhodan waren Erlebnisse dieser Art nichts Ungewohntes mehr, doch Sam brauchte diese Phase der Ruhe. Diese gewährte ihm Rhodan schon seit dem Abflug aus der Galaxis Saggittor.
Der Cameloter dachte über seinen neuen Alliierten und dessen Volk nach. Seit die LONDON auf der Rückreise in die Milchstraße war, begann er in den Ruheperioden immer mehr zu grübeln. Die Saggittonen und ihr charismatischer Führer Aurec, der zu einem guten Freund geworden war, erinnerten ihn mehr und mehr an ein anderes Volk und an einen anderen Freund, der jedoch längst im Dunkel der Geschichte verschwunden war: Ovaron und die Ganjasen.
Je mehr er über seine neuen Verbündeten nachdachte, umso mehr drängte sich ihm der Vergleich mit dem Ganjo auf. Aurec steckte genau wie Ovaron voller Tatendrang und war bereit, unter Einsatz seines Lebens, für eine friedliche und geeinte Zukunft seines Volkes zu kämpfen.
Er war sich sicher, dass diese Episode erst der Anfang einer intensiven Zusammenarbeit mit Saggittor sein würde, die Sternentransmitter eröffneten die Möglichkeit eines intensiven Austausches auf kultureller, wirtschaftlicher und militärischer Ebene. Ebenso hatte er allerdings auch das Gefühl, dass er schon in naher Zukunft wieder auf Rodrom stoßen würde. Die letzten Worte der Entität waren eindeutig und hingen wie eine dunkle Bedrohung über ihm und den Menschen: Krieg und nochmals Krieg.
Sam war inzwischen eingeschlafen. Der Somer hatte sich für einen Diplomaten und Politiker sehr tapfer geschlagen. Er war eines Cameloters würdig. Perry freute sich auf die kommende Zusammenarbeit mit ihm.
Er war sich noch nicht sicher, wo er genau Sam einsetzen wollte. Doch er sollte an einem Langzeitplan arbeiten, die Milchstraße wieder auf friedliche Art zu einen. Eine wahrhaftig anstrengende Aufgabe, doch Sam konnte dieser gerecht werden.
Rhodan holte eine Decke und legte diese über das Vogelwesen. Er wollte ihn nicht extra wecken. Es machte ihm nichts aus, wenn der Somer die Ruheperiode in seiner Kabine verbrachte. Er selbst konnte nicht schlafen, zu sehr beschäftigten ihn die vergangenen Ereignisse. Schließlich verließ er seine Unterkunft und begann ziellos durch das Raumschiff zu schlendern.
Unterwegs bemerkte er, wie schön die LONDON eigentlich war und er war froh, dass das Schiff keine ernsthaften Schäden davongetragen hatte. Aber er machte sich noch immer Sorgen um die Sicherheit des Luxusraumers und seiner Passagiere. Diese würden wohl erst beendet sein, wenn die LONDON sicher im Orbit um Terra angekommen war.
Gedankenverloren bemerkte er, dass ihn sein Weg in die Sternenhalle geführt hatte. Über ihm wölbte sich die gewaltige Kuppel aus hoch verdichtetem Glas, das gegen die Leere des Weltraumes durch eine zusätzliche Schutzschicht aus Formenergie abgeschirmt wurde. Sein Blick wurde wie magisch von der Projektion des intergalaktischen Raumes angezogen, die während des Metagravfluges die Illusion erzeugte, freien Blick auf das normale Raum-Zeitgefüge zu haben. Langsam ließ er sich in einen etwas abseits stehenden Formenergiesessel sinken und blickte abwesend in das beeindruckende Firmament.
Mit einem Handzeichen machte er sich bemerkbar, worauf eine äußerst knapp bekleidete Bedienung zu ihm kam. Die hoch gewachsene junge Frau mit kupferfarbener Haut und oxidgrünen Haaren starrte ihn einen Moment völlig konsterniert an, bevor sie sich sichtbar zusammenriss und nach seinen Wünschen fragte.
»Könnten Sie mir bitte eine Flasche Vurguzz, eine Flasche Wasser und ein Glas bringen?«
Wieder schien die junge Frau völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten und brauchte einige Augenblicke, bevor sie seinen Wunsch bestätigte.
»Gerne Großadministrator, sehr …, sehr gerne!«, stammelte sie verwirrt.
»Großadministrator, das war einmal, in einer anderen Zeit, in einem andren Leben. Jetzt bin ich nur Perry, ganz einfach Perry«, antwortete er ihr.
Ihr Blick ruhte noch einen Augenblick auf ihm, bevor sie sich eilig entfernte. Rhodan blickte ihr nach und überlegte, von welchem Siedlungsplaneten sie stammen mochte. Aus seinem Gedächtnis entstand das Bild eines zwei Meter großen Hünen mit den gleichen äußerlichen Merkmalen, Arl Tratlo, der Dreitöter. Der USO-Spezialist hatte im Kampf gegen die Meister der Insel eine Rolle gespielt und war vor knapp 2.500 Jahren gefallen.
Die junge Frau musste also, genau wie Tratlo, von der Welt Meredi IV stammen, die etwa 500 Lichtjahre von Terra entfernt war.
Wenig später kam die Bedienung zurück und überreichte ihm mit einem scheuen Lächeln die gewünschten Getränke.
Mit einem gemurmelten »Danke!« verabschiedete er sich von der Meredierin und nahm die Flaschen samt Glas. Er schenkte sich ein und genoss das Aroma des grünen Likörs aus den Vurga-Beeren. Nachdem er das Glas in kleinen Schlucken geleert hatte, lehnte er sich zurück und nahm seinen Pikosyn. Er griff auf die Daten der Saggittonen zu und ließ den kleinen Rechner Auswertungen vornehmen.
Rhodan goss sich nochmals ein Glas Vurguzz ein, das er auf einen Zug leerte.
Obwohl er halbwegs mit diesem Ergebnis gerechnet hatte, überraschte ihn die Bestätigung seiner Vorahnung. Die Auswertung des Genetischen Codes und der DNA-Sequenzen der Saggittonen hatte eine weitgehende Übereinstimmung mit dem Erbgut der Terraner ergeben, kurz gesagt, Aurec und sein Volk waren, genauso wie die Cappinvölker, Varganen oder auch die Wynger, genetisch mit den lemuriden Völkern der Milchstraße kompatibel, sie konnten ohne genetische Manipulationen gemeinsame Nachkommen haben. Alles deutete also auf eine gemeinsame Abstammung hin. Doch wo lag dann der Ursprung der Menschheit und welche Rolle spielte sie im Kosmos?
Sollte die Legende der V’Aupertir als Ursprung aller humanoiden Völker doch einen Wahrheitskern enthalten?
Rhodan schwindelte vor den Konsequenzen. Sollte die alte Prophezeiung von ES dahin gehend zu verstehen sein, dass die Menschheit in ferner Zukunft das »Erbe« ihres eigenen Urvolkes antreten sollte? Und welche Rolle war ihm bei diesem Spiel eigentlich zugedacht?
Zumindest eines war ihm inzwischen klar geworden: Die Entführung der LONDON hatte offenbar dem Zweck gedient, ihn auszuschalten. Irgendwie musste er den Plänen irgendeiner unbekannten Entität gewaltig im Wege stehen.
Endlich bemerkte er, dass sein Geist zur Ruhe gekommen war. Er beschloss in seine Kabine zu gehen und endlich seinen verdienten Schlaf zu finden. Er durchquerte die inzwischen menschenleere Sternenhalle und erreichte über den Umweg des ebenfalls glasüberdachten »Hauptdecks« seine Kabine, wo Sam nach wie vor friedlich in einem Sessel schlief. Rhodan legte sich auf die Konturliege und deckte sich mit der zur Luxusausstattung gehörenden Daunendecke zu. Wenig später fielen ihm die Augen zu und er begann einzuschlafen.
*
James Holling und Arno Gaton saßen in einem der vielen Speiseräumen zusammen. Dies war einer, der für kleine Mahlzeiten vorgesehen war. Sie ruhten in zwei bequemen, dunkelbraunen Sesseln mit breiten Lehnen. Vor ihnen stand ein kleiner, grünlicher Tisch aus Phasit-Holz. Beide tranken eine Tasse Cappuccino nach siganesischem Rezept.
Gaton war in bester Laune.
»Sogar ein gutes Geschäft an Land gezogen. Wir werden dir zum Abschied erlauben, noch eine Runde durch das Solsystem zu fliegen. Mit Feuerwerk kannst du dann in deine Pension schippern. Als heldenhafter Kommandant der LONDON! Klingt das nicht nett?«
Der alte Plophoser lehnte sich zurück. Natürlich wünschte er sich solch einen glanzvollen Abschied. Letztendlich hatte Gaton ja Recht. Es war nichts passiert. Er grinste und griff nach seinem Glas. Dann stieß er mit Gaton an.
»Auf meinen letzten Flug.«
Gaton machte einen zufriedenen Eindruck.
»Warum nicht gleich so.«
Beide saßen noch eine Weile in dem Raum und sahen den Passagieren zu.
»Weißt du, in meiner langen Raumflottenkarriere ist mir alles schon vorgekommen. Nur eines nicht«, murmelte Holling.
Gaton sah ihn fragend an.
»Kein Wrack. Keine Zerstörung eines Raumschiffes.«
Gaton lachte laut. »Wird wohl auch nicht mehr passieren.«
Der Hansesprecher nahm einen langen Zug aus dem Glas und ging wieder. Holling blieb im Sessel und wippte etwas mit dem Kopf hin und her.
*
Die Orbanashols saßen in einer Dunstwolke aus Zigarrenqualm zusammen mit dem Mehandor-Patricharchen Kolipot, dem Apaser Türkalyl Öbbysun und dem topsidischen Botschafter Terek-Orn beim Abendtrunk. Auch der terranische Bankier Jakko Mathyl und weitere einflussreiche Geschäftsmänner gesellten sich in den luxuriösen Raum mit dem künstlichen Kamin zu ihnen. Sie diskutierten über die wirtschaftliche Lage und wie die Märkte auf das Verschwinden der LONDON wohl reagierten.
»Jetzt wäre der beste Zeitpunkt, um Hanseaktien zu kaufen. Sofern es zuhause bekannt ist, dürfte die Aktie im Keller sein. Jetzt aufkaufen und sobald die LONDON in der Milchstraße ist und Gaton den Saggittor-Deal verkündet, ist die Hanseaktie unbezahlbar«, stellte Mathyl fest und nippte an seinem Whiskeyglas.
»Wir könnten jemand mit einer Space-Jet voraus schicken«, schlug Kolipot vor.
»Insiderhandel ist verboten«, warf Öbbysun schrill ein.
Mathyl winkte ab, während der Springer verächtlich die Miene verzog und grollte.
»Nur wenn man erwischt wird. Ansonsten gehört es zum normalen Geschäft eines klugen und weitsichtigen Unternehmers.«
»Ich stimmte meinem Mehandorfreund zu«, sagte Mathyl. »Was meint der arkonidische Adel dazu? Etwas mehr Geld schadet doch nie, oder?«
Attakus Orbanashol war jedoch nicht bei der Sache. Er kauerte in seinem Sessel und hielt ein leeres Glas in der Hand.
»Wie du meinst«, erwiderte Attakus in Gedanken versunken. Der Aristokrat winkte Hermon da Zhart zu sich. Der kantige Arkonide trat an seinen Herren heran und beugte sich herab.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte der Diener der Familie.
»Wir brauchen einen Plan. Ich will Rosan zurück!«
Zhart verdrehte die Augen. Er war dieses Thema langsam Leid. Nach seiner Meinung hatte dieses Mischblut den hohen Zhdopanda Attakus nicht verdient. Doch diese Kritik wagte er nicht zu äußern.
»Wir haben doch schon alles versucht. Zwecklos«, erklärte er halbwegs diplomatisch.
Attakus stand auf und lief wütend durch den Raum. Die anderen starrten ihn entgeistert an.
Jakko Mathyl flüsterte etwas zum topsidischen Delegierten. Dieser gab ein leises, kehliges Summen von sich.
Attakus blieb plötzlich stehen. »Ich hab eine Idee. Zhart, folge mir!«
Beide verließen schnellen Schrittes den Raum. Spector sah seinem Neffen misstrauisch hinterher. Ihm gefiel es nicht, wie Attakus Rosan hinterherrannte. Spector hätte an Attakus Position anders reagiert. Er hätte die Frau, die es wagte ihn abzulehnen, beseitigen lassen.
Liebe war das nicht, sondern gekränkte Eitelkeit. Er hatte seinen Besitz verloren. Attakus hatte verloren. Das störte Spectors Neffen wirklich.
Aber Spector plante bereits, einige Killer auf Rosan Orbanashol anzusetzen, sobald sie wieder auf Arkon waren. Egal ob sie sich nun für Attakus oder Wyll Nordment entschied. Wenn es nach Spector Orbanashol ging, war das Schicksal seiner verhassten und verschmähten Stieftochter besiegelt.
Mit Niemandem hatte er darüber geredet. Nicht einmal mit seiner Frau Thorina. Er fürchtete, sie könnte auf einmal mütterliche Gefühle entwickeln und ihr Veto gegen das Vorhaben einlegen.
So hingegen war es unabänderlich für jeden. Am liebsten wollte Spector sie schon heute ermorden lassen, doch niemand an Bord war dazu bereit, zudem war es taktisch unklug. Er wäre einer der Hauptverdächtigen, falls ihr etwas geschah. Besonders in einer so begrenzten Örtlichkeit, wie auf der LONDON. Ein beauftragter Killer konnte sie jedoch auf Terra töten, während Spector auf Gos’Ranton saß und Zeitung las.
*
Attakus und Zhart begaben sich in ihre Luxussuite. Sie aktivierten das Türschloss und vergewisserten sich, dass niemand von der Dienerschaft in der Nähe war und ihnen zuhörte.
»Nordment hat ein aufbrausendes Temperament«, begann Attakus schnell, während er um den runden, transparenten Designertisches aus Ghama-Glas wanderte.
Zhart hob die Augenbrauen und stimmte zu.
»Das konntest du ja besonders feststellen. Doch was nutzt uns das?«, wollte der Haushofmeister der Familie Orbanashol wissen.
»Wir werden ihn wieder provozieren – öffentlich, danach wird ein Mordanschlag auf mich ausgeübt werden«, erklärte Attakus. »Ich überlebe natürlich, doch die Beweise am Tatort deuten auf Wyll Nordment hin. Aus Liebe zu Rosan wollte er sie von dem bösen Arkonidencousin befreien, der sie doch nur gefangen halten wollte. Aus Liebe tun diese Terraner ja fast alles.«
»Einen Anschlag kann ich mit Leichtigkeit inszenieren. Ich denke, das könnte diesmal funktionieren«, entgegnete Hermon von Zhart.
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Shel Norkat saß alleine in ihrem Zimmer. Sie grübelte über die Dinge nach, die sie getan hatte. Sie bereute es inzwischen.
Shel war wieder in ihre alten Zeiten zurückgefallen. Zeiten, in denen ihr Partys, Drogen, Alkohol und Sex wichtiger waren als alles andere. Sie war auf die LONDON gegangen, um diese alten Zeiten zu vergessen. Doch anstelle bei Aurec zu bleiben, musste sie bei der Feier mit einer anderen Terranerin flirten, Drogen einnehmen und bei einem flotten Dreier die Hauptrolle spielen.
Dabei hatte sie einfach alles für eine Nacht vergessen wollen. Die ganze Irrfahrt war zu schrecklich gewesen. Sie hatte einfach nur neben sich gestanden und nach einer Ablenkung gesucht.
Shel hatte versucht, ihren Fehltritt wieder gut zu machen, doch es hatte keinen Sinn gehabt. Aurec hatte sein Interesse an ihr verloren. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zurück zur Erde zu fliegen. Erst in den letzten Tagen des Rückflugs war sie sich darüber im Klaren gewesen, dass sie nie wieder so eine Chance bekommen würde. Sie hasste sich selbst dafür.