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Band 116

Rideryon-Zyklus

Brennpunkt Rideryon

Auf dem kosmischen Wunder prallen intergalaktische Interessen aufeinander

Nils Hirseland

Cover

1. Die Stadt in den Wolken

Surrend schnellte die JAYJAY-99 aus dem Hangar der IVANHOE II. Kaum war die 35 Meter durchmessende Space-Jet aus der Hangarbucht geschossen, deaktivierte der Pilot Mathew Wallace den Antigravantrieb und stellte auf das Gravojet-Außenstrom-Triebwerk um. Das Diskusraumschiff überflog die Absturzstelle der IVANHOE II, jenen Platz, an dem der 2500 Meter durchmessende Koloss auf dem Rideryon abgestürzt war. Der SUPREMO-Raumer unter dem Banner der Liga Freier Terraner lag in einem sechs Kilometer breiten Krater. Die Absturzschneise zog sich knapp vierzig Kilometer in die Länge.

Aurec blickte die Gruppe an, die sich in der Jet der CVI-Klasse befand.

Das dunkelblonde Haar des terranischen Piloten war wild, aber es passte zu dem Frauenschwarm und Ersten Offizier der IVANHOE II. Neben ihm saß der Posbi Lorif. Der Wissenschaftsoffizier glänzte silbern, seine seitlich am Kopf montierten Roboteraugen leuchteten rot. Lorif war weit mehr als ein Roboter. Er war eine positronisch-biologische Lebensform, eine Mischung aus einer künstlichen Intelligenz und einem fühlenden, denkenden Lebewesen.

Im Sitz des Kommandanten thronte der Silberne Ritter Cauthon Despair. Der Quarteriumsmarschall wirkte in seiner silbernen Kombination bedrohlich, unnahbar und einschüchternd. Aurec wollte nicht dran glauben, dass das Quarterium plötzlich mit ihnen zusammenarbeiten wollte. Er blieb misstrauisch.

Die Zentrale einer Space-Jet der CVI-Klasse war auf drei Personen ausgelegt. Doch sie hatten sieben weitere Sitzplätze aus Formenergie im Cockpit aufgebaut. Es war etwas kuschelig, um die Enge positiv zu umschreiben, doch für den Flug musste es reichen.

Neben Aurec saß seine geliebte Kathy Scolar. Die brünette Terranerin mit den rehbraunen Augen lächelte ihn an. Das reichte schon aus, um ihn zu beruhigen. All die Strapazen und Abenteuer, um Kathy aus den Klauen der Ylors zu retten, hatten sich gelohnt.

Schräg gegenüber hatte der Chronist Jaaron Jargon Platz genommen. Der Terraner mit linguidischen Wurzeln wirkte wie ein würdevoller, weiser Lehrer mit seinem weißen Haar und Vollbart. Neben ihm starrte die blonde Rideryonin Pyla interessiert aus dem Seitenfenster.

Im hinteren Bereich saßen die Lilim Constance Zaryah Beccash und der Riffmausbiber Kalky. Genaugenommen lag Kalky auf dem Schoß der Entropin, die ihn hinter den Ohren kraulte. Kalky war anders als Gucky. Er war nicht so gepflegt, wirkte verwilderter. Und doch besaß seine Spezies psionische Fähigkeiten und Intelligenz. Kalky war jedoch laut Kathy ein ziemlich versauter Vertreter seines Volkes, der besondere Freude an terranischen Rauschmitteln gewonnen hatte. Constance schien trotzdem ganz zufrieden damit zu sein, den pelzigen Kerl zu streicheln.

Das war die bunt gemischte Crew dieser Mission. Das Ziel des Unternehmens war die Erkundung der umliegenden Region und die Beschaffung von Material zur Reparatur der IVANHOE II.

Wallace verzog die Mundwinkel.

»Eines muss man dem Quarterium lassen: Sie arbeiten schnell und effektiv.«

Aurec betrachtete den Krater. Um ihn herum hatten sich zwei Dutzend Kreuzer der EL CID, dem Flaggschiff des Quarteriums, aufgestellt und die Absturzstelle abgesichert. Die 24 Kreuzer hatten einen rötlichen Paratronschutzschirm um den Krater gespannt. Im Zentrum wurde die Energiekuppel durch den Schutzschirm der IVANHOE II zusätzlich verstärkt.

Auf 11 Uhr öffnete sich eine Strukturlücke im Schirm. Wallace beschleunigte die Jet, jagte für Aurecs Geschmack viel zu schnell durch die Öffnung und katapultierte das Raumschiff in eine Höhe von 5000 Metern. Nachdem sich die JAYJAY-99 von der IVANHOE II entfernt hatte, senkte Wallace das Schiff auf eine Höhe von 300 Metern.

Aurec wollte jede Aufmerksamkeit vermeiden. Je unauffälliger sie sich verhielten, desto besser. Das Rideryon war gewaltig und er wusste nicht einmal, wo genau sie sich auf dem Riff befanden, geschweige denn, wen sie dort stören konnten.

Sato Ambush hatte bei der ersten Expedition eine rudimentäre Karte mit vielen weißen Flecken angefertigt. Darauf griffen sie auch jetzt noch zurück. Die Karte wurde aktualisiert, sobald neue Regionen erkundet waren. Die Absturzstelle der IVANHOE II befand sich also zwischen der Stadt Ajinah im Nordosten und den Grenzländern der Husaaven im Westen.

Sowohl Ajinahstadt als auch die Grenze zur finsteren Region waren Millionen Kilometer entfernt. Man konnte also nicht gerade von direkter Nachbarschaft sprechen. Vor ihnen lag völlig unbekanntes Land.

»Immerhin sind wir einige Millionen Kilometer von den Ylors entfernt«, gab Kathy zu bedenken und kuschelte sich an Aurec.

»Hoffentlich.«

Er war sich nicht so sicher. Selbst wenn die Ylors sie nicht jagten, vermutete er Cau Thon und Goshkan auf dem Riff. Der Tod Rodroms hatte offenbart, dass MODROR und die Ylors in Verbindung standen. Rodrom und Medvecâ waren alte Bekannte gewesen, wie Aurec aus den Erzählungen von Roi Danton herausgehört hatte. Nun, da der Rote Tod selbst den Weg alles Irdischen gegangen war, erschien es nur logisch, dass Cau Thon und Goshkan seine Nachfolger wurden und auf dem Rideryon operierten.

»Ich habe noch niemals so viel Sand gesehen«, staunte Pyla. »Dabei habe ich in letzter Zeit eine Menge davon gesehen. Und Sterne! Besonders die Sterne sind schön. Da wollte ich schon immer hin. Endlich hat sich ein Traum erfüllt.«

Aurec vernahm Jaaron Jargons leises Seufzen. Mathew bat Pyla, sich doch wieder zu den anderen zu setzen. Sie nahm neben dem Silbernen Ritter Platz und zögerte, hatten die beiden doch in letzter Zeit Probleme miteinander gehabt. Dann gab sie sich einen Ruck und blickte ihn aus großen blauen Augen an.

»Wie geht es Ihnen?«

Despairs Kopf bewegte sich in ihre Richtung. Er schwieg. Sicherlich war es schwierig für ihn, dass Pyla ihn ansprach. Roi Danton hatte von Despairs Gefühlen für die Rideryonin berichtet, die jedoch große Schwierigkeiten damit hatte, Despairs Berufung als Sohn des Chaos zu akzeptieren. Offenbar hatte er aber wieder einige Pluspunkte gesammelt, als er den Gestrandeten auf der IVANHOE II half.

»Du magst nicht reden?«, hakte Pyla nach.

»Nicht vor den anderen«, flüsterte Despair.

»Dann nicht«, gab Pyla zurück und schaute wieder aus der Sichtkuppel.

Sie flogen immer noch über eine endlose Wüste. Kalky lag auf einer Bank und schnarchte vor sich hin. Lorif machte Messungen und verglich sie mit den Aufzeichnungen von Sato Ambush. Demnach erstreckte sich die Wüste über mehrere Millionen Kilometer. Unvorstellbar! Es war alles so gewaltig, und doch nur ein Abschnitt der Weltrauminsel. Auf dem Riff mussten mehr Kulturen leben, als dass ein Leben ausreichte, sie kennenzulernen.

»Sieh mal!«

Kathy zeigte nach unten. Riesige nashornähnliche Wesen zogen in einer Herde über die mächtigen Dünen. Sie mussten mindestens zwanzig Meter groß sein. Das passte zu den gigantischen Ausmaßen des Riffs.

Endlich verließen sie die karge Landschaft und überflogen einen großen See. Diesem folgte ein Wald. Die mächtigen Bäume trugen rote und violette Blätter.

»Ich orte erste Siedlungen. Mehrere Städte mit einer Population von einigen zehntausend Wesen«, meldete Lorif.

»Welche Art von Wesen?«, fragte Despair.

»Oh!«

»Was?«, erkundigte sich Aurec unbehaglich.

»Interessant, Sir! Die vorherrschende Spezies in dieser Region sind fischartige Geschöpfe. In den Datenbanken werden sie als Hamamesch eingestuft.«

Aurecs Gesicht drückte Unverständnis aus, doch Lorif war schon dabei, Abhilfe zu schaffen.

»Die Hamamesch sind ein Händlervolk aus der Galaxie Hirdobaan, 118 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt.«

»Fischartig, sagst du?«

»Das ist korrekt. Die Hamamesch sind Fischwesen mit hellgrauer, leicht schuppig wirkender Haut. Sie sind von humanoider Statur und ähneln in der Größe den Terranern. Diese vergleichen den Kopf dieser Spezies mit Karpfen, das sind terranische Fische mit leicht vorgewölbtem, wulstigem Mund sowie vorgewölbten und seitlich angeordneten Augen, die einen Blickwinkel von etwa 240 Grad haben. Dreidimensionales Sehen ist den Hamamesch unmöglich, deshalb richtet sich ihre ganze optische Welt nach dem Reflexionsvermögen der Dinge: Sie schauen auf gleichen Glanz, gleiche Farbe und so weiter.

Auch die Ohren der Hamamesch sind fischartig, es sind Schlitze, die sich wie Kiemen seitlich am Kopf befinden. Sie können durch halb elastische Hautfalten, die wie Klappen funktionieren, verdeckt werden. Sie können über die Stellung dieser Klappen kommunizieren, ähnlich dem Stirnrunzeln oder Grinsen der Humanoiden. An jeder Hand haben die Hamamesch drei klobige Finger«, erklärte Lorif.

»Sonst noch etwas Wissenswertes?«, erkundigte sich Aurec.

»Sie waren im 12. Jahrhundert NGZ für ihre Imprintwaren berüchtigt, die den Käufer süchtig machten.«

»Imprintwaren?«

»An sich wertlose Güter, die für jeden, der einem Imprint ausgesetzt war, einen Schatz bedeuteten. Deswegen konnten die Hamamesch sie gegen wirklich wertvolle Güter eintauschen. Die uns bekannten Hamamesch waren auf diese Tauschgeschäfte mit anderen, weit von ihrer Heimat Hirdobaan entfernt gelegenen Galaxien spezialisiert.«

»Und was war dieser Imprint?«, fragte Aurec weiter.

»Ein speziell auf die jeweilige Lebensform abgestimmter Psionischer Impuls, eine Art Prägung. Damit versehene Waren machten binnen kürzester Zeit süchtig. Sie wurden dann gegen hochwertige Hightech-Waren getauscht. Die Süchtigen, in der Milchstraße Imprint-Outlaws genannt, versuchten mit allen Mitteln, weitere Ware zu bekommen. Danach mussten sie nach Hirdobaan reisen. Dort wurden den Imprint-Süchtigen dann sämtliche Hightech und die Raumschiffe abgenommen.«

Aurec schüttelte den Kopf. »Du schilderst das als vergangen. Was ist passiert?«

»Nun, hinter diesen Machenschaften standen die Maschtaren, das waren besondere Hamamesch, erkennbar unter anderem an den stecknadelkopfgroßen gelben Punkten auf dem Schuppenkleid. Hinter denen stand wiederum der Mächtige Aachthor. Das ist noch gar nicht so lange her. Nur knapp neunzig Jahre sind seit damals vergangen. Perry Rhodan konnte die Situation natürlich lösen«, erklärte Lorif. »Vermutlich wissen diese Hamamesch hier gar nichts von den Ereignissen. Sie sind bestimmt schon viel länger hier.«

»Es bedeutet, dass das Rideryon in Hirdobaan war. Es ist nur die Frage, wann«, bemerkte Despair.

»Uns sind die Aufzeichnungen der letzten 1200 Jahre aus Hirdobaan bekannt. Dort ist nichts erwähnt. Bedenkt man, dass Aachthor und sein Supercomputer Gomasch Endredde, den der Mächtige auf 14 Planeten verteilt hatte, 200.000 Jahre lang in Hirdobaan ansässig waren, könnte es durchaus länger her sein.«

Vermutlich hatte Lorif recht. Diese Hamamesch dürften wenig mit jenen aus Hirdobaan zu tun haben. Vielleicht besaßen sie aber Informationen oder Materialien, was ihnen in der aktuellen Situation helfen könnte. Mit ihnen zu reden schadete wohl nichts. Wallace lokalisierte eine große fliegende Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern unweit von ihnen. Dort tummelte sich vielfältiges Leben. Ideal, um nicht aufzufallen und mehr über das Rideryon herauszufinden. Auf diese – Imprintwaren? – musste man achten, nicht dass es sie hier doch gab.

Innenillustration: Commerza - Schwebende Stadt über Südlichen Dschungeln auf dem Rideryon von Stefan Wepil
Commerza - Schwebende Stadt über Südlichen Dschungeln auf dem Rideryon © Stefan Wepil

Die Stadt der Hamamesch war gewaltig. Sie befand sich einige Kilometer über dem Erdboden. Die Gebäude schossen noch einmal kilometerhoch in den Himmel. Sie waren von der Bauweise eher schlicht und dennoch eindrucksvoll. Die Skyline der Luftstadt wurde von rechteckigen, spitzen und kegelförmigen Gebäuden bestimmt.

Aurec fiel die Flut der Werbung auf. Überall prangten dreidimensionale Werbeschilder, Luftschiffe flogen durch die Stadt und berieselten mit ihren vielfältigen Reklamebotschaften die unendlichen Straßenschluchten. An jedem Gebäude klebten Informationen zu diversen Produkten. Auf ihren Dächern ragten Werbehologramme in den Himmel.

»Nun, offenbar sind die Hamamesch ihrem Grundsatz des Handels treu geblieben«, meinte Kathy.

Wallace landete die Space-Jet auf einer ovalen Landeplattform nahe einem großen Basar, der über der Stadt schwebte. Die Stadt mochte zwar groß sein, aber auch ebenso voll und ungemütlich. Es gab hier kaum Parkanlagen, Grünzeug oder hübsche Häuser. Nur die gigantischen Kaufhäuser und Einkaufsmeilen oder Basare im Himmel.

Sie verließen die Space-Jet und standen auf einer ovalen Plattform ohne Geländer. Eine schmale Verbindung führte zur inneren Plattform des Basars. Doch vor dem Eingang befand sich eine Hangarkontrolle.

»Toll, dann können wir drei Mädels ja etwas shoppen gehen?«, meinte Constance. Sie rieb sich unternehmungslustig die Hände.

»Au ja! Ein paar Klamotten oder Möbel kaufen«, freute sich Pyla.

»Wieso nicht? Die Männer sammeln Informationen auf ihre Weise und wir versuchen so mehr über diese Gegend in Erfahrung zu bringen«, antwortete Kathy. »Wir bräuchten aber noch so etwas wie Geld.«

Sie hielt die Hand auf. Ganz unvorbereitet traf Aurec das nicht. Sie hatten natürlich rideryonisches Geld und Edelmetalle mit dabei. Roi Danton hatte es seinerzeit einfach aus der Schatzkammer der DUNKELSTERN genommen. Hoffentlich besaß das Rideryon eine einheitliche Währung. Er übergab Kathy ein paar Rideryontaler sowie eine Kreditkarte mit 5000 Rideryontaler Limit. Sie bedankte sich mit einem Kuss.

»Gebt auf euch acht«, mahnte Despair.

Constance kicherte.

»Ich bin die Vorsicht in Person. Hubs!«

Beinahe wäre sie von der Landeplattform gefallen, doch Despair zog sie rechtzeitig vom Abgrund weg.

»Verstehe schon …«, meinte die Hexe kleinlaut. »Kathy Scolar wird auf mich aufpassen, richtig? Und Pyla auch!«

»Das bereitet mir Sorgen«, murmelte Despair.

Kathy seufzte und nickte.

»Also los!«

Die drei Frauen machten sich auf den Weg. Pyla hielt inne, da sie beinahe auf eine kleine, hilflose Raupe getreten wäre, die nun aber lautstark auf sich aufmerksam machte. Verdutzt starrte Pyla auf das winzige Wesen. Kathy seufzte.

Aurec bedauerte seine Freundin. Mit den beiden Tollpatschen wurde die bevorstehende Aufgabe sicher kein Vergnügen.

Er warf einen Blick auf die anderen. Lorif und Mathew sicherten die Space-Jet, während sich Jaaron bereits sehr interessiert umschaute. Mathew und Lorif gingen auf Aurec zu. Kalky war nicht zu sehen.

»Der Lausbiber bleibt in der Space-Jet. Er hat sich für die erste Wache angeboten«, erklärte Wallace.

Aurec folgte den beiden Offizieren der IVANHOE II.

»Sir, ich habe die Geschichte von Hirdobaan noch einmal genauer analysiert. Die Hamamesch waren kein raumfahrendes Volk, bevor sie von Gomasch Endredde genetisch verändert wurden. Ihre eigentliche Aufgabe des Handels war als Lockmittel gedacht, um fähige Völker zur Reparatur von Aachthors Sporenschiff zu rekrutieren«, erklärte Lorif. Der nahezu humanoide Roboter mit Plasmazusatz liebte es, über Völker und ihre Geschichte zu referieren. Davon abgesehen konnten diese Informationen nur allzu schnell wichtig werden, falls die Hamamesch hier ebenfalls verborgene Absichten verfolgten.

»Vielleicht finden wir ja bei unseren Erkundungen Hinweise, um das Geheimnis zu lüften.« Aurec gab das Zeichen zum Aufbruch. Da stellte sich ihnen ein fischköpfiger Wächter in den Weg. Seine Schuppen glänzten silbrig, und er wirkte, als sei er lange im Meer gewesen.

»Willkommen in Commerza. Hier regiert der Markt und nur der Markt. Der Markt sagt: Parken ohne Bezahlung ist nicht richtig.«

Ohne seine gebeugte Haltung aufzugeben, öffnete der Hamamesch die Hand. Aurec verstand und legte zwei Münzen in die Handfläche. Die drei klobigen Finger umschlossen gierig das Geld.

»Viel Spaß und viel Einkauf in Commerza. Kauft und verkauft! Verkaufen sichert das Leben!«

Sie gingen weiter. Aurec war dieses Fischwesen nicht geheuer. Sie stiegen in einen Fahrstuhl. Es ging ein Ruck durch den Lift, der sich auch seitlich bewegen konnte und eher eine Art Gleiter war als ein Aufzug. Aurec hätte beinahe den Halt verloren. Ausgerechnet Despair legte die Hand auf seine Schulter und verhinderte einen Sturz. Aurec war das unangenehm. Das Flugvehikel bewegte sich schräg nach oben und dockte an einen der fliegenden, quadratischen Basare an. Sie stiegen aus und gingen eine gläserne Gangway entlang, die zu einer stickigen, heißen Verkaufshalle mit grellen Lichtern führte. Unzählige Wesen tummelten sich in der gigantischen Halle, kauften und verkauften. Das schien ihr Lebensinhalt zu sein.

Es waren Hamamesch, Persy, Harekuul, Husaaven, Gannel, Buuraler, Manjor, und sogar Miskatoor-Feen schwebten über die Verkaufsstände. Dazu kam mindestens ein Dutzend unbekannte Spezies. Die Vielfalt war erschlagend und faszinierend zugleich.

Wo sollten sie nur anfangen? Lorif blieb interessiert an jedem Stand stehen, während Despairs Haltung verriet, dass er genervt war. Mathew wiederum war damit beschäftigt, Lorif von den Ständen abzulenken. Jaaron schien jedes Detail der Stadt förmlich aufzusaugen. Man merkte, dass ihn vor allem die Kultur interessierte.

Ein buckeliger Hamamesch pries Despair einen türkisfarbenen Schal in den höchsten Tönen an. Der Silberne Ritter schubste ihn weg und drohte, ihn aufzuschlitzen. Bevor die Sache eskalierte, kaufte Aurec den Schal. Der Saggittone wollte kein Aufsehen erregen. Mit einem türkisfarbenen Damenschal? Er faltete ihn und steckte ihn in die Innentasche seiner Kombination.

Das konnte ja noch heiter werden.

2. Commerza

Überall Lebewesen, die feilschten, kauften und verkauften. Sie schlenderten dicht an dicht zwischen den Verkaufsständen, durchstöberten die Boutiquen, nahmen einen Happen zu sich oder kommandierten schwebende, scheibenförmige Roboter mit gekauften Waren durch die Gegend. Hastig eilten sie zum nächsten Sonderangebot, als hinge ihr Leben davon ab.

Für viele war solch ein Gedränge der pure Alptraum.

Kathy Scolar, Pyla und Constance Zaryah Beccash fanden sich jedoch gut zurecht. Das Getümmel ähnelte einem Schlussverkauf. Obwohl Kathy sich eingestehen musste, dass sie ziemlich aus der Übung war, genoss sie es. Das letzte Mal war sie vor zwei Jahren ausgiebig einkaufen gewesen. Schon eine Weile her.

Constance blieb vor einem Stand mit Kleidern stehen. Kathy hätte lieber nach Geschichtsdokumenten gesucht, aber ein neues, schönes Kleid war bestimmt auch nicht schlecht. Sie und Pyla folgten der Lilim.

»Oh, oh! Drei Schönheiten aus Gannel, korrekt? Oder seid ihr Buuraler?«, fragte der Verkäufer, natürlich ein Hamamesch.

»Ja, Buural«, sagte Pyla aufrichtig.

»Nö, wir sind von …«

Kathy stupste Constance an, bevor die noch etwas Falsches sagte. Constance verdrehte die Augen und nickte.

»Wir kommen alle drei aus Buural«, sagte sie schließlich. »Dieses silberblaue Kleid gefällt mir. Ich mag bauchfreie Kleider mit vielen Bändern und wallendem Stoff. Aber es sollte schon körperbetont sein.«

»Da habe ich etwas, was deiner Schönheit gerecht wird«, meinte der Hamamesch und suchte mit schnellen Griffen ein Kleid heraus, das ihr perfekt zu passen versprach.

»Wo habt ihr das nur gelernt?«, erkundigte sich Kathy.

»Was?«

»Das Verkaufen!«

»Oh, das wurde uns quasi in die Wiege gelegt. Von unseren Vorfahren, als sie auf das Rideryon kamen.«

»Ach, ihr wart nicht immer hier? Wie interessant! Wann war das denn, und wo kamen eure Vorfahren her?«, hakte sie nach.

Das Fischwesen glotzte sie aus großen, dunklen Augen an.

»Interessiert dich das, ja? Nun, ich kann dir das erzählen, aber …«

»Es kostet etwas! Na, wie viel?«

Lachend berührte der Hamamesch seine Ware und zog einen stiftförmigen Datenträger hervor. Er hielt das schwarze, etwa zehn Zentimeter hohe Gerät in die Höhe.

»Jede von euch kauft zwei Kleider. Dann erfüllt ihr noch einen kleinen Auftrag. Bringt dies zu meinem Bruder in das siebte Stockwerk als Zeichen von mir. Er wird euch dann die Geschichte erzählen. Er ist sehr klug.«

Kathy wechselte mit ihren Begleiterinnen einen beunruhigten Blick. Sie merkte, dass auch die anderen beiden dem Fischwesen nicht trauten.

»Ich spüre, dass du gierig bist und lügst«, meinte Constance und warf das schöne Kleid wieder auf den Verkaufstisch.

»Woher weißt du das denn? Er macht doch einen relativ netten Eindruck«, widersprach Pyla. »Sei doch nicht so grob zu ihm. Der will doch auch bloß leben.«

»Ich fühle, dass er lügt!«, beharrte Constance.

Pyla schaute den Hamamesch nun auch böse an.

Der Hamamesch starrte ungläubig zurück. Dann schien er seine Fassung wiederzugewinnen.

»Kleider sind schön, so wie Frauen. Kauft sie und ich gebe euch Informationen. Ich bringe euch zu meinem Bruder. Ihr werdet sehen. Nur fünfzig Rideryontaler pro Kleid. Ganz günstig. Und nochmals hundert Taler für die Informationen …«

»Und wenn wir die Kleider nicht kaufen?«, wollte Kathy wissen.

»Dann zahlt ihr 450 Taler für die Geschichte.«

Das war ja Wucher! Doch sie hatten wohl keine andere Wahl. So waren die Geschäftsleute wohl überall. Ihre größten Gewinne machten sie mit der Not ihrer Käufer. Ob der Bruder des Kleiderverkäufers wohl mit Lebensversicherungen oder Bausparverträgen Handel trieb, oder ihnen sonst was andrehen wollte?

Constance nahm zwei weitere Kleider und warf sie auf den Tresen.

»Also gut. Wir kaufen die Fetzen. Und wehe, du lügst uns an!«, drohte sie.

Der Hamamesch gluckste und packte alles in eine große Schachtel. Kathy gab ihm das Geld. Sobald er es eingesteckt hatte, sah er sich um und wies einen Untergebenen an, auf den Stand aufzupassen. Er beauftragte ihn, während seiner Abwesenheit mindestens 25 Kleidungsstücke zu verkaufen. Sollte der Angestellte nur 24 verkaufen, würde er ihn entlassen. Das Wesen, welches an ein aufrecht gehendes Seepferdchen erinnerte, starrte seinen Arbeitgeber traurig an.

»Findest du das nicht gemein?«, fragte Constance laut.

»Ja, das ist richtig fies. Das arme kleine Seepferdchen guckte so traurig«, stimmte Pyla zu. Der Hamamesch schnaubte.

»Pah, das Geld liegt auf der Straße. Wenn er zu faul ist, brauche ich ihn nicht. Angestellte dürfen kein Geld kosten. Das ist ein Gesetz des allumfassenden Marktes!«

Kathy fand ihn nun völlig unsympathisch. Sein ganzes Volk schien aus Krämerseelen zu bestehen.

Sie folgten dem zwei Meter großen Fischwesen zu einer Fahrstuhlplattform. Kurz davor traf er auf einen anderen Geschäftsmann, der ein rotgrünes Gewand trug.

»Ah, Kelriso, was machen die Geschäfte?«, fragte der Hamamesch seinen Artgenossen.

»Danke, Blunkfosel! Läuft prima. Und du? Viel verkauft heute?«

»Noch nicht genug, noch nicht genug. Es ist nie genug.«

Blunkfosel lachte schrill. Immerhin kannten sie jetzt den Namen des Kapitalisten.

»Gute Geschäfte noch!«, wünschte Kelriso und verschwand in der Masse. Sicherlich musste er noch viel verkaufen heute. Die vier stiegen in den Fahrstuhl und fuhren einige Etagen hoch. Der Basar war so angelegt, dass die große Halle von allen Etagen aus zu sehen war. So blickte Kathy rund zweihundert Meter in die Tiefe, als sie Deck 7 erreichten, und übersah jetzt erst das Gewusel der Buden und Stände.

»Mein Bruder führt einen Laden, der genau richtig für euch ist. Glaubt mir, ihr werdet sehen. Ja, das werdet ihr.«

»Was hat dein Brüderchen denn für einen Laden?«, wollte Pyla wissen.

»Das werdet ihr schon sehen. Ja, das werdet ihr …«

Kathy ging etwas langsamer. Constance passte ihr Tempo an.

»Was spürst du?«

»Nun, er freut sich auf jeden Fall. Ich fühle gute Laune bei ihm. Er ist aber auch aufgeregt, hat etwas Angst.«

»Wovor?«

»Keine Ahnung.«

Das half ihnen nicht weiter. Endlich erreichten sie einen Laden. Kathy konnte die Schrift nicht entziffern, denn sie sprach zwar teilweise Rideryonisch, war aber nicht in der Lage, es zu lesen. Eine entsprechende Hypnoschulung gab es noch nicht.

Sie gingen in das Geschäft. Es roch nach Fisch, was wenig verwunderlich war, denn es wimmelte hier nur so von Hamamesch. Ein fetter Barschähnlicher watschelte auf sie zu.

»Blunkfosel, gut, dass du kommst. Essen ist gerade fertig.«

»Hab keine Zeit zum Essen, Stunkfosel! Muss Geschäfte machen. Hier!«

Blunkfosels Bruder musterte die drei Frauen. Er packte Constance an die Hüften.

»Hey!«, rief sie erstaunt. »Flossen weg!« Dann kicherte sie. »Das passt ja sogar mit den Flossen!«

Pyla stellte sich intuitiv hinter Kathy.

Kathy schwante Übles. Der Hamamesch sah nicht aus wie ein Gelehrter. Auch sein Geschäft machte nicht den Eindruck einer Bibliothek. Eher wie eine Küche oder so etwas. Kathy sah sich in den Regalen um. Dort lagen Augen, Hände und Köpfe in Stasisfeldern. Constance bemerkte sie nun auch und unterdrückte einen Schrei.

»Mir ist schlecht«, meinte Pyla leise. »Denkt ihr, was ich denke?«

»Was … was genau verkaufst du eigentlich, Stinkfusel?«, wollte Kathy nun wissen.

»Stunkfosel ist mein Name. Ich verkaufe Ersatzteile an Krankenhäuser, Schönheitschirurgen und – darauf bin ich besonders stolz – baue sogar Wesen zusammen. Es gibt viele einsame Rideryonen, die sich ein schönes Mädchen an ihrer Seite wünschen. Aus euch dreien mache ich die perfekte Gannelfrau oder vielleicht sogar zwei und drei. Wir nehmen ihre Brüste.«

Stunkfosel deutete auf Constance.

»Und die Augen und den Mund der Blondine.«

Nun starrte er zu Kathy.

»Und ihren Körper …«

Sie hatte genug. Dieser elende Verkäufer hatte sie in eine Falle gelockt. Schwungvoll trat sie Stunkfosel in den Bauch. Ächzend fiel er zu Boden. Nach dem Aufspringen wollte er auf sie losstürmen, doch Constance stellte ihm ein Bein, was ihn klatschend zu Boden schickte.

Zwei weitere Hamamesch tauchten auf. Sie waren mit Beilen bewaffnet. Kathy lenkte sie auf sich, wich ihren Schlägen aus und entwaffnete sie mühelos. Sie spürte, dass immer noch ylorssche Kräfte in ihr schlummerten. Ihre Reflexe waren deutlich besser als früher, und sie war auch kräftiger.

Schließlich widmete sie sich Blunkfosel, der mit ausgebreiteten Flossen zurückwich.

»So, du schleimiger Aal! Jetzt sagst du mir, was du im Geschichtsunterricht so gelernt hast!«

*

»Jeder braucht eine Versicherung für sein Herz. Wenn es aufhört zu schlagen, zahlen wir Ihnen fünf Millionen Taler und schenken Ihnen einen Urlaub auf Thol0013.«

Aurec hatte genug von dem aufdringlichen Hamamesch, der ihn seit einer halben Stunde bequatschte. Sie hatten überhaupt nichts herausbekommen, sondern nur Geld für jede Menge Gerümpel ausgegeben. Mathew schien das einzig gute Geschäft gemacht zu haben, denn er war in ein Restaurant gegangen und kam mit einer Art Pizza heraus. Sie duftete herrlich.

»Ah, das riecht aber lecker«, meinte der Hamamesch, als er das angebissene Stück erspähte. »Enddarm von gannelschen Kühen ist besonders wohlschmeckend.«

Wallace verzog das Gesicht und warf die Pizza in den nächsten Mülleimer.

Lorif wandte sich wieder dem Versicherungsagenten zu.

»Guter Mann, was nützt Aurec eine Herzversicherung, die bezahlt, wenn er gestorben ist? Den Urlaub kann er doch dann gar nicht antreten.«

»Aber wenn mal was ist«, war das Argument des Verkäufers. »Die Ware ist sowieso unwichtig. Sie kaufen sie nur wegen mir.«

»Ach und wieso?«, fragte Despair genervt.

»Weil ich ein guter Verkäufer bin. So läuft das Gesetz des Marktes. Die Kunden kaufen wegen mir.«

»Tot bist du gleich wegen dir«, drohte Despair und zog sein Schwert.

Der Hamamesch kreischte auf, packte sein Köfferchen und eilte davon. Offenbar hatte Despair seine Drohung gut »verkauft«. Wenn es denn eine Drohung war und nicht bitterer Ernst.

Aurec seufzte. So kamen sie nicht weiter. Hier gab es jede Menge Trödel, aber für Wissen schien sich keiner auf diesem Basar zu interessieren. Aurec starrte auf einen Verkaufsstand mit künstlichen Frauen. Es waren molekülverformende Kunstgeschöpfe, die mehr als eintausend Formen verschiedener Kulturen annahmen und natürlich zum Sex geeignet waren. Eigentlich war das ihr ganzer Sinn.

»Muss ich mir Sorgen machen?«

Kathy!

»Oh, Schatz! Äh, nein. Ich hab nur … nachgedacht.«

»Verstehe.«

Sie drückte Aurec einen Kuss auf die Lippen. Constance und Pyla waren auch wieder da. Constance drehte sich mehrmals um die eigene Achse, um ihr neues silberblaues Kleid mit den vielen Bändern zu zeigen.

Auch Kathy trug etwas Neues. Sie sah in dem Zwirn atemberaubend aus. Das dunkelrote Kleid war dezent und dennoch sehr sexy. Pyla trug ein neues, schwarz-weißes Oberteil. Aurec schenkte ihr den türkisfarbenen Schal, den er hatte kaufen müssen. Sie freute sich riesig über den Plunder.

»Na, ihr habt also mein Geld ausgegeben.«

»Und uns geprügelt«, warf Constance ein. »Da war ein widerlicher Fischmolch, der uns zusammenschnippeln wollte. Aus drei mach eine. Aber Kathy hat ihn und seine Helfer verprügelt.«

»Ist das wahr?«

Kathy nickte.

»Außerdem haben wir einiges über die Hamamesch in Erfahrung gebracht. Sie stammen gar nicht aus Hirdobaan. Sie waren vor siebenhundert Jahren mit ihrem kosmischen Basar in einer anderen Galaxie. Dort tauchte dann das Rideryon auf und nahm sie auf. Sie wurden von ihrer Vernetzung befreit und leben seitdem als Händler auf dem Rideryon. Offenbar hat sich der Kapitalismus zu einer Art Religion für sie entwickelt.«

»Vernetzung?«, fragte Aurec.

»Mit NETWORK, einer Station in Endreddes Bezirk, wo Siegelwaren und so weiter hergestellt wurden«, dozierte Lorif. »Wie ich bereits erklärte: RobRepair, der Diener von Aachthors Positronik Gomasch Endredde, hatte die Hamamesch quer durch das Weltall geschickt, um Völker nach Hirdobaan zu locken, damit sie die Ebenen des Sporenschiffes reparierten.

Und wie ich ebenfalls bereits erklärte, dienten die Imprintwaren als Lockmittel. Offenbar befanden sich diese Hamamesch also in einer der Zielgalaxien, um Personal zu rekrutieren, doch das Rideryon ist ihnen dazwischengekommen«, erklärte Lorif.

»Und hatte offenbar die besseren Argumente. Sie haben ihren alten Auftrag anscheinend als nicht so wichtig empfunden«, schloss Aurec.

Jaaron bestätigte Kathys Erklärungen, als er von einem Bücherstand zurückkam. Er hatte Informationen über die Geschichte von Commerza gesammelt. Demnach war die Stadt vor 690 Jahren erbaut worden und hatte sich im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten Finanzmetropolen des Rideryons gemausert. Sie wurde die »Oase über der Wüste« genannt.

»Die Hamamesch und die Persyallianz sind die Monopolisten der Stadt. Sie erlauben aber jedem Händler, seine Ware anzupreisen. Natürlich gegen eine Gebühr«, erklärte Jaaron und musterte seine Assistentin. »Ein hübscher, neuer Schal, mein Liebes. Sehr galant von Aurec, ihn dir zu schenken, hätte doch beinahe der Verkäufer sein Leben dafür gegeben.«

»Wie?«, fragte Pyla.

Despair räusperte sich verlegen.

»Ich reagiere eben empfindlich auf Verkäufer.«

Nun meldete sich Mathew Wallace zu Wort.

»Mir kommt eine Idee«, meinte er, räusperte sich dann aber erst mal und spuckte auf den Boden, um den Geschmack des Enddarmes loszuwerden. »Sorry! Haben diese Schlemils nicht vielleicht auch Technik, die wir für die IVANHOE verwenden könnten?«

»Ich bezweifle, dass sie über terranisch-quarteriale Technik verfügen, Mathew! Dennoch könnten wir Geräte zur Gewinnung von Energie gut gebrauchen. Letztlich muss die IVANHOE nur das Rideryon verlassen können«, meinte Lorif.

»Oder einen besser gestaffelten Schutzschirm um sich spannen können«, ergänzte Despair. »Eine funktionierende Bewaffnung wäre auch nicht schlecht.«

Sie begaben sich auf die Suche nach Technologie-Händlern. Nach einer Weile fanden sie ein Informationsterminal. Lorif beherrschte Rideryonisch in Wort und Schrift perfekt. Es dauerte nicht lange, bis er den größten Händler für Raumfahrttechnik ausfindig gemacht hatte.

Maraimun hieß die Firma, benannt nach ihrem Besitzer. Ein Konsortium aus Hamamesch und Persy. Das war ihr Ziel. Sie nutzten die öffentlichen Verkehrsmittel. Dicht gedrängt saßen sie in einem Shuttle, welches durch Commerza flog. Despair wurde mehrfach ehrfürchtig beäugt.

Maraimun besaß einen fünf Kilometer großen, fliegenden Basar am Rand der Stadt. Zum ersten Mal sah Aurec Raumschiffe aller möglichen Größen und Formen, die vom Rideryon stammten. Bisher waren ihm nur die Schiffe der Ylors geläufig gewesen. Und die mächtige STERNENMEER.

Sie begaben sich in die Lobby. Aurec hatte keine Ahnung, was für Ersatzteile sie benötigten, deshalb überließ er es Mathew und Lorif, sich in den Katalogen umzusehen.

Ein hochgewachsener Hamamesch trat näher. Er trug einen dunklen Anzug mit gestreifter Krawatte und wirkte peinlich in diesem Outfit.

»Guten Tag, geht es Ihnen gut? Ich bin Maraimun Junior, stellvertretender Geschäftsleiter der Firma. Was möchten Sie kaufen?«

»Ich bin König Aurec von Saggittor! Wir suchen spezielle Ersatzteile für mein Lieblingsraumschiff, welches leider auf einem Tholmond gestrandet ist. Ich habe gehört, Sie besitzen die besten Raumschiffteile im gesamten Rideryon – zu moderaten Preisen versteht sich.«

Maraimun lachte schallend.

»Ja, Sie sind hier genau richtig, König Aurec! Was für Teile benötigen Sie denn genau?«

Aurec gab Mathew und Lorif ein Zeichen. Der Posbi ergriff sofort die Initiative.

»Wir benötigen Bauteile für syntronisch-positronische Recheneinheiten. Alles, was man benötigt, um ein beschädigtes Zentralsystem wieder zu reparieren. Hilfreich wären auch Antigravs und der größte Inerter, den Sie haben.«

Lorif übergab dem Hamamesch einen Datenspeicher. Er steckte diesen in seinen tragbaren Rechner und sah sich die Liste an.

»Aha! Seltsam!«, murmelte Maraimun.

»Was?«, hakte Wallace nach.

»Eine ähnliche Bestellung habe ich vor wenigen Wochen von einem guten Kunden erhalten. Eine delikate Angelegenheit, denn sein Schiff stammt nicht aus dem Rideryon.«

Jetzt wurde es interessant. Der Hamamesch schien sich etwas zu zieren. Aurec war sich jedoch sicher, dass die Gier ihn überzeugen würde.

»Nun, wir sind bereit, das Doppelte zu zahlen. Schließlich möchte ich meinen Ausflug fortsetzen. Sie erhalten ebenfalls einen Bonus, wenn Sie zügig und diskret vorgehen.«

Die Augen des Fischwesens wurden größer. Nun hatte Aurec ihn am Haken. Doch eins interessierte den Saggittonen noch.

»Was war denn das für ein Kunde, der ebenfalls solche Teile bestellt hat?«

»Fragen Sie ihn das bitte selbst«, sagte Maraimun und deutete mit dem Kopf hinter sein Gegenüber.

Aurec drehte sich um und blickte in das Gesicht eines anderen Fischwesens, welches definitiv kein Hamamesch war. Zuerst fiel ihm die knallroten, dicken Lippen auf. War das ein Persy?

Pyla schrie erschrocken auf.

»Oh nein«, sagte Kathy. »Kapitän Fyntross!«

*

Einen Augenblick später waren sie von finsteren Gestalten umstellt, deren gezogene Waffen sehr zum unfreundlichen Eindruck beitrugen, den sie machten. Kathy und Pyla kannten diesen Fischkopf persönlich. Aurec wusste immerhin aus Berichten, dass Fyntross ein Pirat war. Roi Danton hatte ihm sein Raumschiff gestohlen und dafür die beschädigte VIPER zurückgelassen. Offensichtlich war der Battanus jetzt nicht gut auf sie zu sprechen.

Fyntross trat vor.

»Kathy Scolar! Nicht tot? Ich hörte Gerüchte, Medvecâ hätte dich verspeist.«

»Ich bin ihm nicht bekommen.«

»Ah!«, blubberte der Piratenkapitän. »Und die Nervensäge Pyla. Wo ist mein guter Freund Roi Danton? Wo hat diese schleimige Schabe mein Raumschiff versteckt?«

»Och, der ist überall und nirgends«, meinte die Buuralerin ausweichend.

»Eigentlich ist die DUNKELSTERN Besitz des Quarteriums«, mischte sich Despair ein und baute sich vor Fyntross auf, der beeindruckt wirkte.

»Was für ein Monster! Aber wieso sollte die DUNKELSTERN diesem Quarterium gehören?«

»Die VIPER wurde aus der Flotte des Quarteriums von Danton gestohlen. Sie gegen die DUNKELSTERN zu tauschen war illegal. So gesehen gehört die VIPER weiterhin mir, da Danton die DUNKELSTERN nicht rausrückt, kleiner Fisch!«

Fyntross fing an zu lachen und spuckte dabei Unmengen an Wasser aus.

»Ritter, du überschätzt dich gewaltig. Die VIPER gebe ich nicht mehr her. Ich möchte sie voll funktionsfähig sehen, euer Quarterium hin oder her. Das bringt mich auf euren Besuch. Probleme mit einem Schiff?«

Aurec atmete tief ein. Jedes falsche Wort könnte gefährlich sein.

»Naja, unser 2500-Meter-Kugelraumer ist abgeschmiert. Wenn die deine kleine VIPER reparieren können, dann bestimmt doch auch unser Raumschiff. Wir können das sicher friedlich regeln.«

»2500 Meter?«, schrien Fyntross und ein Persy gleichzeitig. Das fette Wesen zitterte dabei mit dem ganzen wabbeligen Körper.

Genau das hätte Constance nicht sagen sollen! Wieso konnte sie nicht ihre Klappe halten?

»Ja! Dagegen ist die VIPER richtig winzig. Wenn Sie ein Freund von Roi Danton sind, helfen Sie uns bestimmt, oder?«

»Constance!«, grollte Despair ungehalten. »Sei endlich still! Fyntross ist kein Freund von Roi Danton!«

»Nicht?«

Constance verzog den Mund.

»Dann hätte ich das jetzt alles nicht sagen sollen?«

»Nein«, murmelte Despair.

Pyla lachte. »Und dabei sagen immer alle, ich würde reden, ohne zu denken.«

Despair zog sein Schwert und schlug dem Harekuul neben ihm den Arm ab. Die anderen reagierten sofort. Aurec stürzte sich auf einen sechsarmigen Manjor, Kathy kämpfte gegen einen Gannel und Mathew warf sich auf einen zweiten Manjor.

Das Biest war kräftig und warf Aurec mühelos zu Boden. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Despair sich den fetten Persy neben Fyntross schnappte und ihm die Klinge seines Caritschwertes an den Hals drückte.

»Haltet ein«, schrie der Persy.

Der Manjor über Aurec verharrte in seiner Angriffsposition. Fyntross schnappte sich Constance und drückte ihr wiederum eine Klinge an die Kehle.

»Ich würde mir das überlegen, Silberner Ritter! Lass Mumdök frei!«

»Cauthon …«, stammelte Constance.

Despair ließ den Persy los.

»Lass sie los! Solltest du sie töten, werde ich dich und dein ganzes Volk grausam ausradieren.«

Fyntross ließ Constance zu Aurecs Erstaunen los. Sie verlor das Gleichgewicht. Mathew half ihr wieder hoch.

»Das glaube ich dir sogar«, sagte Fyntross. »In den Datenbanken der VIPER habe ich einiges über dich gelesen, Cauthon Despair. Du bist Herr über Hunderttausende Schlachtschiffe. Damit könntest du das ganze Rideryon unterwerfen!«

»Unterschätze das Rideryon nicht«, meinte Wallace zynisch. »Hör mal zu, Fischi, aber die IVANHOE wirst du nicht kriegen. Dafür brauchst du mehr Piraten, als du hast. Können wir nicht einen Deal eingehen? Lorif und ich könnten uns ja mal die VIPER anschauen.«

»Und im Gegenzug?«, fragte Fyntross interessiert.

»Lässt du die anderen frei. Ich möchte aber noch ein bis zwei Assistenten dabeihaben.«

»Wen?«, fragte Aurec.

»Zyrak und Irwan.«

»Irwan muss reichen. Wir brauchen Wygal bei der IVANHOE«, entschied Aurec.

»Dann möchte ich jemand anderen vorschlagen«, meinte Fyntross. »Roi Danton. Hier ist mein Plan. Wir eskortieren euch zu der Absturzstelle der IVANHOE. Dort, wo die Rauchschwaden kilometerhoch aufsteigen, richtig? Ihr holt Danton und diesen Irwan. Sind sie bei uns, lassen wir euch frei und fliegen mit den anderen vier nach Thol2727.«

Aurec blickte Mathew an. Er nickte ihm zu und grübelte über das Angebot des Ersten Offiziers der IVANHOE II nach.

Wieso wollte er Fyntross unbedingt helfen? Oder wollte er die Situation hier nur schnell bereinigen? Zur Not hatten sie Kalky noch in der Hinterhand. Sobald der dicke Mausbiber seinen Mittagsschlaf beendet hatte, konnte er sie in Sicherheit teleportieren. Vielleicht hatten sie aber so tatsächlich die besten Chancen, an Ersatzteile zu kommen. Danton würde bestimmt noch etwas einfallen.

Aurec war einverstanden.

»Und will denn niemand was kaufen?«, fragte Maraimun Junior enttäuscht, als sie seinen Stand verließen.

»Krash, dieser freundliche Terraner und sein Roboter werden dich bestimmt zu ihrem Raumschiff bringen. Wir treffen uns dann bei dem abgestürzten Schiff.«

Fyntross blubberte amüsiert, als er ihre irritierten Blicke bemerkte. Constance lehnte sich an Despair, doch der ging nicht darauf ein.

Sie wurden von Fyntross und den restlichen Piraten zu ihrem Raumschiff gebracht – natürlich einer Space-Jet der VIPER!

*

Nach einer Stunde Flug hatten sie die Absturzstelle erreicht. Fyntross zuckte merklich zusammen, als er die IVANHOE II sah, doch nicht nur die Größe des Schiffs beeindruckte ihn.

»Die waren aber fleißig«, meinte Kathy.

Quarteriale Grautruppen, Soldaten der Liga Freier Terraner, Entropen, Pterus und Alysker bauten ihre Stellungen weiter aus. Das kilometergroße Areal hatte sich in eine Festung verwandelt.

Aurec schmunzelte. Diese Anlage beeindruckte den Piraten ganz sicher.

»Noch haben Sie die Chance aufzugeben, Fyntross! Wir gucken uns trotzdem die VIPER mal an.«

»So viele Soldaten! Und da sind noch mehr Raumschiffe. Das …«, stammelte Mumdök. Dabei lief ihm Speichel aus dem breiten Maul. Eines konnten die Terraner wirklich sehr gut: militärisch imponieren!

Drei Abfangjäger näherten sich den beiden Space-Jets und funkten sie an.

»Sie erwarten Antwort, Kapitän!«

Fyntross blickte wild um sich.

»Wer? Was? Oh! Ähm, also gut! Kriege ich Ihr Ehrenwort? Ich meine, nicht so ein Wort wie von Danton! Dem kann man nicht trauen.«

»Wie dir?«, meinte Kathy amüsiert.

»Wir suchen durchaus Verbündete im Resif-Sidera, Fyntross! Unter gewissen Bedingungen werden wir die VIPER reparieren. Ich werde Ihnen diese an Bord der IVANHOE bei einem Essen erläutern. Sie möchten doch das Schiff von innen sehen?«

Nun hatte Aurec Fyntross’ Neugier endgültig geweckt. Der Pirat war fasziniert von der Technologie der Terraner. Er blubberte ein »Ja« und wies Krash an, die Geiseln freizulassen. Mumdök schleimte weiter die Garnitur der Jet voll, während Aurec einen kleinen Sieg feierte. Ohne Gewalt hatte er den Konflikt vorerst gelöst.

Der Paratron-Schutzschirm öffnete eine Strukturlücke. Die beiden Space-Jets landeten zwischen dem SUPREMO E-Raumschiff und der IVANHOE II. Eine weitere Korvette der FLASH OF GLORY war inzwischen gelandet. Sie hatte ganz offensichtlich Truppen der 777. Raumeingreifdivision abgesetzt.

Soldaten der 501. Quarterialen Division und der Freyt-Kompanie liefen zu den Space-Jets. Aurec erkannte unter den Soldaten der Freyt-Kompanie Leutnant Patryk Wyndsar, Zugführer des 4. Zuges, sowie die Soldaten Chris Webstar und Marcus Ednem.

Sie waren ihm noch aus der Schlacht um Vircho gut in Erinnerung geblieben. Als sie vollzählig vor ihnen standen, bat Aurec Kapitän Fyntross und den Persy Mumdök mitzukommen, die nun beide recht kleinlaut wirkten. Ein Gleiter fuhr vor und brachte sie zur IVANHOE II. Dort trennten sich ihre Wege.

Mathew Wallace und Lorif machten sich wieder an die Reparaturen des Schiffes. Despair, Constance, Pyla, Jaaron Jargon und die beiden Arawakpiraten folgten Kathy und Aurec in die Zentrale. Sam, Xavier Jeamour, Elyn und Gal’Arn erwarteten sie bereits. Nur einer fehlte: Roi Danton. Für ihn würde der Spezialgast sicherlich eine Überraschung sein.

3. FLASH OF GLORY

Das gigantisches Adlerraumschiff mit den charakteristischen breiten Schwingen näherte sich der keilförmigen FLASH OF GLORY. Joak Cascal erhob sich aus seinem Kommandosessel in der Mitte der Zentrale des Schiffes. Die Langeweile und der Groll, auf der FLASH OF GLORY warten zu müssen, während seine Kameraden sich um die Absturzstelle der IVANHOE II kümmerten, war verflogen.

Die VOLCUS GLANZ, das Flaggschiff des Sternenreiches Dorgon. Cascal wusste, dass der dorgonische Kaiser Volcus I. persönlich an Bord war. Noch hatte kein Dorgone mit ihnen Funkkontakt aufgenommen, also blieb ihm ein Rätsel, was sie wollten. Doch war es eine willkommene Abwechslung und eine Befreiung vom Nichtstun und Abwarten.

Er musterte die zusammengewürfelte Crew der FOG. Ungepflegte und müffelnde Riffpiraten zum einen, und zum anderen die kantigen und gewaltbereiten Oxtorner der Gruppe Zero. Es waren desertierte Killer der Cartwheel Intelligence Protective. Cascal traute keinem von ihnen.

Sein einziger Lichtblick war Anya Guuze. Die blonde Schönheit verrichtete als Adjutantin ihren Dienst auf der FOG. Eigentlich war sie aber nur hier, damit sie einen Trumpf gegen Nistant im Ärmel hatten, erkannte er in ihr doch seine verschwundene Geliebte. Anja war nicht gern mitgekommen, doch letztendlich hatte der Trick funktioniert. Die FLASH OF GLORY wurde nicht angegriffen, solange sich Anya an Bord befand.

Die schöne junge Frau betrat gerade die Kommandozentrale. Cascal wurde es bei ihrem Anblick ganz anders, er fühlte sich glücklich und traurig zugleich. Sie bemerkte seine Aufmerksamkeit und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

»Roi hat sich gemeldet. Auf Thol0001 hat er Nistant nicht angetroffen. Er kehrt zur IVANHOE zurück.«

»Nistant will offenbar mit niemandem sprechen. Außer mit dir vermutlich«, meinte er.

Anya seufzte und setzte sich auf die Lehne des Sessels.

Cascal beobachtete derweil die Ortungsergebnisse. Die VOLCUS GLANZ hielt weiterhin Kurs auf die FLASH OF GLORY.

»Wie soll ich einem uralten Wesen klar machen, dass ich nicht seine geliebte Frau bin? Die Aufmerksamkeit, die mir im Moment zuteilwird, ist recht erdrückend.«

»Hm«, machte er.

Eigentlich hatte er jetzt nicht die Nerven für ihr Gesäusel. Er empfand viel für Anya und wäre gern mit ihr zusammen gewesen, doch sie hatte sich gegen ihn entschieden. Sie hatte nicht mit einem Draufgänger wie ihm leben können. Jemand, der die Gefahr liebte, sein Leben riskierte.

Als Abenteurer und Held war man irgendwie immer allein. Manchmal fragte er sich, ob er nach all dem Mist hier nicht in den Ruhestand gehen sollte. Vielleicht würde sie ihn dann nehmen.

Dabei hatte Anya einen miserablen Männergeschmack. Ihr Ex-Mann war immerhin Special-Agent der CIP. Tiefer konnte man doch eigentlich gar nicht sinken. Und trotzdem, sie hatte etwas Besonderes an sich. Vielleicht irgendwann … wenn das Abenteuer zuende war …

Doch wann war es vorbei? Es schien endlos.

»Das Adlerraumschiff funkt uns an!«, meldete die Oxtornerin Feline Mowac. Cascal war die Gigantin mit dem Drachentattoo auf der Glatze unheimlich.

»Abschießen«, meinte er lapidar.

»Wie Sie wünschen«, erwiderte Mowac eiskalt.

»Stopp, war nur ein Scherz! Aber Humor kennen Sie ja nicht, Mowac. Antworten Sie diesem Schleimer.«

Anya sah ihn vorwurfsvoll an. »Er ist immerhin Kaiser Dorgons. Auch wenn er uns im Stich gelassen hat, sollten wir diplomatisch vorgehen. Wir sitzen im Moment alle im selben Boot.«

Die lebensgroße Holografie von Volcus erschien in der Zentrale der FLASH OF GLORY. Das blonde Haar hing wirr um sein Haupt. Das faltige Gesicht war verlebt, denn so alt, wie er aussah, war der Dorgone noch gar nicht. Der Blick seiner blauen Augen fiel sofort auf Anya.

»Welch liebreizender Anblick. Ich gestatte Ihnen die Ehre, mit mir zu Abend zu essen.«

»Ich lehne dankend ab.«

Wo war denn jetzt die Diplomatie?, dachte Joak, fragte aber: »Wo waren Sie, Volcus?«

»Wir haben das Rideryon erforscht und bereits erste Kontakte geknüpft. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, Nistant zu stoppen.«

Dieses idiotische Vorhaben hatte sie doch erst in diese Misere manövriert.

»Hören Sie, Volcus! Die IVANHOE ist abgestürzt. Wir errichten an der Absturzstelle eine Station. Selbst das Quarterium hilft uns. Was ist mit Ihnen?«

»Aber natürlich helfen wir unseren Freunden! Geben Sie uns noch etwas Zeit, dann senden wir einen Hilfstrupp zur Absturzstelle, lieber Freund!«

Für Cascal waren das viel zu viele Freundlichkeiten. Er traute Volcus nicht. Der dorgonische Kaiser trieb sein eigenes, undurchschaubares Spiel.

»Lieber Cascal, wie wäre es, wenn Sie mich und Konsul Kruppus zu unseren neuen Verbündeten auf dem Riff begleiten? Vielleicht können wir mit ihrer Hilfe Nistant stoppen und ein Blutvergießen verhindern. Die reizende Anya ist natürlich auch herzlich eingeladen.«

Cascal traute Volcus nicht. Welche neuen Verbündeten? Volcus machte ein Geheimnis daraus und wollte es Cascal nicht verraten.

Doch die Neugier war stärker als die Vernunft. Der Kommandant der FOG willigte aus taktischen Gründen ein.

»Aber ohne Anya. Das Risiko ist zu groß«, sagte er.

»Ach ja?«, erwiderte Anya pikiert. »Die Zeiten sind vorbei, in denen Männer für Frauen Entscheidungen treffen. Kann das dorgonische Reich meine Sicherheit garantieren?«

»Selbstverständlich«, lautete die Antwort des Kaisers.

Sie lächelte.

»Also werde ich auch zu diesem Treffen kommen. Ein wenig weibliche Vernunft und Diplomatie schaden ja nicht.«

»Fein. Ich erwarte Sie beide in einer Stunde auf der VOLCUS GLANZ.«

Volcus warf noch einen strafenden, dann lüsternen Blick auf Anya und das Hologramm erlosch.

Cascal schluckte seinen Ärger herunter und nahm Verbindung mit Aurec auf. Dort erfuhr er, dass Roi Danton, Pyla, Mathew Wallace, Lorif und Irwan Dove zusammen mit dem Arawakpiraten Fyntross nach Thol2727 geflogen waren. Offenbar wollte man mit den Piraten alliieren. Nun gut, die waren auch nicht viel schlimmer als die Dorgonen und das Quarterium.

Joak unterrichtete Aurec von Volcus’ Angebot. Der Saggittone mahnte zur Vorsicht. Cascal glaubte jedoch nicht daran, dass Volcus etwas Unüberlegtes tun würde. Dazu war der Mann viel zu kalt und berechnend. Außerdem wollte Cascal herausfinden, was Volcus vorhatte. Vielleicht würde Anya sich auch hier als nützlich erweisen?

*

Da Roi Danton unterwegs war und Joak Cascal der ehemaligen Gruppe Zero nicht über den Weg traute, übergab er Jan Scorbit das Kommando über die FLASH OF GLORY. Dem USO-Befehlshaber Cartwheels konnte er wenigstens vertrauen.

Er selbst wollte aber auch nicht schutzlos mit Anya auf Volcus’ Raumschiff gehen. Mit Will Dean und dem Inselmutantenkorps hatte er eine schlagkräftige Truppe zur Seite.

Er vertraute Dean, Brad Callos, Jeanne Blanc, Hank Lane und Myrielle Gatto. Letztere verband auch eine Freundschaft zu Anya. Gerade in diesen Zeiten war es wichtig, von Menschen umgeben zu sein, denen man vertraute. Insbesondere, wenn eine Falle nicht auszuschließen war.

Er verzichtete darauf, jemanden von der Gruppe Zero in sein Team zu holen. Zwar war die Kampfkraft eines Oxtorners extrem wertvoll, doch Cascal misstraute Mowac und ihren Konsorten.

Die Space-Jet brachte sie zum Adlerraumschiff. Eine Delegation erwartete sie im Hangar. Angeführt wurde sie von Osbarus, dem dorgonischen Staatssekretär.

Er hieß sie mit dorgonischem Sekt willkommen.

»Moin! So heißt das doch in eurer Sprache? Trinken wir erst einmal auf eure Ankunft!«

Osbarus hob das Sektglas. Cascal und Anya wurden Gläser überreicht, den anderen nicht. Joak fand das befremdlich.

Nachdem sie ausgetrunken hatten – Osbarus leerte sein Glas in einem Zug – erschien Konsul Kruppus. Er war der zweite Mann im Staat, obendrein Anführer der Prettosgardisten und somit oberster Militärführer. Der untrainierte Körper wirkte, als wäre er in die straffe Uniform gequetscht worden.

Cascal zündete sich eine Zigarette an.

»An Bord dorgonischer Raumschiffe herrscht Rauchverbot«, bemerkte Osbarus.

»Es ist so vieles verboten und man hält sich nicht daran«, erwiderte Cascal und blies den Rauch in Osbarus’ Richtung.

»Herzlich willkommen«, sagte Kruppus und starrte auf Anya. Cascal fiel auf, dass er mit einem Auge schielte. Der fette Dorgone mit dem silbernen Haar war genauso aalglatt wie Volcus. Dass sein gepflegtes Verhalten nur Maskerade war, wusste Cascal von Anya, denn Kruppus hatte sich auf Herton IV unmöglich benommen. Sie hatte sogar die Vermutung geäußert, er hätte etwas mit dem Tod von Uthe Scorbit zu tun gehabt.

»Euer Gefolge wird im Raumschiff warten. Ich werde euch beide nun zum Kaiser geleiten.«

Kruppus tat, als hätte er eben etwas sehr Wichtiges gesagt. Er blickte die Besucher ernst an. Cascal gab Will Dean letzte Instruktionen. Der ehemalige TLD-Agent sollte wachsam sein.

Dann wurde er zusammen mit Anya von Kruppus in den Thronsaal eskortiert. Dort lag Volcus leicht bekleidet auf einer Liege und aß Weintrauben.

»Cascal, liebe Anya! Du siehst wundervoll aus. Schöner als die Sonne Dorgons.«

Anya lächelte freundlich.

Cascal nervte dieses Geschleime.

»Nimm doch Platz auf meiner Liege«, bat Volcus.

Anya sah Cascal fragend an.

»Ich finde die andere Liege bequemer«, antwortete Joak, nahm Anya bei der Hand und führte sie zum zweiten Sofa.

Volcus grinste souverän.

»Lieber Cascal, du bist eifersüchtig? Aber wie ich gehört habe, seid ihr beide gar nicht liiert. Ich sollte die Gelegenheit am Schopfe packen. Liebste Anya, willst du meine Kaiserin werden? Ich lege dir ganze Galaxien zu Füßen!«

Anya räusperte sich verlegen.

»Ähm, ich fühle mich geschmeichelt, doch ich wäre bestimmt keine Kaiserin, die Euch zufriedenstellen würde.«

»Im Bett bestimmt, Teuerste!«, sagte Volcus und lachte schelmisch. Cascal war nahe dran, ihm seine Faust aufs Auge zu drücken.

Auch Kruppus fing an zu lachen.

»Du könntest auch uns beide haben. Es gibt wohl keinen größeren sexuellen Wunsch, den eine Frau haben könnte«, meinte der Anführer der Prettosgardisten und lachte wie eine Heulboje.

Cascal stand auf.

»Ich bin zwar ein Mann, aber mir würden eine Million anderer Wünsche einfallen. Nun, können wir das Gebalze um Anya beenden? Anderenfalls werden wir wieder gehen!«

»Och, der kleine General ist sauer! Wahrscheinlich bist du nur traurig, weil du niemals die Liebe dieser Frau spüren wirst. Ist es nicht so?«

Volcus grinste süffisant.

Das traf Joak hart, weil Volcus zufällig recht hatte. Anya nahm Joaks Hand und blickte trotzig die beiden Dorgonen an.

»Sie verstehen nicht viel von Frauen, Kaiser!«

Plötzlich drückte Anya ihre Lippen auf Joaks Mund und küsste ihn innig. Für einen Moment vergaß er die Welt um sich herum. Als sie absetzte, musste er trotz seiner Verwunderung schmunzeln: Er sah in die versteinerten Mienen von Volcus und Kruppus. Gelassen lehnte sich Joak zurück. Anya lächelte.

»Der Grund, warum ihr hier seid«, sagte Volcus ernst. »Den wolltet ihr doch wissen? Wir haben eine Allianz mit Bewohnern des Rideryons geschlossen, die uns zum Vorteil gereichen wird. Es liegt diesen Wesen nichts am Völkeraustausch. Sie wollen ihre Macht auf dem Rideryon nicht verlieren. Ich habe bewirkt, dass sie uns unterstützen werden. Gemeinsam werden wir Nistant töten.«

»Ihn töten?«, rief Anya entsetzt. »Das dürft ihr nicht! Das ist Unrecht!«

Cascal gefiel diese Idee auch nicht sonderlich.

»Meine Liebe! Nistant wird nicht Ruhe geben, bis er zwei Dinge erreicht hat: die Bevölkerung von hundert Welten Siom Soms auszutauschen und in Besitz des Herzens der Sterne zu gelangen«, erklärte der dorgonische Kaiser. »Er will dich, und er ist es ist gewohnt, sich zu nehmen, was er will.«

Volcus stand auf und wanderte durch den Raum.

»Wer also bereit ist, die Bevölkerung von einhundert Welten und Anyas Schicksal in Nistants Hände zu legen, der kann gern diese Allianz ausschlagen. Joak, sicher wird Nistant Verständnis haben, wenn du ihm erklärst, dass Anya ihrer Wege ohne ihn gehen wird.«

Nein, würde er nicht! Leider hatte Volcus recht. Nistant glaubte fest, dass Anya die Inkarnation der Liebe seines Lebens war. Ajinah war der Name dieser Frau gewesen. War es nur Zufall, dass sich ihre Namen ähnelten?

Wie dem auch sei, Nistant würde zur Not Anya auch gegen ihren Willen auf dem Rideryon festhalten. Damit brachte er sie automatisch in Gefahr. Außerdem durften die Lebewesen von einhundert Welten nicht gegen ihren Willen auf das Rideryon gebracht werden.

»Wann können wir die neuen Verbündeten treffen?«, fragte Joak Cascal.

»Was?«, rief Anya aufgebracht. »Du ziehst doch nicht ernsthaft in Erwägung, mit ihnen zu kooperieren? Ihr wollt Nistant ermorden? Ohne mich!«

Anya stand auf, doch Kruppus stellte sich ihr in den Weg.

»Aus dem Weg, Fettsack!«

Kruppus lachte sie aus. Joak stand auf und ging zu Anya.

»Ich kann nicht zulassen, dass dir etwas geschieht. Und das wird es, wenn Nistant sein Herz der Sterne holen wird. Verstehst du nicht, dass wir Krieg führen müssen? Er wird nicht von seinem Vorhaben abweichen. Willst du bis zu deinem Tod mit dieser lebenden Leiche zusammenleben? Wohl kaum!«

»Nein, das will ich nicht! Aber ihn töten ist keine Lösung! Du hast mir vorhin gesagt, dass du den beiden Dorgonen nicht traust. Nun arbeitest du mit ihnen zusammen! Sie haben dich eben gedemütigt und du vertraust ihnen nun? Hast du keinen Stolz und keine Selbstachtung mehr?«

Es reichte nun! Am liebsten hätte Joak ihr eine runtergehauen, doch er riss sich zusammen. Er tat das doch nur für sie! Aber Frauen waren schon immer sehr undankbar gewesen. Man machte sich zum Narren für sie und sie dankten es einem mit Hohn und Spott!

»Kaiser, es wäre besser, wenn du für Anya ein Quartier bereithältst. Sie sollte nicht dabei sein, wenn wir uns mit den neuen Verbündeten treffen«, sagte Cascal ernst.

Kruppus packte Anya an den Schultern.

»Es wird ihr an nichts fehlen«, meinte er und kicherte laut.

»Es tut mir leid, Anya! Es ist zu deinem Besten!«

Sie blickte Joak ernst an. In ihren Augen stand die Enttäuschung geschrieben. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ sie sich von Kruppus aus dem Audienzsaal führen. Joak blickte ihnen misstrauisch hinterher. Er wollte nicht von ihr getrennt sein. Allerdings war es vermutlich das Beste, wenn sie während des Gesprächs nicht dabei war. Ihm gefiel nicht die Gesellschaft, in der er sich befand. Doch wenn dies der einzige Weg war, um Anyas Leben zu retten und den Austausch zu verhindern, würde er ihn gehen.

4. Träume und Visionen

Schmerz! Blut! Tod!

Fortwährend wiederholte sich dieses Schauspiel. Ich lag gefesselt auf einem Tisch aus Stein. Mein Peiniger, das Gesicht gleich einer Höllenfratze, trat hervor, schnitt mir mein Herz heraus und hob es hoch. Ich sah zu, wie es aufhörte zu schlagen, erlitt das Schicksal meines Rivalen und einstigen Gefährten.

Schmerz, Blut und Tod!

Mein Leben oder Tod bestand daraus! Hilf mir! Helft mir alle, meine Kinder! Befreit mich aus dem Verlies!

Helft mir!

Innenillustration: Constance Zaryah Beccash von Lothar Bauer
Constance Zaryah Beccash © Lothar Bauer

Constance schrak aus dem Schlaf hoch. Der flehende Schrei hallte immer noch durch ihren Kopf. Wem sollte sie nur helfen? Wem nur? Die Stimme in ihrem Kopf kam ihr bekannt vor. Es war, als kannte sie diese Stimme schon immer.

Doch wer war es? Constance wünschte, dass ihre Mentorin Aynah hier wäre. Sie hätte bestimmt Rat gewusst. Ihr gehörte die Stimme auf jeden Fall nicht.

Constance versuchte, in das Riff zu horchen. Es fiel ihr sehr schwer. Es waren zu viele Lebewesen. Sie versuchte, dieses Wesen ausfindig zu machen, das um Hilfe gefleht hatte.

Ich helfe ihr bereits. Unterstütze mich und wir werden sie befreien!

Wer war das denn nun schon wieder? Eine zweite Person redete mit ihr in Gedanken. Dabei war Constance doch bloß Empathin und keine Telepathin. Nur mit Lilim vermochte sie auch telepathischen Kontakt zu halten.

Wer ist denn da?

Maya, mein liebes Kind.

Ki Toushi, die Terranerin?

Nein, du dumme Kuh! Maya, die Lilim, die niemals eine Terranerin war. Ich habe viel erfahren, seitdem ich auf dem Rideryon bin. Sie braucht unsere Hilfe. Unsere Mutter ist hier irgendwo. Ich spüre es ganz deutlich!

SI KITU?

Wieder falsch! Wie konntest du nur eine so hochrangige Lilim werden mit so wenig Grips?

Frechheit! Dann hilf dir doch selbst, Maya!

So habe ich das nicht gemeint. Sie ist der Schlüssel zum Sieg gegen MODROR und Nistant und allen bösen Wesen. Wir müssen sie befreien! Hilfst du mir?

Wie?

Grabt in der Vergangenheit. Aber nicht zu tief. Ich bin nun auch gefangen. Holt zuerst mich heraus. Sucht im Land der ewigen Vulkane! Dort wo die Jaycuul und Termetoren regieren. Ich …

Maya?

Keine Antwort. Constance rieb sich das Gesicht. Maya ki Toushi brauchte also ihre Hilfe, damit sie ihrer Mutter helfen konnte. Das war ziemlich verwirrend für die junge Hexe. Allein würde sie das sowieso nicht schaffen. Sie musste mit Aurec und Cauthon reden. Denen würde schon etwas einfallen.

*

Aurec dachte lange über Constances Bericht nach. Offenbar zu lange, denn ein fragendes »Aurec?« unterbrach seine Überlegungen.

»Ja?«

»Und?«, erkundigte sie sich.

Der Saggittone atmete tief durch. Sie konnten den Hilferuf von Maya ki Toushi – oder eben nur Maya – nicht ignorieren. Sie sollten tief graben im Land der ewigen Vulkane. Hörte sich nicht wie ein Urlaubstrip an.

Im Moment war er sowieso zur Untätigkeit verdammt! Kathy würde es nicht gefallen, aber er wollte sich ins nächste Abenteuer stürzen.

Also rief er Sato Ambush zu sich. Der Pararealist war ein Spezialist in Sachen SI KITU und Entropen. Ihn wollte Aurec auf jeden Fall auf dieser Expedition dabeihaben. Constance musste auch mit. Und wenn es um Ausgrabungen ging, war Denise Joorn die beste Ansprechpartnerin. Sie saß sowieso nur tatenlos herum, seit sie wegen der Expedition auf die IVANHOE II gewechselt war, und grämte sich wegen Alaska Saedelaere.

Er wollte außerdem Leute mitnehmen, die eine gewisse Motivation hatten, Maya zu finden.

»Sato, ich möchte, dass die Gruppe Zero uns begleitet. Erkläre ihnen, dass wir eine Spur von Maya ki Toushi haben. Diese Jaycuul und Termetoren scheinen keine netten Gesellen zu sein. Da können wir solch verwegene Leute gebrauchen.«

»Hai, wakarimashita, Aurec-San!«

Aurec schüttelte unwillkürlich den Kopf. Sato Ambush, Constance, Denise Joorn, die Gruppe Zero und seine Wenigkeit. Eine illustre Truppe! Hoffentlich ging das gut.

5. Neue Verbündete

Der Zoom der Außenbordkamera zeigte den 500 Kilometer durchmessenden Satelliten des Resif-Sideras mit seinen blaugrünen Seen, den rotvioletten Wäldern und mit blauem Schnee bedeckten Gipfeln.

»Wir sind noch exakt 433,678 Millionen Kilometer von Thol2727 entfernt, Sir! In Kürze werden wir den Mond erreichen«, meldete Lorif.

Fyntross warf Danton einen warnenden Blick zu. Offenbar misstraute er ihm gewaltig. Doch das beruhte auf Gegenseitigkeit. Es war schwer, jemandem zu trauen, der einem nicht traute, weil er wusste, dass er ihm auch nicht traute. Verrückt, oder?

»Hier Roi, ich habe Kaffee gemacht!«, sagte Pyla stolz und reichte Roi die schwarze Flüssigkeit in einer Tasse.

»Roi, ich habe Kaffee gemacht«, äffte Fyntross sie nach. »Sind wir hier auf einem infantilen Kindergeburtstag? Ich warne dich, Danton, keine Spielereien und Tricks diesmal. Sonst schlitze ich deiner hübschen Dumpfbacke das Goldkehlchen durch.«

Nun stand Irwan Dove auf. Der kahlköpfige Oxtorner mit der olivgrünen Haut überragte Fyntross.

»Dann mache ich Sushi aus dir!«

Danton verdrehte die Augen. Diese angespannte Allianz würde sicherlich nur noch ein paar Stunden halten. Endlich erreichten sie Thol2727. Die DUNKELSTERN näherte sich der VIPER, die im Orbit schwebte.

»Was habt ihr nur mit dem schönen Schiff gemacht?«, fragte Wallace entsetzt, als er die Schäden an der Außenhülle begutachtete.

»Kannst du es reparieren?«, wollte Fyntross wissen.

»Ynkonitstahl kann man zusammenschweißen. Das Ding ist eher, welchen Schaden die Systeme davongetragen haben. Lorif?«

»Ich werde das überprüfen. Wir müssen dazu jedoch an Bord der VIPER, um eine umfangreiche Systemanalyse durchzuführen«, erklärte der Posbi.

»Kann ich dabei helfen?«, fragte Pyla. »Im Dorf gehörte ich zu den Klügsten.«

»Sie kann ja zählen, wie viele Toiletten die VIPER hat«, meinte Fyntross spöttisch.

»Ich höre da einen gewissen Hohn aus Ihrer Stimme, Sir!«, meinte Lorif. »Denn dieser Vorschlag dürfte nicht ernst gemeint sein. Die Relevanz der Anzahl der Bordtoiletten ist für eine kleine Crew unerheblich. Außerdem ist es in der Konstruktionsanleitung niedergeschrieben. Es sind 60 öffentliche Männertoiletten und 60 Damentoiletten.«

»Also 120!«, rief Pyla und freute sich offensichtlich, die Aufgabe gelöst zu haben.

»Hinzu kommen natürlich die privaten sanitären Einrichtungen in jedem Mannschaftsquartier. Da 40 Personen als Stammbesatzung angegeben ist, existieren 40 Einzelquartiere. Hinzu kommen noch 20 Mehrbelegungskabinen mit einer Kapazität von je 25 Personen, in denen ebenfalls eine Toilette mit je 10 Einzelplätzen eingerichtet sind.«

»Hm, also 120 plus 240. Das sind 360«, kombinierte Pyla.

Fyntross machte nur »Blubb« und wandte sich Krash zu.

»Führe die drei an Bord der VIPER.«

Der Piratenkapitän wandte sich Danton zu.

»Du und deine Gespielin werdet zum Essen erwartet. Mumdök möchte euch dem Großpaten der Persyallianz und dem Handelskönig der Hamamesch vorstellen.«

*

Während Mathew Wallace, Lorif und Irwan Dove zur VIPER flogen, übernahmen Craasp, Zerzu und Hakkh das Kommando.

»Mondieu«, sagte Roi Danton plötzlich echauffiert und wischte sich mit einem Tüchlein den nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn.

Ihm war dabei nicht sonderlich wohl. Er hatte keine Zeit gefunden, eine geeignete Crew zusammenzustellen. Vielleicht hätte er diese Haudegen der Gruppe Zero nicht auf der FLASH OF GLORY lassen sollen.

Pyla wuselte ihre Haare während des Fluges zum Piratennest von Thol zurecht. Fyntross war still. Das gefiel Roi nicht. Wieder hatten sie das Problem mit dem Vertrauen.

»Wie sehen meine Haare besser aus?«

Pyla legte einige Strähnen ins Gesicht.

»Sieht schön aus«, sagte Roi knapp.

Dann wuschelte sie wieder durch ihre blonde Mähne und legte die Haare erneut ins Gesicht. Er konnte eigentlich keinen Unterschied zu vorher ausmachen, meinte aber: »Ah, viel besser. Richtig sexy.«

Pyla schien damit aber nicht zufrieden zu sein und arbeitete fleißig weiter daran, ihr Haar in die richtige Position zu legen.

Endlich landete die Fähre. Roi hatte immer noch Kopfschmerzen. Vermutlich lag dies aber nicht am Vurguzz des Vormittags, sondern an seinen nervigen Begleitern.

Fyntross führte die beiden zu einem großen Palast. Er war um einiges gewaltiger als der von Bullfah. Die Konstruktion erinnerte ihn an ein skandinavisches Langhaus mit einem spitzen Dach. Hier residierte also der Big Boss der Persyallianz. Die Persyallianz schien auch ein Bündnis mit den Hamamesch zu pflegen. Sie repräsentierten somit die Mafia-Kapitalisten des Riffs: reich, kriminell und skrupellos.

Mumdök erwartete die drei in der Vorhalle des pompösen Gebäudes. Die Wände waren golden bestrichen, der Fußboden glänzte in funkelndem Grün. Bei genauem Hinsehen stellte Danton fest, dass Edelsteine auf dem Boden verlegt worden waren.

Zahlreiche Statuen und Gemälde zierten den Raum. Hier und da stand in der langen Vorhalle eine edel verzierte Sitzbank.

Vier grimmige Manjor sicherten den Eingang zum nächsten Saal. Vermutlich die Audienzhalle, in der sich die beiden Hoheiten befanden. Pyla zupfte wieder an ihrem Haar.

»Hör jetzt auf«, zischte Roi.

»Ich muss doch hübsch aussehen vor den feinen Herren.«

»Das sind Mollusken und ein Fisch. Die interessieren sich nicht für das Äußere einer menschlichen Frau, Chérie!«

»Ach, du bist immer so gemein zu mir.«

»Können wir?«, fragte Fyntross genervt.

Roi lächelte freundlich, ließ Pyla vorgehen und folgte dann gemessenen Schrittes. Der Audienzsaal war genauso prunkvoll wie die Vorhalle. Ein Hamamesch saß auf der anderen Seite des runden Tisches. Zu seiner linken thronte ein übermäßig fetter Persy.

»Nehmt Platz«, forderte Mumdök.

Wabbelnd robbte sich Mumdök zu einer Liege und ließ sich von zwei kopflosen Dychoo heraufheben. Fyntross nahm neben dem Hamamesch Platz. Pyla und Roi saßen auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Irgendwie wirkte das leicht abkapselnd.

»Bonjour, die Herren! Alles klar soweit?«

»Dies ist der Großpate Yomoh. Er ist Vorstandsvorsitzender der Persy Allianz Aktiengesellschaft«, stellte Mumdök seinen Artgenossen vor. »Und dies ist der Handelsfürst der Hamamesch Vertriebsgesellschaft, der ehrwürdige Tillkor.«

Der Hamamesch musterte beide mit seinen Glupschaugen. Nun stand Roi auf und stellte sich und Pyla vor.

»Dies ist die ehrenhafte und zweifellos tugendhafte Madame Pyla aus dem Land zwischen den Ländern. Sie ist für ihren Scharfsinn bekannt. Sie haben die einmalige Ehre, dem König der Freihändler der Milchstraße gegenüberzustehen. Mein Fundus an Erfahrung reicht über Jahrtausende hinweg.«

Roi machte eine affektierte Verbeugung und setzte sich wieder. Fyntross starrte ihn an, als sei er völlig irre. Es überraschte Roi, dass der Piratenkapitän jedoch schwieg.

»Kommen wir sogleich zum Geschäft«, begann Yomoh mit tiefer Stimme. »Sie verfügen über moderne Technologie, die wir kaufen wollen. Nennen Sie uns einen Preis!«

»Einen Preis? Nun …«

Roi hatte natürlich nicht die Absicht, auch nur ein Stück der Technologie an diese Verbrecher zu verkaufen. Die Folge wären schreckliche Beutezüge quer durch das Riff. Im Gegensatz zu Aurec plante er auch nicht, die VIPER Fyntross zu überlassen.

»Nun, ich bin bereits reich. Sehen Sie, meine Herren, ich werde Ihnen keine Technologie verkaufen, die Sie dazu nutzen, um andere zu töten. Das widerspricht meiner Ethik.«

Die beiden Persys bebten vor Erregung. Sie gaben dabei seltsame, unappetitliche Geräusche von sich.

Fyntross lehnte sich zurück. Er wirkte aber keinesfalls entspannt, eher so, als wäre ihm ein Lichtlein aufgegangen.

Der Hamamesch glotzte Roi und Pyla so an, wie er es bereits die ganze Zeit getan hatte. Plötzlich hörte Danton Schreie aus der Vorhalle. Dann dumpfe Aufschläge.

»Was ist da los? Fyntross, sieh nach!«

Bevor sich der Fischkopf erhob, öffnete sich die Tür knarrend. Roi schnellte hoch, als er die beiden Kreaturen erkannte, die soeben über die Schwelle traten. Der eine warf den Kopf eines Manjor auf den Boden. Pyla schrie entsetzt auf.

Der Kuttenträger mit der roten Haut und dem Mal der Drei Sechsen auf der Stirn schritt langsam auf sie zu. In seiner rechten Hand hielt er seinen goldenen Caritstab mit dem Totenschädel am Griff. Sein über zwei Meter großer Bruder des Chaos war ein Wesen, welches seinesgleichen suchte. Die Beine wie ein Pferd mit Hufen, ein wuchtiger Oberkörper und der Kopf eines Elefanten mit vielen Augen und Hörnern. Er wirkte, als sei er der Phantasie eines mittelalterlichen Malers entsprungen.

Cau Thon und Goshkan!

Die Söhne des Chaos hatten soeben die vier Manjorwachen getötet.

»Möchten Sie auch mit uns Geschäfte machen?«, fragte der Hamamesch verwundert.

Cau Thon lachte heiser.

»Was haben wir denn hier? Ein Haufen gieriger, schleimiger Primaten. Ein Pirat, der eher in eine Pfanne gehört als in den Sessel des Kommandanten, eine naive Riffmatratze und natürlich die französische Tunte mit dem Schnüffeltuch.«

Goshkan schritt an Danton und Pyla vorbei. Roi hielt es für angebracht, sich schützend vor die Rideryonin zu stellen. Cau Thon schritt einfach seitlich an Roi vorbei und packte Pyla bei den Haaren. Nun war ihre Frisur wieder dahin, doch Roi vermutete, dass das ihre geringste Sorge war.

»Es erinnert mich an eine amüsante Geschichte. Mein Bruder Goshkan liebt es geradezu, Dorfschönheiten zu schlachten. Er geht dabei sehr langsam und präzise vor, sodass das Opfer lange lebt und an dem Genuss der Qualen teilhaben kann.«

Pyla fing an zu weinen.

»Wieder mal nur in der Lage, kleine Mädchen zu erschrecken, Rothaut?«, fragte Danton herausfordernd.

»Warum glaubst du, dass deine Anspielung an meine Hautfarbe mich grämt? Einfallslos, Terraner!«

Cau Thon blickte ihn unergründlich an und gab Goshkan ein Zeichen. Dieser packte den Kopf des Hamamesch und zerdrückte ihn zwischen den Fingern.

»Der sah auch ziemlich erschrocken aus, nicht wahr?«, fragte Cau Thon mit offensichtlichem Amüsement.

Goshkan widmete sich nun Yomoh und dem wimmernden Mumdök.

»Ich bezahle, was Sie wollen. Wir sind reich. Sie möchten doch bestimmt was kaufen? Frauen?«

Mumdök spuckte vor Angst grünen Schleim aus.

»Geld ist bedeutungslos und in meinen Augen eine Geißel des Universums. Goshkan befreit euch von derlei Last!«

Der Katrone zog sein Schwert und bohrte es in Yomohs Kopf. Der Molluske zitterte und wabbelte umher, bis die Glieder schließlich erschlafften.

»Fyntross, tun Sie was! Na los, wofür bezahle ich Sie?«, fragte Mumdök.

»Furcht! Furcht beeinflusst jene, die Angst haben. Die Starken, die Unschuldigen, die Schwachen.« Cau Thon blickte Pyla dabei an. Roi wusste, dass sie vermutlich nicht mehr lange zu leben hatte.

Mumdök fing an zu schreien. Goshkan richtete den Persy qualvoll mit einem Vibratormesser. Fyntross stand wie angewurzelt am Tisch. Pyla kreischte nun auch.

Roi zuckte zusammen.

»Nein, warte!«, rief er.

Cau Thon zog einen Dolch. Roi war ratlos, überrascht von dem ganzen Angriff. Cau Thon legte den Dolch an ihre Kehle.

»Bedauerlich, dass Fürst Medvecâ bereits dein Dorf ausgelöscht hat. Ich habe gehört, deine Schwester hat bitterlich geschrien. Und dieser Dorftrottel auch. Der Tod ist etwas Herrliches!«

»Was … was willst du? Töte mich, aber lass sie gehen. Sie kann nicht einmal TriVid von Radio unterscheiden. Sie ist doch keine Gefahr für MODROR.«

»Eine Gefahr? Sagte ich das denn? Es ist reines Vergnügen!«

Cau Thon grinste. Rois Arm schnellte hoch, packte die Hand des Xamouri und drückte sie einige Millimeter von Pylas Kehle weg. Doch Thon schlug ihn mit der anderen Hand. Danton taumelte zurück und stolperte rücklings über den Tisch. Er rollte sich ab und kam unsanft auf dem Boden zum Stehen. Noch während er nach der Balance suchte, rammte Cau Thon seinen Dolch in Pylas linkes Schulterblatt. Sie kreischte.

Danton ging um den Tisch und nahm sie entschlossen in den Arm.

Goshkan seufzte enttäuscht im Hintergrund und schaute auf Mumdök.

»Er ist schon tot. Schade!«

Pyla weinte immer noch. Es war ihr Glück, dass Cau Thon nur spielen wollte. Langsam zog Roi den Dolch aus ihrem Körper. Es tat ihm leid, dass er ihr dadurch Schmerzen bereitete, aber er hatte keine andere Wahl.

»Fyntross, hilf uns!«, bat er.

Cau Thon wanderte um den Tisch herum und näherte sich dem Arawak-Bukanier.

»Ja, Fyntross, hilf ihnen.«

»Danton, ich bin abermals geneigt, dein Ersuchen abzulehnen. Ich habe neue Freunde gefunden.«

Der Kapitän blubberte amüsiert. Jetzt endlich kapierte es auch Roi! Fyntross hatte sich den beiden Söhnen des Chaos angeschlossen. Er hatte sie zu ihnen geführt.

Langsam ging er zu den beiden. Offenbar genoss er jetzt dieses Schauspiel.

»Seit wann?«

»Oh, schon eine Weile. Kommt mit, ich zeige es euch.«

Roi half der Riffanerin hoch, die offenbar unter Schock stand. Sie säuselte ein unverständliches Kauderwelsch vor sich hin. Als sie die zerstückelten Manjor in der Vorhalle sah, schrie sie auf und zitterte am ganzen Körper.

»Beeilung, sonst …«, drohte Goshkan. Er musste den Satz nicht beenden. Roi schob Pyla etwas schneller durch den Raum. Sie erreichten den Vorhof.

»Da oben ist die VIPER!« Fyntross zeigte in den Himmel. Tatsächlich war das keilförmige Raumschiff gut zu erkennen. Unweit davon schwebte die DUNKELSTERN. Sie mussten in geringer Höhe fliegen.

Fyntross aktivierte sein Interkomgerät.

»Krash, du darfst!« Fyntross wandte sich wieder an Danton. »Ach ja, die VIPER ist voll einsatzfähig, dank meiner neuen Freunde.«

Ein Blitz zuckte durch den Himmel.

Danton sah ein grelles Leuchten. Eine Explosion. Die DUNKELSTERN war vernichtet. Sein Herz schlug höher. Was war aus Mathew, Lorif und Dove geworden? Nein, so würden sie nicht sterben. Nicht diese drei Haudegen.

Funken streuten vom Zentrum der Explosion. Das brennende Wrack der DUNKELSTERN wurde von der Gravitation des Tholmondes angezogen, funkelnd wie ein Komet trat es in die Atmosphäre ein und verglühte. Die DUNKELSTERN war nun nichts weiter als eine Sternschnuppe, ehe sie im Dunkel der Nacht vollständig erlosch.

Schweren Herzens dachte er an Craasp, Hakkh, Zerzu und die anderen ehemaligen Arawakpiraten. Mögen sie in Frieden ruhen.

»Krash, nun wirf die drei Penner von meinem Schiff«, befahl Fyntross durch den Interkom.

»Kapitän, da gibt es ein Problem. Die drei sind entkommen. Sie haben die stärksten Tholgiganten überwunden und sind mit einer Space-Jet geflohen.«

Roi triumphierte. Auf Wallace, Dove und Lorif war Verlass. Vielleicht wagten sie ja auch den kühnen Versuch, ihn zu retten? Das würde er ihnen hoch anrechnen.

»Terraner haben die lästige Angewohnheit, immer wieder dem Tod davonzulaufen«, sinnierte Cau Thon.

»So sind wir nun einmal. Was wird jetzt aus uns? Wird Goshkan uns auffressen?«

Cau Thon lachte. Diese gute Laune beim sonst so finsteren Sohn des Chaos brachte Roi auf die Palme!

»Deine kleine Freundin schenken wir einem neuen Verbündeten. Sie sieht ja ganz hübsch aus. Er wird seine Freude an ihr haben. Tja und was den Sohn Perry Rhodans angeht …? Nun, das werden wir noch sehen. Oh, …!«

Cau Thon blickte auf sein Chronometer. »Wir kommen zu spät, wenn wir nicht aufbrechen!«

Fyntross nahm Pyla und Danton, doch Goshkan stieß ihn weg. Von der Wucht des Stoßes fiel Fyntross zu Boden.

»Wir bringen sie an Bord der KARAN«, sagte Goshkan bedrohlich. »Offenbar kannst du nicht auf Gefangene aufpassen.«

Fyntross rappelte sich auf und blubberte unzufrieden.

»Kehre zur VIPER zurück und folge der KARAN. Ach ja, Fürst Medvecâ wird dafür Sorge tragen, dass du den Vorsitz über die Persyallianz erhältst. Damit hast du die von dir erstrebte Macht erreicht«, sagte Cau Thon.

Fyntross überwand sofort seine schlechte Laune und blubberte nun heiter. Dann wandte er sich noch einmal Roi zu.

»Sieht so aus, als hätte ich doch gewonnen, nespa?«

Fyntross lachte blubbernd weiter und spuckte dabei Wasser in Dantons Gesicht.

Plötzlich tauchte die KARAN am Horizont auf. Roi atmete tief durch und drückte Pyla an sich. Dann begaben sie sich auf den Weg zum Raumschiff der Söhne des Chaos.

6. Die Allianz gegen Nistant

Der weiße Marmortisch war ebenso groß wie protzig und passte zum Ego des dorgonischen Kaisers. Joak Cascal fühlte sich fast verloren. Ein Laufband rollte die Schüsseln mit Speis und Trank langsam im Kreis umher, so dass jeder sich immer gut nachfüllen konnte. Es duftete herrlich nach gebratenem Geflügel, nach gegartem Gemüse, geschmortem Fleisch und gebackenem Brot. Doch er verspürte keinen Appetit. Auch die 1292er-Domtraube, ein halbtrockener Weißwein vom Planeten Dorgon, schmeckte ihm nicht so recht. Er dachte über Anyas Worte nach. Tat er wirklich das Richtige? Oder war es ein riesengroßer Fehler gewesen, auf das Angebot von Kaiser Volcus einzugehen?

Seinen Tischnachbarn schien das Essen zu schmecken. Kruppus, Osbarus und Volcus schmatzten und schlürften einen Becher Wein nach dem anderen. Osbarus stieß unterdrückt auf. Kruppus besaß nicht so viel Manieren und rülpste herzhaft. Die lauten Essgeräusche ließen Cascal einen Schauer über den Rücken laufen und schnürten ihm den Magen zusammen. An Osbarus’ Mundwinkeln klebte weiße Sauce. An der Unterlippe von Kruppus hingen Kraut und Fleischreste. Einzig Volcus legte gewisse Tischmanieren an den Tag. Er tupfte den Mund mit einem purpurfarbenen Tuch ab.

Anya war dieses Schauspiel immerhin erspart geblieben. Sie hatte darauf verzichtet, mit den anderen zu speisen. Sicherlich war sie gerade ziemlich sauer auf ihn! Im Nachhinein war es aber eine kluge Entscheidung gewesen, sie wegzuschicken.

Cascal knabberte an einem Stück Weißbrot.

»Wann werde ich endlich diesen ominösen Verbündeten zu Gesicht bekommen?«

»Sehr bald, mein lieber Freund! Sehr bald!«

Wenige Minuten später summte der Messenger von Kruppus. Er stand auf, wobei Essensreste von seiner Kleidung flogen, und stapfte aus dem Raum. Wieder einmal tat er so, als wäre er wichtig.

Nach einer Weile trat Kruppus wieder ein und nickte Volcus zu. Dieser tupfte mit seiner kaiserlichen Serviette erneut die Essensreste vom Mund.

»Bitte holt Anya her.«

Es dauerte nicht sehr lange, dann wurde sie von Osbarus in den Thronraum gebracht. Sie bedachte Joak mit bösen Blicken.

Kruppus kicherte albern.

»Unsere beiden Verbündeten warten im Nebenraum. Aber sie haben dir ein Geschenk mitgebracht, mein lieber Volcus.«

Kruppus ging vergnügt ins Nebenzimmer und kam mit einer hochgewachsenen Blondine zurück.

Pyla!

»Was geht hier vor?«, wollte Cascal wissen.

Er betätigte den Notruf an seinem Chronometer. Ein Signal wurde an Will Dean gesendet. Sie wussten nun, dass etwas nicht stimmte.

Pyla blutete an der Schulter und war in einem grässlichen Zustand. Anya stand auf und ging sofort zu ihr.

»Sie braucht medizinische Versorgung. Nun tut doch schon etwas. Wer hat dir das angetan?«

Pyla weinte und säuselte etwas vor sich hin, was Cascal nicht verstand. Auch Anya hatte ihre Probleme.

»Etwas Biomolplast, ein Bad und Schminke, und sie ist wie neu.«

Cascal schloss für eine Sekunde die Augen. Er kannte diese Stimme! Aus dem Dunkel des anderen Raums schälte sich eine Gestalt hervor. Es war Cau Thon. Ihm folgte Goshkan.

»Das sind die Verbündeten?«, fragte Cascal.

Doch er kannte die Antwort bereits.

»Ja, mein lieber Joak! Sie werden uns helfen, Nistant zu töten. Der Austausch wird nicht stattfinden, die Ylors werden weiterhin das Rideryon beherrschen, welches zur nächsten Galaxie fliegen wird. Anya wird nicht mehr belästigt und Sie können die Kleine vögeln. Und ich die andere Blondine.«

Volcus kicherte lüstern und warf Pyla einen Luftkuss zu.

»Volcus, Sie sind ein Stück Dreck«, antwortete Cascal. »Und ich ein Narr! Wie konnte ich Ihnen ansatzweise vertrauen? Wir werden niemals mit MODROR kooperieren! Es ist mir nun klar, dass Nistant unser Verbündeter ist, wenn MODROR ihn töten will!«

Cau Thon ging zu Anya und Pyla. Er drückte in Pylas Wunde an der Schulter. Sie schrie laut auf.

»Tut noch weh, was?«

Dann ging er weiter.

»Volcus, ich sagte Ihnen doch, dass Cascal nicht kooperieren würde. Sie wollen jeden als Freund gewinnen. Sie sind viel zu harmoniesüchtig.«

»Ja, jeder hat so seine Schwächen«, meinte Volcus und seufzte.

Dann lachte er heiter. Kruppus stimmte in das Gelächter ein.

»Ich werde die Kleine nachher selber baden. Ich kenne da eine gute Kur für sie. Meinen kleinen Domadler!«

Anya nahm die Rideryonin schützend in den Arm.

»Lasst sie in Ruhe! Seht ihr nicht, dass sie am Ende ist?«

»Och, zu dir kommen wir auch noch«, meinte Kruppus drohend. »Du wirst unser Köder sein, um Nistant in eine Falle zu locken. Anschließend kannst du deiner Freundin im Harem von Volcus und Kruppus Gesellschaft leisten. Und wenn wir mit euch fertig sind, sind eure Muschis so groß wie ein Sternenportal.«

Kruppus lachte schallend. Volcus stimmte amüsiert ein. Anya stand auf und ging zum Anführer der Prettosgardisten. Sie spuckte ihm ins Gesicht und trat ihm dann in seine Genitalien. Kreischend sackte der dicke Dorgone auf den Boden und rang nach Luft.

Nun lachte Cau Thon.

»Resolut! Das bewundere ich. Dennoch wirst du den Lockvogel spielen. Nistant ist besessen von dir oder Ajinah. Die Liebe wird sein Verhängnis werden.«

Cascal hoffte jede Minute, dass Will Dean mit dem Mutantenkorps eintreffen würde. Doch je mehr Zeit verstrich, desto geringer wurde seine Hoffnung.

Cau Thon schien die Gedanken des Terraners zu erraten. Er aktivierte auf dem Tisch ein Hologrammprojektor. Der Hangar, in der die Space-Jet stand, wurde gezeigt.

»Deine Freunde hätte ich beinahe vergessen. Nun stecke ich in einem Dilemma. Ich benötige sie nämlich überhaupt nicht. Sie sind ohne Wert für mich.«

Cascal erschrak. Nein! Das durfte er nicht tun. Cau Thon tippte auf der Konsole herum. Die Soldaten um die Space-Jet herum zogen ab. Dann zuckte ein Energieblitz auf das kleine Schiff und desintegrierte es.

»Oh mein Gott! Nein!«, rief Cascal und schämte sich seiner Tränen nicht. »Ihr widerwärtigen Mörder!«, brüllte er.

»Wo bleiben deine Manieren, Cascal?«, fragte Cau Thon. »Nun, wir müssen gehen. Fyntross hat uns berichtet, dass Aurec und die Gruppe Zero nach dieser Maya ki Toushi suchen. Ich denke, Goshkan und ich sollten auf die Jagd gehen.«

Goshkan versetzte Joak einen schmerzhaften Schlag in den Bauch. Er sank auf die Knie. Cau Thon beugte sich zu ihm herab.

»Lange genug habt ihr MODROR getrotzt. Jetzt machen wir ernst und töten einen nach dem anderen von euch. Keine Sorge, die besten heben wir uns bis zum Schluss auf. Volcus, bringt die drei zu Fürst Medvecâ. Krümmt Anya kein Haar, sie ist wichtig. Macht mit der anderen Schlampe, was Ihr wollt.«

Cau Thon blickte spöttisch auf Kruppus, der sich langsam von dem Fußtritt ins Munitionslager seines Domadlers erholte.

»Sofern ihr dazu noch in der Lage seid. Komm, Goshkan! Wir haben noch eine Menge Leute zu töten!«

Die beiden Söhne des Chaos verließen Volcus’ Kabine. Starr vor Entsetzen blickte Joak auf das Hologramm, welches den leeren Fleck im Hangar zeigte, wo sich eben noch die Space-Jet befunden hatte.

Dann rappelte er sich auf und setzte sich in das Sofa zu Pyla. Sie wurde von Anya versorgt. Anya ließ von der Rideryonin ab und sah sich Joaks Wunde an.

Er winkte ab.

»Nur ein paar Prellungen. Nicht so wild.«

»Ich will mir das trotzdem ansehen«, beharrte sie und untersuchte behutsam die Wunden. »Es war nicht deine Schuld. Du konntest nicht wissen, dass es eine Falle ist!«, sagte sie schließlich.

»Oh doch! Ich hätte euch niemals an Bord dieses Raumschiffes bringen dürfen. Volcus hätte zur FOG kommen sollen. Dann würden sie noch am Leben sein und wir nicht gefangen!«

Sie hatten alle Fehler begangen. Roi Danton offenbar auch. Oh nein! Mathew Wallace, Lorif und Irwan Dove! Waren sie wirklich tot? Das durfte nicht sein! Cascal wandte sich Pyla zu, die immer noch unter Schock stand.

Es dauerte eine Weile, dann reagierte sie auf ihn und berichtete, dass die DUNKELSTERN vernichtet wurde und Roi in Gefangenschaft war.

»Er ist auch auf dem Schiff. Aber Mathew konnte fliehen. Sie holen uns bestimmt hier raus!«

Er teilte Pylas Optimismus nicht. Sie kannten gar nicht die Position der VOLCUS GLANZ. Vermutlich flog das Adlerraumschiff geradewegs zu den Ylors.

»Könnt ihr euch nicht schon nackig machen, ihr süßen, blonden Weinbergschnecken?«, fragte Volcus ganz verzückt. »Wenn du möchtest, nehme ich dich auch durch, Joak! Seht doch ein, dass es euch bei mir besser geht. Oder wollt ihr wieder zurück zu Cau Thon und Goshkan?«

Anya stand auf und ging zum Dorgonischen Kaiser. Cascal erhob sich auch. Sie machte hoffentlich nichts Unüberlegtes.

»Ich ziehe Goshkan dir vor! Das gilt für uns alle drei!«

»Genau. Stimmt’s Pyla?«, fragte Joak.

»Nein! Ich will nicht zu diesem Monster zurück!«

Volcus grinste überlegen.

Die Prettosgardisten umstellten den Terraner.

»Bringt Cascal zu Danton. Die beiden Frauen kommen in den Harem«, befahl der Kaiser.

7. Despairs Entscheidung

Despair

»Was gibt es für Neuigkeiten, Despair?«

Das blaue Hologramm von Emperador de la Siniestro flackerte unruhig.

Ich befand mich in einem provisorischen Unterstand unweit eines SUPREMO-Kreuzers an der Absturzstelle der IVANHOE II. Der Kommandostand war auf sandigem Boden mit Formenergie errichtet worden. Die Energie hatte graue Wände und einen grauen Boden geformt. Der Tisch und die breiten Sessel waren ebenfalls aus ihr gebaut worden. Einzig die Syntronik und den Hologrammprojektor hatte man aus dem SUPREMO-Kreuzer gebracht.

»Aurec und Constance sind mit einer Spezialgruppe aufgebrochen, um diese Maya ki Toushi zu suchen. Offenbar hat Constance eine Vision gehabt.

Keine Nachricht von Danton!«

»Ich wurde darüber informiert, dass Joak Cascal und Anya Guuze zu Kaiser Volcus zwecks Verhandlungen aufgebrochen sind. Die VOLCUS GLANZ ist mit unbekanntem Ziel weggeflogen. Wir können sie nicht orten. Seltsam.«

»Vermutlich das Semitransitfeld. Sagen Sie, dass Oberst Tantum nach Emissionen aus dem STF suchen soll.«

De la Siniestro nickt und gab mir noch weitere Instruktionen. Ich sollte auf Peter achtgeben. Er und seine Holsteiner spielten sich bei der IVANHOE II ziemlich auf, aber ich hatte alles unter Kontrolle.

Im Moment marschierten sie zu »Preußens Gloria« durch den Sand. Wir hatten draußen einen Befehlsstand eingerichtet. Auch wenn wir uns in der Wüste befanden, so war es hier doch schöner als im kalten Raumschiff. Die Sonnen brannten heiß. Ich hätte mich am liebsten meiner Rüstung entledigt, doch die Mannschaft kannte mich nur in diesem Anzug. Ihn abzulegen würde mein Ansehen schmälern.

Mein Emperador rief mich erneut. Irgendetwas musste geschehen sein.

»Despair, begebt Euch unverzüglich an Bord der EL CID. Ich erwarte Euch im Thronsaal.«

Sofort befolgte ich den Befehl und begab mich in den SUPREMO E-Raumer. Von dort aus wurde ich durch den Transmitter an Bord der EL CID abgestrahlt. Nach wenigen Minuten erreichte ich den Thronsaal des Emperadors.

De la Siniestro erwartete mich.

»Was gibt es, mein Gebieter?«

»Begebt Euch zur VOLCUS GLANZ. Wir haben ihre Position ausfindig gemacht. Der Kaiser wünscht mit einem Sohn des Chaos zu reden.«

Was? Woher wusste Volcus davon?

»Offenbar sind unsere Brüder aktiv, mein Freund! Der Kontakt zur DUNKELSTERN ist abgebrochen und Cascal gilt als verschwunden. Volcus kennt vielleicht die Lösung für dieses Rätsel«, erklärte der Spanier.

Ich verneigte mich vor dem Emperador und befolgte seine Order. Wir hatten die VOLCUS GLANZ lokalisiert. Sie bewegte sich auf der Schattenseite des Riffs. Im Reich der Ylors!

Der Antigrav brachte mich zu jenem Hangar, in dem sich mein persönliches Raumschiff – die BREEN – befand. Die Flügel waren an das kugelförmige Cockpit gelegt. Bodenraumpersonal führte die letzten Wartungen durch. Ein Offizier signalisierte mir die Einsatzbereitschaft des Raumers.

Ich betrat die ausgefahrene Landeluke und ging ins Innere. Die BREEN bestand aus dem Cockpit, einem Ruheraum mit Kombüse und Sanitäranlagen sowie einer Waffenkammer. Der Rest des Raums war für die Technologie bestimmt. Der Antigrav hob die BREEN fünf Meter in die Höhe und schob sie langsam Richtung Hangartor. Es öffnete sich. Die Flügel senkten sich zur Seite. Ich deaktivierte den Antigrav und schaltete auf Impulstriebwerk um. Das Resif-Sidera war mit einem Durchmesser von einigen Milliarden Kilometern verhältnismäßig klein. Ich benötigte kein Metagravtriebwerk.

Die VOLCUS GLANZ war 14 Millionen Kilometer entfernt. In kosmischen Dimensionen ein Katzensprung.

Während meines Fluges zum dorgonischen Adlerraumschiff erhielt ich einen Funkspruch von Cau Thon.

»Mein getreuer Bruder! Wie ich sehe, suchst du uns, doch wir sind nicht mehr auf dem dorgonischen Raumer.«

Cau Thon berichtete mir von der Gefangennahme von Joak Cascal, Roi Danton und Anya Guuze. Ebenfalls erzählte er mit Stolz von der Ermordung der vier Mutanten und des ehemaligen TLD-Agenten Will Dean. Mich schockierte diese Nachricht, denn das bedeutete, dass auch Myrielle Gatto tot war. Ich bedauerte ihr Ableben, denn sie hatte mir einst etwas bedeutet.

Ihr Tod zeigte aber auch, dass der Widerstand gegen MODROR sinnlos war. In den letzten Wochen hatte ich immer wieder mit dem Gedanken gespielt, mich gegen den Kosmotarchen zu wenden, doch es wäre ein hoffnungsloses und ebenso törichtes Unterfangen gewesen. MODROR war mein Herr, in gewissem Sinne sogar mein Vater und die einzige Zukunft für die Menschheit. Stellten wir uns gegen ihn, würden wir alle untergehen.

Es wunderte mich, dass Cau Thon nicht auf den Tod von Rodrom einging. Er musste doch davon wissen. Nahm er mir das vielleicht nicht übel? Offenbar vermisste niemand Rodrom. Nicht einmal MODROR.

»Aurec und ein Spezialkommando suchen Maya ki Toushi. Sie ist eine Lilim und wir vermuten, dass sie etwas auf dem Rideryon gefunden hat, was MODRORS Pläne behindern könnte. Wir sollten diese Chance nutzen und Aurec gefangen nehmen. Vielleicht auch deine Hexenfreundin Constance.«

Cau Thon lachte heiser.

»Und die anderen Teilnehmer der Expedition?«

»Sie können sterben. Goshkan freut sich schon auf die Jagd. MODROR möchte jedoch die Anführer unserer Gegner lebend. Ich weiß nicht, was er plant, doch es ist gewiss weise.«

In der Tat würden wir nun endgültig die Oberhand gewinnen, wenn sowohl Roi Danton, Aurec als auch Joak Cascal in unserer Hand waren. Damit wären die Feinde kopflos, zumal Perry Rhodan in der Lokalen Gruppe von den sich zuspitzenden Ereignissen abgeschnitten war.

Sam war ein Pazifist und kein Kämpfer, Eorthor mangelte es an Empathie, und Osiris würde nicht allein gegen uns bestehen können.

»Nachdem wir Aurec gefangen genommen haben, wäre es klug, die IVANHOE zu besetzen«, schlug ich vor. »Dann haben wir alle!«

Cau Thon schien dieser Plan zu gefallen.

»Hervorragend! Ich registriere, dass das Quarterium Truppen dort hat. Gut, sie vertrauen euch. Das soll auch vorerst so bleiben, mein Bruder! Vorerst. Ich übermittle dir die Koordinaten. Folge uns mit der BREEN. Es wird Zeit, Menschen zu jagen!«

»Noch etwas«, sagte ich drohend. »Was ist mit Pyla?«

»Wer? Oh, …« Cau Thon stockte. Ich schloss die Augen. Nein, bitte nicht Pyla! Bitte nicht!

»Du und diese Rideryonin? Die Hexe ist nicht mehr?«

»Antworte!«

»Sie ist etwas angekratzt, aber am Leben. Sie befindet sich auf der VOLCUS GLANZ. Ich … werde dann Volcus informieren, dass er sie in Ruhe lassen soll, wenn es dir etwas bedeutet.«

»Das übernehme ich selbst. Wir treffen uns …«

»Nein! Die Mission geht vor! Nun folge endlich der KARAN!«

Mir gefiel das nicht. Ich war in Sorge um Pyla. Auch machte ich mir um Anya Guuze Gedanken. Doch ich befolgte den Befehl meines Chaosbruders.

Ich musste meine Gefühle unter Kontrolle halten. Meine Emotionen für Pyla, Constance, Anya – ja sogar für Leute wie Jaaron Jargon waren gefährlich.

8. In des Kaisers Klauen

Roi Danton fühlte sich wenig behaglich bei diesem Dinner. Es gab eine Reihe an Störfaktoren bei diesem Schmaus. Der störendste Faktor war sicherlich die Tatsache, dass sie als Gefangene an Bord der VOLCUS GLANZ residierten. Dann waren da noch der Kaiser und seine Schergen. Unsympathisch und arroganter als die egozentrischen Arkoniden es je gewesen waren! Tja, und die Tischmanieren von Kruppus ließen auch zu wünschen übrig. Wie ein Schwein stopfte er das fettige Geflügel in sich hinein, sabberte und bekleckerte sich überall. Er begleitete jeden Bissen mit Kau- und Schmatzgeräuschen, die Danton einen Schauer über den Rücken laufen ließen. Wie sollte man unter diesen Umständen die Kost genießen?

Mit Unbehagen ließ er den Blick über die Tischnachbarn an dem pompösen weißen Marmortisch mit dem integrierten Laufband schweifen.

Er beobachtete Joak Cascal und Anya Guuze. Auch den beiden war der Appetit vergangen. Anya schien mehrmals innerlich zu würgen, als sie Kruppus beim Essen zusah. Wenig verwunderlich.

Pyla stocherte in ihrem Essen herum und leerte inzwischen das fünfte Glas Wein. Nun, er schmeckte köstlich, doch Roi befürchtete, dass die Buuralerin Dummheiten beging, wenn sie mal wieder ihr Gehirn in Alkohol ertränkte.

Kaiser Volcus I. bedachte die beiden Damen am Tisch mit lüsternen Blicken und trug ein Dauergrinsen auf den Lippen. Offenbar freute er sich bereits auf das Dessert, welches ganz offensichtlich aus den beiden Blondinen bestehen sollte.

Auch dies galt es zu verhindern. Roi hatte nun eine Weile Zeit gehabt, sich zu sammeln. Der Verlust der DUNKELSTERN und ihrer Crew war ein Schock gewesen. Dass nun auch die Mutanten und Will Dean nicht mehr am Leben waren, erschütterte ihn. Jedoch schien sich Joak Cascal noch weitaus mehr zu grämen.

Dies wiederum brachte Roi in die missliche Lage, nicht selbst die melancholische Mimose spielen zu dürfen. Jemand musste schließlich jetzt die Initiative ergreifen. Deshalb …

»Sag mal, Pyla, hast du deine Geschlechtskrankheit eigentlich inzwischen kurieren lassen?«

»Was bitte?«

»Na die Syphilis und den unithischen Genitalschleim. Ich sagte dir doch, du sollst zum Onkel Doktor auf der IVANHOE. Nicht getan, nespa?«

Pyla schüttelte langsam den Kopf. Volcus sah Pyla mit Ekel an. Roi freute sich innerlich. Beherzt nahm er nun auch eine Hähnchenkeule.

»Besonders der unithische Genitalschleim ist abartig. Frisst sich durch alle Verhütungen und ist hochgradig ansteckend. Ich sage dir, liebe Pyla, ich war verdammt froh, einen Zellaktivator zu haben. Kümmer dich da drum!«

Roi lachte.

»Na, und unsere Anya schaut ja so aus, als sei das Druuf-Universum wieder bei ihr eingerückt.«

Anya spuckte den Bissen, auf dem sie herumgekaut hatte, prustend aus. Sie sah Danton wütend an, dann hielt sie inne und nickte zögerlich.

»Äh ja. Stimmt. Regelmäßig halt …«

Volcus’ Miene gefror, während Kruppus schallend lachte.

»Mich stört beides nicht.«

Nun gefror Rois Lächeln. Anya warf die Gabel resignierend auf den Teller, während Pyla das nächste Glas leerte.

Wie tief konnte eine Zivilisation sinken mit derlei Oberhäuptern? Immer wieder zeigte sich der Unterschied zwischen Schein und Sein. Volcus und Kruppus waren exzellente Verkäufer. Beide waren charakterlich auf tiefstem Niveau und hatten es doch geschafft, genügend Sympathisanten zu finden, um an die dorgonische Macht zu kommen.

»Außerdem glaube ich deinen Lügen nicht. Wir haben Pyla doch schon vorhin untersuchen lassen. Kerngesund – sieht man von schlechten Leberwerten ab. Und ich bin mir sicher, dass die liebe Anya auch absolut fit ist. Oh Mann, ich freue mich schon so. Das wird so eine elitäre Party nachher!«

Kruppus kicherte irre.

»Ich will hier weg. Roi, bring uns alle hier weg, bitte.«

Pyla klammerte sich an Rois linken Arm. Danton hätte nicht gedacht, dass die Gesellschaft der schwabbeligen Persys ihm angenehmer sein würde als die von Volcus. Doch Roi wollte die Gunst der Stunde nutzen.

»Sie haben es geschickt geschafft, die Spitze des Dorgonischen Reiches zu erklimmen. Meine Bewunderung, Kaiser!«

»Danke sehr. Gebt dem Pöbel, wonach er verlangt. Dieses Motto hat schon vielen Kaisern Dorgons geholfen. Und die Dorgonen verlangen lukrative Kolonien. Deshalb werden wir Nistant stoppen!«

Volcus hob das Glas.

Kruppus nagte die Reste vom Hühnchenknochen. Sein Mund war fettig, und an der rechten Wange klebten Hautfetzen des Geflügels. Dann wandte er sich Anya zu und spitzte die Lippen.

»Ein kleines Küsschen zum Vorgeschmack.«

Anya nahm ihren Teller und drückte ihn Kruppus ins Gesicht. Roi überraschte, dass der Dorgone seine Haltung wahrte. Langsam nahm er ein Tuch und wischte sich das Essen aus dem Gesicht.

»Nun gut. Ich verstehe. Das wirst du noch bereuen, wenn dich die harte Speerspitze Dorgons durchhämmert.«

Die Worte waren langsam und sehr kalt ausgesprochen worden. Anya lehnte sich instinktiv zu Joak Cascal, der ihre Hand nahm. Sie alle wussten, dass diese Worte ernst gemeint waren. Roi mochte sich gar nicht ausmalen, was Kruppus auf Herton mit Uthe Scorbit angestellt hatte, bevor sie gestorben war. Der Anführer der Prettosgarde mochte zwar primitiv erscheinen, doch man durfte ihn nicht unterschätzen. Was sollte man nur gegen diese Triebtäter tun?

Vielleicht …

»Meine Herren, ihr habt euch den Söhnen des Chaos verschrieben. Doch was ist, wenn ich mehr biete?«

Volcus sah Kruppus interessiert an. Dann lehnte er sich zurück und zog genüsslich an seiner Zigarre.

»Terranische Frauen sind für ihre Schönheit bekannt. Ich schenke euch beiden Dutzende Bräute von Anyas und Pylas Kaliber. Als König der Freihändler bin ich sehr einflussreich.«

Volcus lachte.

»Das ist doch bloß ein bedeutungsloser Titel. Du bist nichts weiter als ein Mitglied der USO. Ich kann alle Frauen des Universums kaufen, wenn ich will. Es mangelt mir nicht an Reichtum, und die Allianz mit MODROR erscheint mir äußerst lukrativ.«

Das war wohl ein klares Nein.

Plötzlich ging ein Ruck durch das Raumschiff. Volcus blickte Kruppus besorgt an, der sofort aufstand und zu einer in der Wand eingebauten weißen Konsole mit einem großen Bildschirm ging. Er stellte Kontakt zur Kommandozentrale her und wurde über das Problem informiert.

Der bärtige dorgonische Kommandant auf der Brücke wirkte angespannt.

»Der Antrieb ist abrupt ausgefallen. Vor uns hat sich ein Strukturriss geöffnet.«

Innenillustration: STERNENMEER von Lothar Bauer
STERNENMEER © Lothar Bauer

Ein Hologramm der Außenansicht erschien. Ein blaues Loch hatte das Weltall an einer einige Kilometer umfassenden Stelle aufgebrochen. Sie waren noch im Orbit um das Riff, befanden sich also noch nicht bei den Ylors. Roi wusste, um was es sich handelte. Die Bestätigung folgte Sekunden später, als sich die STERNENMEER aus dem Strukturriss katapultierte.

»Nistant ist gekommen«, sagte Anya mit einem kühlen Lächeln an Volcus und Kruppus gerichtet. »Mein knöchriger Freund …«

Volcus wurde bleich.

»Schutzschirme hochfahren! Alarmstufe rot!«

Die STERNENMEER raste auf die VOLCUS GLANZ zu. Nur einhundert Kilometer vor dem Adlerschiff stoppte sie.

»Wo sind die Ylors?«, fragte Kruppus verunsichert. Damit hatten sie offenbar nicht gerechnet.

»Sie sind nicht hier.«

Die finstere Stimme gehörte Nistant. Urplötzlich stand er im Raum. Wie immer war seine Erscheinung mehr als beeindruckend. Er sah aus wie ein lebender Toter, wie ein Monster aus der Unterwelt, der leibhaftige Tod. Und doch pulsierte in seinen Augen das Leben und offenbar auch die Liebe, als er Anya ansah.

»Dorgons Speer wird Anya nicht durchbohren, Abschaum!«

Kruppus zuckte zusammen. Die dorgonischen Wachen am Eingang verteilten sich im Raum. Nistant bedachte sie mit einem kalten Lächeln. Langsam zog er sein Schwert und wanderte um den Tisch herum.

»Ihr seid so verrottet! Die Gier steht in euren Gesichtern geschrieben. Jeder Atemzug von euch widert mich an.«

Nistant schritt an Anya und Joak vorbei, anschließend an Roi und Pyla. Bei der Buuralerin blieb er stehen.

»Fürchte dich nicht, naives Kind! Sie werden dich nicht schänden. Dein Herr, nein, dein Gott ist zu eurem Schutz hier.«

Pyla stand auf und fiel vor Nistant auf die Knie. Er schien ehrlich gerührt zu sein.

»Steh auf. Ich erwarte nicht die Huldigung, die diese zwei Kreaturen fordern. Dorgonen, geht oder ihr seid des Todes!«

»Tötet ihn«, sagte Volcus kalt.

Die fünf Wachen zogen ihre Waffen, doch Nistant sprang in die Luft, machte einen Salto und schon fielen die Köpfe der ersten beiden Prettosgardisten. Als er hinter ihnen landete, schlitzte er den Dritten auf. Dann verwandelte er sich in Cul’Arc, flog in die Luft, kam hinter den letzten beiden wieder zum Stillstand und streckte sie nieder. Kurz danach verwandelte sich Nistant zurück.

Das war ebenso unerwartet wie beeindruckend gewesen.

»Ich werde eure vier Gefangenen nun mitnehmen. Sollte ich auf mehr Widerstand treffen, ist es euer Untergang.«

»Nun gut. Dann geht«, sagte Volcus mit belegter Stimme.

Roi half Pyla hoch. Anya und Joak waren bereits fertig und wollten sicherlich am liebsten sofort die VOLCUS GLANZ verlassen. Alle vier gingen zu Nistant. Dieser aktivierte an seinem Gürtel etwas. Roi vermutete, dass es sich um eine Art Fiktivtransmitter handelte. Doch nichts geschah. Zum ersten Mal bemerkte er Verunsicherung bei Nistant. Er drückte mehrmals auf den Schalter, doch sie waren immer noch an Bord des Adlerschiffes.

»Technik ist so verwundbar«, flüsterte eine dunkle Stimme. »Die der Dorgonen ebenso wie deine.«

Aus einer dunklen Ecke trat eine hochgewachsene Gestalt hervor. Das dunkle, glatte Haar war zu einem Zopf gebunden. Die Haut war bleich. Die Augen des Ylors waren schwarz.

Fürst Medvecâ trat in das Licht. Von der anderen Seite stürmten Natalia und Veritor aus einer Ecke.

Die beiden Ylors waren schnell. Die rechte Hand von Medvecâ packte Cascal und drückte ihn zu Boden. Die Fratze Veritors war die eines entstellten Alyskers.

Natalia, einst Nataly Jargon, griff Anya und umklammerte sie von hinten. Natalias Haut war bleich, ihre blauen Augen hatten einen violetten, alyskischen Touch bekommen. Schwarzer Lidschatten und Lippenstift ließen sie noch finsterer wirken.

»Halt«, rief Nistant entsetzt, doch schon hatte Natalia eine scharfe Klinge an Anyas Hals gedrückt.

»Die STERNENMEER wird sich zurückziehen, sonst wird dein Herz der Sterne sterben«, forderte Medvecâ.

Nistant gab einen Befehl an die STERNENMEER. Umgehend verschwand das finstere Raumschiff wieder durch den Strukturriss, der sich kurz danach schloss.

»Der Plan hat funktioniert. Er ist tatsächlich unvorsichtig geworden. Wie hemmend doch Liebe sein kann«, sagte Medvecâ sichtlich amüsiert. Dann klatschte er in die Hände. »Nun haben wir also Danton, Cascal und Nistant. Und schon bald auch Aurec.«

Medvecâ lachte. Plötzlich wurde er jedoch wie von Geisterhand an die Wand geschleudert. Schüsse fielen in Richtung der Ylors.

Rauch stieg auf und alles geschah rasend schnell. Jemand packte Danton und plötzlich fand er sich in einem Raum mit bläulicher Beleuchtung wieder und blickte in das Gesicht von Will Dean!

Er lebte!

Die Person, die ihn eben noch gepackt hatte, war Myrielle Gatto, die ihn anlächelte. Callos, Blanc und Lane waren auch da. Und Cascal, Pyla und Anya!

»Nistant!«, rief Pyla entsetzt.

»Oh«, machte Myrielle und entmaterialisierte, um kurz danach mit dem Herrn des Riffs wiederaufzutauchen.

»Wurde auch Zeit«, murrte er.

»Wie?«, fragte Cascal sichtlich berührt. Er war wohl heilfroh, dass alle noch lebten.

Will Dean schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.

»Uns war schnell klar, dass hier was faul ist. Wir haben mit einem Gerät unsere ID-Impulse in der Space-Jet vorgetäuscht und uns auf der VOLCUS GLANZ versteckt.

Die Dorgonen haben in ihrer Arroganz den Fehler gemacht, sich nicht gegen Mutanten zu schützen. Nicht jeder an Bord des Schiffes ist mentalstabilisiert. Das war recht leicht für Jeanne.«

Dean grinste.

Alle waren froh, noch am Leben zu sein!

9. Die Flucht

Die Situation war abermals prekär. Wieder einmal saß Danton mit seinen Gefährten in der Zwickmühle. Zwar waren sie entkommen, doch keineswegs in Sicherheit. Sie befanden sich in einem Lagerraum mit allerlei grauen Kisten und wenig Platz.

Ein Teleportersprung durch den fünfdimensionalen Schutzschirm des dorgonischen Adlerschiffes war unmöglich. Zwar schützten die Störsender Deans und der Mutanten vor einer Ortung an Bord der VOLCUS GLANZ, doch irgendwann würde der Feind sie finden.

Sie mussten schnell handeln.

»Mein liebes Kätzchen, bitte noch ein Teleportersprung zurück. Ich wünsche, den Kaiser gefangen zu nehmen!«

»Wenn es schief geht, werde ich zu Ylorsfutter verarbeitet. Nun gut.«

Myrielle Gatto atmete tief durch und entmaterialisierte. Wenig später kam sie mit einem völlig verdutzten Volcus zurück, der die Anwesenden ungläubig anstarrte.

»Immer noch keine Parafallen aktiviert? Schlampig, schlampig!«, spottete Joak Cascal. Man hörte eine gewisse Genugtuung aus seinen Worten.

Die Dorgonen waren sich zu sicher gewesen! Ob Volcus’ neue Verbündete ihm dieses Versäumnis verzeihen würden?

Danton nahm Verbindung zur Kommandozentrale des Raumschiffes auf und stellte seine Forderungen. Ein freier Abzug mit einem Beiboot. Sollte alles problemlos funktionieren, würden sie Volcus freilassen. Nun war es am Gegner, diese Forderungen zu akzeptieren. Man würde nun sehen, wie viel den Dienern MODRORS das Leben des dorgonischen Kaisers wert war.

Wenig später meldete sich Kruppus via Funk.

»Wir akzeptieren! Ich konnte unsere Verbündeten überzeugen, dass das Wohl von Kaiser Volcus wichtiger ist als eure Gefangenschaft. Wir bereiten ein Beiboot vor.«

Danton misstraute dem fetten Molch natürlich. Außerdem glaubte er nicht daran, dass Fürst Medvecâ so einfach aufgab. Zu Rois Überraschung verlief der Weg zum Hangar ohne Zwischenfälle. Die Dorgonen schlugen nicht zu. Offenbar wollten sie wirklich das Leben des Kaisers schonen.

Die Tatsache, dass die STERNENMEER nun wieder auftauchte und vor der VOLCUS GLANZ kreuzte, spielte sicherlich auch eine Rolle.

Ihre Chancen standen gar nicht so schlecht. Nistant nahm Verbindung mit Tashree auf und informierte ihn über ihre baldige Ankunft. Will Dean und Joak Cascal überprüften das dorgonische Beiboot auf Fallen, doch sie konnten nichts finden.

»Die Systeme funktionieren normal. Keine Bomben an Bord, keine Paralysestrahler, keine Zeitschaltungen, kein ungebetener Besucher. Zumindest auf die Schnelle nicht erkennbar«, berichtete Dean.

Sie mussten das Risiko eingehen. Solange sie Volcus hatten, waren sie wohl vor Übergriffen sicher. Danton wunderte jedoch die Passivität der Ylors. Es ging alles zu glatt.

Dean und Cascal setzten sich an die Kontrollen. Die vier Mutanten, Pyla, Anya und Nistant setzten sich in den Mannschaftsraum. Sie hielten Volcus dort in Gewahrsam.

Das Raumschiff startete und verließ den Hangar der VOLCUS GLANZ. Die STERNENMEER kam immer näher. Wollte man womöglich, dass dieses Raumschiff die STERNENMEER erreichte? Vielleicht war doch eine Falle irgendwo installiert.

»Bereit machen zur Teleportation«, sagte Roi.

Nistant informierte Tashree, eine Strukturlücke auf sein Kommando zu öffnen. Langsam näherten sie sich dem Raumschiff des Herren des Riffs.

»Zuerst Pyla und Anya«, befahl Danton.

Es gab keine Widerworte.

»Will, den Schutzschirm runterfahren«, rief Roi nach vorn.

Plötzlich ging ein Ruck durch das Schiff. Die STERNENMEER und alles um sie herum wurde undeutlich, verschwand schließlich. Ihrer statt sah Danton eine riesige Dschungellandschaft hinter den Wolken.

»Das Schiff hat sich selbstständig gemacht. Ein Transitionssprung … an die Südseite des Rideryons.«

Verdammt! Roi hatte so etwas befürchtet. Plötzlich hörte er ein Lachen.

»Überlistet!«

Vor ihm baute sich das Hologramm von Medvecâ auf.

»Die Technik der Ylors ist euch um einige Millionen Jahre überlegen. Selbst wenn ihr Stunden gesucht hättet, wäre euch die Manipulation im Navigationsprogramm nicht aufgefallen.«

Er machte eine Pause und rieb sich zufrieden die Hände.

»Wir haben immer noch Volcus in unserer Hand«, begehrte Danton auf.

»Na und? Ihr habt Skrupel und werdet ihn nicht töten. Und wenn doch, euch tot zu sehen ist weitaus wertvoller als ein lebendiger Kaiser Dorgons.«

Danton warf einen Blick auf Volcus, der ausnahmsweise schwieg. All seine Arroganz und Überheblichkeit waren im Angesicht des Todes von ihm gewichen.

Plötzlich erlosch das Hologramm.

»Ich habe die Verbindung zu dem Ylors unterbrochen«, erklärte Dean. »Und das ist unsere Lösung. Wir schalten das Raumschiff aus, dann ist der Schutzschirm auch deaktiviert. Wir müssen nur rechtzeitig wegteleportieren, bevor wir unten aufschlagen.«

Roi sah sich die Leute an. Das würde möglich sein. Er gab Dean den Befehl, die Energie abzuschalten. Er tat es auf eine sehr burschikose Art und Weise, in dem er die Leitungen zerstrahlte. Das Raumschiff vibrierte.

»Los!«, befahl Danton.

Myrielle Gatto schnappte sich Anya und Pyla, während Brad Callos Jeanne Blanc und Hank Lane nahm. Nach einer halben Ewigkeit rematerialisierten die beiden Teleporter wieder in dem Schiff, welches immer mehr Schräglage bekam und dabei schneller wurde. Gatto schnappte sich Dean und Cascal, während Callos den Kaiser und Nistant nahm. Na toll, jetzt saß Danton allein in einem abstürzenden Schiff.

Die Zeit verging. Er hatte Mühe, nicht nach vorn zu rutschen. Die Oberfläche kam immer näher. Ob sie ihn vergessen hatten? Langsam wurde es wirklich Zeit.

Endlich tauchte Myrielle auf.

»Wir konnten uns nicht entscheiden, wer dich abholt. Wollte irgendwie keiner.«

Ein feines Lächeln umspannte ihre Lippen. Sehr witzig fand Roi das nicht. Endlich nahm sie seine Hand, und dann befand er sich auch schon inmitten des dichten Dschungels.

Am Horizont sah er das abstürzende Raumschiff. Es schlug weit entfernt von ihnen auf. Eine Rauchwolke war dennoch zu erkennen.

»Hat jemand eine Ahnung, wo wir hier sind?«, erkundigte sich Anya.

Er blickte sich um. Die Umgebung war vor lauter grünem, rotem, braunem und gelbem Gestrüpp nicht zu erkennen. Exotische Pflanzen mit gelbgrünen Blättern ragten meterhoch in die Luft.

»Irgendwo im Süden des Rideryons. Vermutlich zwei Milliarden Kilometer von der IVANHOE entfernt«, vermutete Will Dean.

Die Mutanten konnten durchschnittlich eine halbe Million Kilometer springen. Sie würden also für eine Tour etwa zwölftausend Sprünge benötigen, um mit allen Beteiligten ans Ziel zu gelangen. Etwas unrealistisch.

»Zu Fuß gehe ich das nicht«, sagte Pyla entschlossen.

»Ohne Transportmittel werden wir die IVANHOE nie erreichen«, gab Cascal zu bedenken.

»Nistant?«

Der Herr des Rideryons hatte die meiste Zeit über geschwiegen. Er trat hervor und musterte die Anwesenden.

»Wir befinden uns nahe eines der großen Meere. Vielleicht zehn Millionen Kilometer von dem Gewässer entfernt, welches sich selbst über Millionen von Kilometern erstreckt.«

Demnach war es per Teleportersprung überhaupt nicht zu überqueren. Sie würden im Wasser landen und ertrinken. Das Riff war so gewaltig. All ihre Technik und Fähigkeiten nützten ihnen im Moment gar nichts.

»In diesen Regionen gibt es keine technologisch weit entwickelten Rassen. Diese konzentrieren sich auf der Nordseite. Millionen von Quadratkilometern Dschungel, Wüsten, Wälder und Ozeane liegen dazwischen.«

Das klang wenig aufbauend.

»Wir müssen um Hilfe rufen. Ist doch klaro«, schlug Pyla vor.

So unrecht hatte sie nicht. Jedoch würde der Feind sicher mithören. Egal, ob Nistant die STERNENMEER kontaktierte oder Danton die IVANHOE II rief: Der Sohn Rhodans war sich ganz sicher, dass Medvecâ sie bereits suchte. Das Beiboot wurde nicht zufällig in diesen abgelegenen Sektor des Riffs geschickt.

»Wir sollten uns im Dschungel verstecken und noch mehr Abstand zur Absturzstelle herstellen«, meinte Cascal.

»Die Störsender funktionieren. Der Feind kann uns nicht erfassen. Irgendwann wird er uns jedoch schon finden, wenn er gründlich genug sucht«, erklärte Dean und hantierte an seinem Gürtel herum, an dem ein Ortungsstörsender angebracht war.

Cascal und Nistant sandten schließlich einen Funkspruch an die IVANHOE II und die STERNENMEER. Darin gaben sie ihre ungefähre Position an, um den Schiffen die Suche zu erleichtern. Natürlich wollte Danton nicht, dass sie auf einem Fleck verharrten.

In mehreren Sprüngen überbrückten sie schließlich über eine Million Kilometer in Richtung Nordwesten. Mehr als zwei Menschen pro Sprung konnte ein Teleporter nicht mitnehmen. Deshalb mussten Gatto und Callos dreimal für eine Tour teleportieren.

Gerade der Kaiser Volcus fiel ihnen zur Last. Auf der anderen Seite war er ein wertvoller Gefangener.

Während die Gruppe über eine klapprige Brücke – das erste Anzeichen an Zivilisation – ging, flüsterte Joak Cascal zu Rhodans Sohn: »Es gibt Probleme mit dem Funk. Offenbar wird das Signal geblockt. Ich glaube nicht, dass die IVANHOE unseren Funkspruch gehört hat. Auch Textnachrichten kommen wohl nicht durch. Zumindest habe ich keine Empfangsbestätigung erhalten.«

Das waren keine guten Neuigkeiten, wenn auch nicht verwunderlich. Medvecâ wusste, wo sie sich ungefähr befanden. Es war nur logisch für den Gegner, die Kommunikation in diesem Gebiet zu stören. Und im Moment suchte sicherlich niemand auf der Südseite des Riffs nach ihnen, abgesehen natürlich von den Dorgonen.

Eine Wolkenfront zog auf und prompt fing es an zu regnen. Myrielle und Brad teleportierten die Gruppe in eine trockene Region. Zuerst nahm Myrielle Pyla und Anya, während Brad Will Dean und Nistant transportierte. Kaum waren sie weg, vernahm Danton ein Rascheln, dann ein lautes Dröhnen. Über ihnen brach plötzlich die Hölle los. Ein dorgonischer Kleinkreuzer schälte sich aus den Wolken und feuerte.

Die Salve explodierte am Boden. Sie wurden alle von den Füßen gerissen. Danton spürte jeden einzelnen Knochen schmerzen. Aus dem Dickicht raschelte es. Veritor sprang heraus. Danton starrte auf die dolchscharfen Zähne. Doch von rechts sprang Hank Lane dazwischen. Beide waren sich kräftemäßig ebenbürtig. Die Ylors und Dorgonen waren hier!

Von links stürmten drei dorgonischen Soldaten in ihren goldbraunen Rüstungen auf ihn zu. Doch sie wurden unsanft zu Boden geworfen. Jeanne Blanc hatte die drei unter Kontrolle. Plötzlich tauchte hinter ihr Natalia auf.

»Hinter dir«, rief Danton.

Natalie griff den Kopf der Terranerin und drehte ihn nach links. Es knackte. Jeanne Blanc sackte leblos zusammen.

»Nein«, rief Brad Callos.

Er teleportierte zu ihr. Die Dorgonen schossen sofort auf ihn. Er wich mit kleinen Teleportationssprüngen aus. Natalie packt Jeanne und biss ihr in den Hals. Als Brad erkannte, dass sie sich an ihr weidete, blieb er stehen, starrte fassungslos in ihre Richtung. Der Moment der Ablenkung reichte aus, um von den Strahlen der dorgonischen Schützen getroffen zu werden.

Auch Brad Callos war tot.

Volcus rannte in den Dschungel. Joak Cascal hatte sich inzwischen auch wieder aufgerappelt und feuerte dem Kaiser hinterher. Doch er traf ihn nicht. Er wurde von den drei Offizieren unter Beschuss genommen. Cascal erschoss erst einen Dorgonen, dann den zweiten. Der dritte Dorgone verschwand im undurchsichtigen Grün.

Volcus war entkommen.

Lane und Veritor kämpften. Der Mutant drückte den Ylors zu Boden und würgte ihn. Natalia sprang auf ihn und rammte ihm einen Dolch in den Hals. Immer wieder stieß sie lachend zu, bis Hank Lane keinen Widerstand mehr leistete und leblos auf Veritor liegen bleib. Der Ylors schob den Leichnam von sich. Natalia war blutverschmiert. Es war das Blut von Jeanne Blanc und Hank Lane. Ihr Blick richtete sich nun gen Danton.

Er war der Nächste.

Joak Cascal feuerte auf sie. Natalia und Veritor verschwanden im Gebüsch.

Nun kehrte auch Myrielle zurück.

»Weg hier«, rief Danton.

Sie packte geistesgegenwärtig den Sohn Rhodans und Joak Cascal und teleportierte mit ihm davon. Erschöpft sank Danton zu Boden und starrte die anderen an.

»Was ist geschehen?«

»Ein Hinterhalt«, sagte Cascal knapp. »Callos, Lane und Blanc haben es nicht geschafft. Volcus wurde von Dorgonen und Ylors befreit.«

Sie waren Gejagte und hatten ihr einziges Pfand verloren. Doch nicht nur das. Sie hatten auch drei Freunde verloren. Das komplette Inselmutantenkorps existierte nicht mehr.

Hank Lane, Brad Callos und Jeanne Blanc waren tot.

10. Flug zum Rideryon

Sandal Tolk war bereit.

Vor ihnen lag das komische Wunder – das Resif-Sidera. Die gigantischen Ausmaße dieser Weltrauminsel beeindruckten ihn, er konnte sich nicht davor verschließen. Und doch musste er den Moment der Demut ablegen. Es galt, sich auf seinen Auftrag vorzubereiten.

Seine Mission lautete, die IVANHOE II zu finden. Seine Freunde waren dort. Irgendwo hinter dieser geheimnisvollen Nebelbarriere.

Der Barbar von Exota Alpha hatte nach seiner Verletzung durch Leticron lange genug damit verbracht, wieder gesund zu werden.

Nun war er wieder einsatzfähig.

Er war kampfbereit!

Misstrauisch betrachtete er das sandsteinfarbene Raumschiff. Es hatte die Form eines Obelisken, ragte zwanzig Meter in die Höhe und hatte eine Breite von fünf Metern. Mit diesem kemetischen Raketenschiffchen wollten er und seine Mannschaft die Nebelbarriere des Resif-Sidera durchbrechen und auf dem Rideryon landen.

Er hätte ein größeres Schiff bevorzugt. Doch die Kemeten hatten ihm versichert, dass dieses Beiboot der Amun-Ré-Pyramide durchaus für den Einsatz gewappnet war.

Es war der 6. Juni 1308 NGZ. Die Vorbereitungen hatten einige Tage gedauert. Tolk hatte seine Mannschaft immer wieder auf die kommende Mission eingeschworen. Immerhin hätte es auch ein Himmelfahrtskommando sein können.

Seine Crew bildete einen seltsamen Haufen, doch er hatte nur bedingtes Mitspracherecht gehabt. LFT-Flottenadmiral Nepomuk Higgins, Eorthor, Osiris und Sam hatten die Besatzung zusammengestellt. Zwei Terraner, Doktor Everett Rupper und seine redselige Assistentin Ornella Adarmo, waren für die Wissenschaft zuständig. Der kantige Oxtorner Prosper Cancan war nach Tolks Geschmack: ein Hardliner und Draufgänger. Ein Soldat. Ein Krieger wie er.

Der Alysker Gindore war ebenso ein erfahrener Kämpfer und von Eorthor für die Mission ausgewählt worden. Der letzte im Bunde war der Kemete Ré-et-Chnum, ein Konzept aus der Superintelligenz Kemet.

Allmählich versammelten sie sich im Hangar des LFT-Schiffes MONTGOMERY, einem 1800 Meter durchmessenden Raumschiff der ENTDECKER-Klasse. Es war das Flaggschiff der Terranischen 8. Flotte, welche sich in Teilen um das Resif-Sidera positioniert hatte. Tolk hatte das Warten satt. Der Kontakt zur IVANHOE II war seit Tagen abgebrochen. Er hatte gehofft, Joak Cascal nach seiner Reise aus der Lokalen Gruppe wiedersehen zu können, doch kaum war er angekommen, hatte er von der offenbar misslungenen Operation gehört. Seine Freunde waren irgendwo dort. Der Flug durch diesen Schutzwall des Rideryons barg jedoch Gefahren, deshalb hatten die Kemeten ein Beiboot mit UTRANS-Technologie dank der Mithilfe von Eorthor modifiziert.

Tolk musterte seine Begleiter.

Everett Rupper war ein Terraner im mittleren Alter mit modischer Brille, biederem, schütterem Haarschnitt und untersetztem Körperbau. Seine Spezialgebiete lagen in der Geologie und Biologie, er sollte das Rideryon genauer erforschen. Der Wissenschaftler trug ein beigefarbenes Ensemble aus einer kurzen Hose und einem Hemd. Weshalb seine ständig quasselnde Assistentin ihn begleitete, war Tolk ein Rätsel. Ornella war gut gebräunt, hatte braune Knopfaugen und eine Dauerwelle. Offiziell war sie für die Erfassung der rideryonischen Spezies zuständig. Aber ihr Aufzug mit dem knappen weißen Top und den engen Hosen und Stiefeln erinnerte eher an einen Ausflug ins nächste Clubhouse denn an eine Expedition. Die Terraner wollten aus der Unternehmung eine wissenschaftliche Expedition machen, doch Tolk sah sie als Rettungsmission an. Ihm war klar, dass die IVANHOE II in Schwierigkeiten steckte.

Prosper Cancan rauchte eine Zigarre. Der haarlose Oxtorner mit der olivgrünen Haut blickte mürrisch durch den Hangar. Tolk registrierte zufrieden, dass Cancan seine Hausaufgaben gemacht hatte und seinen Waffengürtel bestückt hatte. Im Gegensatz zu den anderen war er mit einem leichten Serun mehr als passend gekleidet.

Gindore war ein hochgewachsener, athletischer Alyske mit langem, wallendem blonden Haar. Er trug einen grünen Mehrzweckanzug. Ré-et-Chnum wirkte auf Tolk wie ein Altägypter aus dem Bilderbuch. Das Haar war kurz, das Gesicht bartlos. Er trug eine weißblaue Kombination.

Der letzte im Bunde betrat in einer grauen Kombination den Hangar. Sein halblanges Haar war zurückgekämmt. Mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugier blickte er in die Runde.

Orlando de la Siniestro! Der Sohn des Emperadors des Quarteriums war nicht unbedingt willkommen. Neuerdings galt das Quarterium als Verbündeter, doch Tolk konnte ihnen die vielen Verbrechen nie verzeihen. Er hatte am eigenen Körper die Grausamkeit des Quarteriums durch die mutantischen Fähigkeiten von Leticron erlebt. Nie würde er das Grauen auf Objursha vergessen, dessen er Zeuge geworden war, als er Joak Cascal aus dem Entsorgungslager befreit hatte. Er würde de la Siniestro im Auge behalten.

Der Obelisk enthielt ebenfalls eine kleine Transmitterstation, die nur auf die Frequenz der Amun-Ré-Pyramide eingestellt war. Osiris hoffte, dass man somit eine dauerhafte Verbindung zum Rideryon herstellen konnte und es der Gruppe damit möglich wäre, zumindest Personen zurückzuschicken.

Sandal Tolk wurde nun doch etwas nervös, ließ sich aber seine Anspannung nicht anmerken. Er nahm in dem recht engen Raumschiff Platz und wartete, bis es endlich losging. Der Flug zum Rideryon war unspektakulär. Durch den modifizierten UTRANS-Antrieb würden sie in Nullzeit dort landen – oder einfach aufhören zu existieren. Von einer Sekunde auf die nächste würde ihr Leben aufhören. Oder es ging weiter.

»Noch jemand berühmte letzte Worte?«, fragte Ré-et-Chnum und schmunzelte über seinen Scherz.

Prosper Cancan knurrte unwirsch. Die anderen schwiegen angespannt.

»Nun gut.«

Tolk atmete tief ein. Er spürte, wie sich sein Körper auflöste.

*

Tolk atmete aus. Er spürte, wie sein Körper rematerialisierte.

»Wir leben zumindest«, stellte Prosper Cancan fest.

Ré-et-Chnum aktivierte sofort die Ortungs- und Abtastergerätschaften.

»Und wir sind im Resif-Sidera.«

Auf einem breiten Hologramm zeigte er die jetzige Position an. Wie vereinbart, fing er mit der Suche nach den verschwundenen Raumschiffen an.

»Ich scanne die EL CID, die FLASH OF GLORY, die VOLCUS GLANZ und die VIPER. Letztere ist uns am nächsten.«

»Die IVANHOE?«, fragte Tolk.

Der Kemete seufzte, drehte sich herum und schaute Tolk in die Augen.

»Nichts.«

Tolk warf einen Blick auf die Sternenkarte. Sie befanden sich an der Südseite des Riffs. Die EL CID und FLASH OF GLORY hatten sich weitab vom Riff positioniert, während das dorgonische Adlerraumschiff im Norden über dem Rideryon kreiste.

Die VIPER, ein Beiboot der FLASH OF GLORY, patrouillierte auf der Südseite, war ihnen also am nächsten.

»Ist das Raumschiff wirklich die VIPER?«, wollte Cancan von dem Kemeten wissen.

Vermutlich spielte der Oxtorner darauf an, dass es auch das zweite Beiboot der FOG sein konnte – die STALKER. Das würde einen gewaltigen Unterschied machen, denn die VIPER gehörte nach Roi Dantons Erzählungen einem Arawakpiraten namens Fyntross. Dem wollte Tolk nicht unbedingt in die Arme laufen.

»Wir können das ganz einfach und unkompliziert herausfinden, finde ich, nein, meine ich sogar. Also, dass mal wieder eine Frau auf die Idee kommen muss! Wir haben hier alle Raumschiffe verzeichnet und können somit ganz klar die VIPER oder STALKER identifizieren«, schoss es aus Ornella Adarmos Mund. Sie holte dabei nicht einmal Luft. Die Südeuropäerin mit dem Lockenkopf tippte triumphierend in ihr Gerät.

Dann guckte sie etwas verdutzt.

»Die Bauweise entspricht sowohl der VIPER als auch der STALKER.«

»Das liegt wohl daran, dass sie baugleich sind, mein Liebes«, ergänzte Dr. Everett Rupper.

»Der Ortungsschutz bleibt aktiv. Ich will kein Risiko eingehen«, beschloss Tolk.

Niemand widersprach ihm.

»Ich schlage vor, dass wir direkt zur EL CID fliegen. Dort wird man uns informieren, was geschehen ist«, meinte Orlando de la Siniestro.

»Wieso nicht zur FLASH OF GLORY?«, fragte Prosper Cancan und blickte den Terraner provozierend an. »Wenn du ein falsches Wort sagst, verspeise ich dich zum Frühstück!«

Aus dem Mund des Oxtorners klang das ernst. Tolk wollte aber keinen Streit an Bord.

»Wir fliegen zur EL CID! Sie werden dem Sohn des Emperadors nichts tun, Cancan! Da die FOG ganz in der Nähe schwebt, scheinen sie sich auch nicht zu bekämpfen.«

Ré-et-Chnum nickte und änderte den Kurs.

Ornella Adarmo und Doktor Rupper tasteten mit ihren Ortungsgeräten die Region ab, über die die vermeintliche VIPER flog.

»Das ist aber lustig«, meinte die Adarmo.

»Was denn?«, wollte Rupper wissen.

»Immer wieder tauchen für kurze Zeit terranische Impulse in dieser Region auf. Sie wechseln jedoch schnell die Position und verschwinden dann wieder.«

Rupper sah sich das genauer an. Tolk bat den Kemeten, vorerst den Flug zu verlangsamen. Der Wissenschaftler fuhr sich durch sein schütteres Haar und massierte anschließend den Bauch.

»Das Muster sieht mir nach einer Art Verschleierungstaktik aus. Der oder die Bewegenden haben offenbar einen Störsender, der ihr direktes Signal verbirgt. Bei der ruckhaften Bewegung, ich vermute durch die Benutzung eines oder mehrerer Transmitter, wird dieses Signal während der Rematerialisierung für einen Bruchteil von Sekunden deaktiviert.«

»Ich schließe daraus, dass da unten mindestens ein Wesen ist, das fliehen muss und deshalb die kurzzeitige Deaktivierung des Störsenders seiner Individualimpulse akzeptiert«, mischte sich Ornella ein.

Doktor Rupper erklärte, dass dieses Signal auch sehr schwach war. Nur wenn jemand explizit nach den Impulsen von Terranern suchte, würde er überhaupt das Signal entdecken.

»Es … gibt da wohl kein Transmitternetz. Die Alternative wären … Teleporter«, folgerte der Wissenschaftler.

Rupper stand ächzend auf und ließ sich auf den Platz neben Ré-et-Chnum nieder. Er bediente sich der kemetischen Technik, um präzisere Angaben zu machen. Während er auf den Tasten umhertippte, pfiff er ein Lied.

»Haben Sie schon was, Herr Doktor?«, quengelte Ornella. »Boah, ist das spannend. Findet ihr nicht auch?«

»Ja, sehr spannend, Frau Adarmo«, meinte Orlando höflich.

Der Rest schwieg.

Tolk sah sich das Ergebnis von Ruppers Untersuchungen auf dem Bildschirm an. Eine dreidimensionale Karte zeigte einen Radius von einer Million Kilometern.

»In diesem Umkreis flammte das Signal terranischer Impulse auf. Offenbar weiß der Teleporter nicht genau, wohin er muss, da er im Kreis gesprungen ist«, erklärte Rupper.

»Wir können die energetischen Abdrücke des letzten Sprungs rekonstruieren«, berichtete der kahlköpfige Kemete Ré-et-Chnum. »Das war hier.«

Das letzte Teleportationsmuster war von dem blau blinkenden Punkt auf der Holokarte gekommen. Seitdem war nichts mehr geschehen. Anhand der Individualmuster, die beim Austritt des letzten Sprungs kurzzeitig zu erkennen waren, stellte Everett fest, dass es sich um drei Terraner und ein humanoides Wesen mit anderer DNS handelte. Die Analyse der kemetischen Ortung ergab, dass es sich um einen Buuraler handelte. Die kemetischen Datenbanken waren präzise und mit Informationen gespeist, die Roi Danton und Sato Ambush nach ihrer Rückkehr nach Siom Som mitgebracht hatten.

»Offenbar sind diese vier Wesen auf der Flucht«, stellte Everett Rupper fest. »Ich scanne dutzende dorgonische Einheiten und Ylors in dieser Region! Offenbar werden die Terraner gejagt oder zumindest gesucht!«

Für Tolk war die Angelegenheit eindeutig. Vier Menschen brauchten Hilfe.

»Hat der Sarkophag auch einen Fiktivtransmitter?«, fragte Tolk den Kemeten Ré-et-Chnum.

»Was?«

»Das Raumschiff!«

»Oh, nein! Wäre viel zu aufwendig. Wir könnten sie nicht einfach hochbeamen. Außerdem ist ihr Signal seit einigen Minuten nicht mehr aufgetaucht. Offenbar haben sie keinen Teleportationssprung mehr unternommen. Sie sind zu Fuß weiter.«

»Sie dürften aber nicht weit gekommen sein. Wir können davon ausgehen, dass die Dorgonen auch die Impulse messen können. Es ist für die Verfolgten daher nicht ratsam, lange an einem Ort zu verweilen«, schloss Rupper daraus.

Sandal Tolk lehnte sich zurück. Vier Wesen waren auf der Flucht. Drei davon waren Terraner und einer Rideryone.

So oder so, es waren ihre Jungs und Mädels, die dort unten Hilfe brauchten.

»Der Flug zur EL CID muss warten. Chnum, bring uns an den letzten bekannten Punkt der Gruppe. Die Dorgonen können uns nicht orten, richtig?«

Der Kemete bestätigte. Prosper Cancan stieß Tolk an.

»Moment, ich finde, dass das Prinzlein recht hat. Wir sollten zur EL CID fliegen. Das ist unser Auftrag!«

Tolk packte die Hand des Oxtorners und drückte sie von seiner Schulter. Prosper Cancan hielt seiner Kraft mühelos stand und grinste ihn spöttisch an.

»Ich werde nicht mein kostbares Leben für vier Wald- und Wiesengänger riskieren. Warten wir auf neue Instruktionen von Vorgesetzten auf der FLASH OF GLORY oder EL CID!«

Endlich nahm der Oxtorner die Hand von Tolks Schulter, die schmerzte, als hätte jemand sie mit einem Schraubstock gestaucht.

»Dann setzt mich da unten aus.«

Die anderen blickten Tolk entsetzt an. Orlando de la Siniestro atmete tief durch.

»Der Mut dieses Mannes ist beispiellos. Er ist im Recht. Wir wissen nicht, was geschehen ist. Dort unten sind offenbar Terraner in Not. Es widerspricht sowohl dem Ehrenkodex des Quarteriums als auch der LFT, sie im Stich zu lassen.«

»Und die Kemeten fragt keiner?«, wunderte sich Ré-et-Chnum. »Aber ich helfe auch gern.«

Nun blickten alle zu Gindore. Der blonde Alysker hatte die ganze Zeit geschwiegen.

»Mein Onkel würde diese vier Lebewesen als unbedeutend einstufen. Er würde dem Oxtorner zustimmen.«

Gindore senkte den Kopf und seufzte.

»Doch Elyn würde ohne zu zögern für die Rettung stimmen. Womöglich ist sie sogar eine von ihnen. Also gut, lasst sie uns retten!«

Nun räusperte sich Everett Rupper.

»Ich bin Wissenschaftler, kein Krieger …«

»Du kannst im Schiff bleiben«, beschloss Tolk.

11. Auf der Suche nach Cascal

Die PHARAOS GRAB, wie Sandal Tolk spontan das kemetische Beiboot taufte, näherte sich hoffentlich unbemerkt den letzten bekannten Koordinaten. Ganz in der Nähe suchte eine ganze dorgonische Division nach den Flüchtigen. Offenbar jagten sie die Gruppe, was bedeutete, dass es zu einem Konflikt zwischen Dorgon und diesen Terranern gekommen war.

Eines der beiden Beiboote der FLASH OF GLORY kurvte auch immer wieder über dem Terrain. Sandal Tolk vermutete, dass es sich dabei um die VIPER, das Raumschiff des Riffpiraten Fyntross handelte.

Ein Trägerschiff der FLASH OF GLORY würde nicht nach den Terranern Jagd machen, es sei denn, es waren Verbrecher! Tolk behielt seine Gedanken für sich. So wie er die Gruppe einschätzte, würden sie die Suche sofort abbrechen.

Eine weitere Ortungsmeldung erreichte ihn. Einige Millionen Kilometer entfernt wurden Space-Jets der LFT gescannt. Jedoch schienen sie den dorgonischen Raumschiffen auszuweichen. Tolk beschloss, keinen Funkkontakt zu ihnen aufzunehmen. Das würde nur ihre Position verraten.

»Wir sind da. Nichts weiter als Dschungel«, erklärte Ré-et-Chnum.

»Wie weit entfernt ist die nächste Siedlung?«, wollte Tolk wissen.

»17 Kilometer.«

Orlando sah Tolk an und nickte. Dahin könnten sie gegangen sein. Die PHARAOS GRAB flog zu der Ansiedlung und verharrte in einer Entfernung von fünf Kilometern.

»Dort leben hasenähnliche Wesen«, meldete Rupper. »Sie sind technologisch nicht sehr fortgeschritten. Die Spezies ist uns bisher unbekannt, aber ich entdecke einen Buuraler. Roi Danton hatte mit einer abgespaltenen Kolonie Kontakt gehabt, deshalb sind sie in unserer Datenbank.«

»Was macht ein Buuraler mehrere Millionen Kilometer von seiner Heimat in so einem Dorf?«, fragte sich Orlando.

»Vermutlich die vierte Person! Die anderen sind auch dort, nur können wir sie nicht lokalisieren aufgrund des Störsenders ihrer Impulse«, vermutete Gindore.

Das klang logisch, war aber wenig aufschlussreich. Tolk hatte genug von der Fernerkundung. Er packte Bogen, Köcher, Axt, Messer und Strahler zusammen.

»Chnum, Rupper und Adarmo bleiben im Schiff. Die Krieger folgen mir«, meinte Tolk.

Prosper Cancan spuckte auf den Boden.

»Nur wenn du brav darum bittest.«

Tolk blickte ihn ernst an. Wieder lachte der Oxtorner überheblich.

»Dein böser Dackelblick bringt dir auch nichts. Ich bin Oxtorner. Du kannst mir nichts anhaben.«

Tolk quetschte sich an dem Umweltangepassten vorbei und gab Ré-et-Chnum das Zeichen zur Landung. Orlando und Gindore folgten ihm. Cancan lachte herzhaft.

»Auch noch eine Mimose. Na, wenn schon, vielleicht haben die ja einen Ochsen auf dem Feuer!«

Der Koloss wuchtete sich aus dem Formenergiesessel und begab sich Richtung Ausgang. Als PHARAOS GRAB aufsetzte, stiegen die vier aus. Tolk gab dem Kemeten das Signal, die Luke zu schließen. Nun waren sie auf sich allein gestellt.

Tolk atmete die frische Luft des Riffs tief ein. Die Gegend erinnerte ihn an Exota Beta, den zweiten Planeten seines Heimatsystems. Exota Beta war eine Welt mit einer unberührten Dschungelnatur gewesen, bevor sie kolonialisiert wurde. Die Luft war feucht, aber trotz der tropischen Verhältnisse freute sich Tolk auf diesen ersten Einsatz seit über einem Jahr.

Er überprüfte seinen eigenen Störsender. Es wäre ziemlich töricht gewesen, wenn die Dorgonen und Ylors ausgerechnet durch ihre eigene Unachtsamkeit auf die Fährte der vier Gejagten kommen würden.

Sie legten die restlichen fünf Kilometer zu Fuß zurück. Nach einer knappen halben Stunde erreichten sie das Dorf. Es war großzügig gebaut mit viel Platz zwischen den Holzhütten.

Die Einwohner sahen tatsächlich aus wie übergroße weiße und braune Hasen. Sie stellten sich auf die Hinterbeine, spitzten die Löffel und schnupperten den Duft der Fremden.

Tolk ging auf einen von ihnen zu.

»Kannst du sprechen?«

Der Hase blickte Sandal verdutzt an und fuhr mit den Pfoten über seine schwarze Stupsnase.

Ein Dröhnen aus der Ferne ließ Tolk in den Himmel blicken. Die Hasenwesen hoppelten in Panik durch die Gegend.

»Dorgonen«, murmelte Orlando.

»Wir müssen den Buuraler finden«, drängte Gindore.

Tolk sah sich etwas um. Die Hasen hatten sich wieder beruhigt. Er blieb vor einem großen Haus aus Holz mit einem Strohdach stehen. Dort kümmerten sich offenbar ein paar Häschen um ihren Nachwuchs. Die Liebe einer Mutter schien überall im Universum gleich groß zu sein, vermutete Tolk, als er sah, wie liebevoll sich die großen Hasen um ihren Wurf kümmerten.

Dahinter schienen einige der possierlichen Wesen jedoch aufgeregt zu sein. So als würden sie etwas oder jemanden verbergen. Tolk ging in die Hütte. Ängstlich zogen die Mütter ihre Jungen zu sich. Tolk wollte ihnen erklären, dass er ihnen nichts tun wollte, aber es war sinnlos. Sie verstanden seine Sprache nicht.

Er ging in eine Ecke, wo jede Menge Körbe und Tücher lagen. Sie waren seltsam angehäuft. Tolk nahm die Körbe und Tücher herunter. Er zog sein Messer, als er feststellte, dass sich ein Lebewesen darunter verbarg. Ruckartig packte er die Kreatur an den güldenen Haaren und zog sie hoch. Sie kreischte laut auf. Dann erst erkannte Sandal Tolk, dass sie ein Mensch war!

Die hochgewachsene Blondine mit den blauen Augen starrte Sandal Tolk mit schmerzverzerrtem Gesicht an. Er ließ sie los.

»Tschuldigung!«

Ihr Blick veränderte sich. Sie sah ihn nun verständnislos an.

»Wer bist du?«

Sie sprach seine Sprache. Das war auch nicht verwunderlich, denn sie trug terranische Kleidung.

»Ich bin Sandal Tolk. Und wer bist du?«

»Pyla«, sagte sie leise.

Bei dem Namen klingelte etwas in Tolks Kopf. Ja, natürlich, Joak hatte von ihr geschrieben. In einem seiner vielen melancholischen Memos hatte er mal erwähnt, dass er offenbar nicht einmal für den riffanischen Kindskopf attraktiv sei.

»Joak Cascal hat von dir gesprochen«, meinte Pyla nun und fasste sich ans Haar.

Tat wohl noch etwas weh.

»Wo ist er?«

Pyla schwieg. Offenbar vertraute sie ihm nicht. Tolk deutete Pyla an, mit ihm nach draußen zu kommen. Sie zögerte zuerst, dann folgte sie ihm. Die Häschen waren sichtlich erleichtert, dass Tolk endlich den Kindergarten verließ.

Orlando de la Siniestro, Gindore und Prosper Cancan kamen auf die beiden zu.

»Du hast endlich jemanden gefunden. Das halbe Hemd ist der Buuraler?«

»Hey, ich bin eine Frau! Den Unterschied hat bis jetzt jeder Mann bemerkt«, gab die Buuralerin schnippisch zurück.

Orlando de la Siniestro machte eine höfliche Verbeugung. Er stellte alle vor.

»Wir kommen aus Siom Som und suchen Überlebende der Expedition. Du bist die Erste, die wir antreffen. Wo sind deine Begleiter?«

Pyla schien de la Siniestro zu vertrauen. War ja auch klar, dass so ein Schönling freundlicher auf ein Weib wirkte als Sandal Tolk. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er das Messer immer noch in der rechten Hand hielt. Er steckte es rasch wieder ein.

»Du bist doch der Freund von Uthe Scorbit gewesen? Ich hatte keine Gelegenheit, dir mein Beileid auszusprechen. Es tut mir leid.«

»Danke«, sagte de la Siniestro knapp und ernst.

Pyla beantwortete nun die Frage des Kronprinzen des Quarteriums.

»Joak und Roilein sind mit der Anya unterwegs, um die Richtung zu peilen oder so. Mir war das zu anstrengend. Ich finde die Häschen hier viel niedlicher und interessanter.«

Roilein? Tolk verkniff sich jeglichen Kommentar. Immerhin bedeutete dies, dass er goldrichtig gehandelt hatte. Joak, Danton und Anya Guuze waren hier.

Pyla berichtete, was vorgefallen war. Ihre Aussagen waren etwas wirr, aber es ließ sich einigermaßen rekonstruieren, was geschehen war. Nach dem Tod der drei Mutanten im Dschungel war ihre Gruppe offenbar getrennt worden. Während Joak, Danton, Anya Guuze und Pyla nahe dem Dorf der Hasen Unterschlupf fanden, war der Verbleib von Will Dean, Myrielle Gatto und Nistant ungewiss.

Immerhin waren Tolk und seine Leute durch Myrielle Gattos Teleportationen überhaupt auf sie aufmerksam geworden. Sie konnten nicht weit entfernt sein. Vermutlich in einem Radius von zwanzig Kilometern. Zumindest, wenn sie bis dato nicht mehr teleportiert waren.

Tolk beklagte das Ableben der Mutanten.

Eine Hasenmutter hüpfte mit ihren zwei kleinen Rackern gerade an Pyla vorbei. Die Buuralerin stoppte ihre Erzählungen und winkte der Hasenmutti zu.

»Das sind Purzeline, Stöpsel und Klopfer! Ich hab sie so getauft. Sind sie nicht so süß?«

Pyla strahlte über das ganze Gesicht. Die drei Hasenwesen erkannten sie offenbar und hoppelten auf sie zu. Tolks hartes Herz ließ sich für einen Moment erweichen.

Ja, sie waren süß.

Im nächsten Moment zerplatzten Purzeline, Stöpsel und Klopfer.

Ihre Ärmchen, Beinchen, Eingeweide und ihr Blut spritzten in alle Richtungen.

Pyla schrie wie am Spieß.

Eine zweite Detonation zerstörte ein Haus direkt neben ihnen. Tolk packte die kreischende Pyla und rannte mit ihr hinter ein Haus.

»Dorgonen«, rief Prosper Cancan.

Er und Gindore verschanzten sich auch. Orlando rannte zu Tolk und Pyla. Da trafen drei weitere Salven das Dorf. Die Häuser standen sofort in Flammen, brennende Hasen rannten aus der Glut und starben elendiglich. Ein Truppentransporter landete und dorgonische Soldaten stürmten heraus. Sie feuerten wahllos auf jedes Lebewesen im Dorf. Tolk wollte eingreifen, doch Orlando hielt ihn zurück.

»Sie würden uns auch töten!«

Tolk gefiel das gar nicht. Ein Kreischen ließ ihn zusammenzucken. Noch nie hatte er einen Ylors gesehen, doch nun war es soweit. Ein halbes Dutzend fledermausartige Wesen kreiste über dem Dorf, dann landeten sie direkt vor dem Haus mit den Kindern. Ein Fledermauswesen verwandelte sich in eine Frau, die Tolk kannte. Das war Nataly Andrews. Ihre Haut war nur viel bleicher. Nataly nahm sich von dem Dorgonen einen Flammenwerfer und hielt ihn direkt auf das Haus.

Einige Hasen mit ihren Kindern stürmten heraus. Die Ylors fingen sie ab. Jene, die nur erschossen wurden, fanden einen barmherzigen Tod. Andere wurden aufgespießt, die Kinder in die Flammen geworfen oder von den wild gewordenen Bestien zerfleischt. Nataly zerfetzte ein kleines Baby und schrie voller Lust.

Pyla weinte neben Tolk, und Orlando schloss die Augen. Die gesamte Bevölkerung des Dorfes wurde niedergemetzelt. Mit Schnellfeuergewehren mähten die Dorgonen die fliehenden Zivilisten nieder.

Tolk nahm Pyla und zog sie mit sich. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden. Auch Cancan und Gindore zogen sich von ihren Positionen zurück, bevor auch dieser Bereich angegriffen wurde.

Sie ließen das brennende Dorf zurück. Es gab nichts mehr, was sie hätten tun können.

*

In Sandal Tolk brodelte es. Er machte sich Vorwürfe. Hätte er dieses Massaker verhindern können? War er vielleicht nur zu feige gewesen? Die Bewohner eines ganzen Dorfes waren brutal und sinnlos abgeschlachtet worden. Wieso? War das nur zum Spaß gewesen? Die hatten denen nicht eine einzige Frage gestellt. Orlando de la Siniestro kümmerte sich um Pyla, während Sandal die Gegend im Auge behielt.

Als sie im Wald auf Prosper Cancan und Gindore trafen, wirkten beide recht gefasst.

Pyla hingegen konnte sich nicht beruhigen.

»Nun hör auf zu heulen. Purzelein ist Matsch«, meinte Prosper Cancan zu Pyla.

»Sie hieß Purzeline!«, brüllte Pyla und weinte nun noch mehr.

Der Oxtorner verdrehte die Augen.

»Hätte man die nicht auch gleich erschießen können? Jetzt sitzen wir in diesem Dschungel fest, nichts zu fressen, umzingelt von Feinden und dazu noch dieses plärrende Gör am Hals!«

Orlando tröstete Pyla. Es war gut, dass sich einer um sie kümmerte. Für so etwas war Tolk nicht zu gebrauchen. Doch im Gegensatz zu Prosper Cancan ließ ihn das Schicksal der Dorfbewohner nicht kalt. Er wäre am liebsten zurückgekehrt, um alle Dorgonen und Ylors zu töten.

»Joak Cascal, Roi Danton und Anya Guuze werden den Angriff mitbekommen haben. Es ist unwahrscheinlich, dass sie an den Ort zurückkehren«, vermutete Gindore.

Doch Tolk widersprach ihm.

»Genau das werden sie tun.«

»Wieso? Wegen der da?«, fragte Cancan abfällig.

»Ganz genau«, erwiderte Tolk kühl.

Wenn er mit den Dorgonen und den Ylors fertig war, würde er sich um den eitlen Oxtorner kümmern.

»Dann warten wir?«, wollte Orlando wissen. »Rein militärisch betrachtet eine miese Idee.«

Tolk war kein Idiot. Er wusste, dass es gefährlich war. Und es war ihm klar, dass sowohl Danton als auch Joak Pyla nicht zurücklassen würden, wenn es einen Hinweis darauf gab, dass sie noch lebte.

»Hatten sie ein Interkom dabei?«, wollte er schließlich wissen.

Pyla sah ihn erstaunt an.

Sie nickte.

»Ja … Ja! Sie hatten welche aus dem Wrack genommen. Huch, ich bin ja eine Nudel. Ich hab das ja auch!«

Sie kramte aus ihrer Tasche ein Interkomgerät hervor.

»Joak hat gesagt, wenn ich Hilfe brauche, soll ich auf die Taste drücken und rein sprechen. Dann kommt er. Sei alles eingestellt.«

Sandal dankte der Weitsicht seines Freundes.

»Ihr geht mit Pyla zurück zu PHARAOS GRAB.«

»Und du willst den Helden spielen?«, wollte Prosper Cancan wissen.

»Die Dorgonen warten doch nur darauf, dass jemand den Interkom benutzt, um ihn zu lokalisieren. Selbst wenn die Frequenz verschlüsselt ist, wird man ihn anpeilen.«

Die Erklärung leuchtete selbst dem sturen Oxtorner ein.

»Ist mir recht, wenn wir wieder im Schiff sind. Aber die Tussi kannst du auch hierlassen.«

»Nein, sie geht mit uns«, entschied Orlando de la Siniestro. »Wären Sie im Dienst des Quarteriums, würde ich Sie vor ein Militärgericht zerren, Mann!«

»Du halbe Bratwurst kannst mir aber nichts befehlen, weil ich nicht in eurem Faschistenverein bin!«

Tolk deutete nun in Richtung der PHARAOS GRAB. Die vier sollten endlich verschwinden.

»Ihr seid etwa zehn Minuten von dem Schiff entfernt. Habt ihr es erreicht, wartet zwanzig Minuten. Dann fliegt ab, wenn ich nicht da bin.«

Orlando nickte.

»Viel Glück!«

Orlando, Pyla, Prosper Cancan und Gindore machten sich auf den Weg. Sandal wartete zwanzig Minuten, in der Hoffnung, er würde zehn Minuten im Laufen wieder einholen.

Dann aktivierte er die Taste des Interkoms.

»Meldehund ruft Hund, der nichts zu melden hat! Keine Antwort geben. Wiederhole, keine Antwort geben. Blondchen ist in Sicherheit. Wir suchen euch weiter!«

Tolk beendete die Verbindung und warf das Interkomgerät so tief ins Gestrüpp, wie er nur konnte. Dann lief er los. Er war sich gewiss, dass die Dorgonen in wenigen Minuten damit begannen, das Areal zu durchsuchen. So schnell er konnte, lief er durch den Dschungel. Eine vage Hoffnung bestand auch darin, dass die Space-Jets der LFT den Spruch empfingen. Sie würden jedoch länger brauchen als die Dorgonen.

Nach zehn Minuten hatte er die Lichtung erreicht und sah, wie sich die Luke öffnete. Orlando, Pyla, Gindore und Prosper Cancan stiegen ein. Der Oxtorner hielt an, sah Tolk und spuckte auf den Boden. Dann ging er hinein und die Luke schloss sich.

»Was?«, brüllte Tolk.

Er rannte bis zum Einstiegspunkt, doch nichts tat sich. PHARAOS GRAB war weg.

Nun steckte er gewaltig in der Scheiße!

12. Im Dschungel

Tolk sah sich um.

Überall dichter Dschungel. Grüne Blätter, rote Blätter, gelbe Blätter, braune Blätter in allen Größen. Rechts erkannte er einen kleinen Weg. Er lief darauf zu. Die Ebene senkte sich ab.

Er verwünschte diesen miesen Oxtorner! Er rannte einen Abhang hinunter und versteckte sich zwischen einigen Steinbrocken. Zuerst kontrollierte er seinen Störsender. Er funktionierte weiterhin. Es war unwahrscheinlich, dass die Dorgonen ihn orten konnten.

Der Thermostrahler hatte fast hundert Prozent Energie, Axt und Messer waren gewetzt. Er kontrollierte seinen Köcher. Vier Arten von Pfeilen hatte er dabei: Explosivpfeile, normale, welche mit chemischen Brandsätzen und mit kleinen Atomsprengköpfen.

Er war mit seinen achtzig Pfeilen bestens ausgerüstet. Die Spezialpfeile waren ausziehbar und konnten so platzsparend transportiert werden. Sobald sie ausgezogen waren, verhärtete sich die Struktur des Pfeils.

Am Himmel erkannte er die VIPER, dazu einen grellen Lichtblitz. Aus den Wolken schälte sich ein zweites Raumschiff.

PHARAOS GRAB!

Die VIPER nahm sie in einen Traktorstrahl. Sie waren entdeckt! Tolk wusste nicht, ob er es den feigen Hunden gönnen sollte. Schließlich hatten sie ihn verraten, obwohl sicher Prosper Cancan daran schuld war.

Tolk kramte in seiner Tasche und fand zwei Sonden. Er aktivierte beide und schickte eine zum Dorf. Die andere positionierte er etwas näher an seinem Standort, um ihn vor Eindringlingen zu warnen.

Auf dem Display seines Pikosyns konnte er nun sehen und hören, was die Feinde taten und beredeten.

Nach einer Weile hatte er die Sonde richtig eingestellt. Ein dorgonischer Centrus ging zu Nataly Andrews.

»Was gibt es, Tillus?«

Der Dorgone war im mittleren Alter und trug einen Schnauzbart. Er wirkte nicht sympathisch.

»Dieses Piratenpack hat soeben gemeldet, dass sie ein fremdes Schiff gefangen haben. Fyntross ist ganz stolz, dass er die Ortungstechnologie der Fremden ausgetrickst hat.«

Tillus schien sich nicht darüber zu freuen. Der Dorgone wirkte ebenso arrogant wie brutal. Ihn störte es offensichtlich nicht, dass er in den Gedärmen der Hasenwesen stand.

»Errichtet ein Lager und bringt die Gefangenen dorthin. Ich will sie mir anschauen«, befahl Nataly Andrews.

Ihre Augen glühten finster. Hätte ihr Blick töten können, wäre Tillus leblos umgefallen.

»Ach noch etwas«, wandte der Dorgone ein. »Die Anfragen der Terraner häufen sich. Sie glauben uns wohl nicht, dass wir ebenfalls nach den Vermissten suchen. Es treffen immer mehr Sucheinheiten von der IVANHOE ein.«

Natalia fletschte verächtlich die Zähne.

»Das entspricht ja sogar der Wahrheit. Nur werden wir sie natürlich nicht ausliefern. Wir müssen uns beeilen, bevor die Suchkommandos Danton, Cascal und die anderen finden!«

»Warum vernichten wir die paar Space-Jets nicht einfach?«

Natalia zuckte mit den Schultern.

»Fürst Medvecâ und dein Kaiser werden sich dabei etwas gedacht haben. Nun such weiter!«

Demnach trieben die Dorgonen also doppeltes Spiel. Außerdem bedeutete das, dass die IVANHOE II noch existierte. Allerdings konnte Tolk keinen Kontakt zu ihr herstellen. Zum einen hatte er den Interkom bereits weggeworfen, damit die Dorgonen auf die falsche Fährte gelockt wurden, zum anderen würden vermutlich Danton und Joak ihre Interkoms nicht benutzen, da selbst ein Hilferuf ihnen nichts bringen würde. Die Dorgonen und diese Ylors wären eher dort.

Die zweite Sonde meldete die Ankunft von Dorgonen. Drei laut lachende Soldaten marschierten mit vier Hasenwesen zum Flussbett. Ein Hase stolperte und fiel zu Boden. Ein Dorgone rammte ihm den Gewehrkolben in den Rücken. Das Wesen quiekte vor Schmerzen auf.

»Primitiver Müll. Tillus hat vollkommen recht. Das sind alles Primaten. Die trinken wahrscheinlich noch ihre Pisse!«

Der Dorgone öffnete seine Hose.

»Hast du Durst?«

Dann urinierte er auf das Wesen. Als er fertig war, amüsierte er sich köstlich mit seinen Kumpanen darüber. Sandal Tolk reichte es nun mit dem Zusehen. Er nahm seinen ersten Pfeil, spannte den Bogen, legte an und zielte.

Der Dorgone zückte seinen Thermostrahler und richtete ihn auf den liegenden Hasen. Dann schoss Tolk. Der Pfeil sauste in Richtung des Dorgonen und durchbohrte dessen Stirn. Leblos fiel der Körper zu Boden. Die anderen beiden sahen sich verwirrt um. Tolk legte den zweiten Pfeil an und schoss.

Das spitze Geschoss durchschlug den Hals des zweiten Dorgonen. Der dritte rannte los. Tolk lief hinterher, schnitt ihm den Weg ab und hatte ihn schnell eingeholt. Er packte ihn, zog sein Messer und schnitt ihm die Kehle durch.

Die Augen des jungen Dorgonen waren auf ihn gerichtet, als er langsam starb. Ohne Mitleid ließ er den Toten los.

Das waren die ersten Gegner, die er seit fast einem Jahr getötet hatte. Tolk schloss die Augen und fühlte Genugtuung. Töten konnte so leicht sein wie atmen.

Er durchsuchte die Leiche. Das Scharfschützengewehr konnte von Nutzen sein.

Die Hasenwesen beachtete er nicht weiter, sie sollten sich selbst nun retten. Während er den Weg zurück zum Dorf ging, sah er am Himmel, wie die VIPER per Traktorstrahl PHARAOS GRAB zum Lager der Dorgonen und Ylors brachte.

Vorsichtig schlich er dorthin. Mit Hilfe der Sonde konnte er die Fallen der Dorgonen ausfindig machen: Bewegungsmelder, Abtaster und Minen.

Sie verzichteten in ihrer Arroganz auf einen Schutzschirm. Das spielte ihm in die Hände.

Auf dem Pikosyndisplay sah er die Ankunft der Gefangenen im Lager, welches aus zwei mobilen Transportern und provisorisch errichteten Zelten bestand.

Nataly Andrews und Tillus erwarteten die Gruppe, die von Kapitän Fyntross und seinem Ersten Offizier Krash eskortiert wurden. Tolk kannte das eigentümliche Fischwesen mit den knallroten Lippen aus den Aufzeichnungen von Dantons Berichten. Auch der hünenhafte Manjor, der aussah wie ein Werwolf, war Tolk aus den Berichten bekannt, die von dem Chronisten Jaaron Jargon niedergeschrieben worden waren. Jetzt fiel Tolk auch ein, dass von Pyla auch des Öfteren die Rede gewesen war. Vorher hatte er ihr weniger Bedeutung beigemessen. Wie dem auch sei, würde ihm nicht etwas einfallen, würde es womöglich ihr letztes Abenteuer sein.

Orlando, Pyla, Ré-et-Chnum, Ornella Adarmo, Everett Rupper, Gindore und zuletzt Prosper Cancan, der selbst in Gefangenschaft seine Arroganz ausstrahlte.

»Sieh mal einer an! Orly und die doofe Pyla. Damit habt ihr nicht gerechnet! Ihr habt in mir euren Meister gefunden, sach ich! Sach ich, ihr werdet alle grausam sterben, wenn ihr mir nicht sofort sagt, wo Danton und die anderen sind! Sach ich!«

Sie gab Tillus ein Zeichen. Der untersetzte Dorgone ging zu Ornella Adarmo. Sie kniete am Boden, den Kopf gesenkt und weinte.

»Nun?«

»Wir wissen es nicht. Wir suchen sie doch selbst«, erklärte Orlando de la Siniestro.

»Ach ja? Da sag ich aber was anderes. Pyla? Du warst doch bei ihnen? Wo sind sie? Nun rede schon, du dummes Miststück oder ich reiße dir den Kopf ab und ramme ihn dir in den Arsch!«

Pyla fing an zu weinen.

»Ich weiß es doch nicht. Sie sind weggegangen und wollten zum Dorf zurückkommen. Aber ihr habt ja alle getötet!«

Nataly lachte. Dann sah sie Pyla mit ihrem tödlichen Blick an. Ob die Medusa auch so geguckt hatte?

»Ich sach dir, wenn du lügst, bist du die Nächste, sach ich!«

Sie nickte Tillus zu. Er legte einen Riemen um Ornellas Hals und drückte zu.

»Ich weiß es nicht. Ich schwöre bei Nistant. Ich weiß nichts. Nichts!«, rief Pyla.

Tillus lockerte den Griff. Dann stapfte er zu Pyla und legte die Schlinge um sie. Er drückte fest zu. Sie röchelte.

»Dann bist du eben unnütz und kannst sterben«, sagte Nataly Andrews eiskalt.

Sie genoss Pylas Todeskampf. Auch der Dorgone Tillus schien das größte Vergnügen dabei zu haben, Pylas Hals zuzudrücken.

Sandal Tolk wurde nun wütend!

Er nahm das Scharfschützengewehr, legte an und nahm Tillus’ feiste Fratze ins Visier. Dann drückte er ab. Der Kopf des Dorgonen zerplatzte wie eine reife Frucht.

Nataly schrie überrascht auf.

Nun nahm Tolk seine Explosivpfeile. Er feuerte den ersten auf ein Zelt. Dann auf das zweite Zelt. Eine Explosion jagte die nächste. So schnell er konnte, rannte er los. Während des Laufens legte er einen Brandpfeil in den Bogen ein, spannte und feuerte präzise in das dritte Zelt, welches sofort in Flammen aufging. Die Dorgonen stürmten aus ihrem Transporter. Tolk kniete sich hin, spannte einen Explosivpfeil ein, visierte an und schoss. Die Explosion traf einige Dorgonen. Brennend rannten sie durch die Gegend. Inzwischen hatte sich Prosper Cancan befreit und stürzte sich auf die Dorgonen.

Orlando und Gindore brachten die beiden Frauen und den Doktor in eine sichere Stellung. Ré-et-Chnum wollte ihnen folgen, doch plötzlich platzte seine Brust auf. Der Schuss kam von einem Scharfschützen auf einer Anhöhe. Der Schütze stand auf einem Panzergleiter. Tolk lief dorthin. Unbemerkt, da Fahrer und Schütze auf den Kampf im Camp konzentriert waren, schlich er sich auf das Gefährt, nahm sein Beil und spaltete den Kopf des Mörders von Ré-et-Chnum in zwei Teile.

Der Fahrer wollte noch fliehen, doch Tolk schlug mit einem weiteren Hieb den Kopf des Dorgonen ab. Mehr als zwanzig Dorgonen stürmten nun auf die anderen zu. Tolk stellte sich an das MVH-Geschütz des Gleiters und feuerte auf sie. Der Energiehagel durchsiebte und zerfetzte die Leiber.

Er jagte eine Salve nach der anderen aus dem Geschütz.

Dabei schrie er laut seinen aufgestauten Frust der letzten Monate aus der Seele.

Auf der anderen Seite schnappte sich Prosper Cancan ebenfalls ein Schnellfeuergeschütz. Die Dorgonen waren chancenlos. Tolk nahm einen weiteren Explosivpfeil. Und zwar jene, mit einer größeren Sprengkraft. Er zielte auf den Transporter und feuerte. Das dorgonische Gefährt explodierte.

Die Ylors traten die Flucht an, ebenso Kapitän Fyntross und Krash. Erst jetzt erkannte Tolk, wie gefährlich das war. Sobald sie auf der VIPER waren, würden sie die Gruppe einfach wegpusten.

Er rannte zu der Space-Jet! Doch da sprang ihn Nataly Andrews plötzlich an. Sie hatte immense Kraft und riss Tolk ein Stück Fleisch aus der linken Brust.

»Ich mach dich alle, sach ich! Du bist mir nicht gewachsen!«

Tolk schlug Nataly ins Gesicht. Doch sie war im Blutrausch. Beide rangen und kullerten einen Abhang herunter. Sie stieß sich ab und Flügel wuchsen aus ihrem Rücken.

»Hol mich doch!«

Sie lachte gellend. Doch von links drehte Prosper Cancan das MVH-Geschütz plötzlich um und feuerte auf Nataly. Ein Strahl zersiebte ihre Flügel. Kreischend fiel sie zu Boden. Tolk nahm seine Axt und hakte ihr den linken Arm ab!

Bevor er ein zweites Mal ansetzen konnte, sprang Nataly hoch, rammte ihren Kopf in seine Magengegend und warf ihn so um.

Ein halbes Dutzend Ylors stürzte sich auf Prosper Cancan. Seine Feuerunterstützung war damit vorbei. Tolk rappelte sich auf, doch Nataly war verschwunden.

Die Space-Jet der VIPER stand immer noch an ihrem Platz. Weil Gindore und Orlando den Weg blockierten, konnten Kapitän Fyntross und Krash nicht flüchten.

Sie mussten hier schnellstens weg, denn schon bald würden die Dorgonen Verstärkung erhalten.

»Zur Space-Jet«, rief Tolk.

Pyla, Doktor Rupper und Ornella rannten sofort los. Orlando und Gindore folgten ihnen langsam. Nun lief auch Sandal los. Dann blieb er stehen und sah zum Oxtorner hinüber. Er hatte drei Ylors zerquetscht, war jedoch verletzt. Die anderen drei flogen wie Aasgeier über ihm und pickten dem Oxtorner immer wieder ins Fleisch. Tolk hätte ihn am liebsten zurückgelassen, doch er legte Wert auf den Unterschied zwischen ihnen!

Er nahm seine Brandpfeile und schoss dreimal. Jeder Pfeil traf einen Ylors und ließ ihn verbrennen. Prosper Cancan eilte zu ihm.

»Wurde auch Zeit«, zischte er im Vorbeigehen.

Tolk rannte zur Space-Jet. Das feindliche Feuer hatte aufgehört. Vermutlich war bis auf Fyntross und Krash niemand mehr am Leben. Das ganze Lager brannte. Es war Ironie, dass jene, die das Massaker im Dorf der Hasenwesen angerichtet hatten, nun auf die gleiche Art gestorben waren.

Er betrat als Letzter die Space-Jet. De la Siniestro saß an der Steuerung und startete das Raumschiff.

Tolk fasste sich an die linke Brust. Sie schmerzte von den Attacken Natalys. Pyla ging zu ihm. Sie hatte eine Medotasche dabei.

»Der dicke Mann sagt, das wird dir helfen. Er kann nur kein Blut sehen. Naja, ich find das auch eklig.«

Sie säuberte die Wunde, sprühte Biomolplast darauf und klebte ein großes Pflaster darüber.

»Du hast mein Leben gerettet. Danke! Du bist wirklich so ein guter Freund, wie Joak immer erzählt.«

Tolk lächelte. Vermutlich das erste Mal richtig seit langer Zeit.

»Joak hat mich nicht vergessen, nein?«

Pyla schüttelte den Kopf.

»Er hat immer viel von dir erzählt. Was für ein Held du doch bist.«

Es tat gut, das zu hören.

»Joak hat dir doch immer Briefe geschrieben, richtig? Hat er da auch über mich was gesagt?«, wollte Pyla wissen.

Tolk erinnerte sich an das Zitat mit dem riffanischen Kindskopf.

»Hm, nur Gutes!«

Pyla schien sich ehrlich zu freuen.

»Ich find ihn auch nett. Und Roilein. Beide! Aber auch die anderen. Mathew ist süß. Und Jonathan. Aber der kann auch manchmal fies sein. Der schickt mir immer solche Nachrichten, dass ich doch mal zu ihm in sein Schlafzimmer kommen sollte …«

Tolk schmunzelte.

»Ja, der gute Johnny war schon immer ein Schwerenöter. Sein Sexualtrieb ist beinahe so groß wie mein Blutdurst!«

Tolk zuckte zusammen. Am Eingang der Kommandozentrale stand Nataly Andrews.

»Nataly!«, stieß Tolk aus.

»Nein!«, kreischte sie. »Ich bin Natalia, die Braut des Fürsten Medvecâ!«

Kreischend packte Natalia Ornella Adarmo und biss ihr in die Kehle. Sie zerrte an dem rohen Fleisch, bis sie ein großes Stück herausgerissen hatte. Sie nahm es aus dem Mund und warf es auf die anderen. Gindore wollte seinen Strahler ziehen, doch Natalia schnellte auf ihn zu.

In dem Handgemenge löste sich ein Schuss, der die Steuerung der Space-Jet traf. Das Raumschiff schmierte ab. Tolk versuchte noch, Natalia niederzuringen, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

13. Gejagt

»Aufwachen!«

Jemand rüttelte an Sandal Tolks Schulter. Als erstes bemerkte er, dass ihm alles weh tat. Brust, Rücken, Arme, Beine, Kopf. Alles! Langsam öffnete er die Augen und blickte in Pylas Gesicht.

»Wach bitte auf!«

»Ja …«, knurrte Tolk.

Pyla seufzte.

»Der große Kahlkopf ist einfach gegangen. Er meinte, ohne uns wäre er besser dran. Der fesche Quarteriumsprinz ist verletzt, und die Finstere ist verschwunden. Wir haben versucht, ein Notsignal abzusenden, doch die Funkanlage geht nicht mehr.«

Immerhin eine gute Nachricht, fand Tolk. Zumindest, dass Nataly Andrews, jetzt Natalia, weg war. Dass der Funk nicht funktionierte, erschwerte ihre Situation. Jetzt war es egal, ob sie lokalisiert wurden, denn die Gegner wussten ohnehin, wo sie waren. Es wunderte ihn, dass die Furie sie nicht alle umgebracht hatte. Er rappelte sich langsam auf. Gindore saß bei Doktor Everett Rupper, der völlig verstört wirkte. Kein Wunder, denn seine Assistentin Ornella Adarmo hatte einen grausamen Tod erlitten.

Ihre Lage hatte sich nicht verbessert. Sie hatten immer noch nicht Joak und die anderen gefunden und steckten selbst in den größten Schwierigkeiten.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis man sie hier stellen würde.

»Wir müssen aufbrechen.«

Seine Entscheidung stand fest. Unter großen Schmerzen stand er auf. Sein Großvater hatte ihn früher gelehrt, Schmerzen zu ignorieren. Leider war ihm das nur mit mäßigem Erfolg gelungen.

Rupper, Gindore und Orlando wirkten auch ziemlich angeschlagen. De la Siniestro hatte sich den Arm gebrochen und eine Verletzung am Kopf erlitten.

Tolk half ihnen aus dem Wrack der Space-Jet. Sie befanden sich immer noch im dichten Dschungel. Es sah alles gleich aus: Bäume, große Blätter und Gebüsche. Wo sollten sie nur hin? Wie konnten sie Joak und die anderen finden?

Kaum hatten sie die Space-Jet verlassen, tauchte aus dem Dickicht eine große Gestalt auf. Es war Prosper Cancan. Der Oxtorner knickte das starke Geäst um, als seien es dünne Sträucher.

»Ihr seid wach. Wurde auch Zeit.«

»Ich dachte, du kommst ohne uns besser zurecht?«, fragte Tolk gereizt.

Cancan lachte arrogant.

»Und was wird dann aus euch? Barbar, deine Show im Lager hat mich etwas beeindruckt.«

Tolk schwieg. Diese Schmeicheleien konnte sich Cancan schenken. Offenbar sah der Oxtorner aber ein, dass selbst er allein im Dschungel keine Chance hätte.

»Ich hab die Gegend erkundet und drei Sonden in die Luft geschossen. Die Dorgonen sind überall. Die ganze Region ist über zehntausend Quadratkilometer von einem Dschungel umschlossen. Dann folgt ein gigantischer Ozean.«

Die Gruppe befand sich im Niemandsland. Aber eigentlich war das überall auf dem Riff so. Es gab keine Anlaufpunkte, und ohne Raumschiff waren sie sowieso abgeschnitten. Die PHARAOS GRAB war im Lager geblieben. Vermutlich hatte dieser Fyntross das Raumschiff benutzt, um wieder zur VIPER zu gelangen – sofern er der Technik mächtig war. Doch der Battanus war nicht zu unterschätzen. Mit Hilfe der Datenbank der VIPER war er in der Lage gewesen, den Ortungsschutz der Kemeten zu umgehen.

Und ohne funktionierenden Funk konnten sie die LFT-Raumschiffe nicht herbeirufen.

»Diese Ylorshexe hat während unserer Bewusstlosigkeit alle Funkgeräte zerstört. Auch die an unseren Kampfanzügen«, berichtete Cancan.

Während die Gruppe sich durch den Dschungel kämpfte, erklärte Doktor Rupper in aller Ausführlichkeit, wie man den Ortungsschutz der Kemeten austricksen konnte. Wenn man einzelne Atome statt Ortungsimpulsen verwendete, konnte man den Tunneleffekt des Ortungsschutzes umgehen. Tolk verstand das nicht, und es war ihm auch egal. Man konnte PHARAOS GRAB sehen und das reichte.

Tolk betrachtete das Häufchen Elend, das mit ihm unterwegs war. Ihm war nicht sonderlich wohl, denn es würde schwer werden, diese Truppe lebend zurückzubringen. Doktor Rupper war dick und schwerfällig, Orlando de la Siniestro verletzt und Pyla erst recht keine Hilfe.

Er sah sich die hochgewachsene Blondine an, die seltsam vor sich hin grinste und ins Leere starrte. Und Joak war enttäuscht, dass er die nicht bekam? Aber den Erzählungen nach schien eine ganze Rotte an gestandenen Männern an ihr zu kleben. Jonathan Andrews, Mathew Wallace und sogar Roi Danton. Gut, der Sohn Perry Rhodans hatte schon immer eine Macke gehabt. Eine Pyla könnte da sogar gut zu ihm passen, denn normal war die auch nicht.

Aber wer war das schon?

Gindore schien der einzig Vernünftige in dieser Truppe zu sein. Sandal blickte noch einmal zu Pyla. Irgendetwas stimmte nicht. Sie hielt sich etwas ans Ohr. Tolk ging zu ihr. Sie strahlte ihn mit ihrem zugegeben herzlichen Lächeln an und zeigte ihm den Pikosyn.

In diesem Moment hätte Sandal Tolk ihr am liebsten einen Atompfeil durch den Kopf gejagt. Sie hatte tatsächlich einen Pikosyn aus der Space-Jet genommen und hörte nun vermutlich irgendwelche Riffsendungen! Dass die Dorgonen vermutlich alle Signale in diesem Umkreis kontrollierten, kam ihr natürlich nicht in den Sinn!

Tolk riss ihr wortlos das Gerät aus der Hand, warf es auf den Boden und zerdrückte es.

»Hey, was soll denn das! Du bist ja so gemein!«

»Ich hatte gleich vorgeschlagen, die Dumpfbacke zu erschießen«, gab Prosper Cancan zum Besten.

Es wunderte Tolk tatsächlich, dass noch keine Dorgonen oder Ylors aufgetaucht waren. Die Absturzstelle der Space-Jet musste wie ein Leuchtfeuer wirken und sie waren nur wenige Kilometer von ihr entfernt. Es war seltsam, dass man sie noch nicht gefunden hatte. Es sei denn …

»Sie wissen genau, wo wir sind.«

»Was?«, stieß Everett Rupper aus.

»Sie verfolgen uns in der Hoffnung, dass wir sie zu Joak und Danton führen.«

»Dann hätte ich ja noch weiter Radio hören können …«, meinte Pyla enttäuscht.

Tolk bedachte sie mit einem seiner grimmigsten Blicke. Es wirkte, denn sie hielt die Klappe.

*

Sie wanderten weiter, ohne ein Ziel zu haben. Ob es Joak, Danton und den anderen auch so ging? Doktor Rupper keuchte und schnaufte und Pyla jammerte, dass ihr die Füße weh taten. Immerhin ertrug de la Siniestro seine Schmerzen wie ein echter Mann.

Cancan und Gindore schwiegen. Tolk überlegte, wie sie aus dem Schlamassel entkommen konnten. Mit leerem Magen wurde das jedenfalls nichts.

Tolk blieb stehen, nahm Pfeil und Bogen und visierte das Wild an. Es war nur ein mittelgroßes, kaninchenähnliches Geschöpf, aber sie mussten etwas essen.

Er schoss und erlegte das Tier.

Sandal ging zum vermeintlichen Mittagessen, nahm es und ging zu Pyla, die ihn entsetzt ansah.

»Du bist eine Frau, du kochst!«

Er drückte ihr das tote Kaninchen in die Hand. Sie wurde merklich bleicher und fing an zu zittern. Tolk schmunzelte. Er musste es überspitzt ausdrücken, damit sie sich schnell an das harte Leben gewöhnte, sonst hatte sie keine Chance hier draußen.

Prosper Cancan lachte und ging zu den beiden.

»Was denn? Ist doch wie Purzeline, oder?« Er riss ihr das Kaninchen aus der Hand und zerquetschte es mit seiner rechten Hand. »Puff!«

Pyla drehte sich um, rannte zum nächsten Busch und übergab sich.

»Das war unser Essen …«

Cancan spuckte auf den Boden.

»Das ist allenfalls ein Happen. Ich gehe auf die Jagd und hole etwas Anständiges, was ich auch zubereiten werde. Ich will nicht, dass die Schlampe noch ins Essen kotzt, weil sie sich ekelt.«

Der Oxtorner stapfte los. Tolk blickte ihm nachdenklich hinterher. Schließlich nahm er sich ein Herz und half der Buuralerin hoch.

Nach einigen Minuten kehrte Prosper Cancan zurück. Er trug ein schweineähnliches Wesen mit sich und grinste breit. Nun, eines musste man dem Oxtorner lassen: Er ließ seinem großen Maul auch Taten folgen. Das Wesen sah lecker aus und würde alle Bäuche füllen.

»Händchen weg von dem Braten, sonst zerbreche ich sie dir«, sagte Cancan unnötigerweise in Pylas Richtung.

Sein Image als Kotzbrocken bewahrte er sich gründlich, das musste man ihm lassen.

Vielleicht gab er auch der Buuralerin die Schuld für die Lage. Immerhin waren sie ja nur wegen ihrem Signal ins Dorf der Hasenwesen aufgebrochen.

Plötzlich fing sie an zu schluchzen und setzte sich auf den Boden. Dass sie dabei mit dem Hintern in einem Schlammloch landete, störte sie offensichtlich nicht.

»Alle sind so böse zu mir! Ich will wieder nach Hause! Aber da sind ja auch alle tot! Ich vermisse mein Dorf. Vater, Carah, Paddy und Jock. Da war alles so schön!«

Tolk verdrehte die Augen. Na gut, er wollte es versuchen. Also ging er zu Pyla, packte sie und zog sie hoch.

»Deine Familie ist tot! Mir erging es genauso! Rache hält dich am Leben, nicht weinen. Kämpfe, sonst stirbst du selbst!«

Er sah sie ernst an. Pyla blickte ihn jedoch an, als sei er ein Geist.

»Du hast im Dorf ein behütetes Leben ohne Bedeutung geführt. Spaß dominierte dein Handeln. Das ist vorbei! Gib deinem Leben einen echten Sinn. Lebe für nichts oder stirb für etwas!«

Er nickte ihr zu. Dann nahm er seine Axt und drückte sie ihr in die Hand. Pyla starrte ihn immer noch entgeistert an und ließ das für sie wohl etwas schwere Werkzeug fallen. Die Spitze bohrte sich wenige Zentimeter neben seinen Fuß in den Boden.

Nein, das hatte keinen Sinn.

»Ich gebe auf! Heul weiter!«

Applaus! Jemand klatschte Beifall.

Er zog sofort den Strahler, doch wie von Geisterhand wurde er ihm entrissen. Der Himmel verdunkelte sich.

»Die Finsteren«, säuselte Pyla ehrfürchtig.

Dann ein Lachen! Aus den dunklen Wolken flog eine große Fledermaus und ließ sich langsam auf den Boden nieder. Während sie landete, verwandelte sie sich in einen stattlichen Mann mit großen, finsteren Augen und spitzen Ohren. Das lange Haar war zum Zopf zusammengebunden, die Kleidung war edel.

»Stirb für etwas und lebe danach für noch mehr weiter«, sagte der Ylors und ging schmunzelnd auf die Gruppe zu.

Hinter ihm tauchten Dutzende seiner Artgenossen auf.

»Darf ich mich vorstellen? Fürst Medvecâ, Herr der Ylors und Beherrscher des Rideryons.«

Medvecâ wandte sich an Pyla. Sanft streichelte er durch ihr Haar.

»Wunderschön. Etwas schmutzig und gemein, dennoch von lieblicher Natur. Von dir zu kosten wird ein Schmaus!«

Tolk vermutete, dass sie jetzt richtig in der Tinte steckten. Offenbar war den Ylors die Verfolgung zu langweilig geworden.

Ein zweiter Ylors kam hinzu. Das grässliche Wesen verwandelte sich in eine ebenso furchterregende Frau: Natalia, die Braut von Medvecâ. Ein seltsames Paar, wie Tolk fand.

»Du willst von ihr kosten? Von dieser Schlampe? Das machst du nicht, sach ich! Ich reiße ihr die Gedärme raus und fresse sie auf, sach ich!«

Medvecâ drehte sich um und schlug Natalia nieder.

»Widersprich mir niemals«, sagte er danach sanft und freundlich.

Der Ylors betrachtete die anderen in der Gruppe und seufzte.

»Im Grunde seid ihr alle nutzlos, bis auf Orlando de la Siniestro. Veritor!«

Ein dritter Ylors von mächtiger Statur trat hervor. Bevor er anlegte, stürmte Prosper Cancan plötzlich brüllend auf ihn zu und schleuderte den Ylors einige Meter weit durch die Gegend. Die anderen Ylors eröffneten sofort das Feuer. Tolk schubste Pyla zu Boden und nahm seine Axt. Doch schon kam wieder Natalia dazwischen. Ihr Arm war derweil wieder nachgewachsen oder sie hatte einen künstlichen erhalten.

»Ich mach dich kalt, sach ich!«

»Du redest zu viel!«

Er holte mit der Axt aus, doch Natalia wich dem Hieb aus. Sie war sehr beweglich. Mit einem Satz stand sie hinter ihm und schlug ihn nieder.

Sie trat noch einmal zu. Er brauchte eine Weile, um sich aufzurappeln. Die Schläge waren ungewöhnlich hart. Als er aufstand, sah er, wie sich Gindore und Medvecâ bekämpften. Der Kampf war bereits entschieden, denn Medvecâ hatte den Alysker entwaffnet.

»Darauf hab ich so lange gewartet, Gindore! Du trägst Mitschuld am Tod von Norsha! Nun stirbst du!«

Medvecâ packte Gindores Kopf und drehte ihn um 180 Grad herum. Natalia lachte schrill und sprang in die Luft. Sie kreiste um Tolk, drehte dann ab und packte den fortlaufenden Doktor Rupper. Ihre Krallen bohrten sich in seinen Rücken. Er schrie und zappelte, doch sie zog ihn einfach in die Lüfte und ließ ihn dann in den Tod stürzen.

Orlando de la Siniestro war bereits von den anderen überwältigt. Tolk stand wieder, doch da stürzte sich Natalia wieder auf ihn. Mit letzter Kraft griff er seine Axt und schlug Natalia damit in den Unterleib. Kreischend krachte sie zu Boden. Dann schnappte er sich Pfeil und Bogen, legte gleich drei Explosivpfeile ein und feuerte auf die Ylors, die in einer gewaltigen Detonation vergingen.

Pyla hatte sich hinter einem Stein versteckt.

»Lauf!«, rief er. »In den Wald!«

Als sie losrannte, wollte er Prosper Cancan helfen. Der Oxtorner allein tötete mindestens ein Dutzend Ylors mit seinen bloßen Händen, doch es waren zu viele.

Cancan sah Tolk.

»Erschieße mich mit den Atompfeilen«, rief der Oxtorner.

Das konnte er unmöglich verlangen. Eher würde Tolk mit draufgehen. Er griff in den Kampf ein und half dem Oxtorner.

Gemeinsam töteten sie einen Ylors nach dem anderen, doch es kamen immer mehr. Am Himmel erschienen zwei dorgonische Transporter. Es war aussichtslos!

»Wir müssen abhauen!«

Prosper nickte, doch dann spuckte er Blut. Entsetzt blickte Tolk auf die klaffende Wunde am Oberkörper. Die Lunge war zerfetzt und hing teilweise aus dem Körper.

Ein Energiestrahl hatte ihn tödlich getroffen. Prosper lachte, während das Blut aus dem Mund tropfte.

»Scheiße! Nimm die Dumpfbacke und rettet euer Leben. Ich nehme noch ein paar dieser Bastarde mit in die Hölle.«

Tolk nickte und drückte ihm einen Miniatompfeil in die Hand. Dann lief er los, während Prosper die Ylors mit dem Kampf auf sich zog. So schnell er konnte, rannte er in den Wald.

Schon bald hatte er Pyla eingeholt.

»Weg hier!«, rief er.

Dann explodierte die Lichtung durch den Atompfeilkopf. Mit letzter Kraft konnten die beiden der Feuerwalze entkommen. Sie lebten, doch Prosper Cancan war tot und hoffentlich auch alle Ylors mitsamt Medvecâ und Natalia!

Doch der Horror war nicht vorbei. Tolk packte Pyla und zog sie hoch. Sie konnte jetzt nicht einfach liegen bleiben und hoffen, dass das Gewitter über sie hinweg zog. Sie mussten in Bewegung bleiben. Der Dschungel brannte. Das Feuer breitete sich aus. Wenn sie nicht von Dorgonen oder Ylors getötet wurden, dann durch den Waldbrand. Sie mussten in Bewegung bleiben.

Über den Baumkronen sah Tolk die beiden dorgonischen Transporter patrouillieren.

»Weiter!«, forderte er die Buuralerin auf, die sichtlich nicht mehr konnte. Doch das war ihm egal. Er zog sie mit, während sie durch den Dschungel rannten. Doch dann gelangten sie an eine Lichtung. Die Truppentransporter und weitere Gleiter tauchten auf.

Es gab nur einen Weg, der ihnen Schutz des Waldes bot: der Pfad zum großen Ozean.

Pyla stolperte. Er hielt an und legte sie auf seine Schulter. Natürlich war er so deutlich langsamer. Ein dorgonischer Gleiter tauchte plötzlich über einer weiteren Lichtung vor ihnen auf. Die Geschütze waren auf die beiden gerichtet.

Er sackte auf die Knie, ließ Pyla zu Boden und warf die Waffen weg.

Es war vorbei!

Das Dach des Gleiters öffnete sich und ein südländischer Mann mittleren Alters äugte heraus.

»Du wirst doch jetzt nicht schlappmachen?«

Tolk atmete schwer und erkannte ihn erst auf den zweiten Blick.

Joak Cascal!

*

Cascal stieg aus. Ihm folgte Roi Danton. Beide eilten zu ihnen. Roi Danton wirkte seltsam wie eh und je.

»Mon Dieu! Ma chérie, du siehst ja noch desolater als sonst aus«, sagte er zu der erschöpften Pyla.

»Es tut gut, dich zu sehen«, waren Joaks warme Worte an Sandal.

Er half ihm hoch.

Während sie zum Gleiter gingen, berichtete Cascal: »Ich brauchte eine Weile, dann hatte ich den alten Witz mit den Hundemeldern wieder drauf. Ich wusste, dass nur du das sein konntest. Wo sind die anderen?«

»Alle tot!«

»Verdammt!«

Sie stiegen in den Gleiter ein. Roi hatte seine Mühe, Pyla in das Fahrzeug zu bekommen, also half Tolk.

Im Gleiter erwartete sie eine weitere Blondine: Anya Guuze. Sie begrüßte Sandal Tolk freundlich. Die Frau hatte Mut bewiesen, als sie ihm geholfen hatte, Joak Cascal aus Objursha zu befreien. Das hatte er ihr hoch angerechnet.

»Fast wieder das alte Team«, meinte Anya, die das Vehikel steuerte.

»Wir haben euer Raumschiff im zerstörten Lager gefunden und konnten uns so orientieren. Euch zu finden war auch nicht weiter schwer. Wir folgten den Leichen«, erklärte Cascal.

Tolk schmunzelte.

»Waren bekannte Leute in deiner Truppe?«, wollte Joak wissen.

»Orlando de la Siniestro. Ist vermutlich auch tot.«

Cascal stieß einen Pfiff aus.

»Das wird das Quarterium erschüttern, wenn es tatsächlich so ist.«

Joak zündete sich eine Zigarette an. Kaum hatte er sie im Mund, griff Pyla schon mit zitternden Händen danach. Tolk blickte sie grimmig an.

»Schon in Ordnung«, beschwichtigte Cascal. »Ein Wunder, dass sie überlebt hat. Muss wohl dein Verdienst sein.«

Tolk nickte.

Joak ging zu ihr und legte seine Hand behutsam an ihre Wange. Pyla zuckte und drehte ihren Kopf weg.

»Schon gut …«, flüsterte sie.

Joak nahm die Hand wieder weg. Er wirkte etwas angefressen.

»Wir werden verfolgt«, meldete Anya beunruhigt. »Ziemlich viele Gleiter, die schnell auf uns zu kommen. Ich sende einen Funkspruch an die LFT-Schiffe ab. Hoffentlich kommen sie rechtzeitig!«

Sie erreichten den Ozean. Insgesamt waren vier dorgonische Gleiter hinter ihnen. Doch sie feuerten noch nicht.

»Offenbar wollen sie uns lebend«, vermutete Danton. »Schätzchen, gib bitte Gas!«

»Ich fliege schon mit voller Geschwindigkeit, Schätzchen!«, gab Anya zickig zurück.

Tolk setzte sich an das hintere Bordgeschütz. Er feuerte wild drauf los und holte zwei Gleiter runter. Jetzt schossen ihre Verfolger auch. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, sie zu reizen.

Cascal setzte sich an die Steuerung und tauchte tief ab. Der Gleiter brauste beinahe über die Oberfläche des Ozeans. Er flog einen Zickzackkurs, um den Energiesalven auszuweichen.

Tolk holte den nächsten Gleiter vom Himmel. Doch dann wurden sie getroffen. Der Gleiter verlor an Geschwindigkeit.

»Das war’s Leute. Die Energiezufuhr wurde getroffen«, sagte Cascal ernst.

»Schon wieder Gefangenschaft«, seufzte Danton.

»Oder der Tod«, meinte Tolk.

»Ich will nicht sterben! Ich will Party machen, mich besaufen und hemmungslosen …«

Pyla stockte, als sie alle verdutzt anguckten. Dann fing sie wieder an zu schluchzen. Langsam ging sie Tolk auf die Nerven.

Sie waren mitten über dem Ozean, weit und breit war kein Land zu sehen. Es waren zu viele Gleiter, um sie abzuschießen.

Von der rechten Seite tauchte plötzlich die VIPER auf. Nun hatten sie endgültig verloren.

14. Unter Piraten

Das seltsame Gesicht des Battanus erschien auf dem Display des Gleiters.

»Roilein, wo bist du denn?«, fragte Kapitän Fyntross höhnisch.

Danton seufzte und winkte dem Fischwesen mit den knallroten Lippen zu, der offenbar seinen erneuten Sieg auskostete.

»Nach eurem strapaziösen Waldlauf möchte ich euch zu Kaffee und Gebäck an Bord meiner VIPER einladen. Ich gehe doch stark davon aus, dass ihr meine Einladung annehmt?«

Fyntross stieß einen Blubb aus.

Tolk blickte in die Runde, befürchtend, dass Roi Danton zustimmen würde. Schließlich nickte der Sohn Perry Rhodans. Joak steuerte den Gleiter zur VIPER. Zuvor sendete er eine Positionsbestimmung an die terranischen Suchtrupps. Immerhin würden die nun wissen, wo sie zu suchen hatten.

Ein Hangarschott öffnete sich. Langsam flogen sie hindurch und landeten.

Eine Horde Harekuul und Manjor erwarteten sie bereits. Roi Danton erhob sich ächzend.

»Mesdames et messieurs! Wir haben ja bereits Erfahrung mit Gefangenschaften. Gehen wir die Sache mit Würde an. Pyla, Puis-je demander?«

»Was?«

Danton half ihr hoch und musterte sie. Sie stand vor ihm und schwankte benommen von links nach rechts.

»Wie siehst du nur wieder aus. Total zerzaust und beschmaddert. Und das alles ohne Alkohol. Wir wollen doch einen guten Eindruck bei unseren Gastgebern hinterlassen, nespa?«

Tolk verstand nicht, wieso Roi Danton so gelassen war. Schließlich gingen sie gerade in Gefangenschaft und würden vermutlich bald sterben.

Danton nahm Pyla in den Arm und ging vor. Anya und Cascal folgten.

»Der hat Nerven«, meinte die Terranerin. »Mokiert sich in dieser Situation über ihr Outfit.«

»Ich weiß auch nicht …«, seufzte Joak. »Ich weiß einfach nicht mehr …«

Tolk verließ als Letzter den beschädigten Gleiter. Der Erste Offizier Krash empfing die »Gäste« und geleitete sie zur Kajüte des Kapitäns.

Auf dem Weg dorthin blieb Danton verdutzt stehen, als er zwei Crewmitglieder sah.

»Craasp und Zerzu, ihr treulosen Verräter. Ich dachte, ihr seid auf der DUNKELSTERN gestorben?«

»Öhm, naja, Kapitän Fyntross war so nett, uns zu begnadigen, wenn wir ihm helfen. Seine Argumente waren besser als deine«, meinte Craasp.

»Und die Bezahlung«, ergänzte Zerzu und lachte.

»Kretins«, erwiderte Danton pikiert und ging weiter.

Tolk blickte das Piratengesindel verächtlich an. Als die beiden ihn sahen, machten sie sich schnell aus dem Staub.

Nach einer Weile erreichten sie schließlich das Besprechungsquartier des Kapitäns. Vor ihnen stand ein reichlich gedeckter Tisch. Gebratenes Geflügel, üppige und farbenfrohe Früchte und Gemüse standen zum Verzehr bereit. Offenbar waren sie zu einem Schmaus eingeladen.

»Wieso müssen Schurken eigentlich ihre Gefangenen immer zum Essen einladen?«, fragte sich Anya, ohne offenbar eine Antwort zu erwarten, da sie seufzend in Richtung des Tisches ging. Dort wurden sie bereits von Kapitän Fyntross erwartet, der seinen Dreispitz vor ihnen zog.

Fyntross sah aus wie ein altmodischer Pirat, nur eben mit drei Beinen und einem Fischkopf.

»Ah! Alte, liebe Freunde! Natürlich hat Pyla überlebt.«

Irgendwie hörte sich das enttäuscht an.

»Den Muskelmann kenne ich nicht. Ah, doch! Du bist der, der das dorgonische Lager ausradiert hat. Respekt!«

Fyntross bot allen einen Platz an.

»Was gibt es Leckeres?«, wollte Danton wissen.

»Hasenbraten à la Dorgon«, antwortete Fyntross und blubberte amüsiert vor sich hin.

Tütüül kroch heran und stellte Teller mit Hauben auf den Tisch. Der vielarmige und vielbeinige Vessyl erledigte dies in einer beachtlichen Geschwindigkeit. Dann öffnete er die Hauben.

Jeder hatte einen Hasenkopf vor sich. Vermutlich von den armen Opfern des Dorfmassakers.

»Purzeline!«, säuselte Pyla entsetzt.

»Ah, da kommen unsere letzten Gäste!«, meinte Fyntross und deutete auf den Eingang.

Tolk glaubte, nicht richtig zu sehen: Medvecâ und Natalia, die sich bester Gesundheit erfreute. Natalia führte einen pechschwarzen, großen Hund mit spitzen Zähnen und rotglühenden Augen mit sich.

»Süßes Wuffi«, meinte Roi.

»Das ist Tessalia, meine Höllenhündin. Hab ich gerade erst gebissen. Wehe, einer von euch muckt auf, sach ich. Dann zerfetzt Tessalia euch, sach ich!«

Medvecâ nahm am anderen Ende des Tisches Platz, während sich Natalia mit ihrer Töle neben Pyla hinsetzte.

»Es dürfte euch interessieren, dass der Oxtorner tot ist. Orlando de la Siniestro lebt. Er befindet sich auf dem Weg nach Ajinahstadt, welche unter dorgonischer Kontrolle steht. Er dürfte ein gutes Pfand sein und den Emperador etwas entgegenkommender stimmen«, erklärte Medvecâ.

Stille.

Sie starrten auf ihr unappetitliches Essen. Schließlich machte Medvecâ den Anfang. Er nahm ein großes Messer und sägte mit knackenden Geräuschen den Kopf des Hasen auf. Freudig nahm er mit einem Löffel ein Stückchen Gehirn heraus und schob es sich in den Mund.

»Delikat.«

Danton nickte nur. Fyntross sah die anderen auffordernd an.

»Ähm, ich habe meine Fastenwoche«, entschuldigte sich Anya. »Da darf ich nur Tomatensaft und Buttermilch zu mir nehmen. Sollten Sie auch mal probieren … echt … kla…«

Anya stockte der Atem, als Natalia herzhaft die Augen des Hasen herauspulte und gierig hineinbiss, wobei ein weißer Saft aus ihrem Mund floss.

Grimmig blickte sie in die Runde.

»Nun iss schon, sach ich!«, schnauzte sie Pyla an.

Die schüttelte nur den Kopf.

Natalia nahm ein Messer und rammte es dem Hasen auf Pylas Teller in den Kopf.

»Friss, sach ich!«

Tessalia fing laut an zu bellen.

»Ich sach dir, sonst frisst meine Tessy, wie ich sie liebevoll gerne nenne, dich auf, sach ich!«

Pyla schnappte sich erst einmal die Flasche Tholrum und leerte ein Viertel davon innerhalb weniger Augenblicke. Dann schenkte sie ihr Glas bis zum Rand voll.

Anya schob ihr Essen von sich. Joak suchte vergeblich nach schmackhaften Stellen, und Roi Danton aß das Gemüse drum herum.

Tolk hatte schon Schlimmeres gegessen, aber das hier war mal eine Halbintelligenz gewesen. Niemals würde er davon kosten.

Natalia hatte sich inzwischen zum Hirn vorgekämpft und schmatzte genüsslich vor sich hin. Pyla hatte ihr Glas geleert und war schon beim nächsten. Dabei verschüttete sie die Hälfte auf ihrer Hose. Schien sie aber nicht zu stören. Roi nahm sein Tüchlein, rieb damit auffällig lange an ihrem Schenkel herum und grinste durch die Gegend.

Medvecâ betrachtete dies offensichtlich amüsiert.

»Ihr Terraner seid schon ein witziges Volk. Menschen generell. Irgendwie zählen wir Ylors auch dazu. Es hat mich schon damals fasziniert, euch auf Terra zu beobachten.«

»Auf Terra?«, hakte Danton nach. »Ihr kennt uns?«

Medvecâ lachte.

»Oh ja, schon vor sehr langer Zeit hat mein Volk euch besucht. Woher kommen wohl eure Vampirgeschichten?«

Danton brauchte etwas, um das zu verarbeiten. Die Ylors waren auf der Erde gewesen! War Fürst Dracula womöglich ein echter Vampir gewesen? Oder hatte ein redseliger Ylors einst Bram Stoker zu diesem Roman inspiriert? Demnach musste einst eine Verbindung zwischen dem Riff und der Milchstraße bestanden haben. Ob das Riff in seiner über zweihundert Millionen Jahre andauernden Reise schon einmal in der Milchstraße gewesen war? Dieses uralte Wesen konnte es beantworten, doch im Moment war Danton nicht danach, Medvecâ zu fragen.

Medvecâ erhob ein Glas mit Blut und hielt es hoch. Die anderen erwiderten notgedrungen die Geste. Nur Tolk wollte nicht mit dem Vampir trinken.

»Was wird nun mit uns geschehen?«, brachte Joak es auf den Punkt.

»Hm, mal sehen! Lebend seid ihr mir im Moment mehr nütze. Da uns Nistant abhandengekommen ist, sind wir froh, sein Herzchen bei uns zu haben.«

Medvecâ bedachte Anya mit einem Lächeln. Sie erwiderte die Höflichkeit gequält.

»Vielleicht machen wir euch auch zu den unseren. Ihr würdet würdige Ylors abgeben. Und mit der reizenden Pyla fange ich an, nachdem sie ein Bad genommen hat.«

Natalia warf erst Medvecâ, dann Pyla einen bösen Blick zu. Offenbar war die ehemalige Nataly Andrews eifersüchtig.

»Du sollst endlich fressen, sach ich!«, keifte sie.

Pyla stellte energisch ihr Glas auf den Tisch und schien sich nun auf das Zickenduell einzulassen.

»Du bist so eine doofe und unentspannte Tusse, ey! Bleib doch mal locker. Alles sutsche piano!«

Na, damit hatte sie es Natalia sicher gegeben …

Natalias Blick wurde noch fieser. Mit ihrer linken Hand packte sie Pyla am Hals und drückte fest zu.

»Du Bauernhure hast mir gar nichts zu sagen, sach ich. Wenn einer was sagt, dann ich, sach ich! Sach ich dir! Du bist so tot, toter geht es gar nicht mehr, sach ich!«

Roi räusperte sich und griff Natalias Arm, während Pyla rot anlief. Er versuchte vergeblich, den Griff zu lösen. Dann nahm er seine Gabel und piekte in ihren Arm. Brachte auch nichts.

»Sie soll sie loslassen«, forderte Joak.

»Aber wieso denn?«, fragte Medvecâ. »Es ist sinnlich, einer schönen Frau beim Sterben zuzusehen.«

»Aber Sie wollten sie doch noch … Naja …«, meinte Cascal.

Medvecâ machte eine gleichgültige Geste.

»Es gibt viele wie Pyla. Ich hatte schon Unzählige von ihnen. Ich finde eine andere. Drück nur weiter zu, meine geliebte Braut!«

Medvecâ lehnte sich amüsiert zurück. Tolk sprang auf, nahm das große Messer, womit man die Schädeldecke des Hasen entfernte und legte es Medvecâ an den Hals.

»Loslassen!«

»Vampire sterben, wenn sie kopflos sind, oder?«, warf Anya ein.

Natalia schnaubte vor Wut. Dann ließ sie Pyla los, die keuchend nach Luft rang.

Tolk wusste, dass sie keine Chance zur Flucht hatten. Also legte er das Messer wieder weg und setzte sich hin.

Medvecâ rang sichtbar nach Fassung, behielt letztendlich seine Ruhe.

»Ihr Terraner seid selbst in Gefangenschaft noch eine Gefahr. Vielleicht sollte ich euch doch alle töten lassen.«

In diesem Moment schrillten die Alarmsirenen auf. Fyntross sprang auf und eilte zu einer Konsole. Dort stellte er eine Verbindung mit Krash auf der Brücke her.

»Was ist los?«

»Wir registrieren einen erhöhten Energieanstieg im Ozean.«

Auf einem großen Monitor wurde das ruhige Meer gezeigt. Doch es schien so, als würde sich darunter etwas bewegen. Fyntross betrachtete unruhig das Szenario. Plötzlich türmte sich das Wasser auf und ein gigantisches Raumschiff katapultierte sich heraus.

»Die STERNENMEER«, freute sich Anya.

Medvecâ sprang auf!

»Höchste Alarmstufe, Erster Offizier Krash. Volle Energie auf die Schutzschilde und sagt diesem Knochenbastard, dass wir seine Kleine haben!«

In diesem Moment erschien das Hologramm des besagten Nistant. Für Sandal Tolk war es eine Premiere, denn er hatte Nistant nie zuvor gesehen.

Nistant ließ den Blick durch den Raum schweifen. Als er Anya sah, glaubte Tolk eine erleichterte Regung zu erkennen.

»Nun, ich bin euch entkommen. Dank gebührt meinen terranischen Freunden. Will Dean und Myrielle Gatto sind wohlauf. Übergebt mir nun jene, die ihr gefangen haltet.«

»Ich denke nicht daran«, meinte Fyntross.

»Meine Worte waren nicht an Lakaien gerichtet. Übergib sie mir, Medvecâ!«

Der Fürst der Ylors ging um den Tisch herum zum Hologramm des einstigen Beherrschers des Riffs. Millionen Jahre alte Titanen standen sich Auge in Auge gegenüber. Ein erhebender Moment, fand Tolk.

Medvecâ schüttelte den Kopf.

»Uns unterscheidet etwas gewaltig. Deine Liebe ist dein Untergang. Sie hat dir schon so viel Kummer bereitet und dich immer wieder behindert. So wird es auch weiter geschehen«, sagte der Ylors.

Nistant starrte ihn ungläubig an.

»Gefühle machen das Leben erst wertvoll. Während ich sie über Jahrmillionen behalten habe, hast du sie vor Jahrmillionen bereits weggeworfen.«

»Es lebt sich recht gut damit«, befand Medvecâ. »Um auf dein Anliegen zurückzukommen: Nein!«

Medvecâ wirkte gelassen. Alle Trümpfe waren auch auf seiner Seite. Nistant konnte die VIPER nicht vernichten, denn dann würde er auch sie töten.

»Solltest du ihnen etwas zuleide tun, werde ich nicht eher ruhen, bis der letzte Ylors tot ist!«

Medvecâ lachte abfällig.

»Welche Macht hast du denn noch? Oh ja, dein schönes Raumschiff und ein paar technische Spielereien mit der Nebelbarriere und einige Abwehrgeschütze. Ein einziges dorgonisches Raumschiff hat deine Hauptstadt eingenommen.

Sieh es doch ein, alter Mann! Deine Zeit ist endgültig abgelaufen. Du bist ein Relikt, das niemand mehr haben will. Weder die Rideryonen noch sogenannte Freunde. Oder wieso trachten die Entropen dir nach dem Leben?«

Nistant senkte den Kopf. Entsprach das wirklich der Wahrheit? War Nistants Macht auf dem Riff nichts mehr als ein guter Ruf und ein paar alte Machtmittel? Dann waren die Ylors wahrlich die Beherrscher des Riffs und hatten mit den Dorgonen neue Verbündete gefunden, mit der sie ihre Macht stärkten.

»Du hast keine Macht mehr, Nistant! Deine Skrupel hindern dich, uns zu vernichten. Dein Herzchen würde auch sterben. Was willst du tun? Blockierst du den Weg, töte ich eine Geisel. Zuerst foltere ich sie langsam, reiße die Glieder aus dem Körper, damit sie schön leidet. Irgendwann wirst du schon zur Einsicht gelangen.«

Nistant atmete schwer.

»Rodrom berichtete mir einst deine Geschichte. Machtlos zu sein ist ein Alptraum, nicht wahr? Wie einst auf Sargomoph bist du auch hier ein Nichts. Einsam und verlassen. Du hältst dich für einen Helden und lebst die Illusion, geliebt zu werden. Dabei ist es doch nur ein verzweifelter Hilferuf, denn du wirst immer einsam und allein bleiben. Ajinah hat dich nicht geliebt. Und Anya tut es auch nicht. Du wirst niemals in das Herz einer Frau geschlossen werden und ihre Liebe spüren. Und du wirst den Kosmos nicht mehr reformieren können. Sieh es ein. Es ist zu spät. Du hast verloren!«

Nistant starrte vor sich hin. Er wirkte wie ein gebrochener Mann. Alt und müde. Wie ein Häufchen Elend stierte er durch den Raum und bewegte sich nur zuckend.

Medvecâ hatte einen empfindlichen Nerv getroffen. Tolk fühlte mit Nistant. Machtlos zu sein war furchtbar. Er hatte es am eigenen Leibe erfahren. Er wusste, wie sich Nistant jetzt fühlte.

Der Erbauer des Riffs wirkte ausgebrannt. Sein Leben schien seinen Sinn verloren zu haben.

Anya atmete tief durch und stand auf. Sie sah Joak ernst an, dann ging sie vor die Holographie von Nistant.

»Ich bin nicht Ajinah. Aber ich weiß, dass du ein gutes Wesen bist. Dein Herz ist stärker und größer als das der meisten Geschöpfe im Universum. Die Völker des Rideryons blicken auf dich.«

Medvecâ starrte Anya entgeistert an.

»Ich blicke auf dich mit Respekt und ehrlicher Zuneigung. Du … bist nicht allein.«

Sie machte eine Pause, blickte noch einmal zu Joak, dann sah sie wieder Nistant an.

»Ich bin für dich da, wie es Ajinah hätte sein sollen. Mit meiner Liebe!«

Medvecâs Gesicht verfinsterte sich. Nistant starrte Anya an. Es schien beinahe so, als würde er weinen, doch um das zu erkennen, war das Hologramm zu unscharf. Er fuhr mit der Hand über ihr Gesicht, wobei die Holographie durch Anyas Kopf ging.

»Genug! Das ist doch Gewäsch!«, ereiferte sich Medvecâ.

Anya blickte ihn mit einem spöttischen Lächeln an. Dann wandte sie sich an Nistant.

»Wir brauchen dich. Rette uns!«

Medvecâ schlug Anya nieder. Joak sprang auf und eilte zu ihr. Nistant blickte den Ylors hasserfüllt an.

»Ich bin kein Relikt. Aber ich bin die Verkörperung der Geschichte. Die der Vergangenheit, der Gegenwart und auch der Zukunft. Du wirst sterben, Medvecâ, und dein Volk wird aus dem Universum getilgt werden, wenn du sie mir nicht auslieferst.«

Medvecâ fletschte die spitzen Zähne.

»Ich nehme deine Herausforderung an! Wir werden ja sehen, wer am Ende obsiegen wird.«

Nistant lächelte abfällig. Dabei entblößte er die gelben Zähne und sah besonders unheimlich aus.

»Du hast keine Ahnung, mit welcher Macht du es zu tun hast, Jüngling! Krümme diesen fünf Menschen ein Haar und du wirst es bereuen. Schonst du sie, bin ich zu Verhandlungen bereit.«

Das Hologramm erlosch.

Medvecâ wanderte unruhig umher. Natalia blickte ihn fragend an. Dann leckte sie sich über die Lippen und blickte lüstern zu Pyla hinüber. Das war keine sexuelle Begierde, sondern das Verlangen, sie zu töten. Damit würden sie Nistant provozieren.

»Ich sage, töten wir doch alle! Sach ich!«

»Schweig still, Weib!«

Medvecâ massierte sich die Schläfen. Offenbar bereitete ihm Nistant Kopfschmerzen.

»Die VIPER ist der STERNENMEER nicht gewachsen. Selbst die ganze Flotte der Ylors nicht. Kapitän, nehmen Sie Kontakt mit den Söhnen des Chaos auf. Cau Thon wird wissen, was zu tun ist.«

Fyntross nickte. Was für eine unheilige Allianz hatte sich hier zusammengebraut!

»Und Volcus soll uns auch helfen. Die Adlerschiffe verfügen über eine glänzende Technologie!«

Joak hatte Anya inzwischen wieder zu ihrem Stuhl gebracht. Sie schlug sich ganz wacker. Die Buuralerin hätte bestimmt wieder geplärrt, doch Anya Guuze nicht. Sie hatte erneut viel Mut bewiesen. Aber Sandal bemerkte in der Haltung seines besten Freundes Joak, dass dieser nun gebrochen schien. Anya hatte Nistant ihre Liebe angeboten. Danach hatte sich Joak immer wieder gesehnt. Seitdem sie von Objursha vor eineinhalb Jahren geflohen waren, war er in Anya verliebt.

Als sie damals nach Terra abgeflogen war, kurz vor der ersten Schlacht am Sternenportal, hatte das Joak offenbar aus der Bahn geworfen. Er sagte nun kein Wort, doch Tolk merkte ihm an, dass er traurig war. Dabei hatte Anya das einzig Richtige getan. Sie hatte Nistant Mut gemacht. Sie hatte das Feuer des Kriegers entfacht! Nistant brauchte einen Grund zum Kampf, einen Ansporn. Er war wie Tolk! Grundlos tötete auch er nicht. Es ging dabei entweder um Rache oder das Leben von Wesen, die sich nicht selbst wehren konnten. Deshalb kämpfte er. Deshalb tötete er und war bereit, selbst zu sterben!

Das war der Sinn seines Lebens!

»Lasst die Gefangenen in diesem Raum. Natalia, pack dein Vieh und komm mit! Fyntross, mitkommen!«

Medvecâ verließ eiligen Schrittes die Kabine. Natalia warf allen noch mal einen finsteren Blick zu und packte Tessalia. Als die nicht gehorchte, fing Natalia an zu schreien.

»Du blöde Misttöle! Gehorchst du wohl, sach ich! Fuß, sach ich! Fuß! Na los! Mistvieh!«

Fyntross folgte der »Dame« Medvecâs mit gebührendem Abstand. Natürlich wurden Wachen am Ausgang postiert. Aber immerhin waren die fünf nun unter sich.

»Ich will noch was trinken«, piepte Pyla.

»Die Frau macht mich fertig«, murmelte Tolk, jedoch so laut, dass zumindest Joak es hören konnte.

Dieser schmunzelte kurz. Immerhin mal ein Anzeichen von Leben.

Roi Danton versuchte, die zweite, immerhin relativ volle Flasche Tholrum vorsichtig wegzunehmen. Doch Pyla bemerkte das und griff danach. Dabei stieß sie ihr Glas um.

»Ich bin nicht betrunken, klar? Ich bin noch ganz nüchtern und könnte das ganze Raumdingsbums noch fliegen. Sei doch nicht so ein Spießer, Roilein!«

Anya verdrehte die Augen.

»Reiß dich doch endlich mal zusammen. Glaubst du, du bist eine Hilfe für uns, wenn du dich besäufst? Mag ja sein, dass alles furchtbar gewesen ist. Das war es für uns alle. Etwas Reife wäre in dieser Situation angebracht!«

Pyla guckte Anya jetzt ziemlich bedröppelt an.

»Ich wurde auf Objursha gefoltert, von meinem eigenen Ehemann verraten, Jahre zuvor von Dscherro entführt, dann vor kurzem von Eingeborenen einem Riesenkoloss geopfert, der sich in mich verliebt hat und nun bin ich das Herz der Sterne und stecke mitten drin im dicksten kosmischen Schlamassel. Sag mir bitte nicht, dass es dir schlimmer geht!«

Pyla blickte Anya traurig an.

»Wurden alle getötet, die dir nahestanden?«

»Nein«, antwortete Anya mit belegter Stimme.

»Ich vermisse meine Familie, meine Freunde und die Gemeinschaft des Dorfes. Ich hab doch niemanden. Außer euch …«

Tolk lehnte sich zurück und verdrehte die Augen. Auf diesen sentimentalen Kram hatte er nun überhaupt keine Lust. Gleich würden alle weinen und sich umarmen. Dazu war später auch noch Zeit. Jetzt galt es zu kämpfen und alle Gegner zu töten!

Doch da nun Tränen über Pylas Gesicht kullerten, bekam zuerst Anya offenbar Mitleid, stand auf und nahm sie in den Arm. Roi tätschelte sie auch noch behutsam und selbst Joak ging zu ihr. Er warf Tolk einen Blick zu.

»Nun komm schon«, flüsterte er.

»Nein, ich mach bei dem Mist nicht mit.«

Er stand auf und ging demonstrativ in die andere Ecke des Raums, während sich die drei um Pyla kümmerten, die sich ausschluchzte. Tränen würden ihnen auch nicht weiterhelfen. Joak beendete als Erster diese rührselige Szene und ging zu ihm.

Er lehnte sich an die Wand.

»Schon einen Fluchtplan?«

»Nein.«

Cascal atmete tief durch und starrte natürlich auf Anya Guuze. Offenbar schien ihm die nicht erwiderte Liebe zu ihr mehr Sorgen zu bereiten als die Gefangenschaft. Aber so war Joak eigentlich schon immer gewesen. Was andere mit größter Panik erfüllte, schreckte ihn nicht. Mit simpleren Dingen hatte er seine Probleme. Vermutlich ein typisches Strickmuster für sogenannte Helden.

»Ich frage mich, ob sie sich Nistant wirklich hingeben wird?«

Tatsächlich hatte Joak keine anderen Sorgen.

»Wenn sie bis dahin noch lebt.«

Tolk sah sich im Raum um. Es musste doch eine Möglichkeit geben, von hier zu verschwinden.

»Und wenn es nicht Nistant ist, wird sie sich wieder ihrem Ex-Mann an den Hals werfen. So oder so, ich bin es nicht!«

»Finde dich damit ab«, riet er Joak.

Cascal seufzte.

»Vielleicht sollte ich es doch mal mit Pyla versuchen. An sich ist sie ja ganz nett …«

»Spinnst du?«

Tolk tastete die Wand ab.

»Nun, sie ist noch jung. Man kann sie noch richtig erziehen. Und sexy ist sie auf jeden Fall. Ach, Sandal, ich habe es satt, allein zu sein! Es kotzt mich an!«

»Hm, du willst die Abenteuer aufgeben und eine Familie gründen?«

»Das habe ich nicht gesagt. Nein! Ich könnte nicht irgendwo im Büro sitzen und Däumchen drehen. Vermutlich müsste die Auserwählte mit zu den Abenteuern kommen …«

Ja, da war Pyla bestimmt die Richtige, spottete Tolk in Gedanken.

Viel wichtiger war es, endlich einen Ausweg zu finden.

»Versuch mal den Lüftungsschacht da hinten«, riet Joak.

Tolk blickte ihn verdutzt an.

»Ich bin mit meinen Gedanken schon bei der Sache, alter Freund«, antwortete Joak, als hätte er seine Gedanken erraten.

Dann blickte er wieder zu Roi Danton und verzog das Gesicht.

Der Sohn Perry Rhodans tröstete Pyla immer noch. Dabei schien er es zu genießen, dass er sie hier und da streichelte. Anya saß daneben und starrte ins Leere. Es wurde Zeit, dass sie hier verschwanden! Tolk sah sich das Gitter vor dem Lüftungsschacht an. Das konnte man öffnen. Joak stellte sich an die Konsole und versuchte, sie zu aktivieren.

»Mist, Passwortschutz!«

»Der Code lautet Kuturat«, sagte Pyla plötzlich.

Alle starrten sie erschrocken an.

»Ich habe gesehen, wie er es eingetippt hat. Ich kann mir so etwas gut merken. Was denn?«

Das war die erste gute Tat der jungen Buuralerin, seitdem Tolk sie kannte.

Joak tippte den Code ein. Es funktionierte tatsächlich. Sie hatten Zugriff auf die Schiffseinheiten.

»Mal sehen, was man über die Konsole alles erreichen kann. Besonders wenn man die Überrangcodes der Terranischen 8. Flotte hat.«

Joak grinste. Er deaktivierte zuerst die Abtastersysteme im Schiff selbst. Damit verhinderte er, dass man sie im Falle einer Flucht mit Hilfe von Individualabtastern aufspüren konnte. Das ganze Sicherheitssystem programmierte er um. Keine Kameras, keine Prallfelder, keine Abwehrgeschütze. Tolk riss derweil das Gitter vom Lüftungsschacht ab.

»Ich gehe allein«, beschloss er.

»Nichts da! Ich komme mit«, sagte Cascal ebenso entschlossen. Tolk kannte seinen Freund zu gut. Er würde keine Widerworte akzeptieren.

Tolk nickte kurz und stieg in den engen Schacht. Cascal hievte sich mit einem Keuchen hoch.

»Du wirst langsam alt, Joak.«

»Quatsch. Nur aus der Übung. Ich bin nicht zu alt für diese Scheiße!«

Langsam robbten sie den Tunnel entlang bis zum ersten Ausstieg. Sie befanden sich im Raum vor Fyntross’ Quartier. Dort saßen sechs Wachen. Es wäre keine gute Idee, sie unbewaffnet anzugreifen.

»Erst einmal zu den Waffen. Sind vermutlich im Nebenraum«, flüsterte Joak.

Sie krochen weiter und fanden im nächsten Raum tatsächlich Strahler sowie Tolks umfangreiches Waffenarsenal.

Zuerst waren die sechs Wachen dran. Joak kletterte wieder in den Schacht. Sie wollten die Piraten von zwei Seiten angreifen. Tolk spähte durch die geöffnete Tür zum Wachraum. Es waren zwei Harekuul, zwei Manjor, ein Gannel und ein Vessyl. Sie spielten ein dreidimensionales Tischspiel und tranken reichlich Tholrum.

Er blickte auf sein Chronometer. In zehn Sekunden würde Joak losschlagen. Da löste sich bereits der erste Schuss. Der erste Harekuul fiel tot um. Tolk stürmte in den Raum und enthauptete den Gannel. Der zweite Harekuul wurde von Cascal in den Kopf getroffen. Die zwei Manjor stürmten auf ihn zu, während der Vessyl nach seiner Waffe suchte. Joak erschoss ihn. Tolk erledigte mit der Axt die beiden Manjor.

Der Kampf war kurz und schmerzlos gewesen. Zumindest für ihn und Joak. Sein terranischer Freund sprang nun aus dem geöffneten Lüftungsschacht.

Dann deaktivierte er die Verriegelung an der Tür. Roi Danton, Pyla und Anya Guuze traten ihm bereits entgegen.

»Wurde auch Zeit«, meinte Danton und sah sich die Überreste der Piraten an. »Was für eine Sauerei. Igitt!«

Anya und Pyla schrien synchron auf.

»Weiter!«, forderte Joak und deutete zum Ausgang.

Sandal öffnete die Tür und beobachtete den spärlich beleuchteten Korridor. Es war kein Pirat weit und breit zu sehen. Er gab Joak ein Zeichen und sie gingen los. Roi Danton hatte sich inzwischen auch wieder mit Degen und Thermostrahler bewaffnet. Was der Sohn Rhodans mit diesem Zahnstocher allerdings wollte, wusste Sandal nicht.

Danton stellte sich plötzlich vor Tolk.

»Ab jetzt meine Herren und natürlich Damen übernehme ich das Kommando, denn ich kenne mich auf meinem Ex-Raumschiffchen gut aus, nespa?«

Danton zog den Degen und deutete in eine Richtung.

»Da entlang!«

Sie folgten ihm wortlos. Es ging durch mehrere Korridore und Etagen. Roi vermied es dabei, Antigravschächte zu benutzen. Sie gingen durch Notschächte. In diesen etwas geräumigeren Bereichen gab es Leitern und Treppen.

»Ich brauche eine Pause«, säuselte Pyla.

Tolk warf ihr einen finsteren Blick zu.

»Nee, bin ganz fit. Kann weitergehen«, meinte sie hastig.

Roi hielt plötzlich an.

»Haben wir eigentlich einen Plan?«, fragte er.

Keiner sagte etwas.

»Ah, hab ich mir gedacht. Wenn wir planlos durch das Schiff streifen, verirren wir uns noch und werden schließlich Opfer von Fyntross’ Plan, nespa?«

Was hatte er da gesagt? Tolk verstand kein Wort.

»Also gut! Welche Möglichkeiten haben wir?«

»Wir kapern ein Beiboot«, schlug Joak vor.

»Die schießen uns ab, ehe wir in Sicherheit sind«, meinte Danton.

»Wir töten alle an Bord und entern das Schiff«, sagte Tolk entschlossen.

Danton deutete auf ihn.

»Wir kapitulieren?«, fragte Pyla.

Roi schüttelte den Kopf.

»Non, mademoiselle! Der Plan des Barbaren erscheint mir am sichersten. Zwar werden wir nicht alle meucheln, aber es reicht bereits aus, wenn wir die Brücke erobern!«

»Können wir nicht noch mehr Technik sabotieren?«, wollte Anya wissen. »Schließlich haben wir ja das Passwort von Fyntross.«

»Dazu müssten wir wieder zurück in seine Kabine«, erklärte Joak.

Damit war es für Tolk beschlossen! Ihr Weg führte sie zur Brücke. Er würde jeden erschlagen, der sich ihm in den Weg stellte.

15. Es gibt keine Gefangenen

Der Alarm schrillte laut durch das Raumschiff. Offenbar hatte man nun entdeckt, dass sie geflohen waren. Mit dem Chaos, das Joak jedoch im Bordrechner der VIPER angerichtet hatte, würden sie viel Zeit haben. Tolk überlegte sich, wieso sie nicht gleich das ganze Raumschiff lahmgelegt hatten. Oder zumindest die Bewaffnung. Dann hätten sie mit einem Beiboot fliehen können.

Das war stümperhaft gewesen! Nun war es zu spät. Sie befanden sich inzwischen auf dem Deck der Kommandozentrale. Die beiden Frauen blieben in einer Verbindungsröhre.

Danton, Joak und Tolk stiegen in den Lüftungsschacht, der sie direkt über die Kommandozentrale führte. Tolk robbte sich über das Gitter. Fyntross, Medvecâ, Natalia, Krash und etwa ein Dutzend weitere Piraten befanden sich in der Zentrale.

Das würde keine leichte Aufgabe werden. Roi tippte Tolk an.

»Darf ich mir einige Atompfeile leihen?«

*

Eines musste man Roi Danton alias Michael Reginald Rhodan lassen: Er hatte Mut!

Die Tür zur Brücke öffnete sich. Roi Danton schritt in aller gespielter Arroganz hindurch und wurde von den Wachen – Craasp und Zerzu – begleitet.

Kapitän Fyntross stieß einen überraschten »Blubb« aus. Natalia zischte bedrohlich, während Medvecâ keine Regung zeigte.

»Bonjour! Bevor ihr mich erschießt, fresst und vergewaltigt, bitte ich zur Kenntnis zu nehmen, dass ich einen Atomsprengsatz aus dem Waffenarsenal von Monsieur Tolk mit mir führe. Fasst mich an und ihr seid alle Asche. Das wollen wir doch nicht, nespa?«

Fyntross krächzte seltsam, während Natalia wütend durch die Zentrale lief. Medvecâ lachte und spendete Beifall.

»Ihr Terraner seid wirklich beeindruckend. Kaum eine Rasse kann mit eurer Hartnäckigkeit und eurem Glück konkurrieren. Was wollt Ihr, Danton?«

Roi sah den Fürsten der Ylors verwundert an.

»Nun«, fing er an und stakste durch die Kommandobrücke.

Er blieb an einer Konsole stehen und betrachtete sie ausgiebig. Mit dem Finger fuhr er über sie und sah sich den Dreck auf der Fingerkuppe an. Dann zückte er sein Schnupftüchlein und fing an, die Konsole vom Staub zu befreien. Als er endlich fertig war, blickte er die Anwesenden verdutzt an.

»Ach ja! Nun, bevor ich voller Schrecken die Arbeit von Meister Tütüül fortführen musste, was wollte ich? Vielleicht eine verständnisvolle Miss Universum, genügend Schnaps und ein aufregendes, sinnvolles Dasein. Jedoch wird dies nicht deine Frage gewesen sein, nicht wahr Draculaverschnitt?«

»Nein, war sie nicht«, entgegnete Medvecâ kühl.

»Wie es aussieht, sind wir doch alle in einer schrecklich misslichen Lage. Der liebeskranke Tod auf Beinen wartet mit seinem unbezwingbaren Raumschiff direkt vor der VIPER. Wir können nicht fliehen, da ihr uns dann umlegt. Aber ihr könnt uns nicht gefangen nehmen, da ich sonst das Raumschiff in die Luft jage. Dumm, nicht?«

Medvecâ lachte.

»Ihr seid ein talentierter Schauspieler, Michael Rhodan. Doch eines seid Ihr nicht: ein Mörder! Wenn es die Not erfordert, würdet Ihr uns alle töten. Dessen bin ich mir sicher. Jedoch nicht eure Freunde hier an Bord.«

Medvecâ erhob sich und stand direkt vor Danton. Der Fürst der Ylors überragte selbst den großgewachsenen Sohn Rhodans um einen Kopf.

Roi blickte ihm tief in die Augen und grinste.

»No! Wie schon unsere Fischfresse treffend bemerkte: der Unterschied besteht in der Nächstenliebe und Skrupel.«

Plötzlich erschütterte eine Detonation das Raumschiff. Fyntross eilte zu den Konsolen. Das Licht flackerte.

»Wir registrieren Schwankungen in der Energieversorgung. Kleinere Explosionen bei den NUG-Schwarzschild-Generatoren und Fusionsreaktoren führen zu einem massiven Energieverlust.«

Das war Sandal Tolks Zeichen. Er stieß das Gitter aus der Fassung und sprang runter. Noch bevor er aufsetzte, warf er einen Brandpfeil in die Brücke. Etliche Piraten gingen in Flammen auf.

Tolk zückte seinen Energiestrahler und feuerte. Roi Danton zog seinen Paradedegen und stach ihn Medvecâ in die Brust. Doch der Fürst der Ylors schlug unbeeindruckt Danton zu Boden.

Es herrschte ein Chaos auf der Brücke. Tolk nahm einen Brandpfeil und feuerte auf Medvecâ. Der Herr der Ylors ging in Flammen auf, wandte sich von Danton ab und versuchte, sich zu löschen.

Roi rappelte sich auf und stellte sich zu Tolk.

»Nichts wie weg!«

Die beiden rannten aus der brennenden Brücke. Sie liefen den Korridor entlang. Während Sandal den Rückweg sicherte, griff Danton zum Interkom.

»Alles klar bei euch?«

»Ja, der Atompfeil ist explodiert. Es brennt in der Nähe der Fusionsreaktoren und NUG-Schwarzschild-Generatoren. Hoffentlich habe ich nicht übertrieben und das ganze Schiff geht hoch. Wir sind gleich im Hangar«, meldete sich Cascal.

Da explodierte wieder etwas. Tolk bemerkte, wie die VIPER an Schräglage gewann. Roi fiel hin und auch Tolk konnte sich nicht mehr halten.

Offenbar schmierte das Raumschiff ab.

*

Es dauerte eine Weile, dann ging ein Ruck durch die VIPER. Sie wurden kräftig von links nach rechts durchgeschüttelt. Nach qualvollen Sekunden wurde es ruhig. Joak meldete sich wieder über Funk. »Ich habe es übertrieben. Die VIPER ist in den Ozean gestürzt. Ich fürchte, sie sinkt.«

Wie auf der LONDON, überlegte Tolk. Er rappelte sich wieder auf. Danton stand auch schon.

»Die Frauen und ich zuerst in die Rettungsboote«, meinte Danton. »Wieso sinkt nur ein Raumschiff?«

Er deutete nach oben. Tolk begriff. Sie mussten zur Außenhülle gelangen, bevor das Innere geflutet wurde. Beide rannten so schnell sie konnten hoch. Dabei koordinierten sie sich mit Joak. Nach einigen Minuten erreichten sie eine Schleuse, die bis zum obersten Deck führte. Das Raumschiff knarrte schon bedenklich. Langsam schien es sich zu neigen. Ein eindeutiges Zeichen, dass Wasser eindrang.

Endlich liefen ihnen Joak, Anya und Pyla entgegen.

»Hat Joak feingemacht, nicht wahr?«, gab Anya sarkastisch von sich.

Cascal bedachte sie mit einem bösen Blick.

»Die Röhre dort führt dreißig Meter mit einer Leiter hoch. Von dort aus gelangen wir ins Observatorium und sind an der Oberfläche. Mesdemoiselles? Darf ich bitten?«

Roi verbeugte sich vor den zwei Frauen. Zuerst stieg Anya auf die Leiter, dann Pyla. Joak wollte folgen, doch Roi hielt ihn auf.

»No, mon ami. Ich denke, ich sollte die Damen im Auge behalten«, erklärte Rhodans Sohn mit einem süffisanten Grinsen und stieg als Dritter auf die Leiter, den Blick nach oben – auf Pylas Hinterteil – gerichtet.

Joak schüttelte den Kopf.

»Was für ein Arsch …«

»Welchen meinst du jetzt?«, wollte Tolk wissen.

Joak schwieg, dann fing er an hochzuklettern. Als Tolk zur Leiter ging, packte ihn plötzlich jemand am Nacken und riss ihn zurück. Mit großer Wucht wurde er gegen die Wand geschleudert.

Die Wolfsfratze des Ersten Offiziers fletschte ihm entgegen. Er wich dem Schlag von Krash aus. Doch die linken drei Arme trafen ihn und rissen eine Wunde in sein Fleisch.

Mit der rechten obersten Hand packte er ihn am Hals und hob ihn hoch.

»Ich werde dich langsam in Streifen reißen!«

Speichel rann aus den Lefzen. Der Druck auf seinen Hals wurde immer stärker. Der Manjor war ihm weit überlegen. Während er mit einer Hand zudrückte, hielten zwei weitere Armpaare Tolks Hände fest. Der Barbar von Exota Alpha war wehrlos und der Kopf schien zu platzen. Er konnte nicht atmen, nicht denken, nicht handeln. Wieder wehrlos!

Krash würde Sandal qualvoll erwürgen! Der Manjor knurrte bedrohlich, dann jaulte er plötzlich auf. Er zuckte, der Druck ließ nach! Plötzlich ließ Krash seine Hände los. Tolk drückte den Arm weg und schubste Krash nach hinten. Der Manjor torkelte zur Seite, machte einen Knick und landete auf den Knien. Jetzt sah er das brennende Loch in dessen Rücken. Ächzend blickte der Erste Offizier der VIPER noch einmal auf, wimmerte leise und sackte dann leblos zu Boden.

Tolk blickte nach vorn. Am Eingang der Schleuse stand Joak Cascal mit einem überlegenen Lächeln.

»Das war auch ein Arsch!«

»Mir waren die anderen beiden lieber«, murmelte Tolk und fasste sich an den Hals.

Tat ganz schön weh. Erst jetzt bemerkte er, dass sie bereits knöcheltief im Wasser standen. Es war höchste Zeit zu fliehen.

Joak schwang sich als Erster auf die Leiter. Sandal folgte ihm unmittelbar. Nach wenigen Momenten hatten sie das Observatorium erreicht. Dort erwartete sie die nächste Überraschung. Die Kuppel war zerbrochen. Keine Spur von Roi Danton, Pyla und Anya. Plötzlich erschienen am Rand der zerbrochenen Kuppel einige Piraten und zielten mit ihren Strahlern auf die beiden.

»Hochkommen«, hörte Tolk in seinem Kopf.

Joak und er befolgten die Anweisung. Auf der Außenhülle der VIPER befanden sich etwa ein Dutzend Piraten. Das war wohl der klägliche Rest von Fyntross’ Truppe.

Der Kapitän selbst stand gelassen neben seinen neuen Gefangenen: Danton, Anya und Pyla.

Tolk erkannte den kopflosen Dychoo Maritor, den Vessyl Tütüül sowie Craasp und Zerzu unter den Piraten. Keine Spur von Fürst Medvecâ und Natalia. Waren sie vielleicht schon tot? Das wäre eine gute Nachricht!

Fyntross stieß einen ätzenden Blubb aus.

»Langsam reicht es mir mit euch, Terraner!«

»Ich bin aber keine«, begann Pyla.

»Klappe!«, brüllte Fyntross nun weniger gelassen. »Ich hätte euch schon auf Thol2727 töten sollen! Doch diesen Fehler gedenke ich nun zu korrigieren!«

Fyntross zog seinen Strahler.

»Wen zuerst? Das nenne ich die Qual der Wahl! Danton selbst? Seine hirnlose Mätresse oder die kleine, giftige Blondine? Oder vielleicht doch den Hünen und seinen Kumpan?«

Tolk entdeckte auf dem Ozean einen Schatten, der schnell näher kam. Plötzlich schoss die STERNENMEER wieder aus dem Wasser und schob sich grollend über die VIPER.

Innerhalb von wenigen Sekunden materialisierten Dutzende Harekuul und Manjor auf der Außenhülle. Sie wurden von Nistant angeführt. Fyntross ließ vor Schreck die Waffe fallen.

»Wer tötet jetzt wen?«, fragte Roi mit einem Lächeln.

Die Piraten waren in der Unterzahl. Sie kapitulierten, ohne dass auch nur ein Schuss fiel.

Nistant ging gemessenen Schrittes zu Roi Danton und Anya.

»Ihr seid nun frei. Kehrt zurück zur IVANHOE und wartet dort, bis ich mich melde. Die Ereignisse überschlagen sich. Die Söhne des Chaos sind sehr aktiv auf dem Rideryon. Die Stadt Ajinah ist gefallen und steht unter dem Banner der Dorgonen. Wir werden sie befreien!«

Nistant wandte sich an Anya.

»Gilt dein Versprechen noch, mein Herz der Sterne?«

Anya blickte auf den Boden. Nach einigen Momenten sah sie zu Nistant auf.

»Ja, ich gab dir mein Versprechen, an deiner Seite zu sein. Ich habe nicht gelogen …«

Sie klang traurig. Offenbar spürte Nistant das. Seine Körperhaltung entsprach jedenfalls nicht der eines glücklichen Mannes.

»Ein aus der Not gegebenes Wort ist nicht viel wert. Du hast mir Hoffnung gegeben und mir geholfen, meine Stärke wiederzufinden. Dafür bin ich dir dankbar.«

Seine Stimme zitterte.

»Doch, du hast gelogen. Du empfindest keine Liebe für mich, sondern nur für die erbärmlichen, sterblichen Menschen. Du wärst ein Vogel in einem goldenen Käfig. Traurig und gebrochen. Was denkst du von mir? Als ob ich dies zulassen würde!«

Nistant rang sichtlich nach Fassung. Er erkannte offenbar, dass seine Liebe eine Illusion war. Anya Guuze war nicht Ajinah und glaubte man den Überlieferungen, so war die Liebe zu Ajinah auch nicht glücklich gewesen. Nistant hatte ein starkes Herz, wenn er nach all diesen Jahrmillionen seine auserkorene Frau immer noch so stark liebte. Nur das tapfere Herz eines Kriegers konnte so etwas fühlen. Und trotzdem zeigte Nistant jetzt wahre Größe. Tolk empfand viel Respekt vor diesem Mann!

»Liebe kann nicht erzwungen werden. Wir sind völlig verschieden. Ich hege große Sympathie für dich, aber ich liebe dich nicht. Es tut mir weh, es dir zu sagen, aber uns nützt eine Lüge nichts!«

Nistant starrte Anya traurig an, als sie die Worte sprach. Er atmete schwer, rang sichtlich nach Fassung.

Dann blickte er zu Joak.

»Ist er der glückliche Mann?«

Anya sah zu Joak herüber und schüttelte den Kopf.

»Nein. Mein Herz gehört immer noch meinem Ehemann Krizan. Trotz allem. Er ist ein guter Mensch tief in seinem Herzen. Ich kann ihm helfen, seine Dämonen zu besiegen.«

»Dämonen, so? Was weißt du schon von Dämonen? Sie tanzen dein Herz in endloser Pein, lassen dich jeden Tag auf ein Neues vor Einsamkeit sterben und erfreuen sich an deinem Leid. Sie machen dich rasend und lehren dich zu hassen und zu vernichten.«

Nistant atmete tief ein und aus.

»Ich habe nicht gelogen. Ihr seid frei. Geht nun!«

Nistant wandte sich von Anya ab. Sie öffnete den Mund, wollte wohl etwas sagen, schwieg letztlich aber.

Sandal blickte zu Joak, der die Unterhaltung mit steinerner Miene verfolgt hatte. Er wusste um die Gefühle Joaks zu Anya. Unabsichtlich hatte sie zwei Männern im selben Moment das Herz gebrochen. Doch sie hatte richtig gehandelt, denn sie hörte auf ihr Herz.

Nistants Gefolgschaft bereitete ein kleines Beiboot für sie vor. Anya und Pyla stiegen bereits in das Vehikel. Ein Harekuul bewegte sich auf seinen Herrn Nistant zu.

»Was ist mit den Gefangenen?«

»Es gibt keine Gefangenen, Tashree!«

Nistant zog sein Schwert und ging zu Fyntross. Er hockte sich hin und blickte den knienden Piratenkapitän an.

»O Sohn des Seins! Lege jeden Tag Rechenschaft vor dir ab, ehe du zur Rechenschaft gezogen wirst. Denn unangemeldet kommt der Tod, und dann musst du deine Taten verantworten.«

Fyntross starrte Nistant entsetzt an.

»Bitte … ich …«

»Dein Flehen ist umsonst, Bursche! Spare es dir für dein Schicksal in der nächsten Welt auf! Der Tod kommt nun!«

Nistant sprang auf, holte aus und schlug dem Piratenkapitän den Kopf ab.

Kapitän Fyntross war tot!

Der Harekuul Tashree gab seinen Männern ein Zeichen. Sie zogen ihre Äxte und Schwerter und töteten alle. Craasp, Zerzu, Tütüül und Maritor. Die gesamte Restbesatzung von Fyntross folgte ihrem Kapitän in den Tod. Die VIPER war ihr Grab.

»Rhodan!«

Nistant hielt den Kopf des Piraten in seiner Hand, während er nach Roi Danton rief. Dann warf Nistant das Haupt des Kapitäns vor die Füße Dantons. Die toten Fischaugen starrten Roi klagend an.

»War das nötig?«, fragte Danton.

Nistant lachte auf, während er mit dem Umhang des enthaupteten Piratenkapitäns sein Schwert vom Blut befreite. Das uralte Wesen starrte in den Himmel. Die Wolken verdeckten die Kunstsonne.

»Finsternis herrscht auf dem Rideryon. Es wird Zeit aufzuräumen. Ich spüre die Präsenz des Kosmotarchen DORGON! Euer kemetisches Raumschiff hat einen Teil von ihm unbemerkt mitgebracht. Er sucht MODROR. So viele Parteien auf dem Rideryon, die um die Vorherrschaft kämpfen! Es wird Zeit, sie zunichte zu machen.«

Ende

Im nächsten Heftroman 117, geschrieben von Aki Alexandra Nofftz, steht die Suche nach Maya ki Toushi im Mittelpunkt.
Sie führt Aurec, Denise Joorn, Constance, Sato Ambush und die Gruppe Zero tief in die Vergangenheit des Rideryons und offenbart ihnen

DAS GEHEIMNIS DER LILIM

DORGON-Kommentar

Und da wären wir mal wieder bei einem meiner Lieblingsthemen: Vertrauen und Misstrauen.

Es ist tragisch, aber die Führung der Alliierten misstraut offensichtlich den eigenen Verbündeten mehr als den Gegnern. Cascal beispielsweise geht Volcus geradezu leichtgläubig in die Falle, während er gegenüber der Gruppe Zero nur Misstrauen kennt. Genau die gleichen Vorurteile, wie sie auch einem wirklichen Bündnis mit den entropischen Hexen entgegenstehen. Gut, auch das soll hier nicht verschwiegen werden: Adelheid macht es den Alliierten auch leicht, ihre Vorurteile zu pflegen.

Welche Qualifikationen machen dagegen einen Remus Scorbit oder Joak Cascal gegenüber einem Shan Mogul überlegen? Hier erhebt sich für mich die Frage, ob die Alliierten nicht irgendwann die Quittung für ihr unsensibles Verhalten bekommen werden, denn ein uraltes terranisches Sprichwort bringt es auf den Punkt:

Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht!

Und ich glaube, dass der Krug der Loyalität der Gruppe Zero, genauso wie der der Entropen, bereits tiefe Sprünge aufweist und bei der geringsten Belastung zerspringen wird. Aber das ist dann wohl bereits durch die Gutmenschen wie Aurec oder den an Testosteronüberschuss leidenden Cascal so vorhergesehen. Das Misstrauen, das man immer gegenüber den Bündnispartnern fühlte, hat sich dann quasi selbst bestätigt.

Jürgen Freier

GLOSSAR

Raumkalmar

Bei dieser Erscheinung handelt es sich um eine geheimnisvolle Kreatur, die von Nistant als Waffe gegen gegnerische Raumschiffe eingesetzt wird. Bei den Alliierten vermutet man, dass es sich um ein Wesen handelt, das im Weltraum beheimatet und zumindest teilweise im Hyperraum verankert ist. Es scheint, dass alle bekannten Schutzschirmtechnologien gegenüber diesem Wesen nutzlos sind.

In den Jahrtausenden, die seit den Tagen der Dritten Macht auf der Erde vergangen sind, sind die Terraner auf dem Weg ins All schon mehrmals auf Wesen gestoßen, die im intersolaren oder gar intergalaktischen Raum entstanden sind und sich zwischen den Dimensionen bewegen können. Als Beispiel sei hier nur das intelligente Nebelwesen Axhalaisom genannt, mit dem die Terraner erstmals im 24. Jahrhundert Kontakt aufnehmen konnten.

Allerdings scheint der von Nistant eingesetzte Raumkalmar, wie man das Energiewesen wegen seiner äußeren Form genannt hat, nur auf Vernichtung programmiert zu sein und über keine eigene Intelligenz zu verfügen. Auch bleibt weiterhin offen, ob es sich um ein natürliches oder ein künstliches Wesen handelt.

Es liegt nahe, eine Verwandtschaft mit den von Rodrom über Objursha eingesetzten »Drachen« anzunehmen, was jedoch die Frage erheben würde, inwieweit eine Verbindung zwischen MODROR und Nistant besteht.

Inselmutantenkorps

Das Inselmutantenkorps entstand 1298 NGZ als Folge der Ereignisse um den Blues-Supermutanten Rijon. Shorne Industries versuchte, durch Gen-Manipulationen bei »normalen« Lebewesen Para-Fähigkeiten zu entwickeln. Bei den Versuchen kam es zu Missbildungen und Todesfällen, die skrupellos entsorgt wurden. Schließlich kam es zum Rachefeldzug der Überlebenden, denen sich Gucky entgegenstellte. Unter seiner Führung schlossen sich »positive« Mutanten zusammen und bildeten das Inselmutantenkorps (siehe hierzu die Bände 44 und 45 der Special Edition). Nachdem Gucky wieder in die Milchstraße zurückkehrte, übernahm der Pararealist Sato Ambush das Korps.


Das ursprüngliche Korps bildeten

  • Brad Callos (Teleporter),
  • Hank »Wulf« Lane (Instinktreakteur) und
  • Jeanne Blanc (Telepathin und Telekinetin).

Zu diesen Mutanten stieß 1305 NGZ noch als weiteres Opfer der Gen-Experimente von Shorne Industries die sogenannte Parderin

  • Myrielle Gatto (Metamorpherin und Niveauteleporterin).

Durch Myrielle Gatto wurde das Korps wesentlich verstärkt und entwickelte seine Fähigkeiten weiter.

Vor allem Jeanne Blanc und Myrielle Gatto schienen ihre Paragaben gegenseitig zu verstärken und zu modifizieren. So entwickelte Myrielle Gatto auch in ihrer menschlichen Gestalt Teleportationsfähigkeiten und diese in der Pardergestalt zur Niveauteleportation weiter; bei Jeanne Blanc entwickelten sich ihre telekinetischen Fähigkeiten zur Mikrotelekinese weiter.

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