11.
Der neue Kanzler Saggittors

20. November 1285 NGZ

Aurec stand am Strand des beschaulichen Fischerdorfes Bossin. Trotz der Minusgrade und des kalten Windes, der ihm vom Meer her ins Gesicht blies, genoss er die Ruhe und Abgeschiedenheit. Als Kind war sein Vater oft mit ihm zum Fischen in dieses Idyll abseits der hektischen Metropolen Saggittons gegangen.

Bossin hatte nur rund 800 Einwohner, welche sich damit begnügten, ein schlichtes Leben als Fischer oder Landarbeiter zu führten. Aurec mochte solche abgeschiedenen Orte, von denen es noch recht viele auf seinem Heimatplaneten gab. Die Saggittonen waren umweltbewusst und liebten es, mit der Familie ihre freie Zeit in der Natur zu verbringen. Für Aurec war es ein Zei-chen der Demut, denn trotz aller Technologie war die Natur selbst die größte Errungenschaft, wenn man es so bezeichnen wollte.

Aurec beobachtete ein altes Ehepaar, welches schlurfend und dick eingemummelt am Strand entlang wanderte. Das waren seine Saggittonen. Er durfte sie nicht Dolphus überlassen. Sie durften nicht weiter unter der Gefahr durch Rodrom leben. Aurec musste das verhindern. Er war froh, dass Perry Rhodan an seiner Seite stehen würde, denn dieser Terraner verfügte über eine große Erfahrung, besonders im Umgang mit gefährlichen, unbekannten Mächten.

Aurec hatte einen flüchtigen Eindruck von den Mächten des Chaos bekommen. Rodrom und seine Söldner waren Bestien. Und in Dolphus hatten sie einen willigen Gehilfen, denn Dolphus wollte nur Krieg führen, glaubte, Saggittor müsste Galaxien erobern, um seine Größe und Dominanz zu beweisen. Während Dolphus tief und fest glaubte, ein aufrechter Saggittone zu sein, so stellte er doch eigentlich all das dar, was ein aufrechter Saggittone verschmähte. Krieg um des Krieges Willen, unbegründeter Hass auf fremde Intelligenzen und eiskalte Skrupellosigkeit.

Dolphus war ein Machtmensch. Er war fest davon überzeugt, dass sein Wille, dem Wohl Saggittors entsprechen würde. Ein Krieg gegen die Lokale Gruppe wäre ein Überfall gewesen, der Millionen Intelligenzen das Leben gekostet hätte.

Aurec war erschüttert, dass es tatsächlich Befürworter einer solchen Politik gegeben hatte. Offensichtlich lauerte unter der Fassade des Friedens doch ein gewisser Blutdurst in den Saggittonen. Vielleicht waren sie auch durch die Ermordung seines Vaters, seiner Mutter und Geschwister verunsichert und schockiert gewesen. Das hatte es seit Äonen nicht mehr gegeben. Krieg und Terrorismus war auf Saggittor unbekannt, Gewaltverbrechen auf entfernte Kolonien beschränkt. Über Äonen hatten die Saggittonen Krieg nur gespielt, doch nie praktiziert. Die Allianz der Völker Saggittors war fest und untrennbar.

So hatte es zumindest den Anschein gehabt. Doch Aurec fragte sich, ob man solche Errungenschaften der intelligenten, friedliebenden Völker als gegeben hinnehmen konnte? Vielleicht waren die letzten Generationen einfach zu sicher des Friedens gewesen. Man musste dafür kämpfen und stets wachsam sein, denn der Weg ins Chaos stand offensichtlich immer ein Stück weit offen.

Aurec schüttelte sich. Nun machte sich die Kälte doch bemerkbar. Er kehrte dem Strand den Rücken, stieg in seinen Gleiter und flog zurück nach Nooran, eskortiert von vier Gleitern der Regierungsgarde.

*

21. November 1285 NGZ

Aurec nahm Abschied von seinem Vater Doroc, der ein gütiger, liebenswerter Vater und Herrscher Saggittors gewesen war. Doroc hatte Aurec keine Lektionen über Krieg und Verteidigung gelehrt, sondern seinem Sohn vorgelebt, wie man weise, milde und mit einem Schuss Humor und Leichtigkeit sein Volk regierte.

Aurec nahm Abschied von seiner Mutter. Sie hatte ihm als Kind Liebe, Güte und Aufmerksamkeit geschenkt. Sie war immer für ihn da gewesen und hatte immer zu ihm gehalten, auch wenn er als Kind den einen oder anderen Unsinn getrieben hatte.

Aurec nahm Abschied von seinem Bruder Baahl, mit dem er sich nicht immer gut verstanden hatte, da er dessen lethargischen Lebensstil nicht teilte. Doch Baahl hatte ein gutes Herz gehabt. Er hätte keinem Fanzies etwas zu leide tun können, weshalb er auch nie aktiv bei Vaters Jagd teilgenommen hatte, denn selbst die Paralysestrahlen hatte Baahl als Tierquälerei empfunden.

Aurec nahm Abschied von seiner Schwester Vesporia. Seiner kleinen Prinzessin, die an Schönheit und Anmut kaum zu überbieten war.

Er konnte die Tränen, die über sein Gesicht liefen, nicht verbergen. Die vier Särge wurden in das Mausoleum der Ahnen, welches sich einen Kilometer tief unter dem Palastkomplex befand, gebracht. Dort würden sie mit anderen Kanzlerfamilien gemeinsam ruhen.

Aurec spürte die Hand seines Freundes Serakan auf seiner Schulter. Er kannte Serakan seit seiner Zeit in der Militärakademie. Auch wenn sie aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen stammten, so hatte sie seit dieser Zeit eine feste Freundschaft verbunden.

Aurec musterte seinen Freund, den smarten Offizier, der mit seinem Lächeln, dem Dreitagebart und den langen, welligen Haaren viele Frauenherzen zum Schmelzen gebracht hatte. Doch diesmal war Serakan offenbar nicht zum Lachen zumute. Er blickte Aurec traurig an, teilte dessen Schmerz offenbar.

Aurec brachte nur ein zögerliches Nicken zustande. Dann folgte er den Bestattern in das Mausoleum, um endgültig Abschied von seiner Familie zu nehmen.

Egal welchen Trost er erhielt, er fühlte sich in diesem Moment allein und verlassen.

*

Aurec war froh, als am Abend alles vorbei war. Die endlose Trauerfeier hatte ihn mitgenommen. Hunderte von Saggittonen hatten ihm kondoliert und immer wieder hatte er mit der Würde eines Kanzlers darauf reagiert. Mit steinerner Miene hatte er ihnen ein betrübtes Lächeln geschenkt. Es hatte Aurec viel Kraft gekostet.

Diese Saggittonen hatten es gut gemeint, doch es war unendlich schwer, nicht seiner Trauer freien Lauf zu lassen.

Aurec wünschte, dass Shel Norkat hier wäre. Zwar waren Shel, Perry Rhodan, Sam, Rosan Orbanashol und einige weitere Vertreter der LONDON bei dem Begräbnis anwesend, doch Shel hatte Aurec weitestgehend ignoriert und war dann wieder verschwunden. Vielleicht hatte sie einfach nicht gewusst, wie sie hätte reagieren sollen.

Aurec setzte sich hin und atmete tief durch. Es gab so viel zu tun. Sie mussten irgendwie die Zentrumsbarriere deaktivieren, um Rodroms Station zu vernichten.

Aurec musste sich vor Dolphus in Acht nehmen. Der lauerte nur darauf, ihn und den Rat von Saggittor auszuschalten. Aurec stand auf, goss sich wohl duftenden Bisca in die leere Tasse und kostete von dem derbköstlichen Getränk mit erfrischender Wirkung.

Sie hatten einen gefangenen Kjollen. Doch bisher hatte dieses Wesen kein Wort gesprochen. Das Raumschiff wurde von den besten Wissenschaftlern untersucht.

Vielleicht fanden die Forscher einen Weg durch die Barriere im Zentrum ihrer Galaxis. Aurec konnte ohnehin nicht schlafen, also begab er sich auf die LONDON. Er wollte Shel Norkat sehen.

*

Das Leben war auf die LONDON zurückgekehrt. Die Passagiere und Besatzungsmitglieder hatten sich von dem Strangenessschock erholt und wirkten vergnügt und zufrieden auf den saggittonischen Kanzler. Einige der Passagiere erkannten Aurec und blickten ihn ehrfürchtig an. Aurec war das eher unangenehm.

Einige Saggittonen, Trötter und Varnider befanden sich auf der LONDON. Sie bestaunten die Ausstellungen in der Sternenhalle. Andere schlossen Handelskonzessionen mit den galaktischen Geschäftsleuten. Hier wuchs, trotz der Startschwierigkeiten, hoffentlich eine enge Freundschaft zwischen zwei Sterneninseln zusammen.

Zu Aurecs Verwunderung lief ihm ausgerechnet Perus über den Weg. Das Ratsmitglied von Saggittor lächelte Aurec an, als seien sie die besten Freunde. Dabei hatte der beleibte ältere Saggittone mit der Halbglatze vor wenige Diat noch Aurec offen misstraut und mit Dolphus sympathisiert.

»So schnell ändern sich die Ansichten«, stellte Aurec fest.

Perus lachte.

»Ich bin Politiker. Vielleicht war alles nur ein Missverständnis und dieser Rodrom steckt dahinter. Jedenfalls zeige ich meinen guten Willen und lerne die Galaktiker kennen«, erklärte Perus selbstzufrieden.

»Na dann viel Spaß«, entgegnete Aurec und ließ den Politiker stehen. Ihm war nicht nach dessen Gesellschaft zumute.

Aurec begab sich einige Etagen tiefer und bog von der Sternenhalle in einen der Korridore ab, wo sich die Kabinen der Passagiere befanden. Er wanderte den schmalen, gut beleuchteten Gang mit den weißen Wänden entlang, bis er an Shel Norkats Kabine stand. Er atmete tief durch und aktivierte den Türsummer.

Doch nichts geschah. Aurec wartete eine Weile, dann ging er zurück in die Sternenhalle und spazierte dort entlang. In einem Restaurant fand er schließlich Shel mit einer anderen Frau und einem terranischen Mann. Sie wirkte vergnügt, lachte viel und schien offenbar keinen Gedanken an Aurec zu verschwenden.

Der Saggittone blieb am Eingang des Restaurants stehen, lehnte sich gegen einen Träger und musterte Shel mit vor dem Bauch verschränkten Armen. Sie war wunderschön. Diese terranischen blonden Haare und die blauen Augen hatten es ihm angetan. Shel hatte sich gut während des Abenteuers in der Vergangenheit eines Paralleluniversums geschlagen. Allerdings hatten Aurec ihre Beschuldigen am Ende verletzt. Er verstand Shels plötzliche Distanz nicht.

Die andere Frau war wohl auf Aurec aufmerksam geworden. Sie tippte Shel an, die nun auch zu Aurec blickte und verwundert wirkte. Ausgerechnet die andere Frau stand auf und ging zu ihm.

»Guten Tag, ich bin Terna Ambyl, die Kreuzfahrtmanagerin der LONDON. Es freut mich, dich an Bord begrüßen zu dürfen, Kanzler von Saggittor.«

Sie reichten sich die Hände und Aurec gab ihr einen Handkuss.

»Es ist mir eine Freude«, erwiderte der Saggittone.

Terna Ambyl bat ihn zu Tisch. Shel begrüßte ihn nun auch freundlich und erkundigte sich nach dem Verlauf der Trauerzeremonie. Der Terraner war ein Versicherungsmakler namens Cayron Luz. Er wollte mit Aurec über eine Versicherungsagentur auf Saggitton sprechen, doch der Kanzler verwies den bereits angetrunkenen Mann auf die Wirtschaftsrepräsentanten. Shel war auch schon beschwipst. Sie schien gerne und viel zu trinken. Offenbar war ihr erstes Rendezvous mit ihm, zumindest von ihrer Seite aus, kein alkoholisierter Fehltritt gewesen.

Aurec wollte mit Shel gerne alleine sprechen, doch er merkte, dass dafür nicht die richtige Zeit war. Er fühlte sich unwohl und nicht willkommen. Obwohl er in den letzten Diats Gefühle für die Terranerin aufgebaut hatte, war sie ihm dennoch fremd geblieben. Ihr Verhalten ihm gegenüber untermauerte diese Tatsache noch.

Aurec stand auf und verabschiedete sich. Als er auf halbem Weg aus dem Restaurant war, drückte ihm Shel eine Karte in die Hand.

»Das ist der Reserveschlüssel zu meiner Kabine. Schau mal vorbei, dann können wir reden oder so.«

Sie drückte ihm ein Kuss auf die Lippen und ging wieder zum Tisch. Aurec starrte ihr verdutzt hinterher. Er bemerkte die Blicke der Gäste, räusperte sich und eilte davon.

*

In der Gegenwart seiner neuen Freunde, Perry Rhodan und Sam, fühlte sich Aurec wohler. Er wusste nicht, was er mit Shel anfangen sollte. Am liebsten hätte er ihr, die Codekarte für ihre Kabine wieder zurückgegeben, doch er war einfach zu verdutzt gewesen.

Aurec saß im Besprechungsraum neben der Kommandobrücke, der eigentlich für die Offiziere der LONDON bestimmt war. Doch Rhodan, Sam, James Holling und der Saggittone hatten es sich dort bequem gemacht, um über die nächsten Schritte zu diskutieren.

Rhodan berichtete, dass der Kjolle weiterhin schwieg. Allerdings hatte Rhodan vor wenigen Minuten Nachricht von Alexander Moindrew erhalten, der zusammen mit den saggittonischen Wissenschaftlern das Wrack des Kjollen untersucht hatte.

»Sie konnten einige Programme sichern und glauben, dass der Diskusraumer über eine Apparatur verfügt, die eine Strukturlücke in die Barriere öffnet«, berichtete Rhodan.

»Fein, dann lasst uns ausprobieren, ob das funktioniert. Warten ist mir zuwider«, entschied Aurec.

James Holling räusperte sich. Aurec blickte den Kapitän des Luxusraumschiffes fragend an.

»Die LONDON ist kein Kriegsschiff.«

Aurec lächelte knapp.

»Keine Sorge, die LONDON wird hier bleiben. Wir werden das Raumschiff der Kjollen auf die SAGRITON bringen und von dort aus operieren.«

Rhodan hatte nichts einzuwenden. Er bat nur darum, mit dabei zu sein. Er stellte klar, dass es eine militärische Auseinandersetzung werden würde.

»Es stellt sich dabei stets die Frage, ob ein Angriff vermeidbar wäre«, gab Sam zu bedenken. Zuerst lagen Aurec bissige Worte auf den Lippen, doch er schwieg und dachte über die Worte des Somers nach.

War ein Angriff auf diese Barriere vielleicht unangebracht? Ein Präventivkrieg war nicht nach Aurecs Geschmack. Die Saggittonen traten hierbei als Aggressoren auf.

Doch auf der anderen Seite war in den Geschichtsschreibungen dokumentiert, dass ein rotes Wesen aus der Barriere kam. Rodrom hatte in dem Restaurant in New York zugegeben, dass er Dolphus und die Saggittonen benutzte hatte, um Aurecs Familie zu ermorden.

Nur ein Narr stritt einen direkten Zusammenhang zwischen Rodrom und der Barriere ab. Auf was sollten sie noch warten? Dass eine Invasionsflotte über die bewohnten Planeten der Galaxis herfallen würde?

Außerdem konnte er mit niemanden verhandeln. Es gab keine Repräsentanten aus der Barriere, sah man von Rodrom einmal ab und der hatte ihnen nun klar und deutlich aufgezeigt, dass er an keinem Frieden interessiert war.

Nein, bei allen friedlichen Überlegungen, Aurec wusste, dass eine große Schlacht bevor stand. Er wusste ebenso, dass saggittonische Männer und Frauen sterben würden. Und er opferte diese Lebewesen nicht leichtfertig. Doch welche Alternative gab es? Sich der Willkür von Rodrom auszuliefern und zu hoffen, es würde nichts mehr passieren? Den Kontakt zur Lokalen Gruppe abbrechen, um auf die Gnade von Rodrom zu hoffen? Das wären keine Alternativen.

Die Barriere musste durchbrochen und der Feind aus Saggittor vertrieben werden. Aurec wollte nicht, dass die Bewohner der Galaxis in ständiger Angst leben müssen, ob nicht doch irgendwann eine feindliche Raumflotte aus dem Zentrum der Galaxis über sie herfallen würde.

Die Dinge hatten sich geändert, nachdem sich Rodrom offen gezeigt hatte. Das rote Wesen war nun keine Legende aus uralten Erzählungen mehr, sondern ein selbst erklärter Gegner Saggittors und dessen Verbündete.

Die Tarnung von Rodrom und seiner Station im Zentrum der Galaxis war aufgeflogen. Wie lange würde Rodrom wohl warten, bis er selbst die Initiative ergreifen würde, um Saggittor zu unterjochen? Hierbei ging es doch nicht um einen Konflikt zweier unterschiedlicher Spezies, wo es zumeist um Ressourcen, Lebensraum oder gegensätzliches Misstrauen ging. Rodrom hatte Aurecs Familie ermordet. Er hatte in Dolphus einen willfährigen Despoten eingesetzt, um gegen die Lokale Gruppe Krieg zu führen.

Die Galaxis Saggittor war für Rodrom nur eine Schachfigur. Mehr nicht. Jederzeit wäre Rodrom bereit, Milliarden Lebewesen für seine Zwecke zu opfern. Mit Rodrom konnten sie nicht verhandeln oder auf Vernunft und eine friedliche Co-Existenz hoffen.

Aurec schenkte Sam ein gequältes Lächeln.

»Nein, mein Freund. Dieser Krieg ist unvermeidlich. Wir haben ihn nicht begonnen, doch wir bringen ihn zu einem Ende. Rodrom hat uns allen bewiesen, dass er eure Vernichtung will und die Saggittonen sollen ihm als Werkzeug dienen. Das werden wir nicht. Wir werden die Eindringlinge aus der Galaxis werfen!«

Aurec war fest entschlossen. Er strafte seinen Körper und spürte dabei einen unangenehmen Schmerz im Nacken. Er war noch nicht dazu gekommen, einen Arzt zu konsultieren. Auch wenn es ziemlich weh tat und unangenehm war, so hatte er jetzt wichtigeres zu tun. Die nächsten Diats würden von entscheidender Bedeutung für Saggittor sein.

*

Aurec war bis in die späten Abendstunden mit der Planung der Operation beschäftigt. Der Aufbruch in die Zentrumsregion der Galaxis sollte Morgen beginnen. Doch ihr größtes Problem war Dolphus selbst. Der Rat hatte einer Enthebung von Dolphus nicht zugestimmt, somit war der Admiral als Oberbefehlshaber der Flotte über alle Pläne informiert.

Sofern Dolphus noch in Kontakt mit Rodrom stand, würde er dem Roten ihre Angriffspläne übermitteln. Deshalb hatte Aurec zusammen mit Rauoch und loyalen Offizieren geheime Alternativpläne entwickelt, in die Dolphus nicht eingeweiht worden war.

Aurec hatte zusammen mit Rauoch, Serakan und dem Ersten Offizier der SAGRITON Waskoch die Pläne auf der LONDON ausgearbeitet. Hier waren sie unbeobachtet von möglichen Spionen von Dolphus. Serakan hatte vorgeschlagen, die Order des Rates zu ignorieren und Dolphus zu inhaftieren, doch Aurec wollte das nicht. Im Gegensatz zu Dolphus achtete er die Gesetze der Republik. Er durfte sich nicht auf die gleiche Stufe stellen. Auch wenn ihm das schwer fiel. Dolphus trug die Mitschuld am Tod von Aurecs geliebter Familie. Ihn einfach mit einem Strahler nieder zu schießen und mit dem Degen, der seit Äonen zu den Insignien eines Herrschers gehörte, zu erstechen, wäre einfacher, gerechter und vielleicht auch befriedigender gewesen. Wäre Aurec nicht Kanzler, hätte er es getan. Doch nun hatte er Verantwortung für Billionen Lebewesen in der Galaxis. Und an seinen Taten würden sie ihn und sich selbst messen.

Dolphus einfach zu beseitigen, war keine Option. Sie war Aurecs und der Saggittonen nicht würdig.

Dolphus war an die Befehle von Aurec und dem Rat Saggittors gebunden. Dennoch war er durchaus in der Lage, einen möglichen Angriff zu sabotieren. Er konnte die Befehle verschleppen, absichtliche Falschmeldungen streuen oder gar versuchen, Aurec im Eifer des Kampfes zu töten, um selbst wieder die Kontrolle zu übernehmen. Aurec musste sich auf alles gefasst machen.

Der Saggittone lehnte sich tief in den Sessel. Der Nacken schmerzte noch immer. In seiner Jackentasche fand er die Codekarte zu Shels Kabine. Vielleicht war sie noch wach? Wenn sie ihm schon unmissverständlich den Schlüssel zu ihrem Quartier gegeben hatte, erwartete sie wohl auch, dass er der Einladung folgte.

Ihre Gesellschaft könnte ihm möglicherweise etwas Kraft geben und die brauchte er dringend für die kommenden Diats und Semors. Aurec erhob sich, verzog das Gesicht, als der Schmerz sich wieder meldete und verließ die Kabine.

Der Saggittone blickte auf die Außendecks der LONDON hinab. Über ihm spannte sich die Glaskuppel. Darüber funkelten die Sterne Saggittors. Stufenförmig gingen die Etagen der äußeren Decks hinab bis zur mittleren Scheibe des Raumschiffes. Dort befanden sich die Hangars. Die LONDON war ein schönes Schiff, ein Kunstwerk terranischer Architektur. Aurec wandte sich ab und bog in den Korridor ein, der zur Sternenhalle im Inneren des Luxusraumers führte.

Auf seinem Weg zur Kabine der Terranerin, beobachtete er die vielen fremden Wesen. Die Milchstraße verfügte über eine weitaus reichere Artenvielfalt als Saggittor. Die großen, grazilen Wesen mit den scheibenförmigen Köpfen nannten sich Jülziisch und wurden von den Terranern Blues genannt. Eines dieser Wesen schritt an Aurec vorbei. Auf der anderen Seite stand ein reptilienhaftes Wesen, welches zu der Spezies der Topsider gehörte, daneben ein großes Wesen mit einem Rüssel. Aurec glaubte, es war ein Unither.

Aurec schritt an einer Kunstausstellung vorbei. Zweidimensionale und dreidimensionale Bilder hingen an der Wand, Skulpturen aus allerlei Epochen und unterschiedlichen Rassen prägten den offenen Raum. Er hätte mehrere Anors damit verbringen können, die Kultur der Galaktiker zu studieren.

Doch dafür war jetzt nicht die Zeit. Aurec fiel ein dreidimensionales Bild an der Wand auf. Seltsam, es sah so aus, als würden die beiden Zeichnungen in dem Bild ihm zuwinken. Aurec sah sich um. Er war allein in dem Raum. Nur ein blauhäutiger Mann mit schütterem rotem Haar saß schläfrig auf einem Stuhl und polierte eine bronzefarbene Kanne.

Klopfte da jemand? Aurec betrachtete erneut das digitale Bild, möglicherweise war es auch ein kleiner Film in einer Endlosschleife. Der Saggittone ging bedächtig näher. Nun sah er es genauer. Das kleine Männchen in dem Bild klopfte tatsächlich gegen den Monitor. Wie war das möglich? Aurec blickte verstohlen zu dem Blauhäutigen, doch der war weiterhin mit seiner Kanne beschäftigt.

Dann schritt Aurec direkt vor das Bild. Es waren zwei Figuren darin. Der »Klopfer« winkte nun erneut und lächelte. Sein Haar war wirr, die Ohren spitz und die Augen groß. Der Mann dahinter. Es war … Aurec schloss die Augen, glaubte an eine Sinnestäuschung. Doch als er sie wieder öffnete, war der immer noch da.

Sato Ambush!

Wie kam der in eine dreidimensionale Fotografie? Wie konnte ein Bild mit ihm interagieren?

Der spitzohrige Mann mit dem strubbeligen Haar malte etwas auf die Fläche. Es waren Zahlen. Aurec nahm einen kleinen Pikosyn, den er von Perry erhalten hatte, und gab geistesgegenwärtig diese Zahlen ein.

Der Fremde im Bild nickte. Sato verneigte sich.

Die Zahlen verschwanden. Nun zeigte der Fremde auf einen Monitor im Bild. Aurec erkannte das Sternenportal darin. Dann tippte sich der Unbekannte mit dem Finger an die Schläfe. Was wollte er nun?

Aurec kam das vor wie in einem Traum. Er wandte sich an den Besitzer. Wenn Aurec sich nicht irrte, war es ein Ferrone. Doch er war sich da nicht sicher.

»Entschuldige bitte. Ähm, was ist das für ein Bild?«

Der Besitzer legte im Zeitlupentempo die Kanne beiseite und erhob sich ächzend. Er schlurfte zu Aurec. Der Saggittone starrte den Mann fragend an.

»Das ist … ah, ja. Leidenschaft im Topf. Ein neualternatives Werk aus dem 2. Jahrhundert NGZ. Es schildert die sexuelle Leidenschaft zweier Topfpflanzen aus Sicht einer apasischen Stubenfliege.«

Wie beliebte der Ferrone? Aurec wollte so etwas wie »Schwachsinn« erwidern, dann drehte er sich um und sah zwei Töpfe mit zwei Blumen, die ihre Blüten zueinander gewandt hatten. Das dreidimensionale Bild bewegte sich vor- und zurück, so als würde man darauf zufliegen.

Aurec schüttelte den Kopf. Wo waren der Fremde und Ambush.

»Die Ausdruckskraft ist beeindruckend, nicht wahr? Leider schätzt die Nachwelt dieses Meisterwerk nur bedingt«, erklärte der Ferrone.

»Aha«, machte Aurec.

Bevor er sich völlig lächerlich machte, verabschiedete er sich lieber von dem Mann und eilte zurück auf die Etage in der Sternenhalle.

Aurec nahm den Pikosyn und vergewisserte sich, dass die Zahlen gespeichert waren. Er analysierte die Daten.

Es waren Koordinaten. Sie führten in das Zentrum der Galaxis. Das Bild hatte ihm Koordinaten gegeben. Er hatte ihm das Sternenportal gezeigt. Aurec überlegte, während er den Weg zu Shel Norkats Kabine zurücklegte. Der terranische Versicherungsverkäufer kam dem Saggittonen entgegen. Der Mann, dessen Name Aurec wieder entfallen war, wirkte erschöpft, aber zufrieden. Er wechselte mit Aurec kurz einen Blick, wurde ernst und eilte davon.

Schon erreichte Aurec die Kabine. Er betätigte den Türsummer, doch Shel öffnete nicht die Tür. Aurec überlegte, ob er wirklich den Schlüssel benutzen sollte. Vielleicht schlief sie ja schon und er störte nur. Auf der anderen Seite wollte er mit ihr reden. Es gab wichtigere Dinge im Moment als wenig Schlaf.

Aurec schob die Karte in den Schlitz. Das Schloss entriegelte sich und die Tür glitt zur Seite.

»Willkommen, Shel Norkat«, hauchte eine freundliche, synthetische Stimme als Begrüßung.

Aurec vernahm ein Kichern aus dem Nebenraum. Offenbar war Shel nicht allein.

»Hallo? Shel?«, rief er laut.

Ihm war das alles unangenehm. Die Tür zum Nebenraum stand offen. Er warf einen Blick herein. Das Licht war gedämpft.

Auf dem Bett saßen Shel und die Kreuzfahrtmanagerin Terna Ambyl. Nackt. Sie tranken aus einer Flasche. Aurec brauchte eine Weile, bis er verstand. Shel erkannte ihn und schreckte auf. Sie kroch über das Bett, stand auf und hatte Mühe zu stehen. Sie war betrunken. Aurec registrierte einige leere stiftförmige Hüllen auf den Boden. Vermutlich Drogen.

»Oh Aurec, ich wusste nicht, dass du kommst. Wir … wir … naja.«

Sie lächelte unschuldig.

Jetzt fiel es Aurec wie Schuppen von den Augen. Er hatte die Lösung! Shel versuchte sich in Erklärungen, doch Aurec hörte nur halbherzig zu. Der Fall war klar. Sie hatte eine kleine Orgie mit dem Versicherungsverkäufer und der Kreuzfahrtmanagerin gefeiert. Die Stimulierung durch die Drogen und den Alkohol hatte sie wohl vergessen lassen, dass sie Aurec eingeladen hatte. Vielleicht hatte sie das auch erwartet und gehofft, er hätte mitgemacht.

Das war alles unbedeutend. Aurec wusste schlagartig, dass diese Terranerin nichts für ihn war. Ihre Schönheit und der Reiz einer anmutigen fremden und doch so ähnlichen Spezies hatten ihn leichtfertig Gefühle für sie entwickeln lassen.

Doch bei genauerer Betrachtung waren sie auch auf charakterlicher Ebene um Millionen von Lichtjahren voneinander entfernt. Doch viel wichtiger in diesem Moment war nicht diese Tatsache, sondern, dass der Saggittone begriff, was es mit den Koordinaten auf sich hatte.

»Shel, es tut mir leid. Das ist nicht die Art von Gefährtin, die ich mir wünsche. Viel Spaß noch.«

Aurec machte den Ansatz einer Verbeugung, warf die Schlüsselkarte auf den Boden und verließ die Kabine. Shel rief seinen Namen hinterher, doch das kümmerte ihn nicht mehr.

Er musste zu Perry Rhodan!

*

»Wir haben einen Weg durch in die Barriere. Wir fliegen durch das Sternenportal und wählen diese Koordinaten an. Auf der Gegenseite befindet sich vermutlich ein weiteres Portal.«

Perry Rhodan blickte den Saggittonen verblüfft an.

»Und das hast du alles von einem Bild erfahren, auf dem Sato und ein Fremder zu sehen waren, das allerdings in Wirklichkeit zwei schmachtende Topfpflanzen waren?«

Aurec verzog die Mundwinkel.

»Glaubst du mir nicht?«

»Klar doch. Ich habe schon ungewöhnlichere Botschaften erhalten … glaube ich.«

Perry schien ihn nicht auf den Arm zu nehmen. Für Aurec war nun klar, dass er einen weiteren Geheimplan ausarbeiten musste. Und Dolphus sollte davon keinesfalls erfahren.