2.
Rendezvous mit der Mordred

Am 16. November 1285 NGZ erreichte der CERES-Kreuzer endlich den Randbezirk der kleinen Galaxis UGCA-092. Dimytran dachte daran, dass der Treffpunkt in einem System mit einer alten, verlassenen Station der Tefroder lag und sie noch rund 7.500 Lichtjahre davon entfernt waren. Das war nur noch ein Katzensprung.

Landry setzte erneut ein Signal an die FREYJA und NORTH CAROLINA ab. Doch der CERES-Kreuzer fiel plötzlich aus dem Hyperraum.

»Was ist los?«, wollte Landry wissen.

»Keine Ahnung. Dimytran weiß es selbst nicht. Er ist aufgeregt.«

Gucky erlebte die Ereignisse in der Kommandozentrale des Kreuzers durch die Gedanken von Dimytran. Es war wie in einem Film aus der Sicht des Protagonisten. Die Syntronik des Raumschiffes hatte eigenmächtig den Flug beendet und informierte die Besatzung über eine gespeicherte Nachricht. Gucky war gespannt, was das zu bedeuten hatte. Dimytran war jedenfalls ziemlich überrascht.

Vor ihm erschien das Hologramm eines hochgewachsenen Mannes in einer Art Raumanzug oder Rüstung.

Der Silberne Ritter, dachte Dimytran sofort.

»Das Raumschiff wurde automatisch an den gegenwärtigen Koordinaten durch die Syntronik gestoppt. In Kürze wird eines unserer Raumschiffe längsseits gehen. Folgen Sie den Anweisungen des Kommandanten. Sollten Sie sich uns widersetzen, ist unsere Vereinbarung hinfällig. Sollten Sie versuchen, sich abzusetzen, wird die Syntronik den Selbstzerstörungsbefehl initiieren.«

In der Tat hatte Dimytran schon überlegt, mit dem Gold einfach abzuhauen. Vermutlich war das Vertrauen der Mordred in seinen Alliierten nicht sehr groß. Gucky schloss daraus, dass dieser Silberne Ritter jemand von der Mordred sein musste.

Dimytran und seine Crewmitglieder fürchteten den Silbernen Ritter, dessen wahren Namen sie nicht wusten. Er war bekannt für seine unbarmherzige Art und bestrafte Versager mit dem Tod. Leider wusste keiner von ihnen mehr über die Mordred. Sie waren allesamt auf verschiedenen Welten von Mittelsmännern aus dem kriminellen Untergrund angeworben worden. Mafiosi, Galactic Guardians und dergleichen unterhielten offenbar Kontakte zur Mordred. Gucky beunruhigte es, dass offenbar völlig unbemerkt, ein kriminelles Netzwerk entstanden war, das die gesamte Milchstraße durchzog. Allerdings war die Mordred nach außen anscheinend bisher noch nicht in Erscheinung getreten.

Wenige Minuten später tauchte ein unbekanntes Raumschiff auf. Es war kugelförmig und hatte einen Durchmesser von 500 Metern. Vermutlich stammte es aus der Milchstraße.

Gucky berichtete Landry pausenlos über die neuen Ereignisse.

»Vermutlich ein Raumschiff dieser Mordred«, meinte der TLD-Agent.

Der Raumschiffkommandant erschien als Hologramm auf der Brücke des CERES-Kreuzers. Ein kleiner, rundlicher Mann mit Vollbart und seltsamer Kopfbedeckung. Ein ovaler Helm, an dem jede Menge Fransen und herabhängende Tücher befestigt waren.

»Ich bin Oberst Kaljul Hussein del Gonzales, Kommandant der FROSER METSCHO. Ihr Raumschiff steht ab sofort unter Kontrolle der Mordred. Wir bitten Sie höflich aber bestimmt, unseren Anweisungen ohne Widerrede zu folgen«, erklärte der Mann gegenüber Dimytran, der sichtlich immer mehr Angst verspürte.

»Natürlich, aber wieso diese Mittel? Wir haben die 150 Milliarden Galax in Gold und wollen zur LONDON.«

»Reine Sicherheitsvorkehrungen. Sie werden von zwei Raumschiffen verfolgt. Hierbei scheint es sich um Raumer der LFT und der Organisation Camelot zu handeln. War Ihnen das bewusst?«

Dimytran erschrak. Tausend Fragen schwirrten durch seinen Kopf. Gucky war ebenso überrascht.

Er forschte in den Gedanken dieses del Gonzales herum, der jedoch zu Guckys Verwunderung mentalstabilisiert war. Also musste dessen Crew herhalten. Gucky hatte nicht viel Zeit. Er musste schnell herausfinden, woher sie wussten, dass die FREYJA und NORTH CAROLINA sie verfolgten.

Gucky filterte die unwichtigen Überlegungen. Der eine dachte daran, dass seine Topfpflanze dringend Wasser brauchte, der andere hatte Angst vor der nächsten Personalbesprechung mit dem Stationskommandanten der Feuerleitzentrale, der andere … da hatte Gucky es! Suchte nach dem verschlüsselten Signal. Die Crew der FROSER MATSCHI, oder wie dieses Raumschiff hieß, wusste somit, dass jemand ein Signal aus dem CERES-Kreuzer abgeschickt hatte.

»Wir haben Probleme«, meinte Gucky. »Sie wissen, dass blinde Passagiere an Bord sind.«

Das Gespräch zwischen Dimytran und Oberst del Gonzales bestätigte seinen Verdacht. Der Mordred-Oberst wies Dimytran an, den Transmitter zu aktivieren, damit ein Suchtrupp an Bord kommen konnte, um den Kreuzer zu durchsuchen.

Landry nahm den Sender.

»Was hast du vor?«

»Wir haben keine andere Wahl. Bring deine Sachen weg. Ich sende ein erneutes Signal. Ich hoffe, sie können es nicht dechiffrieren. Darin übermittle ich unsere Daten und die Koordinaten, wo sich die LONDON befinden soll.«

»Aber die können uns lokalisieren«, warf Gucky ein.

Landry schmunzelte.

»Das ist richtig. Sie können mich damit finden.«

Nun dämmerte es dem Mausbiber. Dieser Landry musste jetzt wohl unbedingt den Helden spielen. Doch seine Argumentation war einleuchtend. Wenn Gucky unentdeckt blieb, hatte er größere Chancen Landry zu befreien, als umgekehrt. Gucky packte hastig seine Sachen zusammen und teleportierte diese in ein anderes Versteck. Der Container musste so aussehen, als würde er nur von einer Person bewohnt.

Landry sendete das Signal an die FREYJA und NORTH CAROLINA. Gucky wünschte dem TLD-Agenten viel Glück und teleportierte aus dem Container. Er las in den Gedanken von Dimytran, dass das Mordred-Raumschiff das Signal aufgefangen hatte. Der Orter konnte glücklicherweise den Code jedoch nicht entschlüsseln. Der Suchtrupp war bereits an Bord und hielt zielstrebig auf den Lagerraum zu. Wenig später öffneten sie den Container. Landry ergab sich widerstandslos und wurde in die Kommandozentrale des Kreuzers gebracht.

*

»Sie werden mir vermutlich keinen Drink anbieten?«, fragte Stewart Landry den bärtigen Oberst der Mordred.

Grob wurde Landry auf einen Stuhl gedrückt. Der TLD-Agent befand sich im Nebenraum der Kommandozentrale. Ihm gegenüber saß Kaljul Hussein del Gonzales.

»Ich werte das als nein«, meinte Landry und seufzte. Erwartungsvoll blickte der Terraner den Mordred-Oberst an.

»Ich vermute mit dem Teint und der Namenskonstellation stammen Sie von Mashratan. Ist die Mordred eine Eliteeinheit von Kerkum?«

Kaljul Hussein del Gonzales verzog das Gesicht.

»Sie verkennen Ihre Lage. Ich führe das Verhör, nicht Sie. Name?«

»Wessen?«

Del Gonzales gab dem Mann hinter Landry ein Zeichen. Dann wuchtete der die Faust auf Landrys Brust. Hustend sackte der TLD-Agent kurz zusammen.

»Name?«, wiederholte der Mordred-Offizier emotionslos.

Landry seufzte.

»Peer van Reben. Ich bin Mitarbeiter in der Kosmischen Hanse.«

Der Mashrate blickte Landry erwartungsvoll und ebenso misstrauisch an. Offenbar wartete er auf eine weitere Erklärung.

»Nun, ich habe von der Entführung erfahren. Da dachte ich mir, ich hole mir ein Stück vom Kuchen und mache mir in Andromeda ein schönes Leben, denn dort sind die Frau …«

»Ruhe!«, herrschte Kaljul Hussein del Gonzales. »Diesen Schwachsinn können Sie sich sparen, Mister Stewart Landry, Agent des Terranischen Liga Dienstes. Sie sind uns bekannt. Die FROSER METSCHO folgte dem CERES-Kreuzer seit Tagen. Dabei ist uns Ihr Signal an die beiden feindlichen Raumschiffe nicht entgangen.«

Landry lächelte verschmitzt und machte eine unschuldige Geste.

»Sie haben mich ertappt.«

»Ihre gute Laune wird Ihnen noch vergehen. Wie viele sind noch an Bord von ihrer Zunft?«

»Ich arbeite immer alleine«, antwortete Landry ernst. Der Oberst der Mordred schien ihm zu glauben. Kaljul Hussein del Gonzales stand auf und wandte sich von Landry ab. Er faltete die Hände hinter den Rücken und blickte aus dem Fenster in den Weltraum.

»Wir haben nun ein Problem. Wenn wir an den vereinbarten Treffpunkt zur LONDON fliegen, werden die beiden Raumschiff uns folgen und die LONDON finden.«

Landry stutzte.

»Das müsste Ihnen doch egal sein. Sie haben das Lösegeld. Oder hängt Ihre Sympathie so sehr an dieser Sekte?«

Zum ersten Mal lachte der Mordred Oberst. Er drehte sich um und schüttelte den Kopf.

»Nein, ganz gewiss nicht.«

Nun begriff Landry. Ihm war wirklich nicht mehr zum Lachen zumute.

»Dann haben Sie nicht vor, die Passagiere und Crewmitglieder mit der LONDON freizulassen. Sie wollen die LONDON vernichten!«

*

Landry brauchte eine Weile, um die Zusammenhänge zu verstehen. Die Mordred nutzte offenbar die Kinder der Materiequelle dazu, um zu verschleiern, dass eigentlich sie hinter der Entführung des Hanseschiffes stand. Das 500 Meter durchmessende Schlachtraumschiff der Mordred hatte nun wohl den Auftrag, die LONDON zu vernichten.

»Wieso dieser ganze Aufwand? Sie hätten doch die LONDON irgendwo während des Kreuzfluges zerstören können?«

Kaljul Hussein del Gonzales winkte ab.

»Das war nicht der Plan. Die Mordred sollte im Hintergrund bleiben. Niemand hätte von uns Notiz nehmen sollen. Nun, so wird es auch wieder sein, sobald Sie tot und Ihre beiden Raumschiffe vernichtet sind.«

Del Gonzales kraulte seinen Bart und atmete tief durch.

»Nun denn, werft Mister Landry aus der Schleuse. Ich habe keine Verwendung mehr für Sie. Sterben Sie wohl, Mister Landry!«

Der kräftige Bewacher packte Landry und zog ihn hoch.

»Gleichfalls.«

»Ich werde noch mein langes Leben genießen«, erwiderte del Gonzales amüsiert.

»Och, nicht, wenn Ihr Silberner Ritter von Ihrer Inkompetenz erfährt.«

»Halt«, brüllte der Mordred Oberst.

Landrys Bewacher stoppte und schubste Stewart wieder in Richtung Tisch. Kaljul Hussein del Gonzales zog einen Thermostrahler und richtete ihn auf den TLD-Agenten.

»Keine Mätzchen. Was meinen Sie damit?«

»Im letzten Signal habe ich Koordinaten der LONDON durchgegeben. Ich habe Dimytran abgehört. Vermutlich sind die beiden Raumschiffe schon dort.«

Fassungslos starrte der Mordred Offizier den TLD-Agenten an. Vermutlich überlegte er, ob Landry bluffte. Doch dieses Mal sagte er sogar die Wahrheit. Er hatte in der letzten Nachricht die Koordinaten des möglichen Aufenthaltsortes der LONDON durchgegeben. Was ging nun in diesem Möchtegernoberst vor? Dass er sich vor den Konsequenzen fürchtete, war ihm anzusehen. Er hatte seine Überheblichkeit verloren. Die Angst vor dem geheimnisvollen Silbernen Ritter war groß. Die 150 Milliarden Galax an Lösegeld schienen für den Kommandanten der FROSER METSCHO nebensächlich zu sein.

Schließlich senkte Kaljul Hussein del Gonzales die Waffe und aktivierte sein Interkom.

»Kommandant an FROSER METSCHO. Alles bereit machen für Hyperraumflug Richtung LONDON. Ich komme an Bord.« Dem grobschlächtigen Muskelpaket mit der grünen Haut gab er den Befehl, an Bord des CERES-Kreuzers zu bleiben.

»Um Sie kümmere ich mich später, Landry!«

Mit den Worten verschwand der Oberst aus dem Raum. Landry blieb in dem Quartier und sah, wie einige Minuten später der Sternenhimmel dem flimmernden Hyperraum wich. Sie kamen der LONDON immer näher.