1.
Enttäuschungen

Wir schrieben den 17. November 1276 NGZ. Es war ein trauriges Datum, denn seit einem Jahr hatte ich nichts mehr von Rosan gehört. Sie hatte aufgehört, mir Hypernachrichten zu schicken.

Ich wusste, dass ihr Vater gestorben war, doch das war nun ein Jahr her. Ich verstand ihre Trauer. Jedoch nicht, wieso sie jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Ich war doch nicht schuld daran. Wieder einmal war ich enttäuscht worden.

Auch Gazh Ala meldete sich nur sehr selten bei mir. Ich dachte, ich wäre ihr kleiner Ritter? Aber seitdem sie auf Terra lebte, war ich offenbar in Vergessenheit geraten.

Eineinhalb Jahre nach meinem Abenteuer auf Mashratan war ich wieder derselbe unbedeutende, ungeliebte Junge wie vorher. Auch Perry Rhodan hatte sich kaum noch gemeldet. Es hieß, er war mit diesem oder jenem beschäftigt. Ich war nur noch Luft für alle!

Tante Ivy und Onkel Tuzz waren so lieblos und oberflächlich wie eh und je. Es hatte sie nach meiner Rückkehr ja nicht einmal interessiert, was ich erlebt hatte.

Nur Robbie war für mich da. Er war mein einziger Freund. Mein alter, kugelförmiger Servo- und Haushaltsroboter machte mir Mut. Doch es wurde immer schwieriger. Ich hasste die Schule und mein Leben. Ich fühlte mich bedeutungslos. Ach, könnte ich doch sofort zur Akademie wechseln. Ich hatte Wirsal Cell gefragt, doch er hatte nur gemeint, ich müsste eben den normalen Schulweg beschreiten. Ich hatte das Gefühl, dass Cell, Rhodan und Gucky von mir nur noch genervt waren, weil ich Kontakt mit ihnen haben wollte. Ja verstanden sie denn nicht, dass ich sie mochte und brauchte? Was hatte ich denn sonst außer ihnen und Robbie?

Wieso mochte mich eigentlich keiner? Ich dachte, das sei alles überwunden gewesen, doch so abrupt wie mein Leben damals auf Mashratan einen Sinn bekommen hatte, so hatte es nun keinen mehr. Würde überhaupt jemand Notiz davon nehmen, wenn ich tot war? Ich war doch nur eine Belastung für alle. Vermutlich würden sie sich innerlich sogar freuen.

»Cauthon, es ist Zeit. Du kommst sonst zu spät«, ermahnte mich Robbie.

Ich sah auf mein Chronometer und seufzte. Ja, es war wieder einmal Zeit für die Schule.

In der Schule hatte sich nichts verändert. Ich war immer noch das beliebteste Opfer für üble Scherze, Hänseleien und hier und da auch einmal einen Tritt. Für ein halbes Jahr nach meinem Abenteuer auf Mashratan war es ruhiger gewesen, doch danach waren meine ach so tollen Klassenkameraden wieder in ihre alten Gewohnheiten verfallen.

Natürlich allen voran Aleks Shyff und Krizz Hypp.

Sie hetzten die anderen auf und machten sich in jeder Pause über mich lustig. Die Schule war inzwischen die reinste Hölle für mich. Penetrant und gemein nutzten sie jede meiner vermeintlichen Schwächen aus, um sich Scherze zu erlauben.

Robbie konnte sich das immerhin nicht mehr mit ansehen. Er brachte mich nun immer zur Schule und holte mich auch wieder ab, damit ich nicht auch noch auf dem Heimweg von denen tyrannisiert werden würde.

Eigentlich wäre das die Aufgabe von Onkel Tuzz und Tante Ivy gewesen, doch die schafften es ja nicht einmal, mir ein Pausenbrot zu schmieren. Ich atmete tief durch, während wir die Straße Richtung Schule entlang gingen. Ich hatte keinen Blick für die Gebäude, Gärten oder vorbeizischenden Gleiter. Ängstlich starrte ich der Schule entgegen. Das unheilvolle Gebäude war aus der Ferne bereits an den drei hohen, rotgrauen Trichtertürmen zu erkennen.

Mit jedem Schritt wuchs meine Angst. Was ließen sich meine verhassten Klassenkameraden wieder einfallen, um mich kaputtzumachen? Sie genossen es. Doch ignorierte ich sie, war es auch nicht besser. Sie machten solange weiter, bis ihre Schikanen Wirkung zeigten.

»Hab keine Furcht, Cauthon! Irgendwann werden diese Narren aufhören, dich zu hänseln«, versprach Robbie. »Konzentriere dich auf den Unterricht, höre ihnen nicht zu und freue dich darauf, wenn ich dich abhole.«

Ich nahm mir den Ratschlag von Robbie zu Herzen. Während der gesamten Schulstunden ließ ich die Gemeinheiten von Aleks und Krizz an mir abprallen. Es kümmerte mich nicht. Im Unterricht ging es, doch die Pausen waren das Schlimmste. Meine Lehrer verstanden es nicht und wunderten sich immer darüber, dass ich allein und abseits auf dem Pausenhof stand. Sie gaben offenkundig mir die Schuld daran und sahen mich als Sonderling an, der sich nicht in die Klassengemeinschaft einfügen wollte. War auch klar, dass sie nicht auf meiner Seite waren.

Endlich war die Schule vorbei und ich stürmte hinaus. Robbie erwartete mich bereits und winkte mit seinem rechten Greifarm. Ich eilte zu ihm und drückte ihn. Für einen kurzen Moment wankte der Roboter ein wenig von links nach rechts, dann hatte er wieder sein Gleichgewicht gefunden.

»Na, Clothon«, rief Aleks Shyff hinter uns.

Er und Krizz Hypp folgten uns. Was sollte das? So dreist waren sie ja noch nie gewesen.

Krizz holte auf und stand neben mir. Plötzlich rempelte er mich an. Ich krachte unsanft zu Boden. Die beiden lachten.

»Verschwindet, ihr Giftzwerge!«, schnarrte Robbie.

Er streckte seinen Greifarm aus und half mir hoch. Ich klopfte den Schmutz von meiner Hose und Jacke.

Doch die beiden zeigten sich wenig beeindruckt. Sie lachten den Roboter aus. Erneut packten sie mich, doch diesmal griff Robbie ein. Seine Greifarme erhaschten die beiden am Kragen. Er hob sie einen Meter in die Höhe und ließ sie fallen.

»Jetzt wisst ihr, wie sich das anfühlt. Geht nach Hause, lernt und lasst Cauthon ein für alle Mal in Ruhe«, forderte Robbie.

Ich hob drohend die Faust.

»Genau!«, rief ich.

Dann bat ich Robbie, so schnell wie möglich nach Hause zu gehen. Wir sollten es nicht übertreiben.

*

Der nächste Tag war definitiv der Schlimmste in meinem bisherigen Leben. Ich verließ das Haus bereits mit einem unguten Gefühl. Ich fürchtete die Rache von Alks Shyff und Kriz Hypp.

Und ich behielt recht. Sie lauerten uns an einer Ecke auf. Ein Energiestrahl zuckte aus der Seitengasse und traf Robbie. Dünne, blaue Blitze zuckten über das Metall. Dann sackte Robbie zu Boden.

»Nein!!!«, schrie ich.

Da packte mich schon Krizz und zog mich in die Gasse. Er presste mich gegen die feuchte Wand und spuckte mir ins Gesicht.

»Hilf mir, das Ding ist schwer«, rief Aleks, der sich an Robbie zu schaffen machte.

Kriz boxte in meinen Magen. Mir blieb die Luft weg. Ich sackte auf die Knie, doch mein Blick war auf Robbie gerichtet. Krizz rannte zu Aleks.

»Schnell, schnell, bevor jemand etwas sieht«, sagte Krizz.

Die beiden hoben Robbie an und trugen ihn in die Gasse. Sie lachten und freuten sich über ihre Tat.

Robbie! Was hatten sie dir nur angetan?

»Du kommst dir wohl toll vor, wenn dein Roboter uns rumschubst. Jetzt zeigen wir dir mal, wer echte Macht hat«, blubberte Aleks und trat gegen das metallische Gehäuse von Robbie.

Krizz beugte sich herab und öffnete die Wartungsklappe. Er zückte wieder den Strahler. Woher hatte er nur diese Waffe? Er war ein Kind und durfte doch so etwas gar nicht besitzen.

»Lass mich«, forderte Aleks und wollte nach dem Strahler greifen, doch Krizz zog ihn zurück.

»Finger weg. Du machst ihn noch kaputt und dann kriege ich Ärger mit Daddy. Wenn der erfährt, dass ich ihm das Ding geklaut habe, kriege ich eine Tracht Prügel.«

Krizz hielt den Strahler in den Wartungsschacht und drückte ab. Funken sprühten, das Metall erhitzte sich und Rauch quoll aus Robbie heraus.

»Nein, lasst ihn in Ruhe«, rief ich, stand auf, doch Aleks trat mir in die Beine. Er setzte sich auf mich, packte mich am Schopf, sodass ich den Mord an Robbie mit ansehen musste.

Mit einem sadistischen Grinsen schnitt Krizz mit dem Strahler einmal um Robbie herum, bis die Halterung vom Oberteil abfiel. Aleks verpasste mir einen Schlag in die Seite. Dann rannte er zu Robbie, trat die Chips, Platinen und Boards aus dem Körper des Roboters heraus und trampelte darauf herum. Danach schoss Krizz darauf, bis alles zu einem verschmorten Einheitsbrei wurde. Auch vor der bionischen Komponente machten sie nicht halt.

Zum Abschied gaben sie mir lachend noch einmal einen Tritt und rannten davon.

Ich weinte!

Sie hatten Robbie zerstört. Er lag vor mir in seinen Einzelteilen. Verschmort, zerstrahlt, glühend und qualmend. Das war doch ein böser Albtraum. Das geschah nicht wirklich. Das durfte nicht sein!

Robbie!

Robbie war tot.

Mein einziger Freund war tot. In diesem Moment wünschte ich mir nur, ich wäre auch tot.

*

»Wer hat das getan?«, fragte das tellerköpfige Wesen mit schriller Stimme und legte seine sechsgliedrige Hand auf meine Schulter.

Ich schluchzte nur, hielt die Überreste von Robbie in der Hand.

»Du bist verletzt. Wir müssen dich versorgen. Bei allen Kreaturen, wo wohnst du?«, wollte der Jülziisch wissen.

Ich musterte den Blue, der mich mit seinem vorderen Augenpaar anstarrte. Der Kopf wippte auf dem dünnen Stielhals leicht von links nach rechts.

»Kannst du Robbie reparieren?«, fragte ich nur.

»Ich? Ich bin doch nur der Muurt-Wurmhändler von Gegenüber. Das müsste sich ein Kybernetiker ansehen. Soll ich dich nicht lieber nach Hause bringen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Robbie muss repariert werden. Mach ihn bitte wieder heil.«

Der Jülziisch half mir hoch und brachte mich in seinen Muurt-Wurmladen. Überall krabbelten die Viecher in transparenten Schachteln vor sich hin. Der Blue rief einen Techniker. Wenige Minuten später hielt ein Gleiter.

Ein weiterer Blue stieg aus. Auf seiner Schulter saß ein Swoon. Die gurkenförmigen Wesen von kleiner Gestalt galten als begnadete Mikrotechniker in der Galaxis.

»Günülly, was gibt es denn?«, fragte der Jülziisch seinen Artgenossen. Dieser wedelte mit beiden Armen.

»Ach, der kleine Junge hier ist völlig verstört. Offenbar hat jemand seinen Roboter kaputtgemacht. Ich dachte, dass du und Sycco mal danach sehen könnt.«

Die beiden Extraterrestrier blickten mich an. Vermutlich war es ein mitleidiger Blick. Ich ging zu ihnen.

»Bitte! Helft Robbie, er ist krank.«

»Gib dir einen Ruck, Yüsserk«, forderte Günülly.

Der andere Blue stimmte schließlich zu. Wir alle gingen über die Straße in die Seitengasse.

»Du meine Güte, da hat jemand ganze Arbeit geleistet. Die Speicher sind verschmort, die bionische Komponente zerstrahlt. Soviel mutwillige Zerstörung ist mir selten untergekommen«, erklärte der Swoon.

Er kletterte am Blue herunter und ging zu mir. Ich beugte mich herab. Er legte seine kleinen Hände auf meine Knie.

»Tut mir wirklich leid, kleiner Mann, aber sofern kein Backup von Robbies Speicher existiert, ist er kaputt. Wer immer das getan hat, wusste, wie man einen Servoroboter zerstört. Ich kann Teile auswechseln, aber der zentrale Prozessor ist völlig verschmort. Auch die Speicherplatinen sind zerstört. Ich müsste ein komplett neues Zentralmodul einsetzen und Robbie neu aufspielen. Es wäre ein neuer Robbie.«

Jetzt begriff ich. Robbie war wirklich tot. Krizz und Aleks hatten mir meinen einzigen Freund genommen.

Nun wusste ich, dass ich allein war.

*

»Was hat er angestellt? Die Schule hat schon gefragt, wo er bleibt«, fauchte Tante Ivy, als sie aus dem Haus stürmte.

»Nichts, Miss! Dein Kind hat Schlimmes erlebt. Jemand hat seinen Roboter zerstört und ihn verprügelt«, erklärte Günülly bedrückt.

Yüsserk und Sycco zeigten auf Robbies Überreste auf der Ladeklappe des Gleiters.

Tante Ivy seufzte nur.

»Tut mir leid, wenn der Junge Umstände bereitet hat.«

»Hat er nicht. Kümmere dich gut um ihn. Er ist sehr traurig«, erwiderte Sycco. »Mach‘s gut, kleiner Cauthon. Es kommen auch wieder bessere Zeiten«, verabschiedete sich der Swoon.

Die Blues winkten mir zu. Dann fuhren sie mit Robbie weg. Sie hatten mir versprochen, ihn würdevoll zu bestatten. Ich vertraute ihnen.

Tante Ivy schickte mich ins Haus. Sie begutachtete meine Wunden und schüttelte nur den Kopf.

»Wo hast du dich nur rumgetrieben? Jetzt müssen wir dir einen neuen Roboter kaufen. Auch das noch.«

Sie nahm eine Tube Sprühplasma und wollte es auf meine Wunde tun, doch da schlug ich ihr die Tube aus der Hand. Plötzlich war ich so zornig! Wie konnte sie nur so ignorant sein.

»Robbie ist tot! Ich will keinen neuen, du dumme Kuh!«

Ich schubste sie weg und rannte in mein Zimmer. Dort weinte ich. Tante Ivy kam nicht hinterher. Sie schimpfte nicht einmal mit mir. Auch das war ihr offenbar zu mühsam.

Ich war ihr völlig egal.