14.
Konfrontation

Logbuch Ivan Despair

14. November 1264 NGZ

Honorius Breank war tot! Ein schrecklicher Unfall hatte sich ereignet. Ein Defekt im Antigravschacht hatte ihn getötet.

War es eine Fehlfunktion gewesen oder steckten möglicherweise die arkonidischen Agenten dahinter?

Wir wussten es nicht und fühlten uns auf Neles nicht mehr sicher. Auf der HAWKING waren wir vielleicht auch nicht sicher. Doch sie brachte uns immerhin Camelot näher. Wir mussten vorsichtig vorgehen und die Kampfroboter einsetzen, damit wir den Flug unbeschadet überstehen würden.

Selina drängte mich dazu – und ich hatte ebenso Angst um sie und unser Kind. Die Arkoniden wollten uns ermorden. Wir mussten hier weg und konnten nicht mehr auf die Ankunft von Atlan warten.

Die Entscheidung stand fest: Wir reisten noch heute ab. Vülitaar Öckgüühn und Dytch waren informiert. Sie sollten noch einmal alle Einstellungen an Bord überprüfen, während wir die Camelotniederlassung räumten.

Drei MODULA War-Type Roboter sicherten unsere Arbeit, während vier weitere Arbeitsroboter die Station ausräumten. Mir tat der Abschied weh, doch wir hatten keine andere Wahl.

Ich informierte den Präsidenten der Weltorganisation telefonisch über unsere Abreise und mahnte zur Vorsicht vor anderen Außerirdischen. Wir hatten komplett versagt und ich spürte die Überraschung und Enttäuschung seitens der Neleser. Wir ließen sie im Stich, ebneten womöglich den Weg für die Arkoniden oder das Forum Raglund. Vielleicht steckte auch die LFT dahinter? Wer wusste das schon? Schon unter Buddcio Grigor und seinem Nachfolger Medros Eavan hatte sich die LFT sehr zum Nachteil verändert.

Die LFT musste stärker und besser dastehen, als das Kristallimperium. Der im Jahre 1262 NGZ unter Eavan gegründete Terranische Ligadienst war vermutlich die gelbrotblaue Fassung der arkonidischen Tu-Ra-Cel und pfiff genauso auf die Rechte der Wesen der Milchstraße.

Doch was konnten wir gegen solch eine rücksichtslose Gewalt tun? Hätten wir Spezialagenten und bewaffnete Truppen nach Neles schicken sollen? Wir wollten sie doch nicht besetzen. Die Gewalt der ach so hoch zivilisierten Mächte der Milchstraße hatte gewonnen.

Chapeau, du totes Galaktikum! Ein Hoch auf die Rücksichtslosigkeit der galaktischen Völkergemeinschaft. Schon bald würden skrupellose Geschäftsmänner der LFT, Geheimagenten des Forum Raglund und Soldaten des Kristallimperiums über Neles herfallen und den Nelesern ihre Freiheit und Unabhängigkeit nehmen.

Wir hatten versagt. Wie konnte ich Perry Rhodan nur unter die Augen treten? Ich wusste, dass ich auch Neles niemals wiedersah. Zu groß war die Scham. Doch ich musste an meine Familie denken und durfte Selina und Cauthon keiner weiteren Gefahr mehr aussetzen.

Das war eine Nummer zu groß für mich.

*

Breank war tot. Ribwan hatte ein Funkspruch der HAWKING an die Station auf Neles abgefangen. Cau Thon hatte den nächsten Cameloter erledigt. Nun wollten die Wissenschaftler abreisen, doch Arib’Dar befürchtete, dass der Sohn des Chaos das nicht zuließ.

Prot’Gar überprüfte stumm seine Ausrüstung. Arib’Dar hatte seinen Freund selten so schweigsam, wie in diesen Tagen erlebt. Wie alle an Bord der TERSAL quälte sich sein elarischer Mistreiter mit den Konsequenzen ihres Handelns.

Sie ignorierten ihren Auftrag, Cauthon Despair zu ermorden. Sie brachten damit ihren Ritterorden und auch die Völker der Galaxis Shagor in große Gefahr – und wer wusste schon, welche Auswirkungen ihre Befehlsverweigerung für die Milchstraße hatte?

Doch sie waren keine Assassinen, die stur einen Tötungsbefehl ausführten. Schon gar nicht, da es sich um ein Kind handelte. Sie hatten den Zeitpunkt längst verpasst. Vor der Geburt wäre es vielleicht möglich gewesen, sich selbst moralisch glaubwürdige Ausreden einzureden. Doch nun, wo sie das lebende, atmende kleine Wesen gesehen hatten, war es unmöglich, es zu töten.

Damit schadeten sie ihrem eigenen Orden, glaubten jedoch richtig zu handeln. Ein Mord an einem unschuldigen Baby war nicht zu rechtfertigen. Es musste eine andere Lösung geben.

Sie hatten diese auch gefunden. Cau Thon! Er hatte vermutlich eine genetische Manipulation an dem Kind durchgeführt. Er hockte wie eine Glucke über den Despairs und war körperlich und mental stark genug, um Eddie Alaban und Ron Horace zu liquidieren.

Und doch wussten sie nicht, was seine Absichten waren. Wer war sein Auftraggeber? War Cau Thon eine Art Geburtshelfer für die Söhne des Chaos? Und noch immer wussten sie nicht, was überhaupt ein Sohn des Chaos war.

Cau Thon hatte vermutlich die Antworten. Setzten sie Cau Thon fest, war das Problem gelöst.

Die Cameloter würden ihn jedoch nicht freiwillig ausliefern. Sie würden Arib’Dar, Prot’Gar und den beiden Orbitern keinen Glauben schenken. Cau Thon befand sich jedoch ständig in der Nähe der Cameloter. Sie mussten auf Konfrontation gehen.

»Ribwan, Ifrukar, kommt einmal her!«, bat Prot’Gar, während er seinen Gürtel zurechtrückte und die technischen Einstellungen daran überprüfte.

Der Ghannakke und der Katrone folgten der Bitte des Ritters. Sie setzten sich neben Prot’Gar und Arib’Dar.

»Wir wissen viel zu wenig über Cau Thon, doch ich weiß, dass wir ihn nicht unterschätzen dürfen. Deshalb müssen wir alle vier gegen ihn kämpfen. Wenn alles glatt läuft, schnappen wir ihn und verhören ihn. Wenn alles schief geht, dann …«

Prot’Gar schwieg betreten.

»Dann haben wir die Cameloter und Cau Thon als Feind«, folgerte Ribwan.

»Wir haben alle Möglichkeiten bereits durchgesprochen. Überprüft eure Waffen, dann brechen wir auf.«

Die Zeit des Redens war vorbei, fand Arib’Dar. Sie mussten handeln. Er wollte es so. Je eher das vorbei war, desto besser. Er sehnte sich nach dem Dom der Ritter der Tiefe zurück. Er vermisste sein Haus auf dem Berg, von wo aus er in das Tal mit dem Dom blicken konnte. Ihm fehlte das Rauschen des Baches, der friedlich zu dem kleinen See neben dem Dom den Abhang hinunter plätscherte.

Möglich, dass diese Sentimentalität daher rührte, dass er sich so unwohl in dieser Situation auf Neles fühlte.

Nachdem seine drei Mitstreiter ihre Ausrüstung überprüft hatten, verließen sie die TERSAL.

Ihr Ziel war die Station der Cameloter.

*

Die Nacht war schwül.

Ifrukar und Ribwan stöhnten unter dem unangenehmen Wetter. Arib’Dar schossen andere Gedanken durch den Kopf. Sie parkten den Gleiter abseits an einer Lichtung.

Es waren zweihundert Meter Fußweg zum Gebäude der Cameloter. Auf dem Ortungsgerät wurden die Impulse von drei Lebewesen sowie die Energiesignaturen von sieben Robotern angezeigt.

Cau Thon war offenbar nicht unter ihnen, sofern er kein Tarnfeld aktiviert hatte. Dann rechnete er mit der Ankunft der Ritter und ihrer Orbiter. Sie mussten vorsichtig sein.

»Ihr bleibt zurück«, entschied Arib’Dar.

Langsam ging er den sandigen Weg zur Niederlassung der Cameloter hinauf. Die leuchtenden Roboter waren bereits von weitem zu erkennen. Ein Kampfroboter bemerkte Arib’Dar und schwebte auf ihn zu.

»Ich komme in Frieden und wünsche Ivan und Selina Despair zu sprechen«, bat Arib’Dar und hob die Hände.

Da erkannte er, dass der Roboter bereits seinen Waffenarm hob. Ohne zu zögern, aktivierte Arib’Dar seinen Individualschutzschirm. Da traf ihn schon eine Salve. Der Schutzschirm absorbierte den Schuss. Der Ritter zog sein Caritschwert und schlug auf den Waffenarm, doch der Schutzschirm verhinderte einen Schaden. Arib’Dar zückte seinen Strahler und brachte durch Dauerbeschuss den Schutzschirm zum Erliegen. Der nächste Schuss vernichtete den Kampfroboter.

Zwei weitere Roboter dieser Serie schwebten an. Arib’Dar rief um Hilfe. Innerhalb weniger Sekunden tauchten Prot’Gar, Ribwan und Ifrukar auf. Sie feuerten auf die zwei Kampfroboter der Cameloter.

Es führte kein Weg vorbei, sie zu zerstören. Wieso sie erst schossen und dann fragten, wusste Arib’Dar nicht. Hatten die Cameloter solche Angst vor ihnen? Gab es keine Robotergesetze, die die Ermordung von Lebewesen verbot? Natürlich gab es Programmierungen gegen solche Einstellungen. Und Kampfroboter wurden natürlich auch in der Regel zum kämpfen eingesetzt. Aber das passte doch nicht zu den angeblich so friedlichen Einstellung der Wissenschaftler von Camelot.

Nach wenigen Sekunden des Gefechts, hatten sich die Kampfroboter zurückgezogen. Es herrschte Waffenruhe.

Arib’Dar schlich sich in Richtung des Gebäudes. Er wusste, dass der Transmitter im Nebengebäude links von ihm stand. Die Cameloter mussten also durch den Hof. Deshalb sicherten die Kampfroboter offenbar den Weg.

»Despair, ich will mit Ihnen reden. Wir wollen euch nichts tun, doch der Roboter hat zuerst das Feuer eröffnet. Ihr befindet euch in großer Gefahr. Cau Thon ist euer Feind!«

»Du lügst! Ich seid unsere Feinde, Arkoniden oder woher auch immer ihr kommt.«

»Wir kommen nicht aus eurer Galaxis. Wir arbeiten für die Kosmokraten. Wir sollen die Ankunft und das Wirken eines Sohnes des Chaos verhindern. Leider … leider hat das etwas mit euch zu tun.«

Stille.

»Wir glauben euch nicht. Verschwindet!«, rief Ivan Despair. Arib’Dar hatte die Stimme inzwischen erkannt.

»Das tun wir, jedoch erst, wenn ihr auf eurem Raumschiff seid. Wir wissen, dass ihr misstrauisch seid, doch wir können euch nicht Cau Thon überlassen. Er will euch alle töten.«

»Lachhaft! Er wusste, dass ihr heute angreift. Deshalb haben wir die Roboter auch in Alarmbereitschaft versetzt.«

Wieso waren die Cameloter nur so verbohrt? Wie konnte Arib’Dar sie nur überzeugen? Er wechselte einen Blick mit Prot’Gar. Der Elare schien ebenso ratlos zu sein.

»Wo ist Cau Thon?«, wollte Prot’Gar wissen.

»Hier!«

Instinktiv drehte sich Arib’Dar um. Hinter Ifrukar tauchte ein blaugraues Flimmern auf. Es formte sich in Bruchteilen einer Sekunde zu Cau Thon zusammen. Bevor Arib’Dar seinen Orbiter warnen konnte, wuchtete Cau Thon seinen Caritstab durch den Rücken des Ghannakken. Die Spitze bohrte sich durch die Brust.

Arib’Dar war hilflos. Er musste zusehen, wie sein Orbiter starb.

»Vorsicht«, brüllte Prot’Gar.

Nun griffen die beiden Kampfroboter wieder an. Arib’Dar kümmerte das nicht, er stürzte sich auf Cau Thon. Dieser zog seinen Caritstab hoch und halbierte den Ghannakken. Arib’Dar blickte angewidert weg – ein grober Fehler, denn Cau Thon huschte an ihm vorbei und schlug zu. Der Ritter parierte mit Mühe.

Prot’Gar und Ribwan waren mit den Robotern beschäftigt, während Arib’Dar über die Wucht und das Geschick von Cau Thons Attacken überrascht war. Er war zu schnell außer Atem. Schweiß ronn über seine Stirn, die Knie wurden zittrig. Der Sohn des Chaos drängte ihn mehr und mehr zurück. Endlich gelang Arib’Dar ein Konter. Er duckte sich unter einem Hieb weg und wirbelte das Schwert umher. Dabei traf er Cau Thon an der Seite. Der Rote fiel zu Boden und rollte sich behände weg.

Arib’Dar sah nun, dass die Despairs und Darvynia in den Transmitterraum eilten. Möglich, dass sie in ihr Verderben rannten.

Wo war Cau Thon? Er war im Dunkel der Nacht verschwunden. Arib’Dar half Prot’Gar.

Gemeinsam zerstörten sie einen der Kampfroboter. Der zweite schoss aus einer Deckung in der Nähe des Transmittergebäudes auf sie.

»Wir kesseln ihn ein. Ribwan, du schießt von hier aus. Prot‘Gar geht links, ich rechts.«

Der Orbiter gab ihnen Feuerschutz. Arib’Dar wählte die rechte Seite, weil er dort Cau Thon vermutete. Er lief so schnell er konnte und erreichte die Hausmauer der Camelotniederlassung. Er war völlig außer Atem und zitterte. Er musste sich jetzt zusammenreißen! Sein Körper musste seinem Willen gehorchen. Nur so hatten sie eine Chance.

Da hörte er schon einen Schrei. Er blickte zurück.

Cau Thon war bei Ribwan. Immer wieder stach er auf den Katronen ein.

»Nein«, brüllte Prot’Gar und schnellte aus seiner Deckung.

Er wollte Ribwan retten, doch es war zu spät.

Der Kampfroboter!

Arib’Dar zog seinen Strahler und feuerte, doch schon prasselten die Energiesalven in Richtung Prot’Gar. Sein Freund und Rittergefährte brach zusammen. Arib’Dar stürmte auf den Kampfroboter zu. Endlich flackerte der Schutzschirm, dann erlosch das Schild. Nach dem nächsten Schuss zerbarst das Metall in gleißendem Licht.

Arib’Dar hatte keine Zeit, um sich auszuruhen. Er rannte zu Prot’Gar. Der Elare lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Aus dem Hinterkopf qualmte es leicht. Arib’Dar wurde übel bei dem Geruch von verbranntem Fleisch. Der Anblick des versengten Kopfes, von verschmortem Haar und das kauterisierte Loch im Hinterkopf würde Arib’Dar niemals in seinem Leben vergessen.

Prot’Gar war tot!

Arib’Dar sackte auf die Knie und war verzweifelt. Was war nur geschehen? Wieso war alles schief gelaufen?

Warum hatte Ifrukar nicht seinen Individualschutzschirm aktiviert?

Weshalb hatte er selbst nicht mit der Rückkehr Cau Thons bei Ribwan gerechnet?

Und wieso war Prot’Gar so ungestüm zur Rettung seines Orbiters gelaufen?

»Dieser Katrone war ein imposantes Geschöpf. Doch er war kein Krieger. Du hast eine Armee von Schwächlingen gegen mich ins Feld geschickt. Wahrlich, ihr seid keine echten Ritter der Tiefe«, sagte Cau Thon ruhig.

»Ich habe einmal einen echten Ritter der Tiefe getroffen. Er war ein guter Gegner. Nun ist er tot und ich habe sein Raumschiff. Vielleicht sollte ich dein Schiff meiner Sammlung hinzufügen?«

Arib’Dar stand mechanisch auf und umklammerte den Knauf seines Caritschwertes.

»Niemals!«, sagte er, obwohl er im Moment eigentlich gar nichts fühlte. Er war leer. Nicht einmal Wut verspürte er auf Cau Thon. Dazu war er zu schwach. Ausgebrannt!

Sollte Cau Thon ihn doch töten!

Er hatte versagt. Arib’Dar hatte den Kosmokraten SIPUSTOV enttäuscht und seine Freunde sterben lassen. Er hatte Schande über den Ritterorden von Shagor gebracht. Sein Tod war nur die gerechte Strafe. Cau Thon zückte einen Strahler und feuerte. Arib’Dar ließ es mit sich geschehen. Der Energiestrahl umhüllte ihn. Die Beine wurden schwach und er fiel zu Boden.

Aber er lebte.

Paralyse! Cau Thon hatte ihn gelähmt.

»Nun, mein lieber Möchtegernritter der Tiefe, auf mich warten andere Aufgaben. Wir sehen uns bestimmt wieder. Ich lasse dich allein mit deiner Trauer und den Vorwürfen. Der Schmach … und viel Spaß, das den Kosmokraten zu erklären. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie verständnisvoll die sind …«

Cau Thon tätschelte Arib’Dars Kopf, dann ging er fort. Cau Thon hatte die schlimmste Strafe für Arib’Dar gewählt.

Er hatte ihn am Leben gelassen.