13.
Am Ende doch allein

»Deine Freundin Gazh Ala hatte einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung von Kerkums Söldnertruppen geleistet«, sagte Perry Rhodan und lächelte mich an. »Sie konnte uns Namen nennen und hat einige Jahre mit uns intensiv zusammengearbeitet. Ohne dich wäre das nie möglich gewesen.«

Hoffentlich würde ich Gazh Ala bald wiedersehen. Sie hatte für Anfang Januar ihren Besuch angekündigt. Ich verstand, dass sie nicht beliebig zwischen Terra und Phönix hin und her reisen durfte. Doch ich vermisste sie.

Rhodan rückte meinen Anzug zurecht.

»Du willst doch Eindruck auf die jungen Damen bei der Weihnachtsfeier schinden.«

»Eigentlich nur auf Zantra Solynger«, erwiderte ich.

Rhodan seufzte, aber kommentierte es nicht weiter. Wir brachen zur Raumfahrtakademie auf. Ich war stolz, dass ich mit Perry Rhodan höchstpersönlich auf der Weihnachtsfeier erscheinen durfte.

Wir hatten uns lange nicht persönlich getroffen, doch Perry hatte regelmäßig den Kontakt mit mir gehalten. Er war auf meine Leistungen auf der Akademie stolz. Ich erzählte ihm von meinen Manövern mit den Raumjägern und schwärmte davon, eines Tages meinen Dienst auf der GILGAMESCH oder IVANHOE zu verrichten.

Und natürlich sprach ich mit ihm über Zantra. Naja, vielmehr hielt ich einen Monolog. Perry machte nur hin und wieder »Mhm« und »Ach?«. Ich fragte ihn, ob Zantra dann auch den Dienst auf der GILGAMESCH verrichten könnte?

»Schaun wir mal. Sprich am besten mit ihr darüber«, antwortete Rhodan knapp.

Wir erreichten die Akademie. Wirsal Cell empfing uns. Er trug einen Frack mit Fliege. So nannte man diese altertümlichen Anzüge. Der Festsaal war schön hergerichtet. Ein großer Tannenbaum in der Mitte der Halle, reichlich geschmückt und beinahe schon zu schrill beleuchtet, zog wohl jeden Besucher zuerst in seinen Bann. Cell klopfte mir auf die Schulter.

»Nun, Musterschüler, freust du dich schon auf den nächsten Raumeinsatz?«

Ich nickte und salutierte.

»Ja, Sir!«

Cell lachte herzlich.

»Rhodan, aus dem wird ein ganz Großer! Cauthon Despair hat das Zeug dazu, Geschichte zu schreiben«, fand Cell.

Rhodan winkte ab.

»Vorschusslorbeeren sind nicht gut für das Ego. Cauthon wird seinen Platz finden, aber er hat auch noch viel zu lernen.«

Wieso sagte Perry so etwas Gemeines zu mir? Ich war der Beste des Jahrgangs! Keiner reichte mir das Wasser! Wieso verkaufte mich Rhodan unter Wert? Hatte er kein Vertrauen zu mir? Pikiert zog ich davon und suchte Zantra. Ich fand sie an der Bar. Neben ihr so ein Schönling, der zwei Ausbildungsjahre über mir war. Er trug eine schillernde Uniform mit allen möglichen Auszeichnungen. Nun, Orden fehlten mir noch, aber das würde noch kommen.

»Hey«, begrüßte mich Zantra.

»Hey«, sagte ich knapp und musterte meinen Kontrahenten. Schlank, kurzes, volles Haar, rasiert wie ein Baby Popo und gut gebräunt. Ich mochte ihn nicht.

Sie wandte sich wieder von mir ab und unterhielt sich weiter mit dem smarten Typen. Ich war abgemeldet, stand verloren herum und brauchte eine Weile, um zu kapieren, dass sich Zantra nicht zu mehr, als ein »Hey« hinreißen ließ.

Antee Vamsar und Benyameen Pluzz kamen vorbei. Immerhin stand ich so nicht allein, auch wenn ich die Anwesenheit der beiden nicht schätzte. Ich trank zwei Vurguzzcocktails, ehe Zantra endlich erneut von mir Notiz nahm.

»Alles gut?«, fragte sie mit einem Lächeln?

»Ja«, knurrte ich und dachte das Gegenteil.

»Lach doch mal, Cauthi! Das ist übrigens mein Freund Ygor. Er hat gerade die Akademie beendet und rate mal, wo er stationiert wird? Auf Sverigor! Er wird Sicherheitschef der Camelotniederlassung. Und nun …«

Sie kicherte. Ihre Augen glänzten.

Mir schoss nur ein Wort durch den Kopf. Freund! Sie betonte das Wort so, als meinte sie damit nicht einen guten Freund.

»Und ich werde die Akademie abbrechen und die Ausbildung auf Sverigor als Sachbearbeiterin beenden. Ygor wird mich ausbilden. Ich kann schon im Januar nach Sverigor.«

Sie nahm Ygors Hand. Beide sahen sich tief in die Augen und lächelten. Was geschah hier? Zantra hatte einen Freund? Sie verließ Phönix schon nächsten Monat? Sie verließ mich?

Für dieses arrogante Stück Weltraummüll?

Ich brauchte noch einen Vurguzz. Soviel Alkohol war ich nicht gewöhnt, doch, was sollte ich tun? Meine Hände zitterten. Ich brachte kein Wort heraus.

»Freust du dich nicht für uns?«

»Was?«, entgegnete ich verständnislos.

»Wir haben die Erlaubnis von Perry Rhodan persönlich erhalten. Das ist das Gute an diesem Mann. Er hat ein offenes Ohr für seine Leute und hilft ihnen weiter«, sagte dieser widerwärtige Ygor mit einem süffisanten Grinsen. Dann hob er das Glas. »Kannst uns ja mal besuchen kommen, Kleiner. Wenn du die Ausbildung fertig hast, natürlich.«

Kleiner?

Am liebsten hätte ich diesem arroganten Fatzken sein Glas in den Rachen gestopft, bis er daran erstickte. Doch ich lächelte nur und nickte. Wo war mein Mut? Ja, gut, ich konnte ihn verprügeln und dann? Ich fürchtete die Konsequenzen. Ich musste mich doch an die Regeln von Camelot halten und das tun, was Perry Rhodan von mir verlangte.

Perry Rhodan! Er hatte also Zantra eine Sondergenehmigung erteilt. Wie konnte er nur? Er wusste doch, dass ich Zantra liebte und sie zu mir gehörte. Nun nahm er sie mir weg.

Oh, ich Narr! Ich war zu zögerlich gewesen, hatte gedacht, ich hätte alle Zeit des Universums, ihr Herz zu erobern. Ja, ich hatte mir eingebildet, sie wollte es auch so. Doch sie hatte mich betrogen. Sie hatte mich die ganze Zeit hinters Licht geführt.

Da stand sie nun. Grinste dämlich vor sich hin und zeigte nicht den Anflug von Reue und Gewissensbissen. War es ihr egal oder war sie so ignorant, dass sie meine Gefühle überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte? Spürte sie denn nicht, dass mein Herz gebrochen war?

»Naja, du kannst ja noch hier rumstehen. Wir gehen jetzt tanzen.«

Zantra und Ygor ließen mich stehen. Als wäre ich Luft. Ich war keine Luft. Ich war Cauthon Despair! Sie konnte mich haben und nahm diesen aufgeblasenen Penner statt meiner.

Ich war intelligenter, moralisch hoch stehender und auch ein besserer Raumfahrer. Wirsal Cell hatte es gesagt. Ich würde Geschichte schreiben!

Ich … ich … brauchte erst nochmal einen Vurguzz!

Ein Servo flog vorbei. Ich fischte ein Glas von dem Tablett und leerte es. Noch einen! Das konnte man doch nüchtern nicht ertragen. All diese blöden Narren. Die standen doch weit unter mir. Die wollten die Elite der Milchstraße sein? Was wussten die schon? Kannten sie den Schmerz der Einsamkeit, den ich mein ganzes Leben lang spürte? Wussten sie, wie es war, niemals geliebt zu werden und trotzdem zu versuchen, etwas aus seinem Leben zu machen?

Nein! Noch ein Vurguzz. Das Zeug schmeckte gut.

Sie wussten gar nichts! Da standen sie und kokettierten herum, als wären sie von ES persönlich auserwählt.

Vamsar kam schon wieder. Er hatte eine Frau und seinen Lebenspartner bei sich. Die kesse Blondine hieß Maryssa. Maryssa war wohlproportioniert und von natürlicher Schönheit. Ihre Weiblichkeit quoll beinahe aus dem engen, rotschwarzen Kleid. Ihre Beine schienen endlos zu sein. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Maryssa sucht noch einen Begleiter für heute Abend«, erklärte Vamsar und lachte. Arm in Arm verschwand er mit seinem Freund.

Wir blickten uns an. Mir war vom Vurguzz schlecht. Außerdem musste ich an Zantra denken.

»Möchtest du mich nicht zum Tanzen auffordern?«, fragte Maryssa und klimperte mit den Wimpern.

»Nein!«

Ihr Lächeln verschwand ebenso wie sie. Ich genehmigte mir noch einen Vurguzz. Ja, sie sah schon hinreißend aus, wie sie sich verrenkte und den Hintern beim Tanz schwang. Aber ich wollte nicht tanzen. Das war nichts für mich. Da machte ich mich ja zum Affen.

Ich lächelte Maryssa verlegen zu, als sie zurückkam. Plötzlich zog sie mich auf die Tanzfläche. Ich fühlte mich wie ein Trottel. Maryssa hopste aufreizend um mich rum, schäkerte dabei mit anderen Männern und Frauen, während ich mir entwürdigt und verloren vorkam.

Ich zuckte hier und da mit den Armen und Beinen. Offenbar ging es als Tanz durch. Nach dem Ende des Songs stolzierte die Blondine zur Bar. Vurguzz! Ja, eine gute Idee.

Maryssa war sofort von drei Kerlen umgeben. Tja, da war ich wohl wieder abgemeldet. Immerhin wusste der Vurguzz mich zu schätzen. Wo waren eigentlich Perry Rhodan und Wirsal Cell? Oder die treulose Zantra?

»Cheers!«, sagte Maryssa und prostete mir zu.

Da war sie ja wieder. Ich wusste nicht, wieso so eine Schönheit auf mich stand. Zantra hatte mich ja abblitzen lassen und es gab hier doch genügend Gigolos. Ob sie mich mochte? Oder ob Antee sie bezahlt hatte?

»Du bist mit Perry Rhodan gekommen. War das Zufall?« wollte sie wissen.

»Nein, wir kennen uns schon lange. Ich werde nach Ende der Ausbildung vermutlich auf der GILGAMESCH anheuern.«

Maryssa sah mich überrascht an. Sie lächelte.

»Du bist ja ein richtiger Star, Kleiner!«

Sie presste ihren Körper fest an meinen und hauchte: »Mich törnen solche Leute an.«

Ich fing an zu zittern. Ich lächelte nur kurz und hatte keine Ahnung, was ich erwidern sollte.

Sie leerte ihr Getränk schnell und rauchte eine Zigarette. Ich musste von dem Rauch husten. Wieso mussten nur alle Frauen rauchen, die ich kannte?

Sie lachte nur leise und bot mir auch eine an, doch ich lehnte ab. Maryssa legte ihren Arm um meine Schulter.

»So ein Star wie du, dem liegen die Mädchen bestimmt zu Füßen. Wie viele?«, fragte sie leise.

»Wie belieben?«

»Hattest du schon?«

»Frauen?«

»Frauen, Männer oder Extraterrestrier. Ich bin für alles aufgeschlossen.«

Sie starrte mich vielsagend an. Ich musste mich beherrschen. Mir war übel vom Vurguzz, ich musste an Zantra denken und doch konnte oder wollte ich mich dem Bann dieser Frau nicht entziehen. Sie mochte mich bestimmt. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals? Zantra ließ mich kläglich im Stich, während Maryssa sich anschickte, mein Herz zu erobern. Ich leerte den nächsten Vurguzz. Ach, noch einer hinterher. Sicher war sicher.

Ja, ich wusste, ich konnte dieser Maryssa vertrauen. Also war ich ehrlich zu ihr.

»Ich habe bis jetzt mit keiner Frau geschlafen, auch mit keinem Mann oder Extraterrestrier«, sagte ich mit einem Augenzwinkern.

Maryssa löste sich aus der Umarmung.

»Das ist ein Scherz!«

»Nein ... und?«

Sie begann laut zu lachen. Sie lachte mich aus. Sie lachte so laut, dass etliche Leute auf uns aufmerksam wurden.

»Entschuldige, aber das ist echt ein Hammer!« meinte sie breit grinsend.

Ich teilte ihr Amüsement nicht. Ich stand wie zu einer Salzsäule erstarrt neben der immer noch lauthals lachenden Blondine.

Sie machte sich über mich lustig. Sie respektierte mich nicht. Sie nahm mich nicht ernst. Ich griff ihr Handgelenk und drückte fest zu. Jetzt verging ihr das Lachen.

»Was bildest du hirnloses Flittchen dir eigentlich ein? Nur weil du dich wie ein Schwein benimmst, musst du dich nicht überlegen fühlen. Ich bin besser als du!«

Ich hatte es satt, dass jemand über mich lachte. Niemand hatte das Recht über mich zu lachen. Niemand! Ich hasste Maryssa. Diese billige Schlampe sollte vom nächsten Schwarzen Loch verschluckt werden.

Ich ließ sie los und ging. Oder versuchte es. Jeder Schritt fiel mir schwer. Was war nur los mit mir? Alles drehte sich und mir war so schrecklich übel.

Ich achtete nicht mehr auf die blöde Schrulle, sondern versuchte die Toiletten zu erreichen, ohne jemand anzurempeln.

Das war gar nicht so einfach. Plötzlich packte mich jemand am Oberarm. Es war Perry Rhodan. Der fehlte mir noch. Der hatte doch Zantra erlaubt, fortzuziehen.

»Du hast wohl zu tief ins Glas geschaut«, stellte Rhodan fest.

Ich gab irgendeinen Laut von mir. Rhodan geleitete mich auf den Balkon. Ich setzte mich auf einen Liegestuhl.

»Alle hassen mich«, sagte ich.

Das stimmte doch auch. Alle hassten mich und machten sich über mich lustig.

»Quatsch«, erwiderte Rhodan. »Du solltest ins Bett gehen und dich ausschlafen.«

Ich winkte ab. Am besten, ich starb heute. Mich vermisste sowieso niemand.

»Ich wünschte, ich hätte eine richtige Familie«, flüsterte ich. »Verstehst du, eine Mutter und einen Vater! Dann träume ich davon, dass ich das Mädchen fürs Leben treffe und sie mit nach Hause bringe und meinen Eltern vorstelle und, dass wir zusammen Weihnachten verbringen. Ich habe nie ein schönes Weihnachten verbracht!«

Ich fing an zu weinen. Die Welt war so ungerecht zu mir. Das Universum hasste mich.

»Zantra war das Mädchen meiner Träume, aber sie hat mich einfach so fallen gelassen. Einfach so!«

Der Unsterbliche legte seine Hand auf meine Schulter.

»Tut mir leid!«

Tat es ihm nicht, sonst hätte er ihr ja nicht gestattet, nach Sverigor zu ziehen. Der heuchelte doch auch nur Freundschaft vor. Wie alle anderen auch. Sie nutzten mich nur aus. Und wenn sie mich nicht mehr brauchten, war ich Sternenstaub für sie.

Eines Tages würde das Universum mich respektieren. Ich war keine Witzfigur. Jedoch war mir jetzt richtig übel …