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D O R G O N

Fan-Projekt des Perry Rhodan Online Clubs

 

MORDRED-ZYKLUS

Band 2

 

Nils Hirseland

Titelbild von Lothar Bauer

 

Ein Junge namens Cauthon Despair

Er trifft auf Perry Rhodan und sein Schicksal

 

Was bisher geschah

Im Jahre 1273 Neuer Galaktischer Zeit-rechnung ist die Situation in der Milchstraße angespannt. Die Liga Freier Terraner, das Kristallimperium Arkon und das Forum Raglund sind die wichtigsten Machtblöcke in der Galaxis. Sie misstrauen einander und die Völkergemeinschaft des Galaktikums ist zerstritten.

Die Zellaktivatorträger um Perry Rhodan haben sich auf die ehemalige Freihändler-welt Phönix zurückgezogen und die Organisation Camelot gegründet.

In dieser argwöhnischen Zeit wächst ein kleiner Junge auf, dessen Geburt vor etwas mehr als acht Jahren für Aufsehen sorgte. Seine Eltern und ihre Mitstreiter – ein Wissenschaftlerteam von Camelot – wurden brutal ermordet. Das war Teil eines Plans, denn der Junge soll ein Sohn des Chaos werden.

Hauptpersonen

Cauthon Despair – Ein isoliert lebendes Kind trifft auf Perry Rhodan.

Perry Rhodan – Der Zellaktivatorträger nimmt sich des jungen Despairs an.

Gucky – Der Mausbiber spielt wieder den Retter des Universums.

Ivy und Tuzz Genero – Cauthon Despairs Tante und Onkel.

Oberst Kerkum – Herrscher über den Planeten Mashratan.

Wirsal Cell – Ausbilder an der Raum-akademie Port Arthur.

 

 

 

 

 

Prolog

Ich hatte es getan! Ich hatte es wirklich getan! Es war kaum zu glauben, doch nun saß ich auf meiner Terrasse in meinem beschaulichen Anwesen und genoss die frische Luft und das Zwitschern der Vögel.

Ich hatte Siena in der Toskana zu meinem neuen Domizil gewählt, weil mich die Jahrtausende alten Bauten beeindruckten. Siena gab mir mit ihren kulturellen Einrichtungen und den vielen sorgsam restaurierten Sehenswürdigkeiten das Gefühl, die Hektik der Metropolen eines Sternenreiches ausschalten zu können. Meine Villa lag etwas außerhalb der Stadt auf einem kleinen Hügel mit exzellentem Blick auf die paradiesische Natur.

Letztlich war ich dem Ruf meines Bruders Borrom und seiner Frau Anne-Lee gefolgt, die in England lebten. Doch das Wetter war mir dort trotz Wetterregulierung durch NATHAN zu griesgrämig.

Borrom und Anne-Lee waren mit meiner entzückenden aber quengeligen Nichte Nataly bei mir zu Besuch. Die Dreieinhalbjährige besaß viel Energie und Temperament.

Während die kleine Nataly mit hochrotem Kopf kreischte und schrie, weil sie kein zweites Stück Kuchen bekam, las ich eine Pressemitteilung der Kosmischen Hanse durch. Ein Hansesprecher namens Arno Gaton, der für den Tourismus- und Freizeitmarkt verantwortlich war, verkündete den Bau des größten Luxusraumschiffes der Galaxis. Die Liga Freier Terraner bezuschusste natürlich den Bau mit einigen Milliarden Galax. Was blieb ihr auch anderes übrig, nachdem die LFT vor gut fünfzig Jahren die Kosmische Hanse übernommen hatte?

Die Konstruktion dieses Raumschiffes sollte zwölf Jahre dauern. Arno Gaton rechnete mit dem Jungfernflug im Jahre 1285 NGZ.

Das war eine ganz schön lange Zeit, doch die LONDON, so der Name des Raumschiffes, sollte mit rund 1.500 Metern Länge auch keine kleine Schaluppe werden. Nun, ich persönlich mochte Kreuzfahrten ohnehin nicht. Doch es gab bestimmt schon jetzt Leute, die sich Kabinen für den ersten Flug sichern wollten.

Die Kosmische Hanse wollte mit diesem Projekt Prestige erhaschen. Das modernste Luxusraumschiff sollte in der LFT gebaut werden. Arkoniden, Blues, Topsider, Springer und alle möglichen Völker sollten dem Produkt der Kosmischen Hanse vertrauen und es nutzen. Etwas Besseres konnte sich die LFT doch nicht vorstellen.

Dabei war es der Hanse lange Zeit nicht gut gegangen. Durch die Verstaatlichung war der Aktienkurs lange Zeit in den Keller gerutscht. Trotz vieler Subventionen hatten Skeptiker weniger Staat in der Ökonomie gefordert. Andere hatten den Schritt begrüßt.

Buddicio Grigor war ein polarisierender Erster Terraner gewesen. Noch heute hatte er seine Anhänger und seine Ideologie fand noch immer breite Akzeptanz. Die überwiegende Mehrheit der Bürger wünschte sich weiterhin eine starke LFT, die dem Kristallimperium und dem Forum Raglund Paroli bot.

Die Jahrhunderte der Isolation der galaktischen Völker und die schwere Zeit der Terraner im Simusense-Netz hatten ihre Spuren hinterlassen. Dazu kam, dass die völlig unkoordinierte und übereilte Neuansiedlung diverser Kolonisten auf der Erde gewaltige soziale Probleme geschaffen hatte.

Das, was nach dem Ende der Lareninvasion vor 1273 Jahren zusammengewachsen war, war durch die finstere Monos-Ära auch wieder zerstört worden. Und selbst 130 Jahre nach dem Ende der Monos-Diktatur war der Zerfall der alten Werte immer noch zu spüren. Viele galaktische Völker waren sich fremd, suchten nach ihrer eigenen Identität und fokussierten sich dabei auf ihre Heimat und das Bekannte.

Mit Grigor hatte sich vieles in der LFT geändert. Der Kurs wurde nationalistischer, härter und er richtete sich auch gegen die Helden von einst – die Zellaktivatorträger. Die Gruppe um Perry Rhodan wurde unter Grigor regelrecht demontiert. Der Erste Terraner hatte Freunde in der Presse und Wirtschaft gehabt. Durch kostspielige und gezielte Kampagnen war Stimmung gegen Rhodan gemacht worden. Leider mit Erfolg, denn die Unsterblichen hatten sich alle bis auf Myles Kantor von der Bühne der LFT zurückgezogen und 1235 NGZ die Organisation Camelot gegründet.

Ein derber Schlag war der Verkauf der BASIS für die Unsterblichen gewesen. Dieses altehrwürdige Schiff war verhökert worden und diente nun als Kasino über Stiftermann III. Ein unwürdiger Platz für eines der geschichtsträchtigsten Raumschiffe der Menschheit.

Grigor hatte absichtlich mit den alten Traditionen der Unsterblichen gebrochen, um seine eigene Legitimation zu bestätigen.

Doch unter seinem Nachfolger Medros Eavan kam eine weitere Strömung hinzu. Sie deckte sich zwar mit den pro-terranischen Tendenzen von Grigor, jedoch waren die Berater und Gönner von Eavan Nostalgiker und sehnten sich nach einem neuen Solaren Imperium.

Die LFT sollte militärisch, wirtschaftlich und territorial die größte Macht in der Milchstraße darstellen. Das war das Ziel dieser Terraner gewesen, die noch heute in der Regierung des Ersten Terraners Medros Eavan ihre Finger im Spiel hatten.

Oje, ich schweifte viel zu sehr ab. Um wieder den Bogen zur Pressemitteilung der Hanse zu schlagen, war diese seit Jahrzehnten von anderen Unternehmen, wie der camelotischen Taxit oder der terranischen Shorne Industries, überrundet worden. Der Vorteil der Hanse lag jedoch darin, dass sie zu mehr als 50 Prozent von der LFT kontrolliert wurde, weshalb sie im Sinne der Liga agierte. Und das war vielleicht wertvoller für die gegenwärtigen Machthaber als ein Unternehmen, das vielleicht mehr Gewinne erzielte, von dem die Liga aber selbst nicht oder nur wenig profitieren würde.

Nun, zwölf Jahre waren eine lange Zeit. Bis dahin konnte noch viel passieren. Ich war hier auf Terra und genoss die schöne Natur im Bundesstaat Italien, doch die Atmosphäre innerhalb der terranischen Bevölkerung war seltsam. Sie war argwöhnisch und ich kam nicht umher, mich zu fragen, ob es vielleicht ein Fehler gewesen war, Perry Rhodan und seine Gefährten aus der Liga auszugrenzen?

Aus den Chroniken

Jaaron Jargon

Im Februar 1273 NGZ

 

1. Das Hasenfest

Es lag nur einige Zentimeter vor mir. Doch ich konnte nicht einfach zugreifen. Die Bewachung war zu stark. Links und rechts thronten die riesigen Arachnoiden in ihren Netzen und warteten darauf, dass ich sorglos hineingriff. Vor meinem geistigen Auge malte ich mir mein schreckliches Schicksal aus. Die Spinnen würden meine Finger einzeln abreißen, würden über meine Arme auf mein Gesicht krabbeln und da wäre es bereits um mich geschehen.

Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken. Was sollte ich nur tun? Ich blickte mich um und fand eine geeignete Waffe. Langsam fuhr ich mit dem Stock voran in das unübersichtliche Dickicht des Dschungels und tastete mich zu dem Objekt meiner Begierde voran.

Ich ließ keinen Moment die Arachnoiden aus den Augen. Sie waren für ihre blitzschnellen Attacken bekannt.

Meine Hände zitterten vor Aufregung. Ich ermahnte mich, dass ich mich zusammenreißen sollte. Schließlich war ich soweit. Ich musste mit dem Stock nur das Objekt langsam zu mir rollen. Dann …

Dann machte es „Platsch“ und ich wurde von Aleks Shyff zur Seite geschubst. Mit seinen Quadratlatschen hatte er nicht nur die Arachnoiden zertrampelt, sondern auch das Ei zertreten. Ich musste mir die Tränen zurückhalten. Meine Brust schmerzte und mein Osterei war kaputt.

»Was liegst du hier so rum, Cauthon?«, rief Tante Ivy und bewegte sich genervt auf mich zu. Ich rappelte mich auf, da packte sie mich schon am Arm.

»Musst du mich überall blamieren? Hier sind eine Menge Kunden von mir und sieh dir doch einmal die schicken Eltern und ihre Musterkinder an. Was habe ich stattdessen?«

»Es tut mir leid, Tante Ivy.«

Sie seufzte und klopfte die Erde von meinem Rücken und der Hose.

»Ich wusste schon, wieso ich keine Kinder haben wollte. Aber dann musste meine Schwester ja einfach sterben. Hat sie dabei auch nur einen Augenblick an mich gedacht?«

»Nein, vermutlich nicht, Tante Ivy…«

»Ja, typisch von ihr. Nun benimm dich mal. Wir gehen ans Buffet. Hauptsache, du schmadderst dich nicht voll.«

Ich konnte sehr wohl für meine acht Jahre zivilisiert und ordentlich essen. Ich wusste nicht, wieso Tante Ivy immer auf mir herumhackte. Das war so unfair und gemein von ihr. Sie hatte mich nicht lieb. Und Onkel Tuzz konnte mich genauso wenig leiden. Er kümmerte sich fast gar nicht um mich und investierte viel, viel mehr Zeit in die Mütter anderer Kinder. Vielleicht war Tante Ivy deshalb so verbittert.

Am Buffet angekommen, wollte ich am liebsten wieder zurück. Aleks Shyff und sein Kumpel Krizz Hypp befanden sich dort. Sie waren einen Kopf größer als ich und eine Klasse höher. Schon blickten sie mich argwöhnisch an und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Die wollten mich bestimmt wieder verhauen.

Tante Ivy reichte mir einen Teller mit Kartoffelsalat und zwei warmen Würstchen. Ich stellte mich in ihre unmittelbare Nähe, damit Krizz und Aleks nicht auf dumme Gedanken kamen. So lauschte ich der Konversation zwischen ihr und den anderen Eltern. Tante Ivy erzählte über die Kunst ihres Nagelstudios und referierte über eine arkonidische Algenpflege für die Füße. Wie spannend. Ich hätte gerne mit den anderen Jungs Fußball gespielt, aber die ließen mich nie mitspielen. Ich war wie Luft für sie und wenn sie es mir doch mal erlaubten, foulten sie mich ständig.

Onkel Tuzz kam schwankend auf uns zu. Er tätschelte mich am Kopf und nahm Tante Ivy in den Arm. Sie verzog kurz den Mund, was bedeutete, dass er streng nach Alkohol roch. Doch schon einen Moment später lachte sie herzlich und küsste ihn.

Sie verkündete stolz, dass ihr Mann, als Inhaber einer Taxit-Versicherungsagentur, wichtige Abschlüsse getätigt hatte und eine Auszeichnung von Homer G. Adams persönlich als erfolgreichster Mitarbeiter des Jahres erhalten hatte. Sie erzählte das doch nur, damit die anderen Eltern sie bewunderten. Offenbar war das das Wichtigste für meinen Onkel und meine Tante. Sie wollten im Mittelpunkt stehen und angehimmelt werden. Ich war da ganz anders. Außerdem bewunderte mich auch niemand.

Tante Ivy war hübscher als viele anderen Mamis oder Tanten. Und auch Onkel Tuzz galt als gut aussehender Mann. Ich war ein kleiner, dicklicher Junge, mit dem niemand spielen wollte.

Ich freute mich schon auf zuhause. Da fühlte ich mich sicher. Nach endlos langer Zeit verließen wir das Hasenfest der Gemeinde von Port Arthur Nord. Onkel Tuzz war nicht mehr in der Lage seinen Gleiter selbst zu steuern und Tante Ivy hatte keine Lust dazu, also übernahm die Syntronik den Flug nach Hause.

Die ganze Fahrt über schwiegen wir. Ich hatte Angst etwas zu sagen, um dann anmeckert zu werden. Als wir zuhause waren, torkelte Onkel Tuzz auf die Toilette, während meine Tante mit ihrer Freundin über Interkom die Ereignisse des Tages durchquatschte. Sie jammerte darüber, wie schwierig es war, Fußnägel von Oxtornerinnen zu pflegen und dass sie dafür ganz spezielle Instrumente benötigte, da die Nägel von Oxtornern extrem widerstandsfähig waren.

Mich kümmerte das wenig. Selbst wenn es mich interessieren würde und ich versuchte, damit Eindruck auf Tante Ivy zu schinden, damit sie mich mehr beachten würde, würde sie darüber nur kurz lächeln und mich weiter ignorieren.

Niemand bemerkte mich, und so ging ich die Treppe hoch in mein Zimmer. Immerhin, dort freute sich jemand, mich zu sehen, falls man es so nennen konnte.

*

»Meister Cauthon, es ist schön, dich wiederzusehen«, erklang die metallische Stimme des kugelförmigen Servoroboters Robbie.

Er war wenigstens für mich da. Der Roboter war neben dem Hund wohl der beste Freund eines Kindes. Ein Haustier erlaubten sie mir jedoch nicht, da es zu viel Dreck machen würde. Robbie machte keinen Dreck und wenn er doch irgendwo Schmutz machte, dann reinigte er es selbst.

Robbie gehörte zur Baureihe SHuKBR-1.2 der Whistler Company. SHuKBR stand für »Service, Haushalt und Kinderbetreuungsroboter«. Robbie war 1149 NGZ konstruiert worden und galt leider als veraltet. Das Modell wurde nicht mehr vertrieben, da kein Softwareupdate für dieses Modell existierte.

Ich warf mich auf mein Bett und aktivierte das Trivid. Leider lief im Moment keine meiner Lieblingsserien. Stattdessen zappte ich zwischen den terranischen Sendern, die wir auf Camelot natürlich empfingen. Ich verstand noch nicht so ganz, wieso und weshalb sich Terra und Camelot nicht mochten, aber es hatte wohl etwas mit Perry Rhodan zu tun.

Auf Terra Eagle-One lief gerade eine Dokumentation über die Elitesoldaten der Liga Freier Terraner und deren Überlegenheit im Vergleich zu allen anderen Spezialtruppen im Universum.

Langweilig!

Auf First Terrestrian Networks kam eine Reality-Show über eine achtundfünfzig-köpfige Bluesfamilie mit sozialen Problemen in der Kindererziehung. Die epsalische Supernanny sollte die Probleme mit den vielen Kindern regeln.

Auf Dai’Pre wurde eine Werbesendung zu einem neuen Staubionisierer gezeigt, den jeder haben sollte, zumindest nach Meinung der Moderatoren.

SolTel zeigte die aktuellen Nachrichten von Terra. Der Erste Terraner Medroas Eavan kündigte mit Hansesprecher Arno Gaton den Bau des Luxusraumschiffes LONDON an und versprach einen gigantischen Gewinn und die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch dieses Projekt.

Ähnliche Nachrichten gab es auf TNT, TTV und TNR. Und Venus Star strahlte die unzählige Wiederholung der Gucky-Sitcom aus. Ich kannte die schon in- und auswendig.

Ich schaltete den Trivid aus und machte die Augen zu. Mein Herz pochte, wenn ich an den morgigen Schultag dachte. Aleks und Krizz waren dort, die Lehrer waren ohnehin nicht auf meiner Seite. Am liebsten hätte ich die Schule abgebrochen oder wäre auf eine andere Schule gegangen, doch das wollte Tante Ivy nicht.

Ich nahm meinen Plüsch-Gucky in den Arm und schmiegte mich fest an ihn.

»Gute Nacht, Robbie!«

»Gute Nacht, kleiner Cauthon!«

 

2. Der zehnte Geburtstag

Es waren nicht viele zur Geburtstagsfeier erschienen. Um genau zu sein, saß ich mit meinem klapprigen Roboter alleine vor dem nicht sonderlich reichlich gedeckten Tisch.

Das war also mein zehnter Geburtstag. Er war wie die anderen Geburtstage auch.

Einsam!

Ich hatte keine Freunde. Schon im Kindergarten war ich gehänselt worden, weil ich keine richtigen Eltern hatte. Die Kinder hatten angenommen, meine echten Eltern hatten mich nicht mehr gewollt und deshalb abgeschoben. Andere hatten behauptet, die hätten sich freiwillig umgebracht, als sie mich nach der Geburt gesehen hatten. Aleks Shyff hatte erzählt, dass mein echter Vater vermutlich meine Tante besprungen hatte und ich ein Bastard wäre. Was auch immer er damit meinte. Ich verstand es bis heute nicht.

Ich kapierte auch nicht, warum mich die anderen nicht mochten. In der Schule war es ja nicht anders. Auch dort stieß ich auf keine Gegenliebe und war allein. Der Optimalfall in meinem Schulleben war, wenn mich niemand zu Kenntnis nahm. Dann gab es immerhin auch keine verbalen oder physischen Repressalien.

Anfangs hatte ich einen Freund gehabt; Paolo, doch dieser war inzwischen weggezogen. Vielleicht lag es auch an mir, denn ich traute mich nicht, die anderen Kinder anzusprechen. Diese Schüchternheit wurde mir vielleicht von den anderen als Arroganz ausgelegt.

Robbie war mein einziger Freund. Dieser alte, klappernde, runde Roboter mit den zwei Greifarmen war mein einziger Vertrauter. Er war meine Familie. Weit mehr als es Tante Ivy oder Onkel Tuzz jemals sein würden.

Immerhin hatte ich es Onkel Tuzz zu verdanken gehabt, überhaupt Robbie zu besitzen. Er hatte ihn vor zwei Jahren von einem Gebrauchtdroidenhändler für den Spottpreis von 350 Galax gekauft und mir geschenkt. Robbie war immer für mich da – als einziges Wesen. Er war weitaus mehr wert als diese 350 Galax. Für mich war er unbezahlbar.

Mein diesjähriges Geschenk war eine Videospielanlage mit dem allerneusten Soundsystem THX B-5000.5. Da sich Tante Ivy noch in ihrem Schönheitssalon aufhielt und Onkel Tuzz, wie immer Überstunden machte, hatte ich das Geschenk auf dem Wohnzimmertisch vorgefunden, nachdem ich von der Schule zurückgekehrt war.

Robbie selbst hatte das Essen zubereitet. Es war wie jedes Jahr. Ich feierte meinen Geburtstag eben allein.

*

Ich spielte das Videospiel »Meister der Insel« den ganzen Tag lang. Zugegeben, die neue Grafik- und Spiel-Engine war beeindruckend. Bei einer Raumschlacht zwischen den Terranern des Solaren Imperiums und den Duplos der Meister der Insel dröhnte die ganze Wohnung. Es machte einen Riesenspaß.

Das war auch die einzige Freude heute gewesen. Tante Ivy war kurz herein gekommen, hatte alles Gute gewünscht und war wieder weg. Onkel Tuzz war einige Stunden später gekommen und hatte auch nicht mehr als das Nötigste gesagt. Dann war er mit einer Flasche Vurguzz zu Tante Ivy gegangen.

Robbie versuchte mich aufzuheitern, indem er einige Kunststücke vollbrachte, die in der Tat lächerlich auf mich wirkten und zumindest ein Schmunzeln hervorriefen.

»Lass es gut sein, Robbie. War wieder einmal ein blöder Geburtstag«, sagte ich deprimiert. »Mich will eben niemand ...«

Robbie schwebte zu mir und legte seinen Greifarm behutsam um mich.

»Doch, kleiner Cauthon, ich schon!«

Ich sah ihn ernst an.

»Du wurdest programmiert, um mit mir Zeit zu verbringen. Freiwillig würdest du das auch nicht tun.«

»Doch!«

»Du schwindelst!«

»Roboter tun so etwas nicht.«

»Dann bist du mein einziger Freund!«

Robbie gab einen Impuls in seinen Greifarm, der einen kurzen Druck bewirkte, da er wusste, dass Menschen es mochten, wenn sie leicht gedrückt wurden.

Und es tat gut!

»Besser, ein Freund, als gar keinen zu haben.«

Ich spielte noch etwas weiter. Robbie war, soweit er es als künstliche Intelligenz sein konnte, offenbar beeindruckt von meinen Fähigkeiten. Ich steuerte den Raumjäger wahrlich gekonnt durch die feindlichen Linien.

»Eines Tages will ich auch Raumpilot werden.«

»Eines Tages wirst du ein Raumpilot sein!«

Das gab mir Mut.

Auf jeden Fall wollte ich keine Fußnägel lackieren oder Versicherungen verkaufen, wie es Onkel und Tante taten.

Ich speicherte den Level ab und beendete für heute das Spiel.

Robbie ging in den Ruhemodus.

Ich war allerdings auch noch nicht müde. So lag ich wach im Bett.

Tante Ivy und Onkel Tuzz gaben komische Geräusche von sich. Ich konnte nicht schlafen und wollte auch nicht das Geschreie hören, das mir Angst und Unbehagen bereitete. Stritten sie sich?

Sie beschäftigten sich mit sich selbst und hatten für mich kaum Zeit gehabt. Dabei war heute mein Geburtstag! Sie waren so fies und gemein zu mir! Vielleicht sollte ich einfach abhauen. Ja, ich musste hier weg, ein neues Leben beginnen.

Ich zog mich an und kletterte aus dem Fenster langsam die Befestigungen an der Hauswand herunter und ging ein paar Schritte in unserem Garten entlang zum großen Baum.

»Hallo, kleiner Mann.«

Ich erschrak. Mein Herz pochte bis zum Hals und mein Kreislauf rebellierte vor Aufregung. Aus dem Dunkel hinter dem Baum trat eine finstere Gestalt hervor. Das Licht aus meinem Zimmer spendete genug Helligkeit, um das unbekannte Wesen zu sehen. Es war in eine graublaue Kutte gehüllt.

»Habe keine Furcht vor mir. Du bist einer der wenigen, die sich nicht vor mir ängstigen müssen.«

»Wer … wer … wer …«

Ich brachte kein anderes Wort heraus. Ich hatte schreckliche Angst.

»Ein Freund! Es ist schon nach Mitternacht. Was machst du hier in der Nacht?«

Ich konnte das Gesicht des Fremden nicht erkennen, da es durch die Kapuze verhüllt war und er den Kopf gesenkt hielt. Wieso war er ein Freund? Das sagte er bestimmt nur so! Bestimmt wollte er mich verschleppen und mit mir sonst was anstellen. In der Schule sagten sie immer, man sollte niemals mit Unbekannten mitgehen.

Wir starrten uns eine Weile an. Der Fremde zeigte Geduld mit mir. Das imponierte mir. Andere hätten mich längst angebrüllt, dass ich etwas sagen sollte.

Schließlich brach ich das Schweigen.

»Ich bin zehn Jahre alt, da kann ich um Mitternacht schon mal draußen sein«, erwiderte ich trotzig. »Mein Onkel und meine Tante kümmert es sowieso nicht, wo ich bin. Vielleicht vermissen sie mich ja doch, wenn ich erst mal weg bin und sie merken, was ihnen fehlt.«

Der Fremde lachte heiser.

»Nein, das werden sie nicht. Sie würden dich sicherlich suchen, weil sie Angst vor Bestrafung seitens der Behörden hätten. Doch nicht um deinetwillen, kleiner Cauthon Despair.«

Ich wurde hellhörig. Er kannte meinen Namen! Nun nahm der Mann endlich seine Kapuze ab. Er hatte keine Haare, die Hautfarbe war rötlich. Mir fiel die komische Tätowierung auf der Stirn auf und die goldrot leuchtenden Augen wirkten abschreckend und anziehend zugleich. Es kam mir so vor, als kannte ich ihn. Ja, er wirkte irgendwie vertraut auf mich.

Der Fremde beugte sich zu mir herab. Er lächelte.

»Kehre zurück zu ihnen. Noch brauchst du sie. Das wird sich irgendwann ändern, doch bis dahin werden einige Jahre vergehen.«

Der Mann packte mich an den Schultern. Seine Augen funkelten.

»Das ist also aus dem kleinen Cauthon geworden. Ich kannte deine Eltern. Sie haben dich nach mir benannt.«

Was? Der Mann hatte meine Eltern gekannt? Er stand auf. Nein, er sollte nicht fortgehen! Niemand sagte mir etwas über meine Eltern. Ich wusste so wenig über sie.

»Ich bin Cau Thon! Doch behalte das für dich. Wir werden uns wiedersehen, kleiner Cauthon. Das ist ein Versprechen!«

»Cauthon?«, rief Robbie vom Haus aus.

Ich drehte mich um und rief, alles sei in Ordnung. Und schon war Cau Thon verschwunden. Ich kehrte zurück in das Haus und wusste nicht, was ich denken sollte. Der nette, mir fremde Cau Thon kannte meine Eltern und offenbar hatten sie ihn gemocht, wenn sie mich nach ihm benannt hatten, obgleich mein Vorname nach terranischer Sprechweise ausgesprochen wurde.

Robbie half mir wieder in mein Zimmer zu klettern. Onkel Tuzz und Tante Ivy hatten hoffentlich nichts bemerkt.

Ihr Gekeuche interessierte mich auch nicht. Ich dachte an den Fremden. Cau Thon, der Freund meiner echten Eltern.

 

3. Schule

April 1275 NGZ

Ich hasste die Schule! Das war vermutlich nicht ungewöhnlich für einen zehnjährigen Jungen. Meine Mitschüler mochten diese Einrichtung ebenso wenig. Gab es überhaupt jemand, der diese Institution leiden konnte? Selbst die Lehrer wirkten stets so gestresst und demotiviert, als hätten sie überhaupt keine Lust, uns zu unterrichten.

Weshalb gab es also die Schule? Das war ein Geheimnis, welches wohl erst als Erwachsener gelöst wurde.

Nein, mir war schon klar, dass Wissen Macht bedeutete und ich keineswegs als Volltrottel durch das Leben stolpern wollte. Leider teilten die meisten Klassenkameraden – so nannten meine Lehrer sie, ich bezeichnete sie als Klassenfeinde – meine Ansicht der Dinge nicht. Ihre Leistungen waren gut bis schlecht, während die meinen überdurchschnittlich waren. Leider trug das nicht zu meiner Popularität bei.

In primitiveren Kulturen wurden klügere Wesen als Götter verehrt. Innerhalb meiner Schulklasse wurde ich verachtet. Besonders schlimm war es, seitdem Aleks Shyff und Krizz Hypp sitzen geblieben und in meine Klasse versetzt worden waren.

Sie konnten mich ohnehin nie leiden und triezten mich den ganzen Schultag lang. Jeder Atemzug konnte einen neuen Spießrutenlauf einläuten. Ich war verängstigt und hoffte eigentlich nur, dass die Schule schnell vorbei ging, um mit Übelkeit und Bauchschmerzen zuhause an den nächsten Tag zu denken.

Tante Ivy und Onkel Tuzz interessierte das alles herzlich wenig. Auch meine Lehrer kümmerten sich nicht darum. Ich war ja bloß der kleine, unwichtige Cauthi, den niemand liebte.

Meine »Klassenkameraden« stellten mich immer wieder als Trottel dar, obwohl ich ihnen geistig bei weitem überlegen war. Doch begehrte ich auf, wurde die Schikane nur noch schlimmer.

Wie sollte ich mich gegen 21 Kinder wehren? Was konnte ich schon tun, um ihnen Respekt beizubringen? Ich war nicht stark, nicht beliebt und hatte einen viel zu schwachen Kreislauf. Mein Herz raste schon, wenn ich das Gebäude betrat.

Ich war auf mich allein gestellt. Wie immer! Vermutlich wäre alles anders gelaufen, wenn meine Eltern noch lebten. Doch ein Unfall an Bord der HAWKING hatte sie mir genommen. Ich wusste nicht viel darüber. Niemand erzählte es mir. Es hieß, meine Eltern und ihre Arbeitskollegen waren durch eine Fehlfunktion im Raumschiff in das Paradies gekommen. Ich hatte als Einziger in einem Schutzraum überlebt.

Ich besaß immerhin einige Hologrammbilder von Mami und Papi. Das war alles, was ich hatte. Manchmal – wenn ich besonders einsam war – stellte ich mir vor, sie lebten noch und wir führten ein ganz normales Familienleben. Ich hatte dann die Hologramme vergrößert und mir auf diese Weise ein Zimmer erschaffen. Mama und Papa hatten neben mir gesessen und ich hatte so getan, als würden wir uns unterhalten. Wenn Tante Ivy und Onkel Tuzz das bemerkt hatten, hatten sie mit mir geschimpft und gesagt, ich sollte diesen Schwachsinn unterlassen.

Was blieb mir denn anderes als meine Fantasie, um wenigstens für einige Minuten eine glückliche Kindheit zu erhalten?

Wäre mein alter Robbie nicht, wer weiß, was aus mir geworden wäre. Eine Maschine war mein einziger menschlicher Bezugspunkt.

Auch heute war die Schule wieder die reinste Tortur. Krizz, Aleks und ihr Kumpel Borner verkündeten in der Klasse, ich sei ein Stinker und jede meiner Poren würde Gestank ausströmen. Natürlich war das an den Haaren herbeigezogen, doch das störte die anderen Mitschüler nicht. Sie lachten mich aus.

Während der Biologiestunde bei unserem Lehrer Siefran Wyk fingen sie wieder an über mich zu lachen. Ein Haar von mir stand ab. Das war Anlass genug, um über mich zu lachen. Ich konnte ihren perfektionistischen Ansprüchen nicht gerecht werden. Mir war klar, dass ich mir keine Schwäche erlauben durfte, da sie sonst immer wieder einen Grund finden würden, um mich fertigzumachen.

Dabei mussten sie sich doch selbst nur einmal anschauen. Sie waren mir geistig unterlegen, hässlich und reinster Abschaum! Der bekannte Journalist Bekket Glyn hatte in seiner Sendung »Nur die Wahrheit« auf Terra Eagle One über solche Terra-Abkömmlinge oft gesprochen und sie als stupide, faule Unterschicht bezeichnet. Er hatte sie als den Abschaum Terras tituliert. Ja, er hatte recht damit!

Ich hatte ihnen doch nichts getan! Wieso hackten sie dann jeden Tag auf mir rum? Wieso half mir niemand?

Am Ende der Stunde kam der Schuldirektor höchstpersönlich in die Klasse. Ich vermutete, dass er etwas Wichtiges ankündigte. Der Mann mit der hohen Stirn und der Brille trat vor das Lehrerpult und faltete die Hände vor seinem Bauch.

»Liebe Kinder! Nächste Woche wird Perry Rhodan unsere Schule besuchen!«

Seine Stimme drückte Freude und Euphorie aus. Viele Kinder reagierten jedoch anders, als er es sich offenbar vorgestellt hatte. Sie waren einfach desinteressiert. Das wunderte mich auch nicht. Selbst hier auf Camelot gab es größere Helden für uns Kinder. Schauspieler oder Musiker zum Beispiel.

Ich hingegen freute mich auf Perry Rhodan. Er war mein Idol!

*

So schnell rannte ich selten nach Hause. Doch ich wollte unbedingt die freudige Nachricht Tante Ivy und Onkel Tuzz mitteilen. Robbie begrüßte mich als erster.

»Perry Rhodan kommt nächste Woche in die Schule«, rief ich lauter als beabsichtigt.

»Das ist eine große Ehre«, erwiderte Robbie.

Die Stimmung bei den anderen war jedoch gedrückt. Bereits aus dem Flur hörte ich die laute Stimme meines Onkels. Langsam ging ich in die Wohnung und schritt zum Wohnzimmer.

»Ja, natürlich! Immer bin ich schuld! Quatsch, die sind schuld! Das war ein todsicherer Deal. Wer konnte denn ahnen, dass die das Geschäft stornieren?« brüllte er seine Ehefrau an.

»Das ist mir egal. Die Provision haben wir verprasst. Wo sollen wir denn jetzt 38.000 Galax so schnell herbekommen?«, fragte Tante Ivy aufgeregt.

»Wir verkaufen den neuen Gleiter. Oder du nimmst einen Kredit über das Beautystudio auf«, schlug mein Onkel vor.

Ich konnte nur ahnen, worum es ging.

»Hi!«, sagte ich halblaut.

»Ich nehme keinen Kredit auf. Das ist mein Schönheitssalon. Den lass ich mir nicht von dir kaputtmachen, du elender Versager!«

Onkel Tuzz drehte sich um und sah mich finster an. In seiner Hand hielt er eine Flasche Vurguzz.

»Geh in dein Zimmer und halt die Klappe!«, schrie Onkel Tuzz mich an.

Ich bekam es mit der Angst zu tun und rannte sofort in mein Zimmer.

Robbie wartete bereits auf mich.

»Dein Onkel ist in schlechter Stimmung ...«

»Kann man wohl sagen.«

»Ein wichtiges Geschäft ist geplatzt und dummerweise hat er die dafür bereits erhaltene Provision ausgegeben. Dein Onkel hat nun einen Haufen Schulden.«

»Was bedeutet das?«

Robbie schwebte zu mir.

»Es ist wie ein Spiel. Menschen spielen mit Geld, oftmals mit Geld, das sie gar nicht haben. Sie tun dann so als ob, um von anderen Menschen anerkannt zu werden. Es ist aber ein gefährliches Spiel, denn wenn du verlierst, sind die Konsequenzen sehr unangenehm.«

Ich verstand so langsam. Onkel Tuzz und Tante Ivy hatten über ihre Verhältnisse gelebt. Der neue tolle Gleiter, die vielen Partys, die teuren Klamotten und Anschaffungen – all das hätten sie sich gar nicht leisten können. Sie hatten von geborgtem Geld gelebt, weil sie glaubten, sie würden schon noch genügend verdienen. Nun war ihr Traum geplatzt.

Ich verstand nicht, wieso Menschen so viel Getue um Geld machten. Dabei hieß es doch von den Zellaktivatorträgern, dass Geld nur ein Mittel zum Handel war und nicht mehr. Der Wert eines Lebens war immer höher und auf Camelot brauchte kein Wesen zu hungern oder um seine Existenz fürchten.

Niemand würde uns auf die Straße setzen. Das erzählte ich auch Robbie und machte ihm Mut. Sicherlich hatte er auch etwas Angst, wenn Roboter denn zu diesen Gefühlen in der Lage waren, aufgrund ihrer bionischen Komponente.

»Dein Onkel und deine Tante wollen jedoch nicht zu den ärmeren Bürgern gehören. Sie sind nicht nach Phönix gekommen, um als Agenten oder Wissenschaftler Perry Rhodan zu unterstützen, sondern um Geschäfte zu machen. Für sie ist Geld ein Statussymbol. Dazuzugehören ist für sie das Wichtigste und nicht eine noble Aufgabe für die Organisation Camelot.«

Das verstand ich nicht. Ich dachte, alle Bewohner auf dem Planeten standen im Dienste der Zellaktivatorträger. Doch Robbie belehrte mich, dass es auch Aufgaben in der Gesellschaft gab, die nichts mit Perry Rhodans Plänen zu tun hatten. Die Bewohner von Phönix brauchten Nahrung – waren ein Bäcker oder ein Koch Agenten? Nein, das waren sie nicht.

Zwar unterlag das Arbeiten und Wohnen auf Camelot strenger Geheimhaltung, doch die Angehörigen der Camelotorganisation brauchten Nahrung, Unterhaltung, Pflege, Banken, Versicherungen und all das, was die Gesellschaft in Terrania ebenso benötigte.

»Das ist der Unterschied zwischen deinen Eltern und deinem Onkel sowie deiner Tante. Deine Eltern waren Perry Rhodan aus idealistischen Gründen gefolgt. Das bedeutet Ivy und Tuzz nichts. Sie haben hier schlichtweg bessere berufliche Chancen als in der LFT gesehen«, erklärte Robbie.

Deshalb hatten wir auch keine Bekannten unter den Agenten, Raumfahrern und Wissenschaftlern. In dem Vorort von Port Arthur, wo wir wohnten, war der ganze zivile Dienstleistungssektor konzentriert.

»Das bedeutet, Onkel Tuzz und Tante Ivy sind schlechtere Menschen, weil sie nur ihre eigenen Interessen vertreten?«

Robbie schwieg.

Vermutlich wusste mein metallischer Freund keine Antwort darauf. Je länger ich darüber nachdachte, desto schlechter fand ich die Einstellung der beiden. Sie waren eigennützig und das spiegelte sich ja auch in der Art und Weise meiner Erziehung wider. Sie zogen mich auf, weil sie es offenbar mussten. Aber sie liebten mich nicht. Niemals hatten sie mir gesagt, sie würden mich lieben.

»Ich wünschte, mein Vater und meine Mutter wären hier...«

Doch sie waren es nicht. Ich vermisste sie, obwohl ich sie nur von Bildern und aus Erzählungen kannte.

Ich litt unter dieser Einsamkeit. Doch eines wusste ich ganz genau. Niemals wollte ich so werden wie Onkel Tuzz und Tante Ivy. So leer, so unbedeutend!

Ich wollte einmal jemand Besonderes werden. Sie alle sollten großen Respekt vor mir haben!

Vielleicht würde meine Karriere ja schon nächste Woche beginnen, wenn ich Perry Rhodan traf. Das gab mir Mut. Darauf freute ich mich.

*

An diesem Tag war ich sehr früh in der Schule, denn es war der Tag, an dem Perry Rhodan die Grundschule besuchte.

Ich war aufgeregt und konnte es kaum abwarten. Die Schulstunden kamen mir so unendlich lange vor. Dann war es endlich soweit. Der Direktor kam in die Klasse und brachte die Schüler in die Aula. Ich stürmte voran und ergatterte einen Platz in der ersten Reihe.

Zehn Sicherheitsbeamte standen mit mürrischem Blick um den Zellaktivatorträger herum.

Perry Rhodan war nur teilweise in der Menschentraube zu erkennen. Ich sah seinen blonden Haarschopf. Dann wichen die Sicherheitskräfte etwas zurück. Nun sah ich mein Idol! Mein Herz pochte höher. Am liebsten wollte ich winken und losschreien: »Hier bin ich!«

Perry Rhodan trug eine grauschwarze Kombination. Es war keine Uniform, doch sie verlieh ihm Würde. Die Ausstrahlung dieses Mannes war gewaltig.

Die Legende Perry Rhodan!

Der erste Mann auf dem Mond!

Der Mann, der die Menschheit geeint und die Terraner in den Weltraum geführt hatte!

Der Mann, der die Meister der Insel besiegt hatte!

Der Terraner, der so viele Gefahren überstanden hatte. Der am Berg der Schöpfung aus Demut und Bescheidenheit die Antwort auf die Dritte Ultimate Frage verwehrt hatte.

Der Mann, der die Milchstraße von der Tyrannei durch Monos befreit hatte.

Der Mann, der über 2900 Jahre alt war. Wer waren Onkel Tuzz und Tante Ivy schon?

Hier stand Perry Rhodan!

Ich grinste unentwegt, so glücklich war ich, obwohl Rhodan noch kein einziges Wort gesprochen hatte.

Nun trat Perry Rhodan an das Podium. Sein markantes Gesicht mit der kleinen Narbe am Nasenflügel würde ich selbst im Dunkeln auf große Entfernung erkennen. Doch ihn nun persönlich zu sehen, das war etwas ganz anderes.

»Die Schule ist ein sonderbarer Ort«, begann Rhodan und sicherte sich damit beipflichtende Lacher. Ich klatschte vor Begeisterung.

»Als ich zwölf Jahre alt war, hatte ein ungeliebter Mitschüler mit dem Namen Vince Tortino einen Sternenglobus gestohlen. Das war so etwas wie eine Sternenkarte auf einem runden, festen Ball.«

Niemand wusste wohl, was ein Globus war. Es musste ein uraltes Relikt sein. Immerhin hatte es Rhodan uns soeben erklärt. Die Menschen vor 3.000 Jahren hatten also ihre Sternenkarten auf runden Kugeln abgebildet. Interessant!

»Nun, dieser Typ lenkte den Verdacht auf mich und niemand glaubte an meine Unschuld. Meine Eltern schickten mich zu meinem Onkel nach Florida. Dort erlebte ich mein erstes Abenteuer und versprach Onkel Karl, dass ich zur Raumfahrt gehen würde.«

Rhodan machte eine Pause.

»Hätte Vince Tortino nicht den Stein ins Rollen gebracht, hätte ich vielleicht niemals die Laufbahn eines Astronauten eingeschlagen. Wer weiß? Möglicherweise hätte jedoch ES dann nachgeholfen. Was ich damit sagen möchte: Die Schule mag für euch seltsam, nervig und durchaus anstrengend sein, aber sie bereitet euch auf eurer Leben vor.

Sie lehrt euch die wichtigsten Dinge und stellt die Weichen für eure Zukunft. Also, seid fleißig und bringt das lästige Ärgernis souverän hinter euch.«

Rhodan lächelte. Während der Direktor verwirrt zusah, jubelten die Kinder Rhodan zu.

»Der Lernprozess endet übrigens nicht mit der Schule. Das Universum ist voller Geheimnisse und auch ich mit meinen 2.926 Jahren bin ein Unwissender in vielen Dingen.«

Rhodan sprach über die Organisation Camelot. Es waren die Dinge, die wir bereits aus dem Unterricht kannten. Er führte seine Beweggründe aus, wieso er und seine relativ Unsterblichen Gefährten diese Organisation gegründet hatten.

»Die Milchstraße hat einen großen Schritt zurück gemacht. Die Einigkeit unter den Völkern ist nicht mehr so stark, wie sie es zu Beginn der Neuen Galaktischen Zeitrechnung war. LFT, Arkon oder das Forum Raglund hegen Misstrauen gegenüber den anderen Mächten.

Wir auf Camelot verurteilen diese Situation. Wir wollen dafür eintreten, dass die Völker in der Milchstraße in Freundschaft und gegenseitigem Respekt miteinander leben.

Und ich hoffe, ihr werdet eines Tages auch dafür eintreten.«

»Ja«, rief ich begeistert.

Perry Rhodan warf mir einen Blick zu. Oh mein Gott! Perry Rhodan sah mich an! Mich! Unglaublich!

»Die Welt Phönix bietet genug für ein normales Leben. Aber sie ist letztlich Sitz von Camelot. Und das bedeutet, wir brauchen Agenten, Raumfahrer und Wissenschaftler, die sich in den Dienst von Camelot stellen.

Ihr seid unser Nachwuchs!

Es ist daher wichtig, dass ihr nicht nur gebildet seid, sondern auch euer Herz an Größe gewinnt. Wir wollen Camelot nicht dazu benutzen, um die LFT, Arkon oder das Forum Raglund zu bekämpfen. Wir gehen unseren eigenen Weg und müssen darauf achten, dass diese angespannte Situation nicht eskaliert.«

Eine Schülerin mit Sommersprossen und braunem Haar meldete sich. Sie war ein Schuljahr unter mir. Ihren Namen kannte ich nicht. Rhodan nickte er ihr zu.

»Was bedeutet eskalieren?«

»Dass die Wesen der Milchstraße schlimme Dinge tun und sich gegenseitig weh tun«, erklärte Rhodan kindgerecht. Ich wusste natürlich, was er damit meinte: Krieg!

Ich hatte mich mit der Geschichte der Milchstraße schon immer gerne beschäftigt. Ich wusste nur zu gut, dass es viele Kriege gegeben hatte.

Es tat den Terranern und ihren Kolonisten keineswegs gut, dass Perry Rhodan sie nicht regierte. Wieso konnte es nicht sein wie früher? Perry Rhodan herrschte wieder als Großadministrator über ein neues Solares Imperium und Atlan war Imperator von Arkon.

Dann wäre die Galaxis viel sicherer. Perry Rhodan und Atlan sollten nun einmal die lemurischen Völker anführen. Hatte nicht auch die Superintelligenz ES beide damit beauftragt?

»… und auch wenn wir Differenzen haben, sollten wir niemals vergessen, dass wir alle in dieser Galaxis am selben Strang ziehen. Es muss unser Ziel sein, Unheil innerhalb und außerhalb der Milchstraße abzuwenden. Wenn euch das gefällt, schlage ich eine Ausbildung an der Raumfahrtakademie Camelots vor. Mehr dazu wird euch unser Beauftragter für Ausbildung Wirsal Cell erläutern.«

Ich hatte dem rundlichen, älteren Mann mit dem grauen, schütteren Haar vorher keine große Beachtung geschenkt.

Mit einem feinen Lächeln sah er mich an. Ich blickte nach links und rechts, doch nein, er starrte mich an. So, als ob er mich kannte. Aber woher denn? Vielleicht war ihm nur meine Euphorie aufgefallen.

Wirsal Cell räusperte sich und blickte mit leicht geöffnetem Mund in die Runde. Es wirkte, als musterte er jeden einzelnen Schüler voller Interesse. Aber so schnell konnte das keiner.

»Nun denn, Kinder. Camelot braucht junge, intelligente und geschickte Lebewesen. Ihr seid unsere Jugend. Vielleicht ist der eine oder andere die Zukunft für diese Galaxis.«

Wirsal Cell sah mich wieder an. Kein Irrtum. Er blickte mir fest in die Augen. Dann schaute er wieder in die Masse der Zuhörer.

»Die Völker in der Milchstraße – wie Perry Rhodan bereits ausführte – liegen in einem Nebel der Verwirrung. Die Monos-Ära steckt uns noch immer in den Knochen. Wir sind die letzte Hoffnung für den Frieden in unserer Galaxis. Wer etwas aus seinem Leben machen und an etwas Bedeutendem teilhaben will, der wird eine Ausbildung an unserer Akademie für Raumfahrt einschlagen. Auch Perry Rhodan hat so vor Jahrtausenden angefangen!«

Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Wie hypnotisiert saß ich auf meinem Konturstuhl und lauschte den Worten des Mannes.

Ich wollte an etwas Bedeutendem teilhaben.

Wirsal Cell referierte in der nächsten Stunde über die Vorzüge und Aufgaben der Raumfahrtakademie in Port Arthur. Danach erzählte Perry Rhodan einige amüsante und lehrreiche Anekdoten.

Zum Ende wandte er sich noch einmal den Kindern zu und fragte, wer denn einmal Raumfahrer werden wollte. Viele der Kleinen schrien auf und hoben die Hände.

Ich natürlich auch.

Rhodan lachte über die Euphorie der Jungen und Mädchen.

Wieso sah er mich nicht?

Hier! Ich! Ich wollte!

Rhodan musste mich doch bemerken. Ich stand auf und ging die Treppe zum Podium hoch. Einige meiner Mitschüler lachten mich aus. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass es Aleks und Krizz waren. Die anderen stimmten in das Gelächter ein.

Perry Rhodan und Wirsal Cell blickten mich erwartungsvoll an. Mein Herz raste wieder und der Magen grummelte. Jetzt durfte ich mir bloß keine Peinlichkeit erlauben.

»Hi!«, krächzte ich.

Meine Klassenkameraden lachten nun viel lauter. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich war so ein Trottel!

Ich nahm all meinen Mut zusammen und blickte fest in die wasserblauen Augen von Perry Rhodan.

»Ich will so werden wie du, Perry Rhodan!«

Rhodan beugte sich herab, so dass er auf Augenhöhe mit mir war. Er legte seine Hand auf meine linke Schulter und lächelte sanft.

Es war ein warmes, freundliches und beruhigendes Lächeln.

»Wie lautet dein Name, kleiner Mann?«

»Cauthon ... Cauthon Despair!«

Für einen kurzen Moment versteinerte sich Rhodans Miene, doch dann fing er wieder an, zu lächeln.

»Wenn es dein Ziel ist, halte daran fest und lasse dich nicht von anderen davon abbringen. Du bist auf dem richtigen Weg.«

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ach, Quatsch, ein ganzer Asteroid! Ich war so stolz! Endlich hatte ich mal Mut bewiesen und Perry Rhodan nahm mich sogar ernst. Er bestätigte meine Absichten. Die anderen Kinder waren verstummt.

Nun stand ich einmal im positiven Sinn im Mittelpunkt. Doch schon war es wieder vorbei, denn die Kinder stürmten auf die Bühne und baten Perry Rhodan um Autogramme.

Sie schoben mich zurück und Rhodan verlor mich aus den Augen, während er damit beschäftigt war, die anderen Bälger glücklich zu machen.

Was wussten die denn schon? Die wollten doch nur mit den Autogrammen angeben.

Ich beobachtete das bunte Treiben. Plötzlich legte jemand seine Hände auf meine Schultern.

»Es steckt viel Potenzial in dir«, sprach der Mann hinter mir. »Wenn du beharrlich an deinem Ziel festhältst, werden wir uns in etwa acht Jahren auf der Akademie wiedersehen.«

Ich drehte mich langsam um und erblickte Wirsal Cell.

»Acht Jahre sind eine lange Zeit«, antwortete ich.

Cell räusperte sich.

»Nun, vielleicht können wir die Wartezeit etwas verkürzen«, sagte der Ausbilder und winkte Rhodan zu.

Der Zellaktivatorträger verabschiedete sich von den Kindern und ging auf uns zu.

Ich kam aus meiner Aufregung gar nicht mehr raus. Rhodan blickte Cell neugierig an.

»Darf ich dich an das Treffen mit dem Administrator von Mashratan erinnern? Er besteht darauf, dass du ein Kind von Camelot mitbringst.«

Rhodan wirkte etwas irritiert.

»Nun, ich weiß nicht, wieso wir das jetzt besprechen müssen. Wie bezeichnete Gucky diesen Oberst? Ich glaube, er benutzte das Wort Karnevalsdespot. Ich bin mir nicht sicher, ob wir ein Kind mitnehmen sollen. Mir fällt auch kein Kandidat ein.«

»Oh, wie wäre es hier mit dem enthusiastischen Cauthon?«

Was? Ich? Ja!

Ja, natürlich. Ich. Nimm mich mit, Perry! Bitte!

»Der Junge hat seit seiner Ankunft als Baby niemals Camelot verlassen. Ich will mit Oberst Kerkum über eine Allianz verhandeln und gehe doch auf keinen Kindergeburtstag!«

Rhodan blickte mich an. Er sah meine Enttäuschung. Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Ich wollte es, aber es ging einfach nicht. Eigentlich wollte ich ein starker Mann sein, doch das verletzte mich so sehr.

Kindergeburtstag! Ich war nur Ballast für ihn! Aus und vorbei mit der Raumfahrerkarriere.

»Siehst du, Perry, nun weint er wegen dir«, stellte Cell fest und drückte mich.

Rhodan blickte verlegen auf den Boden.

»Ich hasse es, wenn Kinder weinen. Willst du überhaupt wirklich mitkommen, Cauthon?«

Er sah mir tief in die Augen. Ich schluchzte noch ein wenig, dann nickte ich hastig.

»Wir fliegen zu einem fremden Planeten mit rauen Sitten. Ich muss dort mit einem exzentrischen Herrscher Verhandlungen führen und ich weiß nicht, wieso er unbedingt ein Kind aus Camelot dabei haben will.«

Ich verstand.

»Ich möchte mit, Sir! Wenn er darauf besteht, ist es doch besser, wenn ein Kind mitkommt, das sich dafür begeistern kann.«

Rhodan blickte Wirsal Cell an. Der alte Mann schmunzelte.

»Der kleine Despair hat eine bestechende Logik.«

»Also gut. Vorausgesetzt, dein Onkel und deine Tante stimmen zu.«

Perry Rhodan wusste, dass ich bei meinem Onkel und meiner Tante wohnte. Woher? Ach, egal, er war schließlich Perry Rhodan und wusste alles.

»Ich rede mit den beiden«, versicherte Wirsal Cell und wandte sich mir zu. »Schon morgen werde ich vorbeikommen.«

*

Nachdem ich Onkel Tuzz und Tante Ivy von meinem Gespräch mit Perry Rhodan und Wirsal Cell erzählte hatte, lachten sie mich aus. Tuzz wollte mir sogar eine Ohrfeige verpassen, weil er dachte, ich würde ihn anlügen.

Wie konnten sie nur so ignorant sein? Am nächsten Tag war ihre Selbstgefälligkeit verschwunden, als Wirsal Cell mit zwei Ertrusern vor unserer Haustür stand und um eine Unterredung bat. Onkel Tuzz wurde richtig blass, während Tantchen bemüht war, die höfliche und liebenswerte Gastgeberin zu spielen.

Tante Ivy schickte mich hoch, doch ich lauschte in der Ecke. Wirsal Cell erläuterte seinen Vorschlag.

»Nimm ihn doch gleich für immer mit. Dann sind wir eine Sorge los«, meinte mein Onkel und brach mir damit mal wieder das Herz.

»Wie kannst du so was sagen? Du musst entschuldigen, Wirsal Cell! Ein kleiner Scherz. Aber ein schlechter Scherz. Wir lieben unseren Neffen doch so sehr.«

Tante Ivy klang sehr aufgesetzt. Sie wollte nicht als schlechte Ersatzmutter dastehen.

»Ich denke aber nicht, dass wir unserem zehnjährigen Neffen das erlauben werden. Das ist so weit weg und vielleicht gefährlich. Dieser ganze Rhodanismus hat schließlich meiner Schwester das Leben gekostet. Cauthon soll nicht genauso werden oder enden«, sagte meine Tante weiter.

Rhodanismus?

»Perry Rhodan ist für den Tod deiner Schwester nicht verantwortlich. Wir haben niemals die Schuldigen gefunden. Cauthon glüht regelrecht vor Freude. Erlaubt ihm dieses Abenteuer«, bat Cell. »Außerdem habe ich mit Homer G. Adams gesprochen. Er drückt ein Auge bei der geplatzten Provision zu, wenn ihr kooperativ seid.«

Stille!

Ich konnte mir vorstellen, dass Onkel Tuzz und Tante Ivy aus allen Wolken fielen. Doch das war ihre Chance. Sie konnten ihren Lebensstandard halten. Sie mussten mir nur erlauben, Perry Rhodan auf die Reise zu begleiten.

»Einverstanden«, kam es von Onkel Tuzz so schnell, dass ich innerlich jubeln musste. Es war genauso, wie ich vermutet hatte. Sie liebten nicht mich, sondern möglichst viele Galax. Und zum ersten Mal war ich darüber nicht traurig!

Ich schlich in mein Zimmer und verkündete Robbie die freudige Nachricht. Schon bald würde ich in einem echten Raumschiff zu einem anderen Planeten fliegen. Zusammen mit Perry Rhodan!

 

4. Die WIDDER

Perry Rhodan war verblüfft, wie gut sich Yart Fulgen für seine 160 Jahre gehalten hatte. Er hatte mit Fulgen einen fähigen und erfahrenden Veteran im Dienste Camelots. Die 250 Meter durchmessende WIDDER war das persönliche Raumschiff des Allrounders, der ein guter Wissenschaftler und früher auch Widerstandskämpfer, Organisator und Spion war.

Doch Rhodan vertraute nicht nur auf Yart Fulgen. Mit Gucky hatte er seine Geheimwaffe für alle brenzligen Situationen dabei. Zwar waren Nichthumanoiden aller Art der Zutritt auf Mashratan verwehrt, doch Gucky blieb als Reserve an Bord der WIDDER und würde im Notfall auf die Vorschriften pfeifen, wenn er Hilfe brauchte.

Rhodan und der Mausbiber saßen in Rhodans Quartier und sahen sich die Daten über Mashratan an. Gucky schlürfte einen gekühlten Karottensaft, während Perry bei Wasser blieb.

Mashratan war im Jahre 2124 AD von terranischen Kolonisten besiedelt worden. Das terranische Siedlerschiff CHURCH OF TRINITY musste nach einem Hypersturm auf dem fünften Planeten eines nicht katalogisierten Binärsternsystems notlanden. Die überlebenden Siedler hatten den Planeten Mashratan getauft. Kontakt zum Solaren Imperium hatte es fast zweihundert Jahre nicht gegeben.

Im Jahre 2308 AD hatte das solare Raumschiff EX-4187, unter dem Kommando eines gewissen Oberst Kerkum, das Mashritun-System entdeckt und war auf Mashratan gelandet. Der Kontakt zur Mutterwelt Terra wurde wieder hergestellt. Mashratan hatte einen Sonderstatus als autonome Exklave des Solaren Imperiums erhalten, da sich der sogenannte Apostelrat beharrlich geweigert hatte, Mitglied im Vereinten Imperium zu werden.

Bully hatte damals Mashratan einen Besuch abgestattet und den Vertrag von Malchut abgeschlossen.

Zu Zeiten des Solaren Imperiums hatte die Welt zu den verlässlichsten Verbündeten gezählt. Obwohl die Mashratan sehr konservativ waren, waren sie auf wichtigen Missionen dabei gewesen.

Allerdings war Oberst Kerkum während des Krieges gegen die Blues aufgrund einer Insubordination und Terrorangriffen auf Welten der Blues in Ungnade gefallen.

Er hatte zwangsweise seinen Dienst quittiert und die Regierung auf Mashratan übernommen. Trotzdem hatten die Mashraten in den folgenden Jahrhunderten verlässliche Offiziere und Mannschaften für die Solare Flotte gestellt. Sie waren auch dabei gewesen, als die CREST III in die Vergangenheit geschleudert wurde.

Plötzlich stand das asketische Gesicht eines Mannes vor Perrys innerem Auge. Es dauerte einige Momente, bis Perry das Gesicht einem Namen zuordnen konnte. Er hatte im Laufe der vergangenen Jahrtausende unzählige Menschen gekannt, sie waren in sein Leben getreten und wieder daraus verschwunden. Manche hatten tiefe Spuren in seinen Erinnerungen hinterlassen, positiver und negativer Art. Das Gesicht, das sich ihm geradezu aufdrängte, war mit sehr negativen Erinnerungen verbunden. Es war das Gesicht eines Fanatikers. Immer neue Erinnerungen drängten sich in sein Wachbewusstsein.

Lee Omar el Tabari war als religiöser Beistand, als Rabmulla, der Mashraten an Bord der CREST gewesen. Er hatte angeblich eine »Offenbarung« seines Gottes gehabt, dass alle »Kinder Lemurias« wieder vereinigt werden mussten, um im kommenden Endkampf gegen die Mächte der Finsternis zu bestehen. Nachdem er versucht hatte, auch die Besatzung zu missionieren, hatte ihn Oberst Cart Rudo unter Arrest gestellt. Nach der Rückkehr der CREST in die Gegenwart wurde er unehrenhaft entlassen und war nach Mashratan zurückgekehrt, wo er rasch innerhalb der Kirche des »Dreieinigen Gottes« aufgestiegen war und sie in seinem Sinne reformiert hatte.

Wieder stand das fanatische Gesicht des Mashraten geradezu plastisch vor Perry. Machte er so langsam Atlan Konkurrenz? Unwillig verdrängte Rhodan die Erinnerung und beschäftigte sich wieder mit dem vorliegenden Dossier.

Über die nächsten Jahrhunderte gab es keine nennenswerten Informationen. Die Mashraten hatten weiter treu zum Solaren Imperium gestanden, obwohl ihre Religion immer skurriler geworden war.

Während der Zerschlagung des Solaren Imperiums durch das Hetos der Sieben hatten sie erbittert gegen Laren und Überschwere gekämpft, doch gegen die Übermacht und technische Überlegenheit der Invasoren hatten sie keine Chance gehabt. Danach war der Planet wieder in eine archaische Stammeskultur religiöser Prägung zurückgefallen, die sich teilweise bis heute erhalten hatte.

Nach Gründung der LFT und mit Einführung der NGZ hatten sie sich langsam erholt und weitgreifende Reformen durchgeführt. Während einer kurzen Epoche waren die Frauen gleichberechtigt gewesen und hatten sogar die Präsidentin gestellt. Doch mit Ausnahme dieser als relativ liberal geltenden Epoche war eines gleich geblieben: die Unterdrückung und Rechtslosigkeit des weiblichen Teiles der mashratischen Bevölkerung. Frauen und junge Mädchen galten als »Sache« und waren persönliches Eigentum ihrer Väter, Ehemänner und Familienpatriarchen. Während der Monos-Ära wurde die Welt isoliert und die religiösen Extremisten setzten sich erneut durch.

Erst durch den Putsch von Ibrahim David Gregor el Kerkum 1211 NGZ, öffnete sich die Welt der Mashraten wieder gegenüber dem Rest der Milchstraße. Doch Rhodan wusste, dass diese vermeintliche Liberalisierung trügerisch war.

Kerkum war ein Nachfahre des Obersten aus dem Solaren Imperium. Das Geschlecht der Kerkums war hoch angesehen, auch wenn die Familie lange Zeit in die politische Bedeutungslosigkeit gefallen war. Kerkum hatte das nun geändert.

Der Oberst, wie er sich in Anlehnung an den alten Herrschertitel nannte, war ein Hardliner und streng genommen ein Diktator. Er hatte es zwar verstanden, die tief religiösen Parteien mit den Traditionalisten, Extremisten und Rationalisten zu versöhnen, doch je mehr Details Perry Rhodan über die Welt las, desto weniger gefiel sie ihm.

»Soso, Verbindungen zu den Galactic Guardians hat dieser Westentaschendiktator«, meinte Gucky.

»Nicht nur zu denen, Kleiner! Mashratan ist eine interessante Welt für die LFT, das Kristallimperium und das Forum Raglund. Das Mashritun-Sonnensystem ist reich an Hyperkristallen und vielen weiteren Rohstoffen. Kerkum verfügt über ein gut ausgebildetes Militär und darüber hinaus eine Söldnertruppe, die auf ihn persönlich vereidigt ist. Er besitzt jede Menge Kontakte zur Unterwelt und Waffenschiebern und wird offenbar gegen Bezahlung für Operationen angeheuert, die für den TLD oder die Tu-Ra-Cel offiziell nicht durchführbar sind.«

»Das sind dann die guten Schurken, nicht wahr?«

Rhodan schüttelte den Kopf. Bei aller Toleranz zu autarken terranischen Kolonialwelten, doch es widerte ihn schon jetzt an, mit diesem Kerl zu reden.

Offenbar war Kerkum der Verbindungsmann zwischen LFT, Kristallimperum und galaktischen Verbrecherbanden jeder Couleur. Allein der Gedanke, dass die LFT mit solchen Leuten kooperierte, machte ihn wütend.

»Und was wollen wir von diesem Knilch?«, fragte Gucky und nuckelte an seinem Strohhalm. Der Becher war leer, doch Gucky zog weiter emsig an dem Halm. Wegen des unappetitlichen Sauggeräusches ließ Rhodan einen genervten Blick auf seinen Gesprächspartner fallen.

»Kerkum hat uns offiziell eingeladen. Ebenfalls kommen Wirtschaftsvertreter der Liga und des Kristallimperiums. Homer erhofft sich, dass wir Handel mit ihm treiben können – ich erhoffe mir, dass wir ihn irgendwie auf einen moderaten Kurs bringen können.«

»Ein frommer Wunsch! Die Geldhaie der Hanse und von Arkon werden nicht begeistert von deiner Anwesenheit sein.«

»Das bin ich ja inzwischen gewohnt …«

Es schmerzte Perry Rhodan, dass sein Volk – oder zumindest die Repräsentanten der Terraner – ihn ins Abseits gedrängt hatten. Gut, er hätte kämpfen können, doch Rhodan hatte es vorgezogen, sich nach Camelot zurückzuziehen und dort etwas Neues aufzubauen. Ihm war klar, dass dies nicht auf Dauer war.

Rhodan konnte und wollte nicht die Hände in den Schoß legen. Was passierte, wenn eine Gefahr von außerhalb der Milchstraße plötzlich in Erscheinung trat? Waren die LFT, Arkon und die anderen Völker darauf vorbereitet? Wohl kaum.

Camelot war es.

»Weißt du, was komisch ist, Perry?«

Nein, das wusste er natürlich nicht.

»Ich kann die Gedanken von diesem Knirps nicht lesen. Es ist als hätte er eine natürliche, unbewusste Abschirmung vor Telepathen. Ich kann ihn zwar vage fühlen, aber das Gehirn ist verschlossen.«

Rhodan blickte Gucky verwundert an. Das war in der Tat sonderbar. Es musste etwas mit der speziellen DNS dieses Jungen zu tun haben.

Cauthon Despair war ein Rätsel. Die Umstände seiner Geburt auf dem Planeten Neles, als auch das Ableben der gesamten Besatzung des Forschungsraumers HAWKING vor zehneinhalb Jahren waren nie gelöst worden.

Alles was sie wussten, war, dass vielleicht Agenten des Kristallimperiums an der Katastrophe beteiligt waren. Oder steckte dieser geheimnisvolle Gönner Cau Thon dahinter? Sie hatten nie wieder etwas von ihm gehört und in den letzten zehn Jahren waren auch keine Arkoniden nach Neles gereist.

Die offizielle Version lautete Unfall durch eine Fehlfunktion der Syntronik und Kampfroboter. Doch Rhodan wusste, dass das nur eine schwache Ausrede war. Aber was sollte er denn einem kleinen Kind sagen? Dass seine Eltern brutal ermordet wurden? Verkraftete so etwas ein Zehnjähriger?

Nein, Cauthon Despair sollte ein so normales Leben wie möglich führen. Ihm sollte eine unbeschwerte Kindheit vergönnt sein. Offenbar war das aber nicht der Fall. Die Generos kümmerten sich nur halbherzig um ihn, Freunde hatte er offenbar keine und nun saß er an Bord der WIDDER und begleitete sie.

Beging er damit einen Fehler? Oder war es einfach die Bestimmung Cauthon Despairs? Nach dieser Reise würde er Wirsal Cell bitten, sich regelmäßig um Cauthon zu kümmern. Wenn es der Wunsch des Jungen war, die Raumfahrtakademie in Port Arthur zu besuchen, dann sollte ihm das ermöglicht werden.

»Grübel nicht so viel über den Knirps. Wird schon alles gut gehen«, meinte Gucky.

»Man könnte meinen, dass Du meine Gedanken lesen kannst!«

»Kann ich nach wie vor nicht. Du bist immer noch mentalstabilisiert, aber dein Gesichtsausdruck...«

Der Mausbiber entblößte mit einem breiten Grinsen seinen großen Nagezahn und holte sich telekinetisch einen neuen Becher Karottensaft.

Schlürfend nuckelte an dem Strohhalm.

»Ah, das schmeckt wieder!«

*

Am 27. April 1275 NGZ erreichte die WIDDER das Mashritun-System im südwestlichen Quadranten im äußeren Bereich des Perseus-Armes in der Milchstraße. Die Entfernung zum Solsystem betrug 32.119 Lichtjahre. Das Binär-Sonnensystem besaß zwei Sonnen und einen Braunen Zwerg als planetaren Begleiter.

Mashritun-A war extrem metallreich. Beide Sonnen kreisten um den gemeinsamen Massenschwerpunkt, wobei die Umlaufbahn von Mashritun-B etwa 0,12 AE außerhalb der Umlaufbahn von Mashritun A lag.

Insgesamt gab es sechs Planeten in dem System. Davon war der fünfte Planet Mashratan für Menschen bewohnbar.

Bei Mashritun-2 handelte es sich um einen sogenannten »Heißen Jupiter«, also um einen Gasplaneten, der nach der Bildung in den äußeren Regionen durch Migration in das Innere des Systems gewandert und durch die Sonnen aufgeheizt worden war.

Die Planeten drei und vier verfügten über keine nennenswerte Atmosphäre, sodass kein Treibhauseffekt auftrat und damit die niedrigen Temperaturen begründet werden konnten.

Bei dem sechsten Himmelskörper handelte es sich in Wirklichkeit um den Braunen Zwerg, der innerhalb des Systems die Rolle des solaren Jupiter übernahm und die Umlaufbahnen der inneren Planeten stabilisierte. Gleichzeitig hatte er verhindert, dass weitere äußere Planeten entstehen konnten. Er besaß ein umfangreiches System von 26 Monden und bildete eine eigene habitable Zone durch sein infrarotes Lichtspektrum. Innerhalb dieser Zone befanden sich zwei etwa marsgroße Monde, auf denen primitives pflanzliches Leben existierte.

Der fünfte Planet Mashratan war ihr Ziel. Es war eine trostlose Wüstenwelt mit wenig Wasser und heißen Temperaturen.

Diese Sternenkonstellation bot dem Planeten einen doppelten Sonnenuntergang. Es war ein gewaltiger und schöner Anblick. Rhodan dachte nach. Vor 1198 Jahren hatte er das letzte Mal Mashratan einen Besuch abgestattet und im Jahre 77 NGZ dabei geholfen, einen säkularen Staat zu gründen. Rhodan hatte in der Trennung zwischen Religion und Staat einen wichtigen Schritt für die Entwicklung der Mashraten gesehen. Doch diese säkulare Regierung hatte nur wenige Jahre überdauert, bevor sie in einem Blutbad religiöser Eiferer ertränkt worden war. Mit der Niederlage und Vernichtung der Demokratischen Allianz schwand auch der Einfluss der LFT. Die Mashraten hatten sich niemals mit dem Gedanken einer offenen Gesellschaft anfreunden können und lehnten die Liga Freier Terraner ab. So war es auch nicht verwunderlich, dass sie während und nach der Monos-Ära ihren eigenen Weg gegangen waren.

Diverse extreme Gruppierungen hatten sich an der Regierung abgewechselt. Mal waren es Traditionalisten, die sich die Zeit des Solaren Imperiums zurückwünschten, dann die sozialdarwinistischen Rationalisten und zuletzt die archaischen Neoaktivisten, die einen Gottesstaat mit finsteren Gesetzen aus dem Mittelalter geschaffen hatten.

Immerhin hatte Oberst Kerkum sie alle vereint. Doch seine Methoden waren zweifelhaft.

Der Oberst regierte mit harter Hand. Seine Geheimpolizei war gefürchtet. Doch die war nicht das einzige Übel auf dieser Welt. Die Vhratowächter waren eine Art Religionspolizei. Sie setzte überall die Vhrashiator durch – das Gesetzbuch der Religion. Als sich Perry Rhodan die Informationen durchlas, glaubte er, jemand hätte das »Worst of« der christlichen Inquisition, des jüdischen Chassidismus und der islamischen Scharia miteinander vereint. Dass es solche Gesetze der Tyrannei noch im 13. Jahrhundert NGZ auf einer terranischen Kolonialwelt gab, erschreckte ihn.

Auf Terra hatten religiöse Extreme seit Jahrtausenden ihren Schrecken und ihre vermeintliche Rechtmäßigkeit verloren. Religiöse Oberhäupter wie der Papst, Imame und Ayatollahs, Rabbis und der Dalai Lama hatten keine politische Macht mehr, aber sie hatten moralische Verantwortung übernommen.

Doch er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass die Gründerväter von Mashratan aus dem 24. Jahrhundert eben deshalb eine neue Welt kolonisiert hatten. Sie waren mit dem schwindenden Einfluss der theologischen Macht auf Terra unzufrieden gewesen.

Der Vhrato-Kult war die Hauptreligion auf Mashratan. Der Glaube an den Vhrato oder Vahraáto war von den Mashraten mit den traditionellen Religionen vermischt worden.

Es wurde an einen Gott der Menschheit geglaubt. Der Vhrato war ein Prophet, der irgendwann erscheinen sollte, um alle Menschen in das Reich Gottes zu führen. Moses, Jesus Christus und Mohammed hatten ebenso ihren Platz als Propheten in dieser Theologie gefunden.

Sogar Perry Rhodan war einst als Sonnenbote verehrt worden. Während der Unterdrückung durch die Laren hatte sich ein regelrechter Vhrato-Kult um seine Rückkehr aus dem Mahlstrom entwickelt. Perry war das alles unangenehm, doch er wusste, dass die Mashraten ihn und Atlan als eine Art Heilige ansahen.

Er wollte diesen Status nicht ausnutzen, aber vielleicht war dieser doch bei den Verhandlungen dienlich.

Der epsalische Kommunikationsverantwortliche an Bord der WIDDER stellte eine Verbindung zum Kontrollzentrum der Hauptstadt Vhrataalis her.

»Mashratan erteilt uns keine Landeerlaubnis für die WIDDER. Jedoch für eine Space-Jet«, meldete Yart Fulgen. »Wir sollen aus Neutralitätsgründen keine Bevorzugung erhalten. Auch die arkonidischen und terranischen Vertreter müssen mit einem Beiboot zum Palastraumhafen im Westen von Vhrataalis fliegen.«

Rhodan hatte so etwas bereits erwartet. Plötzlich materialisierte Gucky mit Cauthon Despair in der Zentrale.

»Wow, nochmal!«, rief Cauthon Despair begeistert.

Rhodan blickte die beiden Kindsköpfe streng an.

»Später«, meinte Gucky. »Nun, wann brechen wir auf?«

»Du gar nicht, Kleiner! Du bist auf Mashratan unerwünscht. Extraterrestrier gelten als minderwertiges, unreines Leben, bestenfalls«, erklärte Rhodan.

»Ach? Und im schlimmsten Fall?«

»Als Dämonen! Laut der Vhrashiator müssen sie dann bei lebendigem Leib verbrannt werden.«

Gucky stieß einen Pfiff aus.

»Das sollen diese Vhratopfaffen mal bei mir versuchen. Dann lasse ich sie einfach über ihr eigenes Feuerchen kreisen und ihren Bürzel anbrennen!«

Gucky stemmte die Ärmchen in die Hüften.

»Du bleibst als Reserve hier. Sei wachsam.«

»Wie immer werde ich für dich die Kastanien aus dem Feuer holen, Chef!«

Der Ilt salutierte und hob sich telekinetisch in einen Kontursessel. Wenige Augenblicke später schloss er einfach die Augen und schlief wohl ein.

Rhodan blickte Cauthon an und lächelte.

»Auf geht’s!«

»Aye, Sir!«, rief Cauthon und folgte Rhodan in den Hangar.

Während des Weges dorthin referierte Cauthon stolz über die Eigenschaften des Planeten Mashratan. So hatte dieser einen Durchmesser von 13.678 Kilometern bei einer Schwerkraft von 1,004 Gravos und war durchaus erdähnlich. Die Tage waren aufgrund der zwei Sonnen besonders heiß. Die Nächte waren kürzer im Vergleich zu Terra oder Phönix.

Insgesamt lebten 761 Millionen Mashraten auf den vier Kontinenten. Der Großteil der Bevölkerung führte ein Nomadendasein. Rund 187 Millionen Einwohner besiedelten die wenigen Großstädte.

Rhodan lies den Kleinen erzählen, auch wenn er das meiste davon schon kannte. Cauthon war aufgeregt. Das war verständlich. Schon bei dem Start der WIDDER von Phönix hatte der Junge große Augen gemacht, als er den Planeten vom Weltraum aus gesehen hatte.

Zwei Angehörige des Sicherheitsdienstes begleiteten sie auf ihrem Flug zum fünften Planeten des Doppelsonnensystems.

»In Kürze wirst du eine fremde Welt betreten, Cauthon!«

»Ich kann es kaum erwarten!«, freute sich der Kleine.

Dann verließ die Space-Jet den Hangar der WIDDER und nahm Kurs auf Mashratan.

 

5. Mashratan

Olub el Gregor Susuk saß unter dem gleißenden Licht des Sonnenpaars und sah seiner Frau Yarinata beim Brot backen zu. Sie knetete den Teig und rollte ihn auf dem Stein vor dem Ofen aus. Die kleine Blyuma assistierte ihr dabei, reichte ihr Mehl aus der Vase.

Seine älteste Tochter Sishrima fächelte Olub el Gregor Susuk mit einem Wedel aus Kunststoffblättern Luft zu.

Die Familie befand sich im sandigen Innenhof ihres Domizils. Bei der sengenden Hitze wollte Susuk nicht arbeiten. Da sah er lieber den Frauen zu, wie sie sein Mittagessen zubereiteten.

»Hol deinem Vater ein Glas Myrtensaft«, forderte er Sishrima auf.

Sie gehorchte, legte den Fächer beiseite und ging in das Haus. Wenig später kehrte sie zurück und reichte ihm einen Beutel mit dem köstlichen, süßen Saft. Doch er war warm! Enttäuscht warf Susuk seinen Beutel zur Seite.

»Er ist warm! Verstehst du? Warm!«

Sishrima entschuldigte sich, doch Susuk war wütend. Sie musste doch nachdenken! Gott hatte ihr ein Gehirn geschenkt oder war es in der Hitze völlig vertrocknet? Wie sollte das sein, wenn sie verheiratet war? Er war noch gnädig, aber ob Aly-Effi sul Bach das war, wenn sie ihn so respektlos behandelte?

Seine Tochter brauchte eine väterliche Maßregelung. Susuk ergriff den kleinen Yekjab und aktivierte die Stromspitze. Das leise Surren ließ Sishrima aufschrecken. Susuk warf ihr einen bösen Blick zu. Sie verstand, senkte den Kopf und akzeptierte die Bestrafung, so wie es sich für eine gute Mashratin gehörte.

Susuk drückte seiner Tochter den Stromstock an den Hals. Sie zuckte und schrie. Dann setzte er ab und stieß erneut zu. Sie weinte, sackte zusammen und zitterte.

Das reichte. Sie hatte sicher verstanden. Er gewährte ihr, weil er ein guter Vater war, einige Minuten, um sich auszuruhen. Dann bat er sie erneut, ihm etwas Myrtensaft zu bringen.

Voller Zufriedenheit registrierte er, dass das Getränk diesmal schön kühl war. Seine Tochter hatte ihre Lektion gelernt.

»Wir brauchen einen neuen Ofen aus der Stadt, Papa«, sagte seine Ehefrau.

»Was? Weißt du, was ein neuer Ofen kostet? Ich bin ein armer Refryhüter und kein Kristallminenbesitzer.«

Susuk verstand die Welt nicht mehr. Der Ofen war doch noch gut. Er machte Feuer und es wurde heiß. Wieso einen Neuen? Die Frau hatte gut reden. Sie arbeitete ja nicht, saß sich den ganzen Tag den Hintern breit, während er auf die Refrys aufpassen musste. Er hatte die Arbeit mit den Raubtieren und Dieben.

Schon ein Junges hatten sie ihm gestohlen und ein altes Refry war in diesem Jahr gerissen worden. Dadurch hatte er 790 Mash verloren. 790 Mash! Was hätte er sich alles dafür kaufen können? Einen automatischen Ventilator vielleicht? Er musste ja auch an die Zeit denken, wenn seine älteste Tochter verheiratet war.

Doch dann blieb ja noch Blyuma. Sie sollte nicht nur nutzlos im Haus herumsitzen und sich mit der Wäsche, dem Kochen und Putzen vergnügen. Susuk überlegte, ob er sie nicht zu einem der Tuffa-Jab-Jab Feste mitnehmen sollte. Die Veranstalter boten ihm 2.000 Mash für Blyuma. Davon konnte er sich zwei Ventilatoren kaufen. Doch er hatte Sorge, dass einige Besucher seine Tochter beschmutzten. Dann war sie untauglich für die Hochzeit und würde bei der Yeshi-Jil durchfallen. Wer würde sie dann noch wollen?

Nein, wenn man seine Töchter verheiraten wollte, durften sie kein Tuffa-Jab-Jab besuchen.

Susuk bedauerte, dass ihm seine Frau keinen Jungen geschenkt hatte. Sicher, er fühlte Mitleid mit ihrer Behinderung, nur Mädchen zur Welt zu bringen, doch es war auch für ihn als Vater und Patriarch der Familie schwer. Niemand packte bei der Arbeit mit den Refrys an.

Und er konnte auch keinen Sohn für viele Mash an einen Tuffa-Jab-Jab-Veranstalter verleihen.

Das Leben war ungerecht. Er war doch nur ein kleiner Refryhüter und besaß eine abgemagerte Kuhun.

Susuk seufzte. Mit Bedauern stellte er fest, dass seine Heyillstoff-Pfeife leer war. Er brauchte neues Heyill, doch das gab es nur beim Händler in der Stadt. Und die Stadt war 497 Kilometer entfernt.

Was für ein Dilemma. Sollte er die Frauen schicken? Es war so heiß. Und die Klimaanlage im Gleiter war defekt. Er hatte kein Geld, sie reparieren zu lassen, auch wenn der alte Yussuf il Danny Chao ihm einen guten Preis machte.

Ohne Heyill konnte er das alles aber auch nicht ertragen. Mit dem Rauch von Heyill sah er schöne Dinge. Nackte, barbusige Jungfrauen tanzten auf pinken Wolken vor ihm herum und säuselten seinen Namen. Die waren viel schöner als die dicke, ausgeleierte Yarinata, die er tagein und tagaus sah.

»Frau, sag dem Roboter, was wir einkaufen sollen.«

Sie konnten weder lesen noch schreiben. Aber der Roboter half ihnen bei vielen Dingen, die sie nicht verstanden, wie Organisation, Verwaltung, Steuern und all das. Susuk war ein Refryhüter. Wie sein Vater und dessen Vater und der Vater des Vaters seines Vaters auch.

Sie mussten nicht lesen und schreiben. Den Refrys nutzte das nichts. Sishrima und Blyuma wollten unbedingt diesen Kram lernen.

Aber die Schule war teuer. Und sie lag in der Stadt. Hier draußen gab es keine Schulen. Hier brauchte auch niemand eine Schule. Das nötige Wissen für die Refrys gaben sie von Generation zu Generation weiter.

Seit fast 3.000 Jahren funktionierte das nun schon einwandfrei. Wieso sollten sie etwas daran ändern?

Leider konnte der Roboter keinen Gleiter fliegen. Und selbst konnte der Gleiter auch nicht mehr fliegen, denn der automatische Roboterpilot war kaputt.

Der alte Yussuf il Danny Chao, ja, der konnte das reparieren. Aber das war so teuer.

Susuk erhob sich ächzend. Ohne ein Wort der Verabschiedung schlurfte er aus dem Hof zur rostigen Tür. Mit einem lauten Knarren öffnete sich die Tür. Nachdem er eingetreten war, zog er sie hinter sich zu. Sorgfältig legte er die massiven Eisenriegel vor und schloss von außen ab. Schließlich sollten sich die Weiber während seiner Abwesenheit nicht irgendwo herumtreiben und schlimme Dinge tun.

Blyuma hatte es doch tatsächlich vor einem Jahr gewagt, ohne Yeshi-Hihab auf die Straße zu gehen. Dabei war sie schon im Verschleierungsalter. Nur mit Mühe und Not – und dank seiner Freunde in der Stadt, die mit Heyill handelten und einflussreiche Freunde bei den Heyillbaronen hatten – wurde von einer Strafe abgesehen.

Doch seine Familie stand nun in den Akten der Vhratowächter. Ein erneuter Verstoß gegen die heilige Vhrashiator würde sie vor große Probleme stellen.

Susuk würde dann gar nichts anderes übrigbleiben, als die Verursacherin selbst zu richten, um die Ehre seiner Familie wiederherzustellen. Die Gesetze Gottes waren hart, aber gerecht! Mit Schaudern dachte er an seine Vhrashinatorweihe zurück, als der heilige Rabmulla dem Kreis der Jungmänner von der Zeit erzählt hatte, als die dreimal verfluchten Dämoninnen der Schwarzen Mirona versucht hatten, den gottgewollten Apostelrat zu stürzen und die Gebote des heiligen Buches Vhrashium in einem Sündenpfuhl aus Unzucht zu pervertieren. Doch die geheiligten Kinder Vhratos hatten die Waffen ergriffen und die Dämoninnen zurück in die Hölle gejagt, aus der sie gekommen waren, um die Rechtschaffenen auf den Weg der Verdammnis zu führen.

Wieder ergriff ihn die heilige Vhrasha und füllte sein Zepter Vhratos mit dem heiligen Atem Gottes. Er begriff, dass der Dreieinige Gott ihn an seine Pflicht gegenüber der Gemeinschaft der Kinder Vhratos erinnern wollte. Es war wieder an der Zeit, seinen heiligen Atem Gottes der Schwarzen Mirona zu spenden, damit sie weiterhin ihre Dämoninnen in der Hölle einschloss. Sobald er in der Stadt war, würde er ihr sein Opfer bringen und seinen kleinen Beitrag dafür leisten, dass Vhrato weiter seine schützende Hand über Mashratan hielt.

Auf seinem Weg zu dem Gleiter traf Susuk den alten Briefzusteller Safi Allah Konstantin Mybarek. Der einarmige Mann tat seit vielen Jahrzehnten pflichtbewusst seinen Dienst und trug die Post von der Stadt bis zur entlegensten Ecke ihrer Region aus.

Er war ein guter Mann! Er hatte außerdem eine große Familie und viele Söhne. Susuk wünschte, er wäre auch so. Doch eine Zweitfrau konnte er sich nicht leisten. Die drei anderen Mäuler zu stopfen, war schon schwierig genug.

Der Serviceroboter schwebte rechts neben ihm. Endlich erreichten sie den Gleiter. Nach dem dritten Startversuch sprang er an. Susuk freute sich trotz aller Mühen auf die Stadt und die Gesichter seiner Kameraden.

Und natürlich auf das Heyill-Kraut.

*

Die Straßen von Neoquarshi waren wieder einmal hoffnungslos überfüllt. Susuk brauchte beinahe zwei Stunden, um in den Stadtteil im Norden zu gelangen. Überall verstopften Kuhunherden und Refryhorden den Weg. Was hatten die Viecher auch in der Stadt zu suchen? Sie sollten auf die Weide. Das wusste doch jeder Kleinbauer!

Susuk schüttelte den Kopf über so viel Dummheit. Er war klug! Er hatte nicht viele Refrys und nur eine Kuhun, aber er setzte sie optimal ein, weil er schlau war.

Die Hitze machte ihm zu schaffen. Er war froh, wenn die erste Sonne untergehen würde. Dann wurde es etwas kühler. Endlich erreichte er die Taishastraße. Dort wohnte sein Freund Abdulla Franklin el Mendosa.

Er hatte das beste Heyill-Kraut und verkaufte es zu echten Freundschaftspreisen. Susuk parkte den Gleiter neben einer eingefallenen Mauer.

»Du gehst in den Basar und besorgst die Sachen. Ich habe geschäftlich hier zu tun«, sagte Susuk zu seinem Roboter. Mit einem leisen Surren entfernte sich das künstliche Metallwesen in Richtung Marktplatz.

Einige kräftige Männer saßen vor dem Haus des Händlers. Sie blickten Susuk unfreundlich an.

Er ignorierte sie. Schließlich war er Kunde.

»Ah, der stinkende Refryhirte. Geh bloß rein«, rief ihm einer nach.

Nein, das hatte er nicht gehört. Nein, und nochmal nein!

Susuk zog die Schuhe aus und betrat den mit feinem Teppich ausgelegten Raum. Sein Freund Abdulla begrüßte ihn freundlich.

»Ein Kilogramm?«, erkundigte er sich.

»Ach, lieber zwei«, antwortete Susuk.

Der beleibte Abdulla nickte und kratzte seinen Rauschebart. Dann wog er das Kraut und verpackte es in saubere Plastiktütchen.

»Hast du schon gehört? Fremde sind gekommen. Sie besuchen den Oberst.«

Nein, Susuk hatte davon nichts mitbekommen. Er hatte kein Trivid in dem Tal zwischen den Bergen. Er hatte auch kein Radio und kein Internet. Immerhin gehörte Susuk ein alter Stromgenerator. Darauf war er schon sehr stolz.

»Wer ist denn gekommen?«

»Geschäftsmänner von der LFT und Arkon.«

»Was ist die LFT?«

»Liga Freier Terraner«, antwortete Abdulla und sah Susuk verwundert an.

Wieso tat Abdulla das? Um so einen Kram von außerhalb kümmerte sich Susuk nicht. Das hatte er nicht nötig. Wen interessierte schon, was außerhalb von Mashratan passierte?

»Und Perry Rhodan persönlich ist ebenfalls von den Sternen zu uns gekommen.«

»Och, echt?«

Nun war Susuk aber erstaunt. Der Prophet Perry Rhodan lebte noch? Er dachte, der wäre schon längst zu Gott zurückgekehrt. Immerhin! Ein echter Heiliger wandelte auf Mashratan. Alle Achtung. Susuk war ein frommer Mann, aber er dachte nicht viel über die Heiligen nach. Er befolgte brav die Vhrashiator und lehrte seine Kinder, ebenso gläubig zu sein.

Er hatte mit den Ungläubigen nichts zu tun. Die nahmen doch nur Drogen, tranken Alkohol, aßen unreines Fleisch und hatten Verkehr mit unkeuschen Frauen. Gut, dass er nicht so war! Kein gläubiger Mann war so.

»Was macht mein Kraut?«

»Fertig!«

Abdulla drückte ihm den Beutel in die Hand. Freudig reichte Susuk ihm das Geld. Immerhin gab er das Geld für einen guten Zweck aus.

»Willst du mich zu deinem Schwiegersohn in Spe begleiten? Er macht Überstunden in seiner Tuffa-Jab-Jab-Schule.«

Zu Aly-Effi sul Bach? Ja, das war eine gute Idee. Es wurde Zeit, dass er endlich Sishrima heiratete, dann hatte er endlich ein hungriges Maul weniger zu stopfen.

Susuk wartete, bis der Roboter vom Einkauf zurück war. Er deponierte den Metallmann und die Ware in Abdullas Abstellkammer und fuhr dann zur Tuffa-Jab-Jab-Schule. Danach würde er das Heiligtum der Schwarzen Mirona besuchen, das sich nicht weit von der Tuffa-Jab-Jab-Schule befand und die Vhrasha vollziehen.

Flüchtig dachte er an den Heiligen Perry Rhodan. Tolle Sache, dass der hier auf Mashratan war. Vielleicht konnte er ihm ja Blyuma als Braut versprechen? Dann hätte er ausgesorgt.

 

6. Der Oberst

Der Großteil der Landmassen der vier Kontinente war von Sand bedeckt.

Bedingt durch die Besonderheit der Doppelsonnen Mashritun A und B war die Durchschnittstemperatur höher als auf der Erde. Hinzu kam ein starker Treibhauseffekt durch einen hohen Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre.

Die vorhandenen Wasservorkommen befanden sich überwiegend unter der Oberfläche. Freies Oberflächenwasser war selten und wurde durch unterirdische Quellen gespeist. Nur in den Polarregionen existieren größere Wasservorkommen in Form von kleineren Polkappen unter ausgedehnten Sanddünen. Von besonderer Bedeutung waren die teilweise im Tagebau abbaufähigen Rohstoffvorkommen, die im Vergleich zu Terra wesentlich umfangreicher waren. Im zentralen Sainahgebirge hatte man zudem ausgedehnte Vorkommen an Hyperkristallen gefunden, die die Haupteinnahmequelle des Planeten bildeten. Die Hyperkristalle hatten Mashratan reich und unabhängig gemacht.

Trotz der unwirklichen Bedingungen suchte sich das Leben seinen Weg. An den zahlreichen kleinen Oasen waren Siedlungen entstanden.

Vhrataalis lag an dem Fluss Anato und war seit knapp 1.000 Jahren die Hauptstadt des Planeten. Flüsse waren auf Mashratan ebenso selten wie Seen. Rhodan fiel erneut auf, das es überhaupt keine Ozeane auf Mashratan gab. Schon früher hatte er sich über diese ungastliche Welt gewundert.

Rhodan und Cauthon Despair bot sich ein anachronistisches Bild. Die zumeist weißen und ockerfarbenen Gebäude wirkten wie eine Mischung aus »Tausendundeiner Nacht« und einer modernen Raumfahrtmetropole.

Der Navigator der Space-Jet landete das Raumschiff auf dem angewiesenen Raumhafen des Regierungstraktes. Der Palast von Oberst Ibrahim Kerkum erstreckte sich über eine Fläche von zwanzig Quadratkilometern.

Im Zentrum befand sich sein persönliches Schloss mit zahlreichen Gärten, Parkanlagen und sogar einem künstlichen See. Drumherum standen Tempel, Kirchen, Quartiere für Bedienstete, eine Kaserne und eben der Raumhafen.

»Der Mann lebt ja pompös«, meinte Cauthon.

Rhodan schmunzelte.

»Das entspricht wohl seinem Ego.«

Die Space-Jet landete zwischen einer terranischen Weltraumjacht und einem arkonidischen Beiboot.

Rhodan und Cauthon stiegen aus. Schon erklang ein Marsch aus Zeiten des Solaren Imperiums.

Vor ihnen standen je zwei Kompanien auf jeder Seite. Eine Schar von Männern in weiten Gewändern und ein recht modern gekleideter Mann in Galauniform schritten auf sie zu.

Der kahlköpfige Mashrate hatte einen dunklen Teint und trug einen Vollbart.

Er verneigte sich. Dann reichte er Perry Rhodan freundschaftlich die Hand.

»Ich bin Ali Urban Judäa el Kerkum«, stellte er sich vor.

Demnach war er ein Sohn des Obersten. Rhodan erwiderte die Gäste und bedankte sich höflich für die Einladung.

»Ah, und Sie haben Nachwuchs aus Camelot mitgebracht. Das ist sehr schön. Mein Vater will die Jugend aus Terra, Arkon und Camelot kennenlernen. Leider haben nur zwei Geschäftsmänner ihre Kinder mitgebracht. Nun denn, folgen Sie mir bitte.«

Rhodan und Cauthon gingen Ali el Kerkum hinterher. Rhodan hatte mit der Hitze zu kämpfen. Beide Sonnen strahlten hell, die gelbe Sonne jedoch deutlich intensiver als der rote Zwerg. Endlich erreichten sie die gekühlten Räume.

Ali deutete auf einen Raum, in dem Rhodan Terraner und Arkoniden erkannte.

»Bevor ich Sie unseren anderen Gästen vorstelle, möchte mein Vater alleine mit Ihnen sprechen, Sir!«

Rhodan legte seine Hand auf Cauthon. Ali el Kerkum lachte.

»Keine Bange, dem Kleinen wird nichts geschehen. Ach, Mister Mulltok?«

Ein rothaariger Terraner in Geschäftsanzug eilte aus dem Raum. Er stellte sich als Glaus Mulltok vor. Er war ein terranischer Geschäftsmann auf Arkon I und genoss das Vertrauen beider Mächte.

»Eine Ehre, Perry Rhodan. Wie geht es dir?«

»Danke, danke. Ähm, könntest du auf meinen Begleiter Cauthon Despair eine Weile Acht geben?«

»Aber sicher. Das wird meine Tochter freuen. Rosan? Schatz komm doch mal bitte.«

Aus dem Raum hüpfte ein etwa zehnjähriges Mädchen mit rotblonden Haaren und rubinroten Augen. Stolz stellte Glaus Mulltok seine Tochter Rosan vor, die zur Hälfte Arkonidin und zur anderen Hälfte Terranerin war. Während Cauthon schüchtern herumdruckste, fing Rosan sofort ein Gespräch mit dem Kleinen an. Rhodan war sich gewiss, dass er gut aufgehoben war.

Ali el Kerkum führte Rhodan durch einen langen, breiten Korridor mit verschiedenen Statuen.

»Unsere Vorfahren«, erklärte er. »Sie haben unter Ihnen gedient. Mein Urahn hat gegen die Blues gekämpft und Mashratan zu einer Kolonie ausgebaut. Seine Söhne waren Helden auf der CREST II und CREST III. Sie hielten zum Solaren Imperium während der Krise gegen Dabrifa und dem Carsualischen Bund. Sie waren Widerstandskämpfer während der Larenzeit.«

Rhodan spürte die Bewunderung und Verehrung in el Kerkums Worten.

Sie erreichten eine breite Tür. Zwei Etruser standen davor. Sie gewährten Rhodan Einlass. Der Sohn des Oberst blieb im Korridor.

Dann schloss sich die Tür. Rhodan stand in einem ovalen Raum mit goldenen Wänden und einer verspiegelten Decke. Am Ende des Raumes befand sich ein Podium.

Und da stand Oberst Ibrahim David Gregor el Kerkum.

*

»Gott ist groß – ich bin mächtig – Mashratan auf ewig!«

Oberst Kerkum donnerte zweimal mit der Faust auf den Tisch, nachdem er die heiligen Worte gesprochen hatte.

Perry Rhodan musterte den 126 Jahre alten Freiheitskommandanten von Mashratan. Die lindgrüne Uniform war gespickt von Orden und Abzeichen. Der braune Umhang, die lässige Offiziersmütze und die Sonnenbrille passten so gar nicht dazu, doch offenbar hatte Kerkum seinen eigenen Modegeschmack.

Nun ging er um das Podium herum, breitete die Arme aus und schritt lachend auf Perry Rhodan zu. Der Zellaktivatorträger wusste nicht, wie ihm geschah, da hatte Kerkum ihn schon umarmt und küsste ihn auf die linke und rechte Wange.

»Perry Rhodan, Großadministrator! Welche Ehre, welche Ehre!«

Rhodan räusperte etwas verlegen.

»Ich bin schon seit etwa 1400 Jahren nicht mehr Großadministrator, lieber Oberst. Doch ich danke für Ihre Gastfreundschaft.«

Kerkum nickte und klatschte zweimal in die Hände. Aus den Nebenräumen tappelten vier leicht bekleidete Frauen in den Empfangsraum. Sie servierten Getränke und brachten Schalen voll Früchte. Kerkum deutete auf den runden Tisch in dem Anbau des Raumes. Rhodan folgte dem Gastgeber und ließ sich auf den mit Kissen gepolsterten Boden nieder.

Zwei der Schönheiten massierten Kerkums Schultern, nachdem er sich ebenfalls gesetzt hatte.

»Bevor der ganze Hofstab, die geldgierigen Seelenverkäufer und Diplomaten diese Ruhe stören, wollte ich mit Ihnen ein paar Minuten alleine sprechen, Sir!«

Kerkum lächelte und fuhr mit dem Zeigefinger über seinen feinen Oberlippenbart.

»Wir sind aber nicht allein«, stellte Rhodan fest.

»Ach? Ach ja. Natürlich. Auf Mashratan gilt eine Frau als Besitz. Sie ist eine Sache, die dennoch zu ehren ist. Diese Dinger hier … ja, sind sie nicht hübsch?«

Kerkum fasste der einen Frau ungeniert in den Schritt und grinste fröhlich vor sich hin, bis Rhodan sich räusperte.

»Ja? Ja! Diese Frauen sind Sklavinnen von anderen Welten, quasi geringwertige Wirtschaftsgüter. Es ist so, als würden sie nicht da sein. Hm, wie ein Haustier.«

»Haustier …?«, wiederholte Rhodan.

Der Oberst lachte und klatschte.

»Ja, Sir, Sie haben es erfasst. Sie würden doch auch in Anwesenheit Ihres Hundes ein Gespräch mit einem Intelligenzwesen unter vier Augen führen und den Köter nicht rausschicken!«

Rhodan verstand, in welchen Kategorien Oberst Kerkum dachte und wie gering Gleichberechtigung und Menschenrechte auf Mashratan waren. Zugegeben, Perry war seit über eintausend Jahren nicht mehr auf dieser Welt gewesen, doch es hatte sich einiges verändert. Zwar waren die Mashraten schon immer konservativ und teilweise rückständig gewesen, doch ihm kam es so vor, als lebten sie im Mittelalter.

Wieder lächelte Kerkum und trank ein blaues Gesöff namens Muxip. Es wurde aus gegorener Kuhunmilch gemacht. Rhodan fand es scheußlich. Etwas von dem Getränk klebte noch an Kerkums spitzem Kinnbart.

»Nun denn, Großadministrator. Was kann ich für Sie tun? Ein Muxip? Eine der Schönheiten?«

Rhodan akzeptierte, dass Kerkum, als Anhänger des vergangenen Solaren Imperiums, ihn mit »Sie« anredete. Jedoch stellte er erneut richtig, dass er nicht mehr der Großadministrator war.

»Nein, danke! Ich bin Repräsentant einer – in den Augen der Liga Freier Terraner – eher zweifelhaften Organisation. Ich glaube, das Lob gebührt mir nicht, Oberst.«

»Schweine! Alles Schweine. Was tun die denn? Nichts! Terra ist ein Schatten seiner selbst. Die sollten sich mal Mashratan ansehen. Meine Armee! Meine Männer! Und keine Blues oder andere unförmige Extraterrestrier hier! Alles sauber!«

Rhodan lehnte sich zurück und wünschte sich, gar nicht hier zu sein. Wäre er der Erste Terraner, hätte er vermutlich drastische Reformen eingefordert, doch er war es nicht. Es war schon schwer für die LFT, sich in die Politik von autarken und assoziierten Welten einzumischen, doch für die Organisation Camelot unmöglich.

»Nun, Sie wollten mit mir alleine sprechen?«, hakte Rhodan nach.

»Wir stehen Ihnen zur Verfügung, Großadministrator.«

»Und wofür genau?«

Kerkum stand auf und lief wie ein eitler Pfau durch den Raum. Er ging zu einer Konsole und drückte einige Knöpfe. Rhodan stellte fest, dass sie auch aus Gold waren. Überhaupt war der ganze Anbau genauso prunkvoll und luxuriös eingerichtet wie sein Audienzsaal.

Die Milchstraße erschien als Hologramm über ihren Köpfen. Kerkum grinste vielsagend. Dann zog sich eine Linie durch einen Teil der Milchstraße. Rhodan kannte diese Form.

»Die Wiederherstellung des Solaren Imperiums. Vielleicht sogar des Vereintes Imperiums. Mit Ihnen als Großadministrator!«

Der Oberst blickte Rhodan erwartungsvoll an. Offenbar meinte er es ernst. Rhodan suchte noch nach den passenden Worten, denn schließlich wollte er seinen Gastgeber nicht verärgern.

»Und ... was springt für Sie dabei heraus?«

»Ich bin bescheiden«, antwortete Kerkum und nahm Haltung an. »Ich werde Solarmarschall!«

Seine Augen leuchteten, wie die eines kleinen Kindes vor dem Christbaum.

»Das muss ich erst einmal mit Reginald Bull abklären«, erwiderte Rhodan trocken.

»Dafür habe ich Verständnis!«

Rhodan hatte so eine Antwort erwartet. Offensichtlich wollte der Oberst tatsächlich das Solare Imperium restaurieren. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Perry Rhodan war seit fast vier Jahrzehnten auf der Erde nicht mehr gerne gesehen. Die Regiererden Grigor und Eavan hatten ihren Teil dazu beigetragen.

Keiner der letzten beiden Ersten Terraner hatte auch nur ein Wort mit Perry Rhodan gewechselt.

»Nun, ich habe keine Macht mehr in der LFT. Die Zeiten haben sich geändert. Vielleicht will die Menschheit keinen Perry Rhodan mehr. Möglicherweise braucht auch die LFT keinen Rhodan und seine relativ unsterblichen Gefolgsleute mehr?«

Kerkum winkte ab.

»Sie sind zu bescheiden, Sir! Die sind doch schwach auf Terra. Die wollen Geld, Geschäfte machen, leiden unter Paranoia, sehen überall Feinde, aber tun kaum etwas dagegen.

Die Arkoniden machen es uns vor, Sir! Die sind auf Zack! Von Bostich werden Sie noch viel hören!«

Möglicherweise hatte Kerkum zumindest bei den Arkoniden recht. Die Figur des Imperators Bostich war umstritten. Atlan und andere waren der festen Überzeugung, dass Bostich nur eine Marionette war. Die Hintermänner waren die wirklichen Drahtzieher des Kristallimperiums. Doch für einen Strohmann hatte sich Bostich schon sehr lange gehalten.

Dennoch musste Rhodan eines klarstellen: »Ich führe bestimmt keinen offiziellen oder indirekten Krieg gegen meine Heimat. Das sollte Ihnen doch klar sein, Oberst!«

Kerkum gab einen Grunzlaut von sich.

»Wie Sie meinen! Doch Terra braucht Sie! Verräter, vergesst die Flotte nicht!«

Kerkum wirbelte mit den Armen unkontrolliert umher.

»Und das war der Grund, wieso Sie mich eingeladen haben? Ich bitte Sie, Oberst …«, Rhodan übernahm inzwischen die förmliche Anrede, »Sie mussten doch mit dieser Antwort rechnen.«

Kerkum breitete die Arme aus. Dann lachte er.

»Ja! Ja, natürlich! Dennoch wünsche ich gute Beziehungen zu Camelot.«

Kerkum trat näher und legte seinen Arm um Rhodan. Das war dem Zellaktivatorträger unangenehm. Beide schritten zum Ausgang. Mit erhobenen wedelndem Zeigefinger erklärte der Oberst: »Sie und ich sind wichtig für die Stabilität der Milchstraße. Wir wissen beide, dass die gegenwärtigen Regierungschefs nichts drauf haben. Vielleicht Bostich, vielleicht auch nicht. Wer weiß! Aber Sie und ich! Ja, Sie und ich. Wir sind die Hoffnung der Milchstraße. Die Sonnenboten der Menschheit

 

7. Im Märchen von Mashratan

Bisher hatte ich nur sehr selten mit Mädchen geredet. Eigentlich war Rosan die erste, die sich mit mir mal unterhielt und nicht nur sagte, ich würde stinken oder sei doof.

Sie war halb Arkonidin und halb Terranerin und hatte die rubinroten Augen ihrer Mutter und das rötlich gelockte Haar ihres Vaters. Wir waren die einzigen Kinder in dem Raum. Und ich dachte, dieser Oberst el Kerkum legte Wert auf die Anwesenheit von Kindern. Der reiche, terranische Industrielle Willem Shorne hatte seinen neunzehnjährigen Sohn Michael mitgebracht. Der hagere Kerl mit den gegelten Haaren stand jedoch bei den Erwachsenen und kümmerte sich nicht um uns.

Rosan und ich saßen in einer Spielecke mit Puppen, Soldatenfiguren und Raumschiffmodellen. Ich war doch kein Kleinkind mehr! Rosan hingegen spielte mit einem Plüschhaluter. Typisch Mädchen halt.

Ich musterte die Männer in dem Raum. Neben Rosans Vater und den beiden Shornes befanden sich drei weitere Personen in dem Raum. Ein hochgewachsener Arkonide mit langem, weißem, wallendem Haar und einem furchtbar strengen Blick. Er hieß Spector Orbanashol und Rosan erklärte mir, dass die Orbanashols eine bedeutende Familie auf Arkon waren. Der andere Arkonide war ein ebenso reicher wie fetter Adliger. Sein Name war Uwahn Jenmuhs. Er musste ungefähr im Alter von Michael Shorne sein.

Der dritte Mann hatte eine Halbglatze und trug eine modische Brille. Er war klein und wirkte eher unscheinbar. Rosan kannte auch dessen Namen. Es war Arno Gaton, ein Sprecher der Kosmischen Hanse.

Sie standen an Imbisstischen, tranken, rauchten und redeten miteinander.

»Sie alle wollen irgendein Geschäft mit der Regierung von Mashratan abschließen. Die Arkoniden und die Terraner wetteifern um die Geschäfte. Wobei die hier durchaus auch zusammenarbeiten möchten, hat mein Daddy erzählt.«

Rosan blickte mich mit ihren roten Augen an. Mir war das unangenehm. Ich wusste nicht wieso, aber ich wurde so nervös in ihrer Gegenwart. Mir wurde übel. Nicht, dass es an ihr lag. Sie war wie ein kleiner Engel, aber trotzdem. Ich verstand das nicht. War das normal? Ich hatte doch sonst nichts mit Mädchen zu tun.

»Kennst du auch Gucky?«, fragte sie nun.

»Gucky? Klar, der ist …« Ich hielt inne. Konnte ich ihr trauen? Vielleicht war sie ja eine Agentin des Kristallimperiums. Obwohl es unwahrscheinlich war, dass die so jung anfingen. Aber möglicherweise wurde der Raum abgehört und überwacht.

»Ja, ich habe Gucky getroffen. Ich bin sogar mit ihm teleportiert«, prahlte ich.

»Cool! Ich habe nur einen Plüschgucky von Daddy geschenkt bekommen. Aber das ist mein Lieblingskuschelwuschel. Neben dem Stoff-Icho hier.«

Sie kicherte.

Lieblingskuschelwuschel? Aha! So waren also Mädchen. Sie redeten in einer anderen Sprache als wir Jungs.

Eine Fanfare ertönte plötzlich aus den Lautsprechern. Ein Mann im langen Gewand betrat den Raum und bat uns, in den Festsaal zu gehen.

Damit meinte der Gewandträger jedoch nicht Rosan und mich. Ihr Vater beugte sich zu uns herab.

»Die Zofen kümmern sich um euch. Die Erwachsenen haben geschäftliche Dinge zu besprechen. Da sollt ihr nicht dabei sein. Dafür seid ihr noch zu jung.«

»Ok, Daddy. Hab dich lieb!«, sagte Rosan und gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange, der sich darüber freute.

Der Mann in dem blütenweißen Gewand brachte uns in den Frauentrakt. Ich kam mir etwas dämlich vor, doch er erklärte, ich gehöre noch zu den Kindern, weshalb der Anblick einer Frau keine sündhaften Sehnsüchte in mir wecken würde. Ich wusste überhaupt nicht, wovon er redete.

Der Frauentrakt war komplett abgeschottet und wurde von Robotern bewacht. So ganz kapierte ich das nicht. Wovor hatten die Frauen denn Angst?

Der Mann im Gewand durfte nicht mit rein. Nur der Oberst und seiner Familie war der unbeschränkte Zutritt gewährt.

Tja, jetzt standen wir hier und sahen uns fragend an.

»Was machen wir jetzt?«, wollte Rosan wissen.

»Na, irgendjemand wird uns doch sicher bald hier abholen.«

»Hm«, machte sie nur.

Aus der Ferne sah ich eine Frau auf uns zukommen. Ihr Gesicht war durch einen feinen Schleier verhüllt, ansonsten trug sie nicht sehr viel. Sie hatte braune Augen und brünettes, langes Haar. Sie verbeugte sich vor uns beiden. Das war immerhin sehr höflich.

»Ich bin Gazh Ala Nagoti el Finya. Mein Herr hat mir befohlen, auf euch aufzupassen.«

»Du bist eine Haremsfrau, richtig?«, fragte Rosan.

»Ja, kleine Rosan Mulltok.«

Ich wusste nicht, was ein Harem war. Doch ich wollte mir jetzt auch nicht eine Blöße vor den beiden geben. Schließlich war ich der Mann in der Runde und außerdem musste ich als angehender Agent von Camelot auch eine gewisse Seriosität ausstrahlen.

Gazh Ala brachte uns in einen mit Marmor verkleideten Innenhof. In der Mitte war ein großer Pool. Jede Menge Frauen tummelten sich hier. Sie kicherten und eilten auf uns zu. Mir wurde ganz anders, als die zarten Frauenhände mein Gesicht streichelten und durch meine Haare fuhren. Tante Ivy hatte mich nie gestreichelt, gedrückt oder dergleichen. Sie hatte nie etwas Liebes für mich getan. Die Frauen hier waren ganz verzückt über unsere Anwesenheit.

Die gelbe Sonne brannte heiß. Ich beobachtete den Horizont. Die kleinere, rote Sonne stieg langsam über ihre große Schwester.

»Schau mal die Blumen, Cauthi«, rief Rosan.

Sie sahen in der Tat seltsam aus. Die Blätter waren grau, schwarz und violett. Einige auch dunkelrot. Ich sah keinen einzigen grünen Stängel oder auch nur ein grünes Blatt.

»Das machen die beiden Sonnen«, sagte Rosan. »Die verändern irgendwie die Farbe. Hat was mit Chemie oder Biologie zu tun. Keine Ahnung, das nehmen wir bestimmt erst in ein paar Jahren genauer durch.«

Ich nickte nur. Vielleicht sollte die Schule uns zu mehr Hypnoschulungen schicken, dann würden wir schneller lernen. Doch angeblich aus pädagogischen Gründen wurde die Hypnoschulung nur punktuell in den ersten Schuljahren eingesetzt.

Wir legten uns auf echte Liegestühle mit einer Stoffpolsterung. Die waren wirklich aus Holz und Leinen und nicht aus Formenergie. Fühlte sich auch etwas anders an.

Irgendwie war mir wieder übel und doch fühlte ich mich ganz wohl. Waren die ganzen Frauen deswegen von den Männern getrennt? Sie brachten uns gebratenes Kuhun mit Pommes Frites und reichlich Soße. Wie lecker! Dazu gab es Limonade. Und überhaupt kein Gemüse. Schön! Wer brauchte schon Gemüse? Es gab Vitaminkonzentrate.

Auch Rosan freute sich darüber. Nachdem wir das Bratkahun verschlungen hatten, welches so lecker wie ein terranisches Hühnchen schmeckte, brachten uns Gazh Ala el Finya und ihre Freundinnen Kekse und Schokoladenkuchen.

Mein Gott, so wurde ich noch niemals verwöhnt. Konnte ich nicht auf ewig hier bleiben? Spielsachen, Essen in Hülle und Fülle und sympathische Tanten, die mich tätschelten und knuddelten. Ganz anders als das kalte, triste und lieblose Zuhause bei Onkel Tuzz und Tante Ivy.

Das war das reinste Paradies!

*

Was für eine Höllenwelt dachte Perry Rhodan. Hoffentlich ging es Cauthon und Rosan wenigstens gut. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn ihnen etwas hier zustieß. Doch das würde Oberst el Kerkum wohl kaum wagen.

Perry Rhodan musterte seine Gesprächspartner im großen Speisesaal. Im Hintergrund spielte mashratanische Musik, die Perry Rhodan an orientalische Kompositionen aus seiner Jugend und den Anfängen des Solaren Imperiums erinnerte.

Er saß an einem Ende des Tisches. Am anderen Kopfende hockte der Oberst, neben ihm sein Sohn Ali Urban Judäa. Zu Perrys Rechten saß Glaus Mulltok, zu seiner Linken der eher finstere Spector Orbanashol. Daneben die Shornes und neben Mulltok der Terraner Arno Gaton sowie der junge arkonidische Aristokrat Uwahn Jenmuhs. Jenmuhs machte sich bereits über das Essen her. Rhodan wurde bei den Schmatzlauten leicht übel.

»Nun! Genießen Sie die Gastfreundschaft unserer Welt. Im Anschluss diskutieren wir über Handelskonzessionen, Politik und mögliche Geschäfte untereinander.«

Der Oberst breitete die Arme aus und hob sie leicht an.

»Oh Gott der Menschheit, segne unser Speis und Trank. Im Namen des Vhrato, im Namen der Propheten und in deinem Namen, oh Gott der Menschen.«

Jenmuhs kommentierte das Tischgebet mit einem leidenschaftslosen Rülpsen.

Kerkum warf ihm einen finsteren Blick zu.

»Mich wundert Ihre Respektlosigkeit vor Gott und dem Sonnenboten. Immerhin glauben die Arkoniden doch auch an ihn«, sagte Kerkums Sohn Ali.

»Die da Jenmuhs glauben nur an sich selbst, Reichtum, die Überlegenheit der Arkoniden und an gutes Essen«, antwortete Spector Orbanashol anstelle seines feisten Artgenossen.

Jenmuhs lachte schrill und hob sein Glas Richtung Orbanashol.

»Eine sympathische Einstellung«, fand Shorne. »Ich glaube an die Kosmologie des Marktes. Der Markt ist wie eine Superintelligenz, meine Herren. Er ist die allumfassende, universelle Macht.«

Da saß Perry ja mit einer illustren Gruppe zusammen. Was machte er eigentlich hier? Hoffentlich sammelte zumindest Gucky wertvolle Informationen über Oberst Kerkum und seine Freunde. Bis auf Glaus Mulltok war hier keiner sympathisch.

»Die Anwesenheit von Perry Rhodan ist recht überraschend«, stellte Spector Orbanashol fest. »Doch sicherlich auch für die Herren von Terra?«

Arno Gaton lachte aufgesetzt.

»Nun ja, Mister Rhodan ist eben ein Relikt aus vergangenen Tagen. Die Liga braucht ihn und seine Leute nicht mehr. Der kosmischen Hanse ging es noch nie so gut.«

»Da sagt Homer G. Adams etwas anderes«, konterte Rhodan.

Gaton winkte ab.

»Ein verbitterter alter Mann.«

»Ich mache lieber mit der Taxit Geschäfte«, mischte sich Mulltok ein und gab Rhodan Rückendeckung. »Mein Unternehmen befindet sich auf Arkon und ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass meine Verträge mit der Hanse plötzlich von der LFT gekündigt werden, weil mal wieder ein nationalistischer Erster Terraner an die Macht gekommen ist.«

Natürlich widersprach Arno Gaton vehement. Willem und Michael Shorne nahmen eifrig an der Diskussion teil, während Perry am liebsten wieder zur WIDDER zurückgekehrt wäre. Er hatte wenig übrig für die ganzen wirtschaftlichen Diskussionen, das Pro und Contra einer freien oder kontrollierten Marktwirtschaft und dergleichen.

Rhodan wusste, dass Geld und Besitz seit Ende der Monos-Ära wieder an Bedeutung gewonnen hatten. Die friedliche Zusammenarbeit der ersten 425 Jahre der Neuen Galaktischen Zeitrechnung waren leider nicht von Dauer gewesen, obwohl sie zu den friedlichsten und besten für die Milchstraße gehörten.

Die Monos-Ära war in vielerlei Hinsicht ein Rückschlag für die Einigkeit und Weiterentwicklung der Völker in der Milchstraße gewesen. All die kleinlichen Konflikte zwischen Terranern, Arkoniden, Blues, Akonen und den ganzen anderen Völkern waren wieder hervorgetreten. Rhodan freute sich zwar, dass die Arkoniden ihre Dekadenz nun vollständig hinter sich gelassen hatten, doch rivalisierende Machtblöcke konnte niemand gebrauchen.

Das Galaktikum war nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Uneinigkeit schwächte die Milchstraße, machte sie anfällig für Gefahren von innen und von außen.

Die Diskussion hier am Tisch war das beste Beispiel. Oberst Kerkum war ein Diktator, wie er im Buche stand. Seine Vision von einem Imperium der Menschen war gefährlich, denn sie schloss andere Völker automatisch aus. Der Hass auf nichthumanoide Rassen beunruhigte Rhodan. Wohin führte das alles? Doch die einflussreichen Männer und Frauen der Liga Freier Terraner kümmerte das wenig. Durch Buddcio Grigor war eine gewisse Nationalisierung eingetreten. Sie dachten wieder in Rassen und Nationen.

Die Schwächung des Galaktikums hatte vor allem Nachteile für jene Welten, die nicht zu den führenden Mächten gehörten. Zwar war das Forum Raglund ein Zusammenschluss eben solcher Völker, doch den Ton gaben Arkon und die LFT an.

Dadurch, dass die Milchstraße nicht als Einheit fungierte und gemeinschaftliche Interessen vertrat, war die Gefahr der Ausbeutung freier, nicht assoziierter Welten groß. Oberst Kerkum war ein Profiteur dieser Situation.

Er nutzte diese Schlupflöcher, um Geschäfte zu machen. Und die großen Industrien der LFT und Arkons unterstützten ihn dabei, weil sie sich hohe Gewinne davon versprachen.

Kerkum war geschickt vorgegangen, da er sich nicht auf eine Seite schlug. Dutzende Welten waren von seinen Howalgonium Lieferungen abhängig. Und weitaus mehr Planeten wurden von Mashratan wirtschaftlich ausgenutzt und ausgebeutet. Offiziell hatten weder die LFT noch das Kristallimperium etwas damit zu tun, doch insgeheim trieben ihre einflussreichen Wirtschaftskreise, wie die Orbanashols, Shorne-Industries, Gaton oder Jenmuhs mit diesem Typen Handel. Sie sahen nur den Profit, doch Perry Rhodan erkannte, dass Ibrahim el Kerkum ein Idealist und zugleich ein extremer Fanatiker war. Das ergab eine besonders gefährliche Mischung.

Rhodan erhob sich. Die anderen blickten ihn neugierig an. Er hob sein Glas in Richtung Kerkum.

»Ich danke dem Oberst für die Gelegenheit, mit terranischen und arkonidischen Vertretern sprechen zu dürfen. Jedoch bin ich mit der galaktischen Situation alles andere als zufrieden. Egoismus und Gier zerstören das, was wir vor 1275 Jahren so mühsam begonnen haben aufzubauen. Denken Sie daran, dass wir nicht allein im Universum sind. Die Milchstraße sollte zusammenwachsen. Wir sollten uns um alle Völker mit Respekt, Toleranz und Verantwortung kümmern, auch wenn es bedeutet, den einen oder anderen Galax weniger zu verdienen.

Ich habe solche Prozesse in meinen fast 3.000 Lebensjahren oft genug durchgemacht. Wer glaubt, sein eigenes Wirtschaftsimperium oder Sternenreich auf Kosten anderer Intelligenzwesen zu gründen, wird früher oder später scheitern. Ich zähle und hoffe auf Ihre Vernunft, meine Herren!«

Rhodan hob das Glas noch einmal und trank. Die anderen sahen ihn an, als wäre er ein Geist. Nun, mit solch einem Trinkspruch hatten sie bestimmt nicht gerechnet.

»Perry Rhodan hat Recht. Auf eine friedliche Milchstraße!«, fand Glaus Mulltok und prostete Rhodan dezent zu.

Oberst Kerkum klatschte begeistert.

»Die Milchstraße soll am menschlichen Wesen genesen!«

Gerade das hatte Perry Rhodan eigentlich nicht gemeint …

*

Rhodan war froh, dass dieses Essen endlich vorbei war und sie einige Stunden Pause hatten. Zuerst war er zum Eingang des Frauentraktes gegangen und ließ sich Cauthon zeigen. Ihm und Rosan ging es gut. In Einvernehmen mit Mulltok ließ er die beiden Kinder weiter bei den Haremsfrauen von Kerkum.

Sie waren immerhin Besitz des mashratischen Anführers. Ihr tragisches Schicksal machte sie Rhodan irgendwie sympathisch. Sie würden bestimmt nichts mit den Kindern anstellen.

Auf dem Weg zurück war Perry Rhodan ein Wesen in einer schwarzen, ovalen Energieblase entgegen gekommen. Aus seinen Informationen wusste er, dass es sich um eine verhüllte Frau handelte. Es war den Mashratinnen verboten, sich in der Öffentlichkeit oder gegenüber fremden Männern unverhüllt zu zeigen.

Der Auftritt dieser Unbekannten wirkte gespenstisch auf Rhodan. Hinter dem Energieschirm verbarg sich vermutlich eine Frau. Aber konnte er das wirklich sagen?

Nach der unheimlichen Begegnung legte sich Perry für eine Stunde aufs Ohr. Als er wieder aufwachte, ging er zur Space-Jet und stellte eine gesicherte Verbindung zur WIDDER her.

Er berichtete Gucky und Yart Fulgen über die bisher seltsame Zusammenkunft.

»Konntest du etwas in den Gedanken der Teilnehmer schnuppern?«

»Kaum! Der Palastkomplex ist offenbar mit Paraschirmen gut vor meinen Zugriff geschützt. Hier und da konnte ich ein paar Brocken aufschnappen, jedoch nicht von Kerkum«, antwortete der Mausbiber.

»Und was hast du über die anderen herausgefunden?«

»Jenmuhs denkt an Essen und Frauen. Orbanashol ist mit Mulltok unzufrieden. Dieser wiederum hat Angst, weil er befürchtet, wenn er nicht mit Kerkum Geschäfte macht, würde er in Ungnade fallen. Derlei Gewissensbisse haben die Shornes oder Gaton nicht. Leider habe ich sonst nichts Konkretes.«

»Danke, Kleiner. Halte mich auf dem Laufenden, wenn du etwas Neues hast.«

Rhodan beendete die Verbindung. In 24 Stunden würde er wieder aufbrechen. Er wusste schon jetzt, dass Gespräche mit diesem Menschenschlag vergebens waren. Doch die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt.

 

8. Die geheimnisvolle Frau

Ich war pappsatt! Kuhun, Pommes, Kuchen, Kekse und zum Schluss hatten sie uns noch Eis gebracht. Ich konnte nicht mehr. Auch Rosan lag träge auf ihrer Liege und bewegte sich nicht mehr als nötig.

»Habt ihr Syntronikspiele?«, fragte ich.

Gazh Ala el Finya verneinte.

»Nicht hier. Frauen ist es sowieso verboten, so ein Teufelszeug zu spielen. Virtuelle Vergnügungsspiele hat doch die Schwarze Mirona erfunden, um unseren Anstand zu rauben.«

Ahja! Das war mir neu. Na gut, dann musste ich mich langweilen.

»Wollt ihr vielleicht verstecken spielen? Oder Blinde Kuhun?«, fragte Gazh Ala.

Plötzlich gefror ihr Lächeln. Sie starrte auf die Veranda. Ich drehte mich um und sah ein längliches Energieschema. Es schritt oder schwebte auf uns zu. Gazh Ala verneigte sich.

»Wir machen einen Ausflug und zeigen den beiden fremden Kindern unsere schöne Welt. Hol deine Yeshi-Hihab, Sklavin!«

Das schwarze Energiedings sprach ja!

»Ja, Herrin!«

Gazh Ala verneigte sich demütig. Herrin? Rosan sah mich verwundert an.

»Was bist du?«, fragte sie.

»Ich bin Yasmin Dorothea Maria el Kerkum, die zweite Tochter unseres geheiligten Obersten«, antwortete das schwarze Etwas.

»Und wieso ist Gazh Ala eine Sklavin?«, hakte Rosan nach.

»Sie ist eine Entehrte, eine unreine Mashratin. Niemand will sie deshalb heiraten. Sie ist zwar mehr wert als andere Sklavinnen, da sie auf Mashratan geboren ist, doch das bedeutet nicht viel.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Du bist zu jung dafür.«

»Hm, ich finde Gazh Ala sehr nett. Ihr tut ihr unrecht«, meinte Rosan trotzig.

Gazh Ala kam wieder. Sie trug nun einen Gürtel um ihre Hüften. Sie drückte einen Knopf und ein schwarzes Energiefeld umhüllte sie komplett. Sie sah nun genauso aus, wie diese Tochter von Oberst Kerkum.

»Müssen wir auch so was tragen? Ist das ein Sonnenschutz?«, fragte ich.

»Nein, ein Mann muss sich nicht verschleiern und Rosan ist zu jung. Ihre sündhaften Körpermerkmale sind noch nicht ausgeprägt«, antwortete Yasmin. »Folgt mir!«

*

Wir verließen den Frauentrakt und gingen zu den Parkanlagen. Die Sträucher, Büsche und Hecken leuchteten violett. Die beiden Sonnen brannten unablässig herab. Was für eine Hitze!

»Wann wird es endlich kühler?«, seufzte ich.

»Nun stell dich nicht so an. Es ist doch aufregend hier. Ich liebe es, zu reisen. Ich hasse es, wenn ich auf Arkon bin«, sagte Rosan.

Ich blickte sie an.

»Wieso?«

Sie stöhnte leise auf.

»Es ist alles so streng dort. Die Arkoniden sind steif und eingebildet. Meine Mutter wünscht aber, dass ich die arkonidischen Sitten und Bräuche lerne.«

»Sie ist Arkonidin?«

Rosan nickte eifrig.

»Ja, durch und durch! Sie ist eine Adelige. Wir sind sogar über einige Ecken mit den Orbanashols verwandt. Aber ich mag die Terraner irgendwie lieber.«

Ich wollte von ihr wissen, wieso sie die LFT bevorzugte.

»Sie wirken nicht so steril. Die Terraner haben die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was sie machen wollen. Wenn ich einmal groß bin, wohne ich lieber auf Terra.«

Rosan war ein freiheitsliebender Mensch. Für ein Mädchen war sie echt in Ordnung.

»Die LFT hat auch ihre Probleme«, wusste Cauthon zu berichten. »Deshalb sind ja Perry Rhodan und seine Gefährten nach Camelot ausgewandert.«

»Ich denke aber, dass die Terraner die Probleme eher in den Griff kriegen, als die Arkoniden. Perry Rhodan wird sicherlich schneller wieder auf Terra angesehen sein, als Atlan auf Arkon.«

Plötzlich blieb sie stehen.

»Und jetzt«, begann Rosan und grinste breit »spielen wir fangen. Fang mich!«

Wild kichernd rannte sie los. Spielen? Das war ungewohnt für mich. Mit mir spielte sonst nie ein anderes Kind. Ich lief ihr hinterher, aber Rosan schlug immer wieder einen Haken. Der Garten mit seinen vielen großen Hecken und Büschen war das reinste Labyrinth. Ich war schon total aus der Puste, aber es machte Spaß. Irgendwo musste sie doch sein. Da war sie.

Ich war fast dran, da bog sie erneut ab. Plötzlich sah ich nur die große schwarze Energieblase. Rosan stoppte, doch ich konnte nicht mehr anhalten, schubste sie und wir beide prallten schmerzhaft an dem schwarzen Ungetüm ab.

»Fertig?«, fragte die Gestalt in dem dunklen Energieschirm, der offenbar auch eine Art Prallfeld war. Die Stimme gehört Yasmin el Kerkum, der Tochter des Oberst.

Ich half Rosan wieder auf.

»Wir haben doch nur gespielt«, verteidigte sie sich.

»Schon gut. Rosan, ich zeige dir ein paar schöne Blumen. Cauthon Despair, du gehst und suchst Gazh Ala! Na los!«

Wie unfreundlich von der! Aber die unheimliche Aura dieser schwarzen Gestalt wirkte auf mich. Ich nickte nur und verabschiedete mich von Rosan.

Nun musste ich Ausschau nach einer zweiten schwarzen Energieblase halten. Mir kam das alles suspekt vor. Wieso zeigten die Frauen in der Öffentlichkeit nicht ihr Gesicht? Warum mussten sie sich mit einem Energiefeld verschleiern?

Ich nahm meinen Syntron und befragte ihn. Er war nicht so redegewandt wie Robbie und besaß auch keine bionische Komponente, sondern war mehr als Kommunikations- und Informationsmittel geeignet. Er verfügte aber über eine Datenbank von Mashratan.

Das Energiefeld wurde Yeshi-Hihab genannt. Jede Frau hatte sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen, um keine sündhaften Gedanken in einem Mann hervorzurufen, was immer das auch war. Es war per Gesetz und Religion vorgeschrieben. Nur Sklavinnen brauchten keine Yeshi-Hihab zu tragen, wenn sie nicht von Mashratan stammten. Laut Eintrag galt es auch nicht als lasterhaft, sich mit den Sklavinnen einzulassen. Hierbei sollte jedoch eine finanzielle Regelung mit dem Besitzer getroffen werden.

Ich verstand zwar nur die Hälfte, aber es gefiel mir nicht sonderlich. Auf Camelot liefen die Frauen sehr offen herum. Wenn ich da an Tante Ivys Fummel dachte, die zeigten immer sehr viel und betonten ihren schlanken Körper.

Das war wohl auf Mashratan äußerst verpönt.

»Cauthon?«, sagte eine schrille Stimme.

Ich erschrak und blieb stehen. Links neben mir stand noch so eine Energiehülle.

»Gazh Ala?«

»Ja!«

Ich erklärte ihr, dass ich sie suchen sollte, während die Tochter des Oberst Rosan Blumen zeigte. Wir machten uns auf dem Weg zu ihnen. Dabei trafen wir hier und da einige andere Energiefrauen und auch Soldaten, Beamte und Prediger im Hofe von Oberst Kerkum. Deshalb durfte sich Gazh Ala auch nicht unverhüllt zeigen. Die ganzen Höflinge kamen sonst angeblich auf andere Gedanken.

Auf der Suche nach Rosan und der unheimlichen Kerkum begegneten wir Michael Shorne und seinem Vater Willem. Der Alte ignorierte uns, während der junge Terraner mit seinen gegelten Haaren uns mit einem süffisanten Grinsen anblickte.

»Der Cameloter und das Nachtgespenst. Zu schade, ich wüsste zu gerne, ob die Kleine sexy ist.«

Shorne ging um Gazh Ala herum, während sein Vater desinteressiert den Amphibien im Teich zusah.

»Ich gebe dir 1.000 Galax, wenn du deinen Schleier deaktivierst.«

»Es ist mir verboten«, antwortete die Mashratin.

»Eure Religion ist schwachsinnig. Jede Religion ist es. Hier!«

Er zückte eine goldene Kreditkarte aus seiner Hemdtasche.

»Das ist der einzig wahre Gott. Der mächtige Galax. Wenn ich Oberst Kerkum etwas davon gebe, gehörst du mir!«

»Lass sie in Ruhe«, sagte ich zu diesem widerlichen Typen.

Doch Shorne lachte mich nur aus. Er beugte sich herab und tätschelte meine Wange.

»Du kleiner Knirps willst die Frau schützen? In dir steckt wohl zu viel Perry Rhodan. Doch du bist kein Rhodan. Du bist ein Niemand. Und wenn du so alt bist wie ich, wirst du immer noch ein Niemand sein. Das sieht man dir an.«

»Es reicht jetzt! Vergiss nicht, dass du verlobt bist! Gehen wir, Michael!«, ermahnte ihn sein Vater.

Shorne lachte und folgte ihm. Seine Worte wirkten auf mich. Ich war wirklich ein Nichts. Niemand mochte mich wirklich. Rhodan hatte mich doch auch nur aus Mitleid mitgenommen. Vielleicht war ich ein Verlierer. Aber war er ein Gewinner, nur weil er ein reiches Söhnchen war?

»Hör nicht auf ihn, Kleiner!«, sagte Gazh Ala. »Für mich bist du ein Held. Ein kleiner Ritter, denn du hast mich verteidigt.«

Sie kicherte, doch es wirkte irgendwie seltsam, da ich ja nur diese schwarze Energieblase vor mir sah.

Wir gingen weiter. Plötzlich hörte ich einen Schrei. Dann ein »Nein!«. Das war Rosan. Ich rannte los. Wo war sie nur zwischen all den Hecken? Ein Schemen huschte in die linke Gasse. Ich folgte. Da war sie. Zwei der Energiefrauen hielten sie fest.

»Hört auf!«, brüllte ich, dabei überschlug sich meine Stimme. Ich hatte große Angst. Was sollte ich kleiner Junge den auch ausrichten? Aber irgendwas musste ich tun.

Die verschleierte Gestalt zog einen Strahler und richtete ihn auf mich.

»Dumm«, fluchte sie. »Dann kommt ihr eben mit.«

Sie deutete auf Gazh Ala und mich. Rosan riss sich los. Dann zuckte ein Blitz aus dem Strahler. Rosan fiel getroffen zu Boden. Ich fing an zu weinen und rannte zu ihr. Wieso tat sie das? Dann schoss sie erneut. Der Strahl traf nun mich.

*

Perry Rhodan beobachtete den langsamen Wechsel zwischen Tag und Nacht. Die große, gelbe Sonne neigte sich hinter den Horizont. Das Spektrum am Himmel wurde mehr und mehr durch den Roten Zwerg bestimmt. Die vorherrschende Farbe des Himmels ging langsam in Orange über. Je blasser das Licht der gelben Sonne wurde, desto deutlicher erkannte Rhodan die beiden Monde Mugin und Hugin.

Aus nächster Nähe hörte Rhodan plötzlich Schüsse!

Er verließ eilig sein Quartier und lief zu den Parkanlagen. Auf der großen Terrasse des Obersts fand er den Grund für den Lärm.

Uwahn Jenmuhs hielt ein Projektilgewehr in den Händen.

Über ihren Köpfen flatterten Vögel, die von Flugrobotern von links nach rechts gescheucht wurden. Prallfelder hinderten sie an der Flucht. Jenmuhs drückte ab. Doch er traf keine seiner »Tontauben«.

Offenbar vergnügten sich die Herren mit diesem barbarischen Sport. Rhodan hatte sich nie mit dem sinnlosen Töten von Tieren zu Belustigungszwecken anfreunden können.

Er beobachtete die Gruppe. Oberst Kerkum und dessen Sohn sahen Jenmuhs zu und feuerten den schwabbeligen Arkoniden an. Etwas Abseits standen Glaus Mulltok und Spector Orbanashol. Rhodan konzentrierte sich auf ihr Gespräch. Mulltok sah wenig erfreut aus.

»… Verbrecher keine Geschäfte. Rhodan hat Recht. Wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen«, erklärte Mulltok aufgebracht.

Spector Orbanashols faltiges Gesicht sah nun noch verkniffener aus.

»Das ist nicht nur Verrat an den eigenen Geschäftsinteressen, sondern auch an Arkon. Aber was kann ich schon von einem Terraner erwarten?«

»Das ist nicht fair!«, protestierte Mulltok.

»Wer auf Arkon lebt, sollte im Interesse des Kristallimperiums handeln. Wir dulden keine Feinde in unserer Heimat.«

Das klang wie eine Drohung. Mulltok blickte sein Gegenüber entsetzt an.

»Es ist eine Unsitte, fremde Gespräche zu belauschen«, sagte jemand hinter Rhodan. Perry drehte sich um. Vor ihm stand ein mittelgroßer Arkonide mit ernster Miene. Er wirkte steif, aber auch würdevoll.

»Oh, du bist?«, wollte Rhodan wissen.

Ihm war der Mann vorher nicht aufgefallen.

Der Arkonide stellte sich als Hermon da Zhart vor. Er war der persönliche Sekretär von Spector Orbanashol.

»Ah, ein Diener«, stellte Rhodan fest.

Das erklärte auch, wieso da Zhart nicht am Empfang teilgenommen hatte.

»Ich bin arkonidischer Adliger. Doch mein Haus ist den Orbanashols seit Jahrhunderten zutiefst verpflichtet. Wie dem auch sei, in jedem Fall stehe ich über einem terranischen Barbaren.«

Da Zhart deutete in Richtung Schießstand.

»Darf ich bitten?«

Ein unmissverständliches Zeichen, dass der Arkonide die Anwesenheit von Rhodan nicht tolerierte. Er wollte sicher nicht, dass Perry das Gespräch zwischen da Zharts Herren und Glaus Mulltok weiterverfolgte.

Rhodan nickte und lächelte da Zhart kurz zu. Dann zog sich Rhodan zurück. Er hatte genug gehört. Stattdessen ging er zu Oberst Kerkum.

»Ah, Großadministrator. Möchten Sie auch einmal?«

»Nein, danke!«

Kerkum zuckte mit den Schultern und nahm ein altes Gewehr.

»Ich liebe alte Waffen. Ich habe eine große Sammlung von terranischen und arkonidischen Waffen, die Jahrtausende alt sind. Die hier müssten Sie doch noch kennen?«

Rhodan musterte die Waffe. Es war ein Scharfschützengewehr. Vermutlich aus dem Zweiten Weltkrieg.

»Eine deutsche K-98 mit Zieloptik«, erklärte Kerkum stolz. »Sie stammt aus dem letzten großen Bürgerkrieg der Terraner.«

Groß war der Krieg an sinnloser Zerstörung und beklagenswerten Opfern gewesen. Sonst war er aber sicherlich nicht als groß zu bezeichnen.

Kerkum legte an, zielte und verfehlte. Jenmuhs kicherte, denn er war nun nicht der einzige, der nicht getroffen hatte. Wütend warf Kerkum das Gewehr zu Boden.

»Wartet nur ab. Wer zuletzt lacht …«

Er aktivierte einen Schalter. Der Boden öffnete sich und Rhodan glaubte nicht richtig zu sehen. Eine Vierlingsflugabwehrkanone fuhr aus dem Erdboden empor.

Kerkum setzte sich auf den Platz des Kanoniers und aktivierte das Geschütz. Er richtete die vier Läufe nach oben und feuerte. Im dumpfen Stakkato hämmerte die Vierlingsflak ihre Munition in den Himmel.

Kerkum lachte hysterisch, während schwarzer Rauch aufstieg und Federn am Himmel umherwirbelten.

»Darf ich auch einmal?«, bat Jenmuhs.

Rhodan hatte genug. Er kehrte zurück in sein Quartier. Auf dem Weg dorthin versuchte er Cauthon über dessen Kommunikationsgerät zu erreichen, doch der Junge ging nicht ran.

Typisch Kinder! Vermutlich spielte er mit Rosan in den Parkanlagen.

Kaum war der Terraner in seinem Raum angelangt, spürte er einen Schmerz am Hinterkopf. Dann wurde alles schwarz und Rhodan fiel in einen tiefen Schlaf.

 

9. Verschwunden

Was war geschehen? Wo war er? Es war unbequem und hart. Er lag auf dem Boden. Das Tageslicht fiel orange durch das Fenster. Perry Rhodan rappelte sich ächzend auf. Der Hinterkopf schmerzte. Er rieb sich über die Beule.

Jemand hatte ihm eins übergebraten. Aber wieso? Ihm schwante Übles. Rhodan war unverletzt und befand sich in seinem Quartier. Offenbar hatte jemand nur gewollt, dass Rhodan für eine Weile außer Gefecht gesetzt war.

Es ging um Cauthon!

Rhodan eilte aus dem Raum. Er hörte laute orientalische Musik und folgte dem Lärm. Schließlich landete er in einem Partysaal von Oberst Kerkum. Einige halb nackte Frauen tanzten zur Freude der Gäste herum.

Rhodan ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Glaus Mulltok erwiderte als Einziger den Augenkontakt. Er sah besorgt aus. Bei genauerer Betrachtung wirkte Mulltok traurig und verzweifelt. Rhodan ging auf ihn zu. Eine der Konkubinen wedelte mit ihrem Schleier um ihn herum, Rhodan stieß sie unsanft zur Seite. Er hatte keine Zeit für die Albernheiten.

»Rosan ist weg«, krächzte Mulltok. »Sie … sie suchen sie, sagt der Oberst. Cauthon ist auch weg. Wo warst du, Rhodan?«

»Jemand hat mich niedergeschlagen. Vermutlich wollte er, dass ich die Entführung nicht mitbekomme. Was ist passiert?«

Mulltok wusste nicht viel. Die Tochter von Oberst el Kerkum hatte berichtet, dass zwei Gestalten in der Yeshi-Hihab im Parklabyrinth aufgetaucht waren und die beiden Kinder sowie die Sklavin Gazh Ala entführt hatten.

»Oberst Kerkum ist bestürzt und hat versprochen, den ganzen Globus abzusuchen«, erklärte Mulltok.

Rhodan musterte den Anführer des Planeten. Es machte eher den Eindruck, als suchte er die Oberfläche seiner Gespielin akribisch ab. Rhodan aktivierte sein Kommunikationsgerät und informierte die Crew der Space-Jet.

»Sag Gucky, dass seine Faulenzerei vorbei ist. Er soll auf Mashratan nach Cauthon und Rosan suchen.«

Rhodan legte seine Hand auf die Schulter von Glaus Mulltok. Er forschte in dessen Augen. Die Trauer war aufrichtig. Offenbar war der Terraner von der Situation völlig überfordert. Warum sonst saß er apathisch mit verweinten Augen bei einer Feier von Kerkum herum?

Rhodan ging zum Oberst. Dieser bemerkte es und schubste die Frau zur Seite.

»Wir suchen den Jungen. Morgen wird er wieder bei uns sein. Ich gebe mein Wort. Trinken wir doch.«

Er reichte Rhodan einen goldenen Kelch. Perry hatte genug. Er schlug Kerkum den Becher aus der Hand. Die Musiker hörten auf zu spielen. Aus den Augenwinkeln bemerkte Rhodan, wie sich die grobschlächtigen Wachen von Kerkum, um ihn versammelten.

»Ich verstehe«, murmelte Kerkum.

Er breitete die Arme aus, dann fasste er sich an den Kopf und ging um seine Liege herum.

»Euch ist nicht nach Zerstreuung zumute, Sir! Gewiss!«

»Ich trage die Verantwortung für das Leben von Cauthon Despair. Mit …« Rhodan biss sich auf die Lippen. Dass er da noch um Erlaubnis fragen musste, war einfach zu viel!

»Mit Eurer großzügigen Erlaubnis werde ich selbst mit meinen Leuten nach dem Jungen suchen, Oberst!«

Doch Kerkum schüttelte den Kopf.

»Ich weiß, an wen ihr denkt«, sagte er und hob ermahnend den Zeigefinger. »Die Ratte darf Mashratan nicht betreten. Wenn es nach mir ginge, würde ich eine Ausnahme machen, doch die Sonnenheiligen müssen überzeugt werden. Sie würden sonst gegen unser Recht verstoßen. Wir brauchen eine Valuk von ihnen.«

Kerkum erklärte, dass eine Valuk eine Art Gutachten der obersten Theologen war. Wenn darin stand, dass Gucky Mashratan betreten durfte, so würde auch Kerkum seine Erlaubnis erteilen. Perry atmete tief durch. Cauthon und die kleine Rosan steckten vielleicht in großer Gefahr und er musste sich mit religiösen Fanatikern herumplagen.

Rhodan war kein Staatsmann mehr. Er musste nicht mehr auf die Etikette achten. Doch er wollte sich Kerkum auch nicht zum Feind machen.

»Wenn es schnell geht. Führen Sie mich bitte zu Ihrem Großinquisitor.«

»Ich frage um eine Audienz bei den Sonnenheiligen.«

Kerkum klatschte zweimal in die Hände. Ein Diener kam herbei geeilt, dem er den Befehl weiter gab. Rhodan brauchte frische Luft. Er ging auf den Balkon und blickte über die leuchtende Skyline von Vhrataalis.

Der Himmel war blutrot gefärbt. Die Sonne Mashritun-A war völlig untergegangen. Nun stand nur noch der rote Zwerg über dem Horizont und gab dem Firmament diese ebenso fantastische wie bedrückende Ansicht.

Rhodan betrachtete den Mond Hugin. Er wirkte von Mashratan aus gesehen größer als der Mond, wenn man von der Erde hinauf sah. Der zweite Mond Mugin hingegen wirkte ein wenig kleiner. Die Topografie der beiden Monde glich weitestgehend Luna. Es war eine durch ehemalige Vulkane und Meteoriteneinschläge geprägte Kraterlandschaft. Nur, dass der Erdtrabant heute mehr mit Städtekomplexen übersät war. Zwar erkannte Rhodan auch Anlagen auf Mugin und Hugin mit bloßem Auge, aber die beiden Monde waren nicht so dicht bebaut wie der gute alte Mond.

Rhodan blickte sich kurz um. Kerkum war verschwunden. Offenbar wollte er die Geistlichen davon überzeugen, mit Rhodan zu sprechen. Egal wie die Entscheidung ausfiel, Gucky versuchte jetzt schon vom Orbit aus, Cauthon zu orten. Doch es war schwer. Ganz besonders, da Cauthon offenbar mentalstabilisiert war. Vielleicht hatte der Ilt mit Rosan mehr Glück. Doch Rhodan konnte keine Wunder innerhalb weniger Minuten erwarten. Es konnte Stunden dauern, bis der Mausbiber die Gedankenströme der mashratanischen Bevölkerung geordnet und die Gedanken von Rosan herausgefiltert hatte.

Rhodan wollte nicht tatenlos herumsitzen. Mashratan war groß. Rhodan rief sich die Daten in Erinnerung, die er vor dem Flug in das Mashritun-System via Hypnoschulung aufgefrischt hatte.

Die Topografie Mashratans war durch vier gewaltige Hochebenen geprägt, die sich etwa 200 bis 500 Meter über die den ganzen Planeten umspannende Sandwüste erhoben. Die ersten Kolonialisten hatten diese Hochebenen, im Andenken an ihre terranische Heimat, als Kontinente bezeichnet, obwohl auf Mashratan keine Ozeane mehr vorhanden waren.

Die gewaltigen Sandwüsten, die die früheren Meere ausgefüllt hatten, waren noch immer weitgehend unerforscht. In der Umgangssprache der Mashraten wurden sie als der »Vorhof der Hölle« bezeichnet. Selbst die an das heiße Klima des Planeten angepassten Bewohner konnten in den ausgedehnten Tiefebenen ohne entsprechende Schutzkleidung nicht überleben, da hier Temperaturen bis über 60 Grad vorherrschten.

So beschränkte sich die menschliche Besiedelung auf die Hochebenen, die für mashratische Verhältnisse über ein »gemäßigtes« Klima verfügten.

Rhodan hoffte, dass sich die beiden Kinder zumindest in den bewohnbaren Regionen dieses Planeten aufhielten.

Innerhalb der kontinentalen Hochebenen befanden sich ausgedehnte Gebirgszüge, die oberhalb einer Grenze von 3.000 Metern ein mit der Erde vergleichbares Klima aufwiesen.

Doch auch hier wirkte sich der fehlende Wasserkreislauf aus. Niederschläge waren äußerst selten. Bergspitzen über etwa 7.000 Metern wiesen ausgedehnte Gletscher auf, deren Schmelzwasser die Hauptwasserquelle Mashratans darstellte. In den ausgedehnten Hochebenen herrschte eine Landschaft vor, die mit den Halbwüsten Terras vergleichbar war. Allerdings waren auch größere Gebiete durch Sand- und Geröllwüsten geprägt.

Eine topologische Sonderrolle nahm das Sainahgebirge ein, das eine Art gigantischen Kraterwall um die nördliche Polarregion bildete. Das Gebirge umschloss, die im Andenken an Terra als Arktis bezeichnete Region in einem Dreiviertelkreis.

Geologische Forschungen hatten ergeben, dass hier in der Vergangenheit des Planeten ein gewaltiger Himmelskörper eingeschlagen sein musste. Mineralogische Untersuchungen hatten nachgewiesen, dass der weitgehende Verlust des Oberflächenwassers durch diese kosmische Katastrophe vor etwa 70 Millionen Jahren verursacht worden war.

In den Gebirgen gab es zahlreiche Verstecke und bestimmt viele Höhlensysteme. Wie sollten sie die beiden finden? Er brauchte Gucky!

»Sir?«

Rhodan drehte sich um. Es war der Sohn von Oberst Kerkum, Ali Urban Judäa.

»Die Sonnenheiligen gewähren Euch eine Audienz.«

»Na endlich!«

Rhodan blickte auf sein Chronometer. Er hatte wertvolle Minuten auf diesem Balkon mit Warten verschwendet.

Ali Urban Judäa el Kerkum führte ihn und Glaus Mulltok zu einem Transmitter. Dieser führte offenbar zu den Geistlichen.

»Sie zuerst«, beharrte Rhodan.

Er traute dem ganzen Kerkum-Clan nicht. Der kahlköpfige Sprössling des Obersts lächelte und trat durch den Transmitter. Mulltok und Rhodan wechselten einen einvernehmlichen Blick, dann ging Rhodan hinein.

Er fand sich in einem Vorhof wieder. Vor ihm standen vier mächtige Säulen, je zwei zu einer Seite. An den Spitzen befanden sich verschiedene Symbole. Das Kreuz für das Christentum, der Halbmond für den Islam, der Davidstern für das Judentum und zwei sich kreuzende Schwertlanzen aus dem arkonidischen Vretatoukult.

Ali Urban Judäa deutete auf ein großes Gebäude. Es war eine Mischung aus einem Kristalldom und einer Kathedrale. Der Tempel beherbergte aber auch muslimische und jüdische Architektur. Es sah wirklich aus, wie ein Palast Gottes, der die Religionen miteinander vereinte.

Mulltok kam nun auch aus dem Transmitter und starrte ehrfürchtig auf das gewaltige Gebäude.

Als sie den Eingang erreichten, traten ihnen Menschen in schlichten, braunen Kutten entgegen. Der Sohn des Obersten identifizierte die beiden Terraner. Der Eintritt wurde ihnen gewährt.

Ein kleinwüchsiger, dicker Mann mit Halbglatze eilte auf sie zu. Er war ein Sonnenpriester und führte sie durch die Säle.

Sie erreichten die Hallen der Heroen, welche die archaischen Helden aus der Vehraátosage der Lemurer, Tefroder, Arkoniden und Akonen zeigte. Für jede theologische Variation gab es eine Halle. Zuletzt durchschritten sie die lemurische Halle der Heroen.

Nun durchquerten sie die Halle der Propheten. Rhodan blieb verwundert stehen, als er eine Statue von sich selbst sah. Daneben stand Atlan. Beide Statuen waren aus einem weißen Gesteinsblock geschlagen, der an Marmor erinnerte. Abseits davon stand die Statue einer Frau, in der er das Abbild Mirona Thetins erkannte. Diese war aus einem tiefschwarzen Material gearbeitet. Im Gegensatz zu ihm und Atlan war die Gestalt der Tefroderin nur leicht bekleidet. Widerwillig wurde er durch die Darstellung der »Herrin der Sterne« fasziniert. Der Sonnenpriester war stehen geblieben und bemerkte mit einem lüsternen Grinsen:

»Das Bildnis der Schwarzen Mirona scheint auch den Propheten Perry Rhodan zu behexen. Ihr Bildnis verkörpert die Versuchung durch die Sünde und die lasterhafte Gottlosigkeit, die dem weiblichen Körper innewohnt, dem selbst der Prophet Atlan bekanntlich nicht widerstehen konnte. Deshalb müssen mashratische Frauen ihren zur Sünde verdammten Körper in der Öffentlichkeit verbergen, um die Söhne Gottes vor der Versuchung durch die Dämoninnen der Schwarzen Mirona zu schützen. Doch wenn der Endkampf zwischen Licht und Dunkelheit naht, werden die Schwarze Mirona und alle ihre Dämoninnen geläutert aus dem Sumpf der Hölle auferstehen und an der Seite der Propheten die Heere des Lichts in den letzten Kampf führen. So steht es im heiligen Buch Vhrashium, bis in alle Ewigkeit. Amen!«

Der Priester verbeugte sich vor der schwarzen Statue und ging weiter. Rhodan war wie vor den Kopf geschlagen, was für ein idiotisches Konglomerat aus Irrsinn, uralten Mythen, sexueller Prüderie und absolutem Schwachsinn. Kopfschüttelnd riss er sich von dem Anblick der Statue los und folgte dem Priester. Er fragte sich, wie viele Räume noch vor ihnen lagen. Die Antwort kam prompt, denn nun befanden sie sich im wohl heiligsten Bereich dieses Tempels.

Abbilder von Heiligen aus den terranischen Religionen standen zur linken und rechten Seite, ebenso wie die Insignien der verschiedenen Mythologien. Vor ihm thronten drei ältere Männer mit Rauschebärten. Sie waren in weiße, grüne und rote Gewänder gehüllt. Das Licht war gedämpft und es war überraschend kühl. Der Gesang von feinen Stimmen hallte sanft durch den dunklen aber prunkvoll eingerichteten Raum.

Rhodan wusste, dass er vor den höchsten Würdenträgern der mashratischen Religion stand.

Oberst Kerkum kam leise aus einem Nebenraum und deutete auf die drei. Rhodan nickte ihm wohlwollend zu.

»Perry Rhodan sei gesegnet«, sprach der Mann in dem grünen Anzug.

»Gott ist groß. Gott ist groß«, sagte der Mann in dem roten Gewand.

»Der Mensch ist das Abbild Gottes. Und nur die Söhne Gottes dürfen auf der geheiligten Welt wandeln«, wandte nun der weiß bekleidete Geistliche ein.

»Aber …«, fing Glaus Mulltok an, doch er brachte kein Wort mehr über die Lippen, als die drei Hohepriester ihn finster anblickten. Rhodan legte seine Hand auf Mulltoks Schulter und deutete an, dass er das Reden übernehmen würde.

»Ich respektiere Ihren Glauben, meine Herren! Doch zwei Kinder sind verschwunden und vermutlich in Gefahr. Durch die Hilfe von Gucky, dem Ilt, können wir sie schnell finden. Gucky war stets ein Freund der Menschheit.«

Der Geistliche im grünen Gewand hustete. Er brauchte eine Weile, um sich von seinem Hustenanfall zu erholen. Der Rote stand auf und sprach: »Uns sind die Taten des Tieres wohl bekannt. Doch wollte Gott, dass Mausbiber mit uns leben, hätte er uns mehr von ihnen geschenkt und sie nicht alle genommen.«

»Ja, weise, sehr weise«, stimmte der Alte in der weißen Robe zu und ergänzte: »Ist es nicht so, so ist es anders. Amen!«

Rhodan biss sich auf die Zähne. Er hatte keine Zeit, sich mit diesen Leuten auseinander zu setzen. Cauthon und Rosan schwebten in Gefahr! Es lag ihm aber auch fern, sich jetzt als Prophet aufzuspielen. Sicherlich war das ein Trumpf, aber er war kein Heiliger und ganz sicher kein Abgesandter eines Gottes. Gut, er war der Auserwählte von ES und einst ein Ritter der Tiefe im Auftrag der Kosmokraten gewesen, die ja allesamt Hohe Mächte waren. Aber es war ihm zuwider, sich gottgleich darzustellen.

»Gucky hat einen unbändigen Willen. Er wird trotzdem nach Mashratan teleportieren.«

Ein Raunen ging durch die drei Männer. Auch Oberst Kerkum und sein Sohn wirkten erschrocken.

»Das ist Blasphemie!«, rief der Grüne.

»Ist es das? So Gott will, wird er Gucky daran hindern, Mashratan zu betreten. Tut er dies nicht, gehe ich davon aus, dass Gucky den Segen des Herrn hat.«

Schweigen. Verdutzte und misstrauische Mienen. Rhodan hatte sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen.

»Die Wege des Herrn sind unergründlich. Doch wir sind seine Diener. Die Vhratowächter werden das Tier richten, wenn sie es antreffen. Das sollte Ihnen gewiss sein, Perry Rhodan«, sprach der Mann im weißen Gewand seine Warnung aus.

»Sollen sie es nur versuchen. Wir gehen das Risiko zum Wohl von zwei menschlichen Kindern ein.«

Den Rest sparte er sich. Es war sinnlos, den Männern einen Vortrag über Ethik zu halten. Sie hielten sich und ihren Glauben für unfehlbar. Religion war schön und gut, doch wenn sie das Leben anderer bedrohte oder geflissentlich deren Tod einkalkulierte, um an den starren »göttlichen« Gesetzen festzuhalten, war sie Rhodan zuwider. Diese Menschen bezeichneten sich als Diener Gottes, doch sie spielten selbst Gott!

»Nun gut, wir legen es in Gottes Hände und wünschen nicht weiter über den Vorfall zu reden. Geht mit Gott, Perry Rhodan!«

Der Mann im roten Gewand wedelte mit der Hand Richtung Ausgang. Rhodan hatte verstanden. Er und Mulltok verließen die heiligen Hallen von Mashratan.

Rhodan blickte Oberst Kerkum fragend an.

»Im Interesse zukünftiger guter Beziehungen bitte ich Sie, dass Gucky diskret vorgeht. Die Bewohner meines Planeten kennen keine Außerirdischen. Seine Anwesenheit wird sie erschrecken.«

Rhodan lächelte.

»Wenn Sie Solarmarschall werden wollen, müssen Sie sich an Gucky gewöhnen.«

Kerkum gab ein komisches Geräusch von sich. Rhodan achtete nicht mehr auf ihn. Er informierte Gucky über Interkom. Die Stimme des Ilts piepste aus dem Lautsprecher.

»Sehr gut, dann jage ich den Wüstenheinis mal etwas Angst ein. Was mich jedoch stutzig macht, ist, dass ich euch weder im Palastdistrikt noch in der Tempelanlage wahrnehmen konnte. Die Parafallen wurden offenbar verstärkt. Sei vorsichtig. Vielleicht wollen diese Wüstenkamele etwas verbergen.«

»Danke, ich passe auf. Finde die beiden Kinder!«

»Sofern sie nicht in einem der beiden Bezirke sind, werde ich sie bald haben.«

Rhodan beendete die Verbindung. Jetzt lag alles in Guckys Hand.

 

10. Verschleppt

Rosan erwachte endlich aus der Bewusstlosigkeit. Sie schreckte hoch, doch als sie mich sah, wurde sie ruhiger.

»Wo sind wir?«

»Keine Ahnung. Ich bin auch hier aufgewacht.«

Wir befanden uns in einem schäbigen, schlecht beleuchteten Raum. Auf dem Boden lag Stroh und es stank erbärmlich. So übel roch nicht einmal Aleks Shyff.

Die Tür zum nächsten Raum war verschlossen und vor den Fenstern waren Gitter angebracht. Es war Nacht. Immerhin war es damit etwas kühler.

»Die Gestalten mit dem Energieschleier haben uns entführt. Aber wieso?«

Ich konnte die Frage nicht beantworten.

»Ich hab Angst«, flüsterte Rosan.

Angst? Es war erstaunlich, aber ich spürte keine Furcht. Ja irgendwie war ich sogar richtig aufgeregt. Das war ein echtes Abenteuer. Ich fürchtete mich vor dem Alltag in der Schule, der Lieblosigkeit von Tante Ivy und den Wutausbrüchen von Onkel Tuzz. Aber jetzt hatte ich gar keine Angst.

»Es wird alles gut. Eines weiß ich ganz sicher. Perry Rhodan und Gucky werden uns nicht hängen lassen. Die suchen uns bestimmt schon.«

»Das klingt einleuchtend. Sie sollten sich nur nicht so viel Zeit lassen.«

Wir hörten Schritte im Nebenzimmer. Die Leute unterhielten sich in der mashratanischen Sprache. Sie ähnelte dem Interkosmo, hatte jedoch ihren eigenen Dialekt, der sie für mich schwer verständlich machte.

Das fahle Licht schien durch den Türschlitz. Ein Schatten unterbrach es. Sie standen vor der Tür. Das Schloss wurde betätigt. Rosan zitterte und schmiegte sich an mich. Was sollte das? Typisch Mädchen! Aber irgendwie auch nett. Ich war ihr Held! Ein ungewohntes Gefühl.

Aber so langsam bekam ich auch ein mulmiges Gefühl. Was war, wenn Rhodan und Gucky zu spät kamen?

Knarrend ging die Tür auf. Drei Männer blickten uns an.

»Raus! Los, los!«

Ich half Rosan auf. Wir gingen in den anderen Raum, der heller war. Ein samtener Teppich lag auf den Boden.

»Setzt euch Kinderchen«, sagte der eine Mann.

Ich sah sie mir alle drei genauer an. Der zu uns gesprochen hatte, war fett und hatte einen dichten Bartwuchs. Er stellte sich als Abdulla vor. Der andere hieß Susuk, hatte kaum Zähne und roch recht übel. Er trug zerlumpte, schmutzige Kleidung. Der dritte hingegen war gepflegt, bartlos und wirkte feminin. Er nannte sich Aly-Effi.

Wir setzten uns. Sie gaben uns Limonade und boten uns Kekse an. Doch weder Rosan noch ich hatten Hunger.

»Warum sind wir hier?«, wollte die Halbarkonidin schließlich wissen.

»Sei nicht so frech, Mädchen! Sonst gibt es einen mit der Yekjab«, drohte Susuk.

Dann steckte er sich eine Pfeife in den Mund und zog genüsslich daran. Seine Augen zuckten von links nach rechts.

»Wir sollen auf das Mädchen aufpassen, bis es wieder abgeholt wird«, erklärte Abdulla. »Ihr bringt uns viel Geld. Der Auftraggeber war sehr generös.«

Der dicke Mashrate lachte und kratzte sich am Bart.

»Und was wird aus mir?«, fragte ich unbehaglich.

Aly-Effi grinste mich an.

»Du bist so jung und so unschuldig. Du könntest Tuffa-Jab-Jab-Tänzer werden.«

Ich schluckte.

Tuffa-Jab-Jab? Tänzer? Ich wusste nicht genau, was das war, aber es klang nicht so, als wollte ich das machen.

Aly-Effi stand auf, hob die Hände und bewegte sich rhythmisch. Er sang dabei eine Melodie. Die beiden anderen Männer starrten mich komisch an und lachten.

Rosan nahm meine Hand. Ihr war genauso unwohl wie mir. Langsam bekam ich es doch mit der Angst zu tun. Als Aly-Effi seine Hände um mich legte, riss ich mich los. An der Wand hing ein Säbel. Ich nahm ihn. Dabei hätte ich das schwere Ding beinahe fallen gelassen. Ich richtete es auf die drei Mashraten.

»Fass mich nicht an! Schon bald wird großes Unheil über euch kommen. Der Zorn des Überallzugleichtöters wird euch treffen!«

Doch die Drei lachten mich nur aus. Sie nahmen mich nicht ernst. Verdammt! Rosan und ich setzten uns in eine Ecke. Das Schwert behielt ich bei mir. So waren wir vielleicht erst einmal vor weiterer Betatschung sicher.

Die drei Männer rauchten Pfeife und wurden immer unkontrollierter. Sie lachten, glucksten und sangen.

Ich hoffte, dass meine Drohung nicht vergeblich war? Wo bleibst du nur, Überallzugleichtöter?

*

Während Gucky mit der Suche nach Cauthon und Rosan quer durch Mashratan teleportierte, beschäftigte sich Perry Rhodan mit den Hintergründen der Entführung. Wer hatte etwas davon, die zwei Kinder zu kidnappen? Und wer war dazu in der Lage? Immerhin war der Palast von Oberst Kerkum ein Hochsicherheitstrakt. Für Rhodan war klar, dass jemand aus den Reihen des Hofstabs dahinter steckte.

Glaus Mulltok gab sich bedeckt. Er verheimlichte Rhodan etwas. Offensichtlich hatte Mulltok Angst. Vor wem?

Oberst Kerkum kam auf Perry zu. Hinter ihm eine Reihe von Wachen. Sie schleiften eine junge Frau durch den Korridor. Sie war verschwitzt, zitterte und war ganz offenbar gefoltert worden.

»Mein Geheimdienst hat sich der Angelegenheit angenommen. Zusammen mit den Vhrato-wächtern haben wir die Schuldige gefunden.«

Kerkum blickte verächtlich auf die junge Mashratin. Die Wachen warfen sie zu Boden.

»Sie hat nach der peinlichen Befragung sofort gestanden. Klarer Fall, sie ist schuldig.«

Peinliche Befragung? Rhodan erinnerte sich an solche Foltermethoden aus dem finstersten Mittelalter. Die Inquisition hatte sie angewendet, um Geständnisse zu erpressen.

Rhodan blickte mitleidig zu der Sklavin herunter. Er beugte sich herab. Sie sah mit ihren traurigen Augen zu ihm hoch.

»Es …es tut mir leid«, hauchte sie.

»Wo sind die beiden Kinder?«, fragte Rhodan ruhig, doch die Frau antwortete nicht.

»Sprich Gazh Ala!«, schrie einer der Peiniger und trat ihr in die Seite. Rhodan sprang hoch und schubste den Mann zu Boden.

»So gehen wir mit Intelligenzwesen nicht um. Weder zu Zeiten des Solaren Imperiums noch heute! Sie sollten sich das merken!«

Rhodan half der geschwächten Gazh Ala auf. Er stützte sie und brachte sie zu einem Sofa.

»Die Schmerzen sollen … aufhören.«

Rhodan war sofort klar, dass die Frau nur ein Bauernopfer war. Sie hatte vermutlich gar nichts mit der Entführung zu tun.

»Wenn sie nichts sagen will, wird Gucky ihre Gedanken lesen. Dann wissen wir, ob sie schuldig oder unschuldig ist«, sagte Rhodan und wandte sich an Kerkum.

Er war es langsam leid, in dieses Gesicht blicken zu müssen. Mehr und mehr widerte ihn diese brutale und primitive Welt an.

Rhodan informierte die Crew der Space-Jet. Sie sollten einen Medoroboter in den Palast schicken. Kerkum war davon nicht begeistert, doch er ließ Rhodan gewähren.

»Gucky wird in meinem Palast keine Gedanken lesen können. Wir haben Parafallen aktiviert. Außerdem gehören Bàalos zu meinem Personal.« Rhodan hatte so etwas befürchtet.

Rhodan sah die junge Frau an und blickte in ihr leidvolles Gesicht.

»Was ist wirklich passiert?«

Die Vhratowächter erhoben Einspruch, doch Kerkum befahl ihnen, zu schweigen.

»Zwei Frauen in Yeshi-Hihab betäubten die beiden Kinder. Sie schossen auch auf mich. Als ich in den Gärten aufwachte, waren sie verschwunden und die Wächter nahmen mich gefangen.«

Ihre Stimme war schwach und müde. Rhodan glaubte ihr. Das vermeintliche Geständnis war unter Schmerzen entstanden und hatte keinen Wert.

»Nun, Herr Oberst«, begann Rhodan und wandte sich erneut dem Anführer Mashratans zu. »Wir sollten herausfinden, wer die beiden Gestalten waren. Sie kontrollieren sicherlich ihre Ein- und Ausgänge.«

»Natürlich! Ich überprüfe das, Großadministrator. Wir finden die wahren Schuldigen. Aus den Augen, ihr Nichtsnutze!«

Kerkum schickte die Agenten und Vhratowächter fort. Rhodan hatte noch eine weitere Bitte. Er wollte mit Kerkums Kindern und den Gästen aus Terra und Arkon sprechen. Rhodan hatte einen bestimmten Verdacht!

 

11. Der Zorn des Überallzugleichtöters

Mir durften die Augen nicht zufallen. Darauf warteten die doch nur, um mich zu entwaffnen. Auch wenn Abdulla schlief und Susuk offenbar im Rausch des Krautes nicht einmal mehr wusste, wer oder was er war.

Aly-Effi allerdings war hellwach. Er hatte sich gerade Wasser für einen Tee aufgesetzt. Das Pfeifen der Kanne schien ihn wenig zu stören. Er saß vor uns und grinste.

»Kleiner, süßer Cauthi. Irgendwann schläfst du ein. Dann nehme ich dir den Säbel weg. Hach, du wirst ein schmucker Tänzer. Du wirst vor Geschäftsmännern, Beamten, Polizisten und sogar vor den Priestern tanzen. Sie alle lieben Kinder wie dich.«

Ich blickte aus dem Fenster. Der Morgen graute. Und mir graute es auch – und zwar vor diesen Gestalten. Ich wollte kein Tänzer werden. Ich hasste tanzen. Und schon gar nicht vor diesen Lüstlingen. Die sollten mich in Ruhe lassen. Ich war ein Kind! Ich wollte mit so etwas nichts zu tun haben!

»Wer hat euch beauftragt, Rosan zu bewachen?«, wollte ich wissen.

Aly-Effi zuckte mit den Schultern.

»Er oder sie trug einen Yeshi-Hihab! Die Gestalt gab uns viel Geld. Ich denke, es war jemand aus dem Palast von Oberst Kerkum. Abdulla hat Kontakte dort und ich …« Aly-Effi schmunzelte stolz. »Ich habe gute Kundschaft da. Sie wissen, dass Kinderchen bei uns gut aufgehoben sind. Wollen wir etwas spielen?«

Ich schüttelte den Kopf. Rosan stöhnte auf. Dann öffnete sie ihre Augen.

»Es war wohl kein Albtraum?«, flüsterte sie.

»Nein, wir sind immer noch bei den drei Typen …«

Aly-Effi fing wieder an, ein mashratisches Lied zu singen. Er schloss die Augen und hatte Beine und Arme von sich gestreckt.

Ich wollte hier endlich weg!

Doch was war das? Wie von Geisterhand bewegte sich die Kanne mit dem kochenden Wasser. Sie schwebte über Aly-Effis Kopf und entlud sich auf seinem Schoß.

Der Mashrate schrie auf und sprang hoch. Da wurde er in die Luft gehoben und gegen die Wand geklatscht. Abdulla und Susuk bekamen das nun auch mit. Während der Refryhirte wie am Spieß brüllte und sich verwundert umsah, wollte Abdulla nach seinem Strahler greifen, doch dann wurde er einfach hochgehoben und mit dem Kopf dreimal gegen die Wand gedonnert.

Schließlich schwebten alle drei Mashraten unter Decke.

»Ihr unglücklichen Ergebnisse einer hastigen Liebesnacht zwischen einer Kuhun und einem Refry wagt es wirklich?«

Rosan blickte mich verdutzt an. Sie fragte sich wohl, wer das gesagt hatte. Ich wusste es! Es war derselbe, der diese drei Gestalten eben vorgeführt hatte. Unser Retter des Universums.

Gucky!

Nun watschelte der Mausbiber durch den Hauseingang und stemmte die Ärmchen in die Hüfte.

Die drei Mashraten kreischten nun noch mehr.

»Ja, ihr seht richtig. Der kleine Cauthon hatte Recht. Der Zorn des Überallzugleichtöters trifft euch. Und ich kenne diesmal keine Gnade. Kindesentführung ist das Letzte! Und deine Pläne mit Cauthon sind noch widerwärtiger!«

»Bitte, bei Gott!«, flehte Aly-Effi.

»Der hat den Planeten wohl schon vor Jahrtausenden verlassen«, bemerkte Gucky. Dann seufzte er. »Was stelle ich jetzt nur mit euch Jammergestalten an? Du, Abdulla wirst keine Drogen mehr verkaufen. Und du Susuk wirst deine Töchter nicht mehr verprügeln, sie zur Schule schicken und ihnen die Wahl ihres Ehemannes überlassen.«

Er ließ die beiden fallen. Sie standen auf und wollten loslaufen, doch schon schwebten sie einige Zentimeter über dem Boden. Vergeblich liefen sie, doch ihre Füße traten in die Luft.

Der Anblick amüsierte Cauthon und auch Rosan fiel augenscheinlich ein Asteroid vom Herzen.

Gucky schleuderte die beiden mit dem Kopf voran gegeneinander. Bewusstlos fielen sie zu Boden.

»Nun zu dir, du widerlicher, abartiger Wicht! Soll ich dir noch eine Chance geben?«

Aly-Effi winselte um Gnade. Doch Gucky schien ihm diese nicht zu gewähren. Im Gegenteil, ich bemerkte, dass der Mausbiber richtig wütend wurde.

»Was ich in deinen Erinnerungen lese, gefällt mir gar nicht. Du solltest in Zukunft großen Abstand zu Kindern nehmen. Sehr Großen!«

Gucky zog den kreischenden Mashraten zu sich und teleportierte mit ihm weg. Wenige Momente später tauchte Gucky allein wieder auf.

»Ich habe nur den Müll rausgebracht. Seid ihr unverletzt, Kinder?«

»Ja!«, rief Rosan und umarmte Gucky, dem das sichtlich gefiel. Ich tat es ihr gleich.

Gucky teleportierte uns von diesem schrecklichen Platz weg. Wir waren gerettet!

*

Wir materialisierten vor dem gigantischen Palastkomplex zwischen einer Traube von Menschen. Sie erschrak zuerst, als wir so plötzlich auftauchen. Nachdem sie von Gucky Notiz nahmen, eilten sie fort.

»Hm, die mögen mich nicht. Sie halten mich für einen Dämon. Frechheit!«

Gucky erklärte, dass der Regierungstrakt von Parafallen und Bàalols geschützt wurde.

»Wir müssen zu Fuß gehen, und das mit meinen Plattfüßen«, jammerte der Mausbiber und entlockte Rosan und mir ein Lachen. Die Wachen vor dem Eingang versperrten uns den Weg.

Gucky blieb stehen und musterte die Soldaten in ihren grünblauen Uniformen.

»Sagt eurem Oberst, dass Sonderoffizier Guck hier ist. Sputet euch, sonst teleportiere ich euch in den Vorhof der Hölle!«

Ein Offizier eilte zu einem Interkom und kam wenig später wieder. Die Soldaten gaben den Weg frei. Nach einigen Minuten erreichten wir einen Transmitterraum. Der Palast war vier Kilometer von uns entfernt. Gucky war schon ganz aus der Puste.

»Ich geh durch keinen Transmitter. Da ist gegen meine Würde als Teleporter«, protestierte der Mausbiber.

»Aber …«, seine Pfote zeigte in Richtung Fuhrpark, »in einen Gleiter steige ich ein.«

Der Offizier informierte seine Untergebenen. Diese brachten einen Gleiter, der uns zum Hauptpalast brachte. Dort wurden wir bereits von Oberst el Kerkum, Perry Rhodan und Rosans Vater erwartet.

»Daddy!«, rief Rosan fröhlich. Beide rannten aufeinander zu und umarmten sich. Ihr Vater weinte sogar vor Freude.

»Wir machen das mit Würde«, flüsterte Gucky.

Ich nickte.

Langsam und mit bedachtem Schritt gingen wir auf Perry Rhodan zu, der die Arme vor der Brust verschränkte. Gucky salutierte.

»Mission abgeschlossen, Chef! Die Kinder sind unversehrt. Aber ich denke, wir sollten auf diesem Planeten mal einige sehr tief greifende Reformen durchführen.«

Rhodan beugte sich zu mir herab und umarmte mich kurz.

»Schön, dich wiederzusehen, Cauthon. Tut mir leid, dass ich dich mitgenommen habe.«

»Wieso? Das Abenteuer hat mir Spaß gemacht. Und Gucky war ja rechtzeitig da.«

Ich meinte es ernst. Die Entführung war schlimm gewesen, doch auch irgendwie aufregend. Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Mut bewiesen. Ich war etwas stolz auf mich.

»Was hast du herausgefunden, Kleiner?«, wollte Rhodan von dem Ilt wissen.

Der winkte ab.

»Viel wussten die drei Hohlköpfe nicht. Sehr einfältige Vertreter dieser Welt. Sie wurden von so einer schwarzen Energiegardine bestochen. Zwei der Typen haben Kontakte zum Hofstab.«

Oberst Kerkum räusperte sich.

»Zu schade, dass deine Mutantenfallen deine Gedanken abschirmen. Ich würde gerne darin lesen«, sagte Gucky zu ihm.

»Die Anwesenheit der Ratte auf Mashratan ist nicht länger erforderlich«, erwiderte Kerkum aufgebracht.

Rhodan winkte ab.

»Wir werden bald diesen Planeten verlassen. Wir werden sowieso keine Handelsbeziehungen miteinander führen. Es gibt zu viel auf dieser Welt, das mich vor einer Partnerschaft abschreckt«, erklärte Rhodan.

Kerkum plusterte sich auf wie ein Strauss. Rhodan bat uns, mit ihm in den Palast zu kommen. Wir ließen Kerkum stehen. Nach einer Weile folgte uns der Oberst.

Wir gingen durch die Eingangshalle in einen Nebenraum. Dort saßen die Shornes, Uwahn Jenmuhs, Arno Gaton, Spector Orbanashol, ein verhülltes Wesen und der Sohn von Kerkum.

Nachdem auch Oberst Kerkum den Raum betrat, sprach Rhodan: »Einer von euch hat Rosan und Cauthon entführt. Eigentlich sollte nur Rosan Mulltok verschleppt werden. Cauthon war zur falschen Zeit am falschen Ort.«

Die anderen sahen sich gegenseitig an.

»Lächerlich«, sagte der Hansesprecher Arno Gaton.

Jenmuhs rülpste laut auf. »Und wenn schon? Wen kümmern die zwei Bälger? Ich habe Hunger.«

Rhodan fuhr fort. Er erklärte, dass die Entführer nur auf Rosan einige Tage aufpassen sollten. Dafür wurden sie bezahlt. Cauthon war ein Sondergeschenk gewesen. Gucky hatte letztlich keine Mühe gehabt, die Gedanken der drei Mashraten zu espern.

Sie wussten jedoch nicht, wer ihr Auftraggeber war, da er in einer Yeshi-Hihab erschienen war. Doch es konnte nur jemand aus dem Palast sein.

»Jemand, der oder die in der Lage ist, den Palast ohne große Kontrolle zu verlassen«, schloss Rhodan.

»Die Hinweise sprechen ja eindeutig gegen Yasmin el Kerkum«, meinte Gucky und deutete auf die Frau in der Energieblase.

»Allerdings gibt es da ein Problem. Jeder könnte so etwas tragen«, fand Rhodan und nickte dem schwarzen Schemen zu. Es deaktivierte den Schirm und Yart Fulgen kam zum Vorschein. Es war ihm auf Rhodans Befehl hin, problemlos gelungen, sich über den Transmitter der Space-Jet nach Mashratan zu transportieren und als Demonstration das Energiegewand anzulegen, um damit durch den Palast zu spazieren.

Die Anwesenden staunten.

Rhodan seufzte.

»Leider können wir nicht klären, wer es war. Gucky könnte euch telepathisch durchleuchten, jedoch ist das in diesem Palast nicht möglich. Das hat offenbar seinen Grund.«

»Gut, sind wir fertig?«, fragte Spector Orbanashol unhöflich.

Rhodan kratzte sich am linken Nasenflügel. Er sah zu Glaus Mulltok.

»Ich vermute, dass deine Freunde dafür verantwortlich sind. Vielleicht Orbanashol und Jenmuhs oder Ali Urban Judäa el Kerkum. Möglicherweise alle zusammen.«

Mulltok blickte Rhodan verblüfft an.

»Du hast dich gegen Geschäfte mit Mashratan gesträubt. Orbanashol hat noch kurz vor der Entführung versucht, dir ins Gewissen zu reden. Das habe ich mitbekommen. Die Entführung von Rosan sollte eine Lektion für dich sein. Und die Kerkums haben mitgemacht, da sie in einer Geschäftsbeziehung mit dir Vorteile sehen«, erklärte Perry.

Das leuchtete auch mir ein. So könnte es geschehen sein. Jenmuhs, Ali Urban Judäa und Spector Orbanashol wechselten vielsagende Blicke.

»Volltreffer«, meinte Gucky.

Der Oberst klatschte in die Hände.

»Genug! Ihr seid alle Gäste meines Hauses. Ich will davon nichts mehr hören. Die Sklavin war es und damit basta.«

»Meine Tochter und ich reisen ab!«, entschied Mulltok.

Der rothaarige Terraner wirkte entschlossen. Er nahm Rosan bei der Hand und ließ seinen Blick durch die Runde schweifen.

»Meine Firma wird sich an den Geschäften nicht beteiligen. Ich danke Perry Rhodan für seine Hilfe. Er hat mir meine Rosan zurückgebracht. Ich würde mich freuen, mit der Taxit die Handelsbeziehungen zu intensivieren.«

Rhodan lächelte. Er wies Yart Fulgen an, die Mulltoks zum Landeplatz zu begleiten. Die Space-Jet sollte das Raumschiff bis zur WIDDER eskortieren.

Außerdem bot er Mulltok an, dass die WIDDER seiner Raumyacht Geleitschutz gewährte, bis sie das Mashritun-System verlassen würde.

Rosan bat mich um meine Hypermail-Adresse. Sie versprach, mir zu schreiben. Wow! Ich hatte eine Brieffreundin. Sie war neben Robbie mein zweiter Freund. Aber vielleicht waren Perry und Gucky es ja auch. Ich fühlte mich irgendwie stärker und mutiger als zuvor.

»Wir brechen auch auf«, sagte Rhodan.

Oberst Kerkum breitete die Arme aus. Rhodan wich einen Schritt zurück.

»Oberst, dieser Planet braucht Reformen. Sie sollten sich von Ihren alten Gesetzen verabschieden. Sklaverei und Tyrannei sind seit Jahrtausenden nicht mehr terranisch. Seien Sie froh, dass ich nicht mehr Großadministrator bin und es das Solare Imperium nicht mehr gibt, denn ansonsten hätte ich Sie abgesetzt und weitgreifende Reformen zum Thema Menschenrechte durchgesetzt.«

Rhodan salutierte in einem offenbaren Anflug von Sarkasmus vor dem verdutzten Oberst. Dieser brachte keinen Ton heraus. Er sah Rhodan mit teils entsetzten, teils traurigen Blick nach.

Ich war nun doch froh, dass wir uns auf dem Weg nach Hause machten. Ich freute mich zwar weder auf die Schule noch auf Tante Ivy und Onkel Tuzz, doch Mashratan war auch keine Welt, auf der ich lange bleiben wollte.

Sie war heiß, trocken, sandig und wurde von einem seltsamen Volk bewohnt.

Wir verließen den Palast. Die Sonnen brannten inzwischen wieder heiß auf die Welt herab.

Über unseren Köpfen brauste die Jacht von Glaus Mulltok hinweg. Ich winkte. Nur einen Moment später zischte die Space-Jet über uns in den Himmel.

»Taxi!«, rief Gucky und meinte damit jenen Gleiter, der uns vorhin zum Palast gebracht hatte. Nach wenigen Sekunden war das Vehikel bei uns. Wir stiegen ein. Schweigend betrachteten wir die Gebäude und Grünanlagen des Regierungskomplexes, die kurz darauf von Kasernen, Wachtürmen, Landeplätzen und der ganzen sonstigen Kriegsmaschinerie abgelöst wurden.

Endlich erreichten wir den Ausgang. Rhodan verabschiedete sich knapp von den mashratischen Soldaten.

Hinter uns schloss sich das Eingangstor und der Energieschutzschirm flackerte auf.

Gucky sah Rhodan und mich erwartungsvoll an.

»Bereit?«

»Ja!«, rief ich.

Wir nahmen Gucky bei der Hand, dann waren wir im nächsten Moment wieder auf der WIDDER.

Die Space-Jet und die Raumyacht von Glaus Mulltok erreichten die Koordinaten der WIDDER.

»Ein grässlicher Planet«, fand Gucky.

»Ein trauriger Planet«, sagte Rhodan bedrückt. »Mir tun die Bewohner dieser Welt leid.«

»Mir nicht. Diesem Tuffa-Jab-Jab-Schänder habe ich in der Wüste ausgesetzt. Er hat es verdient! Du hättest mal seine Gedanken lesen sollen.«

Der Mausbiber schüttelte sich vor Ekel.

»Mir tat das Mädchen leid, das gefoltert wurde. Eine Sklavin von Kerkum.«

Was? Gazh Ala wurde gefoltert? Ich schreckte auf und zupfte an Perry Rhodans Ärmel.

Wir mussten sie doch retten. Die arme Gazh Ala durfte doch nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen werden. Ich bat Rhodan darum, sie zu retten. Nur zu gut erinnerte ich mich an ihre Worte. Dass ich ein Ritter für sie sei.

Perry und Gucky sahen sich fragend an.

»Wie sollen wir das anstellen? Sie befindet sich im Palast. Gucky kann da nicht einfach reinteleportieren.«

Yart Fulgen räusperte sich.

»Die Crew der Space-Jet hat sich während ihrer Anwesenheit ein wenig umgeschaut, um geheimdienstliche Informationen zu sammeln. Die Kontrolle an den Ein- und Ausgängen ist reichlich primitiv über Codekarten mit Hologrammbild.«

»Sie würden mich und Gucky auch mit Codekarten erkennen«, wandte Rhodan ein.

Fulgen lächelte.

»Nicht, wenn ihr beide einen Yeshi-Hihab tragt. Eine Reihe von Konkubinen und Zofen verlassen den Palast, um Angehörige zu besuchen oder Einkäufe zu tätigen. Wir entführen zwei, nehmen die Codekarten und ihr beide spaziert rein und holt die Frau raus.«

Ich stimmte dem Plan von Yart Fulgen zu und bat Perry Rhodan, es auch zu tun. Gucky sagte bereits zu. Es hing nun alles an Rhodan. Fulgen führte seinen Plan weiter aus. Die zwei anderen Frauen würden für kurze Zeit betäubt, die Codekarten kopiert und neue programmiert. Auf den Codekarten der zwei anderen Frauen würde ein kleines Programm installiert, der die Zugangs- und Identifikationsdaten der beiden neuen Sklavinnen Perryiane el Rho und Gucki el Mausi in das Sicherheitssystem speiste.

Fulgen erklärte, dass es kein Problem darstellte. Schließlich war er neben seiner Tätigkeit als Agent auch früher Syntroninformatiker gewesen.

»Bitte, Perry!«, flehte ich.

»Ja, bitte, Perry!«, machte nun auch Gucky.

Rhodan seufzte.

»Da kann ich ja nicht widersprechen. Retten wir die Sklavin. Am liebsten würde ich den ganzen Planeten umkrempeln, aber das ist nicht möglich.«

»Ein gerettetes Leben ist doch auch etwas wert?«, fragte ich.

Rhodan schmunzelte.

»Ja, Cauthon, das ist es! Du bist für deine zehn Jahre schon sehr reif und hast ein gutes Herz. Bleib so!«

Dieses Kompliment bedeutete mir sehr viel. Ein Lob von Perry Rhodan. Ich war wie im Himmel. Nun drückte ich den beiden die Daumen, dass die Operation gelingen würde.

 

12. Der Retter des Universums

»Du siehst schrecklich aus, Perryiane!«, piepste Gucky.

»Du siehst doch genauso aus, Mausi!«, konterte Rhodan.

Er sah nur das schwarz schimmernde Schemen vor sich. Die Sicht durch den Yeshi-Hihab war ebenso verdunkelt. Rhodan musste aufpassen, nicht zu stolpern. Wie konnten sich die Frauen nur so behände darin bewegen? Sie standen vor dem Eingang. Eine andere Wachmannschaft kontrollierte die Zugänge.

Sie mischten sich in eine Traube anderer Yeshi-Hihab-Trägerinnen, um unauffällig zu bleiben. Nun würden sie herausfinden, ob Fulgens Plan von Erfolg gekrönt war.

Rhodan steckte die Identifikationskarte in den Schlitz einer alten Positronik. Ein angenehmer Ton erschallte. Rhodan ging weiter. Nun war Gucky an der Reihe. Sie hatten die Yeshi-Hihab extra höher eingestellt, damit seine Kleinwüchsigkeit nicht auffiel. Auch er konnte passieren. Einer der Wachmänner sah sie an. Gucky blieb kurz stehen.

»Hi Süßer!«, fiepste er.

Gucky! Wie konnte er nur. Der Wachmann schaute sie verdattert an, dann lächelte er. Gucky ging einfach weiter. Rhodan folgte ihm wütend.

»Hör auf mit solchen Albernheiten!«

»Das blöde Ding funktioniert nicht. Der Typ hatte eben ganz unkeusche Gedanken «, meinte der Mausbiber.

Wenige Momente später wurden seine telepathischen Fähigkeiten getrübt. Je tiefer sie in das Palastgelände vordrangen, desto weniger Gedanken konnte er lesen, bis es schließlich unmöglich war.

Gucky fluchte! Rhodan wusste, dass der Mutant sich in solchen Situation unwohl fühlte, wenn er nicht auf seine übersinnlichen Fähigkeiten zurückgreifen konnte.

Ein Großraumgleiter brachte sie zum Palast. Das Fahrzeug war ausschließlich für Yeshi-Hihab tragenden Frauen bestimmt. Ein Roboter steuerte es. Die Frauen unterhielten sich über Klatsch und Tratsch. Nichts, was Rhodan hören wollte. Er bezweifelte, dass Gazh Ala unter den verhüllten Damen war.

»Habt ihr auch gehört, dass Gazh Ala an der Entführung von zwei fremden Kindern beteiligt war? Ich glaube das ja nicht«, sagte Gucky plötzlich laut.

Direkt, aber vielleicht wirksam. Die Frauen plapperten alle auf einmal los. Einige hielten Gazh Ala für schuldig, andere für ein Opfer. Sie regten sich über die peinliche Befragung auf. Der Palast kam näher. Rhodan wurde ungeduldig. Endlich kam der entscheidende Hinweis. Eine Frau erzählte, Gazh Ala wäre zwar der Entführung frei gesprochen, doch die Vhratowächter hätten sie inhaftiert, weil sie sich unverhüllt den fremden Gästen von Oberst Kerkum gezeigt hatte.

Rhodan blieb die Spucke weg. Die Vhratowächter hatten sie doch nach der Folterung in den Saal geschleppt.

»Ach, so ein Flittchen. Wollte sich vermutlich an den Propheten Perry Rhodan ranmachen. Furchtbar so was. Dann hat sie eine Strafe auch verdient«, heuchelte Gucky.

Immerhin wussten sie, wo sie Gazh Ala nun suchen mussten. Leider war der Inhaftierungstrakt außerhalb der Palastanlage von Oberst Kerkum. Es war ein Nebengebäude.

Zu ihrem Bedauern war er streng bewacht. Aber Rhodan hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Er und Gucky meldeten sich bei der Torwache und erklärten, sie hätten belastende Aussagen über das ruchlose Verhalten der Sünderin Gazh Ala el Finya.

Der wachhabende Wächter brachte sie in einen Verhörraum. Er war unfreundlich und behandelte die beiden absichtlich geringschätzig.

Die beiden saßen auf unbequemen Holzstühlen in einem kargen, spärlich beleuchteten Raum ohne Fenster. Zu ihrer Überraschung betrat eine Gestalt im Yeshi-Hihab den Raum. Sie deaktivierte ihre Verschleierung.

»Ich bin Agentin Sarina Tatjana il Fascetti. Ihr könnt euren Schleier ausschalten.«

Mist!

»Ich möchte mich nicht enthüllen. Es ist mein religiöses Recht und stärkt mein Selbstwertbewusstsein«, meinte Gucky. »Und außerdem, wer weiß, bei meinem Anblick kommt Ihr auf unreine Gedanken.«

Das überzeugte die Frau nicht. Sie zog einen Energiestrahler und richtete ihn auf Gucky und Rhodan.

»Tun wir, was die Wachtel will«, sagte Perry und deaktivierte den Energieschleier. Gucky tat es ebenso. Die Frau war entsetzt, als sie die beiden sah, und zuckte merklich beim Anblick von Gucky zusammen. Rhodan nutzte ihre Verwirrung und stieß den Tisch gegen sie. Sie ließ die Waffe fallen, die Gucky blitzschnell auffing und nun auf sie richtete.

»Ich bin der Retter des Universums. Und wenn du unartig bist, werde ich dämonisches Tier dich mit Flöhen bis an das Ende deiner Tage infizieren.«

Rhodan verabscheute Gewalt, doch er packte die Agentin am Kragen und zog sie hoch.

»Jetzt sagen Sie mir, wo wir die Sklavin Gazh Ala finden. Und wo befindet sich der Generator für die Parafallen?«

Gucky fing an zu knurren. Das reichte offenbar aus. Sie gab uns eine detaillierte Beschreibung. Gucky paralysierte die Mashratin. Gucky und Rhodan aktivierten ihre Energieschirme und suchten zuerst den Raum mit der Parafalle.

Da Rhodan die Identifikationskarte von el Fascetti genommen hatte und kein Vhratowächter es wagte, den Terraner und den Mausbiber aufzufordern, den Yeshi-Hihab zu lüften, kamen sie ungehindert zum Generatorraum.

Ehe die beiden Techniker reagierten, paralysierte Gucky sie. Rhodan sah sich die Schaltungen an.

»Ziehen wir doch einfach den Stecker«, schlug Gucky vor.

»Halt bitte den Mund. Das ist wenig hilfreich.«

»Ach? Meine konstruktiven und wohl durchdachten Vorschläge sind wenig hilfreich? Bitte, Herr Erbe des Universums, dann machen Sie es eben selbst.«

Gucky schmollte. Das gab Rhodan die Ruhe, um sich mit dem Betriebssystem des Rechners vertraut zu machen. Er deaktivierte die Parafalle und sah Gucky fragend an. Der Mausbiber verstand. Wenig später schwebte er sanft nach oben, um sich dann wieder auf dem Boden abzusetzen.

Rhodan lachte. Es hatte funktioniert. Gucky stieß einen Freudenschrei aus.

»Ich hätte gut und gerne Lust, den ganzen Laden hier auf den Kopf zu stellen.«

»Nein, Kleiner! Orte die Gedanken von Gazh Ala und dann teleportieren wir zurück auf die WIDDER.«

Gucky murrte etwas, dann verschwand er, um nur wenige Sekunden später mit der erstaunten Mashratin zurückzukehren.

»Was?«

»Da ist eine Idee von Ihrem Freund, Cauthon! Möchten Sie auf Mashratan bleiben oder mit uns kommen?«

»Zu den Sternen? Auf einen anderen Planeten?«

»Ja«, antwortete Rhodan etwas ungeduldig.

Schließlich stimmte sie zu. Rhodan nahm Guckys Hand, dann teleportierten sie auf die WIDDER.

Die Rettungsmission war abgeschlossen. Sie hatten immerhin ein Lebewesen vor viel Leid durch Oberst Kerkums Schergen bewahrt.

 

13. Abreise

»Ich möchte nach Terra. Dahin, wo meine Urahnen herkommen«, beschloss Gazh Ala el Finya.

Perry Rhodan erklärte ihr, dass man sie zu einem Camelotbüro auf Terra bringen würde, wo man ihr helfen würde, sich ein neues Leben aufzubauen.

Ich bedauerte es ein wenig. Ich hatte doch gehofft, Gazh Ala würde mit nach Camelot kommen. Sie hätte ja für uns arbeiten können. Immerhin dankte sie mir und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich wurde ganz rot und mir wurde auch plötzlich schlecht.

»Du bist doch mein Ritter, Cauthon!«, hauchte sie und drückte mich anschließend ganz fest.

Yart Fulgen brachte sie in ihre Kabine, während Gucky herzhaft gähnte und sich zu einer »Meditation« zurückzog. Perry Rhodan lächelte mir zu.

»Du kannst stolz auf dich sein!«

Das war ich auch. Mein erstes großes Abenteuer war vorbei. Hoffentlich war es nicht das Letzte.

Perry Rhodans letzte Worte zu mir beeindruckten mich. Noch viele Wochen später dachte ich daran.

»Mashraten, mein lieber Cauthon, ist eine Mahnung. Sie zeigt uns, wie brüchig Zivilisation, Moral, Freiheit und Gerechtigkeit sind. Wie einfach es ist, in Tyrannei, Engstirnigkeit und Anstandslosigkeit zu verfallen. Wir dürfen niemals träge werden, um unsere Rechte zu kämpfen, denn sonst verlieren wir sie schneller als wir denken.

Es gibt Intelligenzen, die beneiden uns relativ Unsterbliche. Andere verdammen uns. Sie wissen nichts von uns, denn es ist gerade unsere Aufgabe über die Gerechtigkeit zu wachen und dafür zu kämpfen. Wir machen das schon seit Jahrtausenden.

Doch nicht wir allein. Es ist die Aufgabe eines jeden Wesens, das genauso zu tun. Wir haben vielleicht einen differenzierteren Blick darauf und sehen es als unsere selbstverständliche Aufgabe, aber jede Generation hat ihre eigenen Helden. Es liegt an jedem einzelnen Individuum, ob es sich für diesen steinigen Weg entscheidet oder ein anderes Leben wählt.«

 

Epilog

Mitte des Jahres 1275 NGZ berichteten die Medien über einen großen Deal zwischen der Shorne Industries Gesellschaft, der Kosmischen Hanse und dem arkonidischen Konsortium »Für Arkons Wirtschaftsglorie« mit dem Planeten Mashratan. Das Mashritun-System war reich an Hyperkristallen. Es gab in den systemtreuen Medien der LFT und des Kristallimperiums kaum kritische Betrachtungen zu diesem Deal. Im Gegenteil, denn Mashratan wurde als Tigerplanet beschrieben und an den Börsen wurden die staatlichen Unternehmen gut gehandelt. Mashratan galt als aufstrebende Welt mit einem hohen Wirtschaftswachstum.

Niemand blickte hinter die Kulissen. Keiner störte sich an den fehlenden Menschenrechten, an der nicht existierenden Gleichberechtigung und an dem Verbot gegenüber nichthumanoiden Intelligenzwesen, diesen Planeten zu betreten. Die Probleme wurden ignoriert.

Der Erste Terraner lobte auf einer Gesellschafterversammlung der Hansesprecher sogar den Planeten Mashratan als beispielhafte moderne Zivilisation, die Kultur, Traditionen und Fortschritt zum Wohle der ganzen Milchstraße in Einklang brachte.

Die Glaus Mulltok Arkon & Terra Cooperation schloss zur selben Zeit ein lukratives Geschäft mit der Taxit ab. Wenige Tage später wurde eine Klage gegen Mashratan beim Galaktikum eingereicht.

Der anonyme Kläger wies auf die DiktaturOberst Kerkums und die Unterdrückung durch die Vhratoreligion hin. Er verdeutlichte die unwürdigen Verhältnisse, in denen viele Einwohner lebten.

Das Galaktikum rang sich nicht zu einer Untersuchung durch, nachdem das Kristallimperium und die Liga Freier Terraner ein Veto einlegten.

Die Klage wurde im September 1275 NGZ abgewiesen.

Aus den Chroniken

Jaaron Jargon

September 1275 NGZ

ENDE

 

Die Geschichte des jungen Cauthon Despair wird im nächsten DORGON-Roman weitererzählt. Düstere Zeiten brechen für Cauthon Despair an, der sein Schicksal als geborener Sohn des Chaos offenbar nicht abwenden kann.

DORGON-Band 3 stammt von Nils Hirseland und erscheint unter dem Titel: DER SILBERNE RITTER

 

 

 

Kommentar

So, ich hoffe, ihr, geschätzte Leserinnen und Leser, habt den Roman von Nils mit genauso viel Vergnügen gelesen, wie ich. Besonders interessant fand ich die Schilderung der Gesellschaft im ausgehenden 13. Jahrhundert der Neuen Galaktischen Zeitrechnung.

Hierzu nur so viel, quasi als kleinen Cliff, in den nächsten Bänden wird uns noch mehr »Lokalkolorit« aus LFT, Kristallimperium und vielen anderen Schauplätzen geboten werden.

Doch nun zum eigentlichen Thema meines Kommentars: Mashratan, die Welt der Extreme. AlteDORGON-Leser werden es gleich bemerkt haben, dass wir hier absolutes Neuland betreten. Und gleich vorab: die Welt unter dem gelb-roten Doppelstern, voller Intoleranz und religiösem Irrsinn in höchster Potenz, klimatischer Extreme, archaischen Gesellschaftsformen, aber reich an landschaftlicher Schönheit und fast unerschöpflichen Bodenschätzen, wird in den nächsten Bänden weiter eine wichtige Rolle spielen. Soviel kann ich hier bereits verraten, ohne die Spannung auf die weitere Geschichte zu zerstören.

Jürgen Freier

*

Doch nun nochmals meine Bitte an alle Leserinnen und Leser:

Helft uns, DORGON besser zu machen, wir suchen nach wie vor weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, egal ob als Autor/in, Redakteur/in, Grafiker/in oder Betreuer/in unserer Onlinepräsenz.

 

 

GLOSSAR

Mashritun-System

Binär-Sonnensystem mit einem Braunen Zwerg als planetarem Begleiter.

Lage innerhalb der Milchstraße: Südwest-Quadrant, äußerer Bereich des Perseus-Armes.

Beschreibung: E:\Downloads\mashritunsystem.jpg

 

Astrophysikalische Daten – Binärsystem

 

Mashritun-A

Mashritun-B

Spektraltyp

G8V (gelb)

M6V (dunkles rotorange)

Masse (Sol = 1)

0,98

0,09

Durchmesser (Sol = 1)

0,97

0,37

Temperatur

5620 C

2945°C

Leuchtkraft (Sol = 1)

0,92

0,011

Bahndurchmesser

0,02 AE

0,08 AE

Umlaufdauer Schwerpunkt

1,48 Tage

3,41 Tage

Bemerkungen

Mashritun-A ist extrem metallreich. Beide Sonnen kreisen um den gemeinsamen Masseschwerpunkt, wobei die Umlaufbahn von Mashritun-B etwa 0,12 AE außerhalb der Umlaufbahn von Mashritun-A liegt.

Entfernung zu Sol

32.119 Lichtjahre

Anzahl der Planeten

6, siehe Liste (darunter ein „Brauner Zwerg“)

 

Astrophysikalische Daten – Planeten

 

Æ
Terra = 1

Schwerkraft
Terra = 1

Entfernung
Zentrum

Durchschnitts­temperatur

Monde

Mashritun-1

0,85

0,79 G

0,42 AE

112°C (Gestein)

-

Mashritun-2

11,31

2,81 G

0,61 AE

1984°C (Gas)

-

Mashritun-3

0,45

0,32 G

0,75 AE

-14°C (Gestein)

-

Mashritun-4

0,22

0,12 G

0,82 AE

-38°C (Gestein)

-

Mashritun-5 »Mashratan«

1,09

1,04 G

0,96 AE

19°C (Gestein)

2

Mashritun-6

Brauner Zwerg (21fache Jupitermasse)

4,28 AE

267°C

29

Zirkulare
Kometenwolke

Planetensimale

40.000 –80.000 AE

 

 

 

Besonderheiten

Bei Mashritun-2 handelt es sich um einen sogenannten „Heißen Jupiter“, d. h. um einen Gasplaneten, der nach der Bildung in den äußeren Regionen durch Migration in das Innere des Systems gewandert ist und durch die Sonne(n) aufgeheizt wird. Monde sind bei dieser Art von Planeten nicht möglich.

Die Planeten 3 und 4 verfügen über keine nennenswerte Atmosphäre, so dass kein Treibhauseffekt auftritt und somit die niedrigen Temperaturen begründet werden.

Bei dem 6. „Planeten“ handelt es sich in Wirklichkeit um einen „Braunen Zwerg“, der innerhalb des Systems die Rolle des solaren Jupiter übernimmt und die Umlaufbahnen der „inneren Planeten“ stabilisiert. Gleichzeitig hat er verhindert, dass weitere „äußere“ Planeten entstehen konnten. Er besitzt ein umfangreiches System von 26 Monden und bildet eine eigene habitable Zone durch sein infrarotes Lichtspektrum. Innerhalb dieser Zone befinden sich 2 etwa marsgroße Monde mit dünner Atmosphäre, auf denen primitives pflanzliches Leben möglich ist.

Mashratan

Astrophysikalische Daten

Sonnensystem: 5. Planet des binären Sterns Mashritun

Entfernung Masseschwerpunkt: 0,96 AE

Durchmesser: 13.678 Kilometer

Schwerkraft: 1,04 G (bezogen auf Terra-Standard)

Temperatur: 19 C

Monde: 2 (Hugin und Mugin)

Bemerkungen

Bedingt durch die Besonderheit der binären Sonnen Mashritun A und B ist die Durchschnittstemperatur höher als auf der Erde. Hinzu kommt ein starker Treibhauseffekt durch einen höheren Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre.

Der Wechsel zwischen Tag und Nacht folgt einem komplizierten System, das durch die Umlaufbahnen der beiden Sonnen um den gemeinsamen Masseschwerpunkt und die Achsneigung des Planeten von 29° bedingt ist. Aufgrund des niedrigeren Drehimpulses im Vergleich zur Erde beträgt die Tageslänge 28 Stunden. Das Verhältnis Tag zu Nacht beträgt im Durchschnitt etwa drei zu eins, wobei man eigentlich von zwei unterschiedlichen Tageshälften sprechen muss. Solange der Gelbe Zwerg hoch am Himmel steht, ist das gelbe Lichtspektrum vorherrschend. In den letzten Stunden des Tages allerdings wird das Spektrum mehr und mehr durch den Roten Zwerg bestimmt. Die vorherrschende Farbe des Himmels geht über Orange zu einem düsteren Rot über, bevor beide Sonnen nacheinander am Horizont des Planeten untergehen.

Monde

Mashratan wird von zwei Monden umkreist, deren Umlaufbahnen um ca. 90° versetzt sind. Munin erscheint von Mashratan aus gesehen etwas größer als Luna, während Hugin etwas kleiner erscheint. Die Topografie der beiden Monde gleicht weitgehend Luna, also eine durch ehemalige Vulkane und Meteoriteneinschläge geprägte Kraterlandschaft.

 

Munin

Hugin

Mittlerer Durchmesser

3.247 km

3.821 km

Große Halbachse

234.128 km

392.983 km

Umlaufzeit

19 Tage

39 Tage

 

Durch die relativ nahen Monde wird ein starker Tidenhub ausgeübt, der sich jedoch, bedingt durch die fehlenden offenen Gewässer, nur auf den Mantel des Planeten ausübt. Folge sind regelmäßige Erdbeben, die auf Mashratan zum täglichen Leben gehören.

Auf Munin besteht eine im Aufbau befindliche Raumwerft, die Schiffe bis zur Schlachtkreuzergröße fertigen kann. Auf dem Mond sind darüber hinaus umfangreiche Abwehrstellungen im Entstehen, die zentral gesteuert werden sollen.

Hugin ist absolutes Sperrgebiet, zu dem nur Personen Zutritt haben, die durch den »Oberst« speziell legitimiert sind. Gerüchte besagen, dass dort umfangreiche Baumaßnahmen unter absoluter Geheimhaltung durchgeführt werden. Bekannt ist außerdem, dass zu Zeiten des Solaren Imperiums auf dem Mond eine Flottenbasis bestand, die allerdings während der »Jahre der Dunkelheit« in Vergessenheit geriet. Ob diese noch weiterhin besteht, ist unbekannt.

Lebensbedingungen

Der Planet ist eine Wüstenwelt, die vorhandenen Wasservorkommen befinden sich überwiegend unter der Oberfläche. Freies Oberflächenwasser ist selten und wird durch unterirdische Quellen gespeist. Nur in den Polarregionen existieren größere Wasservorkommen in Form von kleineren Polkappen unter ausgedehnten Sanddünen. Von besonderer Bedeutung sind die teilweise im Tagebau abbaufähigen Rohstoffvorkommen, die im Vergleich zu Terra wesentlich umfangreicher sind. Im zentralen Sainahgebirge hat man zudem ausgedehnte Vorkommen an Hyperkristallen gefunden, die die Haupteinnahmequelle des Planeten bilden.

Topografische Struktur

Die Topografie Mashratans ist durch vier gewaltige Hochebenen geprägt, die sich etwa 200 bis 500 m über die den ganzen Planeten umspannende Sandwüste erheben. Die ersten Kolonialisten bezeichneten diese Hochebenen, im Andenken an ihre terranische Heimat, als Kontinente, obwohl auf Mashratan keine Ozeane mehr vorhanden sind. Die gewaltigen Sandwüsten, die die früheren Meere ausgefüllt haben, sind noch immer weitgehend unerforscht. In der Umgangssprache der Mashraten werden sie als der »Vorhof der Hölle« bezeichnet. Selbst die an das heiße Klima des Planeten angepassten Bewohner können in den ausgedehnten Tiefebenen ohne entsprechende Schutzkleidung nicht überleben, da hier Temperaturen bis über 60 C erreicht werden. Auch die hoch entwickelte Technik des 13. Jahrhunderts NGZ stößt hier an ihre Grenzen. Allein durch die Verwendung entsprechender Prallschirmfelder kann der mikroskopisch feine Staub daran gehindert werden, die Technik lahmzulegen. So beschränkt sich die menschliche Besiedelung auf die Hochebenen, die für mashratische Verhältnisse über ein »gemäßigtes« Klima verfügen.

Innerhalb der kontinentalen Hochebenen befinden sich ausgedehnte Gebirgszüge, die oberhalb einer Grenze von ca. 3.000 m ein mit der Erde vergleichbares Klima aufweisen. Doch auch hier wirkt sich der fehlende Wasserkreislauf aus, Niederschläge sind äußerst selten. Bergspitzen über etwa 7.000 m weisen ausgedehnte Gletscher auf, deren Schmelzwasser die Hauptwasserquelle Mashratans darstellt. In den ausgedehnten Hochebenen herrscht eine Landschaft vor, die mit den Halbwüsten Terras vergleichbar ist. Allerdings sind auch größere Gebiete durch Sand- bzw. Geröllwüsten geprägt. Einzige Wasserquellen sind hier Oasen, deren Wasserquellen aus dem kontinentalen Tiefenwasser gespeist werden.

Eine topologische Sonderrolle nimmt das Sainahgebirge ein, das eine Art gigantischen Kraterwall um die nördliche Polarregion bildet. Das Gebirge umschließt die im Andenken an Terra als Arktis bezeichnete Region in einem Dreiviertelkreis. Geologische Forschungen haben ergeben, dass hier in der Vergangenheit des Planeten ein gewaltiger Himmelskörper eingeschlagen sein muss. Eine der gängigen Theorien geht davon aus, dass es sich um einen dritten Mond oder auch um einen irregulären Kleinplaneten gehandelt haben muss, der durch seinen Impakt eine mashratanweite Klimakatastrophe verursacht hat. Mineralogische Untersuchungen haben nachgewiesen, dass der weitgehende Verlust des Oberflächenwassers durch diese kosmische Katastrophe vor etwa 70 Millionen Jahren verursacht wurde. Das Gebirge ist von ausgedehnten Erzschichten durchzogen, die die Grundlage der mashratischen Schwerindustrie bilden. Eine weitere Besonderheit Mashratans liegt darin, dass seit dem Impakt die Plattentektonik des Planeten weitgehend zum Erliegen gekommen ist, was bisher durch die Wissenschaft nicht erklärbar ist.

Von besonderer Bedeutung für den wirtschaftlichen Aufschwung und das wachsende politische Gewicht Mashratans auf der galaktischen Bühne sind jedoch die umfangreichen Vorkommen verschiedener Hyperkristalle, die ebenfalls im Sainahgebirge entdeckt wurden.

Der Oberst

Führer der Kolonialwelt Mashratan

Name: Ibrahim David Gregor el Kerkum

Geboren: 25.03. 1151 NGZ

Geburtsort: Quadriga, Mashratan

Größe: 1,82 Meter

Gewicht: ca. 74 Kilogramm

Augenfarbe: braun

Haarfarbe: schwarz

Äußere Merkmale: zerknittertes, ledriges Gesicht, feiner Oberlippen- und Kinnbart.

Charakter: Herrschsüchtig, völlig von sich überzeugt, jähzornig, skrupellos.

Begriffe / Kultur / Gesellschaft

Die Zeitrechnung auf Mashratan ist terranisch, d. h. es wird in Minuten, Stunden, Tagen, Wochen, Monaten gerechnet. Die Mashraten haben jedoch die NGZ nicht anerkannt und leben noch in der Zeitrechnung n. Chr., haben diese jedoch in „allgemeine Zeit vor der Zeitenwende“ und „allgemeine Zeit nach Zeitenwende“ untergeordnet. Es gab ebenfalls Stämme, die die Zeitrechnung ab 1971 datierten und alles davor als v. PP (Perry Rhodan) bezeichneten. Doch diese Zeitform setzte sich nicht durch. Durch ihre Verbundenheit zu Terra hatten sie sich auf die gängige Zeitrechnung geeinigt.

Heyill – Drogen. Wird in einer Pfeife destilliert. Der Rauch an sich hat die größte halluzinogene Wirkung. Wird gerne von den Bauern und Tierhütern in den Bergen, Oasen und Wüsten genommen. In den Großstädten weniger in Benutzung.

Refry – Ein schafsähnliches Wesen mit sechs Beinen. Refrys können zur Wollproduktion genutzt werden, das Fleisch ist zwar keine Delikatesse, aber als Nahrungsmittel weit auf Mashratan verbreitet.

Kuhun – Das Kuhun entstammt aus den Anfängen der Kolonisierung und ist eine genetische Kreuzung aus einer Kuh und einem Huhn, damit es Milch und Eier produziert. Kuhuns wurden nach der Züchtung freigelassen und haben sich stark vermehrt. Für die Bauern ist die Kuhun das wichtigste Nutztier.

Yekjab – Ein Elektrostock, der an der Spitze ein kleines elektronisches Feld generiert, das schmerzhafte aber nicht tödliche Energiestöße erzeugt. Wird zur Maßreglung von Tieren, Kindern und Frauen verwendet.

Tuffa-Jab-Jab – Ein traditionelles Fest der Mashraten, welches seine Ursprünge in den archaischen Zeiten Terras hat. Beim Tuffa-Jab-Jab Fest dürfen nur Männer geladen werden. Frauen dürfen nicht daran teilnehmen. Die Männer feiern dabei und es ist ihnen erlaubt, Drogen zu nehmen (aber kein Alkohol). Knaben tanzen dabei und dürfen auch ausdrücklich verführt werden. In Abwandlungen gibt es auch so etwas für Mädchen. Dabei darf die Pubertät bei beiden Geschlechtern noch nicht erreicht sein. Das Tuffa-Jab-Jab Fest gilt auch als Reifeprüfung für Jungen und Mädchen, die dabei auch ruhig die Geschlechter tauschen sollen, um sich später festzulegen, was sie denn mal werden wollen. Allerdings wird diese Reifeprüfung wiederum von den Theologen und Konservativen nicht gebilligt. Denn wenn sich ein Mann entscheidet, eine Frau zu werden – gilt er für immer als Unrein. Umgekehrt wird eine Frau, wenn sie als Mann leben will, als Dämonin der Schwarzen Mirona angesehen und aus der Gesellschaft ausgeschlossen.

Yeshi-Jil – Das Yeshi-Jil ist die Hochzeitszeremonie. Die Braut ist dabei in ein glitzerndes Deflektorfeld gehüllt (die Yeshi-Hihab), das Sternenhologramme um sie kreisen lässt. Die Höhepunkte der Zeremonie sind die Übergabe der symbolischen Mitgift des Vaters an die Familie des Bräutigams und anschließend die Bezahlung der Brautfamilie mit dem vereinbarten Preis. Im engeren Familienkreis wird der Yeshi-Hihab dann gelüftet und es wird zu Tanz gerufen. Anschließend folgt das Essen. Danach werden Mann und Frau für die Hochzeitsnacht gesegnet. Das ist der vielleicht wichtigste Teil der Yeshi-Jil – denn hier kann der Ehemann noch alles wiederrufen, wenn die Frau unrein ist. Sie wird dazu unter Beobachtung der Famlienältesten (Vater und Schwiegervater) untersucht. Ist alles so, wie es unberührt sein sollte, akzeptiert der Mann und sie bekommt sein Brandmal auf die Schulter, damit jeder weiß, sie ist Familienmitglied und Besitz des Ehemannes. Anschließend folgt der religiöse Teil, der eine Mischung aus einer muslimischen, jüdischen und christlichen Hochzeit darstellt.

Ist die Frau jedoch befleckt, kann der Mann sie ablehnen und das Yeshi-Jil wird für nichtig erklärt. Die Mitgift und die Kaufware werden zurückgegeben. Die Kosten für das Essen und die Feier muss die Familie der Braut tragen.

Rabmulla

Bezeichnung für einen Geistlichen der Religion des »Dreieinigen Gottes«. Rabmullas ziehen in der Art der Wandermönche von Dorf zu Dorf und sind gegenüber der ländlichen Bevölkerung die höchste religiöse Autorität. Im Alter werden sie sesshaft und lassen sich in einem Dorf ihrer Wahl nieder. Die Landbevölkerung ist verpflichtet, den Lebensunterhalt der »Priester« zu bestreiten. Als Gegenleistung unterrichten sie die männliche Dorfjugend in der Lehre des »Dreieinigen Gottes«.

 

Beschreibung: C:\Users\Juergen\Documents\PROCeBook77x48.pngDas DORGON-Projekt – Mordred-Zyklus – ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUB e. V.

Special-Edition Band 2, veröffentlicht am 16.10.2011 • Autor: Nils Hirseland • Titelillustration: Lothar Bauer • Lektorat: Jürgen Freier, Jens Hirseland und Thomas Gruber • Layout: Jürgen Seel • Internet: www.proc-community.de • E-Mail: info@proc-community.de • Postanschrift: PROC e. V.; z. Hd. Nils Hirseland; Redder 15; D-23730 Sierksdorf • Copyright © 1999-2011 • Alle Rechte vorbehalten