Die Zeit des Handelns war gekommen. Cau Thon wies den Zievohnen Preschtar an, die Deflektorschirme der KARAN zu deaktivieren. Es war ein stolzes Raumschiff. Einst hatte es dem Ritter der Tiefe Myron Reburs gehört, ehe Cau Thon in getötet hatte.
Nun gehörte es ihm und stand im Dienste einer anderen, chaotischeren Macht.
Die Aufregung an Bord der HAWKING musste groß sein. Urplötzlich tauchte vor ihrer Nase ein Raumer mit fünfach so großem Durchmesser auf. Das musste die Wissenschaftler beunruhigen.
Cau Thon genoss es, sich die Furcht der Wissenschaftler auszumalen. Die Angst war sein mächtigster Verbündeter. Zwar war die Distanz zu groß, um ihre Gefühle tatsächlich empathisch wahrnehmen zu können, aber das würde sich bald ändern.
»Preschtar, bereite meine Raumfähre vor! Wir wollen die Primitivlinge nicht völlig erschrecken.«
Die Kuttengestalt verneigte sich wortlos. Das war auch nicht anders zu erwarten.
Cau Thon setzte sich an das Kommunikationsterminal und schickte eine knappe Nachricht.
»Ich komme in Frieden.«
Dieser Spruch funktionierte doch eigentlich immer.
Die Raumfähre war bereit. Cau Thon freute sich auf die Begegnung mit den Despairs. Er sendete eine zweite Botschaft. Darin bat er um ein Treffen mit den Camelotern und gab Koordinaten durch. Cau Thon wählte die kleine Stadt Effysit, in der die Cameloter mit dem Bau ihrer zweiten, offiziellen Station begonnen hatten.
Die Neleser riegelten zur ihrer eigenen Sicherheit das Landegebiet ab und boten ein großes Polizeikontingent auf.
Cau Thon überlegte, ob es sinnvoll war, dass es so viele Zeugen gab. Nun, darüber würde er später entscheiden. Zuerst musste er seine Landefähre sicher auf dem Planeten landen.
Nachdem dies mühelos gelang, stieg er aus und ließ die Sonne und die verdutzten Gesichter auf sich einwirken.
Er blickte von der Luke auf die Neleser und Cameloter herab, während die Rampe sich langsam auf den Boden senkte. Die Neleser starrten ihn an, als hätten sie das erste Mal einen Außerirdischen gesehen. Sie mussten sich doch langsam an den Anblick fremder Wesen gewöhnen.
Während der Sohn des Chaos die Gangway hinunter schritt, erkannte er Selina und Ivan Despair sowie Ron Horace und diesen Weltorganisationsvorsteher Luratz Jomahr.
Die Sicherheitskräfte richteten ihre harmlosen Projektilwaffen auf ihn, während Cau Thon langsam zur Gruppe ging. Als er vor den Despairs stand, nahm er seine Kutte ab.
Er registrierte, dass sie seinem Caritstab mit den Knochenverzierungen besondere Aufmerksamkeit schenkten. Sanft legte Cau Thon den Stab gegen eines der Fortbewegungsvehikel und fuhr mit der Hand darüber.
Cau Thon schwieg. Offenbar war es seinen Gegenübern peinlich. Schließlich brach Luratz Jomahr die Stille.
»Sei willkommen, Fremder! Wer bist du?«
»Ein Reisender«, antwortete Cau Thon mit seiner heiseren Stimme. »Mein Name ist Cau Thon. Ich bin Forscher, der die Wunder des Universums erkundet.«
»Von welchem Volk stammst du? Du kommst nicht aus der Milchstraße?«, fragte Selina Despair.
Ihr Mann blickte sie säuerlich an. Offensichtlich wollte er dieselbe Frage stellen.
Da war sie also! Die Mutter eines zukünftigen Sohnes des Chaos. Cau Thon musterte sie, blickte tief in ihre blauen Augen. Er spürte nun ihr Unbehagen. Doch die Angst ihres Mannes war weitaus größer. Ein erbärmliches Abbild eines Mannes.
Sie alle strotzten nur so vor Furcht. Selina auch, doch sie ließ es sich zumindest nicht so offenkundig anmerken.
»Ihr kennt mein Volk nicht, denn es stammt nicht aus dieser Galaxie.«
Ron Horace musterte Cau Thon eindringlich. Er schien ihm sehr zu misstrauen. Der hochgewachsene Terraner mit dem Stoppelbart tat recht daran, doch er würde ihn auch nicht aufhalten können.
»Doch warum bist du hier? Dieser Planet liegt abgelegen. Für einen Reisenden gibt es sicher lukrativere Orte in der Milchstraße «, meinte Ivan Despair leicht provokant.
Soviel Mut hatte er ihm nicht zugetraut.
»Es kommt immer darauf an, was man sucht ...«
Nun mischte sich wieder Jomahr ein, dem dieses Gespräch offenkundig unangenehm war.
»Cau Thon, sei unser Gast. Es werden immer mehr Außerirdische, die unseren Planeten beehren. Wenn das so weiter geht, werden wir eine bedeutende Rolle in der Milchstraße erlangen«, scherzte der Präsident und deutete in Richtung eines ihrer archaischen Fortbewegungsmittel.
Cau Thon nickte langsam und nahm seinen Stab wieder an sich. Auch die Despairs und Ron Horace gingen zu dem Auto.
»Neles ist von kosmischer Bedeutung ...«, murmelte Cau Thon zu sich selbst, bevor er in das Fahrzeug stieg.
*
Die Fahrt mit so einem Vehikel war unbequem und langsam, aber auf eine gewisse Art und Weise interessant. Die Berührung mit dem Boden durch die Räder gefiel Cau Thon.
Sie erreichten ein Hotel. Dort gab es ein Willkommensbankett für ihn. Der Sohn des Chaos ließ es sich schmecken und genoss die Gastfreundschaft und Zerstreuung. Bald war er wieder alleine mit den schweigenden Zievohnen auf der KARAN, die kaum redeten und erst recht keine Geselligkeit kannten.
Die Presse war bei diesem Dinner nicht zugelassen. Nur einige ranghohe Politiker, Wissenschaftler und die Cameloter natürlich. Darvynia, Eddie Alaban und Doktor Honorius Breank gesellten sich zu ihnen. Die anderen beiden Cameloter befanden sich demnach auf der HAWKING.
Der alte Alaban starrte Cau Thon seltsam an. Bei ihm spürte der Sohn des Chaos besonders viel Furcht. Alaban hielt ein Buch dicht an sich gepresst und starrte immer wieder auf die Tätowierungen auf Cau Thons Stirn.
»Aus welcher Galaxis kommst du?«, wollte Horace wissen.
»Meine Heimatgalaxis ist sehr weit entfernt. Ihr könntet die Entfernung nicht verstehen.«
»Willst du damit sagen, wir sind zu dumm?«
Horace blickte Thon verständnislos an.
»Nein! Vom technologischen Stand seid ihr meiner Gesellschaft untergeordnet. Behauptet ihr, die Neleser wären dümmer, nur weil ihr ihnen technisch überlegen seid?«
Jomahr verfolgte das Gespräch interessiert und wartete in offensichtlicher Neugierde auf eine Antwort.
»Natürlich nicht!«, sagte der Plophoser leise.
»Dann wäre das geklärt.«
Cau Thon spürte nicht mehr das Bedürfnis, sich mit Ron Horace weiter zu unterhalten.
Ivan und Selina Despair wollten jedoch mehr über ihn erfahren.
»Erzähle uns von deinen Reisen«, schlug Ivan vor. »Wir Galaktiker sind auch weit herumgekommen. Vielleicht können wir unser Wissen ergänzen.«
Cau Thon sah zu ihm herüber.
»Wenn die Zeit dazu reif ist ...« Sein Augenmerk fiel nun auf Selina, die immer unruhiger wurde. »Fehlt dir etwas, Selina Despair?«
Selina war bleich im Gesicht.
»Ich fühle mich nicht so gut«, erklärte sie.
»Schatz, ich bringe dich nach Hause«, sagte ihr Mann fürsorglich.
Er erklärte, es könne sich um Nachwirkungen des Strahlungsunfalls handeln.
Cau Thon stand auf und schritt auf das Ehepaar zu.
»Habt keine Furcht, sie unterliegt einem natürlichen Prozess!«
Er legte seine Hand auf ihren Bauch und schloss die Augen.
»Ja, ich bin im sechsten Monat schwanger. Tragen die Frauen deines Volkes auch ihre Kinder auf diesem Weg aus?«
Cau Thon lächelte und nickte.
»Doch dein Kind ist gefährdet. Du wurdest einer hohen Dosis Radioaktivität ausgesetzt. Ich fühle, dass etwas nicht stimmt.«
Selina und Ivan blickten sich entsetzt an.
»Doktor Breank hat gesagt, alles wäre in Ordnung.«
»Mein Volk hat den nuklearen Holocaust erlebt. Wir wissen nur zu gut von versteckten Langzeitschäden und haben Technologien entwickelt, um das Zellgewebe und die DNS zu reparieren. Wir haben diese Technik an Bord meines Raumschiffes. Erlaubt ihr eine Untersuchung?«
Selina und Ivan wirkten ratlos. Sie blickten zu Doktor Breank.
»Ich habe keine Mutationen festgestellt. Aber eine zweite Diagnose kann nicht schaden. Die Medostation der HAWKING ist nicht Mimas.«
Der Terraner mit dem lockigem, kurzem Haar und den Tränensäcken unter den Augen zuckte hin und wieder mit seinen Sehorganen. Cau Thon fand das amüsant, doch er lachte natürlich nicht. Ernst blickte er Selina an.
»Ich weiß nicht so recht. Was meinst du, Ivan? Es kann doch nicht schaden? Unser Kind soll doch gesund aufwachsen.«
Ivan Despair schien mit sich zu kämpfen. Er misstraute Cau Thon natürlich.
»Ich bin dagegen«, mischte sich Eddie Alaban ein. »Wenn es Gottes Wille ist, wird der kleine Despair gesund zur Welt kommen. Außerdem …«
»Ja?«, fragte Cau Thon erwartungsvoll.
»Sie tragen das Mal des Teufels. In meiner Religion bedeutet die Zahl 666 großes Unheil.«
»Sie haben viel Fantasie, Eddie Alaban.«
»Ich glaube nicht an diesen Mumpitz«, sprach Ron Horace und stellte sich demonstrativ vor Cau Thon. »Doch ich traue Ihnen nicht, Rothaut! Sie wird nicht auf Ihr Raumschiff gehen. Das ist zu gefährlich.«
Cau Thon lachte.
»Wir könnten ein Labor auch in diesem Hotel einrichten. Es bedarf nur Ihrer Erlaubnis, werter Jomahr und natürlich Ihres Einverständnisses, Selina. Ihr Arzt kann der Untersuchung beiwohnen.«
Selina sah zu Horace. Dieser verschränkte die Arme vor seiner Brust, musterte Cau Thon einen Moment und gab schließlich seinen Segen. Auch Doktor Breank hatte nichts dagegen. Nun musste die kleine Selina nur noch ihren trostlosen Ehemann überzeugen.
»Wenn es gut läuft, wird Ihr Kind ein Telepath oder Telekinet. Wenn es schlecht läuft, hat er einen Arm, wo andere Menschen ihre Genitalien tragen«, lautete Cau Thons Entscheidungshilfe.
»Also gut«, sagte Ivan Despair schließlich.
»Eine weise Entscheidung«, ermutigte Cau Thon die besorgten Eltern. Denn dadurch hatten alle Beteiligten noch etwas mehr von ihrem Leben. Natürlich sagte er ihnen das nicht.
Die nächste Phase seines Plans hatte begonnen.
*
Vier Zievohnen hatten mit der zweiten Raumfähre die Apparaturen der Medolabors nach Neles gebracht und eingerichtet. Sie wirkten unheimlich auf die Neleser und Cameloter.
Eddie Alaban murmelte ständig irgendwelche Gebete vor sich hin. Er glaubte offenbar, Thon sei ein Abgesandter des Teufels. Der Gute hatte Menschenkenntnis.
Selina Despair legte sich in eine Röhre. Die Zievohnen begannen ihre Untersuchungen. Doktor Breank assistierte ihnen dabei. Er war vollauf begeistert von der Technologie und stellte unzählige Fragen, welche der zievohnische Arzt einsilbig beantwortete. Die Zievohnen waren nach ihrer Musterung auf Lehr’Ar’Modror nicht gewohnt, viel zu reden.
Sie waren jedoch von Cau Thon bestens instruiert worden. So hielt der Zievohne Pykal einen für ihn ungewöhnlichen Monolog.
»Teile der DNS des Ungeborenen sind durch die radioaktive Strahlung beschädigt. Von einer gefahrlosen Geburt ist nicht mehr auszugehen. Das Kind wird missgebildet zur Welt kommen. Die Sterbewahrscheinlichkeit nach der Geburt ist hoch. Die Trägerin wird nur geringfügige dauerhafte Beeinträchtigungen erleiden. Die Behandlung des Arztes hatte hier Erfolg.«
Ein Hologramm der Untersuchung verdeutlichte die Ausführungen von Pykal. Natürlich war das Kind gesund. Doch die Cameloter kauften die Inszenierung ab.
Doktor Breank tat so, als würde er die Ergebnisse nachvollziehen können. Cau Thon bezweifelte, dass er der barymischen Schrift mächtig war. Doch offenbar wollte er nicht als Laie dastehen. Das spielte ihm in die Karten.
»Der Eingriff zur Rekonstruierung und Reparatur des Zellmaterials dauert nicht lange. Es ist ein Routineeingriff«, erklärte Pykal.
Ivan Despair befand sich ebenfalls in der Medostation. In einer rührenden Geste nahm er Selinas Hand. Beide weinten und hatten große Angst um ihr Kind.
»Doktor?«, fragte Ivan.
Breank setzte nun seine terranische Medizintechnik ein. Offenbar wollte er eine zweite Untersuchung durchführen. Sollte er nur. Seine Geräte waren manipuliert. Cau Thons Virus an Bord der HAWKING hatte auch die Apparaturen der Medostation befallen. Der Sohn des Chaos hatte daran gedacht, dass Breank die Ergebnisse noch einmal bestätigen wollte. Die Diagnose stand im Voraus fest. Sein Untersuchungsgerät war von dem Virus darauf programmiert, die Zievohnen zu bestätigen.
Zwar schätzte Cau Thon die Despairs und auch Breank so ein, dass sie letztlich den Zievohnen vertrauten, weil ihre Unsicherheit zu groß war, doch eine Bestätigung sorgte für weniger Misstrauen.
»Die Analyse ergibt tatsächlich Schäden in der Genetik des Kindes. Das war vor einem Monat noch nicht festzustellen. Es hat sich rasant verschlechtert. Die Zievohnen haben recht. Euer Kind ist stark gefährdet«, erklärte Breank.
Ivan blickte zu seiner Frau. Tränen kullerten über ihre Wangen. Dann nickte sie.
»Er soll mein Baby retten!«
Despair ging zu Cau Thon.
»Ich freue mich seit Monaten auf die Geburt unseres Kindes. Ich will es aufwachsen sehen. Mit ihm spielen, bei den Hausaufgaben helfen, ihn bei seinem ersten Flug in den Weltraum begleiten.«
Er weinte.
»Ich … kenne …«
Despair wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und atmete tief durch. Cau Thon fand das Gehabe dieses Menschen erbärmlich.
»Ich kenne Sie erst ein paar Stunden, doch wenn Sie mein Baby gesund machen, haben Sie einen Freund fürs Leben. Ich wäre Ihnen ewig dankbar! Bitte, retten Sie unser Kind!«
Mühsam zwang sich Cau Thon, beruhigend zu lächeln.
»Aber natürlich. Pykal, hilf ihnen!«
Der Zievohne ging zum Interface der Röhre und begann nun mit dem eigentlichen Prozess der DNS-Veränderung. Diese Narren ahnten nicht, dass nun die wichtigste Phase begann.
Rodrom hatte Cau Thon das Erbgut gegeben. Anhand dieser Vorlage wurde die Zellstruktur des Kindes nach dem Befehl von Rodrom verändert. Die Weichen für den neuen Sohn des Chaos waren gestellt.
»Es ist vollbracht«, sagte Pykal knapp.
Ivan und Selina lachten laut und umarmten sich. Auch Doktor Breank stimmte herzlich ein. Alle waren sie glücklich, obwohl sie nichts weiter als unwissende Narren waren.
»Oh, seht doch die Diagnose«, rief Cau Thon in gespielter Überraschung. »Darf ich Ihnen das Geschlecht mitteilen?«
»Ja, natürlich!«
»Es wird ein Junge.«
Selina flüsterte ihrem Ehemann etwas ins Ohr. Er sah sie kurz überrascht an, dann nickte er.
»Mister Thon, wir haben einen Namen für unseren Sohn. Sie haben sein Leben gerettet. Er soll Cauthon heißen,
Cauthon Despair!«