Arib’Dar war der Mord an den beiden Camelotern nicht verborgen geblieben. Er wusste, dass dieser geheimnisvolle Cau Thon dahinter steckte. Nur er kam dafür infrage.
Vielleicht hätte Arib’Dar nicht Eddie Alaban aufsuchen sollen. Vermutlich wäre der Mann dann noch am Leben. Doch der Ritter hatte das Misstrauen von Alaban gegenüber Cau Thon bemerkt und ihn als empfänglich für ein Gespräch eingestuft. Alaban hatte ihnen zugehört, doch dann hatte er einen Fehler begangen und hatte Cau Thon offenbar mit seinen Verdacht konfrontiert.
Der Ritter der Tiefe hatte sich mit Prot’Gar und den beiden Orbitern beraten. Was sollten sie nun tun? Ihr Auftrag war die Liquidierung eines Babys. War das wirklich die einzige Möglichkeit? Sein Magen zog sich in Krämpfen zusammen, als er an die Ausführung dachte.
Der kleine Cauthon Despair war ein unschuldiges Kind. Was konnte er denn dafür, wenn er womöglich zum Spielball kosmischer Mächte wurde? Hatten die Ritter der Tiefe aus Shagor das Recht, eine Familie zu vernichten?
Das entsprach nicht ihrem Ehrenkodex. Auch wenn eine Bestrafung durch den Kosmokraten SIPUSTOV drohte, so fühlte sich Arib’Dar in diesen Tagen tiefer mit den Prinzipien von Jedar Balar verbunden, als es jemals zuvor der Fall gewesen war.
Ihre Aufgabe war es, für Frieden und Ordnung zu sorgen. Assassinen der Kosmokraten waren sie nicht. Deshalb hatte sich Jedar Balar vor 90.000 Jahren von den Rittern der Tiefe losgesagt. Er hatte kein Handlanger der Kosmokraten sein wollen.
»Was machen wir nun?«, fragte Prot’Gar schließlich und unterbrach die schier endlos andauernde Stille.
Arib’Dar seufzte. Die beiden Orbiter starrten auf den Boden und trauten sich nicht einmal, sich zu bewegen. Er wusste, was sie dachten. Sie hatten Angst, er ordnete nun die Eliminierung des Kindes an.
Arib’Dar hatte seine Entscheidung gefällt.
»Cau Thon will offenbar aufräumen. Das klingt logisch nach chaotischer Sichtweise. Wenn der Junge in einem behütetem Elternhaus mit Liebe aufwächst, wird er vermutlich nicht so empfänglich für die finstere Ideologie der Chaotarchen sein.«
»Also, was machen wir? Helfen wir Cau Thon und erledigen zum Schluss den Säugling oder …?«
Prot’Gar kaute auf seiner Lippe. Was hatten sie sich nur dabei gedacht, diese Mission anzunehmen?
»Nein, wir werden das Kind nicht töten. Der einzige, den wir töten, ist dieser Cau Thon. Wir reden mit den Despairs und überzeugen sie davon, dass wir auf ihrer Seite stehen.«
»Und wie, Herr Ritter? Wenn wir ihnen die Wahrheit sagen, vertrauen die uns bestimmt nicht«, wandte Ribwan ein und schüttelte sein mächtiges Haupt. Sein Rüssel schwankte dabei mehrmals von links nach rechts.
»Mein Orbiter hat recht. Wir sollten den Kontakt mit den Camelotern meiden. Entweder wir führen unseren Befehl aus und töten den kleinen Cauthon Despair oder wir erledigen Cau Thon und hoffen, dass damit die Gefahr abgewendet ist. Wofür wir jedoch keine Garantie haben.«
Niemand vermochte in die Zukunft zu blicken. Wer sagte denn, dass aus Cauthon ein Sohn des Chaos wurde? Und selbst wenn, es gab viele Anhänger des Chaos im Universum. Welche Rolle spielte da wohl einer mehr?
Am liebsten wäre Arib’Dar sofort nach Shagor zurückgekehrt, doch eines hielt ihn auf der Welt Neles.
Er konnte und wollte nicht zulassen, dass die unschuldigen Cameloter ihr Leben verloren.
Logbucheintrag Selina Despair
13. November 1264 NGZ
Cau Thon suchte uns in diesen traurigen Tagen auf und kondolierte zum Ableben von Eddie und Ron. Doch es war kein reiner Anstandsbesuch. Cau Thon berichtete, er hätte Nachforschungen über die vier Fremden angestellt.
Er legte uns Dokumente vor. Eine ganze Reihe an Daten, technische Messungen, Codierungen und so einen Kram. Ivan sah sie sich durch und konnte nicht fassen, was er da sah.
Diese vier Wesen waren offenbar Agenten des Kristallimperiums Arkon. Sie hatten chiffrierte Nachrichten versendet, deren Entschlüsselung in Satron erfolgte.
Ihr Anführer war ein Ara. Das passte zu dem spitzen Kopf. Der Elefantenmann gehörte einem umweltangepassten Kolonialvolk der Unither an. Es gab so viele Rassen in der Milchstraße und ich kannte sie natürlich nicht alle.
Cau Thon hatte mit seiner Technologie die Befehle des arkonidischen Geheimdienstes entschlüsselt. Sie lauteten simpel: Destabilisierung des Bündnisses zwischen Camelot und Neles – zur Not gewaltsame Terminierung der gegnerischen Wissenschaftler.
Cau Thon vermutete, dass Eddie und Ron die Fremden beobachtet hatten und auf ihr Treiben aufmerksam geworden waren. Das passte in das Verhalten der beiden vor ihrem Tod. Beide hatten sich bedeckt gegeben und Eddie hatte mir einen Tag vor seinem Tod selbst erklärt, dass er an etwas dran war. Was es war, wollte er mir erst sagen, wenn er Beweise hatte.
Ich hatte Angst! Was war, wenn diese Spione auch uns umbringen wollten? Wie lange waren wir auf Neles noch sicher? Wann endlich würde Atlan mit der RICO eintreffen?
Ich bat Cau Thon, uns zu beschützen. Ich wusste, dass Ivan damit nicht glücklich war, doch ich vertraute dem Rothäutigen. Er hatte mein Leben und das von Cauthi gerettet. Er war der Pate meines Kindes. Ja, ich vertraute ihm.
Darvynia bestärkte mich darin. Sie hatte regelrecht einen Narren an Cau Thon gefressen. Es überraschte und entsetzte mich ein wenig, dass sie so kurz nach dem Tod von Ron unverblümt über die Attraktivität von Cau sprach.
Vielleicht war es nur eine Abwehrreaktion, um den Tod von Ron nicht an sich heranzulassen.
Wir hielten uns ausschließlich in unserer Station auf. Ich hatte viel zu große Angst, mich in den Straßen der Stadt Effysit zu bewegen. Honorius und Ivan wollten später kurz in die Stadt, um Besorgungen zu erledigen. Ich vermutete, Breank brauchte eine Flasche Wein, denn er hatte seinen Vorrat bereits leer gesoffen. Wie konnte er angesichts dieser Ereignisse an so etwas profanes wie Alkohol denken? Ich hatte Ivan meine Bedenken geäußert, doch Ivan war der Ansicht, zu zweit würde ihnen nichts geschehen. Vielleicht fiel Honorius auch nur die Decke auf den Kopf. Jeder ging anders mit dem Tod unserer beiden Freunde um.
Am liebsten wäre ich mit Cauthon auf die HAWKING gegangen. Doch die HAWKING war ein Forschungsraumschiff und kein Kriegsschiff. Wenn diese arkonidischen Spione über die nötigen Waffen verfügten, konnten sie die HAWKING vermutlich zerstören.
Doch hätten sie es dann nicht schon längst getan? Ich wusste es nicht, war ratlos und unruhig. Wenn wir jetzt nach Camelot flohen, hatten die Arkoniden doch ihr Ziel erreicht. Sie destabilisierten dann in aller Ruhe das Vertrauen zwischen uns und den Nelesern.
Ich hatte Ivan gebeten, mit den Nelesern zu sprechen, doch er lehnte es kategorisch ab. Er wollte nicht, dass sie Machtkämpfe zwischen zwei rivalisierenden Machtblöcken der Milchstraße mitbekamen. Was hatten wir nur getan? Wir trugen die gegenseitigen Ressentiments auf dem Boden der Neleser aus. Genau das wollten wir doch vermeiden!
Was blieb uns also? Die Flucht oder das endlose Warten auf Entsatz von Camelot. Atlan und seine Spezialisten wussten besser mit solchen Situationen umzugehen. Der unsterbliche Arkonide war vor über 1.000 Jahren der Lordadmiral der USO gewesen.
Mein Herz sagte mir, wir sollten Neles verlassen, auch wenn womöglich unsere Arbeit dadurch umsonst gewesen war. Mein Verstand riet mir, abzuwarten.
Doch ich war eine Mutter. Ich sollte doch auf mein Herz hören, oder?