Ende November 1282 NGZ hatten wir endlich das Training als Infanterist überstanden. Wir bekamen drei Tage Erholungsurlaub, den ich nutzte, um Tante Ivy und Onkel Tuzz zu besuchen. Ich hätte zwar auch vorher die Möglichkeit gehabt, denn jedem Rekruten standen auch ein paar Stunden Freizeit zu, doch ich hatte nie den Drang verspürt, die beiden wiederzusehen.
Ich hätte es mir auch sparen können. Beide waren so oberflächlich wie eh und je. Onkel Tuzz fragte mich, da ich nun volljährig war, wann ich denn komplett ausziehen würde? Ich sprach ihn daraufhin auf das Erbe meiner Eltern an, doch beide meinten nur, wir würden später darüber reden.
Was bedeutete das?
Sie stotterten herum und lenkten immer wieder vom Thema ab. Ich hatte genug. Mein Besuch war vergeblich. Sie hatten mir die letzten achtzehn Jahre keine Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt, warum sollten sie es jetzt tun?
Ich ging wieder und streifte durch die Altstadt von Port Arthur.
»Hey, ich bin es Zantra«, rief mir jemand hinterher.
Ich drehte mich um. Das war Zantra Solynger. Sie winkte. Oh, sie winkte mir zu? Ich sah mich nach links und rechts um. Kein Irrtum. Sie meinte wirklich mich. Mein Herz pochte schneller.
Wir gingen aufeinander zu.
»Hey, was machst du hier?«, fragte sie und lächelte mich an.
Sie rauchte eine Zigarette und blies den Rauch aus. Beinahe hätte ich husten müssen, doch ich gab mir keine Blöße.
Ich schaute sie an. Ihre schönen langen, glatten und dunkelblonden Haare. Zantras Haut war eben und frei von irgendwelchen Unreinheiten. Ihre Figur war schlank, wenn auch nicht durchtrainiert. Doch sie besaß kein Gramm Fett zu viel. Selbst ihre etwas zu große Nase störte mich nicht. Im Gegenteil, denn es gab ihrem Gesicht eine unverkennbare Charakteristik.
»Was machst du denn nun hier?«
»Ach, tut mir leid. Ich weiß auch nicht. Komme gerade von meinem Onkel und meiner Tante. War nicht sehr angenehm. Nun bin ich einfach ziellos durch die Gegend gegangen.«
Sie nahm einen weiteren Zug von ihrer Zigarette und stieß den Rauch aus. Irgendwie auch erotisch, wie sie da, mit halb geöffnetem Mund stand, die weißen Zähne blitzen halb unter den Lippen hervor. Gott, was hatte ich nur für Gedanken?
»Gehen wir doch ins Holodrom. Ich habe auch nichts vor. Vielleicht lenkt es dich ja ab von dem unangenehmen Besuch.«
Zantra wollte mit mir ins Holodrom gehen? Mit mir? Kein Traum? Was war nur los?
»Ja«, krächzte ich aufgeregt.
Wir sahen uns einen eher humorlosen Holofilm über zwei TLD-Agenten an, die eine Invasion von Extraterrestriern verhindern sollten und dabei einer Verschwörung auf die Spur kamen. Der Film war Nebensache.
Je mehr Zeit ich mit Zantra im Kino verbrachte, desto mehr mochte ich sie, doch ich war zu schüchtern, um mit ihr richtig zu reden. Außerdem hatte ich eben keine Erfahrungen mit Frauen. Ich wusste einfach nicht, was ich zu Zantra sagen sollte.
Zu meinem Bedauern kam von ihr auch keine große Initiative, um mich aufzulockern. Sie bemerkte, auch irgendwie erleichternd, meine Verkrampftheit nicht.
Nach dem Film schlenderten wir noch etwas durch die Stadt. Da ich nicht bei meinem Onkel und meiner Tante schlief, musste ich um Mitternacht wieder in der Akademie sein.
»Ha ... ha ...«
»Lachst du gedehnt oder willst du mir etwas sagen, Cauthon?«
Ich räusperte mich. Bei allen Göttern, Geistern und Entitäten. Gebt mir Kraft, nicht, wie der letzte Trottel dazustehen.
»Hast du, ich meine, musst du. Kaserne?« Ich hustete. Zweiter Versuch. »Musst du nachher auch in die Kaserne, oder bist du bei deinen Eltern?«
»Oh, jetzt verstehe ich. Nein, ich schlafe bei meiner Mutter und ihrem Lebensabschnittspartner.«
Was für ein grässliches Wort. Aber es gab zahlreiche solche zusammengeschusterten Bezeichnungen für Freund oder Freundin. Das Wort Partner hätte auch gereicht. Das andere klang so lieblos. So zeitlich begrenzt. Als ob man schon vorher festlegte, nicht auf Dauer zusammen zu sein. Welchen Sinn hatte dann eine Liebesbeziehung? Ich empfand auch Eheverträge als schlimm.
Ich war nun wirklich nicht der Romantiker vor dem Herrn, aber liebloser konnte man eine Hochzeit doch nun auch nicht gestalten, oder? Aber es gab eben auch viele Wesen, die keinen Wert auf Traditionen oder große Gefühle legten, an die sie sich am Ende doch nicht hielten.
Zantra und ich standen vor einem Holokubus, wo eine terranische Oper abgespielt wurde. Zantra schien sehr davon angetan zu sein. Ich verstand kein Wort, da es in der terranischen Ursprache Italienisch gesungen wurde.
»Wovon handelt das wohl?« fragte ich mich.
»Liebe ...« sagte sie leise.
Ich erwiderte nichts.
Liebe ... da konnte ich nicht mitreden. Mich hatte noch kein Mensch richtig geliebt. Zumindest keine lebende Person. Meine Eltern hatten mich sicher geliebt, doch sonst gab es niemand. Ivy und Tuzz hatten es mir heute wieder deutlich vor Augen geführt. Ich war allein. Dabei hatte ich auch Sehnsüchte und Bedürfnisse.
Ich schielte verstohlen zu Zantra herüber. Sie war sehr hübsch. Mein Herz schlug wieder höher. Ob sie mich lieben könnte? Ich hatte Angst sie zu fragen. Ich sollte mir Zeit mit ihr lassen, sie lief mir ja nicht weg.
»Ich … muss jetzt leider los. Kurz vor Mitternacht. Gibt sonst Ärger«, sagte ich leise.
Sie lächelte.
»Ich verstehe. War ein netter Abend. Sollten wir mal wiederholen. Wir sehen uns in der Akademie.«
Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich war wie paralysiert, schwor mir in diesem Moment niemals mehr mein Gesicht zu waschen. Aber würde sie mich dann noch einmal küssen?
Mehr als ein »Wiedersehen« brachte ich nicht hervor. Da war sie auch schon weg. Ich ärgerte mich über meine Schüchternheit und hoffte, dass wir diesen Abend wirklich bald wiederholen würden.
*
Schon am nächsten Tag rief sie an. Ich war völlig irritiert und glücklich zugleich. Wir verabredeten uns am späten Abend zu einem Spaziergang im Park hinter der Akademie.
»Übermorgen geht es wieder los. Dann beginnt das Raumtraining«, sagte ich, um überhaupt irgendetwas zu sagen.
»Ad Astra, Kadetten«, scherzte sie. »Bist du schon einmal mit einem Raumschiff geflogen?«
»Ja, vor acht Jahren zusammen mit Perry Rhodan und Gucky. Wir waren auf der Welt Mashratan.«
Sie blickte mich zweifelnd an.
»Auf diesem gefährlichen Planeten? Du flunkerst doch. Was wolltet ihr da?«
Ich erzählte ihr von meinem kleinen Abenteuer und der Entführung. Anfangs hatte ich das Gefühl, Zantra nahm an, ich wolle ihr einen Okrill aufbinden, doch schließlich glaubte sie mir und war sichtlich beeindruckt.
»Dann bist du mit Rhodan befreundet? Das hätte ich nicht gedacht.«
Ich lachte. Es war Zeit, etwas anzugeben. Ich kramte mein Pod hervor und zeigte ihr die Glückwunschnachricht von Perry von gestern.
Gut gemacht, Cauthon! Rutan ist ein zäher Hund, aber du hast etwas bei ihm gelernt. Nun streng dich mal mit den Flugstunden an, damit du rechtzeitig bei der GILGAMESCH anheuerst, wenn sie fertiggestellt wird. Aber wehe, du arbeitest dann auf Guckys Modul. Gib auf dich Acht.
Perry Rhodan
Zantra nickte anerkennend.
»Du willst also Raumfahrer werden?«
Ich bestätigte ihre Vermutung. Wir gingen zum Arthur-Tower im Zentrum des Parks. Mit seinen 570 Metern Höhe bot er den besten Ausblick über Port Arthur.
Der Antigrav brachte uns schnell nach oben. Zantra lachte und streckte die Arme hoch, während sie nach oben schwebte. Ich verharrte hingegen eher in einer verkrampften Pose.
Ich genoss jeden Augenblick mit ihr. Ja, ich hatte mich in sie verliebt. Ich wusste nicht exakt wieso, aber spielte das eine Rolle? Mein Herz schlug höher in ihrer Gegenwart und ich wusste nicht, ob ich mich übergeben oder vor Freude jubeln sollte, so verwirrt waren meine Gefühle.
Aber wie sollte ich ihr das nur sagen? Sie würde mich bestimmt auslachen und mir einen Korb geben. Dann konnte ich gleich vom Tower springen.
Zantra stellte sich an das Geländer und schaute in die Tiefe. Der Ausblick über Port Arthur war atemberaubend. Die Stadt leuchtete wie der Sternenhimmel. Trotz meiner Kreislaufprobleme fühlte ich mich zufrieden und geborgen bei Zantra.
Da war dieses Gefühl der Vertrautheit. So als ob ich sie mein Leben lang kannte. Dabei war es bisher nur ein halbes Jahr und erst seit gestern hatten wir uns richtig unterhalten. Dieses Gefühl hatte ich bisher nur bei Cau Thon gehabt.
»Ein wunderschöner Anblick«, sagte sie sanft und blickte mich dabei an. Ihre großen blauen Augen ließen mein Herz höher schlagen. Wenn das so weiterging, bekam ich noch einen Herzinfarkt. Ich musste mich zusammenreißen.
»Ja, Camelot ist eine schöne Welt«, antwortete ich verlegen.
»Es gibt noch schönere Welten. Dort werde ich bald sein, so hoffe ich«, meinte Zantra.
Hatte ich mich da eben verhört?
»Wie meinst du das?«
»Ich möchte nach Sverigor ziehen«, erklärte sie. »Ich war bereits als Kind dort. Es ist eine wunderschöne Welt. So friedlich. Ich bewerbe mich auf einen Posten im dortigen Camelotbüro.«
»Aber … aber …, deshalb die Ausbildung, ja? Doch du musst sie ja erst noch zu Ende bringen.«
Zantra sah mich wieder an. Am liebsten hätte ich sie auf der Stelle geküsst. Doch mir fehlte der Mut.
»Nun, nach der Raumfahrer-Ausbildung habe ich die Grundkenntnisse. In der Niederlassung würden dann weitere spezielle Unterweisungen erfolgen. Die könnte ich auch direkt auf Sverigor erhalten. Doch dafür brauche ich eine Sondergenehmigung.«
»Verstehe«, stellte ich enttäuscht fest.
»Ja!«
»Sverigor ist weit entfernt von Camelot. Du solltest nichts überstürzen ...«
»Es ist mein größter Wunsch, auf dieser wunderschönen Welt zu leben«, erklärte sie mit einem Leuchten in den Augen. »Vielleicht kann ich eines Tages das Camelotbüro leiten.«
Ich stellte mich an das Geländer und blickte auf die Stadt hinab. Ich beschloss, ihr vorerst nichts von meiner Liebe zu gestehen. Mir zuliebe würde sie sicher nicht von ihrem großen Traum ablassen. Es würde nur alles unnötig erschweren.
Wir setzten uns auf zwei bequeme Liegestühle.
»Erzähle mir mehr von dir«, bat ich Zantra.
Sie plapperte auch sogleich los. Sie war ein Jahr jünger als ich. Sie war mit acht Jahren nach Camelot gekommen. Geboren auf Terra hatten sie und ihre Eltern zwei Jahre auf Sverigor gelebt. Ihrer Aussage nach war es die schönste Zeit ihres Lebens gewesen.
Nach der Scheidung ihrer Eltern hatte ihre Mutter sie mit nach Camelot genommen, um als Kosmopsychologin hier zu arbeiten. Offenbar hatte es wohl starke Differenzen zwischen ihren Eltern gegeben. Zantra hatte nie wieder etwas von ihrem Vater gehört. Wie auch? Kein Unbeteiligter kannte die Koordinaten von Camelot.
Für mich klang es nach Entführung durch die eigene Mutter, aber Zantra sah es offenbar anders. Ich wollte mich da nicht einmischen. Ihre Mutter hatte dann vor einigen Jahren einen Syntroniker geheiratet. Zantras Leben war nicht so düster, wie das meine. Es waren nur die ganz normalen Probleme einer Heranwachsenden.
Liebeskummer. Sie sprach ungeniert darüber, dass ihr Freund sie vor einigen Monaten verlassen hatte. Nun, hoffentlich würde er nie wieder zurückkehren.
Am meisten imponierte mir ihre Einstellung. Zwar war ein Leben auf Sverigor ihr größter Traum, weil sie die Natur und die Lebewesen darauf so liebte, doch sie wollte sich vor einer Verantwortung nicht drücken.
»Ich möchte etwas bewirken in meinem Leben. Vielleicht wollte es das Schicksal, dass meine Mutter mit mir nach Camelot gezogen ist. Ich denke, hier wird Geschichte geschrieben. Es gibt keinen besseren Ort, um in dieser Zeit die Weichen für seine eigene Zukunft zu stellen«, erzählte sie, während sie wieder eine dieser unsäglichen Zigaretten rauchte.
Ich stimmte mit ihr überein. Wir teilten viele Ansichten.
Etwas bewirken wollte ich auch. Es wäre wohl das Schlimmste, zu sterben und nichts erreicht zu haben. Keinen Platz in den Chroniken der Geschichte gefunden zu haben.
All die Jahre war ich ein Niemand gewesen. Nur auf Mashratan hatte ich ganz kurz an der Geschichte geschnuppert. All die Jahre hatten sie über mich gelacht und mich verachtet.
Doch das würde sich ändern. Ich war der Beste meines Jahrgangs bisher. Und ich würde als Bester abschließen. Sie alle würden mir großen Respekt zollen und mich bewundern.
Und dann würde mich Zantra bestimmt auch lieben. Ich spürte es mehr und mehr. Wir gehörten zusammen.