15.
Die Jagd

Ivan und Selina Despair waren mit ihrem Kind und Darvynia auf die HAWKING geflohen. Der Blue mit dem unaussprechlichen Namen und der Unither Dytch nahmen sie in Empfang.

Cau Thon war zur KARAN zurückgekehrt und verfolgte über die Kameras an Bord der HAWKING das Szenario. Er fühlte sich wie ein Regisseur. Das Theaterstück hieß »Die Jagd« und die Protagonisten befanden sich auf der HAWKING.

Cau Thon lehnte sich tief in seinen Kommandosessel zurück und beobachtete die verschiedenen Livebilder auf dem großen, dreidimensionalen Hologramm.

Der Unither Dtych befand sich im Maschinenraum, während Ivan Despair und der Blue Vülitaar Öckgüühn in der Kommandozentrale saßen und den Start vorbereiteten.

Darvynia und Selina Despair hielten sich im Gemeinschaftsraum auf, welches ein Deck tiefer lag. Die besorgte Mutter hielt ihr Baby beschützend im Arm.

»Wie konnte das alles nur passieren?«, fragte Selina.

»Keine Sorge, Schätzchen! Wir sind in Sicherheit. Cau Thon hat die arkonidischen Agenten vermutlich schon erledigt.«

»Wieso meldet er sich nicht? Und ich will sowieso nicht darauf warten. Wir starten jetzt und verlassen dieses System. Wir gehen auf direkten Kurs nach Camelot.«

Darvynia starrte zu Cauthon. In ihren Augen stand ein Verlangen nach dem Kind.

»Darf ich ihn halten?«

Selina drückte das Baby dichter an sich und schüttelte den Kopf.

»Nur einen kurzen Moment«, bat die Ferronin.

»Nein! Wir haben jetzt andere Probleme!«

Selina stand auf und ging unruhig in der Kabine umher. Der kleine Cauthon wimmerte leise. Sie schaukelte ihn in ihren Armen und gab ihm ein Küsschen.

Welch rührende Szene.

Cau Thon wechselte den »Sender« und vergrößerte die Anzeige vom Maschinenraum. Dort saß das Rüsselwesen und überprüfte die Funktionen des Antriebs.

Cau Thon überlegte und tippte dabei mit den Fingern auf der Armlehne herum. Dytch informierte Despair und Öckgüühn, dass der Antrieb bereit war. Es wurde Zeit, das Kapitel zu Ende zu führen. Cau Thon erteilte der Bordsyntronik den Befehl, den Antrieb zu deaktivieren. Nun gab er den beiden TARA-V-UH Kampfrobotern die Order, die restlichen Besatzungsmitglieder zu liquidieren.

*

»Diener, bring mir etwas zu trinken und eine kleine Mahlzeit. Beeile dich, das Unterhaltsprogramm beginnt«, sagte Cau Thon zu seiner zievohnischen Ordonnanz.

Das Kuttenwesen servierte ihm ein heißes Getränk und Gebäck. Die Kampfroboter schwebten in die Kommandozentrale der HAWKING.

Despair und der Blue korrespondierten via Funk mit Dytch. Sie rätselten über die Ursache des Energieausfalls. Cau Thon biss herzhaft in die leckere Teigtasche, während die TARA-V-UH Roboter ihre Waffenarme auf Despair und Öckgüühn richteten.

Der Blue schrie auf. Nun drehte sich auch Despair um. Er schubste Öckgüühn zur Seite und sprang selbst hinter ein Pult. Die Roboter eröffneten das Feuer. Panisch schreckte der Blue hoch, fand keinen richtigen Schutz und wurde von den Energiesalven zerfetzt.

Despair erwiderte mit seinem Thermostrahler das Feuer. Er informierte aus der Sicherheit seiner Deckung heraus Selina und Dytch.

»Geht in den Sicherheitsraum. Beeilt euch!«

Cau Thon befahl einem der Kampfroboter, sofort die anderen abzufangen. Dytch sprang in den Antigravschacht und hatte schon den Gemeinschaftsraum erreicht. Er packte Selina und Darvynia, die hysterisch kreischte und rannte mit ihnen zum kugelförmigen Sicherheitsraum.

»Schnell hinein!«

Der TARA-Roboter hatte sie nun erreicht. Todesmutig und ebenso dümmlich warf sich der Unither in den Weg. Der Roboter aktivierte sein Vibratormesser. Dytch lief direkt hinein. Ohne zu stoppen bahnte sich der Roboter seinen Weg durch den mit unithischem Blut bespritzten Korridor.

Schreiend und in Panik rannten die beiden Frauen zu dem Raum. So nah und doch so fern. Der TARA hatte sie schon fast eingeholt, doch er feuerte nicht. Das war zu gefährlich. Sie durften Cauthon nicht treffen.

Dem Kind durfte nichts geschehen. Selbst Paralyse war zu gefährlich für den jungen Sprössling.

So erreichten die zwei Frauen mit dem Baby den Sicherheitsraum und verriegelten ihn hermetisch. Ein Schutzschirm und dicker Stahl sicherte die Kabine. Hier waren sie vor dem TARA-V-UH Roboter sicher. Wie bedauerlich!

Der Schutzraum war ebenso als Rettungskapsel angelegt worden. Er verfügte über eine eigene Energieversorgung, eine abgeschottete Syntronik, Sauerstoffbehälter, Nahrung und Wasser sowie ein Steuerungsmodul. Die Kamera in dem Raum war das einzige, worüber Cau Thon Kontrolle hatte.

Selina atmete tief durch.

»Schatz?«, hallte es aus ihrem Kommunikationsarmband. »Schatz, lebst du? Melde dich!«

»Ivan«, rief Selina in den Kommunikator. »Wir sind im Sicherheitsraum. Uns geht es gut. Wo bist du?«

»Ich habe ein Notsignal an Atlan geschickt, doch der Roboter blockiert den Weg. Ich fürchte, ich muss ihn vernichten. Ihr seid sicher. Ich komme zu euch!«

»Versteck dich, bis Atlan da ist!«

»Das wird nicht funktionieren. Die Roboter wissen, wo ich bin. Ich versuche an meinen SERUN zu kommen.«

Cau Thon legte die Hologramme aus der Kommandozentrale und dem Sicherheitsraum nebeneinander. Selina weinte, während Ivan zögerlich hinter dem Pult hervor kroch.

»Ich liebe dich«, flüsterte Selina und klammerte sich an Cauthon. Für Ivan waren es drei Meter bis zur Nebenkabine, in der sich der Serun befand.

Ivan Despair zögerte. Er rechnete sich tatsächlich Chancen aus. Dieser Narr! Der TARA V UH verfügte über ein umfassendes Waffenarsenal. Ja, dieses klitzekleine Fünkchen Hoffnung amüsierte Cau Thon. Immer wieder sah es so aus, als wollte Ivan Despair aus seiner Deckung springen, doch im letzten Moment hielt er inne.

Der Schweiß rann von seiner Stirn, die Augen verkniffen, das Gesicht angespannt. Dann sprang er auf.

Einen Meter.

Zwei Meter.

Schuss!

Ivan Despair war desintegriert.

*

In offenkundiger Verzweiflung tippte Selina Despair immer wieder auf das Touchpad ihres Kommunikationsgerätes. Tränen kullerten über ihre Wangen, als sie Ivan rief, doch er nicht antwortete. Sie wusste nicht, dass ihr Ehemann zerstrahlt wurde, doch sie ahnte, dass er nicht mehr am Leben war.

»Nur noch wir drei sind übrig«, stellte Darvynia fest und streichelte Cauthon. Er lag nun auf einer der Notpritschen und schlief. Darvynia lächelte. Sie wirkte aufrichtig glücklich. Im Gegensatz dazu schluchzte Selina um ihren gefallenen Mann.

»Schlaf Kindchen, schlaf«, hauchte die Ferronin mit sanfter Stimme. Dann wandte sie sich Selina zu.

»Wir warten einfach ab, bis Atlan eintrifft. Dann wird alles gut, Süße!«

»Alles gut?«, begehrte Selina Despair auf.

Verständnislos blickte sie ihre Freundin an.

»Ivan ist vermutlich tot. Alle anderen sind tot. Nichts wird wieder gut werden. Wie kannst du nur so naiv sein?«

Wütend sprang Selina auf und ging wieder unruhig in dem Quartier umher.

Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihre blonde Mähne. Es wirkte so, als wollte sie ihre Haare ausreißen. Darvynia ging in die Kochnische der Kabine. Offenbar machte sie sich ein Bild von den Kochutensilien. Sie spielte mit den Messern.

»Ich mache uns jetzt erst einmal etwas Leckeres zu essen. Ob die auch frisches Obst in der Notration haben?«

»Bestimmt nicht. Außerdem habe ich keinen Hunger. Wie kannst du so gelassen sein?«

Selina war offenkundig verärgert über die Ferronin. Sie warf einen Blick auf den schlafenden Cauthon.

»Panik hilft uns nicht weiter. Kommst du bitte mal kurz?«

Selina seufzte.

»Was ist denn?«

Darvynia drehte sich und rammte der Terranerin zwei Messer in den Bauch. Selina gurgelte und starrte ihre Freundin mit weit aufgerissenen Augen an.

»Cauthilein gehört jetzt mir. Er hat mir das versprochen.«

Selina wankte nach hinten. Darvynia nahm ein weiteres Messer. Selina war zu schwach, um sich zu wehren. Sie stach der Mutter von Cauthon in den Hals. Wieder und wieder.

Der kleine Cauthon fing laut an zu weinen. Möglich, dass er den Tod seiner Mama spürte.

Darvynia – vom Blut ihrer besten Freundin übersät – erhob sich, reckte die Arme in die Höhe und rief: »Cau Thon!«

Er lachte. Sie hatte es tatsächlich durchgezogen. All die schönen Worte zu diesem labilen Frauenzimmer hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Cau Thon wählte sich in die interne Bordkommunikation ein und antwortete Darvynia.

»Das hast du exzellent gemacht. Geht es dem Jungen gut?«

Sie blickte zu Cauthon, der immer noch weinte. Sie wollte ihn in den Arm nehmen, doch da bemerkte sie, dass sie voller Blut war.

»Ich komme gleich, mein lieber, kleiner Cauthi. Mami muss sich erst einmal waschen.«

»Öffne den Sicherheitsraum. Das ganze Raumschiff steht dir nun zur Verfügung«, erklärte Cau Thon seiner Gehilfin.

Sie nickte hastig und deaktivierte die Sicherheitsmechanismen. Sie eilte hinaus, vorbei am TARA-V UH Kampfroboter und suchte offenbar eine Nasszelle.

»Hörst du mich, oh Cau Thon? Hörst du mich?«

»Ich höre und sehe dich.«

Sie kicherte, als sie im Bad war und sich entblätterte. Der Sohn des Chaos wollte sich das nicht genauer ansehen. Sie stieg in die Dusche und wusch ihren blauen Körper in Unschuld.

Doch Cau Thon hatte keine Verwendung mehr für diese Kreatur. Sie hatte ihren Zweck erfüllt. Er wies den TARA-V UH Kampfroboter an, die Ferronin zu entsorgen.

Das Metallgeschöpf drang in die enge Nasszelle ein, aktivierte seine Vibratormesser und beendete in einem unappetitlichen Augenblick das Leben von Darvynia.

Am wenigsten konnte Cau Thon lästige Zeugen gebrauchen. Es war vollbracht. Er gab der Syntronik einen Kurs Richtung Camelot. Dann begann er mit der Formatierung der Speichermedien und dem Löschen aller relevanten Daten.

Die Logbücher der Despairs. Die Videoaufzeichnungen. Der Virus beseitigte alle Spuren. Die Leichen oder ihre Überreste wurden desintegriert. Die Servodroiden reinigten die Korridore und Quartiere. Sobald die HAWKING Camelot erreichte, würde sie sich selbst zerstören.

Cau Thon warf einen letzten Blick auf die Übertragung aus der Sicherheitskammer. Ein Servoroboter kümmerte sich um den kleinen Cauthon Despair.

»Leb wohl, mein Bruder des Chaos. Unsere Wege werden sich in einigen Jahren wieder kreuzen. Ich wache über dich«, versprach Cau Thon und beendete die Verbindung zur HAWKING.

Wenige Momente später führte die Syntronik seinen Befehl aus und ging in den Hyperraum.