13.
Beweise

Arib’Dar brauchte Beweise! Er musste sich selbst vergewissern und er suchte nach einem überzeugenden Argument, dass der kleine Cauthon Despair anders war. Eine Rechtfertigung dafür, dass er ein Sohn des Chaos sein sollte.

Er brauchte ebenso überzeugende Argumente für die Cameloter. Die Sache war verzwickt. Cau Thon einfach so umzubringen, war beinahe unmöglich, da er sich in der Nähe der Cameloter aufhielt. Und auf eine passende Gelegenheit zu warten, verringerte die Überlebenschance der Wissenschaftler drastisch.

Der Pontanare wanderte durch die Straßen der Stadt Effysit. Es herrschte trotz Einkehr der Nacht ein emsiger Betrieb auf den asphaltierten Fahrbahnen. Die Wege waren voller Neleser, die ausgelassen bei feuchtwarmen Temperaturen durch die geöffneten Geschäfte flanierten.

Honorius Breank und Ivan Despair erledigten zu so später Stunde ihre Besorgungen. Keiner der Cameloter verließ mehr alleine die Station auf dem Berg nahe von Effysit.

Dies wäre ein weiser Entschluss gewesen, würde ihr Feind nicht mitten unter ihnen sein. Der Ritter der Tiefe beobachtete die beiden Cameloter. Sie verließen ein Lebensmittelgeschäft und gingen in eine Nebenstraße. Doktor Breank wollte in den Weinladen, wie Arib’Dar es aus seinen Beobachtungen der Tage zuvor erwartet hatte.

Arib’Dar schob den Ärmel seiner Jacke ein Stück zurück und sprach in das Kommunikationsgerät an seinem Armband.

»Sie kommen.«

Der Pontanare folgte den beiden mit Abstand. Von der Seite kamen zwei nelesische Frauen, die sich Ivan Despair um den Hals warfen, während Breank schon auf dem Weg zum Weinladen war.

Das war seine Chance. Arib’Dar drängte sich an den Passanten vorbei, packte Breank und drückte ihn in eine Seitengasse.

Er wusste, dass Prot’Gar die beiden nelesischen Prostituierten entsprechend instruiert hatte, dass sie Ivan Despair für einige Momente ablenkten.

»Oh nein! Nun tötest du mich auch«, stöhnte Breank.

»Ich töte Sie nicht! Wir sind auch nicht für die Morde an Eddie Alaban und Ron Horace verantwortlich.«

Ungläubig starrte der Arzt den Ritter der Tiefe an.

»Wer dann?«

»Wir vermuten, dass Cau Thon dahinter steckt. Er hat etwas mit dem kleinen Cauthon angestellt. Untersuchen Sie ihn. Überprüfen Sie die DNS von Cauthon. Etwas stimmt mit dem Jungen nicht. Das ist die Schuld von Cau Thon.«

»Ich habe Cauthon nach der Geburt untersucht. Er ist völlig gesund … ich …«

Breank zögerte.

»Was?«, wollte Arib’Dar wissen und drückte den Doktor unsanft gegen die Mauer. Er wollte keine Gewalt anwenden, doch die Zeit drängte.

»Ich habe natürlich keine DNS-Analyse durchgeführt. Dazu waren die Mittel in dem nelesischen Krankenhaus auch nicht vorhanden. Ich habe vielmehr unsere moderne Medizin nur eingesetzt, um Cauthon vor Infektionen und Kinderkrankheiten zu impfen. Er wirkte ja kerngesund.«

»Untersuchen Sie ihn mit Ihren Apparaturen. Nicht mit den nelesischen und nicht mit denen von Cau Thon. Installieren Sie Ihr Programm zur Sicherheit neu, um Manipulationen an ihrem Gerät auszuschließen. Suchen Sie nach Abnormitäten. Von uns geht keine Gefahr aus, doch Ihr Feind nährt sich an Ihrem Busen!«

»Meinem Busen?«

Arib’Dar verdrehte die Augen. Das war doch eine terranische Metapher? Es führte zu weit.

»Informieren Sie sich. Dann kontaktieren Sie uns morgen Abend wieder an dieser Stelle. Und kein Wort zu Despair. Er würde es nicht verstehen. Noch nicht.«

Breank nickte. Arib’Dar lies ihn los. Er wusste nicht, ob er überzeugend genug war.

»Gehen Sie zu Despair zurück«, sagte Arib’Dar knapp und drehte sich weg. Ohne zurückzublicken, eilte der Ritter in die entgegengesetzte Richtung und verschwand in einer weiteren Nebengasse. An der Seite türmten sich Plastikmüllsäcke. Sehr einladend sah es hier nicht aus. Er lehnte sich gegen eine Mauer und atmete, erschöpft von dem Sprint, tief durch.

Jetzt musste er abwarten, ob Breank auf ihn hören würde.

*

Doktor Honorius Breank machte Überstunden. Er hatte sich am Abend sehr komisch und zurückhaltend gegenüber Cau Thon verhalten. Selbst gegenüber den Kollegen war er wortkarg gewesen.

Noch am späten Abend hatte er eine Untersuchung an Cauthon vorgenommen. Er hatte Selina beruhigt und ihr erklärt, es handelte sich dabei um eine reine Routineuntersuchung. Er wollte nur sicher gehen, dass dem Baby die Umwelt von Neles gut bekam.

Dann hatte sich Breank mit seinen Ergebnissen verabschiedet und war über den Kurzstreckentransmitter auf die HAWKING gewechselt. Cau Thon beunruhigte die Tatsache, dass der Doktor zuvor seine Gerätschaft neu installiert hatte, wie er aus den Datenbankeintragungen der Syntronik erfuhr. Misstraute da jemand der Technik? Wusste er möglicherweise über den Virus Bescheid?

Arib’Dar musste ihn gewarnt haben. Ein kluger Schachzug dieses Möchtegernritters der Tiefe.

Dort saß er nun seit Stunden und brütete über irgendetwas. Cau Thon hatte ihn über die Kameras auf der HAWKING beobachtet. Die Syntronik wurde voll und ganz von seinem Virus kontrolliert und erstattete regelmäßig Meldung über die Aktivitäten des Mediziners.

Cau Thon hatte gewartet, bis die Despairs zu Bett gegangen waren. Nun befand er sich wieder auf der KARAN und beobachtete den Doktor.

Schnell wurde dem Sohn des Chaos klar, wonach Breank suchte. Er analysierte die DNS von Cauthon. Breank musste einen Hinweis von Arib’Dar bekommen haben, denn Cau Thon schätzte den Mann nicht so intelligent und gewissenhaft ein.

Breank stutzte, als er offenbar das Ausmaß begriff. Er rieb sich die Augen, lehnte sich auf seinem Formenergiesitz zurück und atmete schwer. Nun hatte er wohl verstanden, dass die DNS-Struktur des Kindes nicht gänzlich der eines nosmonisch-terranischen Kindes entsprach.

Was würde der gute Mediziner jetzt wohl tun? Brachte er es fertig, das liebende Ehepaar aus ihrem wohl verdienten Schlaf zu wecken, um sie aus ihren süßen Träumchen zu reissen und mit der bitteren Realität zu konfrontieren? Sprach er mit seinem Auftraggeber? Cau Thon war klar, dass die Ritter der Tiefe dahinter steckten.

Nein, der gute Breank sollte die Despairs nicht stören. Düstere Geheimnisse sollten auch solche bleiben. Cau Thon übernahm die Kontrolle der Syntronik an Bord der HAWKING. Zuerst drehte er die Temperatur in dem Raum hoch, stellte die Luftfeuchtigkeit niedrig und ließ den Arzt schwitzen.

Dieser versuchte nun manuell die Klimaanlage einzustellen. Als er bemerkte, dass das nicht funktionierte, hämmerte er wütend auf die Konsole. Er rief die Syntronik und beschwerte sich. Die Syntronik antwortete, dass alle Temperaturen in Ordnung seien.

Es war herrlich, dem verwirrten Mann zuzusehen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, kopierte die Ergebnisse auf einen Datenspeicher und verließ das Labor.

Sein Weg führte ihn direkt zum Antigrav, dessen Steuerung nun Cau Thon übernahm. Zuerst ließ er Breank in die Nähe des Transmitterraumes schweben, dann stellte er die Gravitation auf normal ein. Schreiend fiel Breank hinab. Cau Thon deaktivierte die Fangnetze und Prallfelder. Unsanft knallte Breank auf den Boden der untersten Etage. Knochen brachen, doch Breank lebte noch. Cau Thon hätte ihn nicht so zäh eingestuft.

Cau Thon übernahm die Kontrolle über einen Roboter und befahl ihm zum Antigravschacht zu fliegen. Cau Thon stellte die Schwerkraft auf Maximum. Der Roboter deaktivierte seinen Antrieb und ließ sich in den Schacht fallen.

Noch einmal schrie Doktor Breank auf, eher er vom aufschlagenden Roboter zerquetscht wurde.

Damit waren es nur noch fünf Cameloter.