7.
In den Wirren der Pararealitäten

Sato Ambush war erleichtert, dass sein Plan anscheinend gelungen war. Auch wenn er selbst offenbar einen hohen Preis dafür bezahlt hatte. Doch da er sich darüber noch Gedanken machen konnte, musste er weiter existieren. Bei der Explosion an Bord der WORDON hatte er sich in eine Pararealität gerettet. Es war ihm demnach rechtzeitig gelungen, aus der Realität der explodierenden Bombe zu entkommen.

Er ließ seinem Blick umherstreifen und stellte fest, dass er sich, anders konnte er seine Eindrücke nicht beschreiben, buchstäblich im Nichts befand. Besaß er überhaupt noch einen materiellen Körper, oder war seine ÜBSEF-Konstante, die man umgangssprachlich mit der Seele gleichsetzte, irgendwo zwischen den übergeordneten Dimensionen, in die das Multiversum eingebettet war, gestrandet? Vorsichtig griff er mit der rechten Hand an den linken Arm und drückte zu.

Schmerz!

Er fühlte den verkrampften Griff seiner Hand um den linken Unterarm. Vorsichtig löste er den Griff seiner Hand, der Schmerz verschwand.

Konnte ein immaterielles Bewusstsein, eine sechsdimensionale Energiekonstante, körperliche Schmerzen empfinden? Soweit er dies beurteilen konnte, wohl nicht. Aber er hatte deutlich den schmerzhaften Griff seiner Hand um den Unterarm gefühlt. Wieder wiederholte er das Spiel, das Ergebnis blieb dasselbe. Das konnte nur heißen, dass er weiterhin ein materielles Wesen war und über einen Körper verfügte. Aber wieso konnte er im Nichts existieren? Vorsichtig vollzog er eine Atemtechnik aus dem Aikido, um durch Bauchatmung sein Ki zu stärken. Tief atmete er ein und fühlte, wie der Waiqi, der äußere Atem, seine Lungen füllte. Er hatte also nicht nur einen Körper, sondern konnte sogar im Nichts atmen. Er vollzog die Meditationstechnik zu Ende und schaute sich erneut um. Das ihn umgebende Nichts hatte sich verändert und war um ihn herum gegenständlich geworden. Er stand auf einer Art felsigem Untergrund, der kurz hinter ihm begann und sich weit vor ihm im Nichts verlor. Je länger er das Nichts vor ihm zu durchdringen versuchte, umso mehr Einzelheiten wurden sichtbar. Weit vor ihm, gerade noch erkennbar, begann ein riesiges Bergmassiv Konturen bilden, das ihn geradezu magisch anzog. Ohne nachzudenken begann er, auf das Bergmassiv zuzugehen.

Spätestens in diesem Moment wurde ihm klar, dass er sich in einer völlig surrealistischen Umgebung befand. Immer neue Einzelheiten wurden am Rande seines Blickfeldes sichtbar und verschwanden wieder hinter ihm im Nichts. Mit jedem Schritt schien er Hunderte von Metern zurückzulegen. Das vor ihm liegende Szenario wurde immer detailreicher, je näher er dem Bergmassiv kam. Die gesamte Landschaft erinnerte ihn an historische Bilder seiner Heimat, die jedoch in der Gegenwart längst verschwunden waren. Unzählige Kriege und Eroberungen hatten auch in Japan sämtliche Relikte aus der Vergangenheit vernichtet. Was erhalten wurde, waren historische Bilder und Gemälde, die die Schönheit der uralten Kultur Japans überlieferten. Doch mit jedem weiteren Schritt fokussierte sich seine Wahrnehmung auf den gewaltigen Berg, den er endlich zu erkennen glaubte. Es musste sich um den heiligen Berg Japans, den Fujisan handeln. In der Gegenwart existierte der Heilige Berg längst nicht mehr, der Vulkan war während des Dolan-Angriffes der Zweitkonditionierten durch ein abstürzendes Ultra-Schlachtschiff der Galaxisklasse regelrecht in die Luft gesprengt worden. Dabei war ein großer Teil der Hauptinsel Honshu im Ozean versunken.

Mit seinem nächsten Schritt hatte er bereits den Fuß des Berges erreicht. Sein Blick fiel auf eine malerische Kulisse, die ihm wie ein Idyll aus längst vergangenen Zeiten vorkam. Zögernd trat er näher. Vor ihm lud das geöffnete Portal eines Steingartens im Zen-Stil zum Eintreten ein. Langsam durchschritt der das Portal und folgte dem verschlungenen Weg, der aus sorgfältig mit dem Rechen geglätteten kleinen Steinchen bestand. In sich versunken bemerkte er, dass der Fluss seines Ki gestärkt wurde. Sein Neiqi, der innere Atem, der den Menschen mit den Kräften des Universums in Einklang bringt, stärkte seine inneren Kräfte in einem Maße, wie er es noch nie erlebt hatte. Schließlich endete der Weg vor einem Gebäude, das er als Teehaus identifizierte. Ehrfurchtsvoll trat er näher und betastete das Material, Bambus, echter gewachsener Bambus und nicht die billigen Attrappen aus irgendwelchen Plastikwerkstoffen, wie man sie heute in den touristischen Freizeitzentren verwendete. Nochmals strich er sanft über das Material und genoss das Gefühl des natürlichen Holzes, bevor er gebückt durch den etwa einen Meter hohen Eingang schritt.

Sein Blick wurde von einem Kohlebecken gefangen, das auf einem niedrigen Tisch aus Bambus stand. Über dem Kohlebecken hing ein Wasserkessel, während auf dem Tisch zwei Trinkschalen und verschiedene Tee-Utensilien standen. Plötzlich hörte er die Worte »Wähle deinen Weg!« in seinem Geist.

Unschlüssig sah er sich um. Was sollte das?

Plötzlich sah er an der gegenüberliegenden Wand drei Gegenstände, die zuvor noch nicht da gewesen waren. Interessiert trat er näher. Es handelte sich um Waffen, einen selbst für heutige Verhältnisse futuristisch aussehenden Strahler, ein meisterhaft gearbeitetes Katana und einen schlichten Holzstab.

Fast automatisch wollte er nach dem Strahler greifen, was sollte er auch in der heutigen Zeit mit einem Schwert oder gar einem Holzstab anfangen? Doch dann zögerte er. Der Strahler wirkte auf ihn wie eine Massenvernichtungswaffe, während das Schwert die Waffe eines Kriegers war. Er aber war weder ein Massenmörder, noch ein Krieger. So blieb ihm eigentlich nur der Holzstab. Irgendwie kam er sich verarscht vor. Ein schlichter Holzstab, was sollte er wohl damit anfangen? Trotzdem nahm er den Stab in die Hand. Als er das abgegriffene Holz berührte, überkam ihn ein eigentümliches Gefühl, als ob er endlich einen Teil von sich gefunden hätte, den er schon immer vermisste.

Da ertönte ein lautes Beifallklatschen und eine Stimme begrüßte ihn: »Willkommen zu Hause, Sato-San!«

Überrascht drehte er sich um. Ihm gegenüber saß plötzlich eine Frau, die in der Art der Geishas gekleidet war. Einladend wies sie auf das freie Sitzkissen und fuhr fort:

»Bitte nimm Platz und genieße den Tee.«

Nach einem kurzen Moment des Zögerns ließ er sich im Lotussitz nieder. Unschlüssig hielt er den Stab vor sich, der irgendwie störte.

»Darf ich Dir den Stab abnehmen?«

Widerwillig übergab er ihr den Stab, was sie mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen quittierte. Seitlich des Bambustisches befand sich ein Metallständer, der zuvor noch nicht da gewesen war. Er schien genau für den Stab geschaffen zu sein. Dabei betrachtete er das Gesicht der Unbekannten genauer, es war das Gesicht einer jungen Frau, doch irgendetwas passte nicht zusammen. Die Augen, die Augen passten einfach nicht zur übrigen Erscheinung, sie wirkten alt, uralt!

»Wo bin ich hier eigentlich gelandet und we …«

Mit einer Handbewegung brachte sie ihn zum Verstummen.

»Nicht jetzt, wir wollen zuerst die Teezeremonie durchführen!«

Ein aromatischer Duft durchzog das Teehaus und mit einer kurzen Verbeugung reichte ihm seine Gastgeberin die Teeschale, bevor sie sich selbst einschenkte. Sato dankte ihr ebenfalls mit einer Verbeugung.

Langsam nahm er einen Schluck des heißen Getränkes. Der Tee war vorzüglich und schien seine Sinne zu beleben. Schließlich hatten beide die Schalen geleert und auf den Tisch zurückgestellt.

»Ich freue mich, dass Du auch die letzte Prüfung bestanden und mich nicht enttäuscht hast«, begann sie das Gespräch.

Sato schaute sie völlig entgeistert an.

»Prüfungen …, was für Prüfungen? Und kennen wir uns?«

Lachend antwortete sie ihm: »Sato, mein japanischer Freund, denke einmal nach, oder ist Dein Gedächtnis so schlecht? Und was die Prüfungen angeht, glaubst Du tatsächlich, dass alles, was Dir zugestoßen ist, nur Zufall oder das Ergebnis des unumstößlichen Schicksals gewesen ist?«

Der Pararealist war wie vor den Kopf geschlagen. Irgendwie hatte er von Anfang an das Gefühl der Vertrautheit gehabt. Doch auf der anderen Seite kannte er nicht viele Entitäten, genauer gesagt, sehr wenige. Um ES konnte es sich nicht handeln und auch irgendwelche Kosmokraten oder Chaotarchen schloss er aus. Wer oder was blieb dann eigentlich noch übrig? Aber da war doch noch …, ja, um die könnte …

»Du … du bist Kahaba, die H …«, stieß er hervor. Den letzten Teil seiner Erleuchtung konnte er gerade noch verschlucken, er erinnerte sich noch recht genau daran, dass SI KITU sehr allergisch zu reagieren pflegte, wenn man sie bei ihrem Schimpfnamen nannte.

»Da hast Du gerade noch die Kurve gekriegt!«, bestätigte sie seine Vermutung und verzog die Mundwinkel zu einem ironischen Grinsen. »Aber, weil wir hier quasi unter uns sind und Du, wenn man es vereinfacht sehen will, in meinem Auftrag handeln wirst, erlaube ich Dir, mich mit dem Namen anzusprechen, den ich einst vor Äonen getragen habe. Nur diesen Zusatz Hure solltest du besser weglassen, du würdest es wohl auch nicht mögen, wenn man Dich Sato, den Stricher nennen würde, oder

Wieder meinte er, dass ihm jemand einen Knüppel über den Kopf schlagen würde. Nicht nur, dass nach all den Jahrhunderten plötzlich die Mutter der Entropie wieder aus der Versenkung auftauchte und ihn auf die Schippe nahm, nein, sie deutete auch an, dass seine Odyssee durch Pararealitäten und Paralleluniversen kein Produkt der widrigen Umstände oder sein unabänderliches Schicksal gewesen sein sollte, sondern alles das Ergebnis einer bösartigen Manipulation der Hohen Mächte.

Er begann ein Mantra zu murmeln, um seine Selbstbeherrschung wiederzufinden. Bevor er jedoch seiner Empörung in irgendeiner Weise Ausdruck geben konnte, hatte sich sein Gegenüber erhoben und ihm den Stab gereicht. Reflexartig griff er danach. Ein eigentümliches Gefühl erfasste seinen Körper. Es war, als ob eine Art belebender Energie jede Zelle seiner Physis durchdringen würde. Das Material des Stabes fühlte sich plötzlich völlig anders an. Das zerfurchte, von abgegriffenen Astknoten durchsetzte Holz, war plötzlich glatt und strahlte eine angenehme Wärme aus. Ungläubig blickte er auf den Stab. Die Oberfläche schimmerte in einem matten Goldton, der auch als eine Art Aura den gesamten Stab umgab. Ehrfurcht erfasste ihn, als er erfasste, welche Gabe er in seinen Händen hielt: Der Stab bestand aus der geheimnisvollen metallenen Legierung des Ultimativen Stoffes, der unter dem Namen Carit bekannt war!

Die Stimme Kahabas riss ihn aus seinen Überlegungen.

»Du hast weise gewählt, Sato-San! Oft trügt der äußere Schein, nur wer bereit ist, hinter die Fassaden der Dinge zu blicken, kann deren wahre Natur erkennen.«

Die Erscheinungsform der Entität machte eine Pause, während sie gedankenverloren ihre nach japanischer Art aufgesteckten Haare löste. Ihre Gestalt wurde unscharf und manifestierte sich wieder in der altbekannten Erscheinung einer schlampigen Zigeunerin, die jedoch seltsam abwesend wirkte.

»Lebe wohl, Sato-San, Du musst nun gehen. Unsere Zeit ist abgelaufen, die Schachfigur eines der Protagonisten des gegenwärtigen Spieles wartet auf dich, und er darf auf keinen Fall Verdacht schöpfen, dass ich in das Spiel eingreife.«

Der Pararealist spürte, wie brennender Zorn in ihm erwachte. Es war wie immer, für all die mysteriösen Entitäten, egal ob Superintelligenzen, Kosmokraten oder Chaotarchen, waren sie nur Spielfiguren auf dem großen, unbegreiflichen Schlachtfeld, eben nur Bauern im kosmischen Spiel, die hin und hergeschoben und geopfert wurden, ganz nach dem Gutdünken der Spieler.

»Schachfigur? Bin ich auch nur eine Schachfigur für dich, deine Schachfigur?«

Die bereits verblassende Gestalt SI KITUs gewann noch einmal Substanz, während sie sich umwandte.

»Nein Sato, das bist du bestimmt nicht. Das Schachbrett ist nicht dein Spielfeld und ich gehöre nicht zu den Spielern. Unser Spiel, Sato-San, ist das Würfelspiel und wir müssen dafür sorgen, dass niemand mit gezinkten Würfeln spielt. Doch sie versuchen es immer wieder und deshalb, Sato, deshalb müssen wir ihnen, im Fall der Fälle, auch auf die Finger schlagen. Denn die Würfel müssen fallen, ohne dass sie irgendjemand manipuliert.«

Die Gestalt der Mutter der Entropie begann sich endgültig aufzulösen und mit ihr die gesamte Umgebung.

Er bemerkte, wie er wieder den Anker verlor. Pararealitäten wurden sichtbar und verschwanden wieder und von irgendwoher hörte er eine Stimme aus dem Nichts:

 

Nimm Deine Würfel in die Hand

Das Schicksal ist ein Würfelspiel

Und deine Seele ist das Pfand!

Komm rüber Würfel, komm rüber!

In diesem Spiel gibt’s kein zurück

Noch mal die Sechs und Du bist frei

Doch Deine Zeit verrinnt im Sand!

Komm rüber, Spieler komm rüber!

*

Ambush nahm erst jetzt wahr, dass um ihn herum ein grauer Nebel wallte, indem keinerlei Strukturen erkennbar waren. Doch wo war er? Wann war er?

»Du fragst dich jetzt bestimmt, wo du bist?«

Ambush wusste nicht, woher die Stimme kam. Die Tonlage war männlich, wirkte aber ein wenig hektisch.

»Und du fragst dich natürlich auch, wer ich bin«, sprach der Fremde weiter und fügte seufzend hinzu: »Diese Frage stelle ich mir zuweilen auch.«

Der Nebel lichtete sich. Sato stand auf einer Brücke aus Stein. Unter ihm ein Wirbel aus Sternen, irisierenden Lichtern und tanzenden Linien. Vor ihm, am Ende der Brücke, schwebte eine violette Sphäre. Aus einer Öffnung schimmerte ein weißes Licht.

»Herein in die gute Stube. Oder wie es in dem Dialekt deines Herkunft Ortes heißt: Irasshai-mase

Bitte tritt ein, schoss es Sato durch den Kopf. Er folgte der höflichen Bitte. Was hatte er schon zu verlieren?

Er ging in das Licht, welches aus dem Inneren der Sphäre kam und gedämpft wurde, als er das violett leuchtende Objekt betreten hatte. Es war warm in dem Gebilde. Wohlig warm. Vor ihm entstand aus dem Nichts ein hölzerner Tisch. Dahinter rematerialisierte sich eine Gestalt, die in einem breiten, grünen Sessel saß.

Das Wesen sah durchaus humanoid aus. Die Augen waren größer, als die eines Menschen. Die Haare waren wirr, doch die spitz herausragenden Ohren an den Seiten waren deutlich zu erkennen. Die Hautfarbe war bleich, fast schon weiß. Der hagere Fremde schmunzelte und hob die Hand leicht an. Er deutete auf eine Stelle hinter Ambush.

»Nimm bitte Platz.«

Sato drehte sich um. Nun stand auch für ihn ein Sessel bereit. Er setzte sich und blickte sich um. Der Rest des Raumes war irgendwie unbestimmt und konturlos.

»Wer bist du?«, fragte er nun.

Sein Gegenüber machte eine ratlose Geste.

»Und wer bist du? Kannst du das mit Sicherheit sagen? Sato Ambush, Embuscade oder doch nur die recycelten Moleküle von Iratio Hondro, Inge Meisel und dem Tenno Jimmu aus dem dritten Paralleluniversum von rechts?«

Der Unbekannte seufzte theatralisch.

»Es ist alles so relativ im Multiversum, nicht wahr?«

Sato atmete tief durch.

»Du bist, so denke ich zumindest, ein Abgesandter einer kosmischen Entität und machst dir einen Spaß daraus, mich an der Nase herumzuführen.«

Der andere lachte lauthals und applaudierte.

»Erraten! Kennst du DORGON? Nein? MODROR? Auch nicht? Da kannst du auch froh sein! SAGGITTORA? Hm? Kommt noch alles, lieber Sato, alles mit der Zeit. In welcher Richtung auch immer. Also gut!«

Er sprang auf. Der Raum nahm nun klare Formen an. Ein Wohnraum war zu erkennen. Etwas weiter hinten Kontrollen. Vermutlich handelte es sich bei dieser Sphäre um eine Art Raumschiff.

»Du darfst mich Alysker nennen. Und nein, das ist nicht mein wahrer Name, den mir meine Eltern bei der Geburt gaben, sondern eine Bezeichnung.«

Ambush überlegte eine Weile. Er dachte über die Bedeutung des Wortes Alysker nach. Hatte er es schon einmal irgendwo gehört oder darüber gelesen? Doch es klingelte nichts. Der Name war ihm unbekannt.

»Tee?«, fragte Alysker nun.

Sato war in der Tat durstig. Da brachte ihn wieder zu seinen Anfangsüberlegungen. Wo war er eigentlich? Sein Körper schien ja noch zu existieren oder bildete er sich das nur ein? War seine Seele im Hyperraum verweht worden und weigerte sich nur, diese Tatsache zu akzeptieren oder war er gar ein Gefangener von Rodrom, der ein diabolisches Spiel mit ihm trieb?

Alysker blickte ihn mit einem verständnisvollen Lächeln an.

»Also gut, kleiner Japaner im Kimono. Du lebst, du existierst und hast dich vor dem Tod auf der WORDON gerettet. Allerdings bist du erneut in einer anderen Pararealität. Du hüpfst völlig unkontrolliert zwischen den Paralleluniversen und Parallelrealitäten hin und her. Kein Wunder, dass du dich da verirrt hast. Wie willst du jemals dein ursprüngliches Universum finden?«

Alysker hatte eine berechtigte Frage gestellt. Er kannte die Antwort nicht. Vielleicht half ihm ja der Fremde?

Neugierig sah Ambush Alysker an.

Dieser grinste über beide Backen.

»Den finsteren Rodrom hast du ja bereits kennen gelernt. Sagen wir es einmal so, ich arbeite für die Gegenseite. Aber natürlich habe ich eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben und die Entitäten haben die besten Anwälte im Universum. Die klagen dich direkt in die namenlose Zone. Deshalb kann ich dir nicht zu viel verraten.«

Ein Kubus senkte sich von der Decke. Zu jeder Seite war ein Monitor, der wirre Linien zeigte.

»Nur so viel. Wir werden etwas Zeit miteinander verbringen und es wird einige Zeit dauern, bis du in dein Universum zurückkehrst. Aber es wird geschehen. Die Superintelligenz SAGGITTORA, die eine Allianz mit meinem Chef eingegangen ist, wird sich später noch mit dir beschäftigen. Doch ich möchte dir etwas zeigen.«

Die Wirren Linien formten sich zu einem einheitlichen, roten Strom im schwarzen Nichts. Es war so, als würde Ambush auf diesen Stromlinien reiten. Sie brachten ihn in ein dunkles Loch. Darin befand sich ein Sonnensystem. Er sah fremdartige Raumschiffe und diverse, recht kleine Welten, die um eine Sonne kreisten. Raumstationen flogen um jeden Planeten.

»Das ist eine Raumzeitfalte des Volkes der Casaro«, erklärte Alysker.

Auf dem Bildschirm erschienen reptilienartige Wesen. Sie ähnelten einer Schlange am ehesten, wiesen jedoch Arme und eine Art von Beinen auf.

»Wieso zeigst du mir das?«, wollte Sato wissen.

»Nun, mein neuer Freund, das sind Verbündete von Rodrom. Sie sind seine Forscher, aber auf eine ziemlich grausame Art und Weise. Sie entführen Vertreter von verschiedenen Spezies und observieren sie, sezieren sie im schlimmsten Fall oder gaukeln ihnen ein tolles Leben vor.«

Die Monitore zeigten einige dieser Gefangenen. Es waren Terraner. Zumindest vermutete Sato das. Vielleicht zeigte Alysker ihm absichtlich diese Aufnahmen.

Ein alter, zerknitterter Edelmann kauerte in einem morschen, muffigen Schloss und baute ein Kartenhaus. Er murmelte etwas in einer Sprache, die Sato als spanisch identifizierte. Zumindest dem Dialekt nach, doch er war sich nicht sicher, da die alten Sprachen der Erde nicht mehr gesprochen wurden.

»Ein armer alter Mann. Allein in der Nachbildung seines Schlosses gefangen. Seine Frau von ihm in den Tod getrieben, dann entführt und von den Casaro als Untersuchungsobjekt missbraucht. Für ihn sind nur wenige Wochen vergangen, doch er lebt hier schon seit 1796 eurer alten Zeitrechnung.«

Alysker erklärte, dass sich die Planeten in Stasisfeldern befanden. So hatten die Casaro Zeit, das Verhalten der Objekte ausgiebig zu untersuchen. Auf einem anderen Bild war eine terranische Kolonie zu erkennen. Ein hochgewachsener Mann mit krausem, dunklem Haar in der Uniform des Solaren Imperiums, zusammen mit einer schönen Blondine. Daneben ein muskelbepackter Hüne mit weißblondem Haar. Er musste arkonidischer Abstammung sein oder zumindest Kolonist sein.

»Ja und die wurden während der Besatzungszeit der Laren gefangen genommen. Der smarte Typ und der Barbar hatten sogar mit deinem Perry Rhodan zu tun gehabt«, erzählte Alysker.

Dann erloschen die Bilder.

»Es gibt tausende solcher Forschungsobjekte.«

»Können wir sie befreien?«

»Nun, nicht direkt. Noch nicht. Es hat mich Jahrhunderte gekostet, meine Überwachungssonden unbemerkt in die Raumzeitfalte zu bringen. Sonst hätten wir die schönen Filmchen nicht gesehen«, sagte Alysker und schlürfte seinen Tee. Auch Sato nahm einen Schluck und stellte fest, dass das Aroma sehr wohltuend war.

Er hatte so viele Fragen, doch Alysker würde sich vermutlich auf diese ominöse Verschwiegenheitserklärung berufen.

»Warum …«

»Ich dir das zeige, Sato Ambush? Nun, diese Raumzeitfalte liegt in deinem Universum in der Lokalen Gruppe. Rodrom beobachtet euch und er und sein Meister führen nichts Gutes im Schilde. Mein Boss will jedoch deren Pläne vereiteln. Aber die Entitäten ticken anders. Wie in einem Schachspiel brauchen sie unendlich lange für einen Zug. Wir sind ihre Schachfiguren.«

»Ich auch?«

Alysker nickte bedächtig und stierte in seine Teetasse. Doch Sato wusste, dass er mehr als nur eine Schachfigur war, viel mehr! Die Begegnung mit SI KITU hatte ihm einen ersten Einblick in die kosmischen Zusammenhänge gewährt. Er hatte ihr Gleichnis mit dem Würfelspiel verstanden, das auf der Ebene des Quantenschaums herrschende Zufallsprinzip musste vor Manipulationen geschützt werden. Einen Moment überlegte er, ob er Alysker informieren sollte, doch seine Erfahrungen mit den Hohen Mächten hatten ihm gezeigt, dass man den »Schachfiguren« nicht trauen konnte, unabhängig davon, ob sie im Dienst der Kosmokraten, Chaotarchen oder wem auch immer standen.

»Du wirst mich für eine Weile begleiten. Wir beobachten und mischen uns nicht ein. Noch nicht. Doch auch dann werden wir vorerst nicht direkt in Kontakt mit den Normalsterblichen treten, sondern dezente Hinweise geben. Verstanden?«

Sato Ambush hatte verstanden. Er beschloss, vorläufig Vertrauen zu diesem geheimnisvollen Wesen namens Alysker zu haben, was blieb ihm auch anderes übrig? Dieser forderte den Nexialisten auf, es sich schon einmal gemütlich in der TURELL zu machen, wie dieses Raumschiff hieß, welches offenbar seine Form ständig verändern konnte.

Sato war etwas enttäuscht, dass er nicht direkt in sein Heimatuniversum zurückkehren und Perry Rhodan unterstützen konnte, aber diese Raumzeitfalten der Casaro schienen sehr wichtig zu sein. SI KITU hatte ihn wohl auch nicht umsonst auf die Existenzebene dieses Wesens, das sich als Alysker bezeichnete, versetzt. Und eines Tages, da war er sich sicher, würde er wieder in sein Universum zurückkehren und seine Freunde wiedersehen.

Und bis dahin würde er wohl einige Abenteuer mit dem exzentrischen Wesen erleben.