Band 33

Cartwheel-Zyklus

 

Leticrons Rückkehr

Eine Geißel aus Rhodans Vergangenheit wird befreit

 

Ralf König & Nils Hirseland

 

Was bisher geschah

Wir schreiben Januar des Jahres 1294 NGZ. Knapp ein Jahr ist nach der Expedition der zehn Raumschiffe in die Galaxie M100 vergangen. Fast ein Jahr ist es her, dass unter der Führung des saggittonischen Kanzlers Aurec und des Zellaktivatorträgers Julian Tifflor das Kaiserregime in Dorgon gestürzt wurde und durch eine moderate, friedliche Regierung ersetzt wurde.

In dieser Zeit schnauften die Bewohner der Milchstraße und anderen Galaxien durch. Es herrschte eine friedliche Zeit. Doch diese neigt sich dem Ende, denn der Sohn des Chaos Cau Thon kehrt in die Milchstraße zurück, um einen weiteren Sohn des Chaos zu rekrutieren. Es ist ein alter Feind Perry Rhodans und der Terraner.

Dank Cau Thon kommt es zu

LETICRONS RÜCKKEHR…

Hauptpersonen

Leticron – Der Corun von Paricza kehrt zurück.

Anya Guuze – Sie ist sich ihrer Bestimmung noch lange nicht bewusst.

Siddus – Der Terraner mit pariczanischem Migrationshintergrund wird zum Wirt eines Monsters.

Cau Thon – Der Sohn des Chaos findet einen neuen Verbündeten.

Krizan Bulrich – »The Busch« ärgert Siddus.

Neve Prometh – Eine in sich gekehrte Terra­nerin.

 

 

 

 

Prolog

Einst war ich ein Titan. Welche Ironie, dass ich nun auf Titan mein Dasein fristete. Sie riefen und jubelten mir zu: Einst trug ich den mächtigen Titel Corun von Paricza.

Ich war ein Gott. Ein Auserwählter des Konzils der Sieben. Ich löste Perry Rhodan, Atlan und ihre Brut ab. Doch ich wurde von meinen eigenen Leuten verraten und im Stich gelassen.

Nun friste ich seit fast 1.500 Jahren mein erbärmliches Dasein. Kurz unterbrochen durch eine Befreiung, als mein Bewusstsein in einen Cyborg versetzt worden war. Doch sie hatten mir diese zweite Chance genommen, mich erbarmungslos gejagt und wieder zurück gebracht. Sie hatten Angst vor mir. Furcht, der mächtige Corun von Paricza könnte Unheil über die Milchstraße bringen.

Diese Furcht war berechtigt.

 

1. Siddus

Siddus blieb stehen und starrte nach oben, fixierte das markante Bauwerk, das über dem Residenzpark schwebte und atmete tief durch. Das orchideenförmige Stahlkonstrukt der Solaren Residenz schwebte majestätisch 1.000 Meter über ihm.

Sie war beeindruckend. Trotzdem wirkte sie riesenhaft, als wolle sie ihn erschlagen. Er bekam für eine Sekunde Angst, als er daran dachte, wie viele Tonnen Gewicht die Halterungen und Traktorstrahlen bewältigen mussten, damit nichts passieren würde. Es war eine unglaubliche Menge. Aber die Technik Terras war fähig, diese Meisterleistung zu schaffen.

Der Anschlag Ramihyns, des Dieners der Materie, auf die Hauptwelt der Menschheit war fast fünf Jahre später beinahe vergessen, der Verlust des HQ-Hanse wie eine ferne Erinnerung, die nicht mehr wirklich schmerzte. Jedenfalls dann nicht, wenn man sah, was stattdessen geschaffen wurde.

Wieder einmal hatte der Mensch über fremde Aggressoren gesiegt, diesmal über niemand geringeren als einen direkten Vertreter der Kosmokraten im Universum.

Für einen Augenblick vergaß der junge Mann sogar, dass er ja eigentlich kein Terraner war, dass ihm diese nationalen Gefühle eigentlich gar nicht zustanden. Siddus war auf einer Kolonialwelt der Pariczaner geboren worden und auf Terra aufgewachsen. Auf ihrer Ursprungswelt Paricza gab es keine Angehörigen seines Volkes mehr.

Sie waren seit mehr als einhundert Jahren von ihrer Heimatwelt verbannt. Ein ganzes Volk hatte aufgrund ihrer Verbrechen an die Milchstraße ihre Heimat verlassen und sich außerhalb der Milchstraße ansiedeln müssen. Vornehmlich waren die Überschweren, wie man sie verächtlich nannte, in Fornax anzutreffen. Natürlich gab es auch weiterhin Pariczaner in der Milchstraße. Die Galaktiker hatten damals von einer systematischen Volksverfolgung abgesehen. Kolonisten und Mischlinge wurden von der Verbannung ausgenommen. Und natürlich auch Verbrecher, wie die berüchtigten Galactic Guardians.

Auch wenn er die meiste Zeit seines Lebens auf Terra verbracht hatte, so war er in den Augen der Terraner eben kein solcher, sondern immer nur der argwöhnisch beäugte Überschwere. Sie fragten sich, wieso der hier leben durfte und ob er ein Verbrecher war. Siddus fühlte sich beobachtet und mit Vorurteilen konfrontiert. Dabei war es nicht für jeden sofort ersichtlich, dass er pariczanische Wurzeln besaß. Siddus war mit 1,93 Meter ungewöhnlich groß für einen »Überschweren«. Er war nicht so gedrungen und quadratisch, wie seine Artgenossen. Er hätte durchaus als stark gebauter Terraner oder Kolonist durchgehen können. Doch jenen, denen es auffiel oder welche die Wahrheit kannten, die ließen Siddus spüren, dass er einem Verbrechervolk angehörte.

Leticron, Maylpancer, Topthor und Paylaczer waren die auf Terra bekanntesten Vertreter der Pariczaner. Sie waren allesamt Feinde der Menschen der Erde gewesen und somit war auch jeder Überschwere sogleich ein Feind der Menschen. Dabei wollte Siddus niemand etwas antun. Er wollte nur ein friedliches Leben führen.

Er stieg in einen Antigrav und ließ sich auf eine Aussichtsplattformen der Residenz bringen.

Siddus genoss den einzigen freien Tag, den er in dieser Woche hatte, mit einem ausgiebigen Stadtbummel. Das war einer der großen Vorteile, wenn man in einer solchen Stadt lebte und arbeitete. Es gab aber auch eine Menge Nachteile, wie er als Überschwerer genau wusste. Er schüttelte den ungewollten Gedanken ab und trat auf die Aussichtsterrasse.

Fast schwindelte ihm, als er den Boden in unglaublicher Tiefe nur verschwommen erkannte. Die Aussichtsterrasse wirkte nicht unbedingt so, als sei sie sehr stabil. Die filigranen Absperrungen zeigten nicht die unsichtbaren Energiefelder, die diesen Bereich sehr zuverlässig absicherten. Siddus trat so dicht an das Geländer heran wie möglich.

Er schaute nach unten und beobachtete das rege Treiben in der Hauptstadt der Liga Freier Terraner. Menschen und Außerirdische hasteten durch die Straßen der Stadt, andere wiederum schlenderten einfach nur herum. Das waren wohl die Urlauber, die Erholungssuchenden, die zu jeder Zeit in dieser Stadt unterwegs zu sein schienen. Die Herumrennenden gehörten wohl eher zu den Geschäftsleuten.

Siddus dachte für einen Augenblick an seine Tätigkeit. Er war noch in der Ausbildung und arbeitete für SHORNE INDUSTRY. Seine Tätigkeit als angehender Buchhalter war auch in diesen Zeiten eine sehr angesehene Tätigkeit und sie reichte ihm vollkommen – ja, man konnte sogar sagen, dass sie ihm großen Spaß bereitete.

Sein Problem war auch nicht die Ausbildung als solche. Eher die Schulkameraden, auf die er in der Berufsschule traf. Unglücklicherweise ließen ihn viele spüren, dass er kein Terraner war. In einer Zeit, in der solche Verhaltensweisen eigentlich nicht mehr vorkommen sollten, hatte sich wiederum ein ganz und gar unangebrachtes Misstrauen gegenüber anders Aussehenden und anders Denkenden etabliert.

Die Überschweren waren eben galaxisweit als die »Bösen« bekannt. Diesen Ruf würden sie wohl auch vorerst nicht loswerden. Nein, im Gegenteil, Siddus musste für die Verbrechen seiner Vorfahren büßen. Für die schrecklichen Morde und Massaker vor mehr als 1.500 Jahren während der Besatzungszeit der Laren und für die Untaten der Pariczaner unter der linguidischen Herrschaft vor über einhundert Jahren. Diese Last würde wohl ewig auf seinem Volk liegen.

Siddus jedenfalls fühlte sich trotz seines kompakten Aussehens, das an seiner Herkunft als Überschwerer lag, wie ein Terraner. Er dachte wie ein solcher und war wie ein solcher erzogen worden, nicht unbedingt von seinen Eltern, sondern von den Lehrern, die er in seiner Kindheit gehabt hatte. So war er zu einer fundierten Ausbildung terranischer Prägung gekommen.

Nur wurde er trotz allem nicht so richtig akzeptiert.

Oh, sicher, es gab auch Ausnahmen. Wie zum Beispiel sein einziger und bester Freund, Roppert Nakkhole.

Dieser war waschechter Terraner, in Warschau aufgewachsen. Mit fünf war er dann nach Terrania gekommen.

Für einen kurzen Augenblick zuckte das Bild eines Gesichtes vor seinem geistigen Auge vorbei. Er verdrängte den Gedanken sofort und ging über die Aussichtsterrasse auf einen kleinen Kiosk zu, wo er sich ein Eis bestellte. Eigentlich nicht die richtige Erfrischung für diese Jahreszeit, andererseits machte sich der Überschwere nichts aus der augenblicklich etwas kälteren Witterung.

Er schleckte sein Eis und schaute sich um. Für einen Moment glaubte er, eine Gestalt zu sehen, die er kannte und lieber nicht gesehen hätte, vor allem nicht an seinem freien Tag. Aber das konnte nicht sein, dachte er und schüttelte leicht den Kopf. Das wäre ein arger Zufall gewesen, wenn auch »The Bush«, wie er genannt wurde, sich zur Aussichtsplattform des zukünftigen Wahrzeichens, wenn es denn in ein paar Jahren fertig war, verirrt hätte.

Siddus begab sich in einen Transmitter und ließ sich zum terranischen Museum abstrahlen.

Siddus bewunderte staunend einige der Exponate, die wichtige Bereiche der terranischen Geschichte darstellten. Aufwendige Holoprojektionen ließen ihn einige der Kapitel regelrecht nacherleben. Er konnte mitverfolgen, wie die Druuf aus dem roten Universum in jenes der Terraner vordrangen, auch den Einfall des Schwarmes in die Galaxis erlebte er mit. Glücklicherweise hatte man zumindest darauf verzichtet, die Verdummungsstrahlung zu simulieren. Siddus erschauerte, wenn er sich vorstellte, selbst so verdummt zu sein.

Er wollte sich gerade zu einem weiteren Holo umwenden, welches die Invasion der Laren vorstellte, als er ein gemeines Lachen hörte. Er kannte dieses Lachen, hörte es zu oft in der Berufsschule, die er gegen den Wunsch seiner Eltern besuchte, die es lieber gesehen hätten, wenn er zu Hause geblieben und den Unterricht von zu Hause erlebt hätte.

Zumindest seiner Mutter wäre das viel lieber gewesen. Er zog den Unterricht vor Ort viel lieber vor, um den Umgang mit den Menschen zu erlernen. Das erwies sich als schwieriger, als er dachte. Es gab schon Menschen dort, die er nicht mochte und die auch ihn nicht mochten.

Terraner waren eben nicht wie er.

Er wandte sich langsam um und sah genau, was er befürchtet hatte. Einen Menschen, der ihm zutiefst zuwider war. Also war er doch da, hatte er sich vorhin nicht geirrt. Krizan Bulrich stand in seiner ganzen Hässlichkeit vor ihm.

Diese Ansicht von Siddus war jedoch subjektiv. Einige sehr attraktive Frauen flogen regelrecht auf den sonnigen Jungen. Eine Tatsache, die Siddus unverständlich blieb.

Der Terraner war schlank, fast schon dürr. Seine stark gebräunte Haut ließ Siddus immer an Sonnenbänke denken. Er wirkte etwas ungepflegt mit seinen weißen, herunter hängenden Hosen und den ausgelatschten Turnschuhen, die er immer trug. Aber er wirkte auch gefährlich. Er hatte immer so ein Lauern im Blick, als warte er nur darauf, dass sich einer seiner eingebildeten oder wirklichen Gegner eine Blöße geben würde und er diese wieder einmal schamlos ausnutzen könne.

Neben ihm wenigstens ein kleiner Lichtblick, wie Siddus aus dem Augenwinkel registrierte. Anya Guuze, die Dauerfreundin des verhassten »Bush«, stand neben dem Terraner und musterte den Überschweren mit einem herablassenden Blick, der irgendwie typisch für sie war. Sie war nicht wirklich böse, mehr gleichgültig. Allerdings verstand Siddus trotzdem nicht, wie sie sich mit einem Menschen wie Bulrich einlassen konnte.

Wie auch immer, sie hatte es getan und beide schienen ein Paar bleiben zu wollen, wenn sie auch sonst nicht viel gemeinsam hatten.

Siddus fand das sehr bedauerlich. Die gut aussehende und sehr sinnliche Anya hatte es ihm vom ersten Tag an angetan. Da stand sie. Mit 1,61 Meter zwar klein und zierlich, doch für Siddus ein Engelchen. Ihr langes, goldblondes Haar, ihre tiefen wasserblauen Augen, ihr sinnlicher Munde, das herzliche Lachen, die strahlenden, großen weißen Zähne, die sie dabei entblößte, ihr schlanker, durchtrainierter Körper, die weiblichen Rundungen – all das versetzte Siddus in den Himmel. Anya war für ihn der Inbegriff einer Traumfrau.

Leider hatte Siddus nie wirklich den Mut gehabt, sie anzusprechen und so streifte er sie auch diesmal nur mit einem – wie er hoffte – nicht allzu aufdringlichen Seitenblick. Er hatte ohnehin im Augenblick andere Probleme.

Das Grinsen Krizans war schon fast impertinent zu nennen. Siddus wollte sich schon wieder abwenden und den Rest seines freien Tages genießen, als Krizan ihn ansprach.

»Na, da steht unser trotteliger Siddus ja genau vor dem richtigen Holo. In diese Zeit hättest du gut gepasst, da wäre deine Dusseligkeit wenigstens nicht so aufgefallen, nicht wahr?«

Er lachte meckernd über seinen eigenen dummen Witz und wollte sich schon abwenden. Aber Siddus machte den Fehler, auf diese Bemerkung zu reagieren. Er wehrte sich gegen die Vorwürfe und das hätte er besser nicht getan. Der Terraner hielt sich für sehr überlegen und vor allem für sehr cool. Wenn er eine Bemerkung machte, dann hatte man das unwidersprochen hinzunehmen! Und da erdreistete sich dieser Überschwere, eine Erwiderung zu geben, die Krizan überhaupt nicht gefiel.

Er machte einen drohenden Schritt auf den Überschweren mit den breiten Schultern zu, der ängstlich einen Schritt zurückwich. Er fürchtete den schwachen Terraner!

Auch wenn Siddus in dem Körper eines Giganten steckte, so war seine Seele, die eines absoluten Pazifisten, der keiner Fliege etwas zu leide tun konnte.

Siddus hoffte, dass Krizan ihn in Ruhe lassen würde. Er hatte aber nicht mit der Hinterlist des Terraners gerechnet, der einfach einen Antigrav einsetzte, um seine unterlegenen Kräfte zu steigern.

Er schaffte es, den Überschweren zu Fall zu bringen, so dass der auf dem Holoprojektor landete. Das Bild aus kunstvoll eingesetztem Licht störte das nicht, wohl aber den Überschweren, der sich einige leichte Verbrennungen zuzog, bevor die Sicherheitsautomatik reagierte. Außerdem schlug er sich die Lippe blutig, als er auf dem Projektor aufkam. Er rappelte sich wieder hoch und wischte mit dem Handrücken über seinen Mundwinkel.

Die Blutspur auf seinem Handrücken ließ ihn beinahe ohnmächtig werden, da er kein Blut sehen konnte.

Die Demütigung ärgerte ihn und er erhob sich ruckartig. Anya stellte sich ihm in den Weg, als er einen drohenden Schritt auf den Terraner zu machte. Er blieb stehen, als sei er gegen eine Wand gelaufen.

»Nein, Siddus! Du wirst doch wohl Krizan nichts antun?«, fragte sie mit ihrer hohen, säuselnden Stimme.

Siddus wusste, dass die beiden oft Streit miteinander hatten. Warum sie ihn nicht schon längst verlassen hatte, verstand er nicht. Aber er verstand, dass sie offensichtlich zu ihm hielt und deshalb gab er auf.

»Krizan tut sein dummes Verhalten leid«, meinte die Terranerin und warf ihrem Freund einen strafenden Blick zu.

Krizan nickte schwach. Jedoch meinte er es natürlich nicht ernst. Er verabscheute Siddus, weil dieser anders war als er und es bereitete Bulrich Freude, den tollpatschigen und feigen Überschweren zu demütigen.

Siddus sagte nichts mehr sondern folgte ihnen einfach mit den Blicken, als sie sich die beiden davonmachten. Einer der Wächter des Museums fragte ihn, ob alles in Ordnung sein.

Siddus nickte geistesabwesend mit dem Kopf. Bereits während er Anya gegenüberstand, hatte sich einiges verändert. Wie von Geisterhand gestoppt hatte die Blutung aufgehört, die Wunde sich geschlossen. Auch die Brandwunden verschwanden und waren schon fast verblasst, als der Wächter angekommen war.

So bemerkte der Mann nicht, dass die Automatik fast zu spät reagiert hatte. Er konnte auch nicht ahnen, dass er es nicht nur mit einem Umweltangepassten, sondern auch noch mit einem Mutanten zu tun hatte. Siddus verließ schnell den Raum, bevor er sich erklären musste. Er wollte nicht, dass jeder bemerkte, dass er über besondere Fähigkeiten verfügte.

Der Metabiogruppierer verließ die Residenz und ging nach Hause.

 

2. Schule

Langsam wanderte der junge Überschwere durch die Straßen Terranias. Diesmal allerdings nicht durch die Bezirke des Zentrums, die er sich gestern noch angeschaut hatte, diesmal hatte er sich einen anderen Bereich ausgesucht.

Er wanderte über die Wege, die von seiner Wohnung zur Berufsschule führten. Monggon West lang am Morgen noch unter einer Dunstglocke. Es war etwas kalt an diesem Morgen, Dampf bildete sich, wenn der Überschwere ausatmete.

Aber er genoss die Atmosphäre, die sich über die Stadt legte, wenn es kälter war. Man sah nicht sehr viel von den großen Bauten der Stadt. Die breiten Straßen waren wie Schneisen, die ins Nichts führten, was vor allem auf die Thora Road zutraf, die besonders lang und vor allem geradeaus ging.

Sehnsüchtig warf er einen kurzen Blick auf die andere Straßenseite, wo der Campus der Universität von Terrania zu sehen war. Gerne wäre er dort gewesen. Vielleicht irgendwann einmal.

Siddus unterquerte die Gleiterstrassen und hauchte vor sich in den Morgen. Er stellte sich vor, er nehme gerade einen tiefen Zug aus einer Zigarette, ein Laster, das er zum Glück nicht hatte. Nicht dass die meisten Zigaretten schädlich wären, aber wer konnte schon wirklichen Genuss daran haben, Rauch in seine Lungen zu saugen und wieder auszublasen? Früher waren die Menschen wohl noch verrückter gewesen hatten gesundheitsschädigendes Nikotin dabei konsumiert. Der Überschwere lächelte. So machte es viel mehr Spaß.

Siddus lebte in einem Tower, der wie eine kleine Stadt war. Normalerweise musste man diese kleine Stadt nicht verlassen. Geschäfte, Schule und natürlich auch eine Menge Arbeitsplätze waren schon damit verbunden.

Aber das traf auf ihn im Augenblick nicht zu. Er hatte sich für eine Arbeit bei SHORNE INDUSTRY entschieden und wollte auch in den nächsten Wochen umziehen, in einen Wohntower, der direkt neben der Firma gelegen war.

Siddus lebte seit dem Jahr 1278 auf Terra, als seine Eltern von einer pariczanischen Kolonie ausgewandert waren. Er hätte sich sicher schneller in dieser merkwürdigen Welt eingelebt, wenn ihm Kontakte zur Außenwelt wesentlich früher erlaubt worden wären.

Seine Mutter sah dies jedoch gänzlich anders. Sie war der Meinung, dass sie ihren Sohn hatte beschützen müssen und ihn deshalb von der terranischen Außenwelt ferngehalten. Siddus war sich nicht sicher, ob seine Mutter damit richtig gehandelt hatte.

Siddus' Vater war der Besitzer eines Lebensmittelgeschäftes. Der Laden lief mehr schlecht als recht, aber irgendwie hatte es sein Vater nie übers Herz gebracht, dieses Geschäft zugunsten eines Geschäftes, bei dem man weniger von seiner Abstammung merken würde, aufzugeben.

Anstatt seine Aktivitäten in einen Bereich zu verlegen, wo man einem Menschen wie ihm, der allein schon durch seinen Körperbau als Überschwerer zu erkennen war, nicht sehen konnte, kam für den Pariczaner nicht in Frage. Lieber wollte er sich weiter demütigen lassen. Insofern war er ein Beispiel für seinen Sohn gewesen, der ebenfalls bereit war, diesen persönlichen Kampf auszufechten.

Seine Mutter hingegen wollte das nicht, wollte ihrem Sohn die Demütigungen ersparen. Letztendlich war sie jedoch damit gescheitert. Ihn abzuschirmen hatte ihm eine Zeitlang sicher genutzt, aber spätestens als er damit angefangen hatte, an die Außenwelt treten zu wollen, auch um seinen Lebensunterhalt in einem Beruf zu verdienen, hatte sich diese Entscheidung als sehr unglücklich erwiesen.

Das Zusammenleben mit diesen Menschen erwies sich schon als schwierig genug, auch ohne dass man noch mit einer Umwelt zu kämpfen hatte, die auf kleinere Menschen zugeschnitten war.

Wenigstens im Bereich seines Arbeitsplatzes bei den SHORNE INDUSTRY hatte man dafür gesorgt, dass auch ein Überschwerer es bequem hatte. Einen Arbeitsplatz als Buchhalter mittels Formenergie für einen Überschweren einzurichten, war auch nicht wirklich ein Problem.

Siddus gefiel seine Arbeit. Er genoss das Gefühl, bald Verantwortung übernehmen zu dürfen, und das für einen so wichtigen Bereich, wie den als Buchhalter innerhalb eines so großen Unternehmens.

Glücklicherweise war nicht jeder Terraner ihm gegenüber negativ eingestellt, was sicher auch damit zu tun hatte, dass seine Kollegen bei Shorne schon etwas älter waren und ihr Verhalten weitaus besser unter Kontrolle hatten.

Der wirklich unangenehme Teil war die Ausbildung in der Berufsschule, wo er es immer wieder mit den gleichen unangenehmen Menschen zu tun hatte. Er schüttelte diesen Gedanken ab. Immerhin dauerte es nicht mehr lange, und er würde wieder genau dort sein, wo diese Menschen bereits auf ihn lauerten.

Zögerlichen Schrittes näherte er sich dem Schulgebäude, in dem die Demütigungen dieses Tages bereits auf ihn warten würden. Er zwang sich zu einer fatalistischeren Einstellung, was ihm aber doch sehr schwer fiel.

Bedächtig betrat er das Gebäude. In seinem Klassenraum verzog er sich so schnell wie möglich hinter sein Terminal, das ihn mit dem Zentralrechner der Schule verband.

Er nickte lediglich seinem Freund Roppert kurz zu und vertiefte sich dann in die ersten Aufgaben dieses Tages, die von dem Lehrer über das interne Netzwerk der Schule an die Schüler gestellt wurden. Die anderen ignorierte er, so gut es ging. In der Zeit, in der sie sich mit dem Lernen beschäftigten, würde er seine Ruhe haben. Nur wenn sie dann in die erste Pause kamen, würde es sicher wieder losgehen.

Natürlich hätte er das alles auch von zu Hause aus erledigen können. Lernen und Unterricht über Netzwerke, wo der einzelne gar nicht mehr wirklich merkte, dass er eigentlich allein war, waren heute gang und gäbe.

Aber Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass die Menschen, wenn sie keinen echten sozialen Umgang mehr pflegten, verkümmerten.

Daher hatten sich viele Eltern auf Empfehlung der Regierung entscheiden, die Kinder wieder in die Schule zu schicken, wie es früher üblich gewesen war.

Natur zu erleben, einen Schulweg zu haben, Freunde zu haben und das allgegenwärtige Netzwerk nur zu bestimmten Zeiten zu nutzen, war seither wieder normal und die Menschen insgesamt ausgeglichener geworden. Andererseits hatten sie sich seither auch wieder mehr damit beschäftigt, Streitigkeiten mit Nachbarn auszutragen. Aber auch diese Streitigkeiten waren psychologisch gesehen nicht ganz verkehrt. Diskussionen und kleinere Auseinandersetzungen schafften es, die Atmosphäre zu reinigen und auf lange Sicht die Menschen ausgeglichener werden zu lassen.

Das hatte auch wunderbar geklappt. Aber es gab durchaus auch Ausnahmen. Streitigkeiten mit außerirdischen Nachbarn jedenfalls waren nicht besonders komisch – vor allem, wenn die Nachbarn Arkoniden hießen.

Hier waren zwar eher die Arkoniden das Problem, aber auch die Menschen hielten mit ihrer schlechter werdenden Einstellung gegenüber arkonidisch-stämmigen Mitbürgern nicht hinterm Berg. Eine Tatsache, die dem Pariczaner natürlich nicht sonderlich gefiel. Und Mitschüler wie Krizan Bulrich waren ein deutliches Zeichen für diese Tatsache. Obwohl die Boshaftigkeit bei ihm eher Methode hatte.

»Nun, Siddus, sind wir heute Morgen noch nicht ganz wach?« Erschreckt blickte der Pariczaner auf den Bildschirm vor ihm, wo das Bild des Lehrers, Kirk Fundl, erschien.

Der Lehrer der Klasse hatte ein überhebliches Grinsen im Gesicht, so als wolle er sagen, das hätte man sich ja denken können.

Fundl war arrogant bis zur Unerträglichkeit und der junge Pariczaner fürchtete seine sarkastischen Bemerkungen. Natürlich hätte er sich mit etwas Aufmerksamkeit diesen Rüffel ersparen können. Aber andererseits hätte der Lehrer sicher einen anderen Grund gefunden. So hatte er es wenigstens für heute hinter sich.

Fundl verzichtete heute sogar darauf, die Klasse selbst zu betreten. Stattdessen saß er Zuhause und kommandierte die Schüler über die Syntronik.

Komischerweise lachte keiner über die Unachtsamkeit des Pariczaners, ein deutliches Zeichen dafür, dass auch die anderen Angst vor dem zynischen Ex-Polizisten haben mussten.

Zwei der Mädchen konnte der Pauker besonders schlecht leiden. Sonya Morrat und Sylke Stabum gehörten zu seinen erklärten Feinden. Daher grinsten die beiden besonders impertinent.

Sonya Morrat war schlank, braungebrannt, hatte braune Augen und Haare. Jedoch verunstaltete eine hässliche Hakennase ihr Gesicht. Ihr Charakter war jedoch ebenso unvollkommen wie ihr Riechorgan. Sie war durchtrieben, geradezu schon süchtig nach sexuellen Erlebnissen und überaus impertinent.

Sylke Stabum wirkte vom Erscheinungsbild her freundlich, doch dieses Bild war trügerisch. Die attraktive Frau mit den grünblonden Haaren war sehr schnell mit dem Mund, sagte was ihr einfiel und trat damit nicht nur einmal ins Fettnäpfchen.

Ihr unangenehmes Auftreten wurde durch den ständigen Konsum von Drogen noch verschlimmert. Ähnlich wie Sonya Morrat war auch Sylkes liebstes Hobby der sexuelle Kontakt mit gleich- oder andersgeschlechtlichen Partnern.

Siddus senkte für einen Moment den Blick, dann blickte er Fundl fest in die Augen.

»Verzeihung, ich war kurz abgelenkt«, äußerte er fast schon selbstbewusst, wäre da nicht dieser unsichere Tonfall in seiner Stimme gewesen.

Er wusste, dass ihm diese Entschuldigung nicht helfen würde, aber das machte nichts, denn er konnte sowieso nichts daran ändern.

Fundl blickte ihm in die Augen und winkte ab. Wortlos blendete er sich aus und schickte die nächste Aufgabe auf den Schirm der ganzen Klasse.

Es war eine besonders Schwere und Siddus sah sich einigen unfreundlichen Blicken ausgesetzt, da alle wussten, dass sie ihm diese Strafe zu verdanken hatten.

Siddus erwiderte alle Blicke, was ihm sehr schwer fiel und konzentrierte sich dann wieder voll auf die Aufgabe.

Sylke hatte daran allerdings weniger Freude, sie musste nämlich nun darunter leiden, dass sie zu den erklärten Hassfiguren des Lehrers gehörte. Sie musste die Lösung der Aufgabe vorführen.

Eine Aufgabe, die sie nicht lösen konnte. Sie stotterte vor der Klasse herum und blamierte sich bis auf die Knochen.

So und ähnlich ging es die ganze Zeit weiter. Als die Pause endlich kam, strömten die Schüler der Klasse erschöpft und leicht wütend ins Freie. Wie auf ein geheimes Kommando vereinigten sich gewisse Gruppen und bildeten Inseln im sozialen Ozean an dieser Berufsschule, die eine viertel Million Schüler umfasste.

Roppert Nakkhole war der einzige, der sich zu Siddus gesellte. Der hochgewachsene Europäer zündete sich eine Zigarette an und zog genüsslich an dem qualmenden Stäbchen.

Er bot dem Pariczaner höflich auch eine an, doch der lehnte ab und erklärte, er würde lieber nur so tun, als ob er eine Zigarette rauchen würde.

Der etwas einfältige Roppert Nakkhole verstand das nicht so ganz, doch er fand sich damit ab.

Gemeinsam redeten sie eine Zeitlang, während sie auf die Aussichtsplattform fuhren. Sie merkten nicht, dass weitere Schüler aus ihrer Klasse unter ihnen im Antigravschacht waren. Natürlich unterhielten sie sich auch über die Vorfälle des Tages.

»Sylke hat sich heute ganz schön an der Tafel blamiert«, meinte Roppert gerade. Siddus wehrte ab.

»Ihr Pech. Ich mag sie nicht. Ich verstehe auch nicht, warum Anya sich mit ihr abgibt oder mit Krizan.«

»Sylke ist ihre beste Freundin und Krizan ihr Freund«, meinte Roppert.

»Ich weiß.«

Siddus lehnte sich entspannt gegen die Umrandung des Daches und blickte in Richtung des Fahrstuhls.

»Da kommen sie auch schon.«

Siddus versuchte, die Herankommenden zu ignorieren.

Er betrachtete die Dächer der Stadt und warf wieder einen Blick in Richtung der Universität von Terrania. Es war wesentlich wärmer geworden. Die Sonne schickte erste Strahlen durch die Wolken. Der Wetterbericht hatte für mittags Sonnenschein angesagt. Der Nebel hatte sich verzogen, die großen Gebäude der Universität zeichneten sich deutlich am Horizont ab.

Er zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Auch als sich Sylke Stabum an seine linke Schulter lehnte, bewegte er sich nicht, sondern genoss beharrlich die Aussicht. Obwohl es für ihn sehr ungewöhnlich war, dass eine Frau ihn berührte. In gewisser Weise erregte ihn das.

»Da wärst du wohl auch gerne, was?« Siddus hörte mehr, als er sah, dass sich das Gesicht des jungen Mannes zu einer grinsenden Grimasse verzogen hatte. Er warf einen Blick zur Seite und sah gerade noch, wie Roppert von Sonya zur Seite gestoßen wurde. Der Freund setzte sich in ein Gebinde von Blumen, die sich aber sofort wieder aufrichteten, als Nakkhole sich erhob.

»Was soll den das, Sonya?«, wollte Roppert wütend wissen.

Die Brünette drückte Nakkhole einen feuchten Schmatzer auf die Wange und entschuldigte sich grinsend.

Sie verstand es nicht ebenso wenig wie die anderen aus ihrer Klasse, dass sich Roppert Nakkhole, den alle sehr mochten, mit diesem Verlierer Siddus abgab.

Siddus konzentrierte sich wieder auf die Aussage von Krizan Bulrich.

»Da wirst du aber nie hinkommen. Weil, diese Uni ist nicht für Freaks reserviert.«

Offensichtlich wollte der Terraner bewusst verletzen. Normalerweise ging er nicht so weit.

Der Gedemütigte blieb gelassen. Wenn er eines gelernt hatte, dann in einer solchen Situation nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. Als Überschwerer war er mehr gewohnt, als die lächerlichen 1 g, die Terras Schwerkraft darstellten. Da musste man als Überschwerer schon seine Kräfte unter Kontrolle halten.

Krizan grinste über seinen eigenen dummen Witz und klopfte Sylke auf die Schulter.

Siddus beschloss, sich verbal zu wehren.

»Stimmt. Deshalb werden sie dich da auch nicht reinlassen.«

Krizan brauchte einige Sekunden, bis er wirklich verstanden hatte, was Siddus gesagt hatte. Er drehte sich langsam wieder zu dem Überschweren.

»Heute ist dein Glückstag, Dicker.« Der Pariczaner überhörte die neuerliche Beleidigung. »Ich bin heute gut gelaunt, daher sehe ich davon ab, dich zu bestrafen. Aber eine Lektion wirst du erhalten.«

Siddus wusste, dass der Terraner über einen Mikrogravitator verfügte. Er wusste auch, was kommen würde. Den vom Gravitator verstärkten Schlag in sein Gesicht nahm er hin. Blut quoll aus seiner Nase, der Überschwere konnte die Tränen nicht zurückhalten, sosehr er es auch versuchte.

Er blickte auf den Terraner, voller Verachtung, und wischte mit dem Handrücken über seine Nase.

Er versuchte das Blut zu ignorieren. Unbewusst übernahm sein Geist diese kleine Verletzung. Kräfte aus dem PSI-Sektor seines Gehirns griffen in die Molekülstruktur seines Körpers und gruppierten einige Moleküle um, so dass sich die zugefügte Wunde schnell schloss.

Krizan ignorierte das. Er hatte das schon öfter gesehen. Das war vermutlich der Grund, warum er immer wieder zuschlug. Er wusste, dass der Pariczaner damit nicht wirklich ein Problem hatte.

»Vergiss das nicht«, belehrte Krizan ihn. »Wenn du das nächste Mal herum spinnen willst, dann kannst du dich auf richtigen Ärger gefasst machen.«

»Und nicht nur mit ihm«, meckerte Sylke und lachte danach. Sie streifte ihn mit einem bösen Blick, entschied sich aber dagegen, einen Handabdruck in seinem Gesicht zu hinterlassen.

Sie machte sich einen Spaß aus der ganzen Sache und hatte nicht wirklich etwas gegen Siddus, doch es war einfach nur lustig für sie, den Überschweren zu ärgern.

Nakkhole streifte sie mit einem lüsternen Seitenblick. Niemand, der männlich aussah, war vor ihren gierigen Griffeln sicher.

Nakkhole zog fröstelnd die Schultern hoch und wich noch einen Schritt zurück. Sie zog verächtlich die Nase hoch und folgte allen anderen, die sich in den Aufzug begaben und in irgendeiner Ecke halblegale Drogen konsumieren würden.

Erstaunlicherweise gab es auch in diesen Zeiten noch Ecken, die trotz aller Überwachung für solche Aktivitäten genutzt werden konnten. Aber vermutlich war es einfach nur so, dass sich jede Generation an die Rahmenbedingungen optimal anpasste. Und wenn irgendjemand illegale Dinge tun würde, dann würde er auch in Zeiten, in denen man Gesetzesübertretungen leicht feststellen konnte, einen Weg finden, sich nicht an die Gesetze zu halten.

Verwundert schüttelte Nakkhole den Kopf.

»Dass du dir das gefallen lässt...« Er blickte der Gruppe nach, drehte sich dann zu seinem Freund um.

Ein harter Blick traf ihn, dann drehte sich der Überschwere um und blickte wieder auf die Dächer der Universität Terranias.

Nakkhole trat neben ihn und blickte in dieselbe Richtung. Dann drehte er den Kopf und warf ihm einen Seitenblick zu.

Er sah die Tränen im Winkel des überschweren Auges und verstand, dass der Freund das alles bei weitem nicht so locker wegsteckte, wie es den Augenschein hatte.

 

3. Shorne Industry

Siddus betrat sein Büro. Natürlich besaß er kein einzelnes Zimmer, sondern musste sich den Raum mit fünf weiteren Buchhaltern teilen.

Als Auszubildender hatte er sowieso einen geringeren Anspruch auf einen modernen Arbeitsplatz als ein langjähriger Mitarbeiter.

Die Philosophie von SHORNE INDUSTRY war: »sparen bis man nichts mehr sparen kann« – Das wurde auch von den Mitarbeitern verlangt.

So waren Ihre Arbeitsplätze oft ungenügend ausgestattet. Kritik war jedoch tabu. Niemand traute sich wirklich, etwas gegen die Politik von Michael Shorne zu sagen.

Die 10 Regeln der guten Arbeitnehmer hingen in jedem Büro:

Ehre deinen Chef und tue alles für ihn!

Sei gehorsam gegenüber deinem Vorgesetzten!

Du bist SHORNE INDUSTRY, diene deiner Firma, als sei es dein Vaterland!

Essen und Trinken kannst du auch zuhause, deshalb darfst du es hier nicht!

Hinterlasse deinen Arbeitsplatz stets sauber, dann sparen wir die Kosten für eine Putze!

Widerspruch ist zwecklos, Kreativität sinnlos, Eigeninitiative überflüssig!

Mache deinen Job, mache ihn gut, dann wird alles gut!

Dein Erscheinungsbild und Auftreten ist wichtig. Krawatte und das Siezen sind notwendig!

Überstunden sind erlaubt und gern gesehen, werden jedoch nicht vergütet! Überstunden sind notwendig, wenn die Arbeit nicht erledigt wird, weil du zu langsam gearbeitet hast. Diese werden auch nicht vergütet!

Komme früh zur Arbeit und gehe spät wieder weg!

Diese goldenen Regeln musste jeder Mitarbeiter von SHORNE INDUSTRY befolgen. Siddus hatte auch keine Probleme damit. Er war in der Tat anspruchslos und froh, wenn er Arbeit hatte und ihm jemand sagte, wo der Weg war.

Siddus trug ebenfalls eine Krawatte und einen terranischen Maßanzug. Dieser war sehr teuer gewesen, doch es wurde von einer galaxisbekannten Firma, wie es SHORNE INDUSTRY zweifelsohne war, verlangt.

»Hallo großer Träumer«, flüsterte eine weibliche Stimme.

Siddus erschrak, drehte sich um und blickte in die blauen Augen von Myrielle Gatto. Sie war eine Kollegin, knapp zehn Jahre älter als er selbst und gehörte zu den wenigen Menschen, die mit Siddus normal umgingen. Das lag wohl daran, dass Myrielle Gatto ebenfalls eine sehr schüchterne und sensible Person war.

»Hallo Miss Gatto«, grüßte Siddus sie förmlich.

Sie winkte mit zitternder Hand ab.

»Ach, du weißt doch, du darfst mich Myrielle nennen.«

»Aber das ist doch untersagt unter Kollegen der SIG«, sagte Siddus firmengetreu.

Gatto seufzte und richtete ihr hochgestecktes, blondes Haar. Sie blickte auf ihre Tabletronik und tippte auf dem Display herum. Siddus fühlte sich unwohl. Hatte er die Terranerin etwa verärgert? Was war, wenn sie ihm böse war? Würde sie nie wieder mit ihm reden? Ihm wurde übel. Der Magen drückte. Vielleicht half es, auf die Toilette zu gehen.

»Guten Morgen, Frau Gatto, Guten Morgen, Herr Siddus«, dröhnte eine tiefe Stimme ins Büro.

»Morgen, Chef, Sir«, erwiderte Myrielle. Sie stand kurz stramm und salutierte. Der Chef quittierte das mit einem lobenden Lächeln.

Es war der Terraner William Romm. Er trug eine rote Krawatte, hatte braune Augen und Haare, einen Vollbart, ein fleischiges Gesicht und einen Bierbauch. Er selbst war Gruppenleiter der Buchhaltung.

Ein sehr launischer Mann. Mal war er sehr freundlich, im nächsten Moment herrisch, fordernd und unausstehlich. Romm legte sehr viel Wert auf Disziplin und Ordnung. Das rührte aus seiner Zeit beim Militär her.

Immer wieder sprach er davon, wie schön es beim Militär gewesen war. Dennoch übte Romm seit mehr als drei Jahrzehnten nun seinen Job in der freien Wirtschaft aus.

So ein Leben wollte Siddus auch führen. Fernab von jeglichen utopischen Abenteuern, wie es den Offizieren und Wissenschaftlern im Dienste der Liga-Flotte geboten wurde.

Für ihn war dieses ganze kosmische Treiben eigentlich reiner Schwachsinn. Warum konnten die Menschen nicht einfach nur wie ganz normale Wesen arbeiten? Dafür sorgen, dass es eine blühende Wirtschaft gab und sich selbst zum Wohlstand zu verhelfen?

Nein, sie mussten unbedingt kosmische Feuerwehr spielen und sich in jeden Krisenherd mit großem Eifer stürzen.

Der Überschwere verstand das alles nicht. Er wollte nur in die spannende Materie der Buchhaltung eintauchen, von morgens bis abends arbeiten und vielleicht irgendwann einmal eine Frau haben, die ihn abends bekochen und mit ihm schmusen würde, während sie eine Trivid-Show sahen.

Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild von Anya Guuze. So eine Frau wollte er haben. Der Umweltangepaßte dachte an den wohlgeformten Körper der blonden Terranerin. Es verzehrte ihn fast danach, ihre Brüste zu berühren.

Siddus stöhnte laut auf.

»Sind Sie krank?«, erkundigte sich Wilhelm Romm.

»Was?«

Siddus verstand erst gar nicht, was passiert war. Er hatte einen Tagtraum gehabt und laut gestöhnt. Röte stieg in sein Gesicht.

»Oh«, machte er nur und rannte voller Scham aus dem Büro. Dabei hätte er beinahe einen Mann umgerannt.

Der Terraner konnte noch rechtzeitig ausweichen. Er trug ein schwarzes Hemd, eine rote Krawatte und hatte schwarze gegelte Haare. Sein Gesicht wirkte streng. Der Mann war im mittleren Alter und hatte einen sehr guten Körperbau.

Siddus kannte ihn natürlich.

Sein Name war Michael Shorne! Der Chef der SIG. Der Mann, der seit den 80ziger Jahren unumschränkter Herrscher des Unternehmens war, nachdem er es von seinem Vater geerbt hatte. Shorne war ein Galactic-Player, ein Tycoon, der Geschäfte in der gesamten Milchstraße machte.

»Was soll das, Mann?«, rief er wütend.

Siddus erkannte seinen Chef und wusste nicht, was er sagen sollte. Er stotterte und stammelte ein zwei Silben, dann blieb er stumm und blickte verlegen auf den Boden.

Shorne schüttelte nur den Kopf und packte den Arm des Überschweren.

»Rücksichtslosigkeit ist eine sehr gute Tugend. Doch lege dich nicht mit jemandem an, der dir überlegen ist«, sprach er provozierend.

Siddus nickte hastig.

»Entschuldigen Sie, Sir. Unser Großer ist manchmal ein Tollpatsch, aber ein hervorragender und loyaler Angestellter«, verteidigte Myrielle Gatto ihn. Michael Shorne betrachtete die blonde Schönheit wohlwollend. Dann sah er zu dem Überschweren hinauf.

Shorne musterte das Namensschild des Überschweren. Der Name sagte ihm nichts. Deshalb rief er Romm zu sich. Der dicke Terraner eilte unterwürfig zu seinem Vorgesetzten.

»Oh mein Gott, armer Mister Shorne. Wir werden dieses Subjekt sofort rauswerfen lassen«, versuchte der Gruppenleiter zu beschwichtigen.

»Wieso? Das war ein Unfall«, wandte Gatto ein.

»Das geht Sie nichts an, Frau Gatto. Marsch an die Arbeit, zack zack«, kommandierte Romm. Zuerst wollte die Terranerin wohl protestieren, dann grinste sie verlegen, warf Siddus einen traurigen Blick zu und machte sich auf den Weg in ihr Büro.

»Geiler Arsch«, kommentierte Shorne, als sie etwas weiter weg war.

Romm lachte nur unterwürfig.

»Macht er seine Arbeit gut?«, wollte Shorne wissen.

Siddus Herz schlug höher. Er bekam es mit der Angst zu tun. Der mächtige Überschwere fürchtete um seinen Ausbildungsplatz.

Romm antwortete nicht. Stattdessen fing er an, Siddus zu beschimpfen.

»Macht er seinen Job gut?«, fragte Shorne nun etwas deutlicher.

»Was?«

»Sind Sie taub, Romm? Macht er seine Arbeit gut, will ich wissen?«, fauchte der Billiardär seinen Angestellten an.

»Ja! Ja... ja...«

»Gut, dann sehe ich keinen Grund ihn rauszuwerfen. Für mich ist das wichtigste, seine Arbeit zu erledigen und die 10 Regeln zu befolgen. Du sollst deinen Vorgesetzten nicht anrempeln steht nicht drin«, erklärte er.

Siddus atmete erleichtert auf. Er wollte Shorne danken, doch der Konzernleiter verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Siddus blickte ihm noch eine Weile hinterher und ignorierte die bösen Blicke des Gruppenleiters William Romm, der sich persönlich gedemütigt fühlte. Doch Siddus war das egal.

Michael Shorne hatte ihm verziehen und das war für ihn so, als hätte Gott selbst zu ihm gesprochen.

 

4. Siddus Demütigung

Siddus hatte jetzt seine eigene Wohnung bezogen. Sie war nicht sonderlich groß, doch für seine Verhältnisse reichte es aus.

Sie war in einem Wohntower direkt neben SHORNE INDUSTRY und viele Mitarbeiter lebten in diesem Wohnzentrum. Auch seine Kollegin Myrielle Gatto. Doch beide unternahmen nie etwas gemeinsam. Dazu war Siddus viel zu schüchtern. Myrielle hatte ihn zum Essen eingeladen, doch Siddus hatte Angst. Und wenn er Angst hatte, dann machte sich sein Darm schnell bemerkbar, nachdem er etwas gegessen hatte. Und das wollte er nun wirklich nicht, wenn er bei jemandem zu Gast war.

Der Umweltangepaßte richtete seine Zimmer gerade ein. Viele Vorlieben und Hobbys besaß er nicht, dies spiegelte sich auch in der Einrichtung wieder.

Siddus besaß eigentlich kein Privatleben. Für ihn zählte nur die Arbeit, weil es das einzige war, was er wirklich gut konnte.

Was hätte er alles als Mutant und mit seinem Körperbau anfangen können? Doch an solche Dinge wollte Siddus nicht denken. Der Überschwere wollte nur ein einfacher Buchhalter sein, nicht mehr und nicht weniger!

Siddus entschloss sich, etwas zu schlafen. In dem Augenblick summte sein Interkom auf. Roppert Nakkhole war auf der anderen Seite und fragte seinen Kumpel, ob er nicht Lust hätte, in die Disco ARAKO mitzukommen.

Siddus wusste nicht so recht und sträubte sich dagegen, doch Nakkhole konnte ihn davon überzeugen.

So trafen sie sich abends vor der Disco.

»Hey Siddus!«, begrüßte der Terraner seinen Freund höflich.

»Hallo! Ich weiß gar nicht, was ich hier eigentlich soll«, erklärte Siddus verdrossen und seufzte laut. Er hatte sogar etwas Angst. Sehr viele Wesen tummelten sich in der bekanntesten Diskothek in diesem Stadtteil Terranias.

Siddus hoffte, sie würden ihm nichts tun. Er kam gar nicht auf die Idee, dass diese Wesen selbst Angst vor Siddus hatten. Er war mächtig gebaut und flößte ungewollt jedem, der nicht seine sensible Seite kannte, Angst ein.

»Lass uns rein gehen«, forderte Roppert ihn auf.

Sie passierten den Eingang. Dort standen einige grimmige Türwächter. Einer von ihnen, ein zwei Meter großer Ertruser, trat auf sie zu. Auf seiner Brusttasche konnte Siddus den Namen des Sicherheitsmannes lesen. Er hieß Darvos.

»Ausweise«, brummte Darvos unfreundlich.

Siddus und Roppert holten ihre ID-Karten heraus, die durch einen Syntron auf ihre Richtigkeit überprüft wurden.

»Ihr könnt passieren«, sagte Darvos unwirsch und machte Platz. Er schien keinerlei Respekt vor Siddus zu haben, was den Überschweren aber auch nicht weiter verwunderte.

Sie gingen eine Treppe hoch und der Überschwere war über das Innenleben der Disko schockiert. Halbnackte Frauen tanzten in Käfigen zu wummernder Musik. Aber auch die Besucher waren nicht besser. Sie hüpften herum, als seien sie krank. Viele von den Mädchen trugen kaum mehr als die Tänzerinnen.

So etwas kannte Siddus nicht. Er war noch nie in solch einem öffentlichen Etablissement gewesen.

Sie beschlossen, an einen Tresen zu gehen. Dort standen zwei Terranerinnen, die ebenfalls sehr knapp bekleidet waren. Siddus spürte beim Anblick der jungen Brünetten mit dem freundlichen Lächeln das erste Mal ein animalisches Verlangen nach einer Frau. Er versuchte, es zu unterdrücken. Doch die Frau war eine Wucht. Sie hatte langes, brünettes Haar, einen sinnlichen Mund mit großen Zähnen und große, braune Augen. Sie war schlank, ihr Bauch war frei gelegt. Auf ihrem Top prangerte der Name der Schönheit: Kathy Scolar. Sie ging lächelnd auf ihn zu und bewegte sich dabei zum Rhythmus der Musik.

»Was kann ich für euch tun?« wollte die hübsche Tresen Bedienung wissen.

Neben ihr stand ihre Schwester Bienya, dem Namenschild zu entnehmen. Sie ähnelten sich sehr, doch man sah deutlich, dass Bienya die ältere von beiden war. Ihr Gesicht wirkte schon etwas verbraucht.

Siddus schrieb dies dem schlechten Lebenswandel zu.

»Ein Wasser«, sagte Siddus halblaut.

Kathy verstand nicht.

»Was möchtest du?«, fragte sie noch einmal und sah ihn etwas verständnislos an.

Siddus erschrak. In Kathys Gegenwart brachte er auf einmal kein Wort mehr heraus. Sie blickte ihn fragend an. Siddus Herz schlug höher und auf einmal wurde ihm schlecht. Er sah verlegen auf den Boden, da spürte er plötzlich ihre Hand auf seiner Schulter.

»Hey, Großer! Was möchtest du nun trinken?«, hakte sie noch einmal nach.

Siddus blickte sie entsetzt an. Was sollte er nun sagen? Ihm war schrecklich unwohl. Er blickte Stellen an ihrem Körper an und schämte sich dafür. Plötzlich wurde ihm noch schlechter und er fing an zu brechen.

Kathy sprang sofort zwei Schritte zurück und sah angewidert zu, wie der Überschwere seinen Mageninhalt über den Tresen verteilte.

»Tut mir leid«, flüsterte Siddus traurig.

Bienya beschimpfte ihn und rief nach einem gewissen Reiko. Reiko gehörte zu dem Chefpersonal. Ein gedrungener bärtiger Terraner, der stets in einem offenen Holzfällerhemd durch die Gegend lief.

»Du blöder Penner. Mach, dass du hier verschwindest!«, schnauzte der unfreundliche Mann ihn an.

Siddus brach ihn Tränen aus. Mit verweinten Augen blickte er Kathy, Bienya und Reiko an, dann stand er auf und lief aus dem Saal. Roppert rief ihm noch hinterher, doch der Überschwere hörte nicht.

Er hatte sich bis auf die Knochen blamiert, nur weil so ein seltsames Gefühl in ihm aufgestiegen war. Er konnte es sich nicht erklären, warum er völlig neben sich stand, als die Tresen Bedienung ihn ansprach.

Siddus rannte den ganzen Weg nach Hause. Das waren immerhin 13 Kilometer gewesen. Doch dem Überschweren machte das wenig aus.

Heulend warf er sich aufs Bett und weinte wie ein Baby. Als er sich endlich in den Schlaf geweint hatte, träumte er davon, ein Held zu sein. Jeder jubelte ihm zu. Er war stark und mächtig. Alle Frauen lagen ihm zu Füßen. Besonders Anya Guuze. Siddus wusste nicht, dass es nur ein Traum war.

Doch Träume können irgendwann auch wahr werden, oder?

*

Sie lag sanft in seinen Armen und schlief tief und fest. Ihr Atem war gleichmäßig und ihr hübsches Köpfchen kuschelte sich an seine Schultern. Die langen blonden Haare fühlten sich wie edelste Seide an.

Er glaubte, er wäre im siebten Himmel. Es war ein unbeschreibliches Gefühl für ihn, als sich ihr nackter Körper an den seinen anschmiegte. Sein Herz schlug höher und er wagte es kaum zu atmen. Sie sollte seine Erregung nicht bemerken und weiterschlafen.

Plötzlich läutete das Chronometer und ließ Siddus aus seinen Träumen hochschrecken. Er brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, wo er sich befand.

Zögerlich blickte er auf die Seite. Dort lag keine Frau, sondern nur sein Plüschgucky. Er hatte es nur geträumt – wie jede Nacht. Nacht für Nacht träumte er von Anya Guuze. Von ihrem zarten Gesicht, ihrem zierlichen Körperbau, von ihrem sympathischen Wesen.

Er liebte sie, wusste aber auch, dass er niemals eine Chance hatte. Sie war fest mit Krizan Bulrich zusammen. Und obwohl dieser sie sehr oft demütigte und mit einer unbeschreiblichen Arroganz behandelte, war sie ihm treu.

Siddus konnte ihm nicht das Wasser reichen. Er war groß und hässlich. Die Überschweren wirkten oft abschreckend auf die Terraner. Hinzu kam die Fähigkeit der Metagruppierung, die ihn zusätzlich zu einem »Monster« machte.

Anya würde bestimmt nicht mit einem klobigen, kalkhäutigen und runzeligen Überschweren eine körperliche Beziehung eingehen. Auch wenn sie sich beide gut verstanden, so wusste Siddus, dass er sich keine Illusionen zu machen brauchte.

Tränen flossen ihm vom Gesicht. Es bot beinahe einen ironischen Anblick, als der mächtig wirkende Überschwere, wie ein kleines Kind auf dem Bett lauthals weinte.

Doch der äußerliche Schein trog. Siddus war ein hochsensibles Wesen. Er wollte ein normales Leben als Buchhalter bei SHORNE INDUSTRY und Familienvater führen. Mehr nicht. Ihm dürstete es nicht nach Abenteuern.

Für Siddus war das alles zu utopisch. Als ob er einen Beitrag zur Rettung des Universums liefern könnte! Wer war er denn? Eigentlich ein Niemand! Er hatte nichts erreicht und stellte im Wirtschaftsleben und in der Gesellschaft nichts dar. Er konnte sich, seiner Meinung nach, glücklich schätzen, dass er seinen Traumberuf bei SHORNE INDUSTRY gefunden hatte.

Der Überschwere wischte sich die Tränen vom Gesicht und blickte auf den Chronometer. Es war bereits 6:30 Uhr. In einer Stunde musste er in der Berufsschule sein. Aufgeregt stand er auf und lief unter die Dusche, dabei stolperte er über den Teppich und knallte gegen das Plastikgehäuse der Dusche, das wie ein Streichholz durchknickte...

 

5. Die Berufsschule

»Trägst du meine Tasche?«

»Wozu? Du hast doch zwei gesunde Arme, oder?«

Anya schüttelte den Kopf und ärgerte sich über die Dreistigkeit ihres Freundes Krizan. Er selbst hatte keine Tasche mit, sondern deponierte seine Unterlagen in der seiner Freundin. Jedoch war er zu stolz, diese nun zu tragen.

»Sieh mal, Anya. Das ist eine Mädchentasche. Ich kann unmöglich eine Weibertasche tragen. Da denken ja sonst alle, ich sei schwul.«

Sie erwiderte nichts und blickte ihn nur böse an. Manchmal fragte sie sich, warum sie das alles ertrug. Für was? Die Liebe schien sie blind zu machen. Doch es steckte noch mehr dahinter. Anya hatte Angst vor dem Alleinsein. Sie litt unter Minderwertigkeitskomplexen und glaubte, dass sie keinen anderen Mann abbekommen würde. Deshalb klammerte sie sich an Krizan. Er sah gut aus und hatte seine Qualitäten. Jedoch besaß er keine Manieren und demütigte sie oft.

Anya ließ sich dies nur teilweise bieten und stritt sich häufig mit ihrem Geliebten. Es fielen harte Worte, doch sie schaffte es nie, den Schlussstrich zu ziehen. Sie hatte viel zu viel Angst davor, allein dazustehen.

Dabei hatte sie diese Angstgefühle nicht nötig. Mit 1,61 Meter war sie nicht sonderlich groß, doch bei etwas mehr als 50 Kilogramm Gewicht besaß sie einen Traumkörper, an dem alles genau richtig proportioniert war.

Ihre langen blonden Haare und ihre ozeanblauen großen Augen verliehen ihr einen engelsgleichen Eindruck.

Sie trug stets sehr körperbetonte Kleidung. Natürlich wollte sie auf die anderen sexy wirken und still bewundert werden, doch sie war nicht von Arroganz geprägt und glaubte, sie sei etwas Besseres.

Außerdem war Anya Guuze sehr intelligent und hatte ein sympathisches Wesen. Alles in allem musste sie keine Befürchtungen haben, auf der Strecke zu bleiben. Doch die junge Terranerin schien sich selbst anders einzuschätzen.

Die beiden zwängten sich durch die Massen der Schüler und gingen auf einen Hof, wo sich Krizan Bulrich erst einmal eine Zigarette ansteckte und genüsslich an ihr zog.

»Was wollen wir am Wochenende machen, Schatz?«, fragte Anya mit ihrer säuselnden Stimme und schmiegte sich an Krizan. Er verschaffte sich wieder mehr Platz.

»Ich weiß nicht, was du machen willst, aber ich gehe mit meinen Kumpels saufen. Wir fliegen zur BASIS und machen da so richtig fett Party!«

»Da kann ich doch mitkommen«, meinte die blonde Terranerin.

»Kleines, du weißt genau, wie uncool das ist. Man, eh! Ich bin da mit meinen Freunden, da laufen viele hübsche Tussies herum und da ist es halt unpassend mit seiner Freundin gesehen zu werden, capito?«

Anya wurde wütend. Wie konnte er es wagen zu behaupten, es sei »uncool« mit ihr gesehen zu werden. Schämte er sich ihrer?

»Wenn du meinst! Dann eben nicht«, sagte sie pikiert.

In dem Moment tauchte Roppert Nakkhole auf. Er trug eine weite ockerfarbige Hose, eine Weste und auf dem Kopf eine Sonnenbrille. Er begrüßte Anya mit einem Kuss auf die Wange und Krizan mit einem Handschlag.

»Hey, Leute, wie geht es so?«

»Schlecht!«, erwiderte Anya.

»Warum denn?«

»Frag doch diesen impertinenten Clown«, meinte sie und deutete auf »The Busch«, wie Krizan auch genannt wurde. Dieser sah sie nur böse an und sagte: »Hör zu, das mit dem Clown lasse ich mir noch bieten, aber impotent bin ich bestimmt nicht!«

Anya lachte schallend. Wieder einmal hatte Krizan seine Dummheit unter Beweis gestellt. Der junge Terraner hielt sich zwar für ein Prachtexemplar der terranischen Gattung, doch sein Intelligenzquotient war erstaunlich niedrig und sein Vokabular beschränkte sich nur auf einen bestimmten Anteil von Wörtern.

Umso wunderlicher war die Beziehung zwischen den beiden, denn Anya war eine intelligente und redegewandte Frau.

Auch Roppert verstand nicht, warum die beiden ein Paar waren. Doch für Roppert war das nichts Besonderes, denn er verstand viele Dinge nicht.

Nun tauchte auch Siddus auf. Langsam und bedächtig schritt er auf die drei zu und traute sich kaum, ihnen einen guten Morgen zu wünschen. Stattdessen brachte er nur ein leises »Hallo« heraus.

Mehr traute er sich nicht, da er nicht wusste, wie sie auf ihn reagieren würden. Er fühlte sich klar als Außenseiter.

»Na, bist du durch die Fettkontrolle gekommen?«, fragte Krizan und lachte.

Siddus lächelte verstohlen mit. In Wirklichkeit jedoch war er den Tränen nahe. Er blickte zu Anya und schien für wenige Momente in ihren großen blauen Augen gefangen zu sein, dann hörte er sie sagen:

»Lass ihn doch in Ruhe!«

Sie verteidigte ihn! Ein unbeschreibliches Gefühl kam in ihm hoch. Auch Roppert wies Krizan Bulrich zurecht.

»Ja ja, schon gut. Sorry, Alter!«, entschuldigte er sich oberflächlich und reichte Siddus die Hand.

Er ergriff sie behutsam und drückte leicht zu. Er wollte Krizan nicht verletzen. The Busch warf dem Überschweren einen vielsagenden Blick zu. Es war kein freundliches Augenzwinkern, sondern eine warnende Geste.

Siddus wusste sie nicht recht zu interpretieren, doch er ahnte, dass The Busch ihn nicht sonderlich leiden konnte.

Die Schulklingel ertönte und informierte die Schüler somit, dass der Unterricht begann. Langsam begaben sich die vielen unterschiedlichen Jugendlichen zu den Klassenräumen.

Siddus ging hinter Anya her und bewunderte ihren ästhetischen Körper. Er empfand es als ungerecht, dass Krizan mit ihr zusammen war und nicht er. Siddus wusste, dass er Anya besser behandeln würde. Er besaß Respekt und Achtung vor ihr, doch Krizan hatte das Aussehen und diese terranische Art, die er als Überschwerer nicht besaß.

Siddus riss sich zusammen. Er musste sich endlich darüber im Klaren werden, dass er niemals mit Anya verbunden sein würde.

Sonya und Sylke kamen wie immer zu spät zum Unterricht. Kirk Fundl, der Klassenlehrer, kommentierte ihr Erscheinen mit einem zynischen Ausspruch.

Die beiden Mädchen interessierte es weniger. Sylke Stabum stand wieder einmal unter Drogen. Sie hatte sich die Designerdroge Juke in ihren Apfelsaft gemischt, damit niemand etwas davon bemerkte.

Sonya Morrat erwiderte sofort Fundls Ausspruch und zeterte dagegen an. Bevor jedoch ein erneuter Streit zwischen Lehrer und Klasse ausbrechen konnte, lenkte Fundl ein und begann den Unterricht.

Siddus suchte seine Unterlagen heraus und legte sie säuberlich auf den Tisch. Neben ihm saß Krizan Bulrich, der gelangweilt Siddus akribisches Ordnen verfolgte. Als der Überschwere alles wohlsortiert auf dem Platz liegen hatte, schubste Krizan die Unterlagen einfach vom Tisch. Er, wie auch Sylke und Sonya begannen lauthals zu lachen.

»Was soll denn das?«, fragte Fundl resignierend und ermahnte The Busch. Er forderte ihn auf, Siddus zu helfen, doch Krizan kümmerte das herzlich wenig.

Nur Roppert stand auf und half dem Überschweren. All die anderen gafften auf den Umweltangepaßten, der mit zittrigen Händen seine Unterlagen aufsammelte. Er verfluchte sie, doch niemals hätte er sich getraut, ihnen das offen ins Gesicht zu sagen.

Nachdem das Chaos beseitigt wurde, ging Fundl zum Unterricht über. In dieser Stunde wurde wieder Rechnungswesen durchgenommen. Es ging um Buchhaltung, eines der Lieblingsthemen von Siddus.

Antizipative und Transitorische Rechnungsabgrenzungen waren das heutige Thema. Siddus wusste darüber bereits aus seinem Betrieb Bescheid. Er konnte sein gesamtes Fachwissen dem Lehrer und der Klasse kundtun.

Der Überschwere erntete jedoch von seinen Klassenkameraden nur Argwohn und Ablehnung. Sonya machte einige anstößige Bemerkungen über Siddus Genitalien. Wieso sie ausgerechnet darauf kam, konnte er sich nicht erklären. Auf jeden Fall lief er rot an und schämte sich gewaltig.

Um von sich abzulenken, sah der Überschwere aus dem Fenster. Die Sonne schien und ein Vogel saß fröhlich zwitschernd auf dem Fenstersims. Wenn er die Umwelt betrachtete, schien alles in Ordnung zu sein, doch in dieser Klasse durchlebte er die Hölle. Niemand, außer Roppert vielleicht, mochte ihn.

»Sonya, jetzt reiß' dich zusammen, sonst kannst du den Unterricht vor der Tür weiterverfolgen«, ermahnte sie Fundl.

»Ja, tut mir ja ganz ganz doll leid, Herr Fundl. Ich hab nur heute noch keinen Sex gehabt, da rede ich immer seltsame Sachen«, erklärte sie und grinste breit.

Fundl schüttelte den Kopf. Der Lehrer im mittleren Alter hatte diese Klasse so satt. Er betete, dass die Zeit der Ausbildung schnell vorüberging, denn je eher er sie los war, desto besser für seine Nerven.

»Das ist nicht mein Problem, Sonya«, stellte er fest.

»Warum nicht? Ich war ein böses Schulmädchen, das bestraft werden muss«, meinte sie auffordernd.

Nun riss dem Lehrer der Geduldsfaden.

»Ich bin ein verheirateter Mann mit zwei Kindern!«

»Sie muss es ja nicht erfahren oder wir nehmen deine Frau dazu. Wird bestimmt sehr erotisch...«

»Raus!«

In dem Terraner kochte es vor Wut. Er schrie so laut, dass Siddus zusammenzuckte und beinahe anfing zu weinen, obwohl es ihn doch gar nicht betraf. Mit gestrecktem Arm und Finger deutete er auf die Tür. Sonya verstand, machte eine eindeutige Geste mit ihrem Mittelfinger und verließ den Raum.

Fundl verstand diese Terraner nicht. Die meisten Jugendlichen waren viel verantwortungsvoller geworden, seitdem Perry Rhodan terranischer Resident war, doch in dieser Klasse schien sich aller Abschaum angesammelt zu haben.

Und Kirk Fundl musste diese Leute unterrichten. Welche anderen Möglichkeiten hatte er auch? Er hatte gerade seine Ausbildung als Lehrer beendet und den Posten auf dieser Schule angeboten bekommen. Der Direktor Lohmann würde bestimmt nicht begeistert sein, wenn Fundl vor dieser Klasse kapitulieren würde.

Deshalb hatte er keine andere Wahl als weiterzumachen. Egal, um welchen Preis! Nach etwa zwei Minuten hatte sich Fundl wieder gefangen und fuhr mit den Rechnungsabgrenzungen fort.

Anya war ziemlich gelangweilt. Sie wusste, dass sie eigentlich aufpassen sollte, doch die Art und Weise, wie Fundl das Thema vortrug, war in der Tat einschläfernd. Nach etwa 20 Minuten ging der Lehrer zum Lehrerzimmer, um einige Unterlagen zu holen.

In diesen Minuten war es erstaunlich still in dem Raum. Nur drei Leute störten diese vermeintliche Idylle: Krizan, Sonya und Sylke.

Stabum setzte sich zu Anya und quatschte über ihren Freund Maryoh, der für den Terranischen Liga Dienst arbeitete. Krizan betrachtete seine Freundin mürrisch.

»Hey, ich hab Hunger! Gib' mal das Brötchen her!«, forderte er unwirsch, kippelte dabei mit seinem Stuhl hin und her und legte seine Beine auf den Tisch.

»Du kannst auch ruhig bitte sagen«, entgegnete Anya frustriert und suchte das Brötchen heraus, welches sie ihm extra morgens gemacht hatte.

»Bitte!«, brüllte er sie an und nahm die Backware entgegen.

Siddus war von diesem Terraner angewidert. Wie konnte er es wagen, dass bezauberndste Mädchen, welches Siddus jemals gesehen hatte, so erniedrigend zu behandeln? Er wandte sich The Busch zu.

»Deine Manieren lassen sehr zu wünschen übrig!«, meinte er und war über diese mutige Aussage sehr erstaunt.

Bulrich musterte den Überschweren abfällig und kippelte weiter auf seinem Stuhl. Derweil schob er sich genüsslich das Brötchen in den Mund.

»Ach, der Fettsack kann reden. Wie wäre es, wenn du mal schnell wieder die Klappe hältst!«

Siddus spürte, dass er jetzt nicht aufgeben durfte. Es ging um Anya Guuzes Ehre. Er nahm wieder allen Mut zusammen und stellte sich sogar vor Krizan.

»Ich... ich... h... halte nicht d... die K... kl... kl... kl...«, stotterte er hilflos.

Krizan fing lauthals an zu lachen, gefolgt von Sylke und dem Rest der Klasse. Selbst Roppert musste etwas lachen. Nur Anya war still. Zwar war die Situation unfreiwillig komisch, doch sie hätte es als sehr taktlos angesehen, jemanden auszulachen, der sie verteidigen wollte.

Siddus stand im Raum, alle gafften ihn an, deuteten mit dem Finger auf ihn und lachten über seine Dummheit.

Tränen schossen in sein Gesicht. Schluchzend verließ der knapp zwei Meter große Umweltangepaßte den Klassenraum und rannte die Treppen hinunter zu den Toiletten, wo er weinend in der Ecke zusammenbrach und von einem Weinkrampf überkommen wurde.

Roppert überkam ein schlechtes Gewissen. Während die anderen in der Klasse sich immer noch köstlich über Siddus Stotteranfall amüsierten oder dies als Chance nutzten, um über den unbeliebten Überschweren herzuziehen, lief auch der blonde Terraner aus dem Raum und ging zu den Toiletten, wo er den heulenden Überschweren fand.

Ein anderer Schüler, der gerade seine Notdurft verrichtet hatte, blickte ungläubig zu dem Giganten, der wie ein kleines Baby schrie. Er sah dann Roppert, hob beschwichtigend die Hände und verließ so schnell er konnte den Raum.

Roppert schaute mitleidig auf den Überschweren herab, der sich immer noch nicht beruhigen konnte. Nakkhole setzte sich neben Siddus und legte seinen Arm über dessen Schulter.

»Hey, es wird schon alles wieder gut werden«, versuchte er ihn zu beruhigen.

Er holte aus seiner Tasche eine Zigarette und bot sie Siddus an. In Ropperts Einfältigkeit hoffte er, so Siddus aufheitern zu können. Zögerlich nahm der Überschwere die Zigarette und zündete sie sich an.

»Ich habe mich wie ein Volltrottel benommen«, sagte er immer noch weinerlich zu seinem Freund, der zustimmend nickte.

»Kann man wohl sagen. Alle haben dich ausgelacht, bis auf Anya.«

»Das wäre ja auch die Höhe gewesen, wenn die Frau, die ich verteidige, mir auch noch in den Rücken fällt...«

Roppert nickte nur.

»Ich meine, dieser Krizan bringt mich auf die Palme. Anya ist so ein hinreißendes Mädchen, intelligent, charmant und wunderschön. Was macht er? Er behandelt sie wie Okrillmist!«

Roppert Nakkhole zündete sich jetzt auch eine Zigarette an. Genüsslich zog er an dem Glimmstängel und blies den Rauch aus.

»The Busch ist wirklich ein Mistkerl. Ich weiß auch nicht, warum Anya sich das antut. Wahrscheinlich hat sie Minderwertigkeitskomplexe und glaubt, keinen anderen abzubekommen«, meinte er richtigerweise.

Siddus stand auf.

»Mag sein, doch ich kann heute auf alle Fälle nicht mehr zurück in die Klasse. Ich gehe nach Hause und versuche mich dort von dem Desaster zu erholen.«

Mit diesen Worten verließ Siddus die Hygieneeinrichtungen und nahm die Transitbahn nach Kanchenjunga, wo er wohnte.   

 

6. Titan

Amon Terbarski saß an einem Tisch und betrachtete seine Tasse Kaffee. Der russische Wissenschaftler mit dem roten Rauschebart war allein in der Kantine mit den grauen Wänden, abgesehen von dem Roboter, der das Geschirr in die Schränke einräumte.

Terbarski brütete über ein paar Lage- und Konstruktionsplänen, die er entworfen hatte. Er studierte sie noch einmal, obwohl er eigentlich jede Linie auswendig kannte.

Doch er wollte gut vorbereitet sein, wenn er auf Perry Rhodan traf. Das Meeting, wie es sein Vorgesetzter auf Titan, Doland Teemer, nannte, sollte in einer Stunde stattfinden. Der Terranische Resident kam höchstpersönlich nach Titan, um mit dem Ingenieur zu sprechen. Terbarski fühlte sich sehr geehrt. Es war das erste Mal, dass er Perry Rhodan persönlich traf.

»Ah, hier bist du!«

Verwundert drehte Terbarski seinen Kopf um 90 Grad nach links. Er erkannte seinen Assistenten, den Japaner Hurado Yamaka. Der hagere und kleine Asiate mit der dicken Brille auf der Nase, die ihn stets mit den neusten Nachrichten informierte, trappelte hektisch zu Amon.

»Na, endlich habe ich dich gefunden. Rhodan ist schon hier! Er wartet auf dich!«

»Warum sagt mir das keiner? Ich habe doch ständig ein Interkomgerät bei mir«, fluchte Amon Terbarski und holte sein Kommunikationsgerät aus der Tasche, musste jedoch feststellen, dass es deaktiviert war, da der Energiespeicher leer war.

»Verdammt«, brummte der Russe und nahm einen letzten Schluck von dem Kaffee, bevor er zusammen mit Yamaka aus der Kantine stürmte und den Roboter, der immer noch am Einräumen war, alleine zurückließ.

Doland Teemer, ein sehr dünner und hellhäutiger Terraner mit kurzen blonden Haaren und einer Brille, versuchte Perry Rhodan zu unterhalten und riss einige Witze, die jedoch nicht sonderlich gut beim Terranischen Residenten ankamen.

»Mister Teemer, ich weiß den Versuch, mich bei Laune zu halten, zu schätzen, doch bitte verschone mich mit diesen Flachwitzen. Die konnte ich noch nie leiden«, meinte Rhodan freundlich aber bestimmt.

Teemer schluckte hörbar. Er lächelte schwach und zupfte seine Krawatte zurecht. Einige seltsame Gedanken schossen durch seinen Kopf und er wusste nicht, ob er den Terranischen Residenten und den vielleicht größten Menschen in der terranischen Geschichte verärgert hatte, oder dieser über seine schlechten Witze hinwegsah.

»Im Grunde genommen ist es ja meine Schuld«, begann Rhodan.

»Oh, nein, nein! Alles unsere Schuld. Meine Schuld, um genau zu sein, denn ich habe ja diese völlig idiotischen Scherze gerissen«, unterbrach ihn Teemer aufgeregt.

Rhodan verdrehte die Augen und grinste ironisch.

»Nein, ich meinte meine verfrühte Ankunft. Das ist allein meine Schuld. Dein Wissenschaftler kann ja nicht ahnen, dass ich schon eine Stunde vor dem Treffen auf Titan bin.«

Doland Teemer lachte schallend.

»Da hast du völlig recht, Perry Rhodan«, fügte er laut lachend hinzu.

Was für ein Schleimer, dachte der Zellaktivatorträger still in sich hinein und ermahnte sich selbst mit einem leichten Lächeln, dass er als terranischer Resident so etwas nicht denken durfte.

Es kehrte für einige Minuten Stille in den Raum ein. Perry genoss diese Ruhe, denn Doland Teemer hatte eine schrecklich laute Stimme.

Er musterte den Raum. Sonderlich hübsch war er nicht eingerichtet. Keine Grünpflanzen, nur graue Wände, ein großer gläserner Tisch, Ledersessel, einige Bildschirme, ein Getränkeautomat und die Deckenbeleuchtung bildeten die Einrichtung des Besprechungssaales.

Rhodan überlegte, ob er eine Bemerkung über diese spartanische Innenausstattung machen sollte, überlegte es sich jedoch sehr schnell wieder anders, da er Teemer nicht unbedingt zum Reden provozieren wollte.

Teemer räusperte sich laut, dann stand er auf und lief zum Kaffeeautomaten.

»Auch einen?«

»Nein, danke.«

»Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Schmeckt aber gut.«

»Wenn du dann endlich Ruhe gibst, nehme ich auch einen...«

Wieder lachte Teemer laut, was Rhodan zusammenzucken ließ. Er lobte den »Witz« von Perry Rhodan in höchsten Tönen, ohne zu wissen, wie ernst es der Zellaktivatorträger gemeint hatte.

Da endlich trafen Amon Terbarski und Hurado Yamaka ein. Hastig stürmten sie in den Raum und entschuldigten sich mehrmals für die Verspätung. Rhodan ergriff die Hände der beiden Männer und begrüßte sie freundlich.

»Macht ja nichts. Mister Teemer und ich haben uns bestens amüsiert«, meinte er ironisch und warf dem blonden Leichtgewicht einen vielsagenden Blick zu.

Terbarski und Yamaka verstanden nicht, was Rhodan damit meinte, aber das war ihnen auch relativ egal. Sie breiteten die Konstruktionspläne über den Tisch aus.

»Habt ihr keine 3D-Holos?«, wollte Rhodan wissen.

Die beiden Wissenschaftler sahen sich verständnislos an. Ihre Blicke konnten Rhodan so interpretieren, als wären ihnen gerade eingefallen, was sie vergessen hatten. Wieder schmunzelte er und beruhigte die beiden Wissenschaftler, dass es ihm nichts ausmachen würde, sich die Konstruktionen auf herkömmlichen Papier anzusehen.

»Das ist also die neue Stahlfestung Titan«, stellte er beeindruckt fest.

Amon Terbarski und sein Assistent waren vor einigen Monaten von Reginald Bull beauftragt worden, Baupläne für eine neue Festung zu entwerfen.

Perry Rhodan hatte vor, aus Titan einen Militärplaneten zu machen, um besser gegen die Armeen der Arkoniden gerüstet zu sein. Er wollte einige militärische Fabriken von Terra nach Titan verlagern, denn im Falle eines Angriffes würden diese Fabriken sicher bombardiert werden – und darunter würde auch die Zivilbevölkerung leiden.

Auf Titan gab es so gut wie keine Zivilisten, daher war der Mond des Saturns bestens dafür geeignet. Auch andere Monde im Sonnensystem sollten militärisch ausgebaut werden. Rhodan sah in den Arkoniden eine immer größer werdende Gefahr und er hatte keine andere Wahl, als Terra militärisch zu stärken.

Die neue Stahlfestung Titan sollte auch als Warnung für die Arkoniden dienen, denn auch die Terranern waren in der Lage militärisch zu klotzen.

Terbarski begann mit einer Problemanalyse.

»Wir haben einige Probleme, um eine neue Stahlfestung zu errichten. Einmal sind die unterirdischen Überreste der alten Festung, die einst von dem Überschweren Leticron errichtet wurde, immer noch vorhanden.«

Perry grübelte einige Sekunden über den Pariczaner nach.

Gott sei Dank, dass er nicht mehr am Leben ist, dachte der Unsterbliche, sehr bewusst, welche große Gefahr Leticron damals dargestellt hatte.

Der Corun von Paricza Leticron war ab dem Jahre 3460 alter Zeitrechnung ein gefährlicher Widersacher Rhodans gewesen. Die Überschweren waren von den Laren zum Hauptvolk der Milchstraße ausgewählt worden, nachdem Rhodan und Atlan es sich gründlich mit den Invasoren des Konzils der Sieben verscherzt hatten. Leticron hatte in dieser Zeit als Erster Hetran eine Schreckensherrschaft geführt. Blut und Tod klebten an seinem Namen. Doch er war dem machthungrigen Maylpancer zum Opfer gefallen. Dieser Überschwere hatte den Corun dann besiegt. Leticrons Bewusstsein war in einer Säule aus PEW-Metall materialisiert. Dort war er über Jahrhunderte gefangen, ehe ihn Wissenschaftler entdeckt und befreit hatten. Gucky war daran wohl beteiligt gewesen. Jedenfalls war das Bewusststein von Leticron in einen Cyborg transferiert worden. Auf einem Dschungelplaneten hatte er lange in Exil gelebt, ehe er wieder in seine alten Muster verfallen war und die Herrschaft des Planeten an sich reißen wollte. Dabei war er gestorben und sein Cyborgkörper vernichtet worden. Das war noch vor der Monos-Ära gewesen. Damit war das Schicksal des Überschweren endgültig besiegelt worden.

Terbarski fuhr fort und unterbrach die Gedanken Rhodans.

»Teilweise sind die Schächte bei der Zerstörung in untere Höhlen eingestürzt. Niemand hatte es je für nötig gehalten, sie zu bergen. Nach der Monosdiktatur hatten wir eine zweite Station, von der allerdings auch nur noch ein paar Ruinen übrig sind. Ich würde daher also vorschlagen, dass wir die Ruinen beider Festungen abtragen, die unteren Höhlen vor Einstürzen sichern und dann mit dem Bau der neuen Militäranlagen beginnen. Ich denke, dass wir in zwei Jahren die komplette Station fertig haben könnten.«

Rhodan hörte den Ausführungen des russischen Wissenschaftlers genau zu. Terbarski war ein kompetenter und zuverlässiger Mann. Deshalb hatte er auch den Auftrag erteilt bekommen. Yamaka war noch ein unbeschriebenes Blatt, doch bei dem Lehrer, so dachte Rhodan, würde sicher auch ein guter Ingenieur und Architekt aus ihm werden.

Der Unsterbliche war mit den Plänen sehr zufrieden. Es schien, als hätte Terbarski alles berücksichtigt. Im Falle eines Angriffes auf das Solsystem würde Titan ein sehr schwer zu knackender Punkt sein. Durch die Teilaushöhlung des Mondes würden unterirdische Fabriken für Nachschub an Rohstoffen und Kriegswaffen aller Art sorgen.

Im Grunde war Rhodan nicht stolz auf solche Einrichtungen, doch er wusste um ihre Notwendigkeit.

Bereits seit Jahren waren düstere Zeiten angebrochen. Die Situation der Terraner hatte sich zwar gebessert, denn sie waren nicht mehr so arrogant und verantwortungslos, wie zu den Zeiten, in denen die Unsterblichen auf Camelot lebten. Aber die Gefahr durch die Arkoniden wuchs von Tag zu Tag. Imperator Bostich führte eine rigorose Expansionspolitik. Seit Jahren herrschte ein kalter Krieg zwischen den beiden größten Machtblöcken der Galaxis.

Die Terraner mussten nicht nur sich selbst schützen, sondern alle Intelligenzvölker in der Milchstraße. Dazu bedurfte es nun einmal vieler Raumschiffe, Soldaten, Flugpanzer und was es alles an Kriegsmaschinerie gab.

Von linken Parteien musste sich Rhodan vorwerfen lassen, ein Militarist oder Faschist zu sein. Einige verglichen ihn sogar mit Bostich. Diese Menschen verstanden den Sinn des Aufrüstens nicht. Rhodan war immer für eine friedliche Lösung zu begeistern, doch mit Bostich war diese Lösung nicht möglich.

Deshalb musste Terra stark sein. Es musste sich gegen Bostich wehren können.

Perry Rhodan musterte noch einmal die Pläne, dann nickte er zufrieden.

»Sehr gute Arbeit. Ab wann kannst du beginnen?«

Terbarski grinste breit.

»Sofort! Ich werde noch heute Abend eine Erkundung der alten Festungshöhlen veranlassen!«

»Vielen Dank!« Perry streckte den drei Männern nacheinander seine Hand entgegen und verabschiedete sich.

Nachdem der Unsterbliche den Raum verlassen hatte, atmeten Amon und Hurado erleichtert auf und fielen sich in die Arme.

»Wir haben es geschafft!«, brüllte der Japaner.

Sie hatten damit den Auftrag ihres Lebens bekommen. Auch Doland Teemer strahlte über beide Wangen. Er war der Leiter der Wissenschaftseinheit auf Titan. Natürlich wollte er den Ruhm selbst einstreichen und veranlasste sofort, eine Pressekonferenz einzuberufen.

Für eine Weile standen die drei schweigend im Raum und blickten sich gegenseitig an. Dann brach Roldan Teemer wie üblich die Stille und meinte:

»Meine Herren, ich glaube, Perry Rhodan schätzt mich sehr!«

Terbarski und Yamaka sahen ihren Chef nur verständnislos an und verließen danach wortlos den Raum.

 

7. Michael Shorne

Das Gebäude der SHORNE INDUSTRY Gesellschaft war gewaltig. Es gehörte zu den höchsten Bauten in Terrania City. Einige Münder behaupteten, dass Michael Shorne dermaßen eifersüchtig auf die Solare Residenz war, dass er jetzt selbst plante, ein größeres Monument zu errichten.

Ob in diesen Gerüchten ein wahrer Kern lag, wusste wahrscheinlich nur Michael Shorne selbst.

Siddus fuhr mit der Transitbahn zum großen Gebäude. Hastig band er sich seine Krawatte um den Hals. Es war bei SIG Vorschrift eine Krawatte zu tragen. Zuwiderhandlung konnte in einer Kündigung enden.

Shorne vertrat die Meinung, dass die Krawatte Seriosität und Vertrauen ausstrahlte. Siddus tat als loyaler Arbeitnehmer natürlich alles, was sein Vorgesetzter verlangte.

Eilig stürmte er durch das große Eingangstor und stürzte sich in den Antigravschacht, um zur Buchhaltung zu kommen. Kaum dort angelangt, machte sich der emsige Überschwere an seine Arbeit.

Er sortierte Buchungsbelege in die Ordner ein und setzte sich anschließend an den Syntron, um die Buchungen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu ändern. Diese Aufgabe füllte ihn aus. Sie machte ihm Spaß. Er wünschte sich nichts mehr als hier sein ganzes Leben lang arbeiten zu können. Abgesehen von Anya Guuze vielleicht. Sein Traum wäre, wenn er und Anya verheiratet wären, zwei Kinder hätten und er abends von der Arbeit kommend, ein liebevoll zubereitetes Essen von seiner Gattin vorfände.

»Siddus!«

Der Überschwere wurde hellhörig und stand auf. Hinter ihm stand der Abteilungsleiter Jostan Redil. Er gab Siddus einige Unterlagen.

»Bitte bringen Sie die zu Mister Shorne. Er erwartet Sie bereits«, bat der Plophoser seinen Auszubildenden. Es war in der Geschäftswelt wieder üblich geworden, sich zu siezen. Die Wirtschaft erfordere, ähnlich wie das Militär, eine gewisse Disziplin und Hierarchie, so argumentierten viele Arbeitgeber auf die Wiedereinführung der Förmlichkeiten.

Siddus war überglücklich und stolz, wieder Michael Shorne zu begegnen. Sofort hastete er zum Büro des Unternehmensleiters und rannte dabei beinahe den Marketingleiter um.

Leise und zaghaft klopfte Siddus an die Tür von Shorne. Er glaubte ein »Herein« gehört zu haben und betrat den Raum. Shorne arbeitete gerade in seinem kleinen Fitnessstudio an seinen Körper.

Er blickte Siddus flüchtig an.

»Legen Sie es auf den Tisch. Ich beschäftige mich später damit«, sprach Shorne angestrengt, denn er stemmte gerade ein paar Gewichte.

Siddus befolgte den Befehl und legte die Mappe auf den großen Schreibtisch Michael Shornes, der ebenso prunkvoll wirkte, wie der Rest des Zimmers.

Dann ging Siddus langsam zu seinem großen Vorbild und sah ihm beim Training zu. Natürlich blieb das Shorne nicht verborgen.

»Was gibt es noch?«, fragte er barsch.

Siddus zuckte innerlich zusammen, als er die strenge Stimmlage in Shornes Worten hörte. Er kam langsam näher.

»Mister Shorne«, begann er leise, »vielleicht erinnern Sie sich noch an mich. Ich bin Siddus, der Lehrling aus der Buchhaltung.«

Shorne unterbrach das Training und blickte den schüchternen Riesen genervt an. Michael Shorne war der Auffassung sehr beschäftigt zu sein und in seinen Augen stahl ihm dieser lächerliche Clown seine Zeit.

Dann entsann er sich wieder an das letzte Gespräch mit diesem Überschweren. Er war ein loyaler Mitarbeiter und opferte sich auf. Das wiederum gefiel Michael Shorne.

»Ja, natürlich erinnere ich mich an dich, Junge. Was gibt es?«

»Nun, Sir, ich... ich...«

»Stottere nicht herum, sondern sag' was du willst. In der harten Geschäftswelt wird ein Stotterer nicht angehört. Trage deine Forderungen klar und deutlich vor. Sei selbstbewusst, nur so packst du es in der Wirtschaft, Bursche!«

Siddus nickte ergeben. Die Worte Shornes klangen in seinen Ohren weise. Überhaupt fand er diesen Menschen einzigartig. Shorne war sein großes Idol.

»Ich würde von Ihnen niemals etwas fordern. Ich habe eher eine Frage. Sie haben eine so große Erfahrung, dass Sie mir vielleicht weiterhelfen können. Ich weiß sonst nicht mehr weiter...«

Shorne zog sein Hemd wieder über und band seine Krawatte. Anschließend warf er sich in seinen Sessel und knetete an dem elastischen Ball herum.

»Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber ich bin ganz Ohr.«

Siddus schilderte seine Erlebnisse in der Berufsschule, seine Zuneigung zu Anya Guuze, seinen Stotteranfall und die Tatsache, dass er keine Freunde dort hat, abgesehen vielleicht von dem einfältigen Roppert Nakkhole.

Shorne begann zu lachen. Sein heiseres Lachen klang kalt und diabolisch. Wieder lachte jemand Siddus aus. Langsam konnte der sensible Überschwere das nicht mehr ertragen. Nun auch sein Idol! Er hätte sich ihm niemals anvertrauen dürfen. Jetzt hatte er sich endgültig blamiert.

»Hör' zu, Kleiner. Du musst härter werden. Das ist eine raue Welt«, begann Shorne und stand auf. Er ging auf den Überschweren zu und bot ihm einen Platz an, damit er nicht hochsehen musste.

Siddus setzte sich unsicher auf den Sessel, der anfing zu knirschen, als sich die Pfunde des Überschweren in das Leder pressten.

»Du magst diese Anya? Gut, dann nimm' sie dir. Was hindert dich daran?«

»Ihr Freund...«

Shorne lachte wieder laut auf.

»Den Typen machst du fertig. Sieh dich doch einmal an. Du bist stark. Schlag ihn zusammen und dann ist der Weg frei. Du musst dir Respekt vor den anderen verschaffen. Nur durch deine Stärke kannst du Respekt und Anerkennung vor den Naiven erlangen.«

Siddus ließ die Worte seines Chefs eine Weile auf sich einwirken. Dann stand er auf und nickte mit dem Kopf.

»Ich zähle auf dich! Du musst nur deinen Killerinstinkt wecken, dann geht alles von alleine«, meinte Shorne und lächelte überlegen. Er fühlte sich sehr wohl in der Rolle eines Mentors. Manchmal dachte er, wie schön es doch wäre, wenn alle so wären wie er selbst. Aber in der zweiten Überlegung fand er die Idee nicht mehr so gut, denn dann hätte Shorne es nicht so einfach, wenn alle Geschäftsleute so intelligent wären, wie er sich selbst hielt.

Siddus wusste nicht, ob er in der Lage war, die Ratschläge Shornes umzusetzen. Dazu war er viel zu sensibel. Sicher wusste der Überschwere, dass man sich in der rauen Welt von heute behaupten musste, so zumindest laut Michael Shorne, doch er war kein Kämpfer, kein Schläger, kein Mensch mit Durchsetzungsvermögen.

Dennoch wollte Siddus keinesfalls seinen Chef enttäuschen. Shorne sagte, er zählte auf ihn. Das bedeutete, er stand nun unter Zugzwang.

Hastig bedankte Siddus sich bei Michael Shorne und verließ den Raum.

 

8. Die alte Stahlfestung

Amon Terbarski hatte nicht lange geschlafen. Er war viel zu aufgeregt, außerdem gehörte er nicht zu den Langschläfern. Ganz im Gegensatz zu seinem Assistenten Yamaka, der wenig Begeisterung zu Tage legte, als ihn sein Chef gegen sechs Uhr morgens weckte.

»Auf, auf, mein Freund! Machen wir uns gleich an die Arbeit«, begann der russische Forscher und Ingenieur forsch.

Der junge Japaner rieb sich den Schlaf aus den Augen und quälte sich aus seinem Bett. Er war nur mit Boxershorts und einem Unterhemd bekleidet und genierte sich etwas. Doch Terbarski interessierte das wenig. Nach mehrmaligen Strecken ging Hurada Yamaka unter die Dusche, oder – wie er es selbst am liebsten bezeichnete – in die Nasszelle.

Nach einem kurzen Frühstück brachen die beiden Wissenschaftler rasch auf und verließen die Forschungsstation, die über der alten Station aus Monos-Diktatur errichtet worden war.

Mit einem SHIFT und etwa zwanzig weiteren Mitarbeitern fuhren sie zu den alten Ruinen der Stahlfestung Titan. Teilweise standen jetzt Häuser und Hydroponische Anlagen auf den Resten von Leticrons Station.

Doch diese wurden bereits im Zuge der Umbauten ausgeräumt. Terbarskis Plan bestand darin, erst einmal alle Stationen und die alten Ruinen vollständig abzutragen und anschließend die unterirdischen Anlagen zu sichern.

Er wollte auf jeden Fall vermeiden, auf einsturzgefährdetem Land zu bauen. Er wusste, dass die Stahlfestung Titan auch unterirdische Gänge hatte, die nach der Zerstörung teilweise eingestürzt waren und noch existierten.

Diese galt es abzusichern.

Zu diesem Zweck wurde das erste Team heute eingesetzt. Die sollten solche unterirdische Katakomben finden und vor etwaigen Einbrüchen der Oberfläche schützen.

Der Boden, sofern sich unter ihm Hohlräume befanden, konnte zwar das Gewicht von kleinen Stationen und hydroponischen Anlagen aushalten, was aber, wenn dort einst ein Raumhafen stehen würde und Kugelraumer mit mehreren Millionen Tonnen Gewicht landen würden? Terbarski wollte nicht die Verantwortung für einen Einsturz der Hohlräume und den Einbruch eines Raumschiffes und der damit verbundenen Schäden übernehmen.

Der SHIFT machte vor einer alten Station halt, die bereits seit einigen Jahrzehnten nicht mehr genutzt wurde. Meist wurden Wohngebäude nahe der Hauptstadt Titans errichtet, dort wo einst Monos Festung stand und sich auch Teile von Leticrons Stahlfestung befanden. Der Kern, die einstigen Hallen der drei Säulen, wo Leticron bestialische Arenakämpfe abhalten ließ, befand sich jedoch unter den Füßen der 22 Männer und Frauen.

Terbarski spürte einen kalten Luftzug, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Ehrfurcht überkam ihn. Für einen kurzen Moment glaubte er das Jubeln der Meute zu hören, die Fanfare der Athleten und die Schreie der Verlierer.

Schnell riss sich der Wissenschaftler wieder zusammen und steckte sich eine Zigarette an. Der Glimmstängel beruhigte den Russen und ließ ihn abschalten.

Er beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Hurado Yamaka einige Scans durchführte. Er lief aufgeregt durch die Gegend und ging anschließend zu Amon.

»Meine Scanner zeigen eindeutig, dass unter einer Erd- und Stahlschicht von drei Metern eine Höhle liegt. Der Hohlraum wird deutlich angezeigt. Sieh' selbst!«

Terbarski folgte der Aufforderung seines Assistenten und überzeugte sich von der Richtigkeit der Angaben. Er warf seine Zigarette auf den Boden und zertrat sie.

»Wie sieht es mit Sauerstoff da unten aus?«, erkundigte sich der russische Wissenschaftler mit dem Rauschebart.

Auf Titan waren zwar durch künstliche Anlagen und Energieschirme viele Teile der 5.800 Kilometer durchmessenden Satellitenwelt des Saturn abgedeckt, doch es war fraglich, ob das auch für Höhlen galt, die seit 1.000 Jahren unentdeckt geblieben waren.

»Es ist besser, wir ziehen SERUNs an. Später könnten wir die Kammern mit Luft fluten, sofern Bedarf besteht«, erklärte Yamaka.

»Also gut, dann los. Zwei Leute bleiben beim SHIFT und informieren Teemer, dass wir was gefunden haben. Der Rest kommt mit mir.«

Ohne Widerworte folgten die neunzehn Männer und Frauen Amon Terbarski, den viele sehr zu schätzen wussten. Er war zwar manches Mal etwas grimmig, doch in der Regel humorvoll und freundlich. Terbarski hatte stets ein offenes Ohr für seine Mitarbeiter. Dass er in dieser Situation angespannt war, lag klar auf der Hand.

Mit Hilfe des SHIFTs wurde ein Loch in den Boden geschossen. Kleine Erdstöße ließen das Terrain erzittert. Zwei weibliche Mitglieder der Crew schrien laut auf.

»Wenn die Damen zu schwache Nerven haben, dann sollen sie hierbleiben«, fuhr Terbarski schroff in die Menge.

Gekränkt erklärten die beiden Terranerinnen mittleren Alters, dass sie sich nur erschrocken hatten und voll und ganz in der Lage waren, weiterzumachen.

Mit einem heiseren Brummen signalisierte Terbarski seine Zustimmung und ließ einen Antigrav errichten. Mit Hilfe dieses Gerätes wurden zehn Leute, allen voran Yamaka und Terbarski selbst, zu den Höhlen gelassen.

Nach etwa 60 Metern hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen. Erstaunt blickten sich die Terraner in den Hallen um, die seit mehr als 1.000 Jahren keiner mehr zu Gesicht bekommen hatte. Archäologen wären hier auf ihre Kosten gekommen.

Hurado Yamaka war von dem Anblick der alten Relikte überwältigt. »Das ist ja Wahnsinn!«

 

9. Scheinheiligkeit

Keuchend lag er über ihr und genoss den Moment des Glücksgefühls. Ihr Körper zitterte. Schnell und flach atmete sie. Er gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss und rollte sich zur anderen Seite des Betts.

»Mann, war das cool. Mann, war ich geil!«

Er zündete sich anschließend eine Zigarette an und nahm mehrere genüssliche Züge. Krizan streichelte seine Partnerin sanft über ihr braunes Haar.

Sie hieß nicht Anya Guuze, sondern Scarletta Minozza und kam aus Mailand. Er hatte sie auf einer ausschweifenden Party kennengelernt und fand sie überaus anziehend. Natürlich nur für eine Nacht oder als Affäre nebenbei.

Anya wollte er nicht aufgeben. Sie war für ihre Verhältnisse vermögend und ihm ergeben.

Wieder gab er ihr einen leidenschaftlichen Kuss und massierte ihre Brüste. Plötzlich summte sein Interkomgerät mehrmals auf. Bereits an der Musik des Ruftons konnte Bulrich erkennen, dass es seine Freundin Anya Guuze war.

Natürlich deaktivierte er die visuelle Übertragung.

»Hi Schatz, was gibt es?«, fragte er überfreundlich.

»Wo bist du gerade?«, wollte Anya wissen. Sie konnte natürlich nicht ahnen, wie prekär diese Frage war.

»Ähm, bei Freunden, wieso?«

»Wollen wir heute Abend nicht ins Kino gehen?«

»Nee, du, mein Freund hat Kummer mit seiner Freundin und ich will ihn etwas aufbauen«, trug Krizan scheinheilig aber gekonnt vor. »Morgen wäre wirklich besser. Er ist total traurig und ich mache mir ernsthafte Sorgen um ihn. Ich kann ihn nicht einfach hängen lassen. Das verstehst du doch sicher...«

Anya hatte natürlich Verständnis und lobte Krizan für sein verantwortungsvolles Verhalten gegenüber seinen Freunden.

Scarletta konnte sich das Lachen nicht verkneifen und kicherte in das Kopfkissen hinein. Krizan versuchte sie zu beruhigen.

»Was ist das?«, wollte Anya misstrauisch wissen.

»Mein Freund, Antré. Er weint gerade. Ich sagte ja schon, er ist total fertig mit den Nerven«, log Krizan ohne rot zu werden.

Inzwischen hatte sich Scarletta erholt und begann Krizans Körper mit ihrer Zunge zu bearbeiten. Er konnte seine Erregung kaum zurückhalten.

»Bist du krank? Du atmest so schwer?«, fragte Anya nach, nichtsahnend, dass ihr Traumprinz sie schäbig hinterging.

»Ich fürchte, ich bekomme eine Grippe. So, Schatzie, ich muss Schluss machen. Bis morgen. Amüsiere dich gut. Küsschen!«

Sofort brach er die Verbindung ab und stürzte sich auf seine Gespielin.

*

Siddus wälzte sich unruhig von einer Seite zur anderen im Bett. Irgendetwas machte ihm zu schaffen. Er brauchte nicht lange zu überlegen, um was es sich handelte. Sein unzufriedenes Leben bereitete ihm Kummer und Sorgen.

Schon in zwei Tagen hatte er wieder Berufsschule. Er hatte große Angst davor. Alle würden ihn auslachen und behandeln wie den letzten Dreck. Warum? Diese Frage quälte Siddus seit Monaten. War es, weil er ein Überschwerer war oder ein Mutant? Oder war die Erklärung viel einfacher: Er war der geborene Verlierer.

Er wusste keine Antwort darauf.

Plötzlich summte das Interkomgerät auf. Das kam eigentlich sehr selten vor, es sei denn, Gläubiger riefen an und wollten ihre Forderungen eintreiben.

Diesmal war es allerdings Anya Guuze. Die helle, säuselnde Stimme des attraktiven Mädchens, klang wie eine harmonische Symphonie in Siddus Ohren.

Im nächsten Moment war er jedoch völlig überrascht und wusste nichts zu sagen. Erst nach ein paar Sekunden des Schweigens fragte er nach dem Grund ihres Anrufes.

Sein Herz pochte dabei in Lichtgeschwindigkeit und sein Magen grummelte laut.

»Du kennst dich doch ganz gut in Rechnungswesen aus?«, fragte sie.

»Ja.« Mehr brachte Siddus nicht hervor.

»Könnten wir vielleicht einmal zusammen lernen?«

Sie fragte ihn, ob sie zusammen lernen wollten. Mit anderen Worten, wollte sie sich mit Siddus treffen. Der Überschwere dachte, er würde träumen.

»Ja, gerne.«

»Alles klar, wie wäre es mit morgen?«

»Morgen...«, wiederholte Siddus bedächtig, als sei es ein heiliger Tag.

»Ja, morgen. Würde das von dir aus in Ordnung sein?«, fragte sie höflich.

»Natürlich. Wo denn?«

»Bei mir gegen 20 Uhr? Ruf mich am besten noch einmal an. Die Nummer siehst du ja auf dem Display. Dann erkläre ich dir, wo ich genau wohne.«

»G... gut. Bis dann!«

»Ciao!«

Noch einige Minuten nach dem Gespräch saß der Überschwere in seinem Bett und glaubte, geträumt zu haben.

Anya hatte ihn tatsächlich angerufen und wollte sich mit ihm treffen. Etwas Unglaubliches schien geschehen zu sein.

Sein Herz schlug allein beim Gedanken an den darauffolgenden Tag dreimal so schnell. Wie sollte er sich benehmen? Was sollte er anziehen?

Was würde wohl sie anziehen? fragte er sich. Ihre Kleidung war sehr körperbetont. Meist trug sie ein bauchfreies Top und eine enge Hose, worin sie einfach göttlich aussah, fand der junge Überschwere.

So zufrieden schlief er selten ein, und das, obwohl er ziemlich aufgeregt war. Ein Traum schien in Erfüllung zu gehen...

 

10. Das Unheil bahnt sich an

Terbarski und zwei andere Männer waren in einen Seitenarm der Höhle gegangen, um sich über die wahre Größe ein Ausmaß zu machen.

Bis jetzt hatten sie eine etwa 50 Meter lange und 20 Meter breite Halle gefunden, in der einige alte Rüstungen zu bestaunen waren.

Vieles war verfallen und von der Zeit gezeichnet, doch einige Waffen, Helme oder Brustpanzer waren noch in einem sehr guten Zustand.

»Wenn wir das bekanntgeben, haben wir morgen hunderte von Archäologen hier. Das gefällt mir nicht«, murmelte Terbarski.

Er hegte mit dem Gedanken, einfach die Höhlen zu sprengen und den Vorfall zu vergessen. Amon konnte sich jedoch nicht so recht mit dieser Idee anfreunden. Dazu war er ein Mensch, der viel zu viel mitdachte.

Er wandelte auf einem Boden, den seit langer Zeit kein Wesen mehr betreten hatte. Es wunderte ihn, dass man niemals nach den Überresten von Leticrons Festung gesucht hatte, sondern es einfach akzeptiert hatte, dass sie vernichtet wurde.

»Hey, Sir. Vielleicht steht hier ja noch irgendwo Leticron selbst herum«, scherzte einer seiner Begleiter, der Afroterraner Hamon Ublani, ein untersetzter, bärtiger Mann aus Uganda mit einem sehr seltsamen Humor.

Terbarski warf ihm einen bösen Blick zu und schüttelte nur mit dem Kopf.

»Warum denn nicht? Es hieß doch, dass Leticrons Geist durch die Festung irrte, um Rache an Maylpancer und den anderen zu nehmen«, erklärte Ublani unaufgefordert weiter.

»Reden Sie keinen Quatsch, Ublani! Das sind Kindergeschichten. Leticron ist seit über 1000 Jahren tot. Außerdem starb er auf einer Dschungelwelt, nachdem sein Bewusstsein aus dem PEW-Metall in einen Cyborg transferiert worden war. Da ist es noch eher wahrscheinlich, dass Monos wieder aufersteht«, herrschte Amon seinen Assistenten barsch an.

Der wich etwas zurück, fing sich jedoch schnell wieder. Er entblößte seine tadellos weißen Zähne und meinte: »Beschreien Sie es bloß nicht, Chef!«

Amon brummelte noch etwas in seinen Rauschebart, was jedoch keiner der Anwesenden verstand.

Sie gingen weiter den langen und dunklen Korridor entlang. Es war schwer zu sagen, ob er durch die Explosion oder einst von der Hand eines Überschweren geschaffen wurde.

Über eines war sich Amon Terbarski jedoch sicher. Sie befanden sie im legendären Innenhof der Stahlfestung. In einem Teil, der noch nie von Archäologen betreten wurde.

Vielleicht lag es daran, dass die hydroponischen Gärten und Stationen auf der Oberfläche schon seit ebenfalls fast 1.000 Jahren auf dem Boden standen, dass niemand diese Stelle untersuchte.

Terbarski verstand es nicht. Hatte niemand Grund und Anreiz gehabt, den Saturnmond nach den Überresten der alten Stahlfestung zu untersuchen? War er der einzige, der danach suchte – und das aus einem ganz anderen Grund?

Er schüttelte den Kopf und wusste, dass er keine Antwort auf diese Frage erhalten würde. Plötzlich brach er ein und rutschte einige Meter in die Tiefe, bis er unsanft auf den Boden viel. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich orientieren konnte.

Sein Interkom lag einige Meter von ihm weg. Mühevoll robbte er sich zu dem Gerät und funkte Ublani an.

»Sir, Sir, alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Afroterraner aufgeregt.

»Ja, werft mir mal ne Leuchte herunter, hier ist es stockfinster. Und informiert Yamaka... Sofort!«

Wenige Sekunden später hörte er das Rauschen eines Gegenstandes, welches ebenfalls durch den röhrenförmigen Schacht fiel. Er stellte sich davor und fing die Energieleuchte auf. Damit verhinderte er einen Schaden an dem Gerät.

Er aktivierte die Apparatur, die sofort Licht spendete. Das blaue, fahle Licht drang nur wenige Meter in den Raum an.

Es reichte jedoch aus, um zu erkennen, dass der Boden aus Marmor war. Langsam ging er weiter. Alte Schaltanlagen, längst vernichtet, Waffen und Möbel standen in der riesigen Halle. Aber auch viele Trümmer aus oberen Stockwerken.

Das Skelett eines Überschweren ließ den Russen für wenige Moment erstarren. Dann riss er sich zusammen und lief weiter.

Er gelang zu einer Säule, die in der Mitte durchgebrochen war. Ein Teil steckte noch im Boden, der andere lag auf ihm.

Plötzlich summte der Interkom des Wissenschaftlers auf. Es war Hurada Yamaka, der sich nach dem Wohlbefinden seines Kollegen erkundigte.

»Mir geht es gut. Es ist hier nur etwas gruselig. Ich fühle mich hier wie in der Gruft von Graf Dracula. Lasst euch etwas einfallen, damit ich hier herauskomme. Dann sprengen wir die Hallen!«

In diesem Moment fing der auf dem Boden liegende Teil der Säule an zu leuchten. Es war ein dunkelrotes Leuchten und bildete den Beginn des Unheils...

 

13. Aus Siddus' Träumen

Ich schlief tief und fest. Da stand sie vor mir: Anya. Sie trug ihre langen blonden Haare offen, ich schien in ihren blauen Augen zu versinken.

Sie war so schön. So wunderschön. Ich liebte sie von ganzem Herzen. Wir tanzten auf einer grünen Wiese und liebten uns.

Es war wunderschön. Doch da kam er: Krizan! Er griff mich an und verprügelte mich. Ich fing an zu weinen, doch er lachte mich aus.

Plötzlich zogen Wolken auf, die Sonne wurde verdrängt und es regnete. Ich war woanders. Ganz woanders. Tausende von Menschen standen um mich herum und jubelten mir zu.

Ich saß auf einem mächtigen Ross, in einer Rüstung gekleidet. Mein Schwert war von dem Blut meiner Feinde rot gefärbt.

Auch ich war verwundet, doch nicht schwer.

Die Menschen, es waren Überschwere – Pariczaner! Sie jubelten mir zu. Ich war der Sieger und führte eine gigantische Streitmacht nach Hause.

Sie brüllten meinen Namen. Wieder und wieder. Es war wie ein Gesang. Das Lied des Gewinners. Der Gesang des Unbezwingbaren.

Doch...

Es war nicht mein Name! Nein, sie schrien nicht nach Siddus. Doch ich kannte diesen Namen. Jedes Kind kannte ihn. Doch ich kann ihn nicht aussprechen. Es kann nicht sein. Sie sahen mich an und schrien seinen Namen.

Ich bin ER!

ER lebt in mir!

Panikerfüllt wachte ich auf und schrie los. Erst nach einigen Minuten konnte ich mich von diesem Alptraum erholen. Er war so realistisch. Ich war ein anderer Überschwerer. Er war in mir. Ich konnte es nicht ertragen, spürte seinen Hass und seine Boshaftigkeit.

Ich war froh, dass es ein Traum war... War es doch?

 

14. Die tausendjährige Gefangenschaft

Denken, denken und nochmals denken. Das höchste Gut eines Intelligenzwesens war für mich die schlimmste Strafe des Universums.

Ich war dazu verurteilt, nichts anderes mehr zu können. Abgesehen von einer kurzen Epoche der Freiheit musste ich jetzt hier seit knapp 1.300 Jahren mein Dasein fristen.

Ich dachte! Dachte über mein vergangenes Leben nach, über meine Gefangenschaft, dazu verurteilt, die Ewigkeit in einer Säule aus PEW-Metall zu verbringen.

Ich war körperlos, spürte nichts. Ich besaß keine Glieder, keine Bedürfnisse wie Hunger und Durst, kein körperliches Verlangen.

Was für viele ein Segen wäre, war für mich die Hölle. Ich existierte nur noch. Zwischen Leben und Tod.

Unfähig meinem Dasein ein Ende zu setzen. Ich konnte weder leben noch sterben. Ich konnte einfach nur denken.

Niemand ahnt auch nur im Entferntesten, welch grausames Schicksal das war. Du wünschtest, du würdest tot sein, doch du hattest die Gewissheit, dass du ewig leben würdest.

Mein Bewusstsein war in einer Säule gefangen. Es hatte in jener traurigen Nacht begonnen, als mich Maylpancer in einem Zweikampf gemeuchelt hatte. Mein Bewusstsein war in einen Block aus diesem geheimnisvollen PEW-Metall gewechselt. So hatte ich es beabsichtigt, doch so nicht, dass ich es freiwillig nicht mehr hatte verlassen können.

Damals hatte ich mich entschieden – in dem Wahn eine ganze Station beherrschen zu können – in der Stahlfestung Titan aufzugehen.

Es war der einzige Weg gewesen, um mich retten. Mein Leben zu retten. Die Verlockung eins zu werden mit der Stahlfestung Titan hatte mich bei diesem kühnen Versuch beflügelt. Ein gewaltiger Fehler!

Mehr als 70 Jahre fristete ich mein Dasein als Gefangener. Dann war ich entdeckt worden. Ich habe den Namen desjenigen vergessen, der mich im Auftrag eines ruhmlosen Coruns nach Paricza schaffen sollte. Ich wusste dennoch, dass es der widerliche Gucky war, der mir geholfen hatte. Mein Bewusstsein war in einen Cyborg transferiert worden. Ich schwor, für meine Verbrechen zu sühnen. So sollte ich 380 Jahre im Exil auf der Dschungelwelt Panor leben. Anfangs war ich wirklich bemüht gewesen, mein Versprechen zu erfüllen, doch schon nach 53 Jahren waren mir so meine Zweifel gekommen. Ich strebte nach der Macht auf dem Planeten. So schwang ich mich unter meinem Namen Spurjollan auf, um Panor zu unterwerfen. Doch nach 30jähriger, friedlicher und gerechte Regentschaft, kamen meine Feinde erneut. Es war um das Jahr 103 herum, als ich mich anschickte, Paricza zurückzuerobern. Es war mein Recht! Allerdings sah das nicht jeder so. Ich hatte mir ein kleines Imperium auf Panor aufgebaut. Springer und Pariczaner hatten unter mir gedient, bereit Paricza zu erobern. Doch abermals wurde ich verraten. Ausgerechnet mein Retter aus der Stahlfestung… wie war sein Name? Ah ja, Raoul Ginver. Ein Weltraumtramp, so hatte er sich genannt. Der kleine Tramp hatte aber keinen Schnauzer. Oh, sollte ich jemals einen seiner Nachfahren treffen, so würde ich ihm oder ihr den Kopf abreißen. Ginver war es gewesen, der mich an den Corun Garumar verraten hatte. Die Pariczaner hatten zusammen mit irgendwelchen Agenten einer komischen Hanse ein Kommando nach Panor geschickt und meinen Multicyborgkörper vernichtet. Es war ein ausgeklügelter Plan gewesen, denn so war mein Bewusstsein wieder in einen PEW-Metallblock zurückgekehrt, welchen meine Widersacher mitgebracht hatten. Mein Urteil hatte auf Ewigkeiten gelautet. Ich war wieder nach Titan zurückgebracht worden. Dort hatten sie mich in die tiefsten Ruinen der Stahlfestung gesperrt.

Etwas mehr als dreihundert Jahre später war ein Wissenschaftlerteam hier gewesen und versuchte, mich zu befreien. Von Terranern? Ich wies das Gnadenbrot der Affenabkömmlinge ab! Nein, eher würde ich Millionen Jahre hier fristen, als von einem Terraner befreit zu werden.

Durch einen Reporter hatten auch treulose Pariczaner Wind davon bekommen. Als Wissenschaftler getarnt hatten sie meine Säule noch tiefer in die verwüsteten Ruinen gebracht.

Den Zugang hatten sie gesprengt, die Katakomben hatten sie einstürzen lassen. Über meine Säule wurde ein Museum errichtet. Und ich geriet in Vergessenheit.

So war ich hier nun seit fast 1.200 Jahren ein einsamer Gefangener. Als sie gegangen waren, hatte ich auch jeden mentalen Kontakt zur Außenwelt verloren.

Ab und zu war ich in der Lage, weit oben, ja da oben auf der Oberfläche, Impulse zu empfangen. Ich versuchte die Personen zu kontrollieren. In Bewunderung an das unbekannte Ich, erzählten sie mir einiges. Doch schon rasch brach der Kontakt wieder ab. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine mutantischen Fähigkeiten. Als ob ich es nicht versucht hätte, sie hierher zu bringen. Doch es war vergebens. Ich war zu schwach. Geistig zu schwach. Ausgelaugt und müde. Doch ich konnte niemals schlafen.

Mein einziger physischer Kontakt zur Außenwelt war ein Leuchten, welches ich kontrollieren konnte.

Jeder andere wäre wahnsinnig geworden. Ich jedoch nicht. Niemand konnte Leticron bezwingen. Niemand!

Mein Hass gegen Perry Rhodan und seine Brut wuchs von Jahrhundert zu Jahrhundert. Tausendmal überlegte ich mir, was ich mit den Terranern machen würde, sollte ich jemals frei kommen. Ein müßiger Gedanke, doch er hielt mich bei Verstand.

Ich würde Rhodan und seine Brut abschlachten. Ich würde mich an den verräterischen Pariczanern rächen und die Nachfahren jener Verräter umbringen. Panor würde ich mit einer Arkonbombe zerstören, denn meine Vasallen hatten sich auch dort gegen mich gewandt. Und Gucky würde ich jedes einzelne Fellhaar rausrupfen.

Die Milchstraße würde erzittern. Und zum Schluss kam Rhodan dran.

Ah, welch herrlicher Gedanke. Rhodans Tod. Ich würde seine Familie vor seinen Augen meucheln, in kleine Scheibchen zerhacken und an wilde Tiere verfüttern. Ihm würde dieses angenehme Schicksal erspart bleiben, denn er würde tausend Tode sterben. Für jedes hier in Gefangenschaft verbrachte Jahr müsste Rhodan einmal sterben!

Haha, welch Freude würde das sein. Perry Rhodans Tod! Sein Tod! Mein Leben! Oh Gott, sollte es dich geben, so flehe ich dich an, befreie mich. Nur für einen Tag, an dem ich mich an Rhodan rächen könnte.

Aber was war es für ein Trugschluss, dem ich erlag, denn es ist mein Schicksal bis in alle Ewigkeit in Gefangenschaft zu leben...

 

15. Siddus und Anya

Das wird der schönste Tag in meinem Leben«, sprach Siddus zu sich selbst. Er richtete seine Frisur und betrachtete sich im Spiegel. Noch nie hatte er sich so herausgeputzt. Das lag aber auch daran, dass er gleich zu Anya Guuze gehen würde.

Schnell hastete er aus der kleinen Wohnung, rannte die Treppen hinunter und lief zum nächsten Transmitter.

Anya wohnte in Happytown. Per Transitbahn dauerte es immer ein wenig länger, um zu den Stadtteilen zu gelangen. Daher gab er lieber etwas Geld für den Transmitter aus.

Sie hatte ihm am Morgen eine kleine Skizze gesendet, damit er ihre Wohnung auf Anhieb fand.

Beeindruckt ging Siddus durch das luxuriöse Viertel, bis er zur Hammameschstraße kam. Dort wohnte sie: In der Hammameschstraße 5.

Aufgeregt begab er sich zu ihrem Haus und zitterte schon, als er den Klingelknopf sah. Plötzlich bekam er Angst! Er konnte nicht zu ihr. Was sollte er sagen? Was, wenn er sich tollpatschig benahm?

In dem Moment öffnete sich die Tür und Anya begrüßte Siddus freundlich. Bei ihrem Anblick war er sprachlos. Sie trug ein bauchfreies, rotfarbiges Top mit Rüschen an den Ärmeln, schwarze enganliegende Hosen, die ihr bis knapp über die Knie gingen und offene Stöckelschuhe.

Siddus spürte, wie einiges in ihm hochkam, doch er versuchte, sich zusammenzureißen.

»Hi...«, brachte er fast ängstlich hervor.

Sie bat ihn herein. Sein Herz rutschte ihm in die Hose, als er ihr Zimmer betrat und ihr offenes Bett vor sich sah. Die rote Bettwäsche ließ ihn auf seltsame Gedanken kommen. Siddus stockte und atmete tief durch.

»Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte Anya besorgt.

Die Terranerin bot dem Überschweren ein Glas Wasser an, das er in einem Zug austrank. Langsam kam er wieder zur Besinnung und ging weiter in das Zimmer herein. Der Umweltangepaßte ließ sich behutsam auf Anyas Bett nieder und hoffte, dass es nicht zusammenbrechen würde.

»Hast du den Weg gleich auf Anhieb gefunden?«, erkundigte sie sich.

»Wie? Welchen Weg?«, hakte Siddus entgeistert nach. Ihm fiel es schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf ihren Ausschnitt.

»Den Weg zu meiner Wohnung...«

»Ach so, den Weg zu deiner Wohnung. Ja, sag' das doch gleich. Ja, das ging gut. Hab' ich gleich gefunden...«

»Schön. Du hast doch diese Antipative Rechnungsabgrenzung oder wie das hieß begriffen?«

»Ja...«

»Kannst du es mir beibringen?«

»Alles was du willst...«

Siddus Hormone schienen mit ihm durchzugehen. Anya sah ihn ungläubig an und holte ihre Rechnungswesen-Unterlagen aus einer Tasche.

Sie machte das Videogerät an, welches gerade eine Sendung über die M100-Expedition vor drei Jahren brachte. Dabei wurden auch Archivaufnahmen von Aurec, Julian Tifflor und den anderen Helden der Dorgon-Expedition gezeigt.

Anya schwärmte heimlich für Aurec. Er war ein gutaussehender Mann, vielleicht ein paar Pfunde zu viel, dennoch strahlte er in ihren Augen Eleganz und Charme aus.

Ganz im Gegenteil zu ihrem Freund und auch dem Wesen, welches auf ihrem Bett hockte. Siddus schniefte laut und wippte von einer Seite zur anderen. Schweiß lief ihm von der Stirn.

Trotzdem machte er keinen unsympathischen Eindruck.

Sie lernten knapp zwei Stunden intensiv und Anya Guuze hatte nun das Thema um die Antizipative und Transitorische Rechnungsabgrenzung verstanden.

»Vielen Dank, Siddus. Du hast mir sehr geholfen. Das war furchtbar lieb von dir!«

Die Worte wirkten wie Balsam auf die Seele des Überschweren.

»Das habe ich sehr gerne getan. Ich... ich mag dich nämlich«, meinte er verlegen und blickte auf den Boden.

Anya lächelte. Es war für ihn ein so warmes Lächeln.

»Ich mag dich auch«, erwiderte sie.

Dann stand sie auf und entschuldigte sich für ein paar Minuten. Siddus nutzte die Gelegenheit, um sich etwas Luft zu verschaffen. Er lief aufgeregt im Zimmer hin und her.

Dann betrachtete er ihre beiden Meruuden. Meruuden waren meerschweinchenähnliche Pelztiere, die ähnlich wie Hamster, in den Haushalten der Terraner gehalten wurden. Die beiden Tiere waren sehr zutraulich zu Siddus. Er beschloss sie aus ihrem Käfig zu nehmen und mit ihnen zu spielen.

Der Überschwere fand sie so niedlich und freute sich wie ein kleines Kind, als sie über seine massigen Arme krabbelten.

Da kam Anya wieder herein und sah verwundert auf das Schauspiel.

»Was machst du da?«

Siddus erschrak und fing beinahe an zu weinen.

»Es... es tut mir leid. Ich wollte nur... nur spielen«, versuchte er sich zu entschuldigen.

Anya schüttelte nur den Kopf und stemmte die Arme in die Hüften.

»Nicht so schlimm, Siddus. Sie scheinen dich zu mögen. So zutraulich sind sie nur zu wenigen Menschen. Du scheinst dich gut mit Tieren auszukennen.«

Siddus lächelte verlegen.

»Na ja, ich konnte an meinem Plüschgucky üben«, erklärte er strahlend.

Anya lachte herzlich. Sie nahm nicht an, dass Siddus dies ernst meinte und interpretierte die Aussage als gelungenen Scherz.

Plötzlich klingelte der Türsummer auf. Anya lief die Treppen hinunter und öffnete die Tür mit einem Tastendruck. Vor ihr stand Krizan Bulrich.

»Hey, Schatzi!«, begrüßte er sie und küsste seine Freundin auf den Mund.

Anya war sichtlich irritiert, da Krizan sich noch um seinen Freund kümmern wollte. Sie konnte nicht ahnen, dass er Scarletta überdrüssig geworden war und nun lieber mit Anya Guuze schlafen wollte.

Sie bat ihren Freund hinaufzukommen, der wie eine Horde Dscherro die Treppe herauf rannte. Für einen Moment verharrte der Terraner in seinen Bewegungen, als er Siddus erblickte.

»Was macht der hier?«

»Er hat mir beim Lernen geholfen«, erklärte Anya und setzte sich auf das Bett.

Krizan musterte den Überschweren grimmig und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Sein Blick sprach Bände.

»Seid ihr damit fertig?«, wollte er nun wissen.

»Ja, sind wir. Ich habe ihr die Anti...«

»Wer hat dich denn gefragt, du fetter Freak!«, herrschte Krizan Siddus an.

Der sensible Überschwere zuckte innerlich zusammen und fing instinktiv an, die beiden kleinen Haustiere von Anya zu streicheln.

Krizan zündete sich eine Zigarette an und öffnete sich eine Bierflasche. Sein Blick ließ den Überschweren nicht mehr los.

»Es ist wohl besser, ich gehe jetzt«, meinte Siddus schließlich und erkannte die Situation.

Anya Guuze nickte leicht. Sie bedankte sich noch einmal herzlich bei dem Umweltangepaßten und brachte ihn zur Tür.

»Wir sollten uns öfters treffen, um zu lernen«, sagte sie laut, so dass es auch Krizan hören konnte.

»Gerne...«, brachte Siddus nur entgegen.

»Gut, also bis dann!«, verabschiedete sich die Terranerin und schloss die Tür.

Siddus stand noch eine Weile davor und dachte, wie schön doch die Welt sein konnte. Schnell verflogen wieder diese Gedanken, denn er konnte sich ausmalen, was Anya und Krizan jetzt treiben würden.

Das brach Siddus das Herz.

Kaum war der Überschwere aus der Tür, wurde Krizan wesentlich unfreundlicher. Er spielte sich wie ein Despot auf und stellte Anya zur Rede.

»Was soll das? Warum triffst du dich mit diesem Monster?«

»Er ist kein Monster, sondern ein sehr nettes Wesen«, rechtfertigte sich die schöne Terranerin. »Er hat mir für die Schule geholfen. Das ist ja wohl kein Verbrechen, oder?«

Krizan bebte innerlich. Er konnte Siddus auf den Tod nicht leiden. Es war für ihn eine Schmach, dass ausgerechnet seine Freundin ihn hinterging. Die Ironie in seinen Gedanken bemerkte der überhebliche Bulrich nicht, denn in Wahrheit hatte er seine Freundin hintergangen und nicht umgekehrt. Doch von seiner Affäre zu Scarletta wollte er natürlich nichts erzählen.

Er beschloss nun, den Beleidigten zu spielen.

»Wie du meinst! Wenn du mich nicht mehr willst, dann gehe ich eben«, sprach er theatralisch und wandte sich von Anya ab.

Sie ergriff seinen Arm und wollte ihn zurückhalten, doch er stieß sie weg. Anya wurde daraufhin sehr wütend und warf ihrem Freund einige unschöne Worte an den Kopf, der seinerseits auch mit Begriffen, die unter der Gürtellinie waren, konterte.

Schließlich verließ er wutentbrannt die Wohnung. Anya dachte eine Weile nach, dann rannte sie ihm hinterher.

Weinend warf sie sich in seine Arme. Ihre Angst, The Busch zu verlieren, war größer als ihre Selbstachtung.

Sie entschuldigte sich mehrmals bei ihrem Freund, obwohl sie im Recht war. Krizan imponierte das natürlich. Er fühlte sich männlich und stark. Der schmächtige Terraner ging wieder in die Wohnung seiner Freundin, schubste sie auf das Bett und verlebte mit ihr eine leidenschaftliche Nacht.

*

Am nächsten Morgen ging Siddus mit gemischten Gefühlen zur Schule. Einerseits war er froh, Anya wiederzusehen. Aber auf der anderen Seite hatte er große Angst vor The Busch, der sicherlich eifersüchtig war.

Der Überschwere fand die Tatsache, dass Krizan Bulrich auf ihn, einen hässlichen Überschweren, eifersüchtig war, fast schon belustigend. Jedoch wäre er nie in der Lage gewesen so ein Gefühl vor anderen zu zeigen. Er hatte viel zu viel Angst vor etwaigen Konsequenzen.

Es regnete in Strömen, der Himmel war dunkel, grau und nahtlos mit Wolken bedeckt. Die Regentropfen plätscherten auf Siddus Kopf. Der Umweltangepaßte hatte keinen Regenschirm mitgenommen, was er sehr bedauerte. Die kalten Tropfen in seinem Nacken ließen ihn zusammenzucken.

Anya stand zusammen mit Cattrin MacAdams, Sylke Stabum und Monica Manchester in einer Ecke des Schulhofes. Roppert und Krizan unterhielten sich mit einigen Freunden.

Siddus wusste nicht, wo er sich hinstellen sollte. Er blickte fragend in Anyas Richtung, die ihn jedoch nicht bemerkte, oder nicht bemerken wollte.

Dann entschloss er sich allen Mut zusammenzunehmen und zu den drei Terranerinnen zu gehen. Sylke und Monica kommentierten das Auftreten Siddus mit einem ungläubigen Blick, während Anya ihm freundlich zulächelte.

»Hallo«, brachte er schüchtern hervor. Die drei Mädchen grüßten zurück.

Siddus stand still vor Anya, schaute auf den Boden und grinste, als ob er nicht bis drei zählen könnte.

»Ach Mann, ich kann kaum laufen, kaum sitzen...«, quäkte Sylke laut.

»Warum denn nicht, Schatzi?« fragte Anya.

»Maryoh hat mich so durchgenommen, das geht auf keine Kuhhaut mehr. Die ganze Nacht ging's rund, von vorne, hinten, oben, unten und von der Seite«, erklärte die hippe Terranerin, die Schuhe mit 10 Zentimeter hohen Absätzen trug und eine Federboa über den Schultern.

Mir wird schlecht, dachte sich Siddus, ließ sich jedoch nichts anmerken.

Anya und Monica lachten gellend.

»Wie war denn Buschi gestern?«, wollte Sylke Stabum von ihrer besten Freundin wissen. Anya grinste etwas verlegen und meinte dann: »Na ja, das kann er wenigstens.«

Sylke lachte laut.

»Sex ist auch das wichtigste in einer Beziehung. Ich brauche jeden Tag einen Orgasmus, sonst werde ich nicht glücklich«, blökte die Terranerin, immer noch in breitbeiniger Pose, über den ganzen Schulhof, so dass es mehr als genügend Außenstehende mitbekamen. Doch dieser peinliche Auftritt war Sylke egal. Sie interessierte sich nicht für die anderen, sondern nur für sich.

Siddus wurde immer unwohler in dieser Runde. Nun kam auch noch Sonya Morrat hinzu, die ebenfalls ausführlich über ihr Liebesleben mit dem LFT-Soldaten Hannos berichtete. Dann begann sie sich über Fundl aufzuregen.

»Schätzchen, nun reg' dich mal ab. Morgen ist Wochenende und ich gehe auf 'ne geile Party. Wollt ihr nicht alle mitkommen?«, schlug Sylke vor.

Natürlich sagten alle zu. Siddus glaubte, dass er aus dieser Frage ausgeschlossen war, doch Sylke blickte ihn fragend an.

»Meinst du mich auch damit?«, wollte der Überschwere wissen.

Sylke lächelte und tätschelte ihn auf die Schulter.

»Aber klar doch, mein Großer.«

Siddus fühlte sich geehrt. Er glaubte fast dazuzugehören und sagte ebenfalls zu. Sylke freute sich darüber.

»Cool, ich hab dich noch nie auf einer Party gesehen. Wird bestimmt lustig. Außerdem hab ich noch nie mit einem Ertruser gevögelt, die müssen ja Megaschwänze haben.«

Siddus lief rot an. Er hatte wahrlich noch keine Frau getroffen, die so vulgär war wie Sylke Stabum. Doch sie war genauso dumm wie ausgefallen, denn sie kannte nicht den Unterschied zwischen einen Ertruser und einem Überschweren.

Siddus machte dies wenig aus. Er identifizierte sich nicht mit dem Volk der Pariczaner. Er nicht, doch es gab andere, die es taten...

 

16. Einsamkeit

Das Wort Einsamkeit hatte in meinem Leben eine neue Dimension bekommen. Sie war ewig und der schlimmste Feind eines Lebendigen. Ich war unsterblich, welch ein Fluch...

Ich wollte sterben, doch es ging nicht! Ich wollte hier raus, doch niemand hörte meine mentalen Schreie.

Einst war ich Corun von Paricza und Erster Hetran der Milchstraße. Dieser Glanz war vergangen. Nun war ich ein Nichts. Ich existierte eigentlich nicht einmal mehr. Welch ungerechtes Ende für den größten Feldherren des Universums.

Gab es einen Gott? Nein! Gab es einen Satan? Nein! Denn keiner hat mir Gerechtigkeit zuteil werden lassen, obwohl beide gute Gründe gehabt hätten. Gott, weil er so großmütig sein sollte; der Teufel, weil ich ihm wohl gute Dienste erwiesen hatte.

Doch ich war dazu verurteilt, hier auf immer zu vegetieren. Ich konnte nicht sterben, ich konnte nicht leben, ich konnte nichts. Ich konnte nicht einmal schreien, gegen irgendetwas treten, weinen und meinem Schmerz freien Lauf lassen.

Ich hielt das nicht mehr aus!

Doch... Was war das? Ein Geräusch! Licht! Licht erhellte den Raum, der seit über tausend Jahren im Dunkeln lag.

Da kam jemand. Ich spürte ihn deutlich.

Es war ein Terraner. Haha, ein Terraner kam hierher! Was wollte er? Wollte er mich endlich erlösen und meinem Leben ein Ende setzen? War es Rhodan selbst?

Komm' her und vernichte die Säule. Sieh' das rote Leuchten! Es ist ein Flehen nach dem Tode. Ich will endlich sterben. Hilf mir, Terraner! Hilf mir...

*

Amon Terbarskis Augen hatten sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt. Seine kleine Energielampe spendete nur wenig Licht. Schnell fiel ihm das seltsame rote Leuchten der durchgebrochenen Säule auf.

Ihm überkam ein Gefühl der Angst. Hastig schwenkte er mit der Lampe durch den gesamten Raum. Das einzige, was er fand, waren riesige Spinnen in ihren Netzen.

»Hey, Hurada. Kommt ihr endlich mal oder soll ich hier noch vor Angst sterben?«, rief er in den Raum und meinte damit seine Kollegen, die versuchten, die Halle auf weniger unsanfte Weise zu erreichen, als es der russische Wissenschaftler getan hatte.

Diese Hallen mussten eine zentrale und wichtige Funktion in der Stahlfestung Titan gehabt haben. Welche Rolle sie genau spielten, wusste Terbarski jedoch nicht zu beantworten.

Das Leuchten der Säule ließ ihn immer noch erschaudern.

Was ist das?, fragte sich der Russe gedanklich. Eine Mischung aus Furcht und Neugier, zwei natürliche Eigenschaften der Menschen, überkam ihn.

Nun erreichten auch Hurada Yamaka und die anderen den Forschungsleiter, der wie gebannt auf die PEW-Säule starrte.

»Beim verstorbenen Tenno, was ist das denn?«, wollte Hurada wissen.

»Beim verstorbenen Zaren, ich habe keine Ahnung, mein Freund«, entgegnete Amon Terbarski ruhig.

Eine Weile kehrte wieder Ruhe in die dunklen Hallen ein. Niemand aus dem terranischen Wissenschaftlerteam wagte es, auch nur eine Silbe hervorzubringen.

Dann brach Terbarski das Schweigen.

»Was immer es auch ist. Es gefällt mir nicht. Gebt denen da oben Bescheid, dass wir die Anlagen sprengen!«

Hurada glaubte nicht, was er da hörte. Er packte Amon an dem Arm.

»Dieses Ding da ist ein sensationeller Fund. Wir sollten es mitnehmen und die Anlagen hier erforschen, bevor wir sie vernichten. Vielleicht finden wir hier Daten, die der Nachwelt nicht verborgen bleiben sollten.«

Aus der Stimme des Japaners klang viel Selbstlosigkeit. Er hatte tatsächlich nur die möglichen historischen Informationen vor Augen. Ein etwaiger Ruhm, der durch die Entdeckung und Bekanntmachung eines so seltsamen Fundes mit sich brachte, war für ihn uninteressant.

Terbarski war versucht seinem Assistenten zuzustimmen, doch eine innere Stimme riet ihm davon ab.

Irgendetwas Gefährliches kam aus der Säule. Das spürte der russische Wissenschaftler in allen Knochen.

Er schüttelte den Kopf und verriet Yamaka damit, bereits bevor er die Lippen öffnete, die Antwort.

»Nein, mein Entschluss steht fest. Wir sprengen sofort. Macht, dass ihr hier herauskommt«, sprach er energisch und meinte damit besonders Yamaka.

 

17. Die Neue

Neve Prometh fühlte sich nicht sonderlich wohl an ihrem ersten Schultag in der neuen Stadt. Sie kannte kein Wesen auf dem Campus und irgendwie machten die Leute auf das Mädchen aus einer ländlichen Kleinstadt in dem Bundesstaat Nordamerika keinen vertrauenerweckenden Eindruck.

Vielleicht mochte sie ihr Gefühl aber auch täuschen. Sie wusste das nicht zu beantworten und musste die Mitschüler erst einmal kennenlernen, bevor sie sich ein Urteil bilden konnte.

Neve hoffte, dass sie hier nicht mit Vorurteilen gegen ihre Person, insbesondere gegen ihre Mutter, zu kämpfen hatte.

Hier kennt mich keiner, versuchte sie sich zu beruhigen. Hier kennt niemand die Verbrechen meiner Mutter...

Neve Prometh war 19 Jahre jung, schlank und wirkte sehr natürlich. Sie hatte schulterlanges braunes Haar, und ihre Augen besaßen dieselbe Farbe.

Die Erlebnisse in ihrer Jugend hatten die Terranerin sehr geprägt.

Zuerst hatte sie eine normale und wunderschöne Kindheit verlebt und glaubte, die besten Eltern der Welt zu haben, bis sie entdeckte, dass ihre Mutter Geheimnisse vor ihr und ihrem Vater gehabt hatte. Es waren tödliche Geheimnisse gewesen!

Neves Mutter war eine psychopathische Mörderin gewesen, die ihre Opfer zuerst verführt und dann getötet hatte. Die Ursachen dieser grausamen Taten mussten wohl in der Kindheit von Neves Mutter gelegen haben, meinten die Psychologen, die jedoch keine befriedigende Antwort liefern konnten.

Nach dem Massaker, bei dem sieben Männer und Neves Mutter gestorben waren, die von einem Polizisten erschossen worden war, waren Neve und ihr Vater in eine andere Gegend gezogen. Doch immer wieder wurden sie von der Presse und der grausamen Story verfolgt.

Das nun schon seit drei Jahren. Seitdem lebten sie nirgendwo länger als zwei bis drei Monate. Neve hatte keine Freunde und stumpfte innerlich ab. Sie verlor das Vertrauen in andere Menschen, da ihre alten Freunde aus Nordamerika sich von ihr fernhielten.

Ihr Vater schien besser mit den Dingen umzugehen. Er hatte eine neue Frau kennen und lieben gelernt.

Sie hatten geheiratet, doch das war zu Neves Nachteil, denn die Managerin aus Terrania City mochte Alex Promeths Tochter nicht sonderlich. Sie versuchte alles, um sie aus dem Haus zu ekeln, in das sie vor wenigen Wochen gezogen waren.

Ein erster Schritt war die Beschaffung eines Ausbildungsberufs in ihrem Unternehmen. Dort sollte sie als Bürokommunikationsassistentin arbeiten.

Neve gefiel dieser Job nicht. Sie wollte Schauspielerin werden oder eine vergleichbare kreative Arbeit tun. Genau wusste sie es selber noch nicht.

Auf alle Fälle war sie keine Sekretärin oder Bürofrau.

Doch sie hatte keine andere Wahl, als den Job anzunehmen, da ihre Stiefmutter ihr drohte, sie sonst aus dem Haus zu werfen.

Die Arbeit in dem Unternehmen mochte die Terranerin schon nach zwei Tagen nicht mehr. Vielleicht, so hoffte sie, würde die schulische Ausbildung besser verlaufen.

Neve versuchte, von außen keinen eingeschüchterten Eindruck zu vermitteln, doch es fiel ihr schwer, den sorglosen Teenager zu spielen.

Sie trug eine lässige Kombination aus eine blauen Jeanshose und einem schwarzen Pullover. Neve fühlte sich gleich auf dem großen Schulhof verloren und blickte all die unbekannten Schüler an.

Es war schwer für sie, Kontakt aufzunehmen. Was, wenn sie jemand kannte? Neve atmete tief durch und peilte eine Gruppe von Schülern an, die sehr heiter schien. Es waren einige Frauen und ein Überschwerer.

»Hi, wisst ihr, wo ich einen gewissen Fundl finde?«, fragte sie schließlich höflich.

Die Mädchen guckten sie eine Weile verwirrt an und fingen dann an zu lachen. Neve fühlte sich auf den Arm genommen. Besonders unangenehm fiel ihr eine kleine, in ihren Augen zu sehr aufgetakelte Frau mit den blonden Haaren auf, die besonders schallend lachte.

Neve Prometh verschränkte die Arme vor dem Bauch und blickte sauer in die Runde.

»War das jetzt so komisch?«, wollte sie genervt wissen.

Da meldete sich eine brünette Terranerin zu Wort.

»Entschuldige, aber wer mit gesundem Menschenverstand will etwas von Fundl?«

»Er soll mein neuer Klassenlehrer sein«, erklärte Neve.

Langsam beruhigten sich die Terranerinnen. Die Nordamerikanerin beobachtete den Überschweren, der teilnahmslos an der Seite stand und auf sie etwas naiv und weltfremd wirkte.

Die Braunhaarige erklärte: »Fundl ist auch unser Klassenlehrer und niemand mag ihn.«

»Aha«, machte Neve und ahnte, was auf sie zukommen würde.

»Aus welcher Klasse bist du denn?«, hakte die Blondine mit dem schallenden Lachen nach.

»Ich nehme an in der selben wie ihr, wenn ihr Bürokommunikation als Ausbildung habt«, meinte Neve Prometh mit einem verstohlenen Lächeln.

Mit ihrer Vermutung lag sie richtig. Die neuen Klassenkameraden stellten sich untereinander vor. So fand die »Neue« heraus, dass die Brünette Sonya Morrat hieß, die Blondine Anya Guuze, ihre beste Freundin Sylke Stabum, die große Blonde mit den kurzen Haaren Monica Manchester, die kleine dürre Terranerin Cattrin MacAdams und der gigantische Überschwere Siddus.

»Es freut mich eure Bekanntschaft zu machen«, sagte Neve ehrlich.

Anya musterte sie abfällig, während die anderen sie herzlich willkommen hießen. Sonya und Sylke wollten sich anscheinend ihrer annehmen.

»Hör' zu, Schätzchen. Du hast wahrscheinlich den größten Fehler deines Lebens gemacht, als du dich für diesen miesen und öden Job verpflichten ließest«, erklärte Sylke mit einem seltsamen Unterton.

»Wie darf ich das verstehen?«, forschte Neve Prometh misstrauisch nach.

Sie bekam im ersten Moment Angst, dass dieser Ausspruch gegen ihre Person gerichtet war, doch Sylke erzählte, dass Fundl der unsympathischste Lehrer auf der ganzen Schule sei und der Unterricht eine einzige große Langeweile.

In dem Moment erklang das Zeichen für den Unterrichtsbeginn. Mit gemischten Gefühlen folgte Neve den Terranerinnen zu dem Klassenzimmer.

Fundl wirkte wie jeden Morgen unausgeschlafen und war grantig. Zuerst bemerkte er Neve Prometh gar nicht und begann mit dem Unterricht, bis ihm das neue Gesicht auffiel.

»Hast du dich verlaufen?«, fragte er scherzhaft.

Die Blicke der anderen fielen sofort auf Neve. Sie starrten sie an und schienen sie zu durchdringen. Allen voran Ulryke Schmaltz, Sylke Wird und Nadya Hansalight.

Schon jetzt waren Neve die drei völlig unsympathisch.

Die junge Terranerin fühlte sich unbehaglich. Sie hörte hinter sich ein unterdrücktes Lachen, dass von dem Terraner Roppert Nakkhole kam. Neben ihm saß Anya Guuze, die ebenfalls breit grinste. Anscheinend hatte sie einen Witz über Neve gemacht.

»Nein, ich wurde dieser Klasse zugeteilt. Ich habe eine Ausbildung bei der Investmentfirma Medias begonnen«, erklärte die Nordamerikanerin ruhig.

»Ach so, seltsam, dass ich nichts davon weiß«, meinte Fundl und forschte in seinen Unterlagen nach.

»Sie wissen ja eh nie etwas«, antwortete Sonya anstelle von Neve, der das sichtlich peinlich war. Die Klasse brach in Gelächter aus.

»Ach Sonya, nun mach nicht schon wieder am frühen Morgen so einen Ärger, sonst kannst du gleich in dein Unternehmen gehen, verstanden?«

Die Drohung von Fundl schien gefruchtet zu haben, denn Morrat erwiderte nichts mehr.

Nun schien der Lehrer endlich eine Notiz über Neve Prometh gefunden zu haben. Er entschuldigte sich nicht für sein seltsames Benehmen, hieß die Terranerin allerdings herzlich willkommen und legte ihr nahe, sich nicht so wie die Primaten hinter ihr zu benehmen, sondern anständig zu lernen.

Neve gefiel die Ausbildung von Minute zu Minute weniger.

*

Völlig erschöpft schleppte sich Neve von der Transmitterstation zu dem Haus ihrer Stiefmutter.

Die Schule war anstrengender als sie dachte. Nicht der Unterrichtsstoff hatte sie geschlaucht, sondern die Art und Weise, wie Kirk Fundl und ihre Mitschüler die Fächer führten.

Diese Klasse bestand in Neves Augen aus Chaoten, die sich über ihre Pubertät hinaus nicht weiterentwickelt hatten.

Besonders negativ fiel ihr Sonya Morrat und Sylke Stabum auf, die zwar freundlich zu ihr waren, jedoch Neve auch am meisten auf die Nerven gingen.

Sylke stand ständig unter Drogen und erzählte von ihren sexuellen Erlebnissen. Sonya lag stets im Streit mit Fundl oder berichtete ebenfalls akribisch über ihr Sexualleben.

All das interessierte Neve nicht sonderlich. Sicherlich war sie auf der Suche nach neuen Freunden, denn sie konnte diese Einsamkeit nicht ertragen. Ob diese Terraner jedoch die Richtigen waren, bezweifelte sie.

Immerhin schien sie niemand zu kennen. Das war der Vorteil einer Großstadt. Man konnte leichter untertauchen.

Das Haus ihrer Stiefmutter war groß und luxuriös. Die Möbel passten zu dem Charakter der Managerin: Sie waren modern und wirkten angeberisch.

Lana Allois war 67 Jahre alt und sah für ihr mittleres Alter bereits ziemlich verbraucht aus, konnte dies jedoch mit vielen Schönheitsoperationen und viel Make-Up wettmachen. Sie war sehr reich und hatte einen sonderbaren Einfluss auf Neves Vater Alex.

Neve glaubte, dass er ihr schon fast hörig war. Warum, wusste sie nicht. Vielleicht war er nie über die Enttäuschung und den Verlust ihrer Mutter hinweggekommen und suchte in Lana Allois eine neue Vertrauensperson.

Neve war allerdings enttäuscht, dass er sich selbst so sehr demütigte und alles tat, was seine neue Ehefrau verlangte. Das betraf leider auch seine eigene Tochter.

Er überließ es Lana, sie zu erziehen, da Frauen das seiner Auffassung nach besser konnten. Die junge Terranerin fühlte sich nun auch von ihm im Stich gelassen und völlig alleine.

Ein weiterer Bewohner des Hauses war der Hausdiener, ein Jülziisch, den Lana Allois einfach nur James nannte, da sie sich diese »unaussprechlichen Namen« sowieso nicht merken konnte.

Der Tentra-Blue akzeptierte seinen neuen Namen aufgrund des guten Gehalts, welches er bekam.

Neve begrüßte ihn freundlich und gab ihm ihre Jacke und Tasche.

Ihre Stiefmutter war nicht zuhause und ihr Vater schien mit Freunden zu golfen. Erleichtert ging sie auf ihr Zimmer und beschloss erst einmal abzuschalten.

In dem Moment bekam sie einen Anruf von Sylke Stabum. Ihre »Freundin« fragte Neve, ob sie Lust hätte morgen ebenfalls auf die Party zu gehen.

Die junge Prometh willigte ein und freute sich sogar etwas auf die Party. Das bedeutete, sie kam unter Menschen und vielleicht würde sie sogar ein paar neue Freunde finden.

 

18. Wie ein Phönix aus der Asche...

Sie haben mein Leuchten bemerkt. Was machen sie? Befreien sie mich? Nein! Das können sie nicht. Dazu sind die Terraner zu primitiv.

Aber vielleicht erlösen sie mich aus meiner ewigen Gefangenschaft. Ich kann nicht hören, was sie sagen.

Ich kann Tendenzen spüren. Sie wollen den Ort verlassen, denn sie haben Angst. Sie wollen ihn vernichten.

Ja!

Das bedeutet mein Ende. Nach 1300 Jahren Gefangenschaft werde ich erlöst.

»Ja, das wirst du!«

Eine Stimme! Wer bist du?

»Dein Freund und Retter. In wenigen Minuten wirst du frei sein.«

Ich weiß. Sie werden die Säule zerstören und ich kann endlich meine Ruhe finden.

»Nein! Dir ist ein anderes Schicksal bestimmt. Du wirst neue Macht erlangen und den töten, den du am meisten verachtest.«

Ich verstehe nicht. Wer bist du?

Melde dich! Rede mit mir! Fremder, wo bist du?

Er ist weg. War das eine Halluzination von mir? Bin ich wahnsinnig? Nein, unmöglich. Mein Verstand ist so scharf wie nie. Alle anderen Wesen wären geisteskrank geworden, doch nicht ich! Nicht ich! Ich bin normal geblieben! Haha, ganz normal! Ja, kommt her und tötet mich. Erlöst mich!

Dann habe ich es endlich hinter mir...

*

Sagt den beiden Männern in dem SHIFT Bescheid, dass sie ihn startklar machen sollen. Alles entbehrliche Personal ist bereits wieder auf die Oberfläche. Der Rest beeilt sich ein bisschen mit dem Legen der Sprengsätze«, forderte Amon Terbarski seine Leute laut auf.

Neun Männer und Frauen schwebten wieder zur Oberfläche, während elf noch in den Höhlen blieben.

Hamon Ublani sang ein heiteres Volkslied aus Kenia, während er die Funksprengsätze an den Wänden befestigte.

Plötzlich hörte er ein seltsames Geräusch. Es klang wie das Klappern einiger Steine. Misstrauisch leuchtete er mit der Energielampe in einen Stollen.

»Ist da jemand?«, fragte er laut.

Natürlich blieb eine Antwort aus. Er kratzte sich an seinen kurzen, gekräuselten schwarzen Haaren und beschloss in den Stollen zu gehen.

Mit jedem Schritt wuchs seine Angst. Er atmete flach und häufig. Der Sauerstoff war sehr dünn und ließ den Afroterraner nun etwas schwerer atmen.

Wieder hörte er das seltsame Geräusch.

»Hallo?«, rief er in das Schwarz vor ihm, doch abermals ereilte Ublani keine Antwort. Seine Schritte wurden kleiner und bedächtiger.

»Oh, ich spüre deine Angst, Terraner. Du trägst sie mit dir wie einen üblen Geruch«, erklang plötzlich eine dunkle und heisere Stimme.

Hamon erschrak und ließ vor Angst die Lampe fallen, die kaputt ging. Er lief zurück. Dabei schlug er mit dem Kopf gegen einen Stalaktiten und fiel unsanft zu Boden.

Während er noch mit den Schwindelgefühlen zu kämpfen hatte, näherte sich dem Terraner langsam ein humanoides Wesen. Es war völlig in schwarz gekleidet, der kahle rote Kopf mit dem seltsamen Mal unter einer Kutte verhüllt, in der rechten Hand den Caritstab, der zugleich eine Waffe war.

Hamon Ublani kroch weiter und weiter. Doch er sah nicht einmal wohin er sich bewegte. Der andere folgte ihm langsam. Ein rotes Leuchten umgab ihn und erhellte den Stollen.

Ängstlich drehte sich Ublani um und blickte in die feuerfarbenen, lodernden Augen seines Verfolgers.

»Wer... wer bist du?«, stotterte der Afroterraner.

»Der, der dich zu deinem Gott schickt«, sprach der Rote kalt und durchbohrte Ublani mit seinem Stab.

*

Amon Terbarski hatte immer noch ein ungutes Gefühl. Unruhig lief er auf und ab.

»Wie weit seid ihr?«

»Fast fertig«, berichtete Yamaka.

Plötzlich fing die Höhle an zu erzittern. Geröll fiel von den Wänden und der Decke auf den Boden.

Die Wissenschaftler versuchten irgendwo Schutz zu suchen. Terbarski fiel auf den Boden und robbte zur Säule, die immer noch rot leuchtete.

Vier seiner Leute wurden von den Steinmassen erschlagen, ehe das Beben aufhörte. Entsetzt kümmerten sich Yamaka und die anderen um die vier Toten. Sie versuchten, sie wiederzubeleben, doch es war sinnlos.

Terbarski, der an der Schläfe blutete, rief den SHIFT. Er bekam jedoch keine Antwort. Der Russe konnte auch nicht wissen, dass der SHIFT für das Beben verantwortlich war, als er direkt über dem Eingang der Höhle abstürzte.

»SHIFT, meldet euch. Wo seid ihr?«

»Sie sind tot. Es ist sinnlos, Terraner«, erklärte der Rote, der langsam in die Halle schritt.

Terbarski, Yamaka und die anderen vier Wissenschaftler stellten sich zusammen. Demonstrativ zogen sie ihre Waffen und hielten sie auf den Fremden.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«, wollte Terbarski wissen.

»Meine Name ist Cau Thon. Ich bin hier, um euch zu vernichten«, sprach er ruhig. Sein überlegenes Lächeln, verwandelte sich in eine Hasserfüllte Grimasse.

Er hob die Hand und die Terraner, abgesehen von Yamaka und Terbarski, begannen sich zur Schmerzen zu krümmen. Sie schrien und jammerten, Blut floss aus ihren Mündern, bevor sie zusammenbrachen und aufhörten zu atmeten.

Terbarski war entsetzt. Es war schwer für ihn, die Tränen zurückzuhalten. Fassungslos starrte er auf die Toten, dann zu Cau Thon.

Yamaka bekam es mit der Angst zu tun und wollte wegrennen, doch Cau Thon warf ihn telekinetisch gegen eine Wand.

Hastig griff Hurado zu seinem Thermostrahler und schoss auf Cau Thon, der sich geschickt abduckte. Die nächsten Salven wehrte er mit seinem Caritstab ab, der die Schüsse reflektierte und direkt neben dem Japaner einschlagen ließ.

»Hurado, wirf die Waffe weg, er tötet dich sonst«, rief Terbarski seinem Assistenten zu. Doch der hörte nicht. Die Angst hatte seine Sinne vernebelt. Zitternd hielt er die Waffe auf Cau Thon gerichtet, konnte jedoch nicht mehr abdrücken.

Thon nahm die spitze Seite des Stabes und rammte sie dem Terraner in die Brust. Hurado Yamaka schrie kurz auf, dann hörte sein Herz auf zu schlagen.

Nun wandte sich der Sohn des Chaos dem letzten Überlebenden zu; Amon Terbarski selbst. Der russische Wissenschaftler wich zurück und hob die Hände.

»Ich kapituliere«, erklärte er ruhig.

Cau Thon grinste überheblich.

»Gefangene sind unerwünscht. Du und deine Leute standen mir einfach im Weg.«

»Warum?«

Cau Thon deutete auf das rote Leuchten.

»Wegen ihm!«

Terbarski sah ungläubig zur Säule. Er musste an Ublanis Geistergeschichten um Leticron denken. Langsam begriff er, dass vielleicht etwas Wahres daran sein musste. Langsam drehte Amon seinen Kopf wieder zu Cau Thon.

Sein Herz klopfte doppelt so schnell, wie sonst. Schweiß rann ihm von der Stirn, die Hände zitterten.

»Ihm? Ist das… ist das Leticron? Er ist noch hier? Oh mein Gott! Sie… Sie! Sie wollen ihn befreien?«

»Wie scharfsinnig du doch bist, Terraner.«

»Oh mein Gott! Das dürfen Sie nicht! Er ist ein Verbrecher, ein Monster. Er würde versuchen, viel Unheil über die Galaxis zu bringen!«

Thon nickte unmerklich.

»Deshalb habe ich ihn auserwählt.«

Terbarski fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. Er fing an zu schreien. Der Russe hatte die Beherrschung verloren.

»Das ist doch Wahnsinn«, rief er durch die Halle, »das ist wie in einem Horrorfilm. Ich will endlich aufwachen!«

Cau Thon schüttelte den Kopf und ging langsam zu dem Terraner. Er legte seine Hände auf die Schultern des Wissenschaftlers.

»Du kannst das alles nicht verstehen, Terraner. Dazu ist dein Hirn zu winzig. Die einzige Möglichkeit dem Horror zu entkommen ist zu ruhen, ewig zu ruhen...«

Terbarski verstand zuerst nicht. Dann dachte er wenige Sekunden über die Worte Cau Thons nach und verstand die Aussage.

Entsetzt blickte er in die feuerroten Augen der diabolischen Kreatur. Er spürte die Hände des Roten an seinem Nacken.

Angst war das einzige, was Terbarski noch spürte. Er wollte noch nicht sterben. Das war sein letzter Gedanke. Die starken Hände von Cau Thon durchbrachen das Genick des Terraners wie ein Streichholz.

Innerhalb weniger Minuten hatten zweiundzwanzig Terraner und Terranerinnen ihr Leben gelassen. Cau Thon bewegte sich durch ein Massengrab.

Nachdem er einen kurzen Blick über die Leichen streifen ließ, konzentrierte sich der Sohn des Chaos auf die rot leuchtende Säule.

Langsam ging er auf das letzte erhaltene Monument der Stahlfestung Titan zu. Jeden Schritt kostete er innerlich aus. Der Zellaktivatorträger wusste genau, welch wertvoller Verbündeter dort gefangen war.

Etwa zwanzig Zentimeter vor der Säule blieb Thon stehen, streckte eine Hand aus und berührte den PEW-Block.

In diesem Moment nahm er telepathischen Kontakt zu der Kreatur in der Säule auf.

*

Was ist passiert? Warum sind sie alle tot? Und wer ist dieses andere Wesen? Wie es aussieht, hat er sie alle getötet. Respekt! Diese terranischen Würmer haben wie trächtige pariczanische Weiber bei der Geburt ihres Kindes geschrien und konnten seiner Macht nichts entgegensetzen!

»Leticron?«

Er nimmt wieder Kontakt mit mir auf... Was will er von mir?

Ja, Fremder? Wer bist du? Was willst du?

»Ich bin Cau Thon. Abgesandter der Mächte des Chaos. Mein Herr ist MODROR – ein Titan des Universums.

Ich bin gekommen, um dich zu befreien, Corun von Paricza! Ich bin hier, um dir die relative Unsterblichkeit und einen Pakt mit meinem Meister anzubieten.«

Ich bin unsterblich, du Narr! Das ist mein Problem. Körperlos in diesem Block auf alle Ewigkeit gefangen. Dieses Schicksal ist mir vorherbestimmt, kein anderes.

»Hört sich so der große Leticron an? Du scheinst nicht zu verstehen, du Tor! Ich biete dir uneingeschränkte Macht.

In einem neuen mächtigen Körper.

Relative Unsterblichkeit – und die Möglichkeit dich an Perry Rhodan zu rächen.«

Nach 1200 Jahren wieder frei. Nach 1200 Jahren wieder einen Körper spüren? Wenn du das bewerkstelligen kannst, Cau Thon, stehe ich dir zu Diensten.

»Ich kann, Leticron. Und unsere Zusammenarbeit soll nicht zu deinem Nachteil sein, das verspreche ich dir.«

Ist meine ewige Gefangenschaft damit vorbei? Ist das ein Traum? Soll ich endlich Gerechtigkeit erfahren? Wenn dem so ist, wenn ich tatsächlich wieder ein mächtiges Wesen sein kann, wenn ich Perry Rhodan für seine Untaten bestrafen und das Volk der Pariczaner zu seinem Ruhm führen kann, dann willige ich ein!

Ja, ich schließe einen Pakt mit dir und deinem Meister! Gebt mir einen neuen Körper und sagt mir, was ich tun soll.

»Nicht viel, mein Freund, nicht viel. Nur eines: Vernichte Perry Rhodan und sabotiere das Projekt der Entität DORGON.«

 

19. Eine Party mit Folgen

Neve Prometh hat sich eine enganliegende Hose und ein bauchfreies Top angezogen, womit sie unfreiwillig die Blicke der Männer auf sich zog, als sie die große Halle betrat, in der die Feier stattfand.

Die Lagerhalle befand sich in Happytown und wurde von einem reichen Jugendlichen gemietet, um seine Geburtstagsparty zu feiern.

Zuerst blickte sich Neve etwas unbehaglich um, wurde von zwei Männern angebaggert und bestellte sich etwas zu trinken. Die Halle war knapp 50 mal 50 Meter groß und hatte mehrere zusätzliche Räume, wo sich die Gäste zu zweit vergnügen konnten.

Eine große Soundanlage sorgte für eine Akustik, die wahrscheinlich noch in Atlan Village zu hören war. Die Boxen erzeugten ein mittleres Erdbeben, doch das interessierte keinen. Zu moderner Elektromusik tanzte knapp die Hälfte der etwa 300 Gäste in der großen Halle, ohne Rücksicht auf andere.

Neve gefiel die Musik nicht so sehr. Sie hatte generell nicht viel für solche Massenzelebrationen übrig.

Dann erblickte sie Siddus, der ähnlich verloren wirkte. Die Nordamerikanerin beschloss, zu dem Überschweren zu gehen.

Mit einem Lächeln begrüßte sie den schüchternen Überschweren, der verstohlen zurücklächelte.

»Hi Siddus! Wie geht es dir? Vergnügst du dich?«

Der Umweltangepaßte schüttelte den Kopf. Er kniff die Augen zusammen; eine Marotte, die eher zu Neve passte, und suchte nach den passenden Worten.

»Das ist nicht so meine Musik«, sagte er mit einer ungewöhnlich sanften Stimmte.

Neve lachte und fasste dem Giganten an die muskulöse Schulter.

»Mir geht es genauso. Wo sind die anderen?«

Siddus deutete auf die Tanzfläche, wo sich Roppert, Krizan, Sylke, Sonya und Anya rhythmisch bewegten. Anya blieb plötzlich stehen, holte eine Bürste aus ihrer Tasche und kämmte sich das wallende Haar.

Neve verdrehte die Augen und schüttelte mit dem Kopf.

»Diese Anya scheint ziemlich eingebildet zu sein«, stellte sie abfällig fest.

Siddus taten diese Worte natürlich sehr weh. Er liebte Anya, auch wenn es eine einseitige Liebe war. Den ganzen Tag vergnügte sich Anya mit ihrem Freund Krizan.

»Sag das nicht. Sie ist eine sehr liebe Frau. Sie hat ein großes Herz, ist wunderschön und die Prinzessin in meinen Träumen...«

Neve sah den Riesen ungläubig an. Sie schüttelte mit einem leichten Grinsen den Kopf und stemmte die Hände an die Hüften.

»Das klingt ja so, als bist du in sie verliebt!«

Der Überschwere fühlte sich ertappt. Noch nie hatte er jemandem außer Michael Shorne von seinen Gefühlen erzählt. Er suchte hastig nach Worten, doch stammelte nur Unverständlich herum, bevor Neve wieder das Wort ergriff.

»Keine Sorge, es bleibt mein Geheimnis. Aber ich kann nicht verstehen, wie du auf so eine eitle Gestalt stehen kannst. Außerdem würde das schon anatomisch nicht passen.«

Siddus wusste, dass Neve recht hatte. Seine Tränensäcke fühlten sich auf einmal schwer an und fingen an zu jucken. Plötzlich brach er in Tränen aus.

Neve bekam ein schlechtes Gewissen und legte ihren Arm um den inzwischen sitzenden Überschweren. Sie reichte ihm ein Taschentuch und versuchte ihn aufzubauen.

Unglücklicherweise bekamen die anderen diese Szene mit und rannten sofort zu den beiden.

»Voll fett krass, Alter!«, stellte The Busch fest, während Roppert etwas verständnislos auf den Überschweren und die Terranerin blickte.

»Ey, Alter, heulst du wieder, Überfettmann?«, stichelte Krizan.

Anya mischte sich ein und wies ihren Freund zurecht, wobei es wieder in einen Streit ausartete.

»Lasst ihn doch endlich in Ruhe und geht wieder tanzen«, forderte Neve die Clique auf, erntete allerdings keine Lorbeeren.

»Du bist erst einen Tag in der Klasse und führst dich schon wie die Miss Terrania auf«, meckerte die unter Drogen stehende Sylke herum.

Nun erhob auch Roppert das Wort: »Sylke, ich glaube, sie hat recht. Starren wir Siddus nicht so an. Geht wieder tanzen. Ich kümmere mich um ihn.«

Die drei gingen wieder auf die Tanzfläche und tuschelten über Neve und Siddus. Anya konnte Neve nicht ausstehen, besonders da die Männer sie sehr attraktiv fanden und Anya Guuze natürlich die Schönste auf der Feier sein wollte.

Die Party lief auf Hochtouren. Unmengen an Litern Bier, Whiskey, Rum, Wodka und Vurguzz flossen. Unzählige Pillen Designerdrogen und Tüten von Pulverdrogen wurden eingenommen, um die Stimmung anzuheben.

Sylke tanzte wie wild zu den elektronischen Klängen. Der Schweiß floss ihr in Strömen von der Stirn.

Ihr Freund Maryoh war auf Streife, doch das tat ihrer Partylaune keinen Abbruch. Sie tanzte eng mit einigen anderen Männern, so lange, bis sie sich mit zweien von ihnen in einen hinteren Winkel der Halle zurückzog, um den Spaß zu vertiefen.

Anya stand wütend an einem Tresen und ärgerte sich über Krizan, der in einem völlig betrunkenen Zustand mit etwa einem halben Dutzend anderer Frauen angebandelt hatte.

Sonya war ebenfalls so betrunken, dass sie von einer Seite zur anderen schwankte, während Siddus still neben Anya stand und auf die Tanzfläche blickte.

Neve und Roppert hatten sich an einen Tisch gesetzt und unterhielten sich. Die Terranerin hatte das Gefühl, dass nur Roppert und Siddus Wesen mit einem guten Charakter waren. Die anderen waren sicher keine Satansbraten, doch fehlte ihnen Verantwortungsbewusstsein.

Anya seufzte laut auf und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

»Mir ist langweilig, Siddus! Unterhalte mich«, forderte sie den Überschweren auf.

Siddus wusste natürlich nicht, was er sagen sollte. Er beschloss einfach ehrlich zu sein. Das schätzten die Frauen am meisten – zumindest hatte das mal jemand zu ihm gesagt.

»Ich bin kein guter Unterhalter. Ich bin auch kein Mensch des Feierns«, erklärte er ruhig.

»Ja, das merkt man. Kannst du eigentlich überhaupt etwas, außer doof in der Ecke herumstehen?«

Diese Worte verletzten Siddus tief.

»Ich bin hochintelligent und kann ein guter Freund sein! Ein besserer als dieser Krizan!«, brüllte er heraus, so dass sich Anya die Ohren zuhalten musste.

Siddus erschrak über sich selbst. Was hatte er getan? Er hatte ihr fast ein Liebesgeständnis gemacht. Sein Herz pochte höher, sein Atem ging schneller.

»Du musst nicht so schreien. Ich weiß auch, dass Krizan ein Mistkerl ist, aber sorry, dich könnte ich mir sicher nicht als Freund vorstellen.«

Damit war alles gesagt. All die Träume und Hoffnungen, die Siddus hatte, brachen wie ein Kartenhaus zusammen.

Nun hatte er die Gewissheit, dass Anya ihn niemals lieben könnte. Wahrscheinlich fand sie ihn hässlich, fett und abstoßend.

So herzlich und freundlich Anya Guuze vor zwei Tagen gewesen war, so arrogant und kalt war sie auf dieser Party.

Siddus bekam Schmerzen im Unterleib. Das passierte immer, wenn er Angst hatte oder sich über etwas aufregte. Die Magenkrämpfe wurden stärker und er lief zur Toilette.

Er lief in eine Kabine. Die beiden neben ihm waren besetzt. Behutsam setzt er sich nieder, um nichts zu zerbrechen und versuchte sich zu entleeren.

Von den Seiten hörte er ein leises Stöhnen. Anscheinend trieben es an beiden Seiten jeweils ein Paar Terraner miteinander.

Nachdem er sein Geschäft verrichtet hatte, wollte er die Kabine verlassen, doch wieder ereilten ihn Schmerzen.

Dieses Mal jedoch im Kopf. Ein brennender, bohrender Schmerz hämmerte sich in seinen Kopf. Er wurde immer stärker.

Plötzlich schrie der Überschwere laut auf und schlug mit den Fäusten gegen die Wände, die wie Pappe durchbrachen.

Die beiden Paare in den anderen Kabinen liefen schreiend aus der Toilette. Brüllend fasste sich Siddus an den Kopf, bevor er immer schwächer und schwächer wurde.

Ihm war so, als hörte er eine mentale Stimme, die zu ihm sprach.

Wehre dich nicht, Pariczaner. Es ist zwecklos. Dein Schicksal ist es, mir mit deinem Körper zu dienen. Du stirbst für eine gute Sache. Lang lebe Paricza!

Das waren die letzten Worte, die das Bewusstsein von Siddus vernahm. Dann wurde es von einem anderen, viel stärkeren und mächtigeren Bewusstsein unterdrückt. Er erschauderte, als er herausfand, wer es war.

Es war das Wesen aus seinen Träumen, der größte Pariczaner, der mächtige Krieger und Feldherr, der das Volk der Überschweren zu ungeahnten Höhen bringen und unendliches Leid über die anderen Völker bringen würde.

Leticron!

Der Überschwere kam wieder zu Besinnung. Er sah aus wie zuvor, doch niemand ahnte, dass ein anderes Ich in seinem Körper steckte.

Leticron, der Corun von Paricza, einst Erster Hetran der Milchstraße, 1.300 Jahre in mentaler Gefangenschaft kehrte zurück.

Dank Cau Thon, dem Sohn des Chaos, hatte der Pariczaner eine neue Chance erhalten, die er zu nutzen gedachte.

Er war frei! Frei! Seine Wut wuchs in diesem Moment ins Unermessliche. Hass, purer ungebändigter Hass keimte in Leticron auf, als er endlich realisierte, dass er wieder am Leben war. Er spürte jedes einzelne Glied seines mächtigen Körpers.

Cau Thon hatte diesen Wirt auserwählt, da er ein Pariczaner war und über mutantische Fähigkeiten verfügte. Somit stand Leticron neben seinen alten Fähigkeiten der Suggestion in zwei verschiedenen Arten und Empathie bei bekannten Wesen nun auch die Metagruppierung zur Verfügung.

Der Überschwere genoss das Gefühl eines Körpers. Mit einem lauten Schrei durchtrat er die Tür der Kabine. Die Holztür schoss gegen die Wand und zerbrach das Waschbecken sowie den an der Wand hängenden Spiegel.

»Ah, der Duft der Terraner«, murmelte Leticron, als er das Gedünst der Toilette roch. Er blickte sich um. Er befand sich offenbar in einem WC, welches sehr altertümlich hergerichtet war. Keine Formenergieeinrichtung, noch Holz und Porzellan. Nun war es zu Bruch gegangen.

Mit einem überheblichen Grinsen und dem Gefühl wieder »lebendig« zu sein, verließ der ehemalige Corun von Paricza den Raum.

Er lauschte der elektronischen, wummernden, terranischen Musik und hasste sie jetzt schon. Er beschloss den Klängen zu folgen.

Er wollte mehr über die Terraner in diesem Jahrtausend herausfinden. Leticron spannte sämtliche Muskeln an und blickte zur Decke. Für einen Moment schloss er die Augen und genoss diesen Moment.

»Ich lebe wieder!«

»Wolle Rose kaufen?«, fragte ein Jülziisch mit einem Blumenstrauß, der plötzlich neben dem einstigen Corun von Paricza stand. Leticron öffnete die Augen und blickte auf den Blue hinab.

Für einen Moment war er versucht, seine neue Mutantenfähigkeit an dem Blue auszuprobieren, doch sein Blick reichte aus, damit der Jülziisch sich hastig einen anderen potenziellen Kunden suchte. Leticron schmunzelte. Er ging weiter in die Partyhalle hinein. Er schob sich an verschwitzten, zuckenden Terranern und Galaktikern vorbei. Einige standen ihm beharrlich im Weg. Er verzichtete darauf, sie zu beeinflussen, sondern schubste sie mit seinem kräftigen Körper beiseite. Niemand begehrte auf. Und das war auch gut so für ihre Gesundheit.

An der Decke funkelten virtuelle Sterne, Planeten, Sonnen und Fabelwesen. Das Licht wechselte in bunten Farben. Leticron blickte zum Podium. Dort stand ein Cheporparner, der offenbar für die Musik verantwortlich machte. Er hüpfte von links nach rechts, klatschte in die Hände und trieb die Meute an. Halbnackte Frauen zuckten in ihren gestählten Körpern in Käfigen umher und rieben ihre Genitalien an den Stangen. Frenetisch wurden sie von den Zuschauern angefeuert.

Die Party wurde immer ausgelassener. Etwa zwei Dutzend Jugendliche bildeten auf der Tanzfläche einen Kreis, grölten die Texte der Lieder und tanzten im Kreis herum.

Das war also die Jugend von Terra. Es hatte sich offenbar nicht viel geändert.

*

Anya klammerte sich wieder an The Busch und entschuldigte sich für ihr zickiges Verhalten, wobei sie eigentlich kaum Schuld traf.

Neve saß inzwischen alleine am Tisch. Roppert tanzte ebenfalls auf der Fläche.

Anya verabschiedete sich kurz von ihrem Freund und ging sich schminken. Krizan nutzte die Gelegenheit sich zu Neve zu setzen.

»Hey, was geht?«

»Dein Mundwasser anscheinend nicht mehr«, antwortete Neve kühl.

Krizan lachte und versuchte sich am Tisch festzuhalten, da er schon starke Gleichgewichtsprobleme hatte.

»Anya ist weg. Hey, Baby, hast du Lust 'ne voll krasse, geile Nacht mit mir zu verbringen?«, fragte er ungeniert und tanzte um sie herum. Dabei schwang er seine Hüfte und streifte dabei ihren Oberschenkel. Sie zog ihr Bein instinktiv zurück.

Neve glaubte, sich verhört zu haben. Sie nahm ihr Glas Vurguzz mit Eis und fasste ihn an die Hose und öffnete sie.

»Ich glaube, du brauchst eine Abkühlung«, sagte sie und schüttete die Eiswürfel in seine Hose. Krizan fing laut an zu schreien und hüpfte wie von einer Tarantel gestochen durch den Raum, bis er Siddus gegenüberstand, an ihm abprallte und zu Boden fiel.

Leticron grinste überlegen.

»Hast du dir weh getan, Terraner?«, fragte er mit gespielten Mitleid.

»Ey, du Arsch du! Mann, und du blöde Kuh. Was sollte das?«, fluchte Krizan herum, während er versuchte die Eiswürfel aus einer empfindlichen Gegend seines Körpers zu entfernen.

Nun kam auch Sylke zu den anderen. Sie umarmte Neve und gab ihr ein Küsschen. Die junge Terranerin aus Nordamerika hoffte, dass es nicht das bedeutete, was sie ahnte.

»Hey Mausi! Ich wurde mindestens zwanzigmal durchgenommen. Von zwei Typen. War das geil!«

Neve lächelte nur und ersparte sich den Kommentar. Sie verstand nicht, wie manche Menschen so freizügig sein konnten. Manchmal wünschte sie sich, genauso zu sein. Doch die kühle Schönheit konnte einfach nicht aus ihrer Haut.

Leticron blickte verächtlich auf Sylke Stabum. Durch das unterdrückte Bewusstsein von Siddus wusste er alles über diese Klasse.

»Findet ihr Terraner das Austauschen von Körperflüssigkeiten immer noch so anregend, ja?«, fragte Leticron provozierend.

Sylke und die anderen starrten ihn fragend an. Nun kam auch Anya hinzu. Leticron wusste, wie sehr Siddus diese Terranerin liebte. Er beschloss, dem Bewusstsein zu zeigen, zu was Leticron alles in Lage war.

Der Pariczaner stellte sich vor die Terranerin.

»Du bewunderst mich, nicht, Anya? Du liebst mich und wolltest mir das doch schon immer sagen«, sprach er leise.

Anya wiederholte diese Worte, wie in Trance. Das war eine von Leticrons Fähigkeiten. Er konnte fast jedes Wesen so beeinflussen, dass es ihn bewunderte. Und es war so einfach. Er genoss dieses Gefühl der Macht. Nur ein Kampf fehlte jetzt noch. Doch der würde auch irgendwann kommen. Er konzentrierte sich auf die kleine, zierliche Terranerin.

Anya fühlte sich urplötzlich zu dem Überschweren hingezogen, der sich langsam herabbeugte. Sie küsste seinen Mund leidenschaftlich und schmiegte sich fest an ihn. Leticron öffnete ihre obere Kombination und umklammerte mit seinen Pranken ihre Brüste. Anya stöhnte hörbar, dann löste der Überschwere seine Lippen von ihren und schubste sie zu ihrem Freund Krizan Bulrich.

Er fuhr sich mit der Zunge um seine Lippen und spuckte auf den Boden. Damit zeigte er Anya Guuze deutlich, was er von ihr hielt.

Er ließ die Terranerin aus der Suggestion frei, die sich verwundert umsah und anfing zu kreischen, als sie ihre offene Brustmontur sah.

»Beschämt, kleine Prinzessin? Widert ihr Terraner euch nicht selbst an?«

Anya starrte ihn an, dann lief sie weinend in einen leeren Raum. Krizan wollte hinterher, schaffte dies allerdings nicht mehr, da er zu betrunken war. Leticron winkelte sein Bein an und rammte es Bulrich in dessen Genitalien. Mit einem dumpfen Schrei sackte dieser auf den Boden. Leticron grinste. Er genoss das Gefühl, Terraner zu demütigen.

Sylke beschimpfte Leticron und lief Anya hinterher.

Leticron fühlte ein innerliches Aufheulen. Es war Siddus. Den verweichlichten Überschweren hatte die Demütigung seiner Geliebten tief getroffen.

Leticron konnte darüber nur lachen. Er verachtete Siddus, weil er ein schwacher Pariczaner war. Alle Überschweren mussten stark sein, sie sollten stolze Patrioten sein. Siddus war nichts von dem. In Leticrons Augen war er eine erbärmliche Kreatur!

Sonya kam ebenfalls angetorkelt und hatte den Vorfall nur teilweise mitbekommen. Sie schwenkte ihre Bierflasche hin und her und lächelte dabei den Umweltangepaßten an. Der Wolf im Schafspelz hatte nur einen verachtenden Blick für Sonya Morrat übrig:

»Noch so ein Geißeltierchen. Was willst du?«

Roppert verstand nicht, was in Siddus gefahren war. Er verhielt sich völlig anders. Der Überschwere strotzte vor Selbstbewusstsein.

Neve war die Veränderung auch aufgefallen. Sie glaubte jedoch nicht an einen Zufall, Einfluss von Alkohol oder Drogen. Irgendetwas hatte diese Veränderung hervorgerufen. Siddus war ein anderes Wesen!

»Nun, Amöbenpack, verratet mir, wer euer größtes Idol ist?«, wollte Leticron wissen.

Die anderen hielten ihn immer noch für geisteskrank. Einige nannten Namen von Musikstars oder hatten keine Vorbilder. Leticron war überrascht, dass niemand den Namen seines verhassten Widersachers nannte, obwohl Perry Rhodan der sogenannte terranische Resident war, so hatte er von Siddus herausgefunden.

»Perry Rhodan ist mein Vorbild«, hörte er eine weibliche Stimme sagen. Wütend drehte sich der Pariczaner um.

Es war Neve, die die Worte gesagt hatte.

»Ist er das?«

»Ja, das ist er! Wir haben Perry Rhodan und seinen Gefährten so ziemlich alles zu verdanken. Er verdient den größten Respekt und unsere Loyalität«, erklärte die hübsche Terranerin und wusste genau, dass ihr Gegenüber nicht hören würde.

Die Gesichtszüge des Umweltangepaßten zuckten unregelmäßig. Die Augen strahlten Hass und Verachtung aus.

Leticron hätte diese Terranerin am liebsten auf der Stelle zerquetscht, doch er riss sich zusammen. Stattdessen beruhigte er sich wieder und fing an zu lachen.

»Soso, der große Perry Rhodan ist immer noch der Held des Universums und seiner Menschheit.

Eines Tages wird jemand kommen, der Rhodan vor euren Augen zerbrechen wird! Das verspreche ich dir!«

Niemand außer Neve hörte Leticron mehr zu. Die Musik spielte laut und die meisten waren so betrunken, dass sie sowieso nichts mehr mitbekamen.

»Ein Wunschtraum?«, forschte die junge Terranerin nach.

Leticron lächelte mitleidig.

»Die Zukunft.«

Eine Weile starrten sich die beiden an. Schließlich verlor Neve Prometh das Blickduell, denn sie konnte nicht länger in die Hasserfüllten Augen des Pariczaners blicken.

Inzwischen waren nun auch Anya und Sylke wieder angekommen. Es kehrte eine seltsame Stille ein.

Leticrons Hass gegen diese seiner Ansicht nach primitiven Terraner wuchs von Minute zu Minute. Sie tanzten wie wildgewordene Affen, stanken nach ihrem eigenen Schweiß oder nach Alkohol und sahen es jeden Tag darauf ab, sich mit gleich- oder andersgeschlechtlichen Wesen zu paaren. Mehr wollten diese Insekten nicht. Spaß, Saufen, Rauchen und Sex!

Typisch terranische Eigenschaften, dachte sich Leticron.

Er fasste den Entschluss, dieser Party ein Ende zu setzen. Nicht nur der Party sollte ein Ende gesetzt werden, auch dem Leben dieser erbärmlichen atavistischen Untermenschen.

Doch wie? Er war bei weitem nicht annähernd so mächtig wie vor 1300 Jahren. Er hatte keine Armee, keine Gefolgsleute.

Das ärgerte den Überschweren. Er beschloss, diese Feier zu verlassen. Ohne sich zu verabschieden, ließ er seine »Mitschüler« hinter sich und ging auf die Straße.

Terrania City war weitaus gewaltiger, als er es in Erinnerung hatte. Doch seitdem waren 1300 Jahre vergangen. Noch mehr sogar, da Terra ja vor 1400 Jahren in den Mahlstrom versetzt worden war.

Die Solare Residenz lag wie ein schützender Engel über der Stadt. Dort oben befand sich vielleicht gerade Perry Rhodan.

»Lange wirst du nicht mehr dort oben in Sicherheit sein, Rhodan«, murmelte Leticron selbstbewusst.

»Deine Einstellung gefällt mir«, hörte er eine andere Stimme. Er drehte sich rasch um. Cau Thon stand vor ihm.

»Du hast dir nun ein Bild von den Terranern des 13. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung gemacht. Wie beurteilst du sie?«

Leticron stemmte die Hände in die Hüften und verzog sein Gesicht zu einer abfälligen Grimasse.

»Sie sind genauso primitiv und abstoßend wie vor 1300 Jahren. Sicher sind nicht alle so harmlos wie dieser Haufen Trottel, dem ich gegenüber stand.«

Cau Thon nickte.

»Das ist wahr. Perry Rhodan hat viele mutige und fähige Helfer. Die gilt es zu vernichten.

Doch nun zu deinem Auftrag, Leticron.«

Der Überschwere, der sich selbst lieber als Pariczaner titulierte, wurde hellhörig. Bis jetzt hatte Cau Thon nur vage Andeutungen gemacht, warum er ausgerechnet ihn befreit hatte. Doch nun schien es eine Auflösung des Rätsels zu geben.

»Deine Taten sind legendär. Dein Hass gegen Rhodan ist unermesslich, deine Fähigkeiten brillant. Deshalb haben wir uns entschlossen, dich aus deinem selbsterschaffenen mentalen Gefängnis zu befreien und dir eine neue Bewährungsmöglichkeit zu geben«, begann Cau Thon und blickte Leticron, der gebannt zuhörte, tief in die Augen.

»Du hast einen neuen Körper, den eines überschweren Mutanten, bekommen und bist nun frei. Es gibt noch zwei Dinge, die ich dir auf den Weg gebe.

Als erstes deinen Auftrag. Die Entität DORGON wird in Kürze den Terranern erscheinen und ihnen einen Auftrag erteilen. Dieses kosmische Projekt soll die Pläne meines Meisters behindern«, erklärte der Sohn des Chaos.

Nun unterbrach ihn Leticron erstmalig.

»Was sind die Pläne deines Meisters?«

»Das wirst du erfahren, wenn es soweit ist. Eine ganze Galaxie soll besiedelt werden und zum Bollwerk gegen meinen Meister werden.«

Leticron machte eine ratlose Geste.

»Was kann ich dagegen tun?«

»Du hast den Auftrag, dieses Projekt zu sabotieren. Du musst jetzt klug vorgehen. Sichere dir Macht und Einfluss. Knüpfe Kontakte mit den richtigen Personen. Es gibt auch Freunde unter den Terranern. Dann schlage los und korrumpiere die Galaxie für deine Zwecke. Du bist ein hochintelligentes Wesen und wirst mich nicht enttäuschen.

Als Motivation dürfte vielleicht dies hier ausreichen...«

Eine graue Sphäre erschien um Leticron. Sie umhüllte ihn und versetzte ihn in Trance.

Feuer! Flammen! Blitze!

Leticron befand sich in einer surrealen Welt. Er sah Planeten kollidieren, Schwarze Löcher rissen ihr dunkles Maul weit auf und verschlangen Galaxien. Alles verlor sich in einem Nebel. Aus diesem Dunst bildete sich ein Schemen, eine Gestalt. Sie war in eine dunkle, gammelige Robe gehüllt. Über dem Kopf hing eine Kapuze, von der Nasenwurzel abwärts bedeckte ein moderiges Tuch das Gesicht. Goldene Augen funkelten aus dem knöcherigen Gesicht des Wesens.

Und Leticron hörte eine Stimme.

Die Zeit deiner Rache ist gekommen, Corun von Paricza, Hetran der Milchstraße. Du wirst Perry Rhodan für seine Untaten bestrafen.

»Wer bist du?«, wisperte Leticron.

Die mentale Stimme in seinem Kopf antwortete:

Fürchte mich,

denn ich bin die Zerstörung, ich bin der Tod, ich bin das Ende!

Vergöttere mich,

denn ich bin der Anfang, ich bin das Leben, ich bin die Schöpfung.

Ich bin MODROR!

Sei willkommen in unserem Bunde, Sohn des Chaos. Nimm dies als Präsent für deine ewige Loyalität.

Die Entität verschwand. Leticron verlor die Orientierung und fiel in einen kurzen, tiefen Schlaf.

Als er wieder zu Sinnen kam, spürte er das energetische pochen in seiner Brust. Ungläubig fasste er sich an den Brustkorb und sah Cau Thon an.

»Ein Geschenk meines Meisters. Dieser Zellaktivator verleiht dir die relative Unsterblichkeit. Ich kann sie dir wieder entziehen, solltest du versagen. Doch daran glaube ich nicht. Der Hass und die Aussicht auf Ruhm und Macht auf Ewig sind Motivation genug für dich.

Suche noch heute Nacht den Überschweren Pulvon auf. Er ist ein Anführer der Galactic Guardians. Er wird dir helfen.

Sei kreativ und handle mit Weitsicht. Du bist nun der vierte Sohn des Chaos. Wenn die Zeit gekommen ist, werden die anderen mit dir in Kontakt treten.«

Mit diesen Worten verschwand der Rote so plötzlich, wie er gekommen war.

*

Leticron stand alleine in der dunklen Gasse.

Es begann zu regnen. Das feuchte Gefühl von Wasser hatte er seit 1300 Jahren nicht mehr gespürt.

Alles hatte sich innerhalb weniger Stunden geändert. Er war mächtiger als je zuvor. Nun war er wirklich unsterblich. Allerdings auf eine viel angenehmere Weise als die 1300 Jahre davor.

In der Tat war die Aussicht auf ewiges Leben in Ruhm und Macht sowie der Hass auf Perry Rhodan und sein elendes Volk Motivation genug für den Pariczaner.

Doch alleine konnte er es nicht schaffen. Er musste diesen Pulvon finden. Von Siddus' Bewusstsein wusste er, dass die Galactic Guardians Verbrecher waren, die ihr Geld mit Schmuggel, Mordaufträgen, Glücksspiel, Diebstählen und Drogenverkauf verdienten.

Einmal hatte Siddus beobachtet, wie ein heruntergekommener Plophoser Sylke Stabum Drogen verkaufte. Sie hatte gesagt, dass er von den Guardians stammte.

Leticron wusste, was er zu tun hatte. Er kehrte zur Party zurück.

*

»Liebst du mich nicht mehr, Krizan?«, fragte Anya säuselnd.

Krizan stieß auf und konnte sich mit Mühe und Not zusammenreißen, nicht seinen Mageninhalt zu verlieren. Außerdem schmerzte es im Schritt nach dem Tritt von Siddus.

»Doch, klar, Schatz. Lass uns zu dir ins Bett gehen!«

Anya strahlte wieder und küsste ihren geliebten Krizan Bulrich. Ihre Miene wurde finsterer, als Siddus/Leticron den Raum betrat.

Roppert Nakkhole eilte sofort zu ihm.

»Was war denn vorhin in dich gefahren?«, wollte er wissen.

Leticron musterte den blonden Terraner von oben bis unten. Jetzt fiel ihm wieder ein, dass Roppert aus Siddus Klasse stammte.

»Wo ist Sylke Stabum?«

Roppert zeigte auf einen Tisch, wo sie neben Anya, Krizan, Neve und Sonya saß. Ohne Roppert weiter zu beachten, lief Leticron auf Sylke zu.

Neve beobachtete jeden Schritt des Überschweren. In ihren Augen war es ein völlig anderes Wesen. Die Bewegungen waren anders als zuvor. Sie waren selbstbewusst und mit Bedacht ausgeführt. Derselbe Körper, aber ein anderer Geist schien dort zu wohnen.

Natürlich wollte sie in Siddus nicht den Verdacht erwecken, dass sie das erkannt hatte. Sie wusste auch nicht genau, was sie machen sollte. Die Polizei würde ihr sicher nicht glauben und die Möglichkeit, mit dem TLD in Kontakt zu treten, erschien ihr schier unmöglich.

»Sylke Stabum, wo befindet sich dein Drogenlieferant?«

Sylke glaubte sich verhört zu haben. Sie warf einen flüchtigen Blick auf einen etwa 1,90 Meter großen Plophoser mit kantigem Gesicht und antwortete: »Ich weiß nicht, was du meinst...«

Leticron hatte sofort verstanden. Er drehte sich in die Richtung des Menschen und lief auf ihn zu.

»Bist du der Drogenlieferant?«

Der andere grinste.

»Ja, da hast du recht. Wer bist du?«

»Das geht dich nichts an. Ich benötige etwas von dir«, erklärte Leticron schroff.

»Ach, und was? Drogen? Frauen? Männer?«

»Ich will mit Pulvon sprechen. Sofort!«

Dem Plophoser lief der Schweiß von der Stirn. Pulvon war der Anführer der Guardians auf der Erde.

»Was willst du von ihm, Penner?«

In dem Moment packte Leticron den Plophoser an der Gurgel und drückte kräftig zu.

»Ich gebe dir drei Sekunden. Rufe ihn unverzüglich an, oder du bist tot. Eins, zwei...«

Sofort schnappte sich der Plophoser seinen Kommunikator und wählte eine Nummer. Die Angst sein Leben zu verlieren, war noch weitaus größer.

Leticron ließ ihn los.

»Berichte ihm, dass Leticron auf ihn wartet.«

Der Drogendealer tat dies und zu seinem Erstaunen war ihm Pulvon nicht böse. Er wollte mit Leticron sprechen und so reichte der junge Plophoser das Interkomgerät weiter. Leticron verabredete einen Termin und beendete das Gespräch.

Cau Thon hatte sich in der Tat mit dem Galactic Guardian in Verbindung gesetzt und ihm viel Macht geboten, wenn er Leticron unterstützen würde.

Pulvon war käuflich und akzeptierte. Er hatte sich anscheinend keine Gedanken darüber gemacht, warum Leticron »wiederauferstanden« war oder er war so ungebildet, dass er ihn nicht kannte.

Trotzdem wusste er bereits zu viel. Pulvon würde das Treffen nicht überleben. Damit schlug Leticron zwei Fliegen mit einer Klappe. Er entledigte sich eines Mitwissers und gleichzeitig konnte er die Macht in einer Terrorgruppe übernehmen.

Er wandte sich wieder dem Drogendealer zu, der ihn verdutzt ansah. Auch er wusste zu viel. Er kannte Leticrons Namen.

»Sehr gut, Junge. Komm mit mir«, forderte ihn Leticron auf.

Der Plophoser tat, was ihm Leticron auftrug. Sie gingen in einen Hinterhof. Leticron lächelte ihn an.

Nun probierte Leticron seine neuen mutantischen Fähigkeiten der Metagruppierung aus. Er verformte nicht nur das Innere des Plophosers, sondern auch sein Äußeres.

Es war ein grauenvoller Anblick. Die Schreie des deformierten Menschen hätten jedes Wesen bis ins Knochenmark erzittern lassen, doch Leticron genoss das Schauspiel.

Zurück blieb nur noch ein unförmiger Fleischklumpen, der einst der Plophoser gewesen war.

Zufrieden ging Leticron wieder in die Halle und begab sich zu Siddus ehemaligen Klassenkameraden.

»Siddus wird sich nun von euch verabschieden. Er verlässt diese Klasse auf ewig und hofft, keinen von euch Kreaturen wiederzusehen«, erklärte er zynisch.

»Du mich auch!«, meinte Sonya und streckte dem Überschweren ihren Mittelfinger entgegen, doch Leticron riss sich zusammen.

Cau Thon hatte ihn aufgefordert, mit Weitsicht zu handeln. Unnötige Tote konnten die Situation erschweren.

»Wohin gehst du denn, Siddus?«, wollte Neve wissen. »Ich dachte, dir gefällt es so sehr bei SHORNE INDUSTRY?«

SHORNE INDUSTRY! Das war der Arbeitgeber von Siddus. Ein mächtiger Terraner namens Michael Shorne regierte das Finanzimperium.

Vielleicht konnte Leticron dort Verbündete finden. Geldgierige Terraner kannten keine moralischen Bedenken. Sie taten für Geld alles. Außerdem hatte Cau Thon erwähnt, es gäbe Verbündete unter den Terranern.

»Dort bleibe ich auch. Jedoch kann mir keiner mehr diese Klasse zumuten. Höhere Aufgaben werden jetzt meine Zeit in Anspruch nehmen«, antwortete Leticron wahrheitsgemäß.

Bevor Neve noch etwas sagen konnte, machte sich der Gigant auf den Weg. Sie spürte, dass dieses Wesen nicht der sympathische Siddus war, den sie vor zwei Tagen kennengelernt hatte. Siddus war sensibel, ängstlich und schüchtern.

Dieser Überschwere strotzte nur so vor Arroganz und schien viel Hass in sich zu haben.

Neve ahnte nicht, wie recht sie hatte. Die junge Terranerin wusste nicht, dass der brutalste und gefürchtetste Widersacher Perry Rhodans aus seiner über tausend Jahre langen Gefangenschaft auferstanden war.

 

20. Leticrons neues Leben

Noch in derselben Nacht suchte Leticron das Versteck von Pulvon auf. Es lag in einer alten Fabrikhalle am Rande der Stadt in der Aldebaran Area.

Von Außen wirkte das Lager heruntergekommen und baufällig. Ein typisches Versteck für eine Verbrecherorganisation, die unentdeckt bleiben wollte.

Leticron klopfte gegen eine Tür. Als niemand antwortete, trat er sie ein. Zwei Überschwere kamen angestürmt und zogen ihre Waffen.

Die Wachen konnte Leticron mühelos beeinflussen. Sie senkten die Thermogewehre und ließen den ehemaligen Ersten Hetran passieren.

Er ging einen langen Korridor entlang. Die Innenausstattung der Halle stand im starken Kontrast zu der Außenseite. Alles wirkte sauber und stilvoll eingerichtet. Selbst die Quartiere der normalen Wachen.

Die Galacitic Guardians schienen eine moderne Mafia zu sein, stellte Leticron fest und lief den langen Gang weiter entlang.

Plötzlich stellte sich ein vernarbter Gataser vor ihn.

»Wer bist du? Wohin willst du?«, fragte er mit piepsiger Stimme.

»Ich will zu Pulvon. Führe mich zu ihm!«, forderte Leticron und suggerierte dem Blue diesen Befehl ein, dessen Geist viel zu schwach war, um den mutantischen Fähigkeiten des Pariczaners zu trotzen.

Ohne Widerstand eskortierte der Tellerkopf Leticron zu einer großen Tür. Daraus hörte man laute Stimmen.

Ohne anzuklopfen betrat Leticron den Raum. Sofort blickte er in die Mündungen von sieben gezogenen Waffen. Die Insassen waren Überschwere, Ertruser und Terraner.

Eine seltsame Konstellation, dachte sich Leticron. Er grinste überlegen und machte eine entwarnende Geste.

»Ich bin als Freund gekommen. Ein Freund Pulvons und Cau Thons«, erklärte er und blickte dabei den fetten Pariczaner an, der in einem Sessel saß. Das musste zweifelsohne Pulvon sein. Er trug einen Maßanzug und qualmte eine Zigarre.

Mit einem Wink befahl Pulvon seinen Männern die Waffen zu senken.

»Lasst uns allein«, rief er.

Widerwillig befolgten die sieben Männer seinen Befehl. Der letzte von ihnen schloss die Tür von außen.

Nun waren nur noch Leticron und Pulvon in dem Raum. Pulvon bot seinem Artgenossen einen Platz an, doch Leticron lehnte ab.

»Cau Thon hat dich instruiert, mir zu dienen?«

Pulvon lachte.

»Was glaubst du, wer du bist? Etwa der legendäre Maylpancer?«

Pulvon ahnte nicht, wie sehr er ins Fettnäpfchen getreten war. Was für eine Demütigung von Leticron. Pulvon kannte Maylpancer, aber nicht ihn! Leticron brodelte innerlich vor Wut.

»Dieser Kuttenheini hat mir eine Menge Geld geboten, um dich bei was auch immer zu unterstützen. Das mache ich auch, aber nur solange es lukrativ und wirtschaftlich ist«, erklärte der fette Überschwere und zog genüsslich an seiner kubanischen Havanna.

»Vortrefflich, diese terranischen Zigarren«, murmelte er.

Leticron nahm die Zigarre seinem Gegenüber aus der Hand und drückte sie in dessen Auge aus. Pulvon wollte aufschreien, doch Leticrons gewaltige Pranke, die einst Siddus gehörte, drückte gegen seinen Mund.

Quiekend strampelte der Guardianchef auf Terra in seinem Sessel.

»Du fetter Narr. Ich bin Leticron, Maylpancers Vorgänger. Größer und mächtiger als er je sein kann. Du wirst mir nicht dienen, da hast du recht, denn du bist gleich tot!«

Mit diesen Worten beendete Leticron das Leben von Pulvon. Er zerdrückte die Wangenknochen seines Artgenossen und zerbrach ihm den gesamten Unterkiefer. Dann erdrosselte er ihn.

»Das hast du davon, du fetter Tor! Niemand wagt es, sich Leticron in den Weg zu stellen. Wenn du mir nicht dienen willst, werde ich eben alleine diese Guardians beherrschen.«

Leticron rief die anderen Verbrecher herein. Entsetzt standen sie vor der Leiche ihres Anführers.

Der erste wollte eine Waffe ziehen, doch Leticron war schneller und gruppierte seine Hand zu einer fingerlosen Flosse. Schreiend lief der Ertruser aus dem Raum.

Die anderen bekamen es mit der Angst zu tun und hoben die Hände als Zeichen der Kapitulation.

»Seht, ich habe die Macht. Von nun an dient ihr mir. Pulvon war schwach und unfähig. Ich bin stark. Ich verspreche euch Macht, Ruhm, Ehre und das Gefühl, dem Herrenvolk in der Milchstraße anzugehören, wenn ihr euren Eid auf mich schwört!«

Die Ausstrahlung Leticrons verfehlte seine Wirkung nicht. Die anderen Guardians verneigten sich vor ihrem neuen Anführer.

Damit hatte Leticron wieder eine Basis. Zwar war er »nur« Bandenchef auf Terra, doch Leticrons Ehrgeiz kannte keine Grenzen.

Dennoch erinnerte er sich an die Worte Cau Thons. Er solle mit Weitsicht handeln.

»Herr, wie dürfen wir dich nennen?«, fragte der vernarbte Blue.

Für eine Weile überlegte Leticron, dann sagte er: »Nennt mich Nor'Citel!«

ENDE

Leticron ist zurückgekehrt. Er ist nun ein Sohn des Chaos im Dienste des MODROR. Eine andere Entität, nämlich DORGON, macht im nächsten Roman auf sich aufmerksam: »Der Bote« ist der Titel von Heft 34, welches von Aki Nofftz und Tobias Schäfer stammt.

 

 

 

 

Kommentar

Die Figur des Leticrons gehörte für mich zu den schillerndsten Gegnern Perry Rhodans. Der physisch und psychisch beeindruckende Leticron war ein ebenbürtiger Widersacher, der dazu aber auch einen gehörigen Knall hatte bzw. während seiner Zeit als Erster Hetran sich noch mehr zulegte.

Das Ende Leticrons war irgendwie etwas offen. Da wir in der DORGON-Serie immer einen Spagat gehen zwischen neuen Figuren und Handlungen aber auch natürlich das Perryversum einflechten wollen, so gut es geht – ohne mit der Erstauflage zu kollidieren – kam die Idee, Leticron aus der Versenkung zu holen.

In der Ursprungsversion der DORGON-Hefte hatten wir die Kurzgeschichte von Arndt Ellmer leider ignoriert. In der Nachbearbeitung haben wir nun dessen Geschichte fortgeführt, um wieder im PEW-Metallblock der Ruinen der Stahlfestung Titan zu landen. Wir hatten uns dafür entschieden, um einerseits Arndt Ellmer und dem Kanon des Perryversums den nötigen Respekt zu zollen, aber wir wollten auch nicht den Roman komplett neu schreiben. Das hätte zur Folge gehabt, dass wir die Handlung in der Stahlfestung hätten komplett entfernen müssen und Leticron noch irgendwo als Cyborg existieren müsste.

Doch würde ein Cyborg-Leticron auch noch im Jahre 1294 NGZ leben? Wäre er wirklich geläutert worden oder hätte er nicht schon längst versucht, die Macht an sich zu reißen. Zwangsläufig hätte er dabei scheitern müssen, da er in der Erstauflage nie wieder auftauchte.

So war es sogar logisch, dass er nach einem Fehlversuch, wieder Corun zu werden, in den PEW-Metallblock transferiert wurde, um fortan den Rest seiner Zeit dort zu fristen.

Hinzu kommt, dass in Perry Rhodan Band 1224 geschildert wurde, dass man versuchte, Leticron aus dem PEW-Sockel zu befreien. Hierbei wurden die Ereignisse aus dem Jahre 67 NGZ vermutlich ignoriert. So gesehen, ist unsere Lösung wirklich sehr plausibel, denn durch unsere Idee, befand sich Leticron ja wieder im Steinsockel zu dieser Zeit.

Nun ist in der DORGON-Handlung Leticron durch Cau Thon befreit worden und ein weiterer Sohn des Chaos. Er schwört Perry Rhodan Rache und die Leser können davon ausgehen, dass Leticron in der zukünftigen Handlung eine lange und gewichtige Rolle spielen wird.

Nils Hirseland

 

 

GLOSSAR

Leticron

Leticron ist ein Pariczaner. Einst Corun von Paricza und Erster Hetran der Milchstraße ist er nun aus seinem Gefängnis von Cau Thon befreit worden und ein Sohn des Chaos.

Aus der Perrypedia:

© Perrypedia http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Leticron

Der Pariczaner Leticron war während der Herrschaft des Konzils der Sieben Erster Hetran der Milchstraße.

Mit 1,98 Metern Größe und 1,85 Metern Schulterbreite war er unter seinesgleichen ein Riese. Er besaß eine gelbliche Hautfarbe und ein breites Gesicht. Seine Haare waren tiefschwarz, glatt, glänzend, sehr lang und im Nacken zu einem dichten Knoten gebunden.

Der Überschwere hatte seinen gewaltigen Körper unter perfekter Kontrolle, seine Bewegungen wirkten geschmeidig und erinnerten an jene von Raubkatzen.

Leticron trug meist ein unsichtbares Haarnetz, das mit irisierenden Howalgonium-Kristallen durchsetzt war. Sein Haarknoten war von einem kostbaren Band aus flexiblem Metall durchflochten.

Charakterisierung

In jungen Jahren besaß Leticron noch ein gewisses Maß an Idealen, wäre so zum Beispiel wohl nicht zu kaltblütigem Mord in der Lage gewesen.

Später wandelten sich seine Ansichten. Er sah andere Lebewesen als Insekten, bloße Ergebnisse biochemischer und physikalischer Gesetzmäßigkeiten. Sich selbst sah er dagegen ob seiner Parafähigkeiten als über anderen Lebewesen stehend.

Nach außen gab er sich überwiegend überaus höflich: Seine Art war die eines gebildeten Siganesen: er lachte niemals brüllend, machte keine plumpen Scherze, hatte beste Manieren und war in allen Dingen elegant – nur nicht in seinem Charakter. Leticron galt als absolut skrupellos und machtbesessen.

Fähigkeiten

Leticron verfügte über drei Parafähigkeiten:

·         Handlungsahner: Leticron wusste dank dieser Fähigkeit, was andere Intelligenzen planten. Voraussetzung war lediglich, dass er bereits einmal Kontakt zu dem betreffenden Wesen hatte und es sich nicht weiter als fünf Lichtjahre entfernt aufhielt.

·         Überzeugungsinjektor: Diese Paragabe bewirkte, dass Leticron selbst von ihm gegenüber feindlich eingestellten Lebewesen bewundert wurde.

·         Hirnoffensor: Als Hirnoffensor konnte Leticron andere Lebewesen dazu zwingen, den momentanen Gedankengang fallen zu lassen und an etwas komplett anderes zu denken. Als z. B. der USO-Spezialist Walter Kendall ihn am 1. Juli 3459 erschießen wollte, brachte Leticron ihn dazu, stattdessen sein Glas zu füllen und nutzte die Gelegenheit, um ihm das Genick zu brechen.

Diese Fähigkeiten hatten allerdings auch ihre Grenzen, so schien z. B. der Verkünder der Hetosonen Hotrenor-Taak zumindest gegen die Überzeugungsinjektor-Fähigkeit immun.

Geschichte

– Frühe Jahre

Als Jugendlicher täuschte Leticron dem Naat-Terraner-Mischling Nos Gaimor gegenüber Freundschaft vor, um dessen Stärke ausnutzen zu können. Gaimor durchschaute schließlich die wahren Absichten des Überschweren, brachte ihn dazu, sich zu betrinken, und besiegte den betrunkenen Leticron in einem Zweikampf. Ein Vorfall, den Leticron Nos Gaimor auch noch Jahre später übel nehmen sollte.

Später besuchte Leticron eine Weltraumakademie für Umweltangepasste. Hier begegnete er Quanta Chierson und pflegte ein intimes Verhältnis mit der Ertruserin.

Schließlich erwarb Leticron einen Roboter mit Biopositronik namens Quicklab und machte ihn zu seinem Vertrauten. In späteren Jahren gefragt, warum er ausgerechnet einen Roboter als Vertrauten gewählt habe, gab Leticron als Grund schlicht an, dass er sich auf ihn verlassen könne.

Ende Mai 3459 ergriff der nun 44 Jahre alte Leticron in einer weniger als zwölf Minuten andauernden Revolution die Macht im Punta-Pono-System und wurde so zum neuen Corun of Paricza. Doch er plante bereits weitere Sonnensysteme zu erobern, sich selbst einen Zellaktivator zu sichern und schließlich das Amt des Ersten Hetrans der Milchstraße von Perry Rhodan zu übernehmen. Als Corun of Paricza stand ihm zur Verwirklichung seiner Pläne eine Flotte von 8000 Walzen- und Kugelraumschiffen zur Verfügung.

– Kampf um das Amt des Ersten Hetran

Als Leticron am 1. Juli 3459 erfuhr, dass der Bluff um die vorgetäuschte Hinrichtung Atlans durch Perry Rhodan von den Laren durchschaut worden war, sah er seine Chance gekommen. Zunächst ließ er den für die Überwachung der Geschehnisse auf Paricza zuständigen USO-Spezialisten Walter Kendall zu sich bringen und tötete ihn. Danach machte er sich mit 5000 Schiffen auf, um zunächst etwaige Konkurrenten um das Amt des Ersten Hetran auszuschalten. Anschließend wollte er sich selbst den Laren als würdigen Nachfolger Perry Rhodans anbieten.

Nachdem er Carsoner Airhahn getötet und Aifar von Saminien eingeschüchtert hatte, erkannte Leticron, dass er sein Ansinnen, alle potenziellen Mitbewerber um das Amt des Ersten Hetran bereits im Vorfeld auszuschalten, nicht verwirklichen konnte. Es gab einfach zu viele Bewerber, und so entschloss sich der Überschwere, nur noch Nos Gaimor auszuschalten und danach zur Flotte der Laren zu fliegen. Doch als Leticron im Ardin-System ankam, hatte Nos Gaimor das System bereits an Bord der Tonne verlassen, und so machte sich auch Leticron auf den Weg.

Als er am 5. Juli 3459 bei der Flotte der Laren ankam, vertrieb er zunächst mehr als die Hälfte der sich bereits vor Ort befindenden Bewerber durch Androhung von Gewalt. Schließlich sollte Quicklab eine Bombe an Bord des Raumschiffes des Blues Tarnac schmuggeln und zur Explosion bringen. Leticron gab ihm diesen Auftrag, der auch zur Vernichtung des Roboters führen würde, da er unbewusst das Vertrauen in den sich gehäuft merkwürdig verhaltenden Quicklab verloren hatte.

Wie berechtigt dies war, zeigte sich, als sich Quicklab weigerte, den Auftrag auszuführen. Die von Leticron ausgehenden parapsychischen Impulse hatten allem Anschein nach im Laufe der Jahre die Biopositronik des Roboters verändert, Quicklab hatte einen Selbsterhaltungstrieb entwickelt und wollte nicht sterben. Es stand sogar die Gefahr im Raum, dass Quicklab dessen ungeachtet die Bombe an Bord von Leticrons Schiff zünden würde. Als Leticron Quicklab Versagen vorwarf und ihm damit drohte, ihn abzuschalten, gewann die Programmierung des Roboters aber wieder die Oberhand. Quicklab gehorchte, zündete die Bombe an Bord des Bluesraumers und sprengte damit auch sich selbst.

Leticron zog aus Quicklabs Ende den Schluss, künftig darauf zu verzichten, Spezialroboter längere Zeit in seiner Nähe einzusetzen. Obwohl der Überschwere eigentlich in der Lage war, ablenkende Gefühle beiseite zu schieben, machte Leticron der Verlust seines jahrelangen Vertrauten noch eine Weile zu schaffen. Um sich abzulenken, bestritt er, nur mit einem Messer bewaffnet, einen Kampf mit einem Bgregg, den er in nur acht Minuten für sich entscheiden konnte.

Hotrenor-Taak grenzte den Bewerberkreis auf drei Personen ein: Spanger, Nos Gaimor und Leticron. Leticron wurde von den Hyptons bevorzugt, den Verkünder der Hetosonen erinnerte der Überschwere mit seinem wohl geplanten, entschlossenen Handeln zu sehr an Perry Rhodan, und er favorisierte deshalb Nos Gaimor. Wem das Amt letztendlich zugesprochen würde, sollte nun in Zweikämpfen entschieden werden.

An Bord der HATRON-YMC musste Leticron zunächst mit Spanger kämpfen. Dem Anti wurde erlaubt, ein Vibratormesser als Waffe zu verwenden, um die körperliche Überlegenheit des Überschweren auszugleichen. Zusammen mit seiner Fähigkeit, Leticrons Paragaben außer Kraft zu setzen, machte das Spanger Leticron mehr als ebenbürtig. Dennoch setzte sich der kampferprobte Corun of Paricza letztendlich durch. Nur das Eingreifen Hotrenor-Taaks konnte Leticron davon abhalten, Spanger zu töten.

Danach musste sich Leticron seinem alten Rivalen Nos Gaimor an Bord der Tonne stellen. Gaimor schien dadurch im Vorteil, allerdings konnte er diesen nur recht bedingt nutzen: Aus Angst, ein solcher Sieg würde von den Laren nicht anerkannt, verzichtete er auf den Einsatz der Waffen seines Schiffes und stufte Leticron der Schiffs-KI gegenüber als »neutral« ein. Leticron wiederum gelang es, unbemerkt an Bord der Tonne zu gelangen und dem Schiffscomputer selbst einige Befehle zu geben. Danke seiner Ortskenntnisse konnte Nos Gaimor Leticron aber überraschen und in dem nun entbrennenden Kampf auf Leben und Tod die ersten Schläge landen. Schwer verletzt gelang es Leticron nur mit knapper Not, seinen Gegner dennoch zu bezwingen und zu töten.

Zurück an Bord der HATRON-YMC, wurde Leticron die Anerkennung als neuer Erster Hetran zunächst von Hotrenor-Taak weiter vorenthalten. Letztendlich musste sich der Verkünder der Hetosonen aber dem Wunsch der Hyptons beugen und dem Überschweren das Amt zuerkennen. Unmittelbar danach brach der schwer verletzte Leticron ohnmächtig zusammen.

– Erster Hetran der Milchstraße

Als Erster Hetran drängte Leticron zunächst auf die Zerstörung des Solsystems, da er die Terraner als einzig relevante Gefahr für seine Machtposition ansah.

Bereits am 10. Juli 3459 unterstützte er daher mit seinen 8000 Einheiten eine Flotte von SVE-Raumern der Laren bei dem Versuch, in das durch ein ATG-Feld geschützte Solsystem vorzudringen. Ein Unternehmen, das vorläufig ohne Erfolg blieb und von Hotrenor-Taak am 11. Juli 3459 wieder abgebrochen wurde.

Leticrons Schreckensherrschaft dauerte 121 Jahre. Mit zunehmendem Alter zog sich Leticron immer mehr zurück. Er ließ die Stahlfestung Titan erbauen und pflegte dort einen mittelalterlichen Lebensstil. Besondere Vorliebe zeigte er dabei für Ritterspiele und er selbst war ein gefürchteter Ritter.

Leticron plante seine Herrschaft über die Stahlfestung über seinen Tod hinaus. Dazu benötigte er PEW-Metall. Durch das Auftauchen dreier Mucys, die das Bewusstsein von Altmutanten trugen, gelangte Leticron in den Besitz von PEW-Metall. Da die Laren planten, Maylpancer als Nachfolger Leticrons einzusetzen, stellte Leticron sich Maylpancer in einem Duell und unterlag ihm in einem fairen Kampf. Das Bewusstsein Leticrons wechselte kurz vor seinem Tod in das PEW-Metall über, das in einer Säule des Turnierplatzes untergebracht war. Leticron gelang es entgegen seiner Planung nicht mehr, das PEW-Metall zu verlassen.

– Weiteres Schicksal

Im Jahre 67 NGZ wurde Leticron aus dem Steinsockel befreit, sein Bewusstsein in den letzten noch existierenden Multicyborg transferiert, was ihm relative Unsterblichkeit garantierte. Seine Parafähigkeiten gingen durch den langen Aufenthalt in der Steinsäule verloren. Er wurde nach Paricza gebracht und von Garumar, Corun of Paricza, zu 380 Jahren Gefangenschaft verurteilt.

Im Jahre 448 NGZ ging die Medien-Crew Krohn Meysenharts davon aus, dass im 2. Jahrhundert NGZ terranische Wissenschaftler versuchten, Leticron zu befreien und in einen Androidenkörper zu verpflanzen. Den Informationen nach schmolzen sie hierzu den Steinsockel ein und extrahierten das PEW-Metall. Leticron weigerte sich aber, das Metall zu verlassen, und verblieb in seinem selbstgewählten Gefängnis.

– Anmerkungen

Es ist unklar, ob die Darstellung in PR 1224 eventuell darauf beruht, dass die Ereignisse im Jahre 67 NGZ geheim gehalten wurden und die Medien-Crew Krohn Meysenharts einer Fehlinformation aufsaß, oder ob es sich bei einer der beiden Darstellungen um einen Autorenfehler handelt.

In der Dorgon-Fanserie wird eine weitere Version des weiteren Schicksals Leticrons dargestellt. Dort taucht Cau Thon auf und befreit Leticron nach über tausend Jahren aus seinem Gefängnis. Er bietet ihm an, für seinen Meister zu arbeiten. Als Gegenleistung bekommt er einen neuen Körper, einen Zellaktivator und die Möglichkeit, sich an Perry Rhodan zu rächen. Der inzwischen noch wahnsinniger gewordene Leticron nimmt natürlich das Angebot an und gelangt in den Körper des Überschweren Siddus, der die psionische Fähigkeit der Metagruppierung besitzt. Leticron tötet das schwächere Bewusstsein und agiert unter dem Pseudonym »Nor'Citel« als einer der Söhne des Chaos.

Anya Guuze

Die Terranerin Anya Guuze ist in Terrania City geboren. Sie wächst wohlbehütet auf, Geld spielt für die gutverdienen Eltern keine Rolle, daher fehlt es dem Mädchen an nichts. Sie ist sehr ehrgeizig und gehört zu den besten in der Schule.

Die Schönheit ist im Jahre 1294 NGZ Berufsschülerin, als sie ihren Klassenkameraden Siddus kennen lernt. Obwohl alle den sensiblen und labilen Überschweren hänseln, behandelt Anya ihn gut. Jedoch erwidert sie seine Liebe nicht. So bekommt Anya ungewollt die historische Wiedererweckung des Corun von Paricza Leticron mit, als dieser von Cau Thon aus seinem PEW-Metallblock auf Titan befreit wird und den Körper von Siddus übernimmt.

Steckbrief

Geboren: 30.06.1274 NGZ

Geburtsort: Terrania City, Terra

Größe: 1,61 Meter

Gewicht: ca. 50 kg

Augenfarbe: blau

Haarfarbe: blond

Bemerkungen: Zierliche und sportliche Gestalt, lange Haare

Charaktereigenschaften: Sehr intelligent, freundlich und hilfsbereit, früher ist sie jedoch auch selbstverliebt und oft sehr gehässig gewesen.

Siddus

Siddus war ein Terraner mit pariczanischem Migrationshintergrund. Er wurde 1272 NGZ auf einer Kolonialwelt der Überschweren geboren.

Siddus lebte seit dem Jahr 1278 auf Terra, als seine Eltern von einer pariczanischen Kolonie ausgewandert waren. Er hätte sich sicher schneller in dieser merkwürdigen Welt eingelebt, wenn ihm Kontakte zur Außenwelt wesentlich früher erlaubt worden wären.

Seine Mutter sah dies jedoch gänzlich anders. Sie war der Meinung, dass sie ihren Sohn hatte beschützen müssen und ihn deshalb von der terranischen Außenwelt ferngehalten. Siddus war sich nicht sicher, ob seine Mutter damit recht hatte.

Siddus' Vater war der Besitzer eines Lebensmittelgeschäftes. Der Laden lief mehr schlecht als recht, aber irgendwie hatte es sein Vater nie übers Herz gebracht, dieses Geschäft zugunsten eines Geschäftes, bei dem man weniger von seiner Abstammung merken würde, aufzugeben.

Anstatt seine Aktivitäten in einen Bereich zu verlegen, wo man einem Menschen wie ihm, der allein schon durch seinen Körperbau als Überschwerer zu erkennen war, nicht sehen konnte, kam für den Pariczaner nicht in Frage. Lieber wollte er sich weiter demütigen lassen. Insofern war er ein Beispiel für seinen Sohn gewesen, der ebenfalls bereit war, diesen persönlichen Kampf auszufechten.

Im Jahre 1294 NGZ arbeitete Siddus bei der SHORNE INDUSTRY Gesellschaft und absolvierte dort eine Ausbildung. Der 1,93 Meter große Pariczaner verheimlichte seine mutantischen Fähigkeiten der Metagruppierung und verwendete sie nie. Vom Charakter war Siddus hoch sensibel und litt unter der Ausgrenzung in der Schule und auf der Arbeit. Er war unsterblich in seine Klassenkameradin Anya Guuze verliebt.

Der Sohn des Chaos wählte den körperlich herausragenden Siddus als Wirtskörper für Leticron aus. Nach der Übernahme absorbierte Leticron die mutantische Fähigkeit und tötete den Geist von Siddus ab.

Stahlfestung Titan

Die Stahlfestung Titan wird im Auftrag des Ersten Hetran der Milchstraße, des Überschweren Leticron, auf dem Saturnmond Titan zur Zeit der Lareninvasion errichtet.

Von der Bauform her erscheint das über hundert Quadratkilometer große Gemäuer antiquiert. Vorrangiges Baumaterial ist Stahl, daher auch der Eigenname.

Hof der Sieben Säulen

Der Hof der Sieben Säulen ist der größte Turnierplatz in der Festung. Er wird von einer Energiekuppel umspannt, so dass im Innern der Kuppel eine atembare Sauerstoffatmosphäre erzeugt werden kann. Das von stählernen Mauern und Türmen umgebene Areal ist 300 Meter lang und 100 Meter breit. Tribünen für Zuschauer wurden errichtet. Der Boden wurde mit einer elastischen Kunststoffmasse ausgelegt. Hier tragen die Überschweren auf stählernen Rössern Wettkämpfe aus.

Geschichte

Nachdem Leticron im Jahre 3580 im Zweikampf mit Maylpancer sein Leben verlor, strömte sein Geist in einen vorbereiteten Block aus PEW-Metall. Dort blieb er bis zum Jahre 67 NGZ gefangen. Er wurde für einige Jahre befreit und ihm wurde in einem Cyborgkörper eine zweite Chance gegeben. Als Leticron jedoch wieder nach der Macht griff, wurde der Cyborg vernichtet und sein Bewußtsein kehrte in den PEW-Sockel zurück. Dieser wurde in die Ruinen der im Jahre 3585 verwüstete Festung zurückgebracht. Dort geriet sie in Vergessenheit.

Im Jahre 448 NGZ diente die Stahlfestung als Museum und war auch unter dem Begriff Stahlfestungsmuseum bekannt. Man versuchte in dieser Zeit auch Leticron erneut zu befreien, doch Leticrons Geist weigerte sich. Man beließ die Säule in den Katakomben und erneut geriet sie in Vergessenheit.

Erst während des Hundertjährigen Krieges kam der Stahlfestung wieder Bedeutung zu, als Monos die Festungsanlagen reaktivierte und eine Großsyntronik installieren ließ, die als Notfallsyntronik für NATHAN dienen sollte. Dies war allerdings nur ein Trick, um NATHAN zu hintergehen. Während eines Testlaufs der Titansyntronik wurde NATHAN planmäßig abgeschaltet und beim Neustart ins Simusense-Netz integriert.

Nach 1147 NGZ wurde ein großer Teil Stahlfestung zum Forschungszentrum Titan um- und ausgebaut. Der Raum mit der PEW-Metallblock-Säule wurde überbaut und nicht erforscht. Niemand schien sich mehr darüber im Klaren zu sein, dass Leticrons Bewußtsein dort schlummert. Offiziell ging man davon aus, dass die Säule während der Monos-Ära verloren gegangen war oder zerstört worden war. Der kleinere Teil erhielt Museumscharakter.

Zwischen 1174 und 1199 NGZ übernahm der terranische Chefwissenschaftler Myles Kantor die Leitung des Forschungszentrums.

Erst 1294 NGZ begannen Ausgrabungen in den unteren Bereichen. Dort wurde Leticron erneut entdeckt. Zur selben Zeit schlug Cau Thon los und tötete die Wissenschaftler. Er befreite Leticron aus dem PEW-Metall und transferierte ihn in Siddus Körper.

Quelle: z.T. die Perrypedia:

http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Stahlfestung_Titan


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— Special-Edition Band 33, veröffentlicht am 14.08.2015 —

Titelillustration: Gaby HyllaInnenillustrationen: Gaby Hylla, Klaus G. Schimanski

Lektorat: Jürgen SeelDigitale Formate: Jürgen Seel